Düsseldorfer Entscheidungsnummer: 2902
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 09. Juli 2019, Az. 4b O 146/17
- Die Klage wird abgewiesen.
- Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
- Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
- Tatbestand
- Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 2 853 XXX B1 (Klagepatent) auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Vernichtung und Rückruf sowie Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch.
- Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des Klagepatents, das am 25. September 2013 angemeldet wurde. Die Anmeldung wurde am 1. April 2015 veröffentlicht, der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents am 10. August 2016. Das Klagepatent steht in Kraft.
Die A Co., Ltd. legte am 10. Mai 2017 Einspruch gegen die Erteilung des Klagepatents ein. Über den Einspruch wurde noch nicht entschieden. Die Beklagte ist dem Einspruchsverfahren beigetreten. - Das Klagepatent, das in englischer Verfahrenssprache abgefasst ist, betrifft einen Rasierklingenkopf. Sein Anspruch 1 lautet in der deutschen Fassung:
Eine Rasierklingenkartusche (1) umfassend:
ein Gehäuse (9), das sich entlang einer längslaufenden Achse (X-X) erstreckt, mit einer oberen Seite (11), einer unteren Seite (13), die gegenüber der oberen Seite (11) ist, und mit einer ersten und einer zweiten längslaufenden Seite (15, 17), wobei jede sich längslaufend entlang der längslaufenden Achse (X-X) zwischen der oberen und unteren Seite erstreckt, wobei das Gehäuse (9) mit einem Durchgangsloch (93) versehen ist, das sich querlaufend zu der längslaufenden Achse (X-X) durch das Gehäuse (9) zwischen der oberen Seite (11) und der unteren Seite (13) erstreckt,
mindestens eine Schneidklinge (35), die in dem Gehäuse (9) zwischen der ersten und zweiten längslaufenden Seite (15, 17) befestigt ist, und die eine Schneidkante aufweist, die sich entlang der längslaufenden Achse (X-X) erstreckt, eine Klammer (55), die die mindestens eine Schneidklinge (35) in dem Gehäuse (9) hält, und einen ersten Schenkel (59), einen zweiten Schenkel (61) und einen Klammerkörper (63), der sich zwischen dem ersten und zweiten Schenkel erstreckt (59, 61), aufweist,
dadurch gekennzeichnet, dass
der erste Schenkel (59) der Klammer (55) die erste längslaufende Seite (15) und mindestens einen Bereich der unteren Seite (13) des Gehäuses (9) umgibt, und der zweite Schenkel (61) der Klammer (55) in dem Durchgangsloch (93) aufgenommen wird. - Anspruch 16 des Klagepatents lautet in der deutschen Fassung:
Ein Rasierer (3) umfassend einen Handgriff (7) und eine Rasierklingenkartusche (1) gemäß einen der vorhergehenden Ansprüche, wobei die Rasierklingenkartusche (1) mit dem Handgriff (7) verbunden ist. - Die folgenden Zeichnungen erfindungsgemäßer Ausführungsformen stammen aus der Klagepatentschrift und zeigen eine perspektivische Ansicht einer Rasierklingenkartusche (Fig. 1) und eine Explosionsansicht dieser Kartusche (Fig. 2):
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Die Beklagte ist ein deutsches Unternehmen, das von dem südkoreanischen Hersteller A Co., Ltd. (im Folgenden kurz: A) hergestellte Nassrasierer samt zugehöriger Klingenkartuschen mit der Bezeichnung „B System“ mit Trimmerklinge („C“ oder „D“) in Deutschland einführt und hier anbietet und verkauft.
Die Klägerin greift die Nassrasierer inklusive der Klingenkartusche mit Trimmerklinge (angegriffene Ausführungsform 1) und die einzelnen Kartuschen mit Trimmerklinge (angegriffene Ausführungsform 2) an. Dabei liefert die Beklagte die angegriffenen Ausführungsformen an mehrere deutsche Handelsunternehmen, die sie unter ihren jeweiligen Eigenmarken verkaufen, so unter anderem an die Drogeriekette E, die sie unter der Eigenmarke „F“ anbietet, an die Drogeriekette G (Eigenmarke „H“) und an I (Eigenmarke „J“). Weiter verkauft die Beklagte die angegriffenen Ausführungsformen an K, L und M unter deren jeweiligen Eigenmarken.
Die angegriffene Ausführungsform 2 verfügt über sechs Klingen und auf der von den Schneiden abgewandten Seite über ein entfernbares Element, das einerseits zur Aufnahme des Handgriffs des Nassrasierers dient und zudem der Befestigung einer Trimmerklinge.
Die angegriffene Kartusche weist das in den folgenden Abbildungen gezeigte Aussehen auf:
Ansicht der Seite mit den Schneiden der sechs Klingen: - Ansicht der anderen Seite mit montierter Aufnahme für den Griff:
- Ansicht derselben Seite wie im vorangegangenen Bild mit entfernter Aufnahme für den Griff:
- Ansicht der abmontierten Griffaufnahme samt Trimmerklinge:
- Die Klägerin ist der Ansicht, die angegriffenen Ausführungsformen machten von der Lehre der Ansprüche 1 und 16 des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch.
Dies gelte auch für die das Gehäuse betreffenden Merkmale der Ansprüche. Das Gehäuse sei der Teil, in den die Schneidklingen aufgenommen würden.
Das Klagepatent schließe insbesondere nicht aus, dass weitere Bauteile als die in den Ansprüchen benannten Verwendung finden, etwa um die Kartusche am Griff zu befestigen. Solche Teile seien aber nicht Bestandteile des Gehäuses. - Die Klägerin ist der Ansicht, ein Vorbenutzungsrecht der Beklagten bestehe nicht; sie bestreitet in diesem Zusammenhang mit Nichtwissen, dass die Ausführungsform, auf die sich die Beklagte zur Stützung ihres Vorbenutzungsrechts beruft, die klagepatentwesentlichen Eigenschaften der angegriffenen Ausführungsform aufweise und dass sie so auf den Markt gelangt sei. Aus dem Vortrag der Beklagten ergebe sich, dass es verschiedene Ausführungsformen gegeben habe. Soweit von einer Kartusche des Typs „O“ die Rede sei, fehle es dieser Kartusche an einer Trimmerklinge. Auch das mit Mail vom 5. Juli 2013 übersandte geänderte Design der Kartuschen lasse eine Trimmerklinge nicht erkennen. Erst die von A am 17. Januar 2014 auf den Weg gebrachte Kartusche „O Trimmklinge“ habe eine Trimmerklinge aufgewiesen. Die angegriffene Kartusche habe jedoch davon abweichend wiederum eine andere Ausgestaltung. Die Änderungen am Gehäuse in Form eines zusätzlichen Flächenelements und zweier zusätzlicher Stege korrespondierten an der Griffaufnahme mit zusätzlichen Haken. Diese geänderte Konstruktion sei gegenüber dem vorherigen Design nicht der Kartuschen naheliegend gewesen.
