Düsseldorfer Entscheidungsnummer: 3014
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 17.03.2020, Az. 4a O 103/18
- I. Die Klage wird abgewiesen.
- II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
- III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
- Tatbestand
- Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen unmittelbarer Patentverletzung auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf und Vernichtung patentverletzender Erzeugnisse sowie auf Feststellung der Pflicht zum Leisten von Schadensersatz dem Grunde nach in Anspruch.
- Die Klägerin ist die im Register des Deutschen Patent- und Markenamts (vgl. den Registerauszug in Anlage K2) eingetragene Inhaberin des deutschen Patents DE 10 2011 XXX 626 B4 (nachfolgend: Klagepatent; vorgelegt in Anlage K1). Das Klagepatent wurde am 19.12.2011 angemeldet und die Anmeldung am 20.06.2013 offengelegt. Das Deutsche Patent- und Markenamt veröffentlichte am 13.02.2014 den Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents.
- Das Klagepatent steht in Kraft. Die Beklagte zu 1) erhob unter dem 03.04.2019 gegen das Klagepatent Nichtigkeitsklage (vgl. Anlagenkonvolut B6) vor dem Bundespatentgericht, über die noch nicht entschieden worden ist.
- Der geltend gemachte Anspruch 1 des Klagepatents lautet:
- „Stechhilfevorrichtung (1) zur Blutprobenentnahme mit einem Lanzettenhalter (7) zum Halten einer auswechselbaren Lanzette (8) und mit einer Antriebseinrichtung (10) zum Antreiben des Lanzettenhalters (7), bei welcher die Antriebseinrichtung (10) zwei Federelemente umfassend ein Stechfederelement zum Beschleunigen des Lanzettenhalters (7) in Stechrichtung und ein Rückholfederelement zum Beschleunigen des Lanzettenhalters (7) entgegen der Stechrichtung aufweist,
- dadurch gekennzeichnet, dass die Antriebseinrichtung (10) eine Schlitteneinheit (11) mit einem Federspannschlittenteil (12) und mit einem Stechschlittenteil (13) aufweist, und das Federspannschlittenteil und das Stechschlittenteil (13) relativ zueinander translatorisch verlagerbar angeordnet sind und einen Stechfederelementeaufnahmebereich (16) und einen Rückholfederelementeaufnahmebereich (17) ausgestalten, und der Stechfederelementeaufnahmebereich (16) durch translatorische Verlagerung des Federspannschlittenteils (12) gegenüber dem Stechschlittenteils (13) verkleinerbar ist, um das Stechfederelement innerhalb des Stechfederelementeaufnahmebereichs (16) für einen bevorstehenden Stechvorgang vorzuspannen, wobei das Federspannschlittenteil (12) durch ein Spannbetätigungselement (26) von außerhalb der Stechhilfevorrichtung (1) händisch in eine Spannposition (28 ) hinein bewegbar angeordnet ist, und wobei das Stechschlittenteil (13) und das Federspannschlittenteil (12) sequentiell entriegelbar angeordnet sind.“
- Zur Veranschaulichung der unter Schutz gestellten Lehre werden nachfolgend in verkleinerter Darstellung die Figuren 1 bis 3 des Klagepatents eingeblendet. Diese zeigen nach Abs. [0030] ff. der Beschreibung des Klagepatents jeweils schematisch eine Längsschnittansicht einer Stechhilfevorrichtung in einer Ausgangsposition (Fig. 1), in einer Spannposition, in welcher die Stechfeder vorgespannt ist (Fig. 2), sowie einer Auslöseposition, in welcher die Stechhilfevorrichtung ausgelöst ist (Fig. 3):
- Die Beklagte zu 1) ist verantwortlich für Marketing, Verkauf und Kundenbetreuung von Diabetes Care Produkten der Marke A in Deutschland. Die Beklagte zu 2) stellt her und vertreibt chemische, diagnostische und pharmazeutische Produkte. Die Beklagten vertreiben insbesondere die (…) Generation des B, „C“ genannt (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform), beispielsweise unter der Marke „D“. Ein Exemplar der angegriffenen Ausführungsform ist als Anlage K4 zur Akte gereicht worden. Zur Veranschaulichung wird nachfolgend ein Bild der angegriffenen Ausführungsform (von S. 21 der Klageschrift = Bl. 21 GA) eingeblendet:
- Die Klägerin meint, die angegriffene Ausführungsform verletze Anspruch 1 des Klagepatents unmittelbar wortsinngemäß; hilfsweise macht sie eine unmittelbare äquivalente Patentverletzung geltend.
- Entgegen der Auffassung der Beklagten müssten das Federspannschlittenteil und das Spannbetätigungselement keine separaten Elemente sein.
- Hinsichtlich der anspruchsgemäßen Spannposition verlange das Klagepatent nur, dass das Stechfederelement vorgespannt ist und aus dieser Spannposition heraus das Stechschlittenteil in Stechrichtung beschleunigen kann. „Position“ bezeichne nur eine räumliche Stellung oder Lage, die aber nicht fixiert oder eingerastet sein müsse.
- Soweit das Klagepatent eine sequentiell entriegelbare Anordnung der Schlittenteile verlangt, lasse der Anspruch offen, in welcher Reihenfolge und in welcher Position die Schlittenteile entriegelt werden sollen. Die anspruchsgemäße Entriegelung verlange keine vorherige mechanische Verriegelung der Schlittenteile; insbesondere sei kein Riegel erforderlich. Dies zeige das (zweite) Ausführungsbeispiel nach Abs. [0065] ff. der Beschreibung des Klagepatents, bei dem der Stechvorgang durch eine kontinuierliche Bewegung des Spannbetätigungselements zunächst vorbereitet (gespannt) und dann ausgelöst werde. Hierbei erfolge die Verriegelung durch das Drücken des Spannbetätigungselements und die Entriegelung durch dessen Loslassen. Die angegriffene Ausführungsform entspreche dem zweiten Ausführungsbeispiel nach Abs. [0065] ff. der Patentbeschreibung. Hieraus ergebe sich auch, dass ein Drücken bzw. Loslassen durch den Benutzer als Entriegelung angesehen werden könne.
- Es sei – anders als die Beklagten meinen – nicht zwingend vorgeschrieben, dass zunächst die Entriegelung des Stechschlittenteils zum Auslösen des Stechens und dann die Entriegelung des Federspannschlittenteils zum Rückstellen in die Ausgangsposition erfolge. Die sequentielle Entriegelung beider Schlittenteile müsse nicht zwingend ausgehend von der Spannposition stattfinden.
- Bei der angegriffenen Ausführungsform befänden sich der Bedienknopf (Spannknopf) – bei dem es sich um das anspruchsgemäße Federspannschlittenteil handele – schon in der Ausgangsposition in einem verriegelten Zustand, da die Bewegung in beide Richtungen blockiert sei. Durch das Drücken auf den Spannknopf werde dieser entriegelt.
- Wird der Bedienknopf der angegriffenen Ausführungsform weiter durchgedrückt, wird – insoweit unstreitig – das Stechschlittenteil gedreht, die Blockierung seiner Bewegung durch das Rastelement aufgelöst und der Stechvorgang durchgeführt, indem der Lanzettenhalter entriegelt wird – dies stelle die zweite Entriegelung dar.
- Anschließend finde eine dritte Entriegelung statt, nämlich wenn der Benutzer den Bedienknopf wieder loslässt. Das Federspannschlittenteil in Form des Bedienknopfes werde erneut entriegelt, wobei dessen Bewegung zuvor durch den Nutzer blockiert gewesen sei.
- Das Verfahren sei nicht auszusetzen, da sich das Klagepatent als rechtsbeständig erweisen werde. Es liege keine unzulässige Zwischenverallgemeinerung gegenüber der ursprünglichen Patentanmeldung vor. Ferner sei das Klagepatent gegenüber den von den Beklagten angeführten Entgegenhaltungen jeweils neu und erfinderisch.
- Die Klägerin beantragt:
- I. Die Beklagten werden verurteilt,
- 1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollziehen ist, gegenüber der Klägerin jeweils zu unterlassen,
- Stechhilfevorrichtungen zur Blutprobenentnahme mit einem Lanzettenhalter zum Halten einer auswechselbaren Lanzette und mit einer Antriebseinrichtung zum Antreiben des Lanzettenhalters, bei welcher die Antriebseinrichtung zwei Federelemente umfassend ein Stechfederelement zum Beschleunigen des Lanzettenhalters in Stechrichtung und ein Rückholfederelement zum Beschleunigen des Lanzettenhalters entgegen der Stechrichtung aufweist,
- in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen und/oder zu den genannten Zwecken einzuführen und/oder zu besitzen,
- dadurch gekennzeichnet, dass die Antriebseinrichtung eine Schlitteneinheit mit einem Federspannsehlittenteil und mit einem Stechschlittenteil aufweist, und das Federspannschlittenteil und das Stechschlittenteil relativ zueinander translatorisch verlagerbar angeordnet sind und einen Stechfederelementeaufnahmebereich und einen Rückholfederelementeaufhahmebereich ausgestalten, und der Stechfederelementeaufnahmebereich durch translatorische Verlagerung des Federspannschlittenteils verkleinerbar ist, um das Stechfederelement innerhalb des Stechfederelementeaufnahmebereichs für einen bevorstehenden Stechvorgang vorzuspannen, wobei das Federspannsehlittenteil durch ein Spannbetätigungselement von außerhalb der Stechhilfevorrichtung händisch in eine Spannposition hinein bewegbar angeordnet ist, und wobei das Stechschlittenteil und das Federspannschlittenteil sequentiell entriegelbar angeordnet sind;
- (unmittelbare Verletzung des Vorrichtungsanspruchs 1
des DE 10 2011 XXX 626 B4) -
hilfsweise zum Antrag nach Ziff. I.1.
es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollziehen ist, gegenüber der Klägerin jeweils zu unterlassen,
- Stechhilfevorrichtungen zur Blutprobenentnahme mit einem Lanzettenhalter zum Halten einer auswechselbaren Lanzette und mit einer Antriebseinrichtung zum Antreiben des Lanzettenhalters, bei welcher die Antriebseinrichtung zwei Federelemente umfassend ein Stechfederelement zum Beschleunigen des Lanzettenhalters in Stechrichtung und ein Rückholfederelement zum Beschleunigen des Lanzettenhalters entgegen der Stechrichtung aufweist,
- in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen und/oder zu den genannten Zwecken einzuführen und/oder zu besitzen,
- dadurch gekennzeichnet, dass die Antriebseinrichtung eine Schlitteneinheit mit einem Federspannschlittenteil und mit einem Stechschlittenteil aufweist, und das Federspannschlittenteil und das Stechschlittenteil relativ zueinander translatorisch verlagerbar angeordnet sind und einen Stechfederelementeaufnahmebereich und einen Rückholfederelementeaufnahmebereich ausgestalten, und der Stechfederelementeaufnahmebereich durch translatorische Verlagerung des Federspannschlittenteils verkleinerbar ist, um das Stechfederelement innerhalb des Stechfederelementeaufnahmebereichs für einen bevorstehenden Stechvorgang vorzuspannen, wobei das Federspannschlittenteil durch ein Spannbetätigungselement von außerhalb der Stechhilfevorrichtung händisch in eine Spannposition hinein bewegbar angeordnet ist, und wobei das Stechschlittenteil und das Federspannschlittenteil sequentiell bewegbar angeordnet sind;
(äquivalente unmittelbare Verletzung des Vorrichtungsanspruchs 1 des DE 10 2011 XXX 626 B4) - 2. der Klägerin schriftlich sowie in elektronischer Form darüber Auskunft zu erteilen und in einer geordneten Aufstellung schriftlich sowie in elektronischer Form darüber Rechnung zu legen, unter Beifügung der Auskunft in elektronischer Form als (…)-Tabelle (xls-Datei) oder in einer sonstigen tabellarischen Aufstellung, in welchem Umfang sie die unter Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 15. Oktober 2016 begangen haben, und zwar unter Angabe
- a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer sowie der bezahlten Preise,
- b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen, einschließlich der Rechnungsnummern, und den jeweiligen Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer und der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
- c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen und den jeweiligen Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
- d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöbe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, im Falle von Internet-Werbung der Domain den Zugriffszahlen und der Schaltungszeiträume, und bei direkter Werbung, wie Rundbriefen, den Namen und Anschriften der Empfänger,
- e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
- wobei zum Nachweis der Angaben hinsichtlich der Angaben zu Ziff. I.2.a) und zu Ziff. I.2.b) – mit Ausnahme der Angaben zu den Rechnungsnummern, Typenbezeichnungen und nicht-gewerblichen Abnehmern – die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen; und
- wobei es den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der Angebotsempfänger und der nicht-gewerblichen Abnehmer statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden und ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten die durch die Einschaltung des Wirtschaftsprüfers entstehenden Kosten tragen und ihn zugleich ermächtigen, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob bestimmte Angebotsempfänger oder nicht- gewerbliche Abnehmer in der erteilten Rechnungslegung enthalten sind;
- 3. die vorstehend unter Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 15. Oktober 2016 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich festgestellten patentverletzenden Zustand Erzeugnisse und mit der verbindlichen Zusage aus den Vertriebswegen zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen, und die erfolgreich zurückgerufenen Erzeugnisse endgültig aus den Vertriebswegen zu entfernen, indem die Beklagten diese Erzeugnisse wieder an sich nehmen;
- 4. die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder in ihrem Eigentum befindlichen, vorstehend unter Ziffer I.1. bezeichneten Erzeugnisse an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben, oder – nach ihrer Wahl – selbst zu vernichten.
- II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die in Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 15. Oktober 2016 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
- Ferner beantragt die Klägerin, Teilsicherheiten für die vorläufige Vollstreckung der Ansprüche auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung gemeinsam einerseits und auf Auskunft und Rechnungslegung anderseits sowie für die Kostengrundentscheidung festzusetzen.
- Die Beklagten beantragen,
- die Klage abzuweisen;
- hilfsweise:
den Rechtsstreit bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die gegen das Klagepatent eingereichte Nichtigkeitsklage der Beklagten zu 1) vom 03.04.2019 auszusetzen; - äußerst hilfsweise:
den Beklagten zu gestatten, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung, die auch in Form einer Bankbürgschaft erbracht werden kann, ohne Rücksicht auf eine Sicherheitsleistung der Klägerin abzuwenden. - Die Beklagten tragen vor, die angegriffene Ausführungsform mache von Lehre des Klagepatents weder wortsinngemäß noch in äquivalenter Weise Gebrauch.
- Das Federspannschlittenteil und Spannbetätigungselement müssten separate Teile sein. Dies zeige sich schon darin, dass das Federspannschlittenteil anspruchsgemäß „durch“ das Spannbetätigungsteil in die Spannposition gebracht werden muss.
- Bei dem Bedienknopf in der angegriffenen Ausführungsform handele es sich allenfalls um ein Betätigungselement. Es sei aber kein hiervon separates Federspannschlittenteil vorhanden.
- Das Klagepatent verlange nach seinem Anspruchswortlaut eine definierte – also nicht beliebige – Spannposition, in der eine für den Stechvorgang hinreichende Spannung gegeben sein müsse. Es müsse sich um eine mechanisch und physikalisch definierte Position handeln, etwa durch eine mechanische Verrastung. Auch aus dem Zusammenhang des Anspruchs ergebe sich, dass die Spannposition durch eine Verriegelung fixiert sein müsse, da sonst das Stechschlittenteil und das Federspannschlittenteil nicht sequentiell „entriegelbar“ angeordnet sein könnten.
- Bei der angegriffenen Ausführungsform existiere keine Spannposition, in die der Bedienknopf hinein bewegt werden könnte. Die Feder werde bei den angegriffenen Ausführungsformen lediglich durch den Daumendruck des Nutzers auf den Bedienknopf sukzessive gespannt; der Stechvorgang erfolgt dann automatisch, wenn das Antriebselement die Gehäusekerbe verlassen hat.
- Eine Entriegelbarkeit im Sinne des Anspruchs setze eine vorherige Verriegelung voraus. Verriegelung bedeute die Verhinderung einer Bewegung mittels eines Riegels. Als Entriegelung sei nicht jede Überwindung einer Bewegungseinschränkung zu verstehen. Schließlich könne – entgegen der Ansicht der Klägerin – ein Daumendruck eines Benutzers nicht als Verriegeln und das Loslassen nicht als Entriegeln angesehen werden.
- Die anspruchsgemäße, sequentielle Entriegelbarkeit beziehe sich ausschließlich auf die Spannposition, was schon der Anspruchswortlaut zeige. Es müsse daher zunächst das Stechschlittenteil und erst danach das Federspannschlittenteil entriegelt werden können. Andernfalls würde die erreichte Vorspannung zur Beschleunigung der Lanzette wieder abgebaut. Eine sequentielle Entriegelbarkeit aus „Spannen und Stechen“ werde vom Klagepatent nicht adressiert oder beansprucht.
- Bei der angegriffenen Ausführungsform gebe es keine Entriegelung des Federspannschlittenteils. Die Vorspannung der Feder in der Ausgangsposition verriegele den Bedienknopf nicht, sondern erschwere allenfalls dessen Bewegbarkeit geringfügig. Auch das spätere Loslassen des Bedienknopfes sei keine Entriegelung. Für die Sichtweise der Klägerin müsste zudem ein Benutzer als Teil der patentgemäßen Vorrichtung angesehen werden. Selbst wenn man ein Entriegeln annehme, fände dies bei der angegriffenen Ausführungsform nicht in der patentgemäßen Reihenfolge statt.
- Der beantragte Auskunfts- und Rechnungslegungsanspruch sei zu weitreichend. Die Ansprüche auf Rückruf und Vernichtung seien unverhältnismäßig.
- Das Klagepatent werde auf die Nichtigkeitsklage der Beklagten zu 1) hin vernichtet werden, so dass das Verfahren jedenfalls auszusetzen sei. Die Lehre des Klagepatents werde von mehreren Dokumenten neuheitsschädlich vorweggenommen. Weiterhin sei das Klagepatent unzulässig erweitert.
- Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf die ausgetauschten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 03.03.2020 Bezug genommen.
- Entscheidungsgründe
- Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht die Lehre des Klagepatents nicht, so dass der Klägerin gegen die Beklagten nicht die geltend gemachten Ansprüche aus §§ 139 Abs. 1, Abs. 2, 140a Abs. 1, Abs. 3, 140b PatG, §§ 242, 259 BGB zustehen.
- I.
Die angegriffene Ausführungsform macht von Anspruch 1 des Klagepatents weder wortsinngemäß noch in äquivalenter Weise Gebrauch. - 1.
Das Klagepatent (nachfolgend genannte Absätze ohne Quellenangabe sind solche des Klagepatents) betrifft eine Stechhilfevorrichtung zur Blutprobenentnahme. Solche Vorrichtungen weisen einen Lanzettenhalter zum Halten einer auswechselbaren Lanzette und eine Antriebseinrichtung zum Antreiben des Lanzettenhalters auf. Die Antriebseinrichtung weist zwei Federelemente umfassend ein Stechfederelement zum Beschleunigen des Lanzettenhalters in Stechrichtung und ein Rückholfederelement zum Beschleunigen des Lanzettenhalters entgegen der Stechrichtung auf. - In seiner einleitenden Beschreibung schildert das Klagepatent, dass solche gattungsgemäßen Stechhilfevorrichtungen im Stand der Technik bekannt sind. Insbesondere sind Antriebseinrichtungen aus zwei in Reihe geschalteten Federelementen bereits bekannt. Bei einer derartig ausgelegten Stechhilfevorrichtung ist ein vorderes Stechfederelement dem zu beschleunigenden Lanzettenhalter zugewandt, während ein hinteres Rückholfederelement von dem Lanzettenhalter abgewandt ist. Das vordere Stechfederelement sorgt für eine Beschleunigung des Lanzettenhalters während eines Stechvorgangs mit der durch den Lanzettenhalter gehalterten Lanzette. Demgegenüber sorgt das hintere Rückholfederelement für eine Rückholbewegung des Lanzettenhalters nach dem Stechvorgang. Durch diese zwei wirkenden Federelemente kann ein übermäßiges kritisches Nachschwingen des Lanzettenhalters an der Stechhilfevorrichtung nach einem Stechvorgang gut vermieden werden (Abs. [0002]).
- Das Klagepatent erörtert weiterhin, dass die US 2005/XXX A1 eine Lanzettenvorrichtung umfassend einen Lanzettenmechanismus zeigt; insbesondere mit einem Lanzettenträger und mit einem gleitbar mit dem Lanzettenträger verbundenen Lanzettenhalter. Der Lanzettenmechanismus umfasst relativ zueinander translatorisch verlagerbare Schlittenteile. Darüber hinaus sind ein Stechfederelement und ein Rückholfederelement vorhanden, welche jeweils in einem Stechfederelementaufnahmebereich bzw. in einem Rückholfederaufnahmebereich angeordnet sind (Abs. [0003]). Spezifische Kritik an dieser Schrift übt das Klagepatent nicht.
- Das Klagepatent bezeichnet es in Abs. [0003] als seine Aufgabe, eine konstruktiv einfach zu bauende Stechhilfevorrichtung mit einer insbesondere für ungeübte Personen verbesserten Bedienbarkeit bereitzustellen, so dass die Stechhilfevorrichtung händisch einfach erneut einsatzbereit gemacht werden kann.
- 2.
Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent eine Stechhilfevorrichtung nach Maßgabe von Anspruch 1 vor, der sich in Form einer Merkmalsgliederung wie folgt darstellen lässt: - 1 Stechhilfevorrichtung (1) zur Blutprobenentnahme
- 1.1 mit einem Lanzettenhalter (7) zum Halten einer auswechselbaren Lanzette (8) und
- 1.2 mit einer Antriebseinrichtung (10) zum Antreiben des Lanzettenhalters (7).
- 2 Die Antriebseinrichtung (10) weist zwei Federelemente auf umfassend
- 2.1 ein Stechfederelement zum Beschleunigen des Lanzettenhalters (7) in Stechrichtung und
- 2.2 ein Rückholfederelement zum Beschleunigen des Lanzettenhalters (7) entgegen der Stechrichtung
- 3 Die Antriebseinrichtung (10) weist eine Schlitteneinheit (11) mit einem Federspannschlittenteil (12) und mit einem Stechschlittenteil (13) auf.
- 4 Das Federspannschlittenteil (12) und das Stechschlittenteil (13)
- 4.1 sind relativ zueinander translatorisch verlagerbar angeordnet;
- 4.2 gestalten einen Stechfederelementeaufnahmebereich (16) und einen Rückholfederelementeaufnahmebereich (17) aus.
- 5 Der Stechfederelementeaufnahmebereich (16) ist durch translatorische Verlagerung des Federspannschlittenteils (12) gegenüber dem Stechschlittenteils (13) verkleinerbar,
- 5.1 um das Stechfederelement innerhalb des Stechfederelementeaufnahmebereichs (16) für einen bevorstehenden Stechvorgang vorzuspannen.
- 6 Das Federspannschlittenteil (12) ist durch ein Spannbetätigungselement (26) von außerhalb der Stechhilfevorrichtung (1) händisch in eine Spannposition (28) hinein bewegbar angeordnet.
- 7 Das Stechschlittenteil (13) und das Federspannschlittenteil (12) sind sequentiell entriegelbar angeordnet.
-
3.
Das Klagepatent schlägt in Anspruch 1 eine Stechhilfevorrichtung mit einer bestimmten Antriebseinrichtung vor. Diese weist zwei Federelemente auf, wovon das Stechfederelement der Beschleunigung des Lanzettenhalters beim Stechen dient (Merkmal 2.1), während das Rückholfederelement den Lanzettenhalter in die Gegenrichtung beschleunigt (Merkmal 2.2). Zur Aufnahme der beiden Federelemente gestalten ein Federspannschlittenteil und ein Stechschlittenteil je einen Aufnahmebereich für das Stechfederelement und für das Rückholfederelement aus (Merkmal 4.3). - Federspannschlittenteil und Stechschlittenteil sind relativ translatorisch zu einander bewegbar (Merkmal 4.2). Durch diese translatorische Bewegbarkeit kann der Aufnahmebereich für das Stechfederelement verkleinert werden kann, was dieses wiederum für den Stechvorgang vorspannt (Merkmalsgruppe 5). Hierzu soll das Federspannschlittenteil händisch mittels eines Spannbetätigungselements von außerhalb der Stechhilfevorrichtung in eine Spannposition gebracht werden können (Merkmal 6). Schließlich sieht Merkmal 7 vor, dass Stechschlittenteil und Federspannschlittenteil sequentiell entriegelbar angeordnet sein sollen.
- 4.
Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht nicht die Lehre des Klagepatents, da weder eine wortsinngemäße noch eine äquivalente Verwirklichung von Merkmal 7, - „7 Das Stechschlittenteil (13) und das Federspannschlittenteil (12) sind sequentiell entriegelbar angeordnet.“,
- festgestellt werden kann.
