Düsseldorfer Entscheidungsnummer: 2934
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 20. August 2019, Az. 4a O 116/17
- I. Die Beklagte wird verurteilt,
- 1. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu € 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Fall wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an dem gesetzlichen Vertreter der Beklagten zu vollziehen ist,
- zu unterlassen,
- Fahrradanhänger mit einem Rahmengestell mit einer Körperaufnahme zum Transport von Babys, wobei die Körperaufnahme mit mindestens einem Befestigungselement im Rahmengestell befestigt ist,
- in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in den Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen und/oder zu den genannten Zwecken einzuführen und/oder zu besitzen,
- wenn eine flexible Matte und seitliche, in Längsrichtung der Matte wirkende Spannelemente, mit denen die flexible Matte in die für den Transport eines Babys benötigte Transportform verspannt ist, sowie seitlich an der Matte, insbesondere in Höhe des Gesäßbereichs, angeordnete Wandungen, die einem seitlichen Herausrutschen des Babys entgegenwirken, gegeben sind;
- 2. der Klägerin Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der in Ziffer I. 1. genannten Erzeugnisse zu erteilen, insbesondere unter Angabe der Namen und Anschriften der Lieferanten und/oder anderer Vorbesitzer, der gewerblichen Abnehmer und/oder Auftraggeber, wobei sich diese Angaben auf Handlungen seit dem 16.06.2010 zu beziehen haben;
- 3. der Klägerin über den Umfang der in Ziffer I. 1. genannten, seit dem 16.07.2010 begangenen Handlungen Rechnung zu legen, und zwar unter Vorlage eines geordneten Verzeichnisses, insbesondere unter Angabe
- a) der Herstellungsmengen und -zeiten, der Mengen der erhaltenen und bestellten Erzeugnisse sowie im Hinblick auf erhaltene Lieferungen die Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,
- c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
- d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
- e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
- wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nichtgewerblichen Abnehmer sowie der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter nichtgewerblicher Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist;
- 4. die im unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder im Eigentum der Beklagten befindlichen Erzeugnisse, wie sie in Ziffer I. 1. beschrieben sind, an einen von der Klägerin zu beauftragenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben, oder – nach ihrer Wahl – selbst zu vernichten;
- 5. die unter I. 1 bezeichneten, seit dem 16.06.2010 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich (Urteil des … vom …) festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen;
- 6. an die Klägerin einen Betrag in Höhe von € 5.273,80 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.09.2017 zu zahlen;
- II. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser aus den in Ziffer I. 1. bezeichneten, seit dem 16.07.2010 begangenen Handlungen bisher entstanden ist und noch entstehen wird.
- III. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
- IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von € 200.000,00.
- T a t b e s t a n d
- Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Verletzung des deutschen Teils des Europäischen Patents EP 2 075 XXX B1 (Anlage K1, nachfolgend: Klagepatent) auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Rückruf, Vernichtung, Feststellung der Schadensersatzpflicht sowie Zahlung vorgerichtlicher Rechts- und Patentanwaltskosten in Anspruch.
- Das Klagepatent wurde am 25.08.2003 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 10.09.2002 angemeldet. Die Anmeldung wurde am 01.07.2009 veröffentlicht, der Hinweis auf die Patenterteilung wurde am 16.06.2010 bekanntgemacht. Der deutsche Teil des Klagepatents steht in Kraft. Eingetragene Inhaberin des Klagepatents ist die Klägerin (Registerauszug vorgelegt als Anlage K2).
- Die Beklagte hat eine das Klagepatent betreffende Nichtigkeitsklage beim Bundespatentgericht erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Mit Schreiben vom 23.04.2019 (Anlage B5) hat das Bundespatentgericht nach § 83 Abs. 1 S. 1 PatG auf die Gesichtspunkte hingewiesen, die für die Entscheidung voraussichtlich von besonderer Bedeutung sind.
- Gegen das aus der Prioritätsschrift des Klagepatents hervorgegangene deutsche Patent DE 102 42 XXX der Klägerin (geänderte Patentschrift als Anlage K10; nachfolgend: DE-Patent) wurde ebenfalls ein Nichtigkeitsverfahren geführt. Das Bundespatentgericht erklärte das DE-Patent mit Urteil vom 22.04.2009 (5 Ni 4/09, Anlage K11) dadurch teilweise für nichtig, dass es eine eingeschränkte Fassung erhalten hat. Die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin des Nichtigkeitsverfahrens wies der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 07.10.2010 (X ZR 97/09, Anlage K12) zurück.
- Das Klagepatent betrifft einen Fahrradanhänger mit einem Rahmengestell mit einer Körperaufnahme zum Transport von Babys.
- Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch 1 lautet:
- „Fahrradanhänger mit einem Rahmengestell mit einer Körperaufnahme zum Transport von Babys, wobei die Körperaufnahme mit mindestens einem Befestigungselement im Rahmengestell befestigt ist und gekennzeichnet ist durch eine flexible Matte (21) und seitliche, in Längsrichtung der Matte (21) wirkende Spannelemente (22, 23, 31, 32), mit denen die flexible Matte (21) in die für den Transport eines Babys benötigte Transportform verspannt ist, und durch seitlich an der Matte (21), insbesondere in Höhe des Gesäßbereichs angeordnete Wandungen, die einem seitlichen Herausrutschen des Babys entgegenwirken.“
- Nachfolgend wird in verkleinerter Darstellung Fig. 1 des Klagepatents wiedergegeben, die einen Fahrradanhänger mit eingehängter Körperaufnahme in perspektivischer Darstellung zeigt:
- Anfang September 2017 stellte die Beklagte auf der Messe „A“ in Friedrichshafen einen unter anderem als Fahrradanhänger nutzbaren „Kindersportwagen“ des Modells „B“ mit einer darin eingehängten Körperaufnahme vor (angegriffene Ausführungsform). Ein weiteres Exemplar einer Körperaufnahme wurde auf der Messe von der Wand herabhängend präsentiert.
