4a O 62/18 – Spenderteil

Düsseldorfer Entscheidungsnummer: 2890

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 18. Juni 2019, Az. 4a O 62/18

  1. I.  Die Klage wird abgewiesen.
  2. II. Die Kosten des Rechtsstreits sowie die außergerichtlichen Kosten der Streithelferinnen trägt die Klägerin.
  3. III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
  4. Tatbestand
  5. Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen behaupteter Patentverletzung auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf patentverletzender Erzeugnisse sowie auf Feststellung der Schadensersatzpflicht dem Grunde nach in Anspruch.
  6. Die Klägerin ist die im Register des Deutschen Patent- und Markenamts eingetragene Inhaberin (vgl. den in Anlage KC2 vorgelegten Registerauszug) des deutschen Teils des Europäischen Patents EP 2 310 XXX B1 (nachfolgend: Klagepatent; vorgelegt als Anlage KC1 und in deutscher Übersetzung als Anlage KC1a). Das in englischer Verfahrenssprache erteilte Klagepatent wurde am 14.05.2009 unter Inanspruchnahme des Prioritätsdatums 16.05.2008 der SE XXX angemeldet. Das Europäische Patentamt veröffentlichte am 10.02.2016 den Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents.
  7. Das Klagepatent steht in Kraft. Die Streithelferin zu 1) hat Nichtigkeitsklage gegen das Klagepatent eingereicht (Az. 5 Ni 2/19), über die das Bundespatentgericht noch nicht entschieden hat.
  8. Der geltend gemacht Anspruch 1 des Klagepatents lautet in der englischen Verfahrenssprache des Klagepatents wie folgt:
  9. In deutscher Übersetzung gemäß dem Klagepatent lautet Anspruch 1:
  10. „Spenderteil, umfassend mindestens zwei Zweikomponententeile (17, 18; 31, 32; 41 a, 42a; 41 b, 42b; 41c, 42c; 41d; 42d), die jeweils durch eine Naht (21; 33; 43a; 43b; 43c; 43d) verbunden sind, wobei der Spenderteil (20) einen ersten spritzgegossenen Kunststoff-Komponententeil (17;31; 41a) mit einer damit verbundenen ersten Paarungsfläc[h]e; einen zweiten spritzgegossenen Kunststoff-Komponententeil (18; 32; 42a) mit einer damit verbundenen zweiten Paarungsfläche, und eine Naht (21; 33; 43a) aufweist, die durch die erste Paarungsfläche und die zweite Paarungsfläche während eines Zweikomponenten-Spritzgießens zur Verbindung des ersten Komponententeils und des zweiten Komponententeils (17, 18; 31, 32; 41a, 42a; 41 b, 42b; 41c, 42c; 41d; 42d) zum Definieren eines Spenderteils (20) gebildet ist,
  11. dadurch gekennzeichnet, dass sich ein Randabschnitt (44b, 44c, 44d) eines Spenderteils an einer Querausdehnung der Naht (43b; 43c; 43d) derart erstreckt, dass die sich ergebende Naht (21; 33; 43a; 43b; 43d) eine Schlagfestigkeit aufweist, die gleich der Festigkeit oder höher als die Festigkeit des zumindest einen und zweiten gegossenen Kunststoff-Komponententeils (17, 18; 31, 32; 41 a, 42a; 41 b, 42b; 41c, 42c; 41d; 42d) ist, die an die Naht angrenzend (21; 33; 43a; 43b; 43c) liegen.“
  12. Hinsichtlich der nur in der Form von Insbesondere-Anträgen geltend gemachten Unteransprüche 2 bis 6, 9 und 10 wird auf die Klagepatentschrift verwiesen.
  13. Zur Veranschaulichung der beanspruchten Lehre wird nachfolgend Fig. 13 des Klagepatents verkleinert eingeblendet, die nach Abs. [0054] der Patentbeschreibung ein erstes Beispiel eines Spenders, der ein erfindungsgemäßes Spenderteil umfasst, zeigt:
  14. Die vorstehend eingeblendete Figur 13 zeigt nach Abs. [0081] der Patentbeschreibung ein Beispiel eines Spenders, der ein erfindungsgemäßes Spenderteil umfasst. In diesem Beispiel wird ein Spenderteil (Bezugsziffer 90) von einem transparenten ersten Komponententeil 91 und einem opaken zweiten Komponententeil 92 gebildet. Das erste Komponententeil 91 und das zweite Komponententeil 92 sind durch eine Naht 93 verbunden. Das Spenderteil 90 ist mit einem hinteren Spenderabschnitt 96 lösbar verbunden, um ein Spendergehäuse 97 zu bilden.
  15. Die nachfolgend eingeblendete Figur 4b zeigt nach Abs. [0054] der Beschreibung des Klagepatents eine schematische Darstellung durch eine erfindungsgemäße Naht:
  16. Nach Abs. [0065] der Patentbeschreibung zeigt die vorstehende Figur 4b ein transparentes erstes Komponententeil 41b und ein opakes zweites Komponententeil 42b. Die Komponententeile 41b, 42b sind an ihren Enden durch eine Naht 43b verbunden. Im Bereich der Naht ist eine Vorderkante des ersten Komponententeils 41b mit einer Lippe 44b versehen, die eingerichtet ist, um das zweite Komponententeil 42b zu überlappen, um die Naht 43b zu verstärken und zu verbergen.
  17. Die Klägerin ist ein (…) Unternehmen, das weltweit unter anderem Hygienepapierprodukte und –spender vertreibt. Die Beklagte ist eine in X ansässige Wettbewerberin der Klägerin auf diesem Markt. Sie vertreibt in Deutschland unter der Marke A, wie etwa
    (…)
    (nachfolgend zusammenfassend: angegriffene Ausführungsformen). Die Klägerin hat Muster der angegriffenen Ausführungsformen im Parallelverfahren 4a O 102/17 als Anlagen K7.1, K7.2 und K7.3 zur Akte gereicht.
  18. Die Beklagte bezieht die angegriffenen Ausführungsformen 1 und 2 von der Streithelferin zu 1); die angegriffene Ausführungsform 3 bezieht sie demgegenüber von der Streithelferin zu 2).
  19. Die Klägerin ist der Ansicht, sämtliche angegriffenen Ausführungsformen verwirklichten die Lehre des Klagepatents wortsinngemäß.
  20. Die Lehre des Klagepatents sei nicht auf Nähte mit einer überstehenden Lippe beschränkt. Der Fachmann entnehme Abs. [0052], dass die Ausformung eines Randabschnitts als Lippe nur eine von verschiedenen Möglichkeiten sei, die Erstreckung des Randabschnitts an einer Querausrichtung der Naht zu realisieren. Selbst wenn man aber den Schutzumfang von Anspruch 1 auf Lippen wie in den Ausführungsbeispielen nach Fig. 4B – 4D beschränkt, werde das Klagepatent von den angegriffenen Ausführungsformen verletzt.
  21. Der Anspruch sei nicht auf Ausführungsformen beschränkt, bei denen der Randabschnitt sich durchgehend entlang der gesamten Naht erstreckt. Eine solche Beschränkung gäben weder Anspruchswortlaut noch Beschreibung des Klagepatents her. So sei in dem Beispiel nach Abs. [0068] der Beschreibung des Klagepatents die Naht nur teilweise durch die Lippe verstärkt. Der patentgemäßen Lehre komme es vielmehr darauf an, dass durch die Erstreckung der Naht deren Schlagfestigkeit gleich oder größer ist als die Schlagfestigkeit der Komponententeile.
  22. Eine solche Erstreckung eines Randabschnitts sei bei den angegriffenen Ausführungsformen gegeben. Dies zeigten die von der Klägerin in den Anlagen KC7-1, KC7-2 und KC7-3 vorgelegten mikroskopischen Bilder der angegriffenen Ausführungsformen. Bei allen drei angegriffenen Ausführungsformen seien zudem jeweils mit bloßem Auge sichtbare überlappende Ausdehnungen (im Rahmen der Anspritzstellen) der Naht erkennbar.
  23. Entscheidend für die Merkmalsverwirklichung sei die relative Schlagfestigkeit. Diese zeige sich bei den angegriffenen Ausführungsformen darin, dass bei einem Schlag auf den Bereich, in dem sich die Naht befindet, zunächst der Bereich auf einer Seite oder parallel zu der Naht bricht – nicht jedoch die Naht selbst. Die mindestens gleiche Schlagfestigkeit sei schon dann gegeben, wenn durch den Aufschlag ein Bruch entsteht, der sowohl durch ein Komponententeil als auch durch die Naht verläuft oder lediglich durch eines der Komponententeile und nicht durch die Naht verläuft. Lediglich ein Bruch nur in der Naht selbst sei außerhalb der anspruchsgemäßen Lehre.
  24. Bereits die von der Beklagten vorgelegte Aufnahme (von S. 33 der Klageerwiderung) zeige, dass eine solche Schlagfestigkeit bei den angegriffenen Ausführungsformen verwirklicht ist. Bestätigt werde das von im Auftrag der Klägerin durchgeführten Versuchen des X-Instituts. Die Klägerin behauptet ferner, weitere, von ihr selbst durchgeführte Tests (vorgelegt in den Anlagen KC9-1, KC9-2 und KC9-3) bestätigten die im Bereich der Lippe (Anspritzstelle) erhöhte Schlagfestigkeit der angegriffenen Ausführungsformen. Auch in den von der Beklagten vorgelegten Teste verlaufe der Bruch nie lediglich in der Naht.
  25. Anspruch 1 des Klagepatents enthalte keine Temperaturvorgabe für das Spritzgießen; eine solche sei weder vom Anspruch noch von der Beschreibung vorgesehen.
  26. Die Nichtigkeitsklage habe keine hinreichenden Aussichten auf Erfolg, so dass eine Aussetzung des Verletzungsverfahrens nicht in Betracht komme.
  27. Die Klägerin beantragt:
  28. I.  die Beklagte zu verurteilen,
  29. 1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlungen bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an ihrem jeweiligen Geschäftsführer zu vollstrecken ist, zu unterlassen,
  30. a. ein Spenderteil, umfassend mindestens zwei Zweikomponententeile,
  31. die jeweils durch eine Naht verbunden sind, wobei der Spenderteil einen ersten spritzgegossenen Kunststoff-Komponententeil mit einer damit verbundenen ersten Paarungsfläche, einen zweiten spritzgegossenen Kunststoff-Komponententeil mit einer damit verbundenen zweiten Paarungsfläche, und eine Naht aufweist, die durch die erste Paarungsfläche und die zweite Paarungsfläche während eines Zweikomponenten-Spritzgießens zur Verbindung des ersten Komponententeils und des zweiten Komponententeils zum Definieren eines Spenderteils gebildet ist,
  32. in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
  33. wobei sich ein Randabschnitt eines Spenderteils an einer Querausdehnung der Naht derart erstreckt, dass die sich ergebende Naht eine Schlagfestigkeit aufweist, die gleich der Festigkeit oder höher als die Festigkeit des zumindest einen und zweiten gegossenen Kunststoff-Komponententeils ist, die an die Naht angrenzend liegen,
    – Klagepatent EP 2 310 XXX B1 (Anspruch 1) –
  34. b. insbesondere, wenn für den Spenderteil nach a. die erste Paarungsfläche und die zweite Paarungsfläche im Allgemeinen nicht planar sind,
    – Klagepatent EP 2 310 XXX B1 (Unteranspruch 2) –
  35. c. insbesondere, wenn für den Spenderteil nach a. oder b. jeder des ersten Komponententeils und des zweiten Komponententeils aus der Gruppe von ABS-Kunststoff ausgewählt sind,
    – Klagepatent EP 2 310 XXX B1 (Unteranspruch 3) –
  36. d. insbesondere, wenn für den Spenderteil nach a. oder b. der erste Komponententeil ein ABS-Kunststoff ist, und das zweite Komponententeil ein MABS-Kunststoff ist,
    – Klagepatent EP 2 310 XXX B1 (Unteranspruch 4) –
  37. e. insbesondere, wenn für den Spenderteil nach b. oder c. der erste Komponententeil ein opaker ABS- Kunststoff ist,
    – Klagepatent EP 2 310 XXX B1 (Unteranspruch 5) –
  38. f. insbesondere, wenn für den Spenderteil nach d. der zweite Komponententeil ein durchsichtiger MABS- Kunststoff ist,
    – Klagepatent EP 2 310 XXX B1 (Unteranspruch 6) –
  39. g. und/oder, wenn für den Spenderteil nach a. bis f. die querverlaufende Querschnittsdicke an der Naht zwischen 1 und 6 mm, vorzugsweise zwischen 2, 5 und 4,5 mm liegt,
    – Klagepatent EP 2 310 XXX B1 (Unteranspruch 9) –
  40. h. und/oder, wenn für den Spenderteil nach a. bis g. beim Biegen die Naht eine Spitzenlast von zumindest X MPa, bevorzugt über X MPa, am höchsten bevorzugt über X MPa aufweist,
    – Klagepatent EP 2 310 XXX B1 (Unteranspruch 10) –
  41. 2.  der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagte die zu Ziffer 1. bezeichneten Handlungen seit dem 10. Februar 2016 begangen hat, und zwar unter Angabe
  42. a.  der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer;
  43. b.  der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren;
  44. c.  der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse, sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;
  45. wobei zum Nachweis der Angaben entsprechende Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
  46. 3.  der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer 1. bezeichneten Handlungen seit dem 10. März 2016 begangen hat, und zwar unter Angabe:
  47. a.  der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen und der jeweiligen Typenbezeichnungen, sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,
  48. b. der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen und der jeweiligen Typenbezeichnungen, sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
  49. c.  der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, im Falle von Internet-Werbung der Domain, der Zugriffszahlen und der Schaltungszeiträume,
  50. d.  der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
  51. wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht-gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten in Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
  52. 4.  die unter I.1. bezeichneten, seit dem 10.02.2016 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich (Urteil des … vom …) festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die erfolgreich zurückgerufenen Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen;
  53. II.  festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I.1. bezeichneten und seit dem 10. März 2016 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird;
  54. Die Klägerin regt ferner die Festsetzung von Teilsicherheitsleistungen für die vorläufige Vollstreckbarkeit an.
  55. Die Beklagte und die Streithelferinnen beantragen,
  56. die Klage abzuweisen;
  57. hilfsweise:
    die Verhandlung bis zur erstinstanzlichen Entscheidung des Bundespatentgerichts in dem gegen das Klagepatent, den deutschen Teil des EP 2 310 XXX B1, anhängigen Nichtigkeitsverfahren auszusetzen.
  58. Die Beklagte trägt vor, die angegriffenen Ausführungsformen (in allen drei Varianten) verwirklichten nicht die Lehre des Klagepatents.
  59. Das Merkmal „an edge portion on one dispenser part extends past a transverse extension of the seam“ werde in deutschen Übersetzung nicht korrekt wiedergegeben; richtig müsse es insoweit heißen: „Erstreckung eines Randabschnitts eines Spenderteils über eine Querausdehnung der Naht hinaus“. Das Klagepatent unterscheide zwischen einer Naht, die eine Querausdehnung aufweist, und einem Randabschnitt, der sich über diese Querausdehnung hinaus erstreckt; damit könnten Naht und Randabschnitt im Anspruch 1 nicht dasselbe sein.
  60. Der Überlappungsbereich müsse in allen Bereichen, in dem die Naht einer Stoßwirkung ausgesetzt sein kann und daher eine höhere Schlagfestigkeit benötigt, vorhanden sein. Da eine Stoßwirkung auf der gesamten Frontfläche denkbar ist, müsse der gesamte Nahtverlauf auf der Frontfläche überdeckt sein.
  61. Eine solche Erstreckung eines Randabschnitts eines Spenderteils über eine Querausdehnung der Naht hinaus sei bei den angegriffenen Ausführungsformen nicht gegeben. Die klägerische Interpretation der Naht sei willkürlich und unzutreffend. Der angeblich überlappende Bereich sei allenfalls geringfügig klein und technisch völlig bedeutungslos. Die daumennagelgroße Anspritzstelle bei den angegriffenen Ausführungsformen könne ebenfalls das Merkmal hinsichtlich der Schlagfestigkeit der Naht nicht erfüllen.
  62. Das Klagepatent setze voraus, dass sich die erhöhte Schlagfestigkeit auch aus der Kombination mit einer geeigneten Einspritztemperatur, namentlich 260 – 290° C, vorzugsweise 280° C resultiere, was von den angegriffenen Ausführungsformen nicht verwirklicht werde.
  63. Die Naht weise bei den angegriffenen Ausführungsformen keine Schlagfestigkeit auf, die gleich oder höher ist als die Festigkeit des gegossenen Kunststoffkomponententeils, die an die Naht angrenzen.
  64. Das Klagepatent sei nicht rechtsbeständig, so dass das Verfahren jedenfalls bis zur Erledigung des durch die Streithelferin zu 1) eingeleiteten Nichtigkeitsverfahrens auszusetzen sei. Das Klagepatent sei jeweils nicht neu gegenüber der JPSXXX (Entgegenhaltung N6) und der USXXX (Entgegenhaltung N7); jedenfalls fehle dem Klagepatent die erfinderische Tätigkeit gegenüber einer Kombination dieser beiden Entgegenhaltungen.
  65. Das Verfahren ist mit Beschluss vom 29.05.2018 von dem Verfahren 4a O 102/17 abgetrennt worden, dem die Streithelferinnen zu diesem Zeitpunkt bereits beigetreten waren. Dem hiesigen Rechtsstreit ist die Streithelferin zu 1) mit Schriftsatz vom 17.01.2019 (Bl. 333 GA) und die Streithelferin zu 2) mit Schriftsatz vom 14.11.2018 (Bl. 322 GA) beigetreten.
  66. Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf die ausgetauschten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14.05.2019 Bezug genommen.
  67. Entscheidungsgründe
  68. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche aus Art. 64 EPÜ i.V.m. §§ 139 Abs. 1, Abs. 2, 140a Abs. 3, 140b Abs. 1 PatG, §§ 242, 259 BGB nicht zu, da eine Verletzung des Klagepatents durch die angegriffenen Ausführungsformen nicht festgestellt werden kann.
  69. I.
    Die angegriffenen Ausführungsformen (1 bis 3) machen von der Lehre des Klagepatents keinen Gebrauch.
  70. 1.
    Das Klagepatent (nachfolgend stammen Abs. ohne Quellenangabe dem Klagepatent) betrifft Spenderteile, insbesondere Spender oder Teile von Spendern, die mindestens zwei Komponenten umfassen, welche aus einer Reihe von Kunststoffmaterialien ausgewählt sind und entlang einer Naht verbunden sind.
  71. In seiner einleitenden Beschreibung schildert das Klagepatent, dass es bei vielen Spender häufig wünschenswert ist, ein Spenderteil vorzusehen, bei dem mindestens eine äußere Fläche, eine Schale oder ein ähnliches Spenderteil aus zwei ähnlichen oder unterschiedlichen Kunststoffmaterialien hergestellt ist, etwa aus transparentem und opaken Material (Abs. [0002]).
  72. Bei der Herstellung eines solchen Spenderteils wird die erste Komponente in der Regel in einer ersten Form spritzgegossen und in eine zweite Form überführt, um sich mit einer anschließend eingespritzten Komponente zu verbinden. Bei einem auf diese Weise gefertigten Spenderteil können Probleme mit einem Verzug mindestens der ersten Komponente sowie der Naht auftreten, insbesondere in oder nahe den Bereichen der Seitenkanten. Die Komponententeile werden in der Regel an ihren Enden miteinander zusammengefügt, und selbst mit lokalen Verstärkungen kann es sein, dass es der Naht an ausreichender Festigkeit mangelt, um den Kräften standzuhalten, denen sie möglicherweise bestimmungsgemäß widerstehen muss. Beispielsweise kann die Vorderseite des Spenders einer versehentlichen oder bewussten Punktbelastung ausgesetzt sein, wie etwa einer Aufprallkraft, die von einem Stoß gegen den Spender durch ein Objekt oder eine Person verursacht wird. Eine schwache Naht kann dazu führen, dass das Spenderteil, welches die Abdeckung bildet, entlang mindestens eines Teils der Stirnfläche reißt, was einen Austausch des Spenderteils erforderlich macht (Abs. [0003]).
  73. Aus verschiedenen Dokumenten aus dem Stand der Technik sind diverse Verfahren zur Herstellung von spritzgegossenen Produkten bekannt (Abs. [0004] f.). So offenbart die WO XXX (vorgelegt in Anlage BC3) nach der Beschreibung des Klagepatents den Oberbegriff von Anspruch 1 (Abs. [0004]). Kritik an den genannten Dokumenten aus dem Stand der Technik übt das Klagepatent nicht.
  74. Vor diesem Hintergrund nennt es das Klagepatent in Abs. [0006] als seine Aufgabe, ein verbessertes Spenderteil und ein Verfahren zu seiner Herstellung bereitzustellen, um die obigen Probleme hinsichtlich des Verzugs des Spenderteils und der Festigkeit der Naht zu lösen.
  75. 2.
    Zur Lösung schlägt das Klagepatent ein Spenderteil nach Maßgabe von Anspruch 1 vor, der in Form einer Merkmalsgliederung wie folgt dargestellt werden kann:
  76. (…)
  77. Die vorstehende Merkmalsgliederung weicht von der deutschen Übersetzung des Anspruchs im Klagepatent ab, da diese an mehreren Stellen fehlerhaft ist, wie sich im Vergleich mit der nach Art. 70 Abs. 1 EPÜ maßgeblichen englischen Sprachfassung zeigt. Die Änderungen gegenüber der deutschen Übersetzung im Klagepatent sind in der obigen Merkmalsgliederung durch Durchstreichungen und Unterstreichungen (bei Einfügungen) gekennzeichnet, wobei im Folgenden nur von der zutreffenden Übersetzung ohne Kenntlichmachung der Änderungen ausgegangen wird.
  78. So ist in Merkmal 1 „two component parts“ nicht als “zwei Zweikomponententeile“ sondern richtig als „zwei Komponententeile“ zu übersetzen.
  79. In der maßgeblichen englischen Verfahrenssprache lautet der Anfang von Merkmal 3:
  80. “an edge portion on one dispenser part extends past a transverse extension of the seam such that (…)”.
  81. Damit ist die Übersetzung des Anspruchs im Klagepatent nicht richtig, da diese einen „Randabschnitt eines Spenderteils“ verlangt, der sich „an einer Querausdehnung der Naht erstreckt“ verlangt. Zutreffend übersetzt wird „ein Randabschnitt an einem Spenderteil“ verlangt, der sich „über eine Querausdehnung der Naht hinaus, derart“ erstreckt.
  82. Schließlich ist in Merkmal 3 die Passage „des zumindest einen und zweiten gegossenen Kunststoff-Komponententeils“ fehlerhaft – richtig muss es „zumindest eines der ersten und zweiten Komponententeile“ heißen. Es reicht also aus, wenn die Schlagfestigkeit in Bezug auf eines der beiden an der Naht angrenzenden Komponententeile gegeben ist.
  83. 3.
    Das Klagepatent lehrt einen aus zwei Kunststoff-Komponententeilen im Wege des Spritzgießens zusammengefügten Spender bzw. Spenderteil. Um das im Stand der Technik ausgemachte Problem der Beschädigung des Spenders durch einen Stoß zu lösen, sieht der Anspruch in Merkmal 3 vor, dass ein Randabschnitt am Spenderteil existiert, der die Schlagfestigkeit der Naht erhöhen soll. Dies soll einer zu schwachen Naht entgegenwirken. Nach Abs. [0027] kann die Stoßfestigkeit „als die Energie definiert werden, die erforderlich ist, um ein Exemplar zu zerbrechen, das, wie in einem Stoßversuch, einer stoßartigen Belastung ausgesetzt ist. Alternative Begriffe sind Aufprallenergie, Kerbzähigkeit, Schlagzähigkeit und Energieabsorption.“
  84. 4.
    Es lässt sich für die drei Varianten der angegriffenen Ausführungsformen nicht feststellen, dass diese von der Lehre von Anspruch 1 des Klagepatents Gebrauch machen. Es fehlt jeweils an einer feststellbaren Verwirklichung von Merkmal 3, das in zutreffender Übersetzung ohne Bezugsziffern lautet:
  85. „3.  Ein Randabschnitt an einem Spenderteil erstreckt sich über eine Querausdehnung der Naht hinaus, derart, dass die sich ergebende Naht eine Schlagfestigkeit aufweist, die gleich der Festigkeit oder höher als die Festigkeit zumindest eines der einen und zweiten gegossenen Kunststoff-Komponententeile ist, die an die Naht angrenzend liegen.“
  86. a)
    Merkmal 3 enthält zwei Komponenten: Zum einen verlangt es in räumlich-körperlicher Hinsicht einen bestimmten Randabschnitt (hierzu unter aa)), zum anderen eine bestimmte, relative Schlagfestigkeit (hierzu unter bb)), die aus diesem Randabschnitt resultieren muss (hierzu unter cc)). Schließlich muss sich die Schlagfestigkeit für „die Naht“ ergeben (hierzu unter dd)).
  87. aa)
    Merkmal 3 verlangt räumlich-körperlich die Erstreckung eines Randabschnitts über eine Querausdehnung der Naht hinaus.
  88. (1)
    Der Begriff des Randabschnitts („edge portion“) wird im Klagepatent nicht ausdrücklich definiert. Die einzige Erwähnung dieses Begriffs findet sich in Abs. [0068], dessen Text identisch ist mit dem ersten Teil von Merkmal 3:
  89. “[0068] Figures 4B-4D show a seam with an overlap, where an edge portion or a lip 44b, 44c, 44d on one dispenser part extends past the transverse extension of the seam.”
  90. In der deutschen Übersetzung nach Anlage K1a:
  91. „[0068] Die Figuren 4B-4D zeigen eine Naht mit einer Überlappung, wobei sich ein Kantenabschnitt oder eine Lippe 44b, 44c, 44d an einem Spenderteil über die Quererstreckung der Naht hinaus erstreckt.“
  92. Zur Veranschaulichung wird nachfolgend Fig. 4b erneut eingeblendet, in der man die Lippe 44b erkennen kann:
  93. Das Klagepatent verwendet die Begriffe „lip“ und „edge portion“, also Lippe und Randabschnitt (in der deutschen Übersetzung der Beschreibung „Kantenabschnitt“ genannt) weitestgehend synonym.
  94. (2)
    Die Funktion des Randabschnitts entnimmt der Fachmann dem zweiten Teil von Merkmal 3, wonach die Schlagfestigkeit der Naht durch den Randabschnitt derart erhöht werden soll, dass sie mindestens so hoch wie die Schlagefestigkeit eines der an die Naht angrenzenden Komponententeile ist.
  95. Dies bewirkt der Randabschnitt durch eine Vergrößerung der Kontaktfläche zwischen den beiden zusammengefügten Komponententeilen. So heißt es in Abs. [0052]:
  96. „Ein vorderes Ende des ersten Komponententeils ist eingerichtet, um sich über die Naht hinaus in der Querrichtung der Naht zu erstrecken. Im Anschluss kann das vordere Ende des ersten Komponententeils eine Lippe aufweisen, die sich in Richtung zu einer inneren Fläche des zweiten Komponententeils erstreckt. Auf diese Weise lässt sich die oben definierte Gesamtlänge der Kontaktfläche verlängern.“
  97. Zwar handelt es sich hierbei um die Beschreibung eines Ausführungsbeispiels; allgemeine Hinweise auf die Funktion eines Merkmals können aber auch aus solchen Passagen der Patentbeschreibung entnommen werden.
  98. Einen ähnlichen Hinweis auf die Verstärkungsfunktion des Randabschnitts erhält der Fachmann aus der Beschreibung der in Fig. 4B – 4D gezeigten Ausführungsbeispiele in Abs. [0068]:
  99. „Die Figuren 4B-4D zeigen eine Naht mit einer Überlappung, wobei sich ein Kantenabschnitt oder eine Lippe 44b, 44c, 44d an einem Spenderteil über die Quererstreckung der Naht hinaus erstreckt. Die Lippe 44b, 44c, 44d überlappt teilweise die hintere Fläche am gegenüberliegenden Spenderteil, um die Naht zu verstärken.“
  100. Parallele Beschreibungsstellen, wonach die Lippe das zweite Komponententeil überlappt, um die „Naht (…) zu verstärken und zu verbergen“, finden sich auch in Abs. [0065] zu Fig. 4B und in Abs. [0066] zu Fig. 4C und in Abs. [0067] zu Fig. 4D.
  101. (3)
    Der Aufbau des „Randabschnitts“ selbst wird vom Klagepatent nicht näher definiert. Das Klagepatent gibt insofern nur vor, dass es sich um den Randabschnitt „an einem Spenderteil“ handelt. Angesprochen ist also nicht eines der beiden Komponententeile, sondern das Spenderteil, was durch das Zusammenfügen der beiden Komponententeile mittels der Naht gebildet ist. Damit kann der Randabschnitt Teil eines der Komponententeile oder der Naht selbst sein.
  102. (4)
    Das Klagepatent verlangt nach seinen maßgeblichen Wortlaut ferner, dass sich der Randabschnitt „über eine Querausdehnung der Naht erstreckt“ („extends past a transverse extension of the seam“). Hierzu muss sich der Randabschnitt über die eigentlichen Paarungsflächen der Komponententeile hinaus erstrecken.
  103. (a)
    Ein patentgemäßer Randabschnitt ist nicht jede Vergrößerung der Kontaktfläche zwischen den beiden Komponententeilen. Wird der Kontaktbereich nur innerhalb der Naht vergrößert, etwa durch einen gestuften Aufbau, wie ihn die Fig. 5 und 6 des Klagepatents zeigen, ist noch kein Randabschnitt vorhanden, der sich über eine Querausdehnung der Naht erstreckt. Zur Veranschaulichung wird nachfolgend Fig. 5 des Klagepatents eingeblendet (die Merkmal 3 nicht verwirklicht):
  104. (b)
    Die Naht ist nur derjenige Teil der Verbindungsfläche, der sich tatsächlich zwischen den beiden zusammengefügten Komponententeilen befindet; sie geht also nicht über die Paarungsflächen der Komponententeile (vgl. Merkmalsgruppe 2) hinaus.
  105. Dass sich die Naht zwischen den Paarungsflächen der Komponententeile befindet, entnimmt der Fachmann Merkmal 2.3:
  106. „2.3 eine Naht, die durch die erste Paarungsfläche und die zweite Paarungsfläche während eines Zweikomponenten-Spritzgießens zur Verbindung des ersten Komponententeils und des zweiten Komponententeils zum Definieren eines Spenderteils gebildet ist,“ (Bezugsziffern weggelassen).
  107. Weiterhin ersieht der Fachmann aus Abs. [0009], dass die Naht (oder Fuge) „zum Verbinden von zwei Komponententeilen, welche Kunststoffmaterial umfassen, zu einem einzigen Spenderteil eignen“ muss, was aber als Selbstverständlichkeit erscheint.
  108. (c)
    Die Querrichtung („transverse direction“) der Naht definiert das Klagepatent in Abs. [0014]:
  109. „In diesem Zusammenhang ist die Längsrichtung der Naht als die Richtung der vorderen Kante des jeweiligen Komponententeils definiert, an die sich die Naht anschließt, oder als die allgemeine Richtung der vorderen Kante, falls die Kante nichtlinear sein sollte. Die Querrichtung der Naht an einer bestimmten Stelle ist als die Richtung definiert, die rechtwinklig zu der besagten vorderen Kante in der Ebene des Spenderteils an dieser Stelle ist.“
  110. Die Querausdehnung der Naht kann sich nicht auf die gesamte Naht samt Lippe beziehen, da andernfalls kein Randabschnitt denkbar ist, der sich über die Querausdehnung der Naht hinaus erstreckt.
  111. (d)
    Die Querausdehnung der Naht endet vielmehr an dem Punkt, wo auch die jeweilige Paarungsfläche endet – hier beginnt der patentgemäße Randabschnitt. Hierfür ist auch Voraussetzung, dass die Verbindung der beiden Komponententeile in Längsrichtung die eigentliche Höhe der Komponententeile (also deren Querschnitt) überschreitet. Bei einer bündigen Verbindung der Komponententeile ist dagegen kein patentgemäßer Randabschnitt denkbar.
  112. Zur Veranschaulichung wird nachfolgend Fig. 4b in einer vom Gericht bearbeiteten Fassung eingeblendet:
  113. Die Querausdehnung der Naht liegt zwischen den beiden eingezeichneten roten, senkrechten Strichen und besteht damit aus dem gestuften Bereich 43b zwischen den Komponententeilen 41b und 42b. Der Randabschnitt 44b befindet sich dagegen rechts vom rechten Strich und beginnt damit an der Stelle, an der das zweite Komponententeil 42b (wieder) in voller Dicke vorhanden ist. Denn an dieser Stelle enden die zweite Paarungsfläche und damit auch die Naht.
  114. bb)
    Merkmal 3 fordert nicht nur räumlich-körperlich das Vorhandensein eines bestimmten Randabschnitts (der sich über die Querausdehnung der Naht hinaus erstreckt), sondern verknüpft dies mit einer hierdurch zu erreichenden Schlagfestigkeit der Naht.
  115. Diese wird nicht über einen absoluten Wert definiert, sondern im Vergleich mit den Kunststoff-Komponententeilen, die an die Naht angrenzen. Die geforderte Schlagfestigkeit eines der Komponententeile wird vom Klagepatent als Maßstab für die Festigkeit der Naht genommen. Aus Sicht des Klagepatents ist eine Naht ausreichend stark, wenn sie mindestens genauso stoßfest ist, wie eines der von ihr zusammengefügten Komponententeile. Gefordert ist in Anspruch 1 also eine relative Schlagfestigkeit. Eine absolute Schlagfestigkeit der Naht sieht das Klagepatent dagegen nur im Rahmen des Unteranspruchs 14 vor, der eine Schlagfestigkeit von mindestens 10 Joule lehrt.
  116. (1)
    Der Anspruch definiert kein Verfahren zur Prüfung der Schlagfestigkeit. Insofern kann aber im Ausgangspunkt auf das in Abs. [0093] f. beschriebenen Testverfahren („Stoßversuch“) zurückgegriffen werden. Der Stoßversuch wird allerdings nicht als Mittel zur Überprüfung der relativen Schlagfestigkeit der Naht (im Sinne von Merkmal 3) beschrieben, sondern um die absolute Stoßfestigkeit der Naht festzustellen. Der Fachmann erkennt aber, dass er den in Abs. [0093] f. beschriebenen Versuchsaufbau auch dazu verwenden kann, die Schlagfestigkeit der Naht im Vergleich zu den Komponententeilen zu testen – wie es von Merkmal 3 gefordert wird.
  117. Im Beispielsversuch trifft ein Gewicht an einem Arm auf die Stirnfläche des Spenderteils auf, wobei dieses Gewicht eine Fläche besitzt, die „der durchschnittlichen Fläche einer Faust eines männlichen Erwachsenen“ entspricht (Abs. [0094]).
  118. (2)
    Merkmal 3 beschäftigt sich nur mit der Schlagfestigkeit; die hiervon zu unterscheidende Biegefestigkeit steht dagegen außerhalb der beanspruchten Lehre. Die Biegefestigkeit ist nicht Teil der Lehre des Hauptanspruchs, sondern vielmehr Gegenstand des Unteranspruchs 10; zu deren Messung wird in den Abs. [0087] – [0092] ein geeigneter Versuchsaufbau beschrieben. Die Schlagfestigkeit wird in Joule angegeben, während die Biegefestigkeit in MPa gemessen wird.
  119. Ferner ergibt sich die Abgrenzung zwischen der Biegefestigkeit und der für Merkmal 3 alleine relevanten Schlagfestigkeit daraus, dass das Klagepatent in Abs. [0068] ausführt, dass der von Merkmal 3 gelehrte Randabschnitt die Schlagfestigkeit der Naht verbessert, die Biegefestigkeit aber nur begrenzt steigert.
  120. cc)
    Das Klagepatent fordert in Merkmal 3 nicht nur einen bestimmten räumlich-körperlichen Randabschnitt (vorstehend unter aa) erörtert) und eine bestimmte, relative Schlagfestigkeit der Naht (vgl. die Ausführungen oben unter bb)), sondern auch, dass es der Randabschnitt ist, der die verlangte Schlagfestigkeit bewirkt. Der Anspruchswortlaut spezifiziert, dass der Randabschnitt sich „derart“ erstreckt („such that“ in der englischen Sprachfassung des Anspruchs), dass die verlangte Schlagfestigkeit erreicht wird. Hierdurch stellt der Anspruch eine kausale Verknüpfung zwischen Randabschnitt und Schlagfestigkeit her. Der Randabschnitt muss also die Schlagfestigkeit der Naht bedingen oder zumindest relevant dazu beitragen, dass die Naht die vom zweiten Teil von Merkmal 3 geforderte Schlagfestigkeit besitzt.
  121. Dies wird von der Beschreibung des Klagepatents gestützt. So schildert das Klagepatent in Abs. [0068] beansprucht, dass durch die Lippen 44b, 44c und 44d in den Figuren 4B – 4D jeweils bei „der Stoßprüfung ein merklicher positiver Effekt“ festgestellt werden konnte. Entsprechend schlägt das Klagepatent in Abs. [0068] vor, durch diese Lippen die Festigkeit der Naht zu verbessern. Dies hat in Anspruch 1 in Form von Merkmal 3 seinen Niederschlag gefunden.
  122. dd)
    Das Klagepatent schreibt keine bestimmte Ausdehnung des Randabschnitts vor – der Anspruch enthält weder eine Vorgabe, wie weit sich der Randabschnitt über die Querausdehnung der Naht hinaus erstrecken muss, noch, dass der Randabschnitt über den gesamten Verlauf der Naht vorhanden sein muss.
  123. Die Länge des Randabschnitts in Bezug auf den Verlauf der Naht muss aber vom Fachmann so gewählt werden, dass damit eine gesteigerte (relative) Schlagfestigkeit der Naht insgesamt erreicht werden kann. Das Klagepatent gibt eine (relative gemessene) Schlagfestigkeit der Naht vor. Dies versteht der Fachmann als Vorgabe jedenfalls für einen bedeutenden Teil der Naht.
  124. Eine Verstärkung der Naht nur an wenigen Stellen der Naht ist dagegen dann nicht ausreichend, wenn hierdurch nicht für die relevanten Teile der Naht die geforderte Schlagfestigkeit erhält. Denn nur durch eine ausreichende lange Verstärkung können Risse im Spenderteil als Folge eines Stoßes verhindert werden (was das Klagepatent in Abs. [0003] an den Ausgestaltungen im Stand der Technik kritisiert). Wenn dieser Schutz vor Rissen aber nur an wenigen Stellen vorhanden ist, d.h. wenn bei einem Stoß auch ein Abschnitt der Naht betroffen sein kann, der nicht durch einen Randabschnitt verstärkt ist, und es so zu einem Riss kommt, wird das vom Klagepatent angestrebte Ziel gerade nicht erreicht.
  125. b)
    Vor dem Hintergrund der vorstehenden Auslegung kann die Verwirklichung von Merkmal 3,
  126. „3.  Ein Randabschnitt an einem Spenderteil erstreckt sich über eine Querausdehnung der Naht hinaus, derart, dass die sich ergebende Naht eine Schlagfestigkeit aufweist, die gleich der Festigkeit oder höher als die Festigkeit zumindest eines der einen und zweiten gegossenen Kunststoff-Komponententeile ist, die an die Naht angrenzend liegen“
  127. auf Grundlage des Vortrags der Klägerin bei keiner der angegriffenen Ausführungsformen festgestellt werden. Aus diesem Grund war der angebotene Sachverständigenbeweis nicht einzuholen, da dies eine unzulässige Ausforschung bedeutet hätte.
  128. aa)
    Die angegriffene Ausführungsform 1 (…) verwirklicht die Lehre des Klagepatents nicht. Bei der angegriffenen Ausführungsform 1 ist kein Randabschnitt feststellbar, der sich über die Querausdehnung der Naht hinaus erstreckt.
  129. (1)
    Das von der Klägerin im Klageerweiterungsschriftsatz (…) zur Begründung der Verwirklichung von Merkmal 3 eingeblendete Bild lässt keinen patentgemäßen Randabschnitt erkennen. Vielmehr ist hierin nur eine gestufte Naht erkennbar, welche der nicht anspruchsgemäßen Ausgestaltung in Fig. 4A entspricht:
  130. Auch die von der Klägerin in der Replik (…) vorgelegten Bilder der angegriffenen Ausführungsform lassen keinen Randabschnitt im Sinne von Merkmal 3 erkennen:
  131. Dies verdeutlichen auch die Bilder und technischen Zeichnungen der Beklagten in der Klageerwiderung (…) und in der Duplik (…). Hierin ist ebenfalls jeweils ein bündiger Abschluss der Naht erkennbar.
  132. (2)
    Soweit die Klägerin erstmals in der Replik (…) zusätzlich auf die Anspritzstelle („transparente Überlappung“) abstellt, kann bei der angegriffenen Ausführungsform 1 kein patentgemäßer Randabschnitt festgestellt werden. Zwar ist hier die Kontaktfläche vergrößert. Dies alleine kann aber – wie oben ausgeführt wurde – die räumlich-körperlichen Vorgaben von Merkmal 3 nicht erfüllen.
  133. Denn die „transparente Überlappung“ in der Anspritzstelle erstreckt sich nicht über die Querausdehnung der Naht hinaus, wie das auf (…) gezeigte Bild sowie das Muster der angegriffenen Ausführungsform 1 erkennen lassen. Zwar ist die Naht an der Anspritzstelle breiter und das transparente Komponententeil ragt gewissermaßen in das opake Komponententeil hinein. Dies wird aber durch eine Ausnehmung im opaken Komponententeil erreicht. Der Übergang weist auch keine größere Dicke auf; das transparente Komponententeil überlappt / überragt gerade nicht das opake Komponententeil. Vielmehr sind die Komponententeile nur an den Paarungsflächen bündig miteinander verbunden. Dies verdeutlicht auch die von der Beklagten auf S. X der Duplik (…) gezeigte Zeichnung, die nachfolgend zur Verdeutlichung eingeblendet wird:
  134. bb)
    Bei der angegriffenen Ausführungsform 2 (…) kann eine Verwirklichung von Merkmal 3 ebenfalls nicht festgestellt werden.
  135. (1)
    Bei der angegriffenen Ausführungsform 2 hat die Klägerin in der Replik (…) an einer von zwei Positionen einen räumlich-körperlich vorhandenen Randabschnitt gezeigt:
  136. Bei der „C“ besteht zwar eine Verdickung der Naht, diese endet aber an der Position in der Querrichtung, an der auch die Naht selbst endet, was außerhalb von Merkmal 3 liegt.
  137. Bei der „D“ ist dagegen ein Randabschnitt erkennbar, der über die Querausdehnung der Naht hinausgeht. Allerdings hat die Klägerin nicht dargelegt, in welchem Ausmaß die in „D“ gezeigte Ausgestaltung der Naht bzw. des Randabschnitts vorhanden ist. Dagegen hat die Beklagte einen Randabschnitt, der sich über die Querausdehnung der Naht erstreckt, bestritten und vorgetragen, dass eine angeblich Erstreckung nur in einem punktuellen Durchschnitt Merkmal 3 nicht verwirklichen kann. Hierauf hin hat die Klägerin nicht zum Umfang des Randabschnitts entlang der Naht vorgetragen.
  138. (2)
    Es lässt sich nicht feststellen, dass der in „D“ vorhandene, offenbar nur einen Teil des Nahtverlaufs betreffende Randabschnitt die von Merkmal 3 geforderte Verstärkung der Naht bewirkt. Die von Merkmal 3 gelehrte Kausalität ist nicht hinreichend dargetan.
  139. Die von der Klägerin eingereichten Bilder können diese nicht nachweisen. Nachfolgend werden von der Klägerin eingereichte Bilder von S. X der Replik (…) und anschließend von S. X (…) eingeblendet:
  140. Es lässt sich bei beiden Bildern nicht feststellen, dass der Verlauf des Risses, der nach dem Vortrag der Klägerin die Schlagfestigkeit der Naht belegen soll, von dem in „D“ gezeigten Randabschnitt beeinflusst wurde. Genauso gut könnte die Naht auch ohne weitere Maßnahmen eine höhere oder gleichhohe Festigkeit als die angrenzenden Komponententeile aufweisen.
  141. (3)
    Der halb-elipsenförmige Verlauf des Spalts in dessen Mitte deutet allenfalls einen Einfluss der Anspritzstelle auf den Verlauf des Risses. Diese stellt aber keinen räumlich-körperlichen Randabschnitt im Sinne von Merkmal 3 dar. Die Ausgestaltung der Anspritzstelle in der angegriffenen Ausführungsform 2 entspricht der in der angegriffenen Ausführungsform 1, so dass auf die Ausführungen oben verwiesen werden kann.
  142. (4)
    Aber auch aus einem anderen Grund ist die Kausalität im Sinne von Merkmal 3 nicht dargetan. Das Rissmuster bei der angegriffenen Ausführungsform 2 entspricht weitgehend dem bei der angegriffenen Ausführungsform 1 (vgl. die Bilder in Anlagen KC1 und KC2). Bei der angegriffenen Ausführungsform 1 ist aber nicht einmal punktuell ein patentgemäßer Randabschnitt vorgetragen worden. Hieraus kann geschlossen werden, dass der Riss außerhalb der Naht gerade nicht durch einen – wo auch immer in der angegriffenen Ausführungsform 2 vorhandenen – Randabschnitt verursacht wurde, der sich über die Querausdehnung der Naht hinaus erstreckt.
  143. Vor diesen Hintergrund kann eine verbesserte Schlagfestigkeit bei der angegriffenen Ausführungsform aufgrund eines patentgemäßen Randabschnitts nicht festgestellt werden. Dies gilt insbesondere, da die Klägerin in der Klageerweiterung vom 13.11.2017 (…) vorgetragen hat, dass die drei Varianten der angegriffenen Ausführungsformen hinsichtlich der Merkmale des Patentanspruchs baugleich seien. Wenn aber bei der angegriffenen Ausführungsform 1 ohne Verwirklichung eines Randabschnitts nach Merkmal 3 das gleiche Rissmuster wie bei der angegriffenen Ausführungsform 2 auftritt, kann bei letzterer kein Randabschnitt vorhanden sein, der zu der geforderten Nahtverstärkung führt.
  144. cc)
    Für die angegriffene Ausführungsform 3 (…) hat die Klägerin einen Randabschnitt im Sinne von Merkmal 3 ebenfalls nicht hinreichend vorgetragen.
  145. (1)
    Bei keinen der drei Bilder der angegriffenen Ausführungsform 3 auf S. X ist ein Randabschnitt im Sinne von Merkmal 3 vorhanden.
  146. An der „C“ ist zwar eine Ausdehnung der Naht vorhanden, die über die Dicke der Komponententeile hinausgeht. Jedoch setzt sich kein Randabschnitt über die Querausdehnung der Naht fort. Die „Verdickung“ endet in Querrichtung an der Position, an der auch die Naht endet.
  147. An der „D“ in der angegriffenen Ausführungsform 3 ist schon keine Verdickung vorhanden; die Komponententeile schließen bündig zueinander ab:
  148. (2)
    Für die Anspritzstelle kann auch bei der angegriffenen Ausführungsform 3 kein räumlich-körperlicher Randabschnitt, der sich über die Querausdehnung der Naht hinaus erstreckt, festgestellt werden.
  149. (a)
    Zwar hat das transparente Teil der Anspritzstelle bei der angegriffenen Ausführungsform 3 (anders als bei den anderen angegriffenen Ausführungsformen 1 und 2) eine größere Dicke und weist damit eine größere Höhe als das opake Teil im Übrigen auf, wie eine Inaugenscheinnahme des eingereichten Musters (Anlage K7.3 im Parallelverfahren 4a O 102/17) erkennen lässt. Jedoch kann nicht festgestellt werden, ob sich das transparente Teil auch über die Naht hinaus erstreckt (was auch bei den anderen angegriffenen Ausführungsformen nicht der Fall ist). Die Klägerin hat dies nicht vorgetragen. Sie hat zