Düsseldorfer Entscheidungsnummer: 2916
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 16. Juli 2019, Az. 4a O 141/17
- I. Die Beklagte wird verurteilt,
- 1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu insgesamt zwei Jahren, die Ordnungshaft zu vollziehen an ihrem Vorstand,
- zu unterlassen,
- Schließvorrichtungen für Kraftfahrzeuge aufweisend zumindest ein Gesperre mit einer Drehfalle, einer verschwenkbaren ersten Sperrklinke sowie einer zweiten Sperrklinke, mit der das Verschwenken der ersten Sperrklinke zur sicheren Arretierung der Drehfalle blockiert wird,
- in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu diesen Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
- wenn die Schließvorrichtung weiter einen motorisch angetriebenen Stellantrieb hat, der zumindest einen Auslösehebel so bewegt, dass der Auslösehebel während seiner Bewegung mit beiden Sperrklinken nacheinander zusammenwirkt, wobei der Auslösehebel aus Kunststoff ist;
- 2. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, chronologisch geordneten Verzeichnisses Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagte die zu I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 10.07.2013 begangen hat, und zwar unter Angabe
- a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
- b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
- c) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse gezahlt wurden,
- wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
- 3. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, chronologisch geordneten Verzeichnisses Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagte die zu I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 09.04.2011 begangen hat, und zwar unter Angabea) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,
- b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
- c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
- d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
- wobei es der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der Angebotsempfänger und der nicht gewerblichen Abnehmer statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder ein bestimmter Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist,
- und wobei die Angaben zu d) bezüglich der zu I. 1. bezeichneten Handlungen nur für die Zeit seit dem 10.08.2013 zu machen sind;
- 4. die unter Ziffer I. 1. bezeichneten, seit dem 10.08.2013 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis darauf, dass mit dem hiesigen Urteil der patentverletzende Zustand der genannten Erzeugnisse festgestellt wurde, und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen.
- II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist,
- 1. der Klägerin für die unter Ziffer I. 1. bezeichneten, in der Zeit vom 09.04.2011 bis 09.08.2013 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen;
- 2. der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter Ziffer I. 1. bezeichneten, seit dem 10.08.2013 begangenen Handlungen bereits entstanden ist und noch entstehen wird.
- III. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
- IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von € 1.500.000,00.
- Daneben sind die Ansprüche auf Unterlassung und Rückruf (Ziffern I. 1., I. 4. des Tenors) gemeinsam gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von € 1.125.000,00. Die Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung (Ziffern I. 2., I. 3. des Tenors) sind gemeinsam gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von € 225.000,00. Im Kostenpunkt (Ziffer III. des Tenors) ist das Urteil gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
- Tatbestand
- Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Verletzung des deutschen Teils des Europäischen Patents EP 2 291 XXX B1 (Anlage KR1, nachfolgend: Klagepatent) auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Rückruf sowie Feststellung der Schadensersatz- und Entschädigungspflicht in Anspruch.
- Das Klagepatent beruht auf der XXX-Anmeldung XXX/DE200X/XXX und nimmt deren Anmeldetag vom 26.05.2009 sowie eine Priorität vom 13.06.2008 in Anspruch. Die Anmeldung wurde am 09.03.2011 veröffentlicht, der Hinweis auf die Patenterteilung wurde am 10.07.2013 bekanntgemacht. Der deutsche Teil des Klagepatents steht in Kraft. Eingetragene Inhaberin des Klagepatents ist die Klägerin.
- Die B sowie die C haben das Klagepatent betreffende Nichtigkeitsklagen beim Bundespatentgericht erhoben, die vom Bundespatentgericht verbunden worden sind und über die noch nicht entschieden ist. Die Klägerin verteidigt im Nichtigkeitsverfahren den Klagepatentanspruch 1 in eingeschränktem Umfang.
- Das Klagepatent betrifft eine Schließvorrichtung. Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch 1 in der im Nichtigkeitsverfahren verteidigten eingeschränkten Fassung lautet:
- „Schließvorrichtung (1) aufweisend zumindest ein Gesperre (2) mit einer Drehfalle (3), einer verschwenkbaren ersten Sperrklinke (4) sowie einer zweiten Sperrklinke (5), mit der das Verschwenken der ersten Sperrklinke (4) zur sicheren Arretierung der Drehfalle (3) blockiert wird, dadurch gekennzeichnet, dass die Schließvorrichtung (1) weiter einen motorisch angetriebenen Stellantrieb (6) hat, der zumindest einen Auslösehebel (7) so bewegt, dass der Auslösehebel (7) während seiner Bewegung mit beiden Sperrklinken (4, 5) nacheinander zusammenwirkt, wobei der Auslösehebel aus Kunststoff ist.“
- Wegen des Wortlauts der nur „insbesondere“ geltend gemachten Unteransprüche 2 und 4 wird auf die Klagepatentschrift Bezug genommen.
- Nachfolgend werden in verkleinerter Darstellung Fig. 1, 3, 4 und 5 des Klagepatents wiedergegeben. Fig. 1 zeigt eine Ausführungsvariante einer Schließvorrichtung in geschlossener Position. Fig. 3 entspricht Fig. 1, wobei insbesondere Teile des Stellantriebs weggelassen wurden, um den Blick auf die zweite Sperrklinke 5 freizugeben. Fig. 4 zeigt die Schließvorrichtung aus Fig. 3 während des Öffnungsvorgangs. Fig. 5 zeigt die Schließvorrichtung aus Fig. 4 in geöffneter Position bei geringer Rückstellkraft der Drehfalle.
- Die Beklagte ist als Zulieferin für Kraftfahrzeughersteller tätig und stellt unter anderem Schließsysteme her. Das Schließsystem mit der Bezeichnung „D“ (angegriffene Ausführungsform) wurde erstmals im Jahr 2014 in der Bundesrepublik Deutschland vorgestellt und fand seinen ersten Einsatz in dem in X produzierten Kraftfahrzeugmodell „E“. Die Schlösser werden in Deutschland auch als Ersatzteile ausgeliefert.