- a)
Merkmal 7 verlangt, dass beide Schlittenteile verriegelt werden können und so angeordnet sind, dass sie zeitlich nacheinander wieder entriegelt werden können. - Mit Entriegeln bezeichnet das Klagepatent einen Vorgang, durch den eine Bewegbarkeit des jeweiligen Schlittenteils (wieder) zugelassen wird. Eine Entriegelung ist nur möglich, wenn zuvor eine Verriegelung besteht, also eine bestimmte Bewegung nicht möglich oder jedenfalls deutlich erschwert war. Die Bewegbarkeit des jeweiligen Schlittenteils muss also nach dessen Entriegelung größer sein als vorher, insbesondere indem ein vorher bestehender Widerstand aufgelöst wird.
- aa)
Der Fachmann versteht die Entriegelbarkeit in Merkmal 7 vor dem Hintergrund der Spannposition gemäß Merkmal 6. Hiernach soll das Federspannschlittenteil in eine Spannposition hinein bewegbar sein. Die in Merkmal 6 angesprochene Bewegung des Federspannschlittenteils entspricht der translatorischen Verlagerung des Federspannschlittenteils nach Merkmal 5. Gleichermaßen korreliert die Spannposition in Merkmal 6 der durch die Verkleinerung des Aufnahmebereichs der Stechfeder (Merkmal 5) bewirkten Vorspannung des Stechfederelements für einen bevorstehenden Stechvorgang (Merkmal 5.1). - Eine Entriegelung des Stechschlittenteils bewirkt ein Auslösen des Stechfederelements (so beschrieben in Abs. [0062]) und damit die Beschleunigung der Lanzette in Stechrichtung (Merkmal 2.1). Hierdurch kommt es zum eigentlichen Stechvorgang.
- Aufgrund des Zusammenhangs mit der Vorspannung liegt eine Entriegelung des Stechschlittenteils vor, wenn hierdurch eine Bewegungseinschränkung des Stechfederelements aufgehoben wird, wobei die vorherige Bewegungseinschränkung (Verriegelung) dergestalt sein muss, dass eine Vorspannung des Stechfederelements aufgebaut werden kann.
- Von einer Entriegelung abzugrenzen ist die Bewegung des Federspannschlittenteils durch ein Spannbetätigungselement in die Spannposition nach Merkmal 6. Hierdurch wird erst die Vorspannung des Stechfederelements aufgebaut, die durch eine spätere Entriegelung zum Stechen abgerufen werden soll. Gleichwohl ist es möglich, das Spannbetätigungselement sowohl für die Vorspannung als auch als Auslöser für die Entriegelung zu benutzen, wie es das Klagepatent in Abs. [0068] beispielshaft beschreibt.
- bb)
Das vorstehend für das Stechschlittenteil Ausgeführte gilt entsprechend für die Entriegelung des Federspannschlittenteils. - Wie der Fachmann Merkmal 4.1 entnimmt, sind beide Schlittenteile zueinander translatorisch verlagerbar, wobei durch eine solche Verlagerung der beiden Schlittenteile der Aufnahmebereich für das Stechfederelement verkleinert werden kann (Merkmal 5). Wie der Fachmann Merkmal 4.2 entnimmt, gestalten beide Schlittenteile aber nicht nur einen Aufnahmebereich für das Stechfederelement aus, sondern auch für das Rückholfederelement. Die vom Rückholfederelement bewirkte Beschleunigung des Lanzettenhalters entgegen der Stechrichtung (Merkmal 2.2) wird ausgelöst, indem das Federspannschlittenelement entriegelt wird. Auch dies setzt eine vorherige Verriegelung voraus. Der Fachmann erkennt, dass andernfalls das Rückholfederelement permanent gegen die Stechrichtung wirkt und so der nötigen Beschleunigung des Lanzettenhalters in Stechrichtung entgegensteht.
- cc)
Patentgemäß nicht erforderlich ist es dagegen, dass das Federspannschlittenteil in der Spannposition mechanisch verrastet oder sonst „statisch“ ist. Die Verrigelung dient nur dem Aufbau einer Vorspannung, die sich erst durch die Entriegelung wieder
abbaut. - Eine Verrastung der Schlittenteile wird im Anspruch nicht genannt, sondern nur deren sequentielle Entriegelbarkeit. Aus dem Begriff Spannposition lässt sich nicht herleiten, dass es sich um eine nach allen Seiten blockierte bzw. verrastete Stellung handeln muss. Als Spannposition bezeichnet das Klagepatent einen bestimmten Ort im Rahmen der Beweglichkeit des Federspannschlittenteils, in dem die Stechfeder für einen Stechvorgang vorgespannt ist. Nicht erforderlich ist, dass eine Verrastung stattfindet. Vielmehr muss eine entriegelbare Bewegungsverhinderung nur insoweit wirken, dass eine genügende Vorspannung für den Stechvorgang aufgebaut werden kann.
- dd)
Im Klagepatent ist das Loslassen eines Elements durch einen Benutzer nicht als Entriegelung beschrieben, sondern stellt einen separaten Vorgang dar. - Im Rahmen des ersten Ausführungsbeispiels (Fig. 1 bis 6) wird nach Abs. [0062] zunächst das Stechschlittenelement 13 entriegelt. Es wird dann vom Stechfederelement in Stechrichtung 25 getrieben, so dass es zum Stich kommt. Anschließend wird nach Abs. [0063] das Federspannschlittenteil 12 entriegelt, indem das Rastelement aus seiner Rastposition herausgedrückt wird. Erst nach der so beschriebenen sequentiellen Entriegelung beider Schlittenteile wird gemäß Abs. [0063] das Auslösebetätigungselement vom Benutzer losgelassen.
- ee)
Aus dem zweiten Ausführungsbeispiel, das in den Abs. [0065] ff. unter Bezugnahme auf die Fig. 7 und 8 beschrieben ist, ergibt sich ebenfalls nicht, dass ein Loslassen durch den Benutzer eine Entriegelung darstellt. - Wie in Abs. [0065] ausgeführt wird, entspricht das zweite Ausführungsbeispiel grundsätzlich dem davor beschriebenen, ersten Ausführungsbeispiel nach Fig. 1 bis Fig. 6. Der wesentliche Unterschied zum ersten Ausführungsbeispiel besteht in der Art, wie das Stechfederelement vorgespannt und ausgelöst wird (Abs. [0066] f.), wobei das Spannbetätigungselement zugleich als Auslösebetätigungselement wirkt (Abs. [0068]). Hinsichtlich der Entriegelung des Federspannschlittenteils wird dagegen keine abweichende Gestaltung erwähnt.
- Die Entriegelung des Federspannschlittenteils wird nicht beschrieben. Insbesondere lässt sich dem zweiten Ausführungsbeispiel nicht entnehmen, dass eine Entriegelung des Federspannschlittenteils hier durch einfaches Loslassen des Spannbetätigungselements / Auslösebetätigungselements erfolgt.
- ff)
Weiterhin verlangt das Klagepatent in Merkmal 7 nicht nur eine allgemein entriegelbare Anordnung der beiden Schlittenteile, sondern, dass diese „sequentiell“ möglich ist. Mit „sequentiell“ beschreibt das Klagepatent eine nicht-gleichzeitige, sondern nacheinander erfolgende Entriegelung. Ein Schlittenteil soll also schon entriegelt werden können, während das andere noch verriegelt bleibt. Die Verriegelung und Entriegelung der Schlittenteile beeinflusst die Spannung der beiden Federelemente, deren Aufnahmebereiche über eine Verlagerung der Schlittenteile zueinander verkleinert werden können. - Es kann dahingestellt bleiben, ob das Klagepatent eine bestimmte Entriegelungsreihenfolge vorsieht.
- b)
Auf Grundlage der vorstehenden Auslegung ist Merkmal 7 nicht wortsinngemäß verwirklicht. Unabhängig von der Frage der Reihenfolge der Entriegelung ist bei der angegriffenen Ausführungsform keine Entriegelung des Federspannschlittenteils ersichtlich. - Die Klägerin stellt insoweit zum einen auf das Drücken auf den Bedienknopf (bei dem es sich auch um ein Federspannschlittenteil handelt) zum anderen auf das Loslassen des Bedienknopfs nach dem Stechvorgang ab. In beiden Konstellationen findet keine Entriegelung statt; es ist keine Stellung ersichtlich, in der der Bedienknopf verriegelt ist und dann entriegelt wird.
- aa)
Beim Drücken des Bedienknopfes und Bewegen aus der Ausgangsstellung wird dieser unmittelbar bewegt; es wird kein Widerstand im Rahmen der translatorischen Bewegung überwunden, keine Bewegbarkeit neu bzw. wieder ermöglicht oder jedenfalls erleichtert. Vielmehr findet eine konstante Bewegung gegen den Widerstand der Feder statt. - Auf eine weitere Bewegbarkeit des Bedienknopfs im Zeitpunkt der Auslösung des Lanzettenhalters (Stechschlittenteil) stellt die Klägerin zu Recht nicht ab – dieses wäre schon nicht sequentiell zu dem Entriegeln des Federspannschlittenteils, sondern findet gleichzeitig hiermit statt.
- bb)
Auch das Loslassen des Bedienknopfs der angegriffenen Ausführungsform nach Auslösen des Stechvorgangs bewirkt keine Entriegelung des Federspannschlittenteils im Sinne des Klagepatents. Hierbei wird kein Widerstand in irgendeiner Form überwunden und keine Bewegbarkeit neu ermöglicht. - Durch das fortgesetzte Drücken auf den Bedienknopf nach dem Stechvorgang wird zwar dessen Bewegung zurück in die Ausgangsposition blockiert. Dies stellt aber keine Verriegelung dar, die durch das Wegnehmen des Fingers im Sinne von Merkmal 7 entriegelt werden könnte. Die Entriegelbarkeit muss durch die Stechhilfevorrichtung selbst ermöglicht werden. Der Benutzer einer angegriffenen Ausführungsform ist aber nicht Teil der angegriffenen Stechhilfevorrichtung. Als Teil des menschlichen Körpers könnte der Finger des Benutzers im Übrigen auch gar nicht Gegenstand einer patentierbaren Erfindung sein (§ 1a Abs. 1 PatG).
