4c O 24/18 – Wundreinigungseinrichtung

Düsseldorfer Entscheidungsnummer: 2896

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 13. Juni 2019, Az. 4c O 24/18

  1. I. Die Klage wird abgewiesen.
  2. II. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
  3. III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
  4. IV. Der Streitwert wird auf EUR 500.000,- festgesetzt.
  5. Tatbestand
  6. Die Klägerin macht – als eingetragene Inhaberin – Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf und Vernichtung sowie Feststellung der Schadensersatz- und Entschädigungsverpflichtung dem Grunde nach wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 2 365 XXX B2 (Anlage K 1; im Folgenden: Klagepatent) geltend, das unter Inanspruchnahme einer österreichischen Priorität vom 28. Januar 2009 (AT XXX) am 26. Januar 2010 angemeldet und als Anmeldung am 21. September 2011 offengelegt wurde. Der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents wurde am 20. März 2013 bekanntgemacht. Die Klägerin macht zudem als eingetragene Inhaberin eine Verletzung des deutschen Gebrauchsmusters DE 20 2010 XXX XXX U1 (Anlage K 6; im Folgenden: Klagegebrauchsmuster) geltend, das unter Inanspruchnahme des Anmeldetags und der Priorität des Klagepatents am 15. Februar 2016 eingetragen und dessen Eintragung am 24. März 2016 bekanntgemacht wurde. Beide Klageschutzrechte stehen in Kraft, wobei das Klagepatent durch Entscheidung des Europäischen Patentamtes vom 29. März 2016 (Anlage K 2) in eingeschränktem Umfang aufrechterhalten worden ist.
  7. Das Klagepatent betrifft eine Wundreinigungseinrichtung und insbesondere ein Wundreinigungstuch. Mit Schriftsatz vom 14. September 2XXX hat die Beklagte gegen das Klagepatent Nichtigkeitsklage (Az. (…) (EP)) erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Mit Schriftsatz vom 29. Oktober 2XXX hat die Beklagte beim Deutschen Patent- und Markenamt zudem Löschungsantrag in Bezug auf das Klagegebrauchsmuster gestellt, über den ebenfalls noch nicht entschieden ist.
  8. Der Anspruch 1 des Klagepatents lautet:
  9. „1. Wundreinigungseinrichtung, welche ein Wundreinigungstuch (1) aufweist oder ist, welches zumindest eine Trägerschicht (2) und an der Trägerschicht (2) angeordnete und von der Trägerschicht (2) abstehende Fäden (3) aus synthetischen Fasern aufweist, wobei zumindest einige der Fäden (3) auf ihrer von der Trägerschicht (2) abgewandten Seite frei auskragende, vorzugsweise abgeschnittene, Enden (4) aufweisen, wobei die Fäden (3) schräg zu ihrer Längserstreckung (5) verlaufende, vorzugsweise abgeschnittene, Enden (4) bzw. Endflächen aufweisen und die von der Trägerschicht abstehenden Fäden einen an der Trägerschicht angeordneten und von dieser abstehenden Flor bilden, und das Wundreinigungstuch steril in einer vorzugsweise luftdicht verschlossenen Verpackung (7) verpackt ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Florhöhe zwischen 3 und 30 mm beträgt und die von der Trägerschicht abstehenden Fäden zwischen 0,5 und 20 dtex aufweisen.“
  10. Die Ansprüche 1 und 19 des Klagegebrauchsmusters lauten:
  11. „1. Wundreinigungseinrichtung, dadurch gekennzeichnet, dass sie ein Wundreinigungstuch (1) aufweist oder ist, welches zumindest eine Trägerschicht (2) und an der Trägerschicht (2) angeordnete und von der Trägerschicht (2) abstehende Fäden (3), vorzugsweise ausschließlich, aus synthetischen Fasern, vorzugsweise Kunststofffasern, aufweist.
  12. 19. Anordnung, dadurch gekennzeichnet, dass sie zumindest eine Wundreinigungseinrichtung oder zumindest ein Tuch nach einem der Ansprüche 1 bis 17 und eine, vorzugsweise luftdicht, verschlossene Verpackung (7), vorzugsweise Kunststoffverpackung, aufweist, wobei das zumindest eine Wundreinigungstuch (1) oder Tuch steril in der Verpackung (7) verpackt ist.“
  13. Die nachstehend wiedergegebenen Figuren sind dem Klagepatent entnommen und erläutern dessen technische Lehre anhand bevorzugter Ausführungsbeispiele:
  14. Figur 1 zeigt eine schematisierte Seitenansicht eines erfindungsgemäßen Wundreinigungstuches. In der Figur 2 ist ein gerade abgeschnittener Faden gemäß Stand der Technik zu sehen, wohingegen Figur 3 einen erfindungsgemäßen Faden mit schräg verlaufenden Endflächen zeigt. Figur 7 zeigt eine erfindungsgemäße Wundreinigungseinrichtung mit einer Verstärkungsschicht und einer Schlaufe zur besseren Handhabung.
  15. Die Beklagte bewirbt und vertreibt in der Bundesrepublik Deutschland unter der Bezeichnung „A“ ein Wundreinigungstuch (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform), wie dem als Anlage K 8 zur Akte gereichten Screenshot der Internetseite der Beklagten zu entnehmen ist. Im Jahr 2017 erwarb die Klägerin einige Exemplare dieses Tuchs und ließ sie durch das Forschungsinstitut für Textilchemie und Textilphysik der B untersuchen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Untersuchung sowie deren Ergebnis wird auf den als Anlage K 9 gereichten Untersuchungsbericht Bezug genommen. Als Anlage K11 hat die Klägerin eine ergänzende Stellungnahme des C zum Untersuchungsbericht vorgelegt. Die Beklagte hat ihrerseits die angegriffene Ausführungsform durch den Privatsachverständigen D untersuchen und vermessen lassen. Wegen der weiteren Einzelheiten und des Ergebnisses dieser Untersuchung wird auf das als Anlage KAP 1 zur Akte gereichte Gutachten Bezug genommen. Mit nachgelassenem Schriftsatz vom 3. Juni 2019 hat die Beklagte zudem eine Stellungnahme des D zu der ergänzenden Stellungnahme des C zur Akte gereicht, wegen deren Inhalts auf die Anlage KAP 13 Bezug genommen wird.
  16. Die Klägerin behauptet, die angegriffene Ausführungsform machte von der technischen Lehre der Klageschutzrechte wortsinngemäß Gebrauch.
  17. Das Klagepatent mache keine Vorgaben dazu, wie die Fäden an der Trägerschicht angeordnet sein sollen, vielmehr lege der unabhängige Anspruch 1 nur fest, dass Fäden/Fasern vorhanden seien. Gleiches gelte für den anspruchsgemäßen Flor, welches durch die Fäden gebildet werde. Das Klagepatent überließe es dem Fachmann, wie die Fäden angeordnet würden. Entscheidend aber auch ausreichend sei es, dass der Flor durch die abstehenden Fäden gebildet werde. Es komme auch nicht darauf an, dass alle von der Trägerseite abgewandten Enden frei auskragend seien, vielmehr lasse es die klagepatentgemäße Lehre zu, dass einige der Fäden anders ausgestaltet seien, etwa in Form einer Schlaufe. Soweit das Klagepatent in der Beschreibung (Absatz [0009]) von vorzugsweise 50% der Fäden mit frei auskragenden Enden spreche, habe dies im Anspruch keinen Niederschlag gefunden, so dass es keiner Mindestanzahl an Fäden mit frei auskragenden Enden bedürfe. Auch bei nur wenigen Fäden mit auskragenden Enden komme es bereits zu einem Rasierklingen-Effekt, jedenfalls bezogen auf die einzelnen Fäden. Für die von den Klageschutzrechten vorausgesetzte Florhöhe komme es nur auf die Länge der Fäden außerhalb der Trägerschicht an, da nur diesem Teil der Fäden die gewünschte Funktion der Wundreinigung zukomme. Soweit die angegriffene Ausführungsform nach eigenen Angaben der Beklagten neben einer Trägerschicht noch über eine Deckschicht verfügen würde, komme auch dieser Deckschicht die Funktion der Trägerschicht zu, da dort die Fäden verhakt seien, mithin sei diese Schicht bei der Bestimmung der Florhöhe nicht zu berücksichtigen sei.
  18. Das seitens des Sachverständigen der Beklagten angewandte Messverfahren sei ungeeignet, die Länge der Fäden, mithin die Florhöhe, korrekt zu bestimmen. Zum einen sei der Messaufbau nicht geeignet, die Länge der längs liegenden Fäden zu bestimmen und zudem ließen die Untersuchungen der Beklagten nicht erkennen, mit welchem Messdruck gemessen worden sei. Dies sei für das Ergebnis aber wesentlich. Soweit die Beklagte die Korrektheit der Messungen des C in Abrede gestellt habe, sei dieser Vortrag von der Klägerin jedenfalls implizit bestritten worden.
  19. Ferner ist die Klägerin der Auffassung, das Klagepatent werde sich in der Entscheidung über die Nichtigkeitsklage der Beklagten als rechtsbeständig erweisen. Das Klagegebrauchsmuster sei schutzfähig und daher habe auch der Antrag auf Löschung keine Aussicht auf Erfolg.
  20. Die Klägerin beantragt,
  21.  die Beklagte zu verurteilen,I.
    1. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle mehrfacher Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, wobei eine gegen die Beklagte festzusetzende Ordnungshaft an den beiden vorgenannten Vorständen der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen,

    Wundreinigungseinrichtungen, welche ein Wundreinigungstuch aufweisen oder sind, welche zumindest eine Trägerschicht und an der Trägerschicht angeordnete und von der Trägerschicht abstehende Fäden aus synthetischen Fasern aufweisen, wobei zumindest einige der Fäden auf ihrer von der Trägerschicht abgewandten Seite frei auskragende Enden aufweisen, wobei die Fäden schräg zu ihrer Längserstreckung verlaufende Enden bzw. Endflächen aufweisen und die von der Trägerschicht abstehenden Fäden einen an der Trägerschicht angeordneten und von dieser abstehenden Flor bilden, und das Wundreinigungstuch steril in einer vorzugsweise luftdicht verschlossenen Verpackung verpackt ist,

    in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen, oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,

    bei denen die Florhöhe zwischen 3 und 30 mm beträgt und die von der Trägerschicht abstehenden Fäden zwischen 0,5 und 20 dtex aufweisen;

  22. 2. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, geordneten Verzeichnisses vollständig darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 21.09.2011 begangen hat, und zwar unter Angabea) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer sowie der Einkaufspreise,
    b) der einzelnen Lieferungen und Bestellungen, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Liefer- und Bestellmengen, -zeiten und -preisen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer und der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
    c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Angebotsmengen, -zeiten und -preisen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
    d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Herstellungs- und Verbreitungsauflage, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
    e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
  23. wobei die Beklagte hinsichtlich der Angaben zu lit a) und b) Kopien der Eingangs- und Ausgangs-Rechnungen und für den Fall, dass keine Rechnungen vorhanden sind, Kopien der Lieferscheine vorzulegen hat,
  24. wobei die Angaben zu lit e) nur für die Zeit seit dem 20.04.2013 zu machen sind,
  25. wobei der Beklagten Vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht-gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernimmt und ihn ermächtigt, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter nicht-gewerblicher Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist;
  26. 3. die vorstehend zu Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 20.04.2013 im Besitz Dritter befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen gewerblichen Abnehmer, denen durch die Beklagte oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass das Gericht mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents EP 2 XXX XXX B2 erkannt hat ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagte zurückzugeben und ihnen für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe verbindlich zugesagt wird;4. die im unmittelbaren oder mittelbaren Besitz und/oder Eigentum der Beklagten befindlichen unter Ziffer I.1. bezeichneten Erzeugnisse zu vernichten oder nach Wahl der Beklagten an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben;
    (Klagepatent EP 2 XXX XXX B2 – Klageschutzrecht 1)
  27. II.
    1. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgelds bis zu EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle mehrfacher Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei eine gegen die Beklagte festzusetzenden Ordnungshaft an den beiden vorgenannten Vorständen der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen,Wundreinigungseinrichtungen, welche ein Wundreinigungstuch aufweisen oder sind, welche zumindest eine Trägerschicht und an der Trägerschicht angeordnete und von der Trägerschicht abstehende Fäden aus synthetischen Fasern aufweisen, bei denen das Wundreinigungstuch steril in einer verschlossenen Verpackung verpackt ist,
  28. in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen, oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,
  29. bei denen die Fäden zwischen 0,5 und 20 dtex aufweisen und die Länge der Fäden zwischen 3 mm und 30 mm beträgt;
  30. 2. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, geordneten Verzeichnisses vollständig darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer II.1. bezeichneten Handlungen seit dem 24.04.2016 begangen hat, und zwar unter Angabea) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer sowie der Einkaufspreise,
    b) der einzelnen Lieferungen und Bestellungen, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Liefer- und Bestellmengen, -zeiten und -preisen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer und der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
    c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Angebotsmengen, -zeiten und -preisen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
    d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Herstellungs- und Verbreitungsauflage, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
    e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

    wobei die Beklagte hinsichtlich der Angaben zu lit. a) und b) Kopien der Eingangs- und Ausgangs-Rechnungen und für den Fall, dass keine Rechnungen vorhanden sind, Kopien der Lieferscheine vorzulegen hat,

    wobei der Beklagten Vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht-gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernimmt und ihn ermächtigt, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter nicht-gewerblicher Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist;
    (Klagegebrauchsmuster DE 20 2010 XXX XXX
    – Klageschutzrecht 2)

    III. festzustellen,

  31. 1. dass die Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin für die unter Ziffer I.1. bezeichneten, in der Zeit vom 21.09.2011 bis zum 20.04.2013 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen;
    2. dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter Ziffer I.1 bezeichneten, seit dem 20.04.2013 begangenen Handlungen und durch die unter Ziffer II.1. bezeichneten, seit dem 24.04.2016 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
  32. Die Beklagte beantragt,
  33. die Klage abzuweisen;hilfsweise

    den Rechtsstreit gemäß § 148 ZPO bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung des Bundespatentgerichts in dem parallelen Nichtigkeitsverfahren über den Rechtsbestand des deutschen Teils des europäischen Patents EP 2 365 XXX bzw. des Deutschen Patent und Markenamtes über den Löschungsantrag betreffend das deutsche Gebrauchsmusters DE 20 2010 XXX XXX auszusetzten.

  34. Die Beklagte meint, die angegriffene Ausführungsform verwirklichte die technische Lehre der Klageschutzrechte nicht.
  35. Insoweit behauptet sie, die angegriffene Ausführungsform wiese nur eine Gesamtdicke von unter 3 mm auf, wie die Messungen des seitens der Beklagten beauftragten Privatsachverständigen D ergeben hätten. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass noch eine Deckschicht mitgemessen worden sei, die nicht vom Anspruch 1 des Klagepatents bzw. Anspruch 1 des Klagegebrauchsmusters umfasst sei, so dass im Ergebnis von einem noch dünneren Tuch ausgegangen werden müsse. Soweit der Privatsachverständige der Klägerin zu einer Gesamtdicke bzw. Länge der Fasern/Fäden von mehr als 3 mm gekommen sei, beruhe dies auf dem Umstand, dass er die falsche DIN-Norm angewendet habe. Für Vliesstoffe sei die DIN EN ISO XXX anwendbar. Das Klagepatent meine mit der Florhöhe auch nicht die wirksame Länge der Fäden, da ansonsten unterschiedliche Florhöhen existierten, nämlich die Florhöhe der Fäden mit auskragenden Enden und die Florhöhe der Fäden mit einer Schlaufe. Einer solchen Auslegung habe bereits die Einspruchsabteilung widersprochen. Vielmehr müsse die Florhöhe einheitlich bestimmt werden, was den Fachmann dazu veranlassen würde, die Florhöhe in vertikaler Richtung ausgehend von der Trägerschicht zu bestimmen.
  36. Darüber hinaus wiesen die Fäden bei der angegriffenen Ausführungsform auch keine auskragenden Enden mit schräg zur ihrer Längsachse verlaufenden Enden auf, sondern verliefen in Fasernschlaufen mit Scheitelpunkten, so dass es auch keinen Rasierklingeneffekt gebe. Die einzelnen Schlingen (Fasernschlaufen) seien in sich segmentiert, was zu dem Reinigungseffekt führe. Soweit einzelne Fasern ausnahmsweise auskragende Enden aufwiesen, seien dies produktionsbedingte Ausreißer ohne Effekt, die ungewollt seien und durch Kapillarbrüche bspw. beim Vernadeln des Vliess entstünden.
  37. Sie meint, die Klage sei jedenfalls zeitlich zu weitgehend, da die angegriffene Ausführungsform erst seit Mitte 2017 vertrieben würde und die Klage daher bis dahin abzuweisen sei.
  38. Die Beklagte ist der Auffassung, das Klagepatent werde sich in der Entscheidung über die beim Bundespatentgericht anhängige Nichtigkeitsklage als nicht rechtsbeständig erweisen, da die von ihm beanspruchte technische Lehre durch den Stand der Technik nahegelegen habe. Insoweit sei auch das Klagegebrauchsmuster nicht schutzfähig, so dass auch der Löschungsantrag hinreichende Aussicht auf Erfolg habe.
  39. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie auf die zu den Akten gereichten Unterlagen ergänzend Bezug genommen.
  40. Entscheidungsgründe
  41. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
  42. A.
    Die Klage ist unbegründet, da der Klägerin der Nachweis der Verwirklichung aller Merkmale der Klageschutzrechts durch die angegriffene Ausführungsform nicht gelungen ist.
  43. I.
    Das Klagepatent betrifft eine Wundreinigungseinrichtung und insbesondere ein Tuch zur Verwendung bzw. zur spezifischen Anwendung als Wundreinigungstuch für die Reinigung bzw. das Debridement von Wunden oder der Haut. Das aus dem Klagepatent abgezweigte Klagegebrauchsmuster betrifft den gleichen Gegenstand.
  44. Wie das Klagepatent einleitend in Absatz [0002] ausführt, stellt die Reinigung einer Wunde den Beginn jeglicher medizinischer Wundbehandlung dar. Hierfür wurden aus dem Stand der Technik bekannte verschiedene Methoden und Hilfsmittel angewendet. So war die Reinigung von Wunden mittels Baumwolltupfer vorbekannt und weit verbreitet. Daneben waren auch chirurgische oder hydro-chirurgische Reinigungsmethoden oder die Anwendung von Stoßwellentherapie oder Ultraschall als Mittel zur Wundreinigung bekannt. Als zentral für eine erfolgreiche Wundreinigung stellt das Klagepatent dar, dass einerseits die Verschmutzung möglichst vollständig beseitigt werden soll, andererseits aber der bereits eingetretene Heilungsprozess nicht durch Zerstören bzw. Abreiben des bereits neu gebildeten intakten Wundverschlusses rückgängig gemacht werden soll. Dies gilt insbesondere bei langwierigen ärztlichen Behandlungen von chronischen Wunden.
  45. Von besonderer Wichtigkeit bei der Behandlung von akuten Wunden und insbesondere von chronischen Wunden benennt das Klagepatent in Absatz [0003] das sogenannte Debridement. Es handelt sich dabei um den Vorgang der Wundbettpräparation bei dem vom Körper selbst gebildete Substanzen oder mit anderen Worten Humanmaterial wie z.B. überschießende Flüssigkeiten, Vibrinbeläge, abgestorbenes Gewebe der Oberhaut wie z. B. überschießendes Hornmaterial oder tote Hornzellen und/oder Beläge aus abgestorbenem Gewebe (Nekrosen) entfernt werden. Zum Prioritätszeitpunkt war ein solches Debridement praktisch nur mit medizinisch technischen Mitteln wie der Hydrochirurgie, Stoßwellenbehandlung oder auf chirurgischem Wege zu erreichen. Darüber hinaus gab es im Stand der Technik die umstrittene Form der längerfristigen Anwendung speziell angefeuchteter Wundverbände, welche nach längerer Zeit des Tragens einen solchen Debridementeffekt erzielen sollten. Als nachteilig an den vorbekannten Methoden kritisiert das Klagepatent, dass diese aufwendig, schmerzhaft sowie zum Teil aggressiv sind, mit der Folge, dass das Ziel des Debridements, bei der Entfernung des die Wundheilung störenden Biomaterials die jungen sprießenden neuen Hautinseln möglichst unbeeinträchtigt zu bewahren und nur die störenden Substanzen zu entfernen, nicht im gewünschten Maße erreicht werden kann. Ferner kritisiert das Klagepatent, dass die vorbekannten Methoden kostspielig seien (vgl. Absatz [0004])
  46. Das Klagepatent würdigt in Absatz [0005] den aus der EP 0 552 XXXA1 offenbarten Debridementschwamm als vorbekannt, welcher aus mehreren Lagen eines Fasertuches aufgebaut ist. Darüber hinaus nimmt das Klagepatent noch auf das aus der US 2004/XXX A1 offenbarte laminierte Tuch Bezug, welches die Merkmale des Oberbegriffs des Patentanspruchs 1 vorwegnehme und für verschiedenste Verwendungsmöglichkeiten, unter anderem die Verwendung im medizinischen bzw. sanitären Bereich, geeignet sei. Schließlich nimmt das Klagepatent noch auf die US 2008/XXX A1, die US-XXX, die DE XXX A1, die US 3, XXX, XXX und die US 5, XXX, XXX Bezug.
  47. Vor dem Hintergrund dieses Standes der Technik formuliert es das Klagepatent in Absatz [0006] als (technische) Aufgabe, eine Möglichkeit zur Wundreinigung und insbesondere zum Debridement zu schaffen, bei der eine schonende aber auch einfach durchführbare Vorgangsweise zur Wundreinigung, insbesondere zum Debridement, möglich wird, welche die Verschmutzungen zufriedenstellend beseitigt, aber den bereits eingetretenen Heilungsprozess nicht stört oder wieder rückgängig macht.
  48. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das in eingeschränktem Umfang aufrechterhaltene Klagepatent in Anspruch 1 eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor:
  49. Wundreinigungseinrichtung, welche
    1. ein Wundreinigungstuch (1) aufweist oder ist, welches
    1.1. eine Trägerschicht (2) und
    1.2. an der Trägerschicht (2) angeordnete und von der Trägerschicht (2) abstehende Fäden (3)
    1.2.1. aus synthetischen Fasern aufweist, wobei
    1.2.2. zumindest einige der Fäden (3) auf ihrer von der Trägerschicht (2) abgewandten Seite frei auskragende Enden (4) aufweisen, wobei
    1.2.3. die Fäden (3) schräg zu ihrer Längserstreckung verlaufende Enden (4) bzw. Endflächen aufweisen und
    1.2.4. die von der Trägerschicht abstehenden Fäden einen an der Trägerschicht angeordneten und von diese r abstehenden Flor bilden und
    2. das Wundreinigungstuch steril in einer Verpackung (7) verpackt ist, dadurch gekennzeichnet, dass
    1.2.4.1. die Florhöhe zwischen 3 und 30 mm beträgt und
    1.2.4.2. die von der Trägerschicht abstehenden Fäden zwischen 0,5 und 30 dtex aufweisen.
  50. Das Klagegebrauchsmuster schlägt – in der hier geltend gemachten eingeschränkten Fassung – zur Lösung der identischen Aufgabe eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor:
  51. Wundreinigungseinrichtung, welche
    1. ein Wundreinigungstuch (l) aufweist oder ist, welche
    1.1. eine Trägerschicht (2) und
    1.2. an der Trägerschicht (2) angeordnete und von der Trägerschicht (2) abstehende Fäden aufweist, wobei
    2. das Wundreinigungstuch steril in einer Verpackung (7) dadurch gekennzeichnet, dass
    1.2.1.1. die Länge der Fäden zwischen 3 und 30mm beträgt und
    1.2.1.2. die von der Trägerschicht Abstehenden Fäden zwischen 0,5 und 20 dtex aufweisen.
  52. II.
    Zwischen den Parteien steht im Hinblick auf das Klagepatent – zu Recht – allein die Verwirklichung der Merkmale 1.2.2 und 1.2.4.1 in Streit. Diese streitigen Merkmale sind indes nicht sämtlich durch die angegriffene Ausführungsform verwirklicht.