- Nachfolgend wird ein teilweise zerlegtes Exemplar der angegriffenen Ausführungsform eingeblendet. Die Abbildung ist dem Anlagenkonvolut K8 der Klägerin entnommen (dort Seite 1) und wurde von der Klägerin mit Bezugsziffern versehen:
- Den von der Klägerin vorgerichtlich erhobenen Vorwurf der Patentverletzung wies die Beklagte mit Schreiben vom 02.03.2017 (in englischer Sprache vorgelegt als Anlage KR10) und vom 23.06.2017 (in englischer Sprache vorgelegt als Anlage KR11) zurück.
- Die Klägerin trägt vor, die Beklagte mache von der Lehre des Klagepatentanspruchs 1 in seiner eingeschränkten Fassung unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch.
- Insbesondere schließe die Einschaltung einer Hilfssperrklinke wie bei der angegriffenen Ausführungsform die Anspruchsverwirklichung nicht aus. Die Auslegung der Beklagten, wonach die zweite Sperrklinke die erste Sperrklinke unmittelbar und direkt ohne zwischengeschaltete Bauteile blockieren können müsse, finde weder im Anspruchswortlaut noch im Beschreibungstext einen Anhaltspunkt.
- Ein Zusammenwirken des Auslösehebels mit beiden Sperrklinken erfolge nach der Lehre des Klagepatents in dem Fall und ab dem Punkt, zu dem ein Kontakt als Folge des Ausmaßes der Auslenkung möglich und damit nötig sei. Dass jedes Mal eine erhebliche Verschwenkung der ersten Sperrklinke stattfinde, setze das Klagepatent dagegen nicht voraus. Ein so verstandenes Zusammenwirken sei bei der angegriffenen Ausführungsform gegeben.
- Eine Aussetzung des Rechtsstreits sei nicht geboten, da sich das Klagepatent im Nichtigkeitsverfahren als rechtsbeständig erweisen werde.
- Ursprünglich hat die Klägerin im vorliegenden Verfahren die Verletzung einer Anspruchskombination der Ansprüche 1 und 7 des Klagepatents geltend gemacht. In der mündlichen Verhandlung vom 18.06.2019 hat sie ihren Antrag zu I. 1. (Unterlassungsantrag) und damit die auf diesen bezogenen Anträge dahingehend modifiziert, dass diese der Fassung der im Nichtigkeitsverfahren verteidigten eingeschränkten Fassung des Klagepatentanspruchs 1 entsprechen.
- Die Klägerin beantragt nunmehr,
- wie erkannt.
- Die Beklagte beantragt,
- die Klage abzuweisen;
- hilfsweise,
- den Rechtsstreit bis zur erstinstanzlichen Entscheidung in dem Nichtigkeitsverfahren gegen das Klagepatent auszusetzen.
- Die Beklagte trägt vor, die angegriffene Ausführungsform mache von der Lehre des Klagepatents keinen Gebrauch.
- Das Klagepatent setze voraus, dass die zweite Sperrklinke unmittelbar und direkt die erste Sperrklinke blockiere. Zudem dürfe ein motorisches oder händisches Öffnen der ersten Sperrklinke, ohne die zweite Sperrklinke zu verschwenken, nicht möglich sein. Weiter erfordere das Klagepatent, dass bei jedem Öffnungsvorgang der Schließvorrichtung der Auslösehebel zuerst die eine Sperrklinke und zeitlich danach die andere Sperrklinke verschwenke, nachdem die zunächst angefahrene Sperrklinke die weitere Sperrklinke bereits freigegeben habe.
- Dagegen blockiere bei der angegriffenen Ausführungsform die zweite Sperrklinke nur die Hilfsdrehfalle, nicht aber die erste Sperrklinke. Die erste Sperrklinke werde durch die Drehfalle blockiert und nur mittelbar durch die Hilfsdrehfalle und nur weiter mittelbar durch die zweite Sperrklinke. Zudem lasse sich die erste Sperrklinke bestimmungsgemäß manuell durch einen Hebel öffnen, ohne die zweite Sperrklinke dafür zu bewegen.
- Bei der angegriffenen Ausführungsform sei ein Verschwenken der ersten Sperrklinke durch den Auslösehebel nicht nötig und geschehe bei bestimmungsgemäßen Gebrauch auch nicht. Selbst wenn man aber entgegen ihrer, der Beklagten, Ansicht von einem Zusammenwirken zwischen Auslösehebel und erster Sperrklinke bei der angegriffenen Ausführungsform ausgehen sollte, geschehe dies allenfalls vermittelt über eine Mehrzahl weiterer Bauteile.
- Jedenfalls sei der Rechtsstreit gemäß § 148 ZPO auszusetzen, da sich das Klagepatent im Nichtigkeitsverfahren als nicht rechtsbeständig erweisen werde.Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf die ausgetauschten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 18.06.2019 Bezug genommen.
- Entscheidungsgründe
- Die zulässige Klage ist begründet.
- Die angegriffene Ausführungsform macht von Anspruch 1 des Klagepatents in der geltend gemachten eingeschränkten Fassung unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch (dazu unter I.). Die Klägerin hat aufgrund der patentverletzenden Handlungen der Beklagten die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Rückruf sowie Schadensersatz und Entschädigung dem Grunde nach aus Art. 64 EPÜ i. V. m. §§ 139 Abs. 1 und 2, 140a Abs. 3, 140b PatG, §§ 242, 259 BGB, Art. II § 1 IntPatÜG (dazu unter II.) Im Rahmen des der Kammer nach § 148 ZPO zustehenden Ermessens wird das Verfahren nicht im Hinblick auf die anhängige Nichtigkeitsklage ausgesetzt (dazu unter III.).
- I.
Die angegriffene Ausführungsform macht von der Lehre des Klagepatentanspruchs 1 in seiner eingeschränkten Fassung unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch. - Nach der entsprechenden Beschränkung der Klägerin ist die geltend gemachte eingeschränkte Fassung, die der im Nichtigkeitsverfahren verteidigten Fassung entspricht, der Verletzungsprüfung zugrunde zu legen (vgl. BGH, GRUR 2010, 904, 908 – Maschinensatz; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 11. Auflage 2019, Abschnitt E Rn. 750; Scharen, in: Benkard, Patentgesetz, 11. Auflage 2015, § 14 Rn. 78).
- 1.
Das Klagepatent (nachfolgend genannte Absätze ohne Quellenangabe sind solche des Klagepatents) betrifft eine Schließvorrichtung. - Nach den einleitenden Bemerkungen des Klagepatents ist die Erfindung insbesondere gerichtet auf ein Schließsystem mit einem vorzugsweise elektrisch öffenbaren Gesperre aus Drehfalle und mindestens zwei Sperrklinken, vorzugsweise zum Verriegeln und Entriegeln von Sitz-Rückenlehnen in Kraftfahrzeugen, ganz besonders bei umklappbaren Rücklehnen von Fondssitzen (Absatz [0001]).
- In Schlössern für Kraftfahrzeug-Türen mit einem Gesperre aus Drehfalle und einer Sperrklinke werden, so das Klagepatent, häufig auch solche Gesperre eingesetzt, bei denen die Sperrklinke über einen (oft auch zweite Sperrklinke genannten) Blockierhebel abgestützt bzw. blockiert wird. Der Blockierhebel hat dabei in der Regel den Zweck, die Schloss-Sicherheit vor unbeabsichtigtem Öffnen (Einbruch) zu erhöhen. Ein solches Kraftfahrzeugschloss ist zum Beispiel aus der DE 102 36 XXX A1 oder der DE 10 2007 XXX 228 A1 bekannt. Bei anderen Gesperren mit zwei Sperrklinken steht ein geräuscharmes Öffnen, die Vermeidung eines sogenannten Öffnungsknalls, im Vordergrund (Absatz [0002]).
- Darüber hinaus ist es aus dem Bereich der Kraftfahrzeugschlösser bekannt, die Sperrklinke mit motorischer, in der Regel elektromotorischer Kraft, zum Öffnen des Gesperres auszuheben. Ein solches Schloss wird auch Servoschloss genannt. Es bedarf für den Kraftfahrzeugbenutzer demnach nur einer geringen Öffnungskraft am Innen- oder Außenbetätigungshebel, um dann motorunterstützt die Öffnung des Gesperres einzuleiten (Absatz [0003]).
- Darüber hinaus ist es auch als bekannt anzusehen, dass generell Schließsysteme mit Gesperre auch an anderen Stellen von Kraftfahrzeugklappen zur Anwendung vorgeschlagen wurden, so beispielsweise für Heckklappen, Tankklappen und dergleichen (Absatz [0004]).
- Auch wenn die Entwicklung von Schließsystemen mit Bezug auf die Kraftfahrzeugtür bereits sehr weit fortgeschritten ist, insbesondere auch, weil in der Kraftfahrzeugtür eine Reihe elektrischer Verbraucher und Funktionen integriert sind, wurde bislang die Gestalt von Schließvorrichtungen für andere Kraftfahrzeugklappen möglichst einfach gehalten, so dass insbesondere auch aufgrund der zumeist schwierigen Zugänglichkeit eine lange Lebensdauer bei häufiger Betätigung erreicht wird (Absatz [0005]).
- Davon ausgehend bezeichnet es das Klagepatent als seine Aufgabe, eine Schließvorrichtung anzugeben, die die mit Bezug auf den Stand der Technik bekannten Probleme zumindest teilweise löst. Dabei werden insbesondere Schließvorrichtungen betrachtet, die zum Verriegeln und Entriegeln von Sitz-Rückenlehnen in Kraftfahrzeugen einsetzbar sind. Hierbei soll eine komfortable und sichere Betätigung der Sitze gewährleistet werden, wobei gleichzeitig auch Sicherheitskriterien in besonderem Maße Berücksichtigung finden. Zusätzlich soll die Schließvorrichtung mit einem geringen Bauraum, einer geringen Geräuschentwicklung und einer schnellen Reaktionszeit ausgeführt sein (Absatz [0006]).
- 2.
Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent eine Schließvorrichtung vor, deren Anspruch 1 in der vorliegend geltend gemachten eingeschränkten Fassung sich wie folgt gliedern lässt: - a) Schließvorrichtung (1), aufweisend
- b) zumindest ein Gesperre (2) mit
- b1) einer Drehfalle (3),
- b2) einer verschwenkbaren ersten Sperrklinke (4) sowie
- b3) einer zweiten Sperrklinke (5), mit der das Verschwenken der ersten Sperrklinke (4) zur sicheren Arretierung der Drehfalle blockiert wird,
- c) die Schließvorrichtung (1) hat weiter
- c1) einen motorisch angetriebenen Stellantrieb (6),
- c2) zumindest einen Auslösehebel (7),
- c2a) wobei der Auslösehebel aus Kunststoff ist,
- d) der Stellantrieb bewegt den Auslösehebel (7)
- d1) so, dass der Auslösehebel (7) während seiner Bewegung mit beiden Sperrklinken (4, 5) nacheinander zusammenwirkt.
- 3.
Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht die Merkmale b3) und d1) des Anspruchs 1 in seiner eingeschränkten Fassung. Die Verwirklichung der übrigen Merkmale ist zwischen den Parteien zu Recht unstreitig, so dass es dazu keiner Ausführungen bedarf. - a)
Merkmal b3) wird durch die angegriffene Ausführungsform verwirklicht. - aa)
Nach Merkmal b3) wird mit der zweiten Sperrklinke das Verschwenken der ersten Sperrklinke zur sicheren Arretierung der Drehfalle blockiert. - (1)
Die Funktion des Merkmals b3) ergibt sich damit aus der Zweckangabe im Anspruch selbst: Die Blockierung des Verschwenkens der ersten Sperrklinke durch die zweite Sperrklinke dient der sicheren Arretierung der Drehfalle. Die Blockierung trägt also dazu bei, das ungewollte Verschwenken der Drehfalle aus der geschlossenen in eine geöffnete Position zu verhindern. Die erste Sperrklinke, die zur Arretierung der Drehfalle dient, wird ihrerseits durch die zweite Sperrklinke in der Position blockiert. - Erforderlich ist diese weitere Absicherung nach der Lehre des Klagepatents aufgrund der Ausgestaltung des Zusammenwirkens zwischen Drehfalle und erster Sperrklinke, das in Absatz [0010] wie folgt beschrieben wird:
- In der geschlossenen Position der Drehfalle ist die Drehfalle mit der ersten Sperrklinke bewegungsarretiert. Die erste Sperrklinke verhindert, dass die Drehfalle aus der geschlossenen Position wieder in die geöffnete Position verschwenkt (vgl. auch Absatz [0026]). Um eine Rotation der Drehfalle in die geöffnete Position zu verhindern, übt die erste Sperrklinke eine Kraft auf die Drehfalle aus. Dies wird dadurch ermöglicht, dass die erste Sperrklinke um einen anderen Drehpunkt gelagert ist und in einem Umfangsbereich der Drehfalle zur Anlage kommt. Dabei ist der Kontakt zwischen erster Sperrklinke und Drehfalle bevorzugt so ausgestaltet, dass die Kraft nicht durch den Drehpunkt der ersten Sperrklinke verläuft, sondern ein Moment bereitgestellt wird, mit dem die Drehfalle die erste Sperrklinke bei der federbelasteten Rotation in Richtung der geöffneten Position wegdrückt. Um trotz dieser Ausgestaltung und der auf die erste Sperrklinke wirkenden Kraft eine sichere Arretierung der Drehfalle zu gewährleisten, erfolgt die Blockierung der ersten Sperrklinke mit der zweiten Sperrklinke (vgl. Absatz [0010]).
- (2)
Wie die zweite Sperrklinke die Blockierung der ersten Sperrklinke bewirkt, gibt das Klagepatent nicht vor. Insbesondere lässt sich dem Klagepatent keine Vorgabe entnehmen, wonach die Blockierung durch einen unmittelbaren mechanischen Kontakt zwischen erster und zweiter Sperrklinke erfolgen muss. Um das ungewollte Verschwenken der Drehfalle aus der geschlossenen Position in eine geöffnete Position zu verhindern, diese somit sicher zu arretieren, bedarf es eines solchen Kontakts zwischen erster und zweiter Sperrklinke nicht. Anspruchsgemäß ist es auch, wenn ein oder mehrere zwischen zweiter und erster Sperrklinke gelagerte Bauteile die durch die zweite Sperrklinke vermittelte Kraft auf die erste Sperrklinke übertragen und so deren Blockierung bewirkt wird. - Ob das Zusammenwirken der einzelnen Bauteile durch drehfeste oder nicht drehfeste Verbindungen ausgestaltet ist, ist für die Merkmalsverwirklichung ebenfalls unerheblich. Solange die dargestellte Kraftübertragung und damit die sichere Arretierung der Drehfalle gewährleistet ist, überlässt das Klagepatent die Ausgestaltung des Zusammenwirkens zwischen zweiter und erster Sperrklinke, gegebenenfalls vermittelt durch weitere Bauteile, dem Belieben des Fachmanns.
- (3)
Dass das Gesperre neben den drei in der Merkmalsgruppe b) genannten Bestandteilen – Drehfalle, erste Sperrklinke, zweite Sperrklinke – weitere Bauteile aufweist, schließt das Klagepatent nicht aus. Vielmehr wird in Absatz [0010] ausdrücklich klargestellt, dass das Gesperre nur „mindestens“ dreiteilig ausgeführt sein muss. Die Funktion der Blockierung der ersten Sperrklinke durch die zweite Sperrklinke, die sichere Arretierung der Drehfalle, schließt das Vorhandensein weiterer Bauteile ebenfalls nicht aus. - (4)
Das Merkmal befasst sich neben der erörterten Blockierung der ersten Sperrklinke in der geschlossenen Position der Drehfalle nicht auch mit der Öffnung des Gesperres. Zwar beschreibt das Klagepatent in Absatz [0013], dass die Öffnung des Gesperres insbesondere so bewirkt werden soll, dass zunächst die zweite Sperrklinke von dem Auslösehebel verschwenkt wird, so dass die Blockade der ersten Sperrklinke aufgehoben ist. Der Patentanspruch, in dem diese Vorgabe keinen Niederschlag gefunden hat, lässt es indes auch zu, die Öffnung anders zu bewirken. Erst recht schließt der Anspruch nicht die Möglichkeit aus, die erste Sperrklinke nicht nur durch das Verschwenken der zweiten Sperrklinke öffnen zu können, sondern diese auch isoliert verschwenkbar auszugestalten, etwa um eine Notöffnung vorzusehen. - bb)
Diese Auslegung zugrunde gelegt, verwirklicht die angegriffene Ausführungsform das Merkmal b3). - Im Betrieb der angegriffenen Ausführungsform blockiert die zweite Sperrklinke das Verschwenken der Hilfsdrehfalle und damit der ersten Sperrklinke. Die Abbildungen auf den Seiten 1 und 2 der Anlage KR8 zeigen den blockierten Zustand. Dass die zweite Sperrklinke nicht in unmittelbaren Kontakt zu der ersten Sperrklinke tritt, sondern die Hilfsdrehfalle als zwischengeschaltetes Bauteil fungiert, führt nach obigen Ausführungen nicht aus der Verletzung heraus.
- Es führt ferner nicht aus der Verletzung heraus, dass die erste Sperrklinke über das Zusammenwirken zweier Hebel auch manuell verschwenkt werden kann, ohne dass die Hilfsdrehfalle oder die zweite Sperrklinke bewegt werden.
- Das Argument der Beklagten, die erste Sperrklinke werde nicht durch die zweite Sperrklinke, sondern durch die Drehfalle blockiert, greift nicht durch. Die erste Sperrklinke dient nach der Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform zur Arretierung der Drehfalle und übt diese Funktion im Betrieb auch aus. Es kommt deshalb darauf an, dass die zweite Sperrklinke – vermittelt über die Hilfsdrehfalle – die erste Sperrklinke an der Freigabe der Drehfalle hindert. Eine etwaige wechselseitige Blockade zwischen Drehfalle und erster Sperrklinke im nicht freigegebenen, geschlossenen Zustand der Drehfalle hat für die Frage der Merkmalsverwirklichung dagegen außer Betracht zu bleiben.
- Unerheblich ist schließlich, dass die Verbindung zwischen erster Sperrklinke und Hilfsdrehfalle nicht drehfest ausgestaltet ist. Die Kraftübertragung von der zweiten Sperrklinke über die Hilfsdrehfalle zur ersten Sperrklinke ist von der entsprechenden Ausgestaltung nicht beeinflusst.
- b)
Ferner wird Merkmal d1) durch die angegriffene Ausführungsform verwirklicht. - aa)
Nach Merkmal d1) bewegt der Stellantrieb den Auslösehebel so, dass der Auslösehebel während seiner Bewegung mit beiden Sperrklinken nacheinander zusammenwirkt. - (1)
Das Merkmal betrifft das Öffnen der Drehfalle von der geschlossenen Position in die geöffnete Position. Bei dem Zusammenwirken des zumindest einen (vgl. Merkmal c2)) Auslösehebels mit den beiden Sperrklinken nacheinander kann es sich um eine solche Interaktion handeln, die dazu führt, dass die Sperrklinken freigegeben bzw. betätigt werden (vgl. Absatz [0013]). - Der Anspruchswortlaut gibt indes nicht vor, dass jede der Sperrklinken durch ihr Zusammenwirken mit dem Auslösehebel erstmals aus dem Blockadezustand in einen geöffneten Zustand überführt wird. Ausreichend ist es vielmehr auch, dass die Interaktion dazu führt, die gewünschte Position einer bereits nicht mehr blockierten Sperrklinke – auch bei bereits geöffneter Drehfalle – wiederherzustellen. Funktion des Zusammenwirkens des Auslösehebels mit beiden Sperrklinken ist es damit, die Öffnung der Drehfalle zu bewirken und die gewünschte Position beider Sperrklinken wiederherzustellen.
- Diese Sichtweise wird dadurch bestätigt, dass das Klagepatent in den Ausführungsbeispielen einen Öffnungsvorgang entsprechend schildert und die im Anspruch verwendeten Begriffe im Zweifel so zu verstehen sind, dass sämtliche Ausführungsbeispiele zu ihrer Ausfüllung herangezogen werden können (vgl. BGH, GRUR 2015, 972, 974 – Kreuzgestänge). In dem Ausführungsbeispiel führt bereits das Verschwenken der zweiten Sperrklinke durch den Auslösehebel in einem ersten Schritt dazu, dass die Blockade der ersten Sperrklinke und damit auch diejenige der Drehfalle gelöst wird (vgl. Absätze [0014], [0031]. Wie stark die erste Sperrklinke ausgelenkt wird, hängt dabei von der Stärke des Moments ab, das die Drehfalle auf die erste Sperrklinke erzeugt (vgl. Absätze [0031], [0032]). Nach Ablauf einer gewissen Zeitspanne wird in einem zweiten Schritt der Auslösehebel mit der ersten Sperrklinke in Kontakt gebracht, so dass diese (weiter) verschwenkt und in die gewünschte Position gebracht wird (vgl. Absätze [0014]; [0033]).
- Ein unmittelbarer mechanischer Kontakt zwischen Auslösehebel und erster bzw. zweiter Sperrklinke ist nach dem Anspruchswortlaut, der lediglich ein Zusammenwirken fordert, nicht erforderlich. Durch welche Art des Zusammenwirkens zwischen Auslösehebel und den Sperrklinken die Funktion, die Öffnung der Drehfalle zu bewirken und die gewünschte Position beider Sperrklinken wiederherzustellen, erfüllt wird, lässt das Klagepatent offen. Es ist damit auch eine Interaktion durch Kraftübertragung mittels zwischengeschalteter Bauteile nicht ausgeschlossen. Dass das Klagepatent einen unmittelbaren mechanischen Kontakt für entbehrlich hält, geht überdies aus Absatz [0034] hervor, wonach der Auslösehebel im zweiten Schritt des dort geschilderten Falls nur „gegebenenfalls“ mit der ersten Sperrklinke in Kontakt kommt.
- Darüber hinaus ist nach der Lehre des Klagepatents nicht erforderlich, dass durch das Zusammenwirken mit dem Auslösehebel tatsächlich eine Positionsveränderung der Sperrklinken bewirkt wird. Das soeben erwähnte Ausführungsbeispiel (vgl. Absatz [0034], Fig. 6) zeigt einen Fall, in dem eine Positionsveränderung der zweiten Sperrklinke – ebenso wie ein unmittelbarer mechanischer Kontakt mit dem Auslösehebel – nicht mehr erfolgt. Die Besonderheit des Ausführungsbeispiels liegt darin, dass relativ hohe Rückstellmomente der Drehfalle und damit eine hohe Kraft auf die erste Sperrklinke einwirken. In diesem Fall wird die erste Sperrklinke bereits im ersten Schritt durch die Drehfalle so weit ausgelenkt, dass es keiner und/oder einer verzögerten bzw. verspäteten Bewegung der ersten Sperrklinke durch den Auslösehebel bedarf. Es wird also unter Umständen bereits nach dem Verschwenken der zweiten Sperrklinke die erste Sperrklinke in die gewünschte Position gebracht und müsste von dem Auslösehebel in einem zweiten Schritt – der indes gleichwohl durchgeführt wird – nicht mehr weiter verschwenkt werden.
- (2)
Für die Verwirklichung des Merkmals ausreichend ist eine Ausgestaltung der Schließvorrichtung, die ein anspruchsgemäßes Zusammenwirken des Auslösehebels mit den Sperrklinken objektiv ermöglicht. Unerheblich ist dagegen, ob die patentgemäßen Eigenschaften und Wirkungen regelmäßig, nur in Ausnahmefällen oder nur zufällig erreicht werden und ob es der Verletzer darauf absieht, diese Wirkungen zu erzielen. Eine Patentverletzung liegt deshalb auch dann vor, wenn eine Vorrichtung regelmäßig so bedient wird, dass die patentgemäßen Eigenschaften und Wirkungen nicht erzielt werden (BGH, GRUR 2006, 399, 401 – Rangierkatze). Damit kommt es für die Verwirklichung des Merkmals d1) nicht darauf an, ob ein anspruchsgemäßes Zusammenwirken im Betrieb einer Schließvorrichtung bei jedem Öffnungsvorgang der Drehfalle stattfindet und ob die Öffnung auch auf anderem Wege bewirkt werden kann oder sogar regelmäßig bewirkt wird. Ausreichend ist, dass eine Ausgestaltung vorliegt, die für ein derartiges Zusammenwirken objektiv geeignet ist. - bb)
Von dem so verstandenen Merkmal d1) macht die angegriffene Ausführungsform Gebrauch. - Hinsichtlich der insoweit auch von den Parteien übereinstimmend verwendeten Bezugsziffern wird insbesondere auf die Anlage KR8 Bezug genommen.
- (1)
Ein Zusammenwirken des Schubblocks (112) – einem Auslösehebel im Sinne des Klagepatents – mit der zweiten Sperrklinke erfolgt bei Öffnung des Gesperres im Betrieb der angegriffenen Ausführungsform unter Normalbedingungen. Es besteht ein unmittelbarer mechanischer Kontakt zwischen beiden Bauteilen, der dazu führt, dass die zweite Sperrklinke hochgedrückt wird und so die Hilfsdrehfalle freigibt. - (2)
Die angegriffene Ausführungsform ist ferner so ausgestaltet, dass eine Interaktion zwischen dem Schubblock (120) – einem weiteren Auslösehebel im Sinne des Klagepatents – und der ersten Sperrklinke stattfinden kann. Der Schubblock (120) wirkt in diesem Fall über den Rückstellhebel (76) auf die erste Sperrklinke. - Dies haben die Klägervertreter an einem bearbeiteten Muster der angegriffenen Ausführungsform in der mündlichen Verhandlung am 18.06.2019 gezeigt. Sie haben hierfür die Feder ausgehängt, um so deren Funktionslosigkeit zu demonstrieren. Die Beklagtenvertreter haben betont, dass diese Demonstration nicht nur wegen der ausgehängten Feder unrealistisch sei, sondern auch deshalb, weil die Kraft der Türdichtung („seal load“) ausgeblendet bleibe.
- Zwar kommt es im „Normalbetrieb“ der angegriffenen Ausführungsform nicht zu einem Zusammenwirken des Auslösehebels – vermittelt über den Rückstellhebel – mit der ersten Sperrklinke. Lediglich in dem Fall, dass die erste Sperrklinke ausnahmsweise nicht vollständig in ihre Öffnungsstellung verschwenkt wird, kann es im Anschluss an die Verschwenkung der zweiten Sperrklinke zu einer Verschwenkung der ersten Sperrklinke durch den Auslösehebel kommen. Für die Merkmalsverwirklichung ist dieser Umstand aber ebenso unerheblich wie die Frage, ob das Eintreten eines solchen Falles für die angegriffene Ausführungsform überhaupt realistisch ist. Denn nach obiger Auslegung ist es ausreichend, dass die angegriffene Ausführungsform so ausgestaltet ist, dass sie die objektive Eignung zur Merkmalsverwirklichung aufweist.
- Dass bei dem dargestellten Zusammenwirken ein unmittelbarer mechanischer Kontakt zwischen Schubblock (120) und erster Sperrklinke nicht stattfindet, sondern der Rückstellhebel (76) als zwischengeschaltetes Bauteil fungiert, führt nach obigen Ausführungen nicht aus der Verletzung heraus. Ebenso wenig ist es für die Merkmalsverwirklichung erheblich, dass die Drehfalle zu diesem Zeitpunkt bereits geöffnet ist.
- II.
Aufgrund der festgestellten Patentverletzung ergeben sich die zuerkannten Rechtsfolgen. - 1.
Gemäß Art. 64 EPÜ i. V. m. § 139 Abs. 1 PatG ist die Beklagte der Klägerin zur Unterlassung verpflichtet. - 2.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz dem Grunde nach (Art. 64 EPÜ i. V. m. § 139 Abs. 2 PatG). Die Beklagte hat schuldhaft gehandelt. Als Fachunternehmen hätte sie die Patentverletzung durch die angegriffene Ausführungsform bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennen können, § 276 BGB. - Die genaue Schadenshöhe steht derzeit noch nicht fest. Da es jedoch ausreichend wahrscheinlich ist, dass durch die rechtsverletzenden Handlungen der Beklagten ein Schaden entstanden ist und dieser von der Klägerin noch nicht beziffert werden kann, weil sie ohne eigenes Verschulden in Unkenntnis über den Umfang Verletzungshandlungen ist, ist ein rechtliches Interesse der Klägerin an einer Feststellung der Schadenersatzverpflichtung dem Grunde nach anzuerkennen, § 256 ZPO.
- Ferner steht der Klägerin ein Anspruch auf Entschädigung dem Grunde nach aus Art. II § 1 IntPatÜG zu.
- 3.
Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstands unmittelbar aus Art. 64 EPÜ i. V. m. § 140b Abs. 1 PatG, der Umfang der Auskunftspflicht aus Art. 64 EPÜ i. V. m. § 140b Abs. 3 PatG. - Damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, ihren festgestellten Schadensersatz- und Entschädigungsanspruch zu beziffern, steht ihr gegen die Beklagte ein Anspruch auf Auskunft im zuerkannten Umfang aus Art. 64 EPÜ i. V. m. §§ 242, 259 BGB zu. Die Klägerin ist auf die Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt; die Beklagte wird durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet.
- 4.
Weiterhin hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückruf der schutzrechtsverletzenden Erzeugnisse aus den Vertriebswegen gemäß Art. 64 EPÜ i. V. m. § 140a Abs. 3 PatG. Für die Unverhältnismäßigkeit des Anspruchs bestehen keine Anhaltspunkte. - III.
Im Rahmen des der Kammer nach § 148 ZPO zustehenden Ermessens wird das Verfahren nicht im Hinblick auf das anhängige Nichtigkeitsverfahren bezüglich des Klagepatents ausgesetzt. - Der Beurteilung ist dabei die Fassung des Klagepatentanspruchs 1 zugrunde zu legen, in der sie im Verletzungsprozess geltend gemacht und im Nichtigkeitsverfahren verteidigt wird (BGH, GRUR 2010, 904, 908 – Maschinensatz).
- 1.
Nach § 148 ZPO kann das Gericht bei Vorgreiflichkeit eines anderen Verfahrens einen Rechtsstreit aussetzen. Die Erhebung einer Nichtigkeitsklage stellt allerdings ohne weiteres noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen. Die Patenterteilung ist auch für die (Verletzungs-) Gerichte bindend. Wegen der gesetzlichen Regelungen, die für die Ansprüche nach §§ 139 ff. PatG lediglich ein in Kraft stehendes Patent verlangen und für die Beseitigung dieser Rechtsposition nur die in die ausschließliche Zuständigkeit des Patentgerichts fallende Nichtigkeitsklage und den Einspruch vor dem jeweiligen Patentamt zur Verfügung stellen, kann der Angriff gegen das Klagepatent nicht als Einwand im Verletzungsverfahren geführt werden. Jedoch darf dies nicht dazu führen, dass diesem Angriff jede Auswirkung auf das Verletzungsverfahren versagt wird. Die Aussetzung des Verletzungsstreits im Rahmen der nach § 148 ZPO zu treffenden Ermessenentscheidung ist vielmehr grundsätzlich, aber auch nur dann geboten, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass das Klagepatent der erhobenen Nichtigkeitsklage oder dem erhobenen Einspruch nicht standhalten wird (BGH, GRUR 2014, 1237 – Kurznachrichten; OLG Düsseldorf, GRUR-RS 2015, 18679). - 2.
Änderungen an dem danach grundsätzlich anzuwendenden Aussetzungsmaßstab sind nicht geboten. - a)
Dies gilt zunächst im Hinblick auf die Tatsache, dass die Klägerin das Klagepatent im Nichtigkeitsverfahren nur eingeschränkt verteidigt. - Eine nur beschränkte Verteidigung des Klageschutzrechts im Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren kann eine Lockerung des Aussetzungsmaßstabes nach sich ziehen. Führt eine Selbstbeschränkung dazu, dass der ursprüngliche Erteilungsakt des Klagepatents obsolet ist und es damit für die geltend gemachte Merkmalskombination kein stützendes, fachkundiges Votum mehr gibt, ist bei der Aussetzung der Maßstab wie bei einem ungeprüften Schutzrecht anzuwenden (Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 11. Auflage 2019, Abschnitt E Rn. 732). Dies ist etwa der Fall, wenn sämtliche oder praktisch sämtliche Merkmale des Kennzeichens in den Oberbegriff aufgenommen werden, sich also nachträglich als nicht neu oder erfinderisch erweisen. Wird dagegen das Kennzeichen nur durch neu aufgenommene Merkmale angereichert und behält der Erteilungsakt somit tendenziell seine Bedeutung, kann der Aussetzungsmaßstab je nach Einzelfall beibehalten oder angemessen gelockert werden (Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 11. Auflage 2019, Abschnitt E Rn. 733).
- Daran gemessen ist keine Lockerung des Aussetzungsmaßstabs geboten. Da das Kennzeichen lediglich durch ein neu aufgenommenes Merkmal angereichert und der Oberbegriff durch Aufnahme einer Zweckangabe und eine weitere Anpassung eingeschränkt wurde, bleibt die Bedeutung des Erteilungsakts erhalten.
- b)
Eine Änderung des Aussetzungsmaßstabs ist auch nicht im Hinblick auf die erst parallel zur Klageerwiderung erhobene Nichtigkeitsklage veranlasst. - Zwar kann eine größere Zurückhaltung bei der Entscheidung für eine Aussetzung geboten sein, wenn die Nichtigkeitsklage erst spät eingereicht wurde (Kammer, InstGE 3, 54 – Sportschuhsole; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 11. Auflage 2019, Abschnitt E Rn. 724). Es ist die Sache des Beklagten eines Verletzungsverfahrens möglichst frühzeitig für klare Verhältnisse zu sorgen. Insoweit kann es geboten sein, bereits auf eine vorprozessuale Abmahnung einen Rechtsbestandsangriff zu initiieren.
- Vorliegend lässt sich indes nicht feststellen, dass es aus Sicht der Beklagten geboten war, bereits vorgerichtlich eine Nichtigkeitsklage zu erheben. Insbesondere lässt sich
ihr Vortrag nicht widerlegen, wonach sie davon ausgegangen sei, ihre umfangreichen Ausführungen zur Funktionsweise der angegriffenen Ausführungsform hätten die Klägerin dazu veranlasst, den Vorwurf nicht weiter zu verfolgen. - 3.
Gemessen an dem danach anzuwendenden Maßstab ist eine Aussetzung nicht veranlasst. - a)
Es lässt sich nicht mit der für eine Aussetzung hinreichenden Wahrscheinlichkeit feststellen, dass die WO 2008/XXX A1 (nachfolgend: E4) die Lehre des Klagepatents neuheitsschädlich vorwegnimmt. - aa)
Die E4 offenbart eine Schließvorrichtung. - Zur Veranschaulichung werden Fig. 2 und 3 der E4 eingeblendet. Fig. 2 zeigt den verriegelten Zustand einer Schlosseinheit gemäß der E4. Fig. 3 zeigt die Schlosseinheit während des Öffnungsvorgangs:
- bb)
Merkmal c1), wonach die Schließvorrichtung einen motorisch angetriebenen Stellantrieb hat, wird in der E4 nicht offenbart. Eine ausdrückliche Offenbarung des Merkmals ist, worüber zwischen den Parteien auch zu Recht Einigkeit besteht, nicht gegeben. Es wird vom Fachmann aber auch nicht „mitgelesen“. - (1)
Zwar gehört zu dem durch eine Vorveröffentlichung Offenbarten nicht nur dasjenige, was im Wortlaut der Veröffentlichung ausdrücklich erwähnt wird. Nicht anders als bei der Ermittlung des Wortsinns eines Patentanspruchs ist vielmehr der Sinngehalt der Veröffentlichung maßgeblich, also diejenige technische Information, die der fachkundige Leser der jeweiligen Quelle vor dem Hintergrund seines Fachwissens entnimmt (BGH, GRUR 2009, 382, 384 – Olanzapin). Hierzu gehören auch Abwandlungen und Ergänzungen, die nach dem Gesamtzusammenhang der Schrift für den Fachmann derart naheliegen, dass sie sich ihm bei aufmerksamer, weniger auf die Worte als ihren erkennbaren Sinn achtenden Lektüre ohne Weiteres erschließen, so dass er sie gleichsam mitliest, auch wenn er sich dessen nicht bewusst ist (BGH, GRUR 2014, 758, 761 – Proteintrennung; BGH, GRUR 1995, 330, 332 – Elektrische Steckverbindung). - (2)
Diese Anforderungen sind im Hinblick auf die Offenbarung eines motorisch angetriebenen Stellantriebs jedoch nicht gegeben. - Die E4 legt dem Fachmann vielmehr eine manuelle Betätigung des dortigen Betätigungshebels (15) nahe, nämlich durch Betätigungseinrichtungen an der Tür bzw. Klappe (vgl. Seite 6, Zeile 11 der E4). Hinweise darauf, dass es sich dabei nur um eine zusätzliche Möglichkeit handelt, etwa für den Fall, dass die Elektrik beschädigt ist, enthält die E4 nicht.