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Die Klägerin beantragt,
I. die Beklagte zu verurteilen,
I.1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, wobei die Ordnungshaft an den jeweiligen gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollziehen ist und insgesamt zwei Jahre nicht übersteigen darf, zu unterlassen,
Rasierklingenkartuschen in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen, welche jeweils die folgenden Merkmale umfassen:
ein Gehäuse, das sich entlang einer längslaufenden Achse erstreckt, mit einer oberen Seite, einer unteren Seite, die gegenüber der oberen Seite ist, und mit einer ersten und einer zweiten längslaufenden Seite, wobei jede sich längslaufend entlang der längslaufenden Achse zwischen der oberen und unteren Seite erstreckt, wobei das Gehäuse mit einem Durchgangsloch versehen ist, das sich querlaufend zu der längslaufenden Achse durch das Gehäuse zwischen der oberen Seite und der unteren Seite erstreckt,
mindestens eine Schneidklinge, die in dem Gehäuse zwischen der ersten und zweiten längslaufenden Seite befestigt ist, und die eine Schneidkante aufweist, die sich entlang der längslaufenden Achse erstreckt,
eine Klammer, die die mindestens eine Schneidklinge in dem Gehäuse hält, und einen ersten Schenkel, einen zweiten Schenkel und einen Klammerkörper, der sich zwischen dem ersten und zweiten Schenkel erstreckt, aufweist,
wobei der erste Schenkel der Klammer die erste längslaufende Seite und mindestens einen Bereich der unteren Seite des Gehäuses umgibt, und der zweite Schenkel der Klammer in dem Durchgangsloch aufgenommen wird;
(Anspruch 1 der EP 2 853 XXX B1)
insbesondere, wenn
der Klammerkörper sich entlang einer querlaufenden Achse erstreckt, wobei die querlaufende Achse orthogonal zu der längslaufenden Achse ist, und wobei der Klammerkörper so angeordnet ist, dass er der oberen Seite der Klingenkartusche zugewandt ist (Patentanspruch 2);
der zweite Schenkel der Klammer zumindest um einen Teil der unteren Seite gebogen ist (Patentanspruch 3);
das Gehäuse einen Ausschnitt definiert, wobei der erste Schenkel der Klammer den Ausschnitt umgibt (Patentanspruch 7);
die Rasierklingenkartusche weiter mit einer zweiten Klammer versehen ist, die die mindestens eine Schneidklinge in dem Gehäuse hält, wobei die zweite Klammer einen ersten Schenkel, einen zweiten Schenkel und einen Klammerkörper, der sich zwischen dem ersten und zweiten Schenkel erstreckt, aufweist, und wobei der zweite Schenkel der zweiten Klammer in einem zweiten Durchgangsloch, das in dem Gehäuse vorgesehen ist und sich durch das Gehäuse zwischen der oberen Seite und der unteren Seite erstreckt, aufgenommen wird, und der erste Schenkel der zweiten Klammer die erste längslaufende Seite und mindestens einen Teil der unteren Seite des Gehäuses umgibt (Patentanspruch 11);
die untere Seite des Gehäuses einen Vorsprung umfasst, der sich zwischen einem ersten und einem zweiten Ende der Klammer erstreckt (Patentanspruch 14);
das Gehäuse eine Nut auf der ersten längsverlaufenden Seite umfasst, wobei der erste Schenkel der Klammer die erste längsverlaufende Seite umgibt, indem sie in der Nut verläuft (Patentanspruch 15); - hilfsweise zu I.1.:
es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, wobei die Ordnungshaft an den jeweiligen gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollziehen ist und insgesamt zwei Jahre nicht übersteigen darf, zu unterlassen,
Rasierklingenkartuschen in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen, welche jeweils die folgenden Merkmale umfassen:
ein Gehäuse, das sich entlang einer längslaufenden Achse erstreckt, mit einer oberen Seite, einer unteren Seite, die gegenüber der oberen Seite ist, und mit einer ersten und einer zweiten längslaufenden Seite, wobei jede sich längslaufend entlang der längslaufenden Achse zwischen der oberen und unteren Seite erstreckt, wobei das Gehäuse mit einem Durchgangsloch versehen ist, das sich querlaufend zu der längslaufenden Achse durch das Gehäuse zwischen der oberen Seite und der unteren Seite erstreckt,
mehr als drei Schneidklingen, die in dem Gehäuse zwischen der ersten und zweiten längslaufenden Seite befestigt sind, und die jeweils eine Schneidkante aufweisen, die sich entlang der längslaufenden Achse erstreckt,
eine Klammer, die die mehr als drei Schneidklingen in dem Gehäuse hält, und einen ersten Schenkel, einen zweiten Schenkel und einen Klammerkörper, der sich zwischen dem ersten und zweiten Schenkel erstreckt, aufweist,
wobei der erste Schenkel der Klammer die erste längslaufende Seite und mindestens einen Bereich der unteren Seite des Gehäuses umgibt, und der zweite Schenkel der Klammer in dem Durchgangsloch aufgenommen wird, und
wobei die untere Seite des Gehäuses einen Vorsprung umfasst, der sich zwischen einem ersten und einem zweiten Ende der Klammer erstreckt;
I.2. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, wobei die Ordnungshaft an den jeweiligen gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollziehen ist und insgesamt zwei Jahre nicht übersteigen darf, zu unterlassen,
Rasierer in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen, welche jeweils die folgenden Merkmale umfassen: einen Handgriff und eine unter Ziffer I.1 bezeichnete Rasierklingenkartusche, wobei die Rasierklingenkartusche mit dem Handgriff verbunden ist;
(Anspruch 16 der EP 2 853 XXX B1)
I.3. der Klägerin Auskunft zu erteilen und durch Vorlage eines geordneten Verzeichnisses darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie seit dem 10. September 2016 die unter den Ziffern I.1. und 1.2. bezeichneten Handlungen begangen hat, und zwar unter Angabe
a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse, der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer sowie der bezahlten Preise,
b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, zeiten und -preisen sowie der Typenbezeichnungen und der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,
c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen, sowie der Typenbezeichnungen und der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
e) sowie der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des jeweils erzielten Gewinns,
wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser bezeichneten, dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernimmt und ihn ermächtigt, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist, und
wobei die Beklagte zum Nachweis der Angaben zu a) und b) die entsprechenden Einkaufs- und Verkaufsbelege (Rechnungen) in Kopie vorzulegen hat, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der rechnungslegungspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
II. die Beklagte zu verurteilen,
II.1. die vorstehend in den Ziffern I.1. und I.2. bezeichneten, im Besitz gewerblicher Abnehmer befindlichen und nach dem 10. September 2016 in der Bundesrepublik Deutschland angebotenen und/oder an Dritte in den Verkehr gebrachten und/oder gebrauchten und/oder zu diesen Zwecken besessenen Erzeugnisse
zurückzurufen, indem diejenigen gewerblichen Abnehmer, die sich im Besitz dieser Erzeugnisse befinden, darüber schriftlich informiert werden, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 2 853 XXX B1 erkannt hat, ihnen ein Angebot zur Rücknahme dieser Erzeugnisse durch die Beklagten unterbreitet wird und den gewerblichen Abnehmern für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Erstattung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises bzw. eines sonstigen Äquivalents für die zurückgerufenen Erzeugnisse, oder der Austausch der Erzeugnisse sowie die Übernahme der Verpackungs- und Transport- bzw. Versendungskosten für die Rückgabe zugesagt wird, und die zurückgerufenen und an sie zurückgegebenen Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen;
II.2. die in der Bundesrepublik Deutschland in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder Eigentum befindlichen, zu vorstehend in Ziffern I.1. und I.2. bezeichneten Erzeugnisse zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von ihr zu benennenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf ihre Kosten herauszugeben;
III. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter den Ziffern I.1. und 1.2. bezeichneten, in der Bundesrepublik Deutschland seit dem 10. September 2016 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird. - Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen;
hilfsweise den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das das Europäische Patent EP 2 853 XXX B1 (Klagepatent) betreffende Einspruchsverfahren auszusetzen. - Die Beklagte ist der Ansicht, dass die angegriffenen Ausführungsformen das Klagepatent nicht verletzten, weil es jedenfalls daran fehle, dass ein Schenkel der Halteklammer mindestens einen Bereich der Unterseite des Gehäuses umfasse. Denn das Halteelement, das bei der angegriffenen Ausführungsform der Befestigung des Griffes diene, sei Teil des Gehäuses im Sinne des Klagepatents und bilde dessen Unterseite und werde gerade nicht von Schenkeln der Klammer umfasst.
- Die Beklagte ist der Ansicht, ihr stehe ein Vorbenutzungsrecht zu. Zudem könne sie sich als Abnehmerin auf ein Vorbenutzungsrecht der A berufen. Sie trägt dazu vor, sie beziehe seit 2003 Rasierprodukte von der A und vermarkte diese im eigenen Namen in Deutschland. Schriftliche Verträge existierten erst seit 2016.
Seit 2010 habe dabei die Drogeriekette E (im Folgenden kurz E) den „P“ von der Beklagten bezogen und unter dem Namen „O“ verkauft. Dieser habe bis 2012 je Halteklammer zwei Durchtrittslöcher aufgewiesen.
In den Jahren 2010 bis 2013 habe E dabei ein Modell ohne Trimmerklinge bezogen, das bei dem Hersteller A die Bezeichnung XXX 1000 habe, die Viererpakete der zugehörigen Kartuschen die Bezeichnung XXX 1040. - Zu Beginn des Jahres 2013 habe E entschieden, dass man zukünftig Kartuschen mit Trimmerklingen anbieten wolle, die A bereits im Jahr 2012 entwickelt habe. Dies sei mit der Beklagten am 30. Januar 2013 telefonisch vereinbart und unter dem 31. Januar 2013 schriftlich bestätigt worden (vorgelegt als Anlage B 13, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird).
