4b O 99/18 – Rasierklingenkartusche

Düsseldorfer Entscheidungsnummer: 2901

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 09. Juli 2019, Az. 4b O 99/18

  1. Die Klage wird abgewiesen.
  2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
  3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
  4. Tatbestand
  5. Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 3 299 XXX B1 (Klagepatent, vorgelegt als Anlage PS5a und in deutscher Übersetzung als Anlage PS5b) auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Vernichtung und Rückruf sowie Feststellung der Schadensersatzflicht in Anspruch.
  6. Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des Klagepatents, das am 27. Februar 2014 angemeldet wurde. Die Anmeldung wurde am 28. März 2018 veröffentlicht, der Hinweis auf die Erteilung wurde am 20. Juni 2018 bekanntgemacht. Das Klagepatent steht in Kraft.
  7. Die A, Ltd. legte am 15. März 2019 Einspruch gegen die Erteilung des Klagepatents ein. Über den Einspruch wurde noch nicht entschieden.
  8. Das Klagepatent, das in englischer Verfahrenssprache abgefasst ist, betrifft einen Rasierklingenkopf. Sein Anspruch 1 lautet in der deutschen Fassung:
    1. Rasierklingenkartusche (1), umfassend:
    ein Gehäuse (9), das sich entlang einer Längsachse (X-X) erstreckt, das eine Oberseite (11) und eine Unterseite (13) gegenüber der Oberseite (11) und eine erste und eine zweite Längsseite (15, 17), die sich jeweils entlang der Längsachse (X-X) zwischen der Oberseite und der Unterseite (11, 13) erstrecken, aufweist,
    zumindest eine primäre Schneidklinge (35), die zwischen der ersten und der zweiten Längsseite (11, 13) am Gehäuse (9) montiert ist, und eine Schneidkante (41) aufweist,
    ein Trimmelement (73), das eine Trimmkante (75) aufweist, wobei die Trimmkante (75) und die Schneidkante (41) entgegengesetzt sind,
    zwei Clips (87, 89), welche die primäre Schneidklinge (35) am Gehäuse (9) zurückhalten, wobei die Befestigung des Trimmelements (73) unabhängig von den Clips ist,
    wobei die Rasierklingenkartusche gekennzeichnet ist durch ein hinteres Element (57), wobei das Trimmelement (73) zwischen dem hinteren Element (57) und dem Gehäuse (9) angeordnet ist.
  9. Die folgenden Zeichnungen erfindungsgemäßer Ausführungsformen stammen aus der Klagepatentschrift und zeigen eine Explosionsansicht einer Rasierklingenkartusche (Fig. 1) und einen Querschnitt (Fig. 2):
  10. Die Beklagte ist ein deutsches Unternehmen, das von dem südkoreanischen Hersteller A, Ltd. (im Folgenden kurz: A) hergestellte Nassrasierer samt zugehöriger Klingenkartuschen mit der Bezeichnung „B System“ mit Trimmerklinge („C“ oder „D“) in Deutschland einführt und hier anbietet und verkauft.
    Die Klägerin greift die Klingenkartusche mit Trimmerklinge (angegriffene Ausführungsform) an. Dabei liefert die Beklagte die angegriffene Ausführungsform an mehrere deutsche Handelsunternehmen, die sie unter ihren jeweiligen Eigenmarken verkaufen, so unter anderem an die Drogeriekette E, die sie unter der Eigenmarke „M-F“ anbietet, an die Drogeriekette G (Eigenmarke „H“) und an I (Eigenmarke „J“). Weiter verkauft die Beklagte die angegriffene Ausführungsform an K, L und M unter deren jeweiligen Eigenmarken.
    Die angegriffene Ausführungsform verfügt über sechs Klingen und auf der von den Schneiden abgewandten Seite über ein entfernbares Element, das einerseits zur Aufnahme des Handgriffs des Nassrasierers dient und zudem der Befestigung einer Trimmerklinge.
    Sie weist das in den folgenden Abbildungen gezeigte Aussehen auf:
    Ansicht der Seite mit den Schneiden der sechs Klingen:
  11. Ansicht der anderen Seite mit montierter Aufnahme für den Griff:
  12. Ansicht derselben Seite wie im vorangegangenen Bild mit entfernter Aufnahme für den Griff:
  13. Ansicht der abmontierten Griffaufnahme samt Trimmerklinge:
  14. Die Klägerin ist der Ansicht, die angegriffene Ausführungsform mache von der Lehre des Anspruchs 1 des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch.
    Dies gelte auch für die das Gehäuse betreffenden Merkmale des Anspruchs. Gehäuse sei der Teil, in den die Schneidklingen aufgenommen würden.
    Das Klagepatent schließe insbesondere nicht aus, dass weitere Bauteile als die in den Ansprüchen benannten Verwendung finden, etwa um die Kartusche am Griff zu befestigen. Solche Teile seien aber nicht Bestandteile des Gehäuses.
  15. Die Klägerin ist der Ansicht, ein Vorbenutzungsrecht der Beklagten bestehe nicht; sie bestreitet in diesem Zusammenhang mit Nichtwissen, dass die Ausführungsform, auf die sich die Beklagte zur Stützung ihres Vorbenutzungsrechts beruft, die klagepatentwesentlichen Eigenschaften der angegriffenen Ausführungsform aufweise und dass sie so auf den Markt gelangt sei. Aus dem Vortrag der Beklagten ergebe sich, dass es verschiedene Ausführungsformen gegeben habe. Soweit von einer Kartusche des Typs „N“ die Rede sei, fehle es dieser Kartusche an einer Trimmerklinge. Auch das mit Mail vom 5. Juli 2013 übersandte geänderte Design der Kartuschen lasse eine Trimmerklinge nicht erkennen. Erst die von A am 17. Januar 2014 auf den Weg gebrachte Kartusche „N Trimmklinge“ habe eine Trimmerklinge aufgewiesen. Die angegriffene Kartusche habe jedoch davon abweichend wiederum eine andere Ausgestaltung. Die Änderungen am Gehäuse in Form eines zusätzlichen Flächenelements und zweier zusätzlicher Stege korrespondierten an der Griffaufnahme mit zusätzlichen Haken. Diese geänderte Konstruktion sei gegenüber dem vorherigen Design der Kartuschen nicht naheliegend gewesen.