  53. 1.
    Die angegriffene Ausführungsform macht Gebrauch von Merkmal 1.2.2, gemäß dem zumindest einige der Fäden eines klagepatentgemäßen Wundreinigungstuchs auf ihrer von der Trägerschicht abgewandten Seite frei auskragende Enden aufweisen.
  54. 1.1.
    Der geltend gemachte unabhängige Anspruch 1 des Klagepatents offenbart eine Vorrichtung zur Wundreinigung, die gemäß Merkmal 1. ein Wundreinigungstuch aufweist und dessen nähere Ausgestaltung in den Merkmalen 1.1. bis 1.2.4.2. weiter beschrieben ist. Danach umfasst das Wundreinigungstuch eine Trägerschicht (Merkmal 1.1.) und an der Trägerschicht angeordnete und von dieser abstehende Fäden (Merkmal 1.2.). Die an der Trägerschicht angeordnete und von dieser abstehenden Fäden bestehen aus synthetischen Fasern (Merkmal 1.2.1.) und weisen – zumindest einige der Fäden – auf ihrer von der Trägerschicht abgewandten Seite frei auskragende Enden auf (Merkmal 1.2.2.). Gemäß Merkmal 1.2.3. weisen die auskragenden Fäden schräg zu ihrer Längserstreckung verlaufende Enden bzw. Endflächen auf. Die von der Trägerschicht abstehenden Fäden bilden nach Merkmal 1.2.4. einen von der Trägerschicht abstehenden Flor, dessen Florhöhe nach Merkmal 1.2.4.1. zwischen 3 und 30 mm beträgt und dessen Fäden zwischen 0,5 und 30 dtex aufweisen (Merkmal 1.2.4.2.). Schließlich ist das Wundreinigungstuch steril in einer Verpackung verpackt (Merkmal 2.).
  55. Danach setzt das Klagepatent ein Wundreinigungstuch voraus, dessen von der Trägerschicht abstehende Fäden einen Flor bilden und deren offenen, d.h. der Trägerschicht gegenüberliegenden, Enden – jedenfalls zu einem Teil – frei auskragend sind, mithin über ein offenes Ende verfügen. Der Anspruch 1 macht zudem noch weitere Angaben zur Ausgestaltung dieses Endes, da das auskragende Ende über eine schräg zur Längserstreckung der Fäden verlaufende Endkante verfügen muss.
  56. Dies kann der Fachmann bereits dem Sinngehalt der Anspruchsmerkmale 1.2.2. und 1.2.3. entnehmen, die sich auf die Ausgestaltung der abstehenden Fäden beziehen. In Merkmal 1.2.2. wird vorgegeben, dass „zumindest einige“ der Fäden auf ihrer von der Trägerschicht abgewandten Seite frei auskragende Enden aufweisen sollen. Daraus schließt der Fachmann zum einen, dass vom Anspruchswortlaut auch solche Tücher umfasst sein sollen, deren Enden ausschließlich über vorbeschriebene Enden verfügen, da das Wort zumindest keine Beschränkung nach oben hin darstellt. Darüber hinaus erkennt er aber auch, dass nicht alle den Flor bildende Fäden zwingend über eine schräg verlaufende Endkante verfügen müssen, sondern auch solche Tücher mit umfasst sein sollen, bei denen nur ein Teil der Fäden über solche Enden verfügen, da auch dann die Vorgabe „zumindest einige“ erfüllt ist. Auch wenn der Wortlaut des Anspruchs dem Fachmann keinen Hinweis darauf gibt, wie viele Fäden genau im Sinne einer Mindestanzahl über entsprechende Endkanten verfügen müssen, so schließt der Fachmann aus dem Vorhandensein der Angabe „zumindest einige“ darauf, dass es nach dem Klagepatent auch solche Tücher geben kann, die zwar auch über Fäden mit auskragenden Enden verfügen, die jedoch im Verhältnis zu den anders gestalteten Fäden ohne schräg verlaufende Kante nicht ins Gewicht fallen.
  57. Unterstützung in diesem Verständnis erfährt der Fachmann auch in der allgemeinen Beschreibung des Klagepatents. In Absatz [0009] wird dort mit Blick auf die auskragende Ende aufweisenden Fäden ausgeführt:
  58. „Weiter[s] ist vorgesehen, dass zumindest einige, vorzugsweise zumindest 50% der Fäden auf ihrer von der Trägerschicht abgewandten Seite frei auskragende, vorzugsweise abgeschnittene, Enden aufweisen. Günstigerweise haben zumindest 80% oder 90% der, vorzugsweise alle, Fäden auf ihrer von der Trägerschicht abgewandten Seite frei auskragende, vorzugsweise abgeschnittene, Enden. Durch diese frei auskragenden Enden entwickeln die Fäden eine Art Rasierklingeneffekt, der die Entfernung von Schmutzpartikeln und/oder störendem biologischem, insbesondere vom Körper selbst produziertem, Material aus der Wunde besonders effektiv macht, in diesem Sinne ist weiter[s] vorgesehen, dass die Fäden schräg zu ihrer Längserstreckung verlaufende, vorzugsweise abgeschnittene, Enden bzw. Endflächen aufweisen. Unter „schräg“ werden dabei alle Winkel verstanden, die weder orthogonal bzw. normal noch parallel zur Längserstreckung der Fäden verlaufen. […]“
  59. Der Fachmann kann dieser Beschreibungsstelle entnehmen, dass jedenfalls ein Teil der den Flor des Wundreinigungstuchs bildenden Fäden über frei auskragende Enden verfügen. Zwar spricht das Klagepatent in diesem Absatz davon, dass „vorzugsweise mindestens 50%“ aller der den Flor bildenden Fäden über entsprechende Endkanten verfügen sollen, wobei dem Fachmann durch den gewählten Begriff „vorzugsweise“ klar ist, dass es das Klagepatent nicht ausschließen will, wenn auch weniger als die angegebenen 50% der Fäden über entsprechende Enden verfügt. Die Beschreibungsstelle ist indes nicht geeignet, das fachmännische Verständnis des Anspruchs 1 derart zu beschränken, dass der Fachmann eine Mindestanzahl von Fäden mit entsprechenden Enden als Voraussetzung voraussetzen würde. Denn der Fachmann erkennt, dass es sich bei dieser Passage nur um eine Beschreibungsstelle einer bevorzugten Ausführungsform handelt und die dortigen prozentualen (Mengen-)Angaben weder Niederschlag im unabhängigen Hauptanspruch noch in einem der Unteransprüche gefunden haben. Daraus schließt er, dass es dem Anspruch nicht auf eine Mindestanzahl an Fäden mit frei auskragenden enden im Sinne eines festen prozentualen (Mindes-)Anteils ankommt und damit auch solche Tücher unter den Anspruch fallen, deren Anteil von Fäden mit auskragenden Enden unter 50% liegt.
  60. Entsprechendes ergibt sich auch unter Zugrundlegung einer technisch-funktionalen Betrachtung. Der Fachmann erkennt, dass den frei auskragenden Enden der Fäden (mithin dem Flor) eine bestimmte Funktion zukommen soll, nämlich das aus der Wunde zu entfernende (Human-)Material und Schmutzpartikel besser zu lösen, indem die Enden wie eine Rasierklinge die entsprechenden Materialein schneiden (vom übrigen Gewebe trennen), so dass sie durch den Flor entfernt und in diesem festgehalten werden können. Insoweit macht das Klagpatent in Absatz [0009] auch entsprechende Vorgaben zur Ausgestaltung der Enden, deren Endflächen schräg verlaufen sollen, also weder orthogonal noch parallel zur Längserstreckung der Fäden, um eine ausreichend effektive Schnittkante zu bilden. Er kann aber weder dem Anspruch noch der Beschreibung Anhaltspunkte für eine Mindestanzahl an entsprechenden Fäden und damit dem Umfang des zu erreichenden Rasierklingeneffekts entnehmen. Daraus folgt, dass er es als hinreichend erkennt, wenn die Anzahl der Fäden mit frei auskragenden Enden überhaupt geeignet ist, entsprechende Schmutzpartikel zu entfernen, unabhängig davon, wie stark dieser Effekt ist.
  61. Gestützt wird dieses Verständnis auch durch die Ausführungsbeispiele des Klagepatents, die zwar nicht den Schutzbereich des Klagepatents beschränken können, aber einen Hinweis auf das genannte technische Verständnis liefern. Die nachfolgenden verkleinert wiedergebeben Figuren 1 und 3 zeigen ein erfindungsgemäßes Reinigungstuch bzw. Figur 3 einen einzelnen Faden mit frei auskragendem Ende:
  62. 1.2.
    Demnach ist eine Verwirklichung des Merkmals 1.2.2. durch die angegriffene Ausführungsform vorliegend schlüssig vorgetragen.
  63. Die Beklagte hat zu ihrer Verteidigung vorgebracht, dass die Fäden in den angegriffener Ausführungsform nicht über offene, d.h. frei auskragende Enden verfügen würden, sondern mit beiden Enden in der Träger- bzw. Deckschicht verankert seien, so dass sie Schlaufen bilden, die – unstreitig – kein auskragendes Ende im Sinne des Klagepatents darstellen. Mit Blick auf unstreitig vorhandene Fäden mit frei auskragenden Enden hat die Beklagte behauptet, dass es sich dabei – ausnahmsweise – um produktionsbedingte Ausreißer handelt, die nicht zwingend bei jedem Tuch und in gleichem Umfang vorkämen und deren Entstehung durch die Beklagte auch nicht beeinflusst werden könne.
  64. Die für die Merkmalsverwirklichung, d.h. das Vorhandensein einer entsprechenden Anzahl von Fäden mit frei auskragenden Enden, darlegungs- und beweisbelastete Klägerin hat unter Vorlage von Fotos der angegriffenen Ausführungsform, insbesondere Bild 7 auf S. 6 der ergänzende Stellungnahme des C (Anlage K 11), ausreichend substantiiert vorgetragen, dass die angegriffene Ausführungsform nicht nur eine wenige Fäden mit frei auskragenden Enden aufweist, sondern dass eine Vielzahl entsprechender Fäden in der angegriffenen Ausführungsform vorhanden sind. Selbst wenn man zu Gunsten der Beklagten unterstellt, dass ein Teil dieser Fäden erst durch den Versuchsaufbau, das Streichen gegen die Faserrichtung und Lösen der Fäden aus dem Flor mittels Klebestreifen, aufgebrochen sind, d.h. ein Teil der frei auskragende Enden erst durch die Untersuchung entstanden sind, so verbleiben augenscheinlich dennoch eine erhebliche Anzahl an Fäden mit frei auskragenden Enden, die von Anfang an vorlagen. Dass diesen Fäden überhaupt keinen funktionalen Beitrag leisten – wie die Beklagte in dem nachgelassenen Schriftsatz vom 3. Juni 2019 behauptet – vermochte die Kammer nicht zu erkennen, da die Endflächen schräg im Sinne des Klagepatents verlaufen und damit zumindest geeignet sind, Schmutzpartikel aus der Wunde zu schneiden. Zudem bestätigt der Privatsachverständige der Beklagten in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 30. Mai 2019 (Anlage KAP 13), dass es auch bei der seitens der Beklagten zur Herstellung des Flors eingesetzten Z-Technik zu Fäden mit frei auskragenden Enden kommt, die allerdings nicht alle an der Produktoberfläche erscheinen würden. Da es der Anspruch 1 – wie zuvor dargelegt – zulässt, dass auch deutlich weniger als 50% aller Fäden frei auskragende Enden aufweisen, kommt es nicht in entscheidungserheblicher Art darauf an, in welchen prozentualen Anteil diese Fäden im Gesamtflor/-vlies der angegriffenen Ausführungsform machen und ob alle frei auskragenden Enden auch an der Produktoberfläche sind. Ausreichend ist es, dass auch nur ein Teil dieser Fäden an der Oberfläche erscheint. Daher bedurfte die Frage, ob die „Modellrechnung“ des Prof. C auf Seite 4 seiner ergänzenden Stellungnahme auf die angegriffene Ausführungsform übertragbar ist, keiner Entscheidung.
  65. 2.
    Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht indes nicht das Merkmal 1.2.4.1., gemäß dem die Florhöhe zwischen 3 und 30 mm betragen muss. Eine entsprechende Ausgestaltung der angegriffenen Wundreinigungstücher hat die Klägerin nicht zur Überzeugung der Kammer dargelegt.
  66. 2.1.
    Das Merkmal 1.2.4.1 macht nähere Angaben zur Ausgestaltung des Flors, der aus den von der Trägerschicht anstehenden Fäden gebildet wird. Es bestimmt, dass die Florhöhe zwischen 3 und 30 mm betragen soll.
  67. Unter der Florhöhe im Sinne des Merkmals 1.2.4.1. versteht der Fachmann die Höhe der aus allen von der Trägerschicht abstehenden Fäden gebildeten Struktur (den Flor). Insoweit kommt es nicht bzw. jedenfalls nicht allein auf die (durchschnittliche) Länge der Fäden ausgehend von ihrer Verankerung in der Trägerschicht bis zu ihrem frei auskragenden Ende an. Der Länge der Fäden kommt für die Florhöhe eine nur mittelbare Bedeutung zu, da der Fachmann unter einer Florhöhe die Höhe der aus den einzelnen, kreuz und quer verlaufenden Fäden gebildeten Struktur versteht, mithin die Höhe der vom Flor gebildeten Schicht. Dabei kommt es auf die Länge aller Fäden des Flors an. Dies ergibt sich bereits aus der Systematik des Anspruchs, da Merkmal 1.2.4 vorgibt, dass die von der Trägerschicht abstehenden Fäden einen Flor bilden. Daraus schließt der Fachmann, dass es für die Florhöhe auf alle das Flor bildende Fäden ankommt.
  68. Ein anderes Verständnis der Florhöhe kann der Fachmann weder den Ansprüchen noch der Beschreibung des Klagepatents entnehmen, da er dort keine konkreten Anhaltspunkte dafür findet, was das Klagepatent unter einer Florhöhe versteht. Vielmehr führt es in Absatz [0023] nur aus,
  69. „Die Florhöhe 13 bzw. Länge der Fäden 3 beträgt zwischen 3mm und 30mm, vorzugsweise zwischen 3 und 12 mm, besonders bevorzugt ist eine Florhöhe 13 von 8mm.“
  70. Dem kann der Fachmann nur entnehmen, dass das Klagepatent einen bestimmten Wertebereich beanspruchen möchte und insoweit noch besonders geeignete Florhöhen benennt, ohne dass es dem Fachmann einen Anhaltspunkt an die Hand gibt, wie die Florhöhe zu bestimmen ist. Soweit das Klagepatent in der Beschreibungsstelle die Florhöhe mit der Länge der Fäden gleichsetzt, ist dies dem Umstand geschuldet, dass es sich um die Beschreibung des in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 1 gezeigten Ausführungsbeispiels handelt, bei dem alle Fäden senkrecht nach oben abstehen, mithin die Länge der Fäden gleich der Dicke bzw. der Höhe der aus den Fäden gebildeten Schicht/Struktur ist.
  71. Da es sich bei dem in Figur 1 gezeigten Wundreinigungstuch jedoch nur um ein Ausführungsbeispiel handelt, erkennt der Fachmann, dass die Florhöhe nicht immer zwingend gleich der Länge der Fäden entsprechen muss, da ihm aus den übrigen Ausführungen des Klagepatents (bspw. in Absatz [0009]) bekannt ist, dass die Fäden nicht immer sämtlich borstenartig abstehen müssen, sondern vielmehr einige Fäden auch längs verlaufen können, mithin eine mehr oder weniger ungeordnete Struktur bilden können, deren Höhe nicht der Länge der Fäden entsprechen muss.
  72. Gegen das Verständnis der Klägerin, die als Florhöhe allein die (durchschnittliche) Länge der Fäden mit auskragendem Ende verstanden wissen will, spricht auch, dass das Klagepatent von einer Florhöhe ausgeht, es mithin nicht zwischen der Florhöhe der Fäden mit frei auskragenden Enden und Fäden mit Schlaufen unterscheidet. Das Klagepatent setzt – wie zuvor bereits im Rahmen der Diskussion zu Merkmal 1.2.2 ausgeführt – nicht voraus, dass sämtliche der von der Trägerschicht abgehenden Fäden über Enden mit schräg verlaufenden Endkanten verfügen. Vielmehr lässt es die Lehre des Klagepatents zu, dass es auch Fäden mit anders gestalteten Enden gibt, insbesondere auch Fäden, die eine Schlaufe bilden und deren Enden beide in der Trägerschicht verankert sind. Wenn es – wie die Klägerin meint – nur auf die Länge der Fäden mit auskragenden Enden ankäme, so gebe es mehrere Florhöhen, da die Fäden mit frei auskragenden Enden nicht zwingend die gleiche Länge aufweisen wie die Fäden mit Schlaufen, so dass für beide Arten von Fäden eine eigene Florhöhe bestimmt werden müsste. Dies ergibt indes technisch und vor dem Hintergrund des Zwecks der Fäden keinen Sinn. Daher versteht der Fachmann unter der anspruchsgemäßen Florhöhe die Höhe der gebildeten Struktur.
  73. Bestätigung findet der Fachmann in der Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 29. März 2016. Zwar hat die Kammer die Bestimmung des Sinngehalts eines Patentanspruchs grundsätzlich in eigener Verantwortung vorzunehmen, d.h. unabhängig von einer bereits vorhandenen Auslegung einer zur Entscheidung über den Rechtsbestand berufenen Instanz. Die entsprechenden Ausführungen der zur Entscheidung über den Rechtsbestand berufenen und technisch fachkundigen besetzten Einspruchsabteilung sind indes als gewichtige fachkundige Stellungnahme zu berücksichtigen (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 20. Dezember 2017, Az. I-2 U 69/10, Rz. 134, zitiert nach juris). Auch nach der Auffassung der Einspruchsabteilung setzt das Klagepatent eine einheitliche Florhöhe voraus, mithin nur eine Florhöhe und nicht unterschiedliche Florhöhe für jeweils einzelne Arten von Fäden.
  74. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass bei der Bestimmung der Florhöhe die Dicke der Trägerschicht nicht mit einzubeziehen ist.
  75. 2.2.
    Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat die Klägerin nicht hinreichend dargelegt, dass die angegriffene Ausführungsform Gebrauch von Merkmal 1.2.4.1. macht.
  76. Soweit die Klägerin als Anlage K 9 ein Gutachten von C zur Darlegung unter anderem der Florhöhe zur Akte gereicht hat, ist sie dem Vortrag der Beklagten, die eingesetzten Geräte seien zur Messung der Florhöhe ungeeignet, nicht entgegengetreten. Selbst wenn man den weiteren Vortrag der Klägerin in der Replik und Triplik als implizites Entgegentreten gegen den Vortrag der Beklagten zur Ungeeignetheit der Messungen werten sollte und zudem zu Gunsten der Klägerin unterstellt, dass die von C durchgeführte Untersuchungen fachgerecht sind, so ergibt sich aus den Messungen des Sachverständigen Prof. C an den Mustern der angegriffenen Ausführungsform nur die (durchschnittliche) Länge der Fäden, deren Enden frei auskragend sind. Allein die Länge dieser Fäden ist jedoch für die Bestimmung der Florhöhe im Sinne des Klagepatents unzureichend, da es auf die Länge aller das Flor bildenden Fäden ankommt, mithin auf die Länge der Fäden mit Schlaufen. Diese Fäden sind indes von C nicht vermessen worden. Entsprechende Angaben lassen sich auch nicht der ergänzenden Stellungnahme des Prof. C (Anlage K 11) entnehmen, die diesbezüglich lediglich besser erkennbare Ablichtungen der im Gutachten vorhandenen Bilder mit eingeblendeten Messwerten enthält.
  77. Da die Klägerin der ihr für die Patentverletzung obliegenden Darlegungs- und Beweislast nicht hinreichend nachgekommen ist, kommt es nicht mehr darauf an, ob das seitens der Beklagten zur Akte gereichte Gutachten des D (Anlage KAP 1) nebst ergänzender Stellungnahme (Anlage KAP 13) die Nichtverwirklichung des Merkmals 1.2.4.1. erkennen lässt. Gleichwohl dürfte die von D vorgenommenen Messungen der Dicke der Vliesschicht der Auslegung des Begriffs Florhöhe entsprechen. Der Privatsachverständige G ist bei seinen Messungen zu dem Ergebnis gekommen, dass die angegriffene Ausführungsform (mit der für die Bestimmung der Florhöhe unbeachtlichen Trägerschicht) unter 3 mm hoch/dick ist. Da es auf das Gutachten der Beklagten aber – wie zuvor dargelegt – nicht in entscheidungserheblicher Art ankommt, ist auch nicht von Bedeutung, ob die seitens der Klägerin an den Messungen geäußerten Bedenken (keine Angabe des Messdrucks) durchgreifen. Geht man indes von der Korrektheit der Messungen aus, kommt es auch nicht mehr darauf an, ob die angegriffene Ausführungsform – wie die Beklagte behauptet – über eine Trägerschicht und eine davon unabhängige Deckschicht verfügt, die keine Trägerschicht im Sinne des Klagepatents darstellen könnte.
  78. III.
    Da es sich bei dem Klagegebrauchsmuster um eine Abzweigung aus dem Klagepatent handelt und daher der im Wesentlichen gleiche Gegenstand beansprucht wird, gelten die obigen Ausführungen zur Nichtverletzung des Klagepatents – jedenfalls soweit sie den Punkt Florhöhe betreffen – uneingeschränkt auch für das Klagegebrauchsmuster. Dabei ist unschädlich, dass der geltend gemachte Anspruch des Klagegebrauchsmusters keine Fäden mit frei auskragenden Enden voraussetzt, da es jedenfalls auch insoweit an einer Verwirklichung des Merkmals 1.2.4.1. fehlt, gemäß dem die Länge der Fäden zwischen 3 und 30 mm betragen muss. Ebenfalls unschädlich ist, dass das Klagegebrauchsmuster im Anspruch von „Länge der Fäden“ und nicht – wie da Klagepatent – von der „Florhöhe“ spricht, da der insoweit wesentliche Teil der Beschreibung und der Ausführungsbeispiele des Klagepatent (dort insbesondere Absatz [0023]) vom Klagegebrauchsmuster (vgl. Absatz [0030]) unverändert übernommen wurden. Daher findet sich auch im Klagegebrauchsmuster in Absatz [0030] mit Blick auf das Ausführungsbeispiel der Figur 1 die Gleichsetzung von Florhöhe und Länge der Fäden.
  79. Selbst wenn der Fachmann den Begriff Länge der Fäden im Klagegebrauchsmuster einen anderen Bedeutungsinhalt zuweisen sollte, als dem Begriff Florhöhe des Klagepatents, es also nicht auf die Höhe des aus den einzelnen Fäden gebildete Flors ankommen sollte, sondern nur auf die tatsächliche Länge der einzelnen Fäden, so hat die Klägerin entgegen der ihr obliegenden Darlegungs- und Beweislast nur einen Teil der Fäden der angegriffenen Ausführungsform vermessen und nicht die Länge aller Fäden bestimmt. Daher vermochte die Kammer nicht zu erkennen, dass die Länge (aller) Fäden im beanspruchten Bereich liegt.
  80. IV.
    Mangels Verletzung des Klagegebrauchsmusters kann dahinstehen, ob die der Beklagten grundsätzlich unabhängig von der Erhebung eines Löschungsantrags zustehende Einrede der fehlenden Schutzfähigkeit durchgreifen würde.
  81. V.
    Das im Schriftsatz der Klägerin vom 7. Juni 2019 enthaltene neue Tatsachenvorbringen war bei der Entscheidung nicht zu berücksichtigen, da der Schriftsatz nach Schluss der mündlichen Verhandlung zur Akte gereicht wurde und nicht nachgelassen war. Auch gab der nicht nachgelassene keine Veranlassung zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach § 156 ZPO. Soweit der Beklagten mit Beschluss der Kammer vom 24. Mai 2019 ein Schriftsatznachlass auf den Schriftsatz der Klägerin vom 7. Mai 2019 gewährt worden war, bedurfte es aus den zuvor genannten, die Entscheidung tragenden Gründen keiner weiteren Stellungnahme seitens der Klägerin mehr.
  82. B.
    Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.

Schreibe einen Kommentar