- Entgegen der Ansicht der Beklagten kann auch nicht das Klagepatent, insbesondere dessen Absätze [0003] und [0012], zur Begründung dafür herangezogen werden, dass es dem Fachmann bekannt war, gattungsmäßige Kraftfahrzeugschlösser mit manueller und/oder motorischer Ausgestaltung zu versehen. Dies gilt bereits deshalb, weil nicht ersichtlich ist, von wann der im Klagepatent gewürdigte Stand der Technik datiert. Aus der Textstelle in Absatz [0003] des Klagepatents ergibt sich zudem nicht, dass ein motorisch angetriebener Stellantrieb im Sinne des Merkmals c1) für den Fachmann selbstverständlich war. Es werden darin nur allgemein Kraftfahrzeugschlösser angesprochen. Dass sich diese Passage auch auf Doppelklinkengesperre bezieht, wie sie in Absatz [0002] des Klagepatents gewürdigt werden, ist nicht erkennbar. Aus der weiteren von der Beklagten genannten Textpassage in Absatz [0012] des Klagepatents ergibt sich entsprechendes ebenfalls nicht. Dort wird gerade erörtert, dass zwar ein mechanischer Antrieb möglich wäre, das Klagepatent aber einen elektromotorischen Antrieb vorschlägt.
- b)
Eine Aussetzung ist auch nicht im Hinblick auf eine fehlende erfinderische Tätigkeit ausgehend von der E4 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen veranlasst. Insbesondere lässt sich das Klagepatent zur Begründung eines allgemeinen Fachwissens zum maßgeblichen Zeitpunkt aus den soeben unter a) bb) erörterten Gründen, auf die Bezug genommen wird, nicht heranziehen. - c)
Schließlich ist eine Aussetzung nicht im Hinblick auf eine neuheitsschädliche Vorwegnahme durch die DE 20 2006 XXX XXX U1 (nachfolgend: E5) veranlasst. - aa)
Die E5, bei der es sich entgegen der Ansicht der Klägerin nicht um im Erteilungsverfahren geprüften Stand der Technik handelt, betrifft ein Kraftfahrzeugschloss. - Zur Veranschaulichung wird Fig. 1 der E5 eingeblendet:
- bb)
Die E5 offenbart die Merkmale c2a) und d1) nicht. - (1)
Merkmal c2a), wonach der Auslösehebel aus Kunststoff ist, wird in der E5 nicht unmittelbar und eindeutig offenbart. - Eine Offenbarung ergibt sich insbesondere nicht aus Absatz [0035] der E5, der lautet:
- (…)
- Bei der Steuerkontur 18, dem als Auslösehebel im Sinne des Klagepatents in Betracht kommenden Bauteil, handelt es sich nicht unmittelbar und eindeutig um eine mit dem Blockierhebel 4 im Sinne des Absatzes [0035] „bewegungsgekoppelte Komponente“. Hierfür ist nicht ausreichend, dass die Steuerkontur 18, die Teil des Stellelements 17 ist, nach der textlichen Offenbarung in einem Ausführungsbeispiel in Eingriff mit einem mit dem Blockierhebel 4 gekoppelten Steuerhebel 19 oder dergleichen steht oder bringbar ist (vgl. Absatz [0050] der E5). Auch das beispielsweise in Fig. 1 veranschaulichte mittelbare Zusammenwirken der Bauteile reicht hierfür nicht aus.
- Würde man ein solches mittelbares Zusammenwirken über zwischengeschaltete Bauteile als für die Offenbarung „bewegungsgekoppelter Komponenten“ ausreichend ansehen, träfe dies auf sämtliche das Gesperre bildenden Bauteile zu. Eine solche Sichtweise verwirft der Fachmann aber bereits deshalb, weil eine Ausführung sämtlicher Bauteile in Kunststoff nicht sinnvoll wäre. Jedenfalls die erforderliche unmittelbare und eindeutige Offenbarung einer Ausführung in Kunststoff kann nur für die mit dem Blockierhebel durch unmittelbaren Kontakt zusammenwirkenden Bauteile angenommen werden.
- (2)
Merkmal d1), wonach der Stellantrieb den Auslösehebel so bewegt, dass der Auslösehebel während seiner Bewegung mit beiden Sperrklinken nacheinander zusammenwirkt, wird in der E5 ebenfalls nicht offenbart. - Eine solche Offenbarung lässt sich nicht Absatz [0049] der E5 entnehmen, in dem es unter anderem heißt:
- (…)
- Das als Auslösehebel in Betracht kommende Bauteil nach der Lehre der E5, die Steuerkontur 18, wird in Absatz [0049] nicht erwähnt. Zwar ist der Öffnungsantrieb 15 nach Absatz [0050] mit einem Antriebsmotor 16 und einem dem Antriebsmotor 16 nachgeschaltetem Stellelement 17 ausgestattet. Dieses Stellelement weist vorzugsweise die Steuerkontur 18 auf. Eine unmittelbare und eindeutige Offenbarung, dass das Zusammenwirken mit den beiden Sperrklinken durch die Steuerkontur 18 erfolgt, ergibt sich daraus jedoch nicht.
- IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. - Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO. Auf Antrag der Klägerin waren Teilsicherheiten für die vorläufige Vollstreckung einzelner zuerkannter Ansprüche festzusetzen.
- V.
Der Streitwert wird auf € 1,5 Mio. festgesetzt.