  16. Die Klägerin beantragt,
    I. die Beklagte zu verurteilen,
    I.1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht
    festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, wobei die Ordnungshaft an den jeweiligen gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollziehen ist und insgesamt zwei Jahre nicht übersteigen darf, zu unterlassen,
    Rasierklingenkartuschen in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen, welche jeweils die folgenden Merkmale umfassen:
    ein Gehäuse, das sich entlang einer Längsachse erstreckt, das eine Oberseite und eine Unterseite gegenüber der Oberseite und eine erste und eine zweite Längsseite, die sich jeweils entlang der Längsachse zwischen der Oberseite und der Unterseite erstrecken, aufweist,
    zumindest eine primäre Schneidklinge, die zwischen der ersten und der zweiten Längsseite am Gehäuse montiert ist, und eine Schneidkante aufweist,
    ein Trimmelement, das eine Trimmkante aufweist, wobei die Trimmkante und die Schneidkante entgegengesetzt sind, zwei Clips, welche die primäre Schneidklinge am Gehäuse zurückhalten, wobei die Befestigung des Trimmelements unabhängig von den Clips ist, ein hinteres Element, wobei das Trimmelement zwischen dem hinteren Element und dem Gehäuse angeordnet ist;
    insbesondere, wenn
    jeder Clip einen ersten Schenkel, welcher die erste Längsseite des Gehäuses umgibt, und einen zweiten Schenkel, der in einem Durchgangsloch, das in dem Gehäuse vorgesehen ist, aufgenommen ist, aufweist (Anspruch 2);
    das hintere Element in das Gehäuse eingerastet ist (Anspruch 7); das Gehäuse eine Aussparung umfasst, wobei das hintere Element in die Aussparung eingerastet ist (Anspruch 8);
    das hintere Element einen ersten Arm mit einem Haken umfasst, der mit einem Vorsprung, der in der Aussparung vorgesehen ist, zusammenwirkt (Anspruch 9);
    das hintere Element einen Teil umfasst, der ausgelegt ist, um eine Rückhalte- oder Befestigungskraft auf das Trimmelement auszuüben (Anspruch 10);
    die alleinige Rückhalte- oder Befestigungskraft, welche das Trimmelement im Gehäuse hält, die Klemmkraft des hinteren Elements ist (Anspruch 11);
    I.2.  der Klägerin Auskunft zu erteilen und durch Vorlage eines geordneten Verzeichnisses darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie seit dem 20. Juli 2018 die unter Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen begangen haben, und zwar unter Angabe
    a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse, der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer sowie der bezahlten Preise,
    b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen,  zeiten und -preisen sowie der Typenbezeichnungen und der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,
    c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen, sowie der Typenbezeichnungen und der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
    d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
    e) sowie der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des jeweils erzielten Gewinns,
    wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser bezeichneten, dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernimmt und ihn ermächtigt, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist, und wobei die Beklagte zum Nachweis der Angaben zu a) und b) die entsprechenden Einkaufs- und Verkaufsbelege (Rechnungen) in Kopie vorzulegen haben, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der rechnungslegungspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
    II.  die Beklagte zu verurteilen,
    II. 1  die vorstehend in Ziffer I.1. bezeichneten, im Besitz gewerblicher Abnehmer befindlichen und nach dem 20. Juli 2018 in der Bundesrepublik Deutschland angebotenen und/oder an Dritte in den Verkehr gebrachten und/oder gebrauchten und/oder zu diesen Zwecken besessenen Erzeugnisse zurückzurufen, indem diejenigen gewerblichen Abnehmer, die sich im Besitz dieser Erzeugnisse befinden, darüber schriftlich informiert werden, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 3 299 XXX B1 erkannt hat, ihnen ein Angebot zur Rücknahme dieser Erzeugnisse durch die Beklagte unterbreitet wird und den gewerblichen Abnehmern für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Erstattung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises bzw. eines sonstigen Äquivalents für die zurückgerufenen Erzeugnisse, oder der Austausch der Erzeugnisse sowie die Übernahme der Verpackungs- und Transport- bzw. Versendungskosten für die Rückgabe zugesagt wird, und die zurückgerufenen und an sie zurückgegebenen Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen;
    II.2  die in der Bundesrepublik Deutschland in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder Eigentum befindlichen, zu vorstehend in Ziffer I.1. bezeichneten Erzeugnisse zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von ihnen zu benennenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf ihre Kosten herauszugeben;
    III.  festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter Ziffer I.1. bezeichneten, in der Bundesrepublik Deutschland seit dem 20. Juli 2018 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
  17. Die Beklagten beantragen,
    die Klage abzuweisen,
    hilfsweise, den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung des das Europäische Patent EP 3 299 XXX B1 betreffende Einspruchsverfahrens auszusetzen.
  18. Die Beklagte ist der Ansicht, dass die angegriffene Ausführungsform das Klagepatent nicht verletze, weil es jedenfalls daran fehle, dass ein Schenkel der Clips mindestens einen Bereich der Unterseite des Gehäuses umfasse. Denn bei dem Gehäuse handele es sich um die Gesamtheit der Bestandteile, die die Klingen und die Clips aufnähmen und das am Handstück angebracht werden könne. Insbesondere der Verbindungsmechanismus sei Teil des Gehäuses, der aber von keinem Schenkel der Clips umfasst werde. Zudem fehle es an einem hinteren Element. Als solches könne nur ein Bauteil angesehen werden, das hinter den Schneidklingen und teilweise an der Oberseite des Gehäuses angeordnet sei. Eine Griffaufnahme, die sich wie bei der angegriffenen Ausführungsform an der Unterseite der Kartusche erstrecke, sei kein hinteres Element mehr.
    Die Beklagte ist der Ansicht, ihr stehe ein Vorbenutzungsrecht zu. Zudem könne sie sich als Abnehmerin auf ein Vorbenutzungsrecht der A berufen. Sie trägt dazu vor, sie beziehe seit 2003 Rasierprodukte von der A und vermarkte diese im eigenen Namen in Deutschland. Schriftliche Verträge existierten erst seit 2016.
    Seit 2010 habe dabei die Drogeriekette E (im Folgenden kurz E) den „Pace 6“ von der Beklagten bezogen und unter dem Namen „N“ verkauft. Dieser habe bis 2012 je Halteklammer zwei Durchtrittslöcher aufgewiesen.
    In den Jahren 2010 bis 2013 habe E dabei ein Modell ohne Trimmerklinge bezogen, das bei dem Hersteller A die Bezeichnung O habe, die Viererpakete der zugehörigen Kartuschen die Bezeichnung P, wobei die 40 auf einen Blister mit 4 Klingen verweise.
  19. Zu Beginn des Jahres 2013 habe E entschieden, dass man zukünftig Kartuschen mit Trimmerklingen anbieten wolle, die A bereits im Jahr 2012 entwickelt habe. Dies sei mit der Beklagten am 30. Januar 2013 telefonisch vereinbart und unter dem 31. Januar 2013 schriftlich bestätigt worden (vorgelegt als Anlage B 10, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird).
  20. Zum ersten Quartal 2013 habe A das Design verschiedener Kartuschen, darunter die Kartusche mit sechs Klingen und Trimmerklinge, im Rahmen eines Vergleichs wegen Patentverletzungsvorwürfen so geändert, dass nur noch ein Durchtrittsloch pro Klammer vorgesehen und der andere Schenkel um die Außenkante des Gehäuses herumgeführt worden sei.
    Die Version mit den Trimmerklingen habe bei A die interne Bezeichnung D erhalten, die Kartuschen die interne Artikelnummer Q, der Viererpack Kartuschen die Nummer 5040, wobei die 40 darauf verweise, dass es sich um einen Blister mit 4 Klingen des Typs 5000 handele.
    Am 05. Juli 2013 habe A per Mail an die Beklagte das neue Design verschiedener Kartuschentypen für die im November 2013 anlaufende Produktion vorgestellt, darunter auch das des D, (vorgelegt als Anlage B 11, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird).
    E habe per Lieferbestätigung vom 18. Juli 2013 D Rasierer und Kartuschen bestellt. Die Beklagte habe dies per gleichlautender Lieferbestätigung vom 22. Juli 2013 bestätigt (beide vorgelegt als Anlage B 15, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird).
    Die Bestellung habe sich dabei auch auf den D mit Trimmerklinge bezogen, die unter dem Namen N.1 vermarktet werden sollte. Die Bestellungen und das Verpackungsdesign hätten sich dabei auf die neue Version mit einem das Gehäuse umgreifenden Klammer-Schenkel bezogen. Dies ergebe sich einerseits aus einer entsprechenden Mail der Beklagten an E vom 10. September 2013, in der auf die Designänderung am Produkt hingewiesen worden sei (Anlage B 20, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird), sowie aus dem Mailverkehr vom 13., 17. und 20. September 2013 zwischen der Beklagten und E zur Festlegung des Verpackungsdesigns (Anlage B 16 bis B 18, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird). Die Beklagte wiederum habe die Order für E am 13. September 2013 bei A eingereicht (Anlage B 19, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird).
    Dabei zeige eine Mail von A an die Beklagte vom 23. Oktober 2013 (Anlage B 23, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird), dass die Bestellungen der angegriffenen Ausführungsform für E ursprünglich nach der Umstellung auf das neue Produkt und Aufnahme der Fertigung ab November verschifft werden sollten.
    Die erste Lieferung sei von A nach Produktionsbeginn Ende Oktober / Anfang November 2013 am 17. Januar 2014 auf den Transportweg gegeben worden und ausweislich des Lieferscheins am 18. Februar 2014 bei der Beklagten eingegangen (Anlage B 24, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird) und von dort am 21. Februar 2014 an E geliefert worden (Anlage B 26, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird).
    Später seien nur noch marginale Änderungen an nicht patentwesentlichen Eigenschaften vorgenommen worden, die zudem – folgte man der Auslegung der Klägerin – nicht das Gehäuse, sondern allein das Verbindungsstück zum Griff beträfen, an dem ein Bereich abgeflacht worden sei und jeweils rechts und links ein weiterer Steg angebracht worden sei.
  21. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
  22. Die Kammer hat die Akten 4b O 146/17 und 4b O 157/17 beigezogen. Außerdem hat sie Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen R gemäß Beweisbeschluss vom 23. Mai 2019. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 23. Mai 2019 Bezug genommen.
  23. Rechtliche Würdigung
  24. Die zulässige Klage ist nicht begründet.
    Der Klägerin stehen gegen die Beklagte keine Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf, Vernichtung und Feststellung der Schadensersatzpflicht dem Grunde nach aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. §§ 139 Abs. 1 und 2, 140a Abs. 1 und 3, 140b PatG, §§ 242, 259 BGB zu.
  25. I.
    Das Klagepatent bezieht sich auf Rasierklingenkartuschen und Rasierer mit solchen Kartuschen. Zum Stand der Technik führt es aus:
    Nach Abs. [0003] (Absätze ohne Bezugsangabe sind im Folgenden solche des Klagepatents) offenbare die Druckschrift US 6276061 eine Rasierklingenkartusche, die ein Gehäuse umfasse, in dem primäre Klingen und eine zusätzliche Trimmklinge montiert seien. Das Gehäuse der Rasierklingenkartusche sei ein einstückiger Rahmen und umfasse Schlitze, in denen die primären Klingen und die zusätzliche Trimmklinge montiert und befestigt seien. Die Befestigung der zusätzlichen Trimmklinge in dem Gehäuse führe zu wichtigen Herstellungstoleranzen und zu einer komplizierten Herstellung. Die Herstellungszeit und -kosten für die Rasierklingenkartusche nähmen also zu.
    Nach Abs. [0004] offenbare die Druckschrift WO 2005011930 ebenfalls eine Rasierklingenkartusche mit einem primären Schutz, einer primären Kappe, einer Trimmkappe und einem Trimmkammschutz. Die Rasierklingenkartusche umfasse eine Trimmklinge und primäre Klingen. Die Trimmklinge sei Teil einer Anordnung, die auf dem Gehäuse montiert sei und die einen Trimmklingenträger umfasse. Die Trimmanordnung, welche die Trimmklinge und den Trimmschutz einschließe, sei an der Rückseite des Gehäuses befestigt. Eine solche Rasierklingenkartusche ermögliche die Befestigung der Trimmklinge und genauer der Trimmklingenanordnung bei der Herstellung des Gehäuses und nach der Positionierung der primären Klingen. Die Rasierklingenkartusche der WO 2005011930 umfasse die Trimmanordnung, die ein weiteres Teil sei und die dazu führen könne, dass das Gesamtgewicht und die Abmessungen der Rasierklingenkartusche zunehmen. US 2004/0055156 A1 offenbare einen Mehrklingenrasierer mit zusätzlicher, am Gehäuse angebrachter Hilfsklinge.
  26. Die vorliegende Erfindung habe dabei nach Abs. [0005] die Aufgabe, eine einfache Rasierklingenkartusche zu ermöglichen, ohne die Qualität der Rasur zu beeinträchtigen.
    Diese Aufgabenstellung soll durch eine Rasierklingenkartusche mit den Merkmalen des Anspruchs 1 des Klagepatents gelöst werden. Die Merkmale von Anspruch 1 können wie folgt gegliedert werden:
    Rasierklingenkartuschen, umfassend
    1. ein Gehäuse (9),
    1.1 das sich entlang einer Längsachse (X-X) erstreckt,
    1.2 das eine Oberseite (11) und eine Unterseite (13) gegenüber der Oberseite (11) und
    1.3 eine erste und eine zweite Längsseite (15, 17), die sich jeweils entlang der Längsachse zwischen der Oberseite und der Unterseite (11, 13) erstrecken, aufweist,
    2. zumindest eine primäre Schneidklinge (35),
    2.1 die zwischen der ersten und der zweiten Längsseite am Gehäuse montiert ist, und
    2.2 eine Schneidkante (41) aufweist,
    3. ein Trimmelement (73 ),
    3.1 das eine Trimmkante (75) aufweist,
    3.2 wobei die Trimmkante und die Schneidkante entgegengesetzt sind,
    4. zwei Clips (87, 89),
    4.1 welche die primäre Schneidklinge (35) am Gehäuse (9) zurückhalten,
    4.2 wobei die Befestigung des Trimmelements unabhängig von den Clips ist,
    5. ein hinteres Element (57),
    5.1 wobei das Trimmelement (73) zwischen dem hinteren Element und dem Gehäuse angeordnet ist.
    II.
    Angesichts des Streits der Parteien ist folgende Auslegung des Anspruchs 1 zugrunde zu legen.
  27. 1.
    Das Klagepatent beansprucht im Grundsatz eine Rasierklingenkartusche und bezieht sich dabei hinsichtlich der Bedeutung dieses Begriffs auf den Stand der Technik. Dies zeigt etwa die Aufgabenstellung in Abs. [0001] und auch Abs. [0005], aus denen sich ergibt, dass das Konzept der Rasierklingenkartusche wie vorbekannt vorausgesetzt wird und die bekannten Ausführungen solcher Kartuschen im Detail weiterentwickelt werden sollen. Dementsprechend erfährt der Begriff der Kartusche keine eigenständige Definition im Klagepatent.
    Eine Rasierklingenkartusche zeichnet sich dabei in den aus dem Stand der Technik gegebenen Beispielen anderer Druckschriften in Abs. [0003] und [0004] im Wesentlichen dadurch aus, dass sie aus einem Gehäuse besteht, in dem eine oder mehrere Rasierklingen Klingen fest verbaut werden. Dasselbe gilt auch für das Klagepatent, das sich davon ausgehend mit der detaillierten Ausgestaltung der Befestigung der Trimmerklinge am Gehäuse befasst.
  28. Die Kartuschenbauweise grenzt sich durch die Integration der Klingen in ein Gehäuse beispielsweise von einem klassischen Rasiermesser ab, das einen Griff aufweist und eine aus diesem ausklappbare und bei Benutzung dann freiliegende Rasierklinge, und auch von einem sogenannten Rasierhobel, in den einzelne, lose Klingenblätter eingelegt werden, die nicht in einem Gehäuse verbaut sind. Eben diese Bauweise greift der Anspruch auf, wie sich aus den Merkmalen der Gruppen 1 und 2 ergibt, die – vorbehaltlich der Details – eine Kartusche beschreiben, die aus einem Gehäuse besteht, in dem mindestens eine Rasierklinge befestigt ist, wobei sich die Merkmalsgruppe 4 sich dann mit der Art und Weise der Befestigung (durch zwei Clips) befasst.
    Weiter weist die Kartusche nach Merkmalsgruppe 5 ein hinteres Element auf, wobei sich das Trimmelement zwischen diesem hinteren Element und dem Gehäuse befindet.
    Das Klagepatent schließt nicht aus, dass die Kartusche über die in den Schutzansprüchen genannten Bauteile weitere Bestandteile aufweist.
  29. 2.
    Vor diesem Hintergrund versteht sich der Begriff des Gehäuses im Sinne des Merkmals 1 als das Bauteil, welches die Klingen aufnimmt, die darin mittels der zwei Clips befestigt sind. Jedes Bauteil, das den von den Schutzansprüchen aufgestellten Anforderungen genügt, stellt ein Gehäuse im Sinne von Merkmal 1 dar.
    In der Merkmalsgruppe 1 werden eine Längsachse definiert (Merkmal 1.1), eine Unter- und eine Oberseite (Merkmal 1.2), sowie zwei längs entlang der Längsachse laufende Seiten (Merkmal 1.3).
    Soweit in Abs. [0020] des Klagepatents ausgeführt wird, dass etwa die Unterseite des Gehäuses „beispielsweise“ einen Verbindungsmechanismus zum Verbinden mit dem Griff aufweisen „kann“, ist eine solche Ausgestaltung weder zwingend, noch abschließend. Der Anspruch schließt vor allem eine Verbindung von Kartusche und Griff nicht aus, die durch die Gestaltung anderer im Anspruch benannter Bauteile, z.B. des hinteren Elements, oder durch andere, nicht genannte Bauteile bewirkt wird. Die Existenz eines Verbindungsmechanismus verlangt jedenfalls nicht, dass dieser Teil des Gehäuses ist bzw. der Begriff des Gehäuses zwingend einen Verbindungsmechanismus umfassen muss.
  30. 3.
    Mit der Merkmalsgruppe 2 verlangt die geltend gemachte Anspruchskombination, dass mindestens eine primäre Schneidklinge vorhanden ist. Diese soll dergestalt am Gehäuse befestigt sein, dass sie zwischen den Längsseiten angebracht ist. Ihre in Merkmal 2.2 angesprochene Schneidkante ist somit parallel zur definierten Längsachse ausgerichtet.
    Aus der Verwendung des Begriffs „zwischen“ ergibt sich, dass das Gehäuse die Klingen mit den Längsseiten umfasst. Dies entspricht der Beschreibung des Ausführungsbeispiels in Fig. 1, die in Abs. [0021] davon spricht, dass der Klingenaufnahmeabschnitt des Gehäuses rechteckig sein könne („blade receiving section 33 or blade receiving area may have a rectangular shape“) und eine Aussparung bilde („defines a recess“).
    Die primären Schneidklingen sind dabei in Abgrenzung zum Trimmelement zu verstehen, das im Merkmal 3 beschrieben wird und eine Trimmkante aufweist. Sie dienen der „Haupt-“ oder „Primär-“ Rasur, wie es in Abs. [0023] heißt.
  31. 4.
    Die Merkmalsgruppe 3 betrifft ein Trimmelement, das eine Trimmkante aufweisen muss (Merkmal 3.1), wobei Trimmkante und Schneidkante (der Schneidklingen) einander entgegengesetzt sind (Merkmal 3.2). Die Anordnung des Trimmelements mit der Trimmkante entgegengesetzt zur Schneidkante der primären Schneidklinge sorgt dafür, dass stets nur entweder das Trimmelement oder die Schneidklinge mit der Haut in Eingriff gebracht werden kann. Die Schneidklingen dienen dabei der Primärrasur, das Trimmelement hingegen dem „Trimmen“.
    Die Anordnung von Schneidkante und Trimmkante in entgegengesetzter Richtung hat aber auch Auswirkungen auf die Position von Schneidklinge und Trimmelement im Gehäuse. Weisen die Schneidkanten der Schneidklingen wie im Ausführungsbeispiel des Klagepatents über die Oberseite des Gehäuses hinaus, ist die Trimmkante zur Unterseite des Gehäuses gerichtet (Abs. [0038]). Befinden sich – mit anderen Worten – die Schneidklingen an der Oberseite des Gehäuses, muss das Trimmelement notwendigerweise im hinteren Bereich des Gehäuses, beispielsweise an seiner Rückseite (vgl. bspw. Fig. 7) angeordnet sein. Dies korrespondiert mit dem hinteren Element, das zwischen sich und dem Gehäuse das Trimmelement anordnet (dazu unten mehr).
  32. Soweit die Beklagte einwendet, ein hinteres Element müsse aufgrund der „primären Kappe“ zwingend „hinter“ den primären Schneidklingen angebracht sein, weil die primäre Kappe einen Schmierstreifen bereitstelle und als Nachlauffläche sowohl beim Trimmen als auch bei der Rasur diene, kann dem nicht uneingeschränkt gefolgt werden. Zunächst ist der Schmiermitelstreifen ausweislich des Abs. [0008] optional und kann somit keine zwingenden Schluss auf zu fordernde Eigenschaften weiterer Bauteile begründen.
    Im Übrigen weist zwar der Begriff „hinteres Element“ darauf hin, dass es im hinteren Bereich des Gehäuses angeordnet sein muss, wo dann auch das Trimmelement zu verorten ist, dessen Trimmkante der Schneidkante der Klingen entgegengesetzt ausgerichtet sein muss. Dies schließt aber nicht aus, dass das hintere Element einstückig mit anderen Elementen wie zum Beispiel einer Griffaufnahme oder dergleichen verbunden sein kann und auch seine Befestigung über Rastmittel erfolgt, die nicht an der Rückseite des Gehäuses, sondern an anderer Stelle, zum Beispiel an der Unterseite des Gehäuses angreifen. Solche Gestaltungen sind nicht ausgeschlossen, solange die Funktion, das Trimmelement mit einer der Schneidkante entgegengesetzten Trimmkante zwischen sich und dem Gehäuse anzuordnen, erfüllt ist. Die Ausführungen des Klagegebrauchsmusters zur „primären Kappe“ führen jedenfalls zu keiner anderen Bewertung, weil die Kappe und ihre Eigenschaften, insbesondere der Schmiermittelstreifen, keinen Eingang in die Lehre des Klagepatents gefunden haben.
  33. 5.
    Mit der Merkmalsgruppe 4 sind zunächst zwei „Clips“ verlangt, die nach Merkmal 4.1. die Funktion haben, die in Merkmal 2 angesprochene Befestigung der Klinge am Gehäuse zu bewirken, die Schneidklinge(n) also in dem Gehäuse halten. Allerdings soll nach Merkmal 4.2 zwischen den Clips und der Befestigung des Trimmelements kein Zusammenhang bestehen. Weitere Einzelheiten zur Realisation dieser Funktion gibt der Klagepatentanspruch 1 nicht vor.
  34. 6.
    In Merkmalsgruppe 5 betrifft schließlich das „hintere Element“. Gemäß Merkmal 5.1 soll das Trimmelement zwischen dem hinteren Element und dem Gehäuse angeordnet sein („sandwiched beween the rear element an the housing“) sei. Ob es genügt, wenn diese Befestigung jedenfalls mittelbar erfolgt, kann angesichts des Streits der Parteien dahinstehen.
    Das hintere Element hat dabei die Funktion, das Trimmelement, dessen Befestigung von den Klammern unabhängig sein soll (Merkmal 4.2), zu halten. Diese Konstruktion sei vorteilhaft, weil es damit keiner spezifischen Befestigungselemente oder  organe für das Trimmelement bedarf und dass das hintere Element leicht und ohne Werkzeuge befestigt werden kann, vgl. Abs. [0007].
    Im Übrigen sind dem hinteren Element keine weiteren, zwingenden Funktionen oder Eigenschaften zugeschrieben. Lediglich fakultativ wird auf dem hinteren Element auch eine „primary cap“ bereitgestellt, vgl. die Ausführungen zum Ausführungsbeispiel in Abs. [0027] und [0028].
  35. III.
    Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht sämtliche Merkmale des Klagepatentanspruchs 1.
  36. 1.
    Bei der angegriffenen Ausführungsform handelt es sich um eine Rasierklingenkartusche, was zu Recht außer Streit steht.
    Die angegriffene Ausführungsform weist dabei auch ein Gehäuse im Sinne des Merkmals 1 auf. Dabei ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die angegriffene Ausführungsform jedenfalls ein Gehäuse aufweist.
    Streit herrscht über die Frage, ob der Verbindungsmechanismus zur Griffaufnahme, der von dem Gehäuse zur Aufnahme der Klingen gelöst werden kann, zum Gehäuse gehört.
    Dies ist nicht der Fall. Das Gehäuse im Sinne des Klagepatents erschöpft sich in dem Teil der Kartusche, in dem sich die Klingen befinden. Der davon lösbare Verbindungsmechanismus zählt hingegen nicht dazu. Der Teil zur Aufnahme der Klingen weist für sich genommen auch die erforderlichen Merkmale des Gehäuses im Sinnen des Anspruchs 1 auf. Es enthält die Klingen, erstreckt sich entlang einer Längsachse (Merkmal 1.1) und weist Längsseiten entlang dieser Längsachse auf eine Ober- und eine Unterseite auf (Merkmale 1.2 und 1.3).
  37. 2.
    Auch Merkmalsgruppe 2 ist verwirklicht, die angegriffene Ausführungsform weist mindestens eine Klinge – es sind sechs – auf (Merkmal 2), die in dem Gehäuse zwischen der ersten und der zweiten längslaufenden Seite befestigt ist (Merkmal 2.1) und die jeweils eine Schneidkante aufweist (Merkmal 2.2).
  38. 3.
    Die angegriffene Ausführungsform weist auch ein Trimmelement in Gestalt einer Trimmklinge auf, deren Trimmkante, also Schneide, so angeordnet ist, dass sie den Schneidkanten im Sinne des Klagepatents entgegengesetzt ist, also so, dass entweder die primären Schneidklingen genutzt werden können, oder das Trimmelement (Merkmalsgruppe 3).
  39. 4.
    Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht auch Merkmalsgruppe 4, indem sie zwei Clips aufweist. Diese halten auch die Schneidklingen im Gehäuse, Merkmal 4.1.
    Die Clips stehen auch nicht mit der Befestigung des Trimmelements in Zusammenhang, so dass Merkmal 4.2 verwirklicht ist.
  40. 5.
    Auch Merkmalsgruppe 5 ist durch die angegriffene Ausführungsform verwirklicht:
    Diese weist ein Verbindungselement auf, das auf der Unterseite des Gehäuses durch ein formschlüssiges Einrasten befestigt wird. Dieses Verbindungselement enthält die Trimmerklinge, die ihrerseits durch das Einrasten des Verbindungselements im hinteren Bereich des Gehäuses in ihrer Position angebracht wird. Das Verbindungselement selbst erstreckt sich seinerseits an der Unterseite des Gehäuses bis in den hinteren Bereich. Damit handelt es sich bei dem Verbindungselement um ein hinteres Element im Sinne des Merkmals 5, weil es das leistet, was das hintere Element nach dem Klagepatent in Merkmal 5.1 zu leisten hat: Es ist (auch) im hinteren Bereich des Gehäuses angeordnet und befestigt zumindest mittelbar das Trimmelement am Gehäuse.
    Dass das hintere Element bei der angegriffenen Ausführungsform auch der Befestigung des Griffes dient, führt aus der Lehre des Klagepatents nicht heraus.
  41. IV.
    Die Wirkungen des Klagepatents treten allerdings nicht gegen die Beklagte ein, § 12 Abs. 1 PatG.
    Die Beklagte kann sich mit Erfolg auf ein Vorbenutzungsrecht ihres Lieferanten, des Herstellers der angegriffenen Ausführungsform A, berufen, da ein dem Lieferanten und Hersteller zustehendes Vorbenutzungsrecht auch den nachfolgenden Handelsstufen zugute kommt, vgl. BGH Urt. v. 17.11.1970 – X ZR 13/69, BeckRS 1970, 00220; OLG Düssseldorf, InstGE 11, 193, juris Rz. 71.
  42. Gemäß § 12 Abs. 1 PatG tritt die Wirkung des Patents gegen denjenigen nicht ein, der zur Zeit der Anmeldung bereits im Inland die Erfindung in Benutzung genommen oder die dazu erforderlichen Veranstaltungen getroffen hat. Dieser Vorbenutzer ist befugt, die Erfindung für die Bedürfnisse des eigenen Betriebs in eigenen oder fremden Werkstätten auszunutzen.
    Die Beweislast für die Entstehungstatsachen und den Umfang des Vorbenutzungsrechts hat dabei derjenige, der sich darauf beruft (vgl. OLG Düsseldorf, GRUR 2018, 814, 816 – Schutzverkleidung für funktechnische Anlagen;  Benkard/Scharen, PatG, 11. Aufl., § 12 PatG Rn. 27; Schulte/Rinken, PatG, 10. Aufl., § 12 Rn. 30 jew. mwN), mithin hier die Beklagte.
  43. 1.
    Der Erwerb eines Vorbenutzungsrechts setzt zunächst – über den Wortlaut des § 12 PatG hinaus – voraus, dass der Handelnde selbständigen Erfindungsbesitz erlangt und diesen redlich erworben hat (OLG Düsseldorf, GRUR 2018, 814, 816 – Schutzverkleidung für funktechnische Anlagen).
    Erfindungsbesitz liegt vor, wenn die sich aus Aufgabe und Lösung ergebende technische Lehre objektiv fertig und subjektiv derart erkannt ist, dass die tatsächliche Ausführung der Erfindung möglich ist (BGH, GRUR 1964, 673 – Kasten für Fußabtrittsroste; BGH, GRUR 2010, 47 – Füllstoff; BGH, GRUR 2012, 895 – Desmopressin; OLG Düsseldorf, Urteil vom 14. März 2018 – I-15 U 49/16 – Schutzverkleidung für funktechnische Anlagen, Rn. 123, juris). Insoweit muss es zu einer Erkenntnis gekommen sein, die es jederzeit möglich macht, die technische Lehre planmäßig und wiederholbar auszuführen, woran es fehlen kann, wenn lediglich einzelne Exemplare „zufällig“ erfindungsgemäße Eigenschaften aufweisen (BGH, GRUR 2012, 895 – Desmopressin, Rn. 18, juris).
    Der Vorbenutzer muss daher subjektiv den Gedanken der objektiv vorliegenden Erfindung erkannt haben (OLG Düsseldorf, Urteil vom 14. März 2018 – I-15 U 49/16 – Schutzverkleidung für funktechnische Anlagen, Rn. 123). Hingegen ist es nicht erforderlich, dass der Handelnde über die Erkenntnis der gesicherten Ausführbarkeit der Erfindung hinausgehendes Wissen um vorteilhafte Wirkungen der Erfindung hat.
    Nach diesen Grundsätzen hatte A vor dem Anmeldetag des Klagepatents am 27. Februar 2014 Erfindungsbesitz hinsichtlich der schutzbeanspruchten Lehre. Dies steht aufgrund der von der Beklagten vorgelegten Unterlagen und der Vernehmung des Zeugen R zur Überzeugung der Kammer fest.
  44. Erfindungsbesitz hinsichtlich der Lehre des Schutzanspruchs 1 erlangte A spätestens mit ihrer Entscheidung, einzelne ihrer bisher angebotenen Rasierklingenkartuschen, darunter die Kartusche D hinsichtlich der Befestigung der Schneidklingen mittels Halteklammern zu verändern.
    Demnach teilte A mit Mail vom 5. Juli 2013 gegenüber der Beklagten mit, einzelne der von ihr bislang angebotenen und gelieferten Rasierklingenkartuschen zu verändern (Anlage B 11).
    Diese Mail enthielt, bestätigt durch die glaubhaften Angaben des Zeugen R, eine Datei mit der bildlichen Gegenüberstellung der mitgeteilten Änderungen, die mit der Anlage B 11 vorgelegt wurde. Diese Präsentation trägt den Titel „Modification on blade Clip“, also Änderung der Halteklammer, auf der zweiten Seite heißt es dazu weiter „The structure of the blade clips will be modified for improving production efficiency“. Auf dieser zweiten Seite sind dabei die Änderungen, die sich auf verschiedene Kartuschen beziehen, am Beispiel zweier nicht streitgegenständlicher Kartuschen mit Kreisen eingezeichnet:
  45. Bereits hieraus wird ersichtlich, dass die Änderungen entsprechend der Überschrift lediglich die Führung der Halteklammern betreffen. Dies gilt auch für die streitgegenständlichen D Kartuschen, die auf der letzten Seite gezeigt werden und mit Ausnahme der ausdrücklich angesprochenen Änderung der Klammerführung keine Abweichungen vom Vorgängermodell erkennen lassen:
  46. Aus den der Mail beigefügten bildlichen Darstellungen der (neuen) Rasierklingenkartuschen des Typs D und der Aussage des Zeugen R ergibt sich, dass A in der Lage war, die Lehre des Klagepatentanspruchs 1 planmäßig und wiederholbar auszuführen, und dies auch erkannt hatte, sich also im Erfindungsbesitz befand.
  47. a)
    Die Rasierklingenkartuschen des Typs D – sei es das bisherige Modell („before“) oder das neue Modell („after“), wie es in der Mail vom 5. Juli 2013 dargestellt wurde – weisen ein Gehäuse im Sinne der Merkmalsgruppe 1 auf. Es handelt sich dabei um das in beiden Versionen erkennbare graufarbene Bauteil, in dem die Schneidklingen aufgenommen sind. Von diesem Gehäuse ist die im Bild weiß gehaltene Griffaufnahme zu unterscheiden. Dass es sich dabei tatsächlich um zwei separate Bauteile handelt, wie sie auch die angegriffene Ausführungsform aufweist, ergibt sich aus der glaubhaften Aussage des Zeugen R. Demnach entsprach die (neue) D Kartusche mit der in der Mail vom 5. Juli 2013 angesprochenen geänderten Klammerführung mit Ausnahme von geringfügigen späteren Änderungen bereits der angegriffenen Ausführungsform. Zum einen wurde die für die Lehre des Klagepatentanspruchs 1 nicht relevante Rezeptur des Pflegestreifens geändert. Zum anderen unterscheidet sich die Griffaufnahme der angegriffenen Ausführungsform gegenüber der im Juli 2013 vorgestellten Version der Kartusche D dadurch, dass sie zwei zusätzliche Streben zur Stabilisierung aufweist (auf der untenstehenden Abbildung mit Pfeilen markiert) und ein Bereich in der Mitte oben in seinem Profil geändert wurde (in der Abbildung unten mit einem Kasten gekennzeichnet):
  48. Dies entspricht den glaubhaften Angaben des Zeugen R, der angegeben hat, dass sich die Änderungen der angegriffenen Ausführungsform gegenüber der im Juli 2013 mitgeteilten neuen Version der Kartusche D abgesehen vom geänderten Pflegestreifen in diesen beiden Modifikationen erschöpften.
    Die Kammer bewertet die Aussage des Zeugen insgesamt als glaubhaft. Er hat detailreich, unter Einschluss von Randgeschehen und in der Sache plausibel und anschaulich ausgesagt. Er hat dabei unter Einschluss von Details zu Kern- und Randgeschehen, frei von erheblichen Widersprüchen und mit der angesichts des Zeitablaufs zu erwartenden Genauigkeit ausgesagt. Er hat dabei den Verlauf der maßgeblichen Ereignisse plausibel und widerspruchsfrei in seine ebenfalls überzeugende Schilderung der allgemeinen Geschäftsabläufe einbetten können, und beispielsweise stets überzeugend darstellen und begründen können, warum einzelne Ereignisse wie bekundet geschehen sind. So hat er plausibel, sachkundig und nachvollziehbar schildern können, welchen technischen und faktischen Aufwand eine Umstellung der Produktion auch in bloßen Details der Spritzgussteile für den Hersteller bedeuten. Dies erfordere nämlich zunächst die Konstruktion neuer Spritzgussformen. Diese müssten dann zunächst als Prototypen auf ihre Funktion getestet werden. Dann würden sie ggf. in für eine Massenproduktion notwendiger Anzahl hergestellt. Dabei würde zwecks jederzeitiger Nachvollziehbarkeit etwaiger Fertigungsprobleme jeder einzelne Gussabschnitt jeder Form mit einer Individuellen Nummer versehen, so dass stets nachvollziehbar bleibe, aus welchem Abschnitt welcher Form ein Teil stamme. Schließlich müsste dann im Prinzip eine Testfertigung der gesamten Anlage stattfinden, um zu gewährleisten, dass tatsächlich alle Formen mit allen Abschnitten die geforderten Eigenschaften aufweisen. Diese umfang- und detailreichen Schilderungen lassen die Angaben, dass derart aufwändige Umgestaltungen einen erheblichen zeitlichen Vorlauf erfordern und möglichst vermieden werden und nur aus wichtigem Anlass vorgenommen werden und entsprechend selten vorkommen, ohne weiteres als glaubhaft erscheinen. Sie fügen sich nahtlos in die als Anlagen vorgelegten E-Mails zwischen er Beklagten und A ein, die erhebliche Umstellungszeiträume ausweisen: So zeigt bereits die Anlage B13, dass die ab sofort beginnende Umstellung der Produktion etwa ein halbes Jahr in Anspruch nimmt: Dort heißt es „The modification will start right after the listed pending orders below are produced“, wobei sich die entsprechenden „pending orders“ sich nicht auf D oder Pace 6 beziehen, sondern auf nicht streitgegenständliche Klingen. Nach dem weiteren Inhalt der Mail vom 5. Juli 2013 sollte der Produktion der geänderten Version Ende November anlaufen und die ersten Lieferungen im Januar 2014 erfolgen.
    Nach alledem ist die Kammer davon überzeugt, dass die im Juli 2013 präsentierte Version der (neuen) D Kartusche ein von der Griffaufnahme zu unterscheidendes Gehäuse aufwies, das mit dem Gehäuse der angegriffenen Ausführungsform identisch ist und damit der Merkmalsgruppe 1 entsprach.
  49. b)
    Dass die in der Mail vom 5. Juli 2013 präsentierte neue Gestaltung der D Kartuschen auch die Merkmale der Merkmalsgruppe 2 aufwiesen, ist anhand der abgebildeten Kartuschen ohne weiteres ersichtlich.
  50. c)
    Die Version der D Kartusche, wie sie mit der Mail vom 5. Juli 2013 erstmals vorgestellt wurde, wies auch ein Trimmelement mit einer Trimmkante im Sinne der Merkmalsgruppe 3 auf. Das Trimmelement ist zwar nicht unmittelbar aus der bildlichen Darstellung ersichtlich. Allerdings weist bereits die Bezeichnung „D (S)“ der Kartusche in der Präsentation vom 5. Juli 2013 darauf hin, dass die Kartusche ein Trimmelement aufwies.
    Der Zeuge R hat auch glaubhaft ausgesagt, dass „D“ mit den zugehörigen A-Artikelnummern 5000 bzw. 5040 die Version der Kartusche mit Trimmerklinge bezeichnet. Diese kann man an allen erhältlichen Griffen anbringen, da die Kupplung einheitlich ist. Der Griff für E trug dabei die A-Artikelnummer T, und wurde in China hergestellt, weshalb die Lieferung der Blister mit Griff und einer Klinge wie aus Anlage B 24 ersichtlich aus China stammte.
    Im Übrigen ergibt sich – wie ausgeführt – aus der Aussage des Zeugen R, dass die Kartusche D vom 5. Juli 2013 mit Ausnahme der Rezeptur des Pflegestreifens und zweier geringfügiger Modifikationen der Griffaufnahme mit der angegriffenen Ausführungsform identisch ist, mithin auch ein Trimmelement aufweist, dessen Trimmkante den Schneidkanten der Schneidklingen entgegengesetzt ist.
  51. d)
    Die Darstellung der geänderten Version der Kartusche D in der Mail vom 5. Juli 2013 lässt auch zwei Clips erkennen, die sämtliche Merkmale der Merkmalsgruppe 4 verwirklichen.
    Infolge der Änderung zeigt die D Kartusche nunmehr die klagepatentgemäße Klammerführung. Es werden nicht mehr – wie ursprünglich – beide Klammerschenkel durch das Gehäuse geführt werden, sondern nur noch einer der Schenkel, während der andere um die Längsseite des Gehäuses herumgeführt wird und dann nach auf die Unterseite des Gehäuses umgelegt wird. Erkennbar sind die beiden die Klingen haltenden Clips, von denen jeweils ein Schenkel durch eine Durchtrittsöffnung geführt ist und der andere um die Außenseite des Gehäuses geführt ist. Die umgelegten Enden aller Schenkel sind durch die Aussparungen in der rückseitig angesetzten, weißen Griffaufnahme auch sichtbar, die Anordnung entspricht genau der nachstehend wiedergegebenen angegriffenen Ausführungsform:
  52. Dabei lässt die in der Mail vom 5. Juli 2013 wiedergegebene Darstellung der Rückseite der Kartusche auch erkennen, dass dadurch, dass der auf den Bildern obere Schenkel des Clips um das Gehäuse herumgeführt wird, sein umgelegtes Ende „nach oben wandert“. Dies ergibt sich aus dem vergrößerten Ausschnitt der rechten Seite der in der Mail vom 5. Juli 2013 dargestellten Kartuschen D:
    Vorher:    Nachher:
  53. e)
    Die Kammer hat auch keine Zweifel daran, dass sich der Erfindungsbesitz von A auf ein hinteres Element Sinne der Merkmalsgruppe 5 bezog. Wie bereits ausgeführt, entsprach die im Juli 2013 angekündigte (neue) Version der Kartusche D mit Ausnahme der bereits erwähnten Änderungen der angegriffenen Ausführungsform. Bereits im Juli 2013 war also eine Griffaufnahme mit dem hinteren Element zur Anordnung des Trimmelements zwischen sich und dem Gehäuse vorhanden. Bei der technischen Umsetzung durch einen Einrastmechanismus handelt es sich um ein gewillkürtes konstruktives Merkmal und nicht um eine zufällige oder unbewusste Nebenfolge der Herstellung.
    Die Änderungen an der Griffaufnahme, die letztlich zur angegriffenen Ausführungsform 2 in der heute vorliegenden Form führten, berühren nicht die Merkmale des Klagepatents und sind damit auch für den Erfindungsbesitz irrelevant. Denn die im Klagepatent verlangten Eigenschaften des hinteren Elements sind von den späteren Stabilisierungsmaßnahmen der Griffaufnahme durch A unabhängig. Für die vom Zeugen R ebenfalls angesprochene Änderung der Rezeptur des Pflegestreifens gilt dasselbe.
  54. f)
    Steht nach der Präsentation der (neuen) Kartusche D mit der Mail vom 5. Juli 2013 und der Aussage des Zeugen R fest, dass die Lehre des Klagepatents zu diesem Zeitpunkt erkannt war, die Kartusche sogar abgesehen von den bereits erwähnten geringfügigen Abweichungen bereits der angegriffenen Ausführungsform entsprach, kann dieser Erfindungsbesitz auch ohne weiteres A zugerechnet werden. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Absender der Mail vom 5. Juli 2013. Vielmehr entsprechen dem auch die Angaben des Zeugen R, der glaubhaft zu berichten wusste, dass es sich bei dem auf der Präsentation ausgewiesenen „Institute of Technology“ um die Entwicklungsabteilung von A gehandelt habe und dass der Anlass der Änderungen nach seiner Erinnerung war, dass die vorherige Klammerführung von Wettbewerbern als schutzrechtsverletzend gerügt worden war.
  55. 2.
    A betätigte ihren Erfindungsbesitz im Inland bereits vor dem Anmeldetag des Klagepatents.
    Die Betätigung des Erfindungsbesitzes kann durch Benutzungshandlungen im Sinne von § 9 PatG erfolgen. Eine Benutzung im Sinne von § 12 PatG umfasst alle Benutzungsarten von § 9 PatG. Da diese untereinander gleichwertig sind, genügt die Vornahme einer Benutzungsart (BGH, GRUR 1969, 35 – Europareise).
    Vorliegend hat A die Klingen in der neuen Version mit der Mail vom 5. Juli 2013 bereits im Sinne des § 9 S. 2 Nr. 1 PatG der im Inland ansässigen Beklagten angeboten.
    Anbieten ist dabei jede Handlung, die nach ihrem objektiven Erklärungswert den Gegenstand der Nachfrage in äußerlich wahrnehmbarer Weise zum Erwerb der Verfügungsgewalt bereitstellt, wobei der feilgehaltene Gegenstand nicht zu existieren braucht (Schulte/Rinken, PatG, 10. Aufl.: § 9 Rn. 61 und 64).
    Nach diesen Maßgaben ist die Mail vom 5. Juli 2013 ein solches Angebot. Denn A bittet die Beklagte konkret um die Platzierung von Ordern für die neue Version: „Therefore, please let us know your following order plan and its quantity of each during the modification period which is the same meaning of production stop.“
    Dies nahm die Beklagte zum Anlass, ihrerseits bei ihren Abnehmern um die Platzierung von Bestellungen nachzusuchen, wie sich (unter anderem) aus dem als Anlage B 15 zur Akte gereichten, aus dem Juli 2013 stammenden Mailverkehr mit E über konkrete Bestellungen ergibt, der in der Sache unstreitig geblieben ist. Auch hierin liegt ein Angebot im Sinne des § 9 S. 2 Nr. 1 PatG. Dies bezog sich ausweislich des Verpackungsdesigns (Anlage B 16 bis B 18) auf die im Juli vorgestellte neue Ausgestaltung der Klammerführung.
  56. A betätigte ihren Erfindungsbesitz auch dadurch, dass sie entsprechende Kartuschen des Typs D (und ganze Rasierer) noch vor dem Anmeldetag des Klagepatents im Sinne von § 9 S. 2 Nr. 1 PatG in der Bundesrepublik Deutschland in den Verkehr brachte. Die erste Lieferung von Griffen inklusive Kartuschen des Typs D mit dem geänderten Design traf nach dem als Anlage B23 vorgelegten Lieferschein am 18. Februar 2014 bei der Beklagten ein und wurde von dort am 22. Februar 2014 und damit ebenfalls noch vor dem Anmeldetag an E weiterversendet. Der Zeuge R hat auch dazu glaubhafte Angaben machen können, insbesondere dass es sich anhand der Menge nicht um Muster gehandelt haben könne, aber auch weil Muster generell nie im fertigen Blister geliefert würden.
    Angesichts des bereits erörterten Inhalts der Mail vom 5. Juli 2013 liegt auch nichts dafür vor, dass nach Juli 2013 noch alte Versionen der Kartusche D angeboten oder geliefert wurden. Nach der Mail erfolgte die Umstellung der Produktion vielmehr ab sofort, unter den noch abzuarbeitenden Orders finden sich keine D Kartuschen des alten Typs. Auch der Zeuge R hat glaubhaft bestätigt, dass die im Januar 2014 auf den Weg gebrachten Kartuschen bereits solche der neuen Version waren, und anhand der auf den als Anlage B 24 und B 25 vorgelegten Lieferscheinen ersichtlichen Batchnummern auch das Produktionsdatum im November 2014 verorten können.
  57. 3.
    Die unstreitigen Änderungen, die nach 2014 erfolgten, stellen auch keine für das Vorbenutzungsrecht schädliche Abwandlung der angegriffenen Ausführungsform dar:
    Der Zweck, nur ausnahmsweise aus Billigkeitsgründen den Besitzstand des Vorbenutzers gegenüber dem Ausschließlichkeitsrecht des Schutzrechtsinhabers zu schützen, ist bei der Auslegung zu berücksichtigen (BGHZ 182, 231 = GRUR 2010, 47 – Füllstoff) und führt dazu, dass das Vorbenutzungsrecht grundsätzlich nur diejenige Ausführungsform abdeckt, die tatsächlich benutzt oder deren alsbaldige Benutzung vorbereitet worden ist (OLG Düsseldorf, GRUR 2018, 814, 816 –Schutzverkleidung für funktechnische Anlagen). Andernfalls würden seine Befugnisse in einer von Sinn und Zweck der Ausnahmeregelung nicht mehr gedeckten Weise erweitert. Mit der Befugnis zur Benutzung auch von Abwandlungen würde zu seinen Gunsten nicht lediglich der bei der Anmeldung des Schutzrechts vorhandene Besitzstand geschützt, sondern dieser unter gleichzeitiger weiterer Einschränkung des Rechts an dem Schutzrecht  auf ursprünglich nicht Vorhandenes erstreckt. Hierfür fehlt es sowohl im Hinblick auf die Funktion der Regelung als auch auf das ihr zugrunde liegende Regel-Ausnahmeverhältnis an einer Rechtfertigung. Insbesondere gebietet die Billigkeit eine solche Ausweitung nicht (BGH, GRUR 2002, 231 – Biegevorrichtung).
    Weiterentwicklungen der Vorbenutzung, die den Schutzbereichseingriff vertiefen, sind daher nicht vom Vorbenutzungsrecht umfasst (BGH, GRUR 2002, 231 – Biegevorrichtung; s. zum Designrecht auch BGH, GRUR 2018, 72 – Bettgestell; OLG Düsseldorf, Urt. v. 20.8.2009 – 2 U 6/04, BeckRS 2010, 22208). Dies ist etwa dann der Fall, wenn nachträgliche Veränderungen des vorbenutzten Gegenstands erstmals eine wortsinngemäße Verwirklichung des Schutzrechtsanspruchs darstellen, weil etwa erstmals ein konkretes Anspruchsmerkmal wortsinngemäß verwirklicht wird, und zwar unabhängig davon, ob es für den Fachmann naheliegend oder sogar selbstverständlich war (BGH, GRUR 2002, 231 – Biegevorrichtung). Dies gilt auch für vorteilhafte Abwandlungen, die Gegenstand eines Unteranspruchs sind. Daher ist es vom Vorbenutzungsrecht nicht gedeckt, wenn erstmals von einer den Hauptanspruch verwirklichenden Ausführung auf eine die Lehre eines Unteranspruchs verwirklichende Gestaltung übergegangen wird (Benkard/Scharen, § 12 PatG Rn. 22; Kühnen, Hdb. d. Patentverletzung, 11. Aufl., Kap. E 513; OLG Düsseldorf, GRUR 2018, 814, 816 – Schutzverkleidung für funktechnische Anlagen).
    Bei Veränderungen am vorbenutzten Gegenstand, die sich innerhalb einer wortsinngemäßen Verwirklichung des Schutzrechtsanspruchs bewegen, ist hingegen zu differenzieren: Abwandlungen der vorbenutzten Ausführungsform, die in Kenntnis dieser Ausführungsform und vor Offenbarung des Klageschutzrechts für den Fachmann ohne schöpferische Tätigkeit auffindbar waren, darf der Vorbenutzer vornehmen. Demzufolge nicht naheliegende Abwandlungen sind dagegen nur zulässig, wenn sie durch das Patent, dem gegenüber das Vorbenutzungsrecht geltend gemacht wird, ihrerseits nicht offenbart oder nahegelegt werden (Keukenschrijver, GRUR 2001, 944 (947); ihm folgend OLG Jena, GRUR-RR 2008, 115 – Bodenbelagsbeschichtungen; LG München I, Urt. v. 30.7.2015 – 7 O 26546/13, BeckRS 2016, 14738; ähnlich Benkard/Scharen, PatG, 11. Aufl.: § 12 PatG Rn. 22; Schulte/Rinken, PatG, 10. Aufl.: § 12 Rn. 24).
    Nach diesen Maßstäben liegt vorliegend eine schädliche Abwandlung nicht vor.
    Dies gilt ohne weiteres für die Änderung der vom Klagepatent nicht behandelten Rezeptur des Pflegestreifens.
    Die weiteren in der Sache unstreitigen Änderungen betreffen die als „hinteres Element“ fungierende Griffaufnahme. Nach der Lehre des Klagepatentanspruchs dient das hintere Element jedenfalls mittelbar der Befestigung des Trimmelements, indem dieses zwischen dem hinteren Element und dem Gehäuse angeordnet sein soll.
    Die Änderungen an der Griffaufnahme der vorbenutzten Kartusche D wurden vorgenommen, um die Griffaufnahme gegenüber Krafteinwirkungen bei der Benutzung des Rasierers zu stabilisieren. Die technischen Eigenschaften der vorbenutzten Kartusche, welche die Merkmale 5 und 5.1 des Klagepatentanspruchs offenbaren,  blieben davon jedoch unberührt. Dies steht nach der Vernehmung des Zeugen R fest.
    Die Änderungen verwirklichen auch nicht erstmals einen Unteranspruch und sind auch sonst nicht im Klagepatent offenbart. Die Unteransprüche 7 bis 9 des Klagepatents stellen zwar einen Einrastmechanismus unter Schutz. Demnach soll das hintere Element in das Gehäuse eingerastet sein (Unteranspruch 7). Weiterhin kann das Gehäuse dafür eine Aussparung umfassen (Unteranspruch 8)  und diese Aussparung einen Vorsprung umfassen, mit dem ein Haken zusammenwirkt, den ein erster Arm des hinteren Elements aufweist (Unteranspruch 9). Nach dem unstreitigen Vortrag der Parteien, bestätigt durch die Vernehmung des Zeugen  R, steht jedoch fest, dass die Griffaufnahme bereits vor dem Anmeldetag des Klagepatents einen Einrastmechanismus aufwies, mit dem sie am Gehäuse befestigt wurde. Die zwei bereits vorhandenen Stege wurden lediglich um zwei weitere Stege ergänzt, die mit entsprechenden Haken des Gehäuses korrespondieren. Diese Anordnung entspricht bereits nicht den Anordnungen der Unteransprüche 8 und 9. Abgesehen davon war die Ergänzung um weitere Stege und Haken, soweit man insoweit überhaupt von einer Vertiefung des Eingriffs in den Schutzbereich ausgehen will,  ausgehend von dem bereits vorhandenen Einrastmechanismus naheliegend.
    Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, Figur 4 und 5 des Klagepatents zeigten genau vier Aussparungen im Gehäuse, in die vier Schenkel des hinteren Elements pressgepasst werden sollen, um das hintere Element zu befestigen (Abs. [0034]), greift auch das nicht durch. Es handelt sich um einen völlig anderen Befestigungsmechanismus, als ihn die vorbenutzte Kartusche D oder die angegriffene Ausführungsform verwendet.
  58. V.
    Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.

Schreibe einen Kommentar