- Nachfolgend wird eine von der Klägerin auf der Messe gefertigte Abbildung der in den Kindersportwagen eingesetzten Körperaufnahme eingeblendet (Anlage K7):
- Darüber hinaus werden zwei ebenfalls auf der Messe von der Klägerin gefertigte Abbildungen eingeblendet, die der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung vom 25.04.2019 überreicht hat und die die von der Wand herabhängende Körperaufnahme sowie die Rückseite einer Körperaufnahme zeigen:
- Die Klägerin mahnte die Beklagte mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 07.09.2017 (Anlage K8) ab und forderte sie unter anderem zur Abgabe einer Unterlassungserklärung bis zum 13.09.2017 auf, was die Beklagte mit patentanwaltlichem Schreiben vom 13.09.2017 (Anlage K9) zurückwies.
- Mit weiterem Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 27.09.2017 (Anlage K14) übersandte die Klägerin der Beklagten den Entwurf der Klageschrift und erklärte, die Beklagte erhalte nochmals Gelegenheit, die geforderten Erklärungen abzugeben. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben ihrer Patentanwälte vom 04.10.2017 (Anlage K15) erneut ab.
- Die Klägerin trägt vor, die Beklagte mache von der Lehre des Klagepatentanspruchs 1 unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch. Die Körperaufnahme verfüge insbesondere über Spannelemente, mit denen die flexible Matte in die für den Transport eines Babys benötigte Transportform verspannt sei. Die Verspannung werde zum einen durch die längsverlaufenden Rahmenteile erreicht, die um das textile Material herum angebracht seien. Zum anderen lasse sich die Körperaufnahme durch im Bereich des Gesäßes angebrachte Gurte nach hinten verspannen. Dadurch werde erreicht, dass das in der Körperaufnahme vorhandene textile Material in eine Form gebracht werde, in der ein Baby transportiert werden könne.
- Eine Aussetzung des Rechtsstreits sei nicht geboten, da sich das Klagepatent im Nichtigkeitsverfahren als rechtsbeständig erweisen werde.
- Die Klägerin beantragt,
- wie erkannt.
- Die Beklagte beantragt,
- die Klage abzuweisen;
- hilfsweise,
- es ihr nach ihrer Wahl vorzubehalten, die Namen und Anschriften ihrer Abnehmer und Empfänger von Angeboten statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn zugleich ermächtigt, der Klägerin darüber Auskunft zu geben, ob eine bestimmt bezeichnete Lieferung oder ein bestimmt bezeichneter Abnehmer oder ein bestimmt bezeichneter Empfänger eines Angebotes in der Rechnung enthalten ist;
- weiter hilfsweise,
- den Rechtsstreit nach § 148 ZPO wegen Vorgreiflichkeit des Nichtigkeitsverfahrens auszusetzen.
- Die Beklagte trägt vor, die angegriffene Ausführungsform mache von der Lehre des Klagepatents keinen Gebrauch. Die Körperaufnahme verfüge insbesondere nicht über Spannelemente und die Matte werde nicht durch Verspannen in eine Transportform gebracht.
- Nach der Lehre des Klagepatents seien die Spannelemente sowohl räumlich-körperlich als auch funktional vom Rahmen zu unterscheiden. Die Spannelemente seien anspruchsgemäß am Rahmen befestigt und erfüllten aufgrund ihrer Elastizität eine andere Funktion als der Rahmen. Bei ihrer Körperaufnahme seien keine Gurte oder anderen elastischen Elemente vorhanden, die der Belastung entgegenwirkten und erst recht keine solchen elastischen Elemente, die in Längsrichtung der Matte wirkten. Es sei auch unzutreffend, dass der Stoff beim Auffalten durch längs verlaufende Rahmenteile verspannt werde. Der Stoff sei lediglich eingehängt bzw. über das Rohr geschoben.
- Jedenfalls sei der Rechtsstreit gemäß § 148 ZPO auszusetzen, da sich das Klagepatent im Nichtigkeitsverfahren als nicht rechtsbeständig erweisen werde. Insbesondere fehle es im Hinblick auf dieselben Entgegenhaltungen an einer erfinderischen Tätigkeit, die bereits zur Einschränkung des DE-Patents durch das Bundespatentgericht geführt hätten.
- In seinem Hinweis vom 23.04.2019 gehe das Bundespatentgericht zwar von einer Patentfähigkeit des Klagepatentanspruchs 1 aus. Lege man die entsprechenden Ausführungen des Bundespatentgerichts zugrunde, fehle es aber wiederum an einer Patentverletzung durch die angegriffene Ausführungsform.
- Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf die ausgetauschten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 25.04.2019 Bezug genommen.
- E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
- Die Klage ist zulässig und begründet.
- Die angegriffene Ausführungsform macht von Anspruch 1 des Klagepatents unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch (dazu unter I.). Die Klägerin hat aufgrund der patentverletzenden Handlungen der Beklagten die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Rückruf und Vernichtung, Schadensersatz dem Grunde nach sowie Erstattung vorgerichtlicher Rechts- und Patentanwaltskosten aus Art. 64 EPÜ i. V. m. §§ 139 Abs. 1 und 2, 140a Abs. 1, Abs. 3, 140b PatG, §§ 242, 259 BGB (dazu unter II.) Eine Aussetzung des Rechtsstreits ist nicht veranlasst (dazu unter III.).
- I.
Die angegriffene Ausführungsform macht von der Lehre des Anspruchs 1 des Klagepatents unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch. - 1.