Die Version mit Trimmerklinge habe bei A die interne Bezeichnung D erhalten, die Kartusche die interne Artikelnummer XXX 5000, der Viererpack Kartuschen die Nummer 5040, wobei die 40 darauf verweise, dass es sich um einen Blister mit 4 Klingen des Typs 5000 handele.
Am 05. Juli 2013 habe A per Mail an die Beklagte ein neues Design verschiedener Kartuschentypen für die im November 2013 anlaufende Produktion vorgestellt, darunter auch das des D, (vorgelegt als Anlage B 15, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird).
E habe per Lieferbestätigung vom 18. Juli 2013 D Rasierer und Kartuschen bestellt. Die Beklagte habe dies per gleichlautender Lieferbestätigung vom 22. Juli 2013 bestätigt (beide vorgelegt als Anlage B 17, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird).
Die Bestellung habe sich dabei auch auf den D mit Trimmerklinge bezogen, die unter dem Namen O.1 vermarktet werden sollte. Die Bestellungen und das Verpackungsdesign hätten sich dabei auf die neue Version mit einem das Gehäuse umgreifenden Klammer-Schenkel bezogen. Dies ergebe sich einerseits aus einer entsprechenden Mail der Beklagten an E vom 10. September 2013, in der auf die Designänderung am Produkt hingewiesen worden sei (Anlage B 22, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird), sowie aus dem Mailverkehr vom 13., 17. und 20. September 2013 zwischen der Beklagten und E zur Festlegung des Verpackungsdesigns (Anlage B 18 bis B 20, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird). Die Beklagte wiederum habe die Order für E am 13. September 2013 bei A eingereicht (Anlage B 21, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird).
Dabei zeige eine Mail von A an die Beklagte vom 23. Oktober 2013 (Anlage B 24, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird), dass die Bestellungen der angegriffenen Ausführungsformen für E ursprünglich nach der Umstellung auf das neue Produkt und Aufnahme der Fertigung ab November verschifft werden sollten.
Die erste Lieferung sei von A nach Produktionsbeginn Ende Oktober / Anfang November 2013 am 17. Januar 2014 auf den Transportweg gegeben worden und ausweislich des Lieferscheins am 18. Februar 2014 bei der Beklagten eingegangen (Anlage B 25, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird) und von dort am 21. Februar 2014 an E geliefert worden (Anlage B 27, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird).
Später seien nur noch marginale Änderungen an nicht patentwesentlichen Eigenschaften vorgenommen worden, die zudem – folgte man der Auslegung der Klägerin – nicht das Gehäuse, sondern allein das Verbindungsstück zum Griff beträfen, an dem ein Bereich abgeflacht worden sei und jeweils rechts und links ein weiterer Steg angebracht worden sei. - Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
- Die Kammer hat die Akten 4b O 157/17 und 4b O 99/18 beigezogen. Außerdem hat sie Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen Q gemäß Beweisbeschluss vom 23. Mai 2019. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 23. Mai 2019 Bezug genommen.
- Entscheidungsgründe
-
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klage hat sowohl mit dem Haupt- als auch mit dem Hilfsantrag keinen Erfolg.
Der Klägerin stehen gegen die Beklagte keine Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf, Vernichtung und Feststellung der Schadensersatzpflicht dem Grunde nach aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. §§ 139 Abs. 1 und 2, 140a Abs. 1 und 3, 140b PatG, §§ 242, 259 BGB zu. Die Beklagte kann sich sowohl hinsichtlich des Haupt- als auch hinsichtlich des Hilfsantrags auf ein Vorbenutzungsrecht berufen. - I.
Das Klagepatent bezieht sich auf Rasierklingenkartuschen und Rasierer mit solchen Rasierklingenkartuschen. Zum Stand der Technik führt es aus:
Nach Abs. [0004] (Absätze ohne Bezugsangabe sind im Folgenden solche des Klagepatents) offenbare das US-Patent Nr. 8,286,XXX einen Rasierer mit zwei Klammern, wobei jede Klammer ein Paar von Schenkeln umfasse, das sich durch ein Paar von Durchgangslöchern erstrecke, die in dem Gehäuse vorgesehen seien. Die zwei Paare von Durchgangslöchern in dem Gehäuse erforderten wichtige strukturelle Modifikationen des Gehäuses von bekannten Kartuschen. Darüber hinaus könne sich die Anordnung der Klammer als schwierig erweisen. In der Tat müssten während des Herstellungsprozesses beide Schenkel der Klammer in Übereinstimmung mit zwei unterschiedlichen Durchgangslöchern sein, was erfordere, dass eng gesteckte Toleranzen auf die Klammer und die Durchgangslöcher anzuwenden seien.
Nach Abs. [0005] zeige das US-Patent Nr. 4,270,XXX eine Kartusche mit einer Klammer, die mindestens eine Klinge halte. Die Klammer, die in dem US-Patent Nr. 4,270,XXX offenbart sei, umgebe das Gehäuse und sei mindestens in Nuten aufgenommen, die in dem Gehäuse bereitgestellt seien. Die Installation einer solchen Klammer sei leicht, da sie das Gehäuse umgebe. Eine solche Klammer sei jedoch leicht beweglich und könne während der Rasur versehentlich von einem Benutzer entfernt werden. ln der Tat würden die Klingen, wenn die Klammern entfernt würden, nicht in dem Gehäuse gehalten, was zu einer freien Bewegung davon führe.
Nach Abs. [0006] gebe es im Stand der Technik bereits verschiedene Lösungen, um solche Nachteile zu vermeiden.
So zeige die WO 9610473 nach Abs. [0007] eine Kartusche mit einer Klammer, die um das Gehäuse gewickelt sei. Benachbart zu den Endabschnitten der Klammer seien Mittel angeordnet, die die Bewegung der Klammerendabschnitte in Bezug auf das Gehäuse in einer Richtung, die quer zur längslaufenden Richtung der Klinge verlaufe, verhinderten, um eine Trennung der Endabschnitte der Klammer voneinander zu verhindern. Solche Mittel seien eine Verbesserung. Die Gefahr des versehentlichen Entfernens der Klammer bestehe jedoch auch weiterhin. Darüber hinaus könne die Anordnung einer solchen Klammer schwierig sein, weil die Sperreinrichtungen mit komplementären Abschnitten am Gehäuse übereinstimmen müssten.
Nach Abs. [0008] offenbare die WO 9717XXX eine Rasiererkartusche mit einer Klammer, die durch zwei Öffnungen gedrückt werde. Insbesondere erstrecke sich jeder Schenkel der Klammer durch eine Öffnung in der Rasierklingenkartusche. Diese Anordnung ermögliche es, die Klammer fest an ihrem Platz zu halten. Sie erfordere jedoch auch verschiedene Anforderungen bezüglich der Anbringung und wichtige strukturelle Modifikationen des Gehäuses bekannter Kartuschen.
Um eine komplizierte Anordnung zu vermeiden, offenbare die WO 9955XXX nach Abs. [0009] eine Kartusche mit einer ringförmigen Klammer mit zwei Schenkeln, die mit zwei Aussparungen in dem Gehäuse zusammenwirkten, um die Klammer zu halten.
Diese ringförmige Klammer senke jedoch – so Abs. [0010] – die Rasieroberfläche, bei der es sich um die aktive Oberfläche während des Rasierens handelt.
Dem Klagepatent liegt die Aufgabe zugrunde, Ausführungsformen von Kartuschen zur Verfügung zu stellen, die diese Nachteile abschwächen.
Diese Aufgabe soll durch eine Rasierklingenkartusche bzw. einen Rasierer mit den Merkmalen der Ansprüche 1 und 16 des Klagepatents gelöst werden. Die Merkmale von Anspruch 1 können wie folgt gegliedert werden:
Eine Rasierklingenkartusche umfassend:
1. ein Gehäuse (9),
1.1 das sich entlang einer längslaufenden Achse (X-X) erstreckt, mit einer oberen Seite (11), einer unteren Seite (13), die gegenüber der oberen Seite (11) ist, und mit einer ersten und einer zweiten längslaufenden Seite (15, 17), wobei jede sich längslaufend entlang der längslaufenden Achse (X-X) zwischen der oberen und unteren Seite erstreckt,
1.2 wobei das Gehäuse (9) mit einem Durchgangsloch (93) versehen ist, das sich querlaufend zu der längslaufenden Achse (X-X) durch das Gehäuse (9) zwischen der oberen Seite (11) und der unteren Seite (13) erstreckt,
2. mindestens eine Schneidklinge (35),
2.1 die in dem Gehäuse (9) zwischen der ersten und zweiten längslaufenden Seite (15, 17) befestigt ist, und
2.2 die eine Schneidkante aufweist, die sich entlang der längslaufenden Achse (X-X) erstreckt,
3. eine Klammer (55),
3.1 die die mindestens eine Schneidklinge (35) in dem Gehäuse (9) hält,
3.2 und einen ersten Schenkel (59), einen zweiten Schenkel (61) und einen Klammerkörper (63), der sich zwischen dem ersten und zweiten Schenkel (59, 61) erstreckt, aufweist,
3.3 wobei der erste Schenkel (59) der Klammer (55) die erste längslaufende Seite (15) und mindestens einen Bereich der unteren Seite (13) des Gehäuses (9) umgibt, und
3.4 der zweite Schenkel (61) der Klammer (55) in dem Durchgangsloch (93) aufgenommen wird.
Bei Anspruch 16 in der geltend gemachten Fassung erübrigt sich eine Gliederung, beansprucht ist ein Rasierer (3) umfassend einen Handgriff (7) und eine Rasierklingenkartusche (1) mit den Merkmalen des Anspruchs 1, wobei die Rasierklingenkartusche (1) mit dem Handgriff (7) verbunden ist. - II.
Angesichts des Streits der Parteien ist folgende Auslegung der Ansprüche 1 und 16 des Klagepatents zugrunde zu legen. - 1.
Die Kammer geht von folgendem Verständnis des Anspruchs 1 aus. - a)
Das Klagepatent beansprucht mit dem Anspruch 1 eine Rasierklingenkartusche und bezieht sich dabei hinsichtlich der Bedeutung dieses Begriffs auf den Stand der Technik. Dies zeigt etwa die Aufgabenstellung in Abs. [0011] und auch Abs. [0013], aus denen sich ergibt, dass das Konzept der Rasierklingenkartusche wie vorbekannt vorausgesetzt wird und die bekannten Ausführungen solcher Kartuschen im Detail weiterentwickelt werden sollen. Dementsprechend erfährt der Begriff der Kartusche keine eigenständige Definition im Klagepatent.
Eine Rasierklingenkartusche zeichnet sich dabei in den aus dem Stand der Technik gegebenen Beispielen anderer Druckschriften in Abs. [0004] bis [0009] im Wesentlichen dadurch aus, dass sie aus einem Gehäuse besteht, in dem eine oder mehrere Klingen fest verbaut werden. Dasselbe gilt auch für das Klagepatent, das sich davon ausgehend mit der detaillierten Ausführung der Befestigung der Klingen im Gehäuse befasst, vgl. allein die Merkmalsgruppen 2 und 3 sowie Abs. [0002] und [0012]. Die Kartuschenbauweise grenzt sich durch die Integration der Klingen in ein Gehäuse beispielsweise von einem klassischen Rasiermesser ab, das einen Griff aufweist und eine aus diesem ausklappbare und bei Benutzung dann freiliegende Rasierklinge, und auch von einem sogenannten Rasierhobel, in den einzelne, lose Klingenblätter eingelegt werden, die nicht in einem Gehäuse verbaut sind. Eben diese Bauweise greift der Anspruch auf, wie sich aus den Merkmalen 1 bis 2.1 ergibt, die – vorbehaltlich der Details – eine Kartusche beschreiben, die aus einem Gehäuse besteht, in der mindestens eine Rasierklinge befestigt ist, wobei sich die Merkmalsgruppe 3 und Merkmal 1.2 dann mit der Art und Weise der Befestigung befassen.
Dabei schließt das Klagepatent nicht aus, dass die Kartusche noch aus weiteren als den benannten Bauteilen bestehen kann. Beansprucht ist lediglich, dass die Kartusche die genannten Bauteile aufweist, nicht aber, dass die Kartusche nur und ausschließlich aus diesen besteht. - b)
Vor diesem Hintergrund versteht sich der Begriff des Gehäuses im Sinne des Merkmals 1 als das Bauteil, welches die Klingen aufnimmt und deren Befestigung dient. Jedes Bauteil, das den vom Klagepatentanspruch aufgestellten Anforderungen genügt, stellt ein Gehäuse im Sinne von Merkmal 1 dar.
Die Anforderungen an die Gestaltung des Gehäuses sind somit – abgesehen von der durch verschiedene Seiten geprägten geometrischen Form (Merkmal 1.1) – mit der Aufnahme der Klingen zwischen seinen Längsseiten, dem Vorsehen der Durchtrittslöcher für den einen Schenkel der Klammer und dem „Umfasst Werden“ vom anderen Schenkel der Klammer abschließend beschrieben.
Anderes ergibt sich auch nicht aus Abs. [0023], der lediglich darauf verweist, dass das Material des Gehäuses beliebig gewählt werden könne und das Gehäuse auch einen Verbindungsmechanismus für einen Griff aufweisen könne. Aus diesem nur beispielhaft beschriebenen, in das Gehäuse integrierten Mechanismus folgt nicht, dass ein Verbindungsmechanismus, wenn er vorhanden ist, immer auch Teil des Gehäuses ist. Dies zeigt auch die Formulierung „kann“. Gezeigt ist dadurch lediglich, dass das Gehäuse nach dem Anspruch mehr Funktionen haben kann, als nur die Klingen zu enthalten und nicht auf diese Funktion beschränkt sein muss. - In Merkmal 1.1 wird dem Gehäuse eine geometrische Form im weiteren Sinne zugewiesen, indem verschiedenen Seiten Bezeichnungen zugewiesen werden. Es wird zunächst eine Längsachse definiert, eine Unter- und eine Oberseite, sowie zwei längs entlang der Längsachse laufende Seiten. Aus der Beschreibung in Abs. [0024] und [0025] ergibt sich dabei, dass mit der Oberseite im Sinne des Klagepatents diejenige gemeint sein soll, auf der sich die Klingen befinden, also die, die mit der Haut in Kontakt kommt.
In Merkmal 1.2 wird sodann, ausgehend von den Definitionen in Merkmal 1.1, ein räumlich körperliches Merkmal in Form eines Durchgangslochs beschrieben, das querlaufend zur Längsachse das Gehäuse von Ober- zu Unterseite durchtritt. Nach Abs. [0003] handelt es sich bei dem Durchtrittsloch weder um einen Schlitz, noch um eine Nut oder Kerbe („A through hole is neither a groove or a slot“), sondern um eine vollständig von Gehäusematerial umgebene Öffnung durch das Gehäuse. - c)
Merkmalsgruppe 2 beschreibt die Anordnung der vorhandenen Klingen so, dass sie dergestalt im Gehäuse befestigt werden, dass sie zwischen den Längsseiten angebracht und ihre Schneiden somit parallel zur definierten Längsachse ausgerichtet sind. Aus der Verwendung des Begriffs „zwischen“ ergibt sich, dass das Gehäuse die Klingen mit den Längsseiten umfasst. Dies entspricht der Beschreibung des Ausführungsbeispiels in Fig. 1, die in Abs. [0024] davon spricht, dass die Klingenaufnahmesektion („blade receiving section“) des Gehäuses rechteckig sein könne und eine Vertiefung bilde. - d)
Merkmalsgruppe 3 schließlich gibt in Merkmal 3 eine Klammer vor, die nach Merkmal 3.1 die Funktion hat, die in Merkmal 2 angesprochene Befestigung der Klinge im Gehäuse zu bewirken, die Klinge also in dem Gehäuse hält.
In Merkmal 3.2. werden weitere räumlich körperliche Eigenschaften des Klammerbauteils an sich angesprochen, namentlich dass sie einen ersten und einen zweiten Schenkel aufweise, die den Klammerkörper einfassen, der sich zwischen ihnen erstreckt. - Die Merkmale 3.3 und 3.4 bestimmen dann die konkrete Anordnung der Klammer am Gehäuse, um die Klingen zu halten. Danach soll der eine Schenkel die erste längslaufende Seite des Gehäuses umfassen und mindestens einen Bereich der Unterseite des Gehäuses umgeben, während der andere Schenkel im in Merkmal 1.2 angesprochenen Durchgangsloch aufgenommen wird.
Die Gesamtanordnung dient dabei nach der Beschreibung in Abs. [0013] der Herstellung einer sicheren Verbindung der Klammer mit dem Gehäuse unter Vermeidung der Nachteile aus dem Stand der Technik. Es sollen daher weder beide Schenkel um das Gehäuse außen herumgeführt werden, weil dies als zu wenig sicher gilt (vgl. Abs. [0005]), noch sollen beide Schenkel wegen des damit verbundenen Aufwands durch Durchtrittsöffnungen geführt werden müssen (vgl. Abs. [0004], [0008]).
Vielmehr ist der eine Schenkel der Klammer (in der Diktion des Klagepatents der erste) nach Merkmal 3.3 in der Weise am Gehäuse befestigt, dass er sich ausgehend vom Klammerkörper um das Gehäuse legt, und zwar um die eine Längsseite des Gehäuses und „zumindest in einem Bereich“ – was als teilweise, nicht notwendig vollständig zu verstehen ist – um die „Unterseite“ des Gehäuses. Hieraus ergibt sich, dass die „Oberseite“ diejenige ist, auf der der Klammerkörper anliegt. An diesem setzen die Schenkel an, umfassen die Längsseite in vertikaler Richtung und werden dann um die Unterseite gelegt, um dort ein Widerlager zu bilden.
Für den zweiten Schenkel macht das Klagepatent keine Vorgaben zu einer eigentlichen Befestigung und ordnet lediglich an, dass der zweite Schenkel durch das Durchtrittsloch im Gehäuse zu führen ist. Jedenfalls aber ein formschlüssiges Umlegen des Schenkels auf der Unterseite des Gehäuses ist zur Befestigung geeignet und ausweislich des Ausführungsbeispiels in Fig. 1 auch anspruchsgemäß.
Unbeschadet des im Singular gehaltenen Wortlauts erkennt der Fachmann überdies, dass mit „eine Klammer“ nicht exakt eine Klammer beansprucht wird, sondern dies im Sinne von „mindestens eine“ Klammer zu verstehen ist. Dies ergibt sich bereits aus den bildlich dargestellten Ausführungsbeispielen, die zwei solche Klammern zeigen, vgl. hierzu allein Fig. 1 und 2 und die allgemeine Beschreibung in Abs. [0013], in der von jeweils einem Durchtrittsloch auf jeder Seite der Klingen die Rede ist und damit auf zwei Klammern verwiesen wird.
Der Fachmann erkennt weiter, dass durch die Anordnung von einem der Schenkel in dem Durchtrittsloch die Klammer insgesamt gegen ein Verrutschen entlang der Längsachse gesichert ist, so dass es genügt, den anderen Schenkel durch den vorgegebenen Formschluss am Gehäuse zu befestigen. - 2.
Für die Auslegung des Anspruchs 16 wird auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen, da er einen vollständigen Rasierer beansprucht, der durch die Kombination aus einer Rasierklingenkartusche im Sinne des Anspruchs 1 mit einem Handgriff gebildet wird. -
III.
Die angegriffenen Ausführungsformen machen von der Lehre der Klagepatentansprüche 1 und 16 wortsinngemäß Gebrauch. - 1.
Die angegriffenen Ausführungsformen 1 und 2 verwirklichen sämtliche Merkmale des Anspruchs 1. - a)
Bei der angegriffenen Ausführungsform 2 handelt es sich um eine Rasierklingenkartusche, was zu Recht außer Streit steht.
Die angegriffene Ausführungsform weist dabei auch ein Gehäuse im Sinne des Merkmals 1 auf. Dabei ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die angegriffene Ausführungsform jedenfalls ein Gehäuse aufweist. Streit herrscht über die Frage, ob der Verbindungsmechanismus zur Griffaufnahme, der von dem Gehäuse zur Aufnahme der Klingen gelöst werden kann, zum Gehäuse gehört. Dies ist nicht der Fall. Das Gehäuse im Sinne des Klagepatents erschöpft sich in dem Teil der Kartusche, in dem sich die Klingen befinden. Der davon lösbare Verbindungsmechanismus zählt hingegen nicht dazu. Der Teil zur Aufnahme der Klingen weist für sich genommen auch die erforderlichen Merkmale des Gehäuses nach Anspruch 1 auf. Er enthält die Klingen und weist Längsseiten entlang einer Längsachse, eine Ober- und eine Unterseite auf (Merkmal 1.1).
Das Gehäuse weist ferner gemäß Merkmal 1.2 auch jeweils ein Durchtrittsloch auf jeder Seite der Klingen auf, das sich durch das Gehäuse von der Über- zur Unterseite querlaufend zur Längsachse erstreckt. - b)
Auch Merkmalsgruppe 2 ist verwirklicht, die angegriffene Ausführungsform 2 weist mindestens eine Klinge – es sind sechs – auf (Merkmal 2), die in dem Gehäuse zwischen der ersten und der zweiten längslaufenden Seite befestigt ist (Merkmal 2.1) und die eine Schneidkante aufweist, die sich entlang der Längsachse erstreckt (Merkmal 2.2). - c)
Die angegriffene Ausführungsform 2 verwirklicht auch Merkmal 3 indem sie zwei Klammern aufweist. Diese halten auch die Schneidklingen im Gehäuse, Merkmal 3.1.
Ferner verfügen sie über einen ersten und einen zweiten Schenkel, zwischen denen sich der Klammerkörper erstreckt.
Der eine dieser Schenkel – in der Diktion des Klagepatents mithin der „erste“ – umfasst im Sinne von Merkmal 3.3 die erste längslaufende Seite und umgibt dabei mindestens einen Bereich der unteren Seite des Gehäuses.
Ohne Erfolg wendet die Beklagte hiergegen ein, die Unterseite dieses Teils werde insgesamt nicht – auch nicht teilweise – von den Schenkeln der Halteklammer umfasst. Sie macht hierzu geltend, das Verbindungselement mit der Trimmerklinge zur Aufnahme des Handgriffs sei Teil des „Gehäuses“ im Sinne des Klagepatents und werde von der Klammer ersichtlich nicht umfasst. Tatsächlich ist das Gehäuse im Sinne des Klagepatents durch die Merkmale des Klagepatentanspruchs abschließend beschrieben und ist als das Teil anzusehen, das die Klingen enthält. Dazu gehört bei der angegriffenen Ausführungsform nicht der Verbindungsmechanismus, dieser hat eine andere Funktion und beinhaltet gerade nicht die Klingen. Das Klagepatent schließt weitere Bauteile oder Funktionen gerade nicht aus, sie sind aber, wenn vorhanden, nicht Teil des Gehäuses. Der Teil der Anordnung, in dem die Klingen befestigt sind, wird indes an seiner Unterseite teilweise von den Schenkeln der Klammern umfasst.
Schließlich wird auch der jeweils zweite Schenkel in dem jeweiligen Durchgangsloch aufgenommen, wie in Merkmal 3.4 beansprucht. - d)
Die vorstehenden Ausführungen gelten in gleicher Weise für die angegriffene Ausführungsform 1, da sie mit einer Rasierklingenkartusche in Form der angegriffenen Ausführungsform 2 versehen ist. - 2.
Die angegriffene Ausführungsform 1 macht auch vom Klagepatentanspruch 16 wortsinngemäß Gebrauch. Es handelt sich um einen Rasierer, bestehend aus einer Kartusche in Form der angegriffenen Ausführungsform 2 und einem Griff, der mit dieser Kartusche verbunden ist. -
IV.
Die Wirkungen des Klagepatents treten allerdings nicht gegen die Beklagte ein, § 12 Abs. 1 PatG.
Der Beklagten steht ein eigenes Vorbenutzungsrecht zu, sie kann sich zudem auch auf ein Vorbenutzungsrecht der Lieferantin A berufen, da ein dem Lieferanten und Hersteller zustehendes Vorbenutzungsrecht auch den nachfolgenden Handelsstufen zugutekommt, vgl. BGH Urt. v. 17.11.1970 – X ZR 13/69, BeckRS 1970, 00220; OLG Düssseldorf, InstGE 11, 193, juris Rz. 71. - § 12 Abs. 1 PatG bestimmt, dass die Wirkung des Patents gegen denjenigen nicht eintritt, der zur Zeit der Anmeldung bereits im Inland die Erfindung in Benutzung genommen oder die dazu erforderlichen Veranstaltungen getroffen hat. Dieser Vorbenutzer ist befugt, die Erfindung für die Bedürfnisse des eigenen Betriebs in eigenen oder fremden Werkstätten auszunutzen.
Die Beweislast für die Entstehungstatsachen und den Umfang des Vorbenutzungsrechts hat dabei derjenige, der sich darauf beruft (vgl. OLG Düsseldorf, GRUR 2018, 814, 816 – Schutzverkleidung für funktechnische Anlagen; Benkard/Scharen, PatG, 11. Aufl.: § 12 PatG Rn. 27; Schulte/Rinken, PatG, 10. Aufl.: § 12 Rn. 30 jeweils m.w.N.), mithin hier die Beklagte. - 1.
Der Erwerb eines Vorbenutzungsrechts setzt zunächst – über den Wortlaut des § 12 PatG hinaus – voraus, dass der Handelnde selbständigen Erfindungsbesitz erlangt und diesen redlich erworben hat (OLG Düsseldorf, GRUR 2018, 814, 816 – Schutzverkleidung für funktechnische Anlagen).
Erfindungsbesitz liegt vor, wenn die sich aus Aufgabe und Lösung ergebende technische Lehre objektiv fertig und subjektiv derart erkannt ist, dass die tatsächliche Ausführung der Erfindung möglich ist (BGH, GRUR 1964, 673 – Kasten für Fußabtrittsroste; BGH, GRUR 2010, 47 – Füllstoff; BGH, GRUR 2012, 895 – Desmopressin; OLG Düsseldorf, GRUR 2018, 814, 816 – Schutzverkleidung für funktechnische Anlagen). Insoweit muss es zu einer Erkenntnis gekommen sein, die es jederzeit möglich macht, die technische Lehre planmäßig und wiederholbar auszuführen, woran es fehlen kann, wenn lediglich einzelne Exemplare „zufällig“ erfindungsgemäße Eigenschaften aufweisen (BGH, GRUR 2012, 895 – Desmopressin, Rn. 18, juris).
Der Vorbenutzer muss daher subjektiv den Gedanken der objektiv vorliegenden Erfindung erkannt haben (OLG Düsseldorf, GRUR 2018, 814, 816 – Schutzverkleidung für funktechnische Anlagen). Hingegen ist es nicht erforderlich, dass der Handelnde über die Erkenntnis der gesicherten Ausführbarkeit der Erfindung hinausgehendes Wissen um vorteilhafte Wirkungen der Erfindung hat. - Nach der Vernehmung des Zeugen Q steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass zunächst der Erfindungsbesitz von A vor dem Anmeldetag, dem 25. September 2013, zu bejahen ist:
- a)
Nach der Beweisaufnahme steht fest, dass es eine planvolle Umgestaltung der Rasierklingen hin zur angegriffenen Ausführungsform bereits vor dem Anmeldezeitpunkt gab. Die Umgestaltung wurde von A vorgenommen und der Beklagten mit Email vom 5. Juli 2013 mitgeteilt.
Dabei ist die jeweilige Versendung der von der Beklagten vorgelegten Mails und deren Inhalt unstreitig, nachdem die Klägerin ihr Bestreiten in der mündlichen Verhandlung dahingehend präzisiert hat, dass sie die Erkennbarkeit der technischen Eigenschaften bestreiten wolle, sowie dass im Januar 2014 Kartuschen der Art geliefert wurden, auf die sich das Vorbenutzungsrecht beziehe.
Danach ergibt sich ein Erfindungsbesitz As vor der Anmeldung aus der Mail vom 5. Juli 2013 sowie aus der Aussage des Zeugen Q:
Die Email vom 5. Juli 2013 enthielt – auch nach den glaubhaften Angaben des Zeugen Q – eine bildliche Gegenüberstellung der avisierten Änderungen, wie sie mit der Anlage B 15 vorgelegt wurde. Diese Präsentation trägt den Titel „Modification of blade clip“, also Änderung der Halteklammer, auf der zweiten Seite heißt es dazu weiter „The Structure of the blade clips will be modified for improving production efficiency“.
Auf dieser zweiten Seite sind dabei die Änderungen, die sich auf verschiedene Kartuschen beziehen, am Beispiel zweier nicht streitgegenständlicher Kartuschen mit Kreisen eingezeichnet: - Bereits hieraus wird ersichtlich, dass die Änderungen entsprechend der Überschrift lediglich die Führung der Halteklammern betreffen. Dies gilt auch für die streitgegenständlichen Kartuschen D, die auf der letzten Seite gezeigt werden:
-
Von der ausdrücklich angesprochenen Änderung der Klammerführung abgesehen sind keine weiteren Modifikationen ersichtlich. Im Übrigen entspricht der Aufbau vielmehr dem Vorgängermodell.
Dabei entspricht die in der Anlage B 15 dargestellte Kartusche mit Ausnahme zweier geringfügiger, für die Lehre des Klagepatents unbeachtlicher Merkmale exakt der angegriffenen Ausführungsform 2. Dies ist weitgehend aus der der Email vom 5. Juli 2013 beigefügten Darstellung des geänderten Designs unmittelbar ersichtlich und steht im Übrigen nach den glaubhaften Aussagen des Zeugen Q fest. Demnach ist die angegriffene Ausführungsform 2 gegenüber der im Juli 2013 festgelegten Gestaltung der Kartusche nur in zwei Eigenschaften, die für die Lehre des Klagepatents ohne Bedeutung sind, geändert worden. - aa)
Infolge der Änderung im Juli 2013 zeigt die Kartusche D nunmehr die anspruchsgemäße Klammerführung der Merkmalsgruppe 3, bei der nicht mehr – wie ursprünglich – beide Klammerschenkel durch das Gehäuse geführt werden, sondern nur noch einer, während der andere um das Gehäuse herumgeführt und dann nach innen auf die Rückseite des Gehäuses umgelegt wird. Aus den der Email vom 5. Juli 2013 beigefügten Zeichnungen sind die beiden die Klingen haltenden Klammern erkennbar, deren einer Schenkel jeweils durch eine Durchtrittsöffnung und deren anderer Schenkel um die Außenseite des Gehäuses geführt ist. Die umgelegten Enden der Schenkel sind durch die Öffnungen der rückseitig angesetzten, weißen Griffaufnahme auch sichtbar. Die Anordnung entspricht genau der der angegriffenen Ausführungsform (hier ohne Griffaufnahme): - Dass dabei die Griffaufnahme bereits bei dem Modell vor dem Juli 2013 und bei dem Modell ab 2013 (wie bei der angegriffenen Ausführungsform) ein eigenes, von dem die Schneidklingen aufnehmenden Gehäuse separates Bauteil war, ergibt sich aus den glaubhaften Angaben des Zeugen Q. Dieser hat angegeben, es habe im Juli 2013 gegenüber der Vorgängerversion keine weiteren Änderungen, als die der bildlich gezeigten Klammerführung gegeben.
Zudem hat der Zeuge glaubhaft bekundet, dass es außer einer Änderung der Rezeptur des Pflegestreifens, welche für die Verwirklichung der Lehre des Klagepatents ohne Belang ist, im späteren Produktionsverlauf gegenüber der angegriffenen Ausführungsform lediglich zwei Änderungen gegeben habe. Diese beziehen sich beide auf die separate Griffaufnahme.
Die Aussage des Zeugen Q, dass es weitere Änderungen nicht gab, ist glaubhaft.
So hat die auch in der Version vom Juli 2013 vorhandene Griffaufnahme zum einen eine Änderung dahingehend erfahren, dass sie zwei zusätzliche Stege zur Stabilisierung erhalten hat (auf der untenstehenden Abbildung mit Pfeilen markiert), zum anderen wurde ein Bereich in der Mitte oben in seinem Profil geändert (in der Abbildung unten mit einem Kasten gekennzeichnet): -
Diese späteren Änderungen berühren die Merkmale des Klagepatentanspruchs 1 nicht, denn sie beziehen sich auf die separate Griffaufnahme. Der Klagepatentanspruch schließt eine solche Griffaufnahme neben dem Gehäuse zwar nicht aus, verhält sich dazu aber im Übrigen nicht. Für die vom Zeugen ebenfalls angesprochene Änderung der Rezeptur des Pflegestreifens gilt dasselbe.