- c)
Auch die von der Klägerin erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 03.03.2020 geltend gemachte äquivalente Verwirklichung von Merkmal 7 liegt nicht vor. - Damit eine vom Wortsinn des Patentanspruchs abweichende Ausführung in dessen Schutzbereich fällt, muss regelmäßig dreierlei erfüllt sein: Die Ausführung muss erstens das der Erfindung zugrunde liegende Problem mit zwar abgewandelten, aber objektiv gleichwirkenden Mitteln lösen. Zweitens müssen seine Fachkenntnisse den Fachmann befähigen, die abgewandelte Ausführung mit ihren abweichenden Mitteln als gleichwirkend aufzufinden. Die Überlegungen, die der Fachmann hierzu anstellen muss, müssen schließlich drittens am Sinngehalt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten Lehre orientiert sein (st. Rspr., vgl. BGH, GRUR 2007, 1059 – Zerfallzeitmessgerät; BGH, GRUR 2011, 313 – Crimpwerkzeug IV).
- In Bezug auf die angegriffene Ausführungsform fehlt es an der Gleichwirkung (hierzu unter aa) und an der Gleichwertigkeit (hierzu unter bb) der Austauschmittel.
- aa)
Zur Prüfung der Gleichwirkung ist es erforderlich, den Patentanspruch darauf zu untersuchen, welche der Wirkungen, die mit seinen Merkmalen erzielt werden können, zur Lösung der zu Grunde liegenden Aufgabe erfindungsgemäß zusammenkommen müssen. Die Gesamtheit dieser Wirkungen repräsentiert die patentgemäße Lösung (BGH, GRUR 2015, 361 – Kochgefäß). - Die sequentielle Entriegelbarkeit nach Merkmal 7 ermöglicht es patentgemäß, dass nicht beide Federelemente gleichzeitig ausgelöst werden müssen, so dass auch nur eines der beiden Schlittenteile sich bewegen kann. Die Entriegelung setzt eine Verriegelung voraus, welche ihrerseits das Halten einer Vorspannung der Federelemente bewirkt.
- Dies wird in der angegriffenen Ausführungsform nicht gleichwirkend umgesetzt. Das Spannschlittenteil kann nicht zeitlich vor oder nach dem Stechschlittenteil entriegelt werden. Die von der Klägerin geltend gemachte sequentielle Bewegbarkeit der Schlittenelemente in der angegriffenen Ausführungsform hat nicht die gleiche Wirkung wie die beanspruchte sequentielle Entriegelbarkeit.
- bb)
Eine Gleichwertigkeit im oben genannten Sinne liegt vor, wenn die Überlegungen, die der Fachmann anstellen muss, um ein abgewandeltes Mittel als objektiv gleichwirkend aufzufinden, am Sinngehalt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten technischen Lehre orientiert sind. Orientierung am Patentanspruch setzt voraus, dass der Patentanspruch in allen seinen Merkmalen nicht nur den Ausgangspunkt, sondern die maßgebliche Grundlage für die Überlegungen des Fachmanns bildet (BGH, GRUR 2002, 515, 517 – Schneidmesser I; BGH, Urteil vom 14.06.2016 – X ZR 29/15 – Pemetrexed). - Hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsformen fehlt es an einer solchen Gleichwertigkeit der Austauschmittel. Die angegriffene Ausführungsform verzichtet vollständig auf eine Entriegelbarkeit des Spannschlittenteils.
- Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 03.03.2020 zur Begründung der Gleichwertigkeit lediglich ausgeführt hat, es läge kein „Verzichtssachverhalt“ vor, kann dies eine äquivalente Patentverletzung nicht stützen. Zwar ist eine Patentverletzung mit äquivalenten Mittel zu verneinen, wenn die Auslegung ergibt, dass dem jeweiligen Patent eine bestimmte technische Lösungsmöglichkeit zwar bekannt war, aber auf deren Schutz verzichtet wurde (BGH, GRUR 2011, 701 Rn. 35 – Okklusionsvorrichtung; BGH, GRUR 2012, 45 Rn. 44 – Diglycidverbindung; BGH, Urteil vom 14.06.2016 – X ZR 29/15 – Pemetrexed). Jedoch reicht es für eine Orientierung am Patentanspruch (Gleichwertigkeit) nicht aus, dass ein solcher Verzicht nicht festgestellt werden kann, da „Verzichtssachverhalte“ nur eine Fallgruppe der fehlenden Gleichwertigkeit darstellen.
- cc)
Sofern man annimmt, ein Benutzer der angegriffenen Ausführungsform bewirke die Ver- und Entriegelung des Spannschlittenteils durch seine Finger, ist dies ebenfalls nicht gleichwirkend und gleichwertig mit der patentgemäßen Lösung. Diese ist auf eine Stechhilfevorrichtung gerichtet, die diese Funktionen selbst implementiert hat und nicht erst durch manuelle Hilfe erreichen kann. - II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. - Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1, 2 ZPO.