Das Klagepatent (nachfolgend genannte Absätze ohne Quellenangabe sind solche des Klagepatents) betrifft einen Fahrradanhänger mit einem Rahmengestell mit einer Körperaufnahme zum Transport von Babys. - Der Patentbeschreibung zufolge ist der Transport von Kleinkindern und Babys in Fahrradanhängern nicht ohne weiteres möglich, da die Sitze der Fahrradanhänger hierfür nicht ausgelegt sind. Mangels geeigneter Lösungen für dieses Problem werden, so das Klagepatent, häufig für Autos konzipierte Babyschalen in Fahrradanhänger eingesetzt und darin mit Gurten befestigt. Zwar kann ein Kleinkind auf diese Weise grundsätzlich in einem Fahrradanhänger transportiert werden. Wesentlicher Nachteil hierbei ist aber, dass Babyschalen sehr klobig und in der Regel breiter als die für ein Kind vorgesehene Sitzfläche sind. Dies ist insbesondere bei zweisitzigen Fahrradanhängern ein Problem, da bei Einsetzen der Babyschale in den Anhänger neben der Schale kaum noch Platz für ein zweites Kind, geschweige denn für eine zweite Babyschale verbleibt (vgl. Absatz [0002]).
- Im Stand der Technik ist eine harte Babyschale aus Polystyrol bekannt, die auf die Breite eines Kindersitzes in einem Fahrradanhänger zugeschnitten ist. Diese Schale weist eine konkav ausgebildete Liegesitzfläche auf, deren Gesäßbereich gegenüber dem Rücken- und Schulterbereich abgeflacht ist. Knapp unterhalb des Gesäßbereichs der Schale sind in ihrer Mitte eine Durchgangsöffnung sowie in ihrem Schulterbereich zu beiden Seiten der zentralen Längsachse mehrere übereinander paarweise angeordnete Durchgangsöffnungen für die Gurte eines Rückhaltesystems zum Anschnallen des Babys vorgesehen. Darüber hinaus sind im oberen und im unteren Bereich der Schale Befestigungsöffnungen vorgesehen, durch die Schlaufen zur Befestigung der Babyschale auf einem Sitz des Fahrradanhängers hindurch gezogen werden können (vgl. Absatz [0003]).
- Diese Transportschale ist allerdings sperrig, wodurch ihre Befestigung in einem Fahrradanhänger erschwert wird und eine platzsparende Lagerung nicht möglich ist. Starre Babyschalen können sich außerdem nicht an die Lage und Bewegung eines Babys oder Kleinkindes anpassen und sind nicht atmungsaktiv (vgl. Absatz [0004]).
- Davon ausgehend stellt sich das Klagepatent die Aufgabe, eine Alternative zu der bekannten Babyschale zur Verfügung zu stellen, mit der ein Transport von Babys in einem Fahrradanhänger ermöglicht wird und bei der die zuvor beschriebenen Nachteile nicht bestehen (Absatz [0005]).
- 2.
Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent einen Fahrradanhänger mit einem Rahmengestell mit einer Körperaufnahme zum Transport von Babys gemäß Anspruch 1 vor, dessen Merkmale sich wie folgt gliedern lassen: - 1. Fahrradanhänger mit einem Rahmengestell
- 2. mit einer Körperaufnahme zum Transport von Babys, die mit mindestens einem Befestigungselement im Rahmengestell befestigt ist,
- 3. mit einer flexiblen Matte (21),
- 4. mit seitlichen, in Längsrichtung der Matte (21) wirkenden Spannelementen (22, 23, 31, 32), mit denen die flexible Matte (21) in die für den Transport eines Babys benötigte Transportform verspannt ist,
- 5. mit seitlich an der Matte (21), insbesondere in Höhe des Gesäßbereichs angeordneten Wandungen, die einem seitlichen Herausrutschen des Babys entgegenwirken.
- 3.
Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht die Merkmale 1, 3 und 4 des Klagepatentanspruchs 1. Ferner verwirklicht sie – was zwischen den Parteien zu Recht unstreitig ist und deshalb keiner weiteren Erörterung bedarf – die Merkmale 2 und 5. - a)
Merkmal 4 des Klagepatentanspruchs 1 ist verwirklicht. - aa)
Nach Merkmal 4 ist die flexible Matte mit seitlichen, in Längsrichtung der Matte wirkenden Spannelementen in die für den Transport eines Babys benötigte Transportform verspannt. - (1)
Das Klagepatent bezeichnet es als die Grundidee der Erfindung, dass die Körperaufnahme aus einem flexiblen Material gebildet wird, das bei Bedarf durch ein Verspannen des Materials von außen und/oder in sich selbst in die für den Transport des Körpers benötigte Form gebracht werden kann (Absatz [0007]). Was das Klagepatent unter einem solchen Verspannen von außen und/oder in sich selbst versteht, ist in Absatz [0007] definiert. Ein „Verspannen von außen“ ist danach so zu verstehen, dass außerhalb der Körperaufnahme am Rahmengestell gelagerte Spannelemente so angeordnet sind, dass sie die Matte auf Zug belasten. Als Beispiel derartiger Spannelemente nennt das Klagepatent längenverstellbare federelastische Gurte. Unter einem „Verspannen in sich selbst“ versteht das Klagepatent, dass sich die Spannelemente beim Verspannen im Material selbst abstützen. Eine solche Verspannung ist beispielsweise mit Federstangen möglich, die in Hohlnähte, die in oder an der Matte vorgesehen sind, eingeschoben oder unter Spannung in Verankerungspunkte der Matte eingesetzt werden, ähnlich wie bei einem selbsttragenden Kuppelzelt. - Funktion des Verspannens ist es, wie sich aus dem Wortlaut des Merkmals selbst ergibt, die flexible Matte in die für den Transport eines Babys benötigte Transportform zu bringen (vgl. auch Absatz [0008]). Die flexible Matte verfügt aus sich heraus noch nicht über die benötigte Form, sondern erhält diese erst durch das Verspannen. Das Verspannen geschieht mittels der seitlichen, in Längsrichtung der Matte wirkenden Spannelemente.
- (2)
Unter der Transportform versteht das Klagepatent eine Form, in der ein Baby transportiert werden kann. Dabei handelt es sich, wie der Fachmann weiß, nicht um eine aufrecht sitzende, nahezu rechtwinklige, sondern um eine liegende oder jedenfalls halb-liegende Position (vgl. Urteil des BGH zum DE-Patent, Anlage K12 im beigezogenen Verfahren, Seite 21). Im Übrigen gibt das Klagepatent eine bestimmte Ausgestaltung der Transportform nicht vor. Insbesondere lässt sich dem Klagepatent nicht entnehmen, dass der Gesäßbereich der Matte infolge des gemäß Merkmal 4 erfolgenden Verspannens in die Transportform vertieft sein muss. Vielmehr ergibt sich aus Absatz [0015], dass ein Winkel zwischen Gesäßbereich sowie Rücken- und Schulterbereich der Stützfläche auch erst beispielsweise durch das Zusammenwirken des Verspannens in Längsrichtung mit einem quer zur Längsachse verlaufenden Gurt im Gesäßbereich der Stützfläche oder durch ein Verspannen nach hinten erzielt werden kann. Der Patentanspruch, der lediglich das Verspannen in Längsrichtung fordert, schließt aber auch nicht aus, dass sich eine Vertiefung im Gesäßbereich erst durch das Gewicht des zu transportierenden Babys oder – über ein gewisses Nachgeben des Materials hinaus (dazu sogleich unter b)) – gar nicht ergibt. - In die Transportform verspannt ist die flexible Matte dann, wenn die Transportform durch das Verspannen erreicht wird. Dass das gesamte Material der flexiblen Matte gespannt bzw. auf Spannung gebracht sein muss, lässt sich dem Anspruch dagegen nicht entnehmen.
- Das Klagepatent schließt nicht aus, dass die endgültige Form der Matte nicht allein durch die in Längsrichtung der Matte wirkenden Spannelemente erreicht wird. „In die Transportform verspannt“ wird die Matte vielmehr auch dann, wenn neben den in Längsrichtung wirkenden Spannelementen weitere Spannelemente vorhanden sind, die die endgültige Form der Matte bedingen. Das Klagepatent schließt solche weiteren Spannelemente nicht aus. Es geht vielmehr selbst davon aus, dass die Matte in verschiedene Richtungen verspannbar ist. So kann durch den bereits unter (1) erwähnten, auf der Rückseite der Matte befestigten Gurt im Bereich des Gesäßes die Körperaufnahme so verspannt werden, dass sich ein Winkel zwischen Gesäßbereich sowie Rücken- und Schulterbereich ergibt. Gleichzeitig kann die Matte in ihrer Längsrichtung an ihrer Ober- und Unterseite verspannt sein (vgl. Absatz [0015]). Anspruchsgemäß erforderlich ist indes nur die Verspannung mit in Längsrichtung wirkenden Spannelementen. Eine Verspannung „nach hinten“ (vgl. auch Absatz [0015] am Ende) verwirklicht Merkmal 4 nicht.
- Unter dem Begriff der Längsrichtung versteht das Klagepatent die Richtung entlang der seitlichen Begrenzungen der Matte. Dieser Sichtweise entsprechend verwendet das Klagepatent den Begriff der Längsrichtung im Hinblick auf die als Spannelemente wirkenden Gurte, die innerhalb schlauchartiger Hülsen geführt werden, die Bestandteile der seitlichen Wandungen sind (vgl. Absätze [0010], [0011] i. V. m. [0025]). Ein Wirken in Längsrichtung setzt voraus, dass die zur Verspannung aufzubringenden Kräfte (vgl. Absatz [0016]) ihre Wirkung in einer den seitlichen Begrenzungen entsprechenden Richtung entfalten.
- (3)
Wenn in der Definition des Verspannens von außen (vgl. Absatz [0007]) darauf abgestellt wird, dass außerhalb der Körperaufnahme „am Rahmengestell“ gelagerte Spannelemente so angeordnet sind, dass sie die Matte auf Zug belasten, ist damit das Rahmengestell im Sinne des Merkmals 1 gemeint, also dasjenige des Fahrradanhängers. Demgegenüber verfügt die flexible Matte nach Merkmal 5 nach den Begrifflichkeiten des Klagepatents nicht notwendigerweise selbst über ein „Rahmengestell“, sondern über seitlich angeordnete Wandungen, die einem Herausrutschen des Babys entgegenwirken. Dass die Spannelemente räumlich-körperlich von diesen Wandungen zu unterscheidende Bauteile sein müssen, lässt sich dem Patentanspruch nicht entnehmen. - Schließlich gibt das Klagepatent nicht vor, dass es sich bei den Spannelementen um elastische Bauteile handeln muss. Insbesondere werden die federelastischen Gurte ausdrücklich nur beispielhaft als mögliche Spannelemente für ein „Verspannen von außen“ genannt. Die Definition des Klagepatents setzt die Elastizität der Spannelemente indes weder für das „Verspannen von außen“ noch für das „Verspannen in sich selbst“ zwingend voraus. Durch welche Ausgestaltung die Belastung der Matte auf Zug bzw. das Abstützen im Material selbst erzielt wird, überlässt das Klagepatent dem Fachmann.
- bb)
Diese Auslegung zugrunde gelegt, verwirklicht die angegriffene Ausführungsform Merkmal 4. - (1)
Spannelemente, mit denen die flexible Matte im Sinne des Merkmals 4 in die für den Transport eines Babys benötigte Transportform verspannt ist, stellen die Rahmenteile dar. Das Verspannen ist dabei in der Variante des „Verspannens in sich selbst“ verwirklicht. - Um das textile Material der Matte herum und damit seitlich sind Rahmenteile angeordnet, die einen Faltmechanismus aufweisen.
- Wenn die Matte aufgefaltet wird, werden die Rahmenteile und damit auch die Matte in die für den Transport benötigte Form gebracht. Die benötigte Transportform wird unabhängig davon hergestellt, ob die weiteren Gurte, die sich an der Rückseite der Körperaufnahme in Höhe des Gesäßbereichs befinden, lose herabhängen oder bestimmungsgemäß montiert sind. Insbesondere setzt die Transportform nach obiger Auslegung weder eine Spannung im gesamten Material der flexiblen Matte noch eine bestimmte Tiefe des Gesäßbereichs voraus.
- Die Rahmenteile stützen sich im Material selbst ab, ähnlich dem in der Definition des Klagepatents genannten Beispiel des selbsttragenden Kuppelzelts. Sie wirken in Längsrichtung der Matte.
- Schließlich ist es nach obiger Auslegung für die Merkmalsverwirklichung unerheblich, dass die Spannelemente räumlich-körperlich mit der äußeren Begrenzung der Körperaufnahme und damit auch mit den einen Schutz gegen seitliches Herausrutschen des Babys bietenden Wandungen zusammenfallen.
- (2)
Ob daneben auch die auf der Rückseite der Körperaufnahme befindlichen Gurte das Merkmal 4 verwirklichen, kann offen bleiben. Es bedarf dementsprechend keiner Entscheidung darüber, ob das durch diese Gurte bewirkte „Verspannen nach hinten“ im Sinne des Merkmals 4 in Längsrichtung der Matte wirkt. Für die unter (1) erörterte Verletzung ist es unerheblich, ob diese Gurte weitere Spannelemente im Sinne des Merkmals 4 sind oder ob sie die endgültige Form der Matte durch ein nicht anspruchsgemäßes weiteres Verspannen mitbedingen. - b)
Merkmal 3, wonach die Körperaufnahme über eine flexible Matte verfügt, ist ebenfalls verwirklicht. - aa)
Das Klagepatent versteht unter einer flexiblen Matte eine solche, die aus einem flexiblen Material gebildet wird (vgl. Absatz [0007]). Damit grenzt sich das Klagepatent insbesondere zu der aus dem Stand der Technik bekannten harten und starren Babyschale aus Polystyrol ab (vgl. Absätze [0003], [0004]). Als bevorzugtes Material nennt das Klagepatent ein Textilgewebe (Absatz [0019]). - Die Bildung aus einem flexiblen Material ermöglicht es, die Matte im Sinne des Merkmals 4 in die Transportform zu verspannen, vorzugsweise – somit allerdings nicht zwingend – erst nach ihrer Befestigung in einem Fahrradanhänger (vgl. Absätze [0007], [0008]). Die Flexibilität ermöglicht es zum einen, die Matte bei Nichtgebrauch zusammenzufalten und kompakt zu verstauen (vgl. Absatz [0008]). Zum anderen weist die Matte nach der Lehre des Klagepatents selbst in ihrer Transportform eine gewisse Flexibilität auf, so dass sie sich bis zu einem gewissen Grad an eine Körperform anpassen kann (Absatz [0008]).
- Anhand dieser Erläuterungen erkennt der Fachmann, dass eine flexible Matte im Sinne des Merkmals 3 aus einem Material gebildet ist, welches nicht starr ist, sondern zum einen das Verspannen in die Transportform im Sinne des Merkmals 4 und zum anderen auch in der Transportform ein gewisses Nachgeben ermöglicht. Darüber hinausgehende Vorgaben, etwa einen bestimmten Grad der Elastizität, lassen sich dem Klagepatent dagegen nicht entnehmen.
- bb)
Diese Auslegung zugrunde gelegt, verfügt die Körperaufnahme der angegriffenen Ausführungsform über eine flexible Matte im Sinne des Merkmals 4. Die Matte ist aus einem textilen Material gebildet und ermöglicht über den unter a) bb) (1) erörterten Gelenkmechanismus ein Auf- und Zusammenfalten und in der Transportform ein gewisses Nachgeben. - c)
Auch Merkmal 1, wonach es sich um einen „Fahrradanhänger“ mit einem Rahmengestell handelt, ist verwirklicht. Das Modell „B“ der Beklagten, in das die Körperaufnahme auf der Messe „A“ eingehängt war, ist, was zwischen den Parteien unstreitig ist, unter anderem als Fahrradanhänger geeignet. Auch auf der Website der Beklagten heißt es, dass alle Modelle als Kinderfahrradanhänger, Buggy oder Jogger-Walker nutzbar sind (vgl. Anlage K5). - II.
Mit der Ausstellung des Fahrradanhängers mit darin eingehängter Körperaufnahme auf der Messe „A“ hat die Beklagte die Kombination aus beidem im Sinne von § 9 S. 2 Nr. 1 PatG in der Bundesrepublik Deutschland angeboten. - Aufgrund der festgestellten Patentverletzung ergeben sich die nachfolgenden Rechtsfolgen.
- 1.
Gemäß Art. 64 EPÜ i. V. m. § 139 Abs. 1 PatG ist die Beklagte der Klägerin zur Unterlassung verpflichtet. - 2.
Die Beklagte war dem Feststellungsantrag der Klägerin entsprechend auf Schadensersatz zu verurteilen. - Als Fachunternehmen hätte die Beklagte die Patentverletzung durch die angegriffene Ausführungsform bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennen können, § 276 BGB.
- Die genaue Schadenshöhe steht derzeit noch nicht fest. Da es jedoch ausreichend wahrscheinlich ist, dass der Klägerin durch die rechtsverletzenden Handlungen der Beklagten ein Schaden entstanden ist, der von der Klägerin noch nicht beziffert werden kann, weil sie ohne eigenes Verschulden in Unkenntnis über den Umfang der Verletzungshandlungen ist, ist ein rechtliches Interesse der Klägerin an einer Feststellung der Schadenersatzverpflichtung dem Grunde nach anzuerkennen, § 256 ZPO.
- 3.
Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstands unmittelbar aus Art. 64 EPÜ i. V. m. § 140b Abs. 1 PatG, der Umfang der Auskunftspflicht aus Art. 64 EPÜ i. V. m. § 140b Abs. 3 PatG. - Damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, ihren festgestellten Schadensersatzanspruch zu beziffern, steht ihr gegen die Beklagte ein Anspruch auf Auskunft im zuerkannten Umfang aus Art. 64 EPÜ i. V. m. §§ 242, 259 BGB zu. Die Klägerin ist auf die Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt; die Beklagte wird durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet.
- 4.
Weiterhin hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückruf der schutzrechtsverletzenden Erzeugnisse aus den Vertriebswegen gemäß Art. 64 EPÜ
i. V. m. § 140a Abs. 3 PatG und auf Vernichtung der streitgegenständlichen Erzeug-nisse aus Art. 64 EPÜ i. V. m. § 140a Abs. 1 PatG. Für die Unverhältnismäßigkeit der Ansprüche bestehen keine Anhaltspunkte. - 5.
Schließlich hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der ihr durch die Abmahnung entstandenen Rechts- und Patentanwaltskosten in Höhe von € 5.273,80 aus Art. 64 EPÜ i. V. m. § 139 Abs. 2 PatG nebst Zinsen seit dem 14.09.2017. - Es sind die vorgerichtlich entstandenen Kosten sowohl der Rechtsanwälte als auch der Patentanwälte erstattungsfähig. Insbesondere ist die Einschaltung der mitwirkenden Patentanwälte nach den Umständen des Einzelfalls als notwendig anzusehen (vgl. dazu Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 11. Auflage 2019, Abschnitt C Rn. 46, 54). Der Höhe nach ist der Ansatz jeweils einer 1,3-fachen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 des Vergütungsverzeichnisses nach einem Gegenstandswert von € 200.000,00 (jeweils € 2.616,90) sowie der Auslagenpauschale in Höhe von jeweils € 20,00, somit insgesamt € 2.636,90 x 2 = € 5.273,80, nicht zu beanstanden.
- Der Zinsanspruch folgt aus § 288 Abs. 1 BGB.
- III.
Eine Aussetzung bis zu einer Entscheidung über die das Klagepatent betreffende Nichtigkeitsklage gemäß § 148 ZPO ist nicht veranlasst. - 1.
Nach § 148 ZPO kann das Gericht bei Vorgreiflichkeit eines anderen Verfahrens einen Rechtsstreit aussetzen. Die Erhebung einer Nichtigkeitsklage stellt allerdings ohne weiteres noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen. Die Patenterteilung ist auch für die (Verletzungs-) Gerichte bindend. Wegen der gesetzlichen Regelungen, die für die Ansprüche nach §§ 139 ff. PatG lediglich ein in Kraft stehendes Patent verlangen und für die Beseitigung dieser Rechtsposition nur die in die ausschließliche Zuständigkeit des Patentgerichts fallende Nichtigkeitsklage und den Einspruch vor dem jeweiligen Patentamt zur Verfügung stellen, kann der Angriff gegen das Klagepatent nicht als Einwand im Verletzungsverfahren geführt werden. Jedoch darf dies nicht dazu führen, dass diesem Angriff jede Auswirkung auf das Verletzungsverfahren versagt wird. Die Aussetzung des Verletzungsstreits im Rahmen der nach § 148 ZPO zu treffenden Ermessenentscheidung ist vielmehr grundsätzlich, aber auch nur dann geboten, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass das Klagepatent der erhobenen Nichtigkeitsklage oder dem erhobenen Einspruch nicht standhalten wird (BGH, GRUR 2014, 1237 – Kurznachrichten; OLG Düsseldorf, GRUR-RS 2015, 18679). - 2.
Bei der von der Kammer zu treffenden Ermessensentscheidung ist der qualifizierte Hinweis des Bundespatentgerichts vom 23.04.2019 (Anlage B5) zu berücksichtigen, wonach nach derzeitiger Auffassung des Senats von einer Rechtsbeständigkeit des Klagepatentanspruchs 1 auszugehen sein dürfte. - a)
Mit einem nach § 83 Abs. 1 PatG ergangenen qualifizierten Hinweis liegt eine fachkundige Stellungnahme derjenigen Instanz vor, die über den Rechtsbestand des Klagepatents zu entscheiden hat. Diese Stellungnahme ist bei der vom Verletzungsgericht zu treffenden Entscheidung über die Aussetzungsfrage zu berücksichtigen. Der qualifizierte Hinweis nimmt die vom Bundespatentgericht erst noch zu treffende Nichtigkeitsentscheidung selbstverständlich nicht vorweg; er hat nur vorläufigen Charakter. Gleichwohl handelt es sich aber um eine gewichtige fachkundige Stellungnahme desjenigen Spruchkörpers, der unmittelbar mit dem Rechtsbestand des Klagepatents befasst ist und in erster Instanz über die Nichtigkeitsklage zu entscheiden hat. Durch den qualifizierten Hinweis soll das Bundespatentgericht die tatsächlichen Grundlagen der zu treffenden gerichtlichen Entscheidung, also seine vorläufige Einschätzung der Sach- und Rechtslage, frühzeitig offenlegen, damit sich die Parteien darauf einstellen und ihren weiteren Vortrag daran ausrichten können. Die Basis für den qualifizierten Hinweis bildet dabei der möglichst umfassend vorbereitete Prozessstoff. Die Hinweispflicht des § 83 Abs. 1 S. 1 PatG geht über § 139 ZPO und die darin enthaltene allgemeine Prozess¬förde¬rungs¬pflicht des Gerichts deutlich hinaus. Auch bindet der qualifizierte Hinweis das Bundespatentgericht immerhin in dem Sinne, dass es einen weiteren Hinweis erteilen muss, wenn es von der in dem qualifizierten Hinweis geäußerten Rechtsauffassung abweichen möchte. Vor diesem Hintergrund wird das Bundespatentgericht vor der Erteilung eines qualifizierten Hinweises nach § 83 Abs. 1 Satz 1 PatG regelmäßig bereits eine umfassende und sorgfältige Prüfung vornehmen und einen entsprechenden Hinweis nicht leichtfertig erteilen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24.08.2017 – I-2 U 75/16). - Die Gewichtigkeit eines qualifizierten Hinweises für die Aussetzungsentscheidung hängt davon ab, ob sich das Bundespatentgericht ausweislich seiner Ausführungen in dem Bescheid bereits eine (vorläufige) Rechtsauffassung gebildet hat oder ob nur Präferenzen für einen Argumentationsstandpunkt zum Ausdruck gebracht werden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24.08.2017 – I-2 U 75/16; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 11. Auflage 2019, Abschnitt E Rn. 728).
- b)
Daran gemessen kommt dem Hinweis vorliegend ein erhebliches, gegen eine Aussetzung sprechendes Gewicht zu. - Bei der Gewichtung der Bedeutung des Hinweises ist zwar zu berücksichtigen, dass die gewählten Formulierungen („Nach derzeitiger Auffassung des Senats dürfte […]“) Einschränkungen im Hinblick auf die Deutlichkeit erkennen lassen, mit denen die vorläufige Rechtsauffassung mitgeteilt wird. Jedoch begründet das Bundespatent¬gericht seine Auffassung anhand der einzelnen Merkmale ausführlich und geht auf die auch im hiesigen Verletzungsverfahren schwerpunktmäßig eingeführten Entgegenhaltungen ein.
- 3.
Die Kammer hält die vom Bundespatentgericht geäußerte Rechtsauffassung zudem für nachvollziehbar erläutert und gut vertretbar. Es ist nicht mit der für eine Aussetzung hinreichenden Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass das Bundespatentgericht abweichend von dem im Vorbescheid geäußerten Standpunkt eine Nichtigkeit des Anspruchs 1 annehmen wird. - a)
Dies gilt zunächst im Hinblick auf eine fehlende erfinderische Tätigkeit ausgehend von der WO 01/89907 A1 (Anlage B2; in deutscher Übersetzung als Anlage B4; nachfolgend: D4) in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen. - aa)
Die D4 offenbart einen Fahrradanhänger für Kinder. Zur Veranschaulichung wird Fig. 19 der D4 eingeblendet: - bb)
Die D4 offenbart unstreitig nicht das Merkmal 4 des Klagepatentanspruchs 1. Darüber hinaus sind auch die Merkmale 2 und 5 nicht offenbart. - (1)
Die D4 offenbart keine seitlichen, in Längsrichtung der Matte wirkenden Spannelemente im Sinne des Merkmals 4. - Nach der Lehre der D4 ist ein System von verstellbaren Gurten 222, 230, 238 vorgesehen (vgl. Urteil des BGH zum DE-Patent, Anlage K12, Seite 21). In Längsrichtung der Matte wirkt nur der Gurt 222. Dieser (einzelne) Gurt ist jedoch mittig angeordnet und bildet daher keine seitlichen Spannelemente im Sinne des Merkmals 4.
- (2)
Darüber hinaus ist Merkmal 2 nicht offenbart, wonach es sich um eine Körperaufnahme „zum Transport von Babys“ handelt. - Es handelt sich dabei um eine Zweckangabe (vgl. Urteil des BGH zum DE-Patent, Anlage K12, Seite 8). Einer solchen Zweckangabe kommt regelmäßig die Aufgabe zu, den durch das Patent geschützten Gegenstand dahin zu definieren, dass er nicht nur die räumlich-körperlichen Merkmale erfüllen, sondern auch so ausgebildet sein muss, dass er für den im Patentanspruch angegebenen Zweck verwendbar ist (vgl. Urteil des BGH zum DE-Patent, Anlage K12, Seite 8, m. w. N.).
- Die Körperaufnahme muss dementsprechend so ausgestaltet sein, dass mit ihr Babys transportiert werden können. Dass der Transport von Babys in einer Liegesitzposition erfolgt, ist im Klagepatentanspruch 1 – anders als in der aufrechterhaltenen Fassung des DE-Patents – zwar nicht beansprucht. Allerdings ist dem Fachmann bekannt, dass eine nahezu senkrechte Sitzposition, wie sie in der D4 offenbart ist, für den Transport von Babys nicht geeignet ist (vgl. Urteil des BGH zum DE-Patent, Anlage K12, Seite 21).
- (3)
Schließlich ist Merkmal 5 nicht offenbart, weil die D4 keine seitlich an der Matte angeordneten Wandungen offenbart, die einem seitlichen Herausrutschen des Babys entgegenwirken. Die eine Wandung ausbildenden Unterstützungsbänder der D4 sind aufgrund der Breite der für zwei Kinder ausgelegten Sitzbank so weit voneinander entfernt, dass ein Baby nur auf einer Seite gegen ein Herausrutschen gesichert wäre (vgl. Urteil des BGH zum DE-Patent, Anlage K12, Seite 22 f.). Dies schließt jedenfalls eine unmittelbare und eindeutige Offenbarung des Merkmals 5 aus. - cc)
Der Fachmann hatte entweder keinen Anlass, ausgehend von der D4 zur Lehre des Klagepatents zu gelangen oder es wäre ihm jedenfalls nicht ohne erfinderische Tätigkeit aufgrund seines allgemeinen Fachwissens gelungen. - (1)
Im Hinblick auf Merkmal 4 ist bereits kein Anlass für den Fachmann erkennbar, den Befestigungsgurt 222 als unzureichend zu erachten und nach einer anderen Möglichkeit der Anordnung zu suchen. Dies gilt insbesondere deshalb, weil der Gurt 222 Teil des Systems von verstellbaren Gurten 222, 230, 238 ist und deshalb vom Fachmann nicht isoliert betrachtet werden wird. - (2)
Es ist auch kein Anlass für den Fachmann erkennbar, den in der D4 offenbarten Sitz so auszugestalten, dass er nicht nur für den Transport von Kindern, sondern auch im Sinne von Merkmal 2 für den Transport von Babys geeignet ist. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sich der Fachmann auf der Suche nach einer Transportmöglichkeit für Babys mit der D4 nicht näher befassen wird (vgl. Urteil des BGH zum DE-Patent, Seite 25, zur D12). - Zudem kann der Fachmann die notwendige Umgestaltung jedenfalls nicht ohne erfinderische Tätigkeit vornehmen. Die Sitzbank 216 der D4 lässt sich zusammen mit den seitlichen Unterstützungsbändern 212, 214 nicht ohne erhebliche konstruktive Änderungen des Rahmengestells so nach vorne verschieben, dass unterschiedliche Winkel zwischen Sitzbank und Rückenlehne bis hin zu einer liegenden oder jedenfalls halb-liegenden Position erreichbar wären (vgl. Urteil des BGH zum DE-Patent, Anlage K12, Seite 22).
- (3)
Entsprechendes gilt für Merkmal 5. Um im Sinne von Merkmal 5 des Klagepatentanspruchs 1 (beidseits) seitlich an der Matte angeordnete Wandungen vorzusehen, die einem seitlichen Herausrutschen des Babys entgegenwirken, wäre eine Umgestaltung der Rahmenstruktur und damit eine erfinderische Tätigkeit erforderlich (vgl. Urteil des BGH zum DE-Patent, Anlage K12, Seite 23). - b)
Eine fehlende erfinderische Tätigkeit im Hinblick auf eine Kombination der GB 2 165 443 A (in englischsprachiger Originalfassung nebst deutscher Übersetzung als Anlagenkonvolut K13, nachfolgend: D12) mit dem allgemeinen Fachwissen lässt sich nicht mit der für eine Aussetzung notwendigen Wahrscheinlichkeit feststellen. - aa)
Die D12 betrifft einen Kindersicherheitssitz, der abnehmbar an einem Fahrzeugsitz, insbesondere eines Autos befestigt werden kann. Zur Veranschaulichung wird nachfolgend Fig. 1 der D12 eingeblendet: - bb)
Die D12 offenbart keinen Fahrradanhänger mit einem Rahmengestell, in dem die Körperaufnahme befestigt ist. Die aufrechte Sitzposition in einer Vorrichtung nach der Lehre der D12 ist für den Transport von Babys zudem ungeeignet (vgl. dazu Urteil des BGH zum DE-Patent, Anlage K12, Seite 25, 2. Absatz sowie die Ausführungen unter a) bb) (2)). Jedenfalls die Merkmale 1 und 2 sind damit nicht offenbart. - cc)
Dass der Fachmann einen Anlass hatte, ausgehend von der D12 zu der Lehre des Klagepatents zu gelangen und dass dies ohne erfinderische Tätigkeit hätte erfolgen können, ist nicht erkennbar. Im Hinblick auf die fehlende Offenbarung einer zum Transport von Babys geeigneten Position wird auf die Ausführungen unter a) cc) (2) Bezug genommen. Auch insoweit wären erhebliche konstruktive Umgestaltungen notwendig (vgl. auch Urteil BGH zum DE-Patent, Seiten 25 f.). Es ist zudem kein Anlass für den Fachmann erkennbar, den in der D12 offenbarten Kindersicherheitssitz mit einem Fahrradanhänger mit Rahmengestell zu kombinieren. - c)
Schließlich ist nicht erkennbar, dass der Klagepatentanspruch 1 durch die Internetseite „C“ und darin dargestellte oder erwähnte Babyschalen oder Hängematten-Systeme neuheits¬schädlich vorweggenommen wird. - Die Beklagte trägt nicht aus sich selbst verständlich vor, warum der Gegenstand von Anspruch 1 von dieser, auch erst in der Duplik erwähnten, Entgegenhaltung vorweggenommen wird. Es ist jedoch nicht Aufgabe des Gerichts, sich den maßgeblichen Sachvortrag aus den zu Gericht gereichten Schriftsätzen und Anlagen zusammenzusuchen (BVerfG, GRUR 2001, 48).
- IV.
Der Beklagten war keine Schriftsatzfrist auf die in der mündlichen Verhandlung vom 25.04.2019 von der Klägerin vorgelegten Fotografien, insbesondere zu der rückseitigen Ansicht der Körperaufnahme, zu gewähren. - Die Voraussetzungen des § 283 ZPO liegen nicht vor, weil sich die Beklagte zu der auf den Fotografien gezeigten Körperaufnahme erklären konnte oder eine fehlende Erklärungsmöglichkeit jedenfalls nicht auf der Verspätung des Gegners beruht (vgl. Prütting, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Auflage 2016, § 283 Rn. 11). Die von der Klägerin vorgelegten Fotografien betreffen die von der Beklagten selbst auf der Messe „A“ ausgestellte Körperaufnahme, von der diese seit der Klageschrift wusste, dass sie Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist.
- Zudem sind die von der Klägerin vorgelegten Fotografien nicht entscheidungserheblich (vgl. dazu Saenger, in: Zivilprozessordnung, Kommentar, 8. Auflage 2019, § 283 Rn. 3). In der für die Verletzung relevanten Ausgestaltung der Rahmenteile (vgl. dazu insbesondere I. 3. a) bb)) unterscheidet sich die gezeigte Körperaufnahme nicht von demjenigen Exemplar einer Körperaufnahme, welches von der Beklagten selbst zur mündlichen Verhandlung mitgebracht und zur Akte gereicht worden ist. Auf die Anordnung der auf der Rückseite befindlichen Gurte kommt es demgegenüber für die Frage der Verletzung nicht an.
- V.
Die nicht nachgelassenen Schriftsätze der Klägerin vom 04.06.2019 und der Beklagten vom 07.06.2019 haben keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gegeben, § 156 ZPO. - VI.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO. - Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
- VII.
Der Streitwert wird auf € 200.000,00 festgesetzt.