Die Kammer bewertet die Aussage des Zeugen insgesamt als glaubhaft. Er hat detailreich, unter Einschluss von Randgeschehen und in der Sache plausibel und anschaulich ausgesagt. Er hat dabei unter Einschluss von Details zu Kern- und Randgeschehen, frei von erheblichen Widersprüchen und mit der angesichts des Zeitablaufs zu erwartenden Genauigkeit ausgesagt. Er hat dabei den Verlauf der maßgeblichen Ereignisse plausibel und widerspruchsfrei in seine ebenfalls überzeugende Schilderung der allgemeinen Geschäftsabläufe einbetten können, und beispielsweise stets überzeugend darstellen und begründen können, warum einzelne Ereignisse wie bekundet geschehen sind. So hat er plausibel, sachkundig und nachvollziehbar schildern können, welchen technischen und faktischen Aufwand eine Umstellung der Produktion auch in bloßen Details der Spritzgussteile für den Hersteller bedeuten. Dies erfordere nämlich zunächst die Konstruktion neuer Spritzgussformen. Diese müssten dann zunächst als Prototypen auf ihre Funktion getestet werden. Dann würden sie ggf. in für eine Massenproduktion notwendiger Anzahl hergestellt. Dabei würde zwecks jederzeitiger Nachvollziehbarkeit etwaiger Fertigungsprobleme jeder einzelne Gussabschnitt jeder Form mit einer individuellen Nummer versehen, so dass stets nachvollziehbar bleibe, aus welchem Abschnitt welcher Form ein Teil stamme. Schließlich müsste dann im Prinzip eine Testfertigung der gesamten Anlage stattfinden, um zu gewährleisten, dass tatsächlich alle Formen mit allen Abschnitten die geforderten Eigenschaften aufweisen. Diese umfang- und detailreichen Schilderungen lassen die Angaben, dass derart aufwändige Umgestaltungen einen erheblichen zeitlichen Vorlauf erfordern und möglichst vermieden werden und nur aus wichtigem Anlass vorgenommen werden und entsprechend selten vorkommen, ohne weiteres als glaubhaft erscheinen. Sie fügen sich nahtlos in die als Anlagen vorgelegten Mails zwischen der Beklagten und A ein, die erhebliche Umstellungszeiträume ausweisen: So zeigt bereits die Anlage B 15, dass die ab sofort beginnende Umstellung der Produktion etwa ein halbes Jahr in Anspruch nimmt: Dort heißt es „The modification will start right after the listed pending orders below are produced“, wobei sich die entsprechenden „pending orders“ nicht auf D oder P beziehen, sondern auf nicht streitgegenständliche Klingen. Nach dem weiteren Inhalt der Mail vom 5. Juli 2013 sollte die Produktion der geänderten Version Ende November anlaufen und sollten die ersten Lieferungen im Januar 2014 erfolgen.
Der Zeuge hat auch glaubhaft angegeben, dass es im Übrigen, d.h. neben der Modifikation der Griffaufnahme, nur noch eine weitere Änderung gegeben habe, welche die ebenfalls für die Lehre des Klagepatents nicht relevante Rezeptur des Pflegestreifens betroffen habe und die ebenfalls keine patentwesentlichen Eigenschaften berührt.
Die angegriffene Ausführungsform ist somit in allen die Verletzung des Klagepatents begründenden Eigenschaften mit der im Juli 2013 der Beklagten vorgestellten und anschließend produzierten und gelieferten Rasierklingenkartusche technisch identisch.
Damit steht umgekehrt fest, dass das Gehäuse der im Juli 2013 vorgestellten Version mit dem der angegriffenen Ausführungsform identisch ist und die Griffaufnahme ein gesondertes Bauteil. - bb)
Das Gehäuse zeigt die Merkmale der Merkmalsgruppe 1, es erstreckt sich ausweislich der Zeichnung aus Anlage B 15 entlang einer längslaufenden Achse, hat eine obere und eine (von der Griffaufnahme teils verdeckte) untere Seite, die gegenüber der oberen Seite angeordnet ist, sowie eine erste und zweite längslaufende Seite, wobei jede sich längslaufend entlang der längslaufenden Achse zwischen der oberen und unteren Seite erstreckt (Merkmal 1.1).
Das Gehäuse ist auch mit jeweils einem Durchgangsloch versehen, das sich querlaufend zu der längslaufenden Achse durch das Gehäuse zwischen der oberen Seite und der unteren Seite erstreckt (Merkmal 1.2). Dabei lassen bereits die Zeichnungen der Anlage B 15 das Durchtrittsloch auf der oberen Seite dort erkennen, wo der Klammerschenkel eintritt, und auf der Unterseite durch die Aussparungen in der Griffaufnahme jedenfalls mittelbar anhand der umgelegten Schenkel:
Dabei ist erkennbar, dass dadurch, dass der auf den Bildern obere Schenkel der Klammer um das Gehäuse herumgeführt wird, sein auf der unteren Seite umgelegtes Ende (Merkmal 3.3) „nach oben wandert“. Dies ergibt sich aus dem vergrößerten Ausschnitt der rechten Seite der in der Anlage B 15 dargestellten Kartuschen D: - Vorher: Nachher:
- cc)
Die Anordnung der Schneidklingen gemäß der Merkmalsgruppe 2 ergibt sich ebenfalls aus den Zeichnungen gemäß der Anlage B 15. - b)
Nach den vorstehenden Ausführungen steht auch ein Erfindungsbesitz der Beklagten selbst, ohne dass es hierauf im Ergebnis entscheidend ankäme, außer Zweifel. Denn die erfindungsgemäße Lehre war für die Beklagte bereits aus den technischen Eigenschaften der Vorgängerversion der D Kartusche in Verbindung mit den in der Anlage B 15 ausdrücklich aufgezeigten Änderungen der Klammerführung ohne weiteres ersichtlich. Da A in der zugehörigen Mail mitteilte, nunmehr die Rasierklingenkartuschen mit dem geänderten Design herstellen und liefern zu wollen, war auch nach dem Kenntnisstand der Beklagten die Erfindung objektiv fertig und ihre Ausführung ohne weiteres möglich. - c)
Damit hatten A und die Beklagte auch Erfindungsbesitz hinsichtlich der Lehre des Klagepatentanspruchs 16, da ihnen selbstverständlich die erforderliche Befestigung der Klingenkartusche am Handgriff bekannt war. - 2.
A und die Beklagte betätigten ihren Erfindungsbesitz im Inland vor dem Anmeldetag des Klagepatents.
Die Betätigung des Erfindungsbesitzs kann durch Benutzungshandlungen im Sinne von § 9 PatG erfolgen. Eine Benutzung im Sinne von § 12 PatG umfasst jedenfalls alle Benutzungsarten von § 9 PatG. Da diese untereinander gleichwertig sind, genügt die Vornahme einer Benutzungshandlung (BGH, GRUR 1969, 35 – Europareise).
Vorliegend hat A die Klingenkartuschen in der neuen Version mit der Mail vom 5. Juli 2013 bereits im Sinne des § 9 S. 2 Nr. 1 PatG angeboten.
Anbieten ist dabei jede Handlung, die nach ihrem objektiven Erklärungswert den Gegenstand der Nachfrage in äußerlich wahrnehmbarer Weise zum Erwerb der Verfügungsgewalt bereitstellt, wobei der feilgehaltene Gegenstand nicht zu existieren braucht (Schulte/Rinken, PatG. 10. Aufl.: § 9 Rn. 61 und 64).
Nach diesen Maßgaben ist die Mail vom 5. Juli 2013 ein solches Angebot. Denn A bittet die Beklagte konkret um die Platzierung von Ordern für die neue Version: „Therefore, please let us know your following order plan and its quantity of each during the modification period which is the same meaning of production stop.“
Dies nahm die Beklagte zum Anlass, ihrerseits bei ihren Abnehmern um die Platzierung von Bestellungen nachzusuchen, wie sich (unter anderem) aus dem als Anlage B 17 zur Akte gereichten, aus dem Juli 2013 stammenden Emailverkehr mit E über konkrete Bestellungen ergibt, der in der Sache unstreitig geblieben ist. Auch hierin liegt ein Angebot im Sinne des § 9 S. 2 Nr. 1 PatG. Dies bezog sich ausweislich des Verpackungsdesigns (Anlage B 18 bis B 20) auf die im Juli vorgestellte neue Ausgestaltung der Klammerführung.
Dass diese Betätigung des Erfindungsbesitzes (auch) den Rasierer mit Kartusche betraf, ergibt sich aus der Bestellung und der anschließenden Lieferung (B 25 und B 27) solcher Rasierer.
Angesichts des bereits erörterten Inhalts der Mail vom 5. Juli 2013 liegt auch nichts dafür vor, dass nach Juli 2013 noch alte Versionen der Kartusche D angeboten oder geliefert wurden. Nach der Mail erfolgte die Umstellung der Produktion vielmehr ab sofort, unter den noch abzuarbeitenden Orders finden sich keine D Klingen. Auch der Zeuge Q hat glaubhaft bestätigt, dass die im Januar 2014 auf den Weg gebrachten Kartuschen bereits solche der neuen Version waren, und anhand der auf den als Anlage B 25 und B 26 vorgelegten Lieferscheinen ersichtlichen Batchnummern auch das Produktionsdatum im November 2014 verorten können. Er hat ebenfalls glaubhaft ausschließen können, dass es sich etwa nur um Muster gehandelt haben könne. - 3.
Die unstreitigen Änderungen, die nach 2014 erfolgten, stellen auch keine für das Vorbenutzungsrecht schädliche Abwandlung der angegriffenen Ausführungsformen dar.
Der Zweck, nur ausnahmsweise aus Billigkeitsgründen den Besitzstand des Vorbenutzers gegenüber dem Ausschließlichkeitsrecht des Patentinhabers zu schützen, ist bei der Auslegung zu berücksichtigen (BGH, GRUR 2010, 47 – Füllstoff) und führt dazu, dass das Vorbenutzungsrecht grundsätzlich nur diejenige Ausführungsform abdeckt, die tatsächlich benutzt oder deren alsbaldige Benutzung vorbereitet worden ist (OLG Düsseldorf, GRUR 2018, 814, 816 – Schutzverkleidung für funktechnische Anlagen). Andernfalls würden seine Befugnisse in einer von Sinn und Zweck der Ausnahmeregelung nicht mehr gedeckten Weise erweitert. Mit der Befugnis zur Benutzung auch von Abwandlungen würde zu seinen Gunsten nicht lediglich der bei der Anmeldung des Patents vorhandene Besitzstand geschützt, sondern dieser unter gleichzeitiger weiterer Einschränkung des Rechts an dem Patent auf ursprünglich nicht Vorhandenes erstreckt. Hierfür fehlt es sowohl im Hinblick auf die Funktion der Regelung als auch auf das ihr zugrunde liegende Regel-Ausnahmeverhältnis an einer Rechtfertigung. Insbesondere gebietet die Billigkeit eine solche Ausweitung nicht (BGH, GRUR 2002, 231 – Biegevorrichtung).
Weiterentwicklungen der Vorbenutzung, die den Schutzbereichseingriff vertiefen, sind daher nicht vom Vorbenutzungsrecht umfasst (BGH, GRUR 2002, 231 – Biegevorrichtung; s. zum Designrecht auch BGH, GRUR 2018, 72 – Bettgestell; OLG Düsseldorf, Urt. v. 20.8.2009 – 2 U 6/04, BeckRS 2010, 22208). Dies ist etwa dann der Fall, wenn nachträgliche Veränderungen des vorbenutzten Gegenstands erstmals eine wortsinngemäße Verwirklichung des Patentanspruchs darstellen, weil etwa erstmals ein konkretes Anspruchsmerkmal wortsinngemäß verwirklicht wird, und zwar unabhängig davon, ob es für den Fachmann naheliegend oder sogar selbstverständlich war (BGH, GRUR 2002, 231 – Biegevorrichtung). Dies gilt auch für vorteilhafte Abwandlungen, die Gegenstand eines Unteranspruchs sind. Daher ist es vom Vorbenutzungsrecht nicht gedeckt, wenn erstmals von einer den Hauptanspruch verwirklichenden Ausführung auf eine die Lehre eines Unteranspruchs verwirklichende Gestaltung übergegangen wird (Benkard/Scharen, PatG, 11. Aufl.: § 12 PatG Rn. 22; Kühnen, Hdb. d. Patentverletzung, 11. Aufl., Kap. E 513; OLG Düsseldorf, GRUR 2018, 814, 816 – Schutzverkleidung für funktechnische Anlagen).
Bei Veränderungen am vorbenutzten Gegenstand, die sich innerhalb einer wortsinngemäßen Verwirklichung des Patentanspruchs bewegen, ist hingegen zu differenzieren: Abwandlungen der vorbenutzten Ausführungsform, die in Kenntnis dieser Ausführungsform und vor Offenbarung des Klagepatents für den Fachmann ohne schöpferische Tätigkeit auffindbar waren, darf der Vorbenutzer vornehmen. Demzufolge nicht naheliegende Abwandlungen sind dagegen nur zulässig, wenn sie durch das Patent, dem gegenüber das Vorbenutzungsrecht geltend gemacht wird, ihrerseits nicht offenbart oder nahegelegt werden (Keukenschrijver, GRUR 2001, 944 (947); ihm folgend OLG Jena, GRUR-RR 2008, 115 – Bodenbelagsbeschichtungen; LG München I, Urt. v. 30.7.2015 – 7 O 26546/13, BeckRS 2016, 14738; ähnlich Benkard/Scharen, PatG, 11. Aufl.: § 12 PatG Rn. 22; Schulte/Rinken, PatG, 10. Aufl.: § 12 Rn. 24).
Nach diesen Maßgaben liegt vorliegend eine schädliche Abwandlung nicht vor.
Die in der Sache unstreitigen Änderungen an dem separaten Verbindungsmechanismus betreffen konstruktive Details, mit denen sich das Klagepatent an keiner Stelle auseinandersetzt. Die vorgenommenen Änderungen sind aus Stabilitätsgründen erfolgt.
Es handelt sich damit zunächst nicht um solche Änderungen, die den Eingriff in den Schutzbereich im obigen Sinne vertiefen würden, sondern um solche, die sich innerhalb einer wortsinngemäßen Verwirklichung bewegen.
Es kann dabei dahinstehen, ob die Abwandlungen ohne schöpferische Tätigkeit auffindbar waren und deswegen unschädlich sind. Denn auch wenn dies nicht der Fall sein sollte, sind sie im Klagepatent weder offenbart, noch nahegelegt.
Entsprechendes gilt für die Änderung der vom Klagepatent nicht behandelten Rezeptur des Pflegestreifens. - 4.
Auch in Bezug auf den klägerischen Hilfsantrag greift das Vorbenutzungsrecht durch.
In der Fassung des Hilfsantrags verlangt der Anspruch – gestützt auf Absatz [0024] – zunächst mehr als drei Klingen statt mindestens einer, insoweit ergeben sich keine Abweichungen zum bisher Gesagten. Die Zeichnungen in der Mail vom 5. Juli 2013 zeigen bereits eine Kartusche mit mehr als drei Klingen, die so auch angeboten wurde.
Der im Rahmen des Hilfsantrags weiter geltend gemachte Anspruch 14 verlangt zudem einen Vorsprung auf der Unterseite des Gehäuses, der sich zwischen den Schenkeln der Klammern erstreckt. Damit ist jedenfalls eine solche Ausgestaltung gemeint, wie sie das Klagepatent in Fig. 3 und der Beschreibung in Abs. [0064] aufzeigt: - Nach Abs. [0064] ist der anspruchsgemäße Vorsprung auf der Unterseite mit dem Bezugszeichen 125 versehen. Er kragt nach Abs. [0064] gegenüber der Oberfläche der Unterseite aus. Dadurch soll vermieden werden, dass die Montagewerkzeuge beim Wegbewegen von der Kartusche die Enden der Halteklammer versehentlich ergreifen und wieder aufbiegen.
Auch auf Ausführungsformen mit einem solchen Vorsprung erstreckt sich das Vorbenutzungsrecht der Beklagten. Unstreitig ist der entsprechende Vorsprung in der angegriffenen Ausführungsform 2 vorhanden. Insoweit, d.h. hinsichtlich dieses Vorsprungs, steht aber aufgrund der Beweisaufnahme fest, dass sich die angegriffene Ausführungsform 2 gerade nicht von den Kartuschen unterscheidet, die A bereits vor dem Anmeldetag des Klagepatents angeboten hat. In der Tat lassen sich aus dem Design der Anlage B 15 die entsprechenden Stege zwischen den jeweils umgelegten Klammerenden erkennen, was insbesondere die obig bereits wiedergegebene vergrößerten Ausschnitte mit den umgelegten Schenkeln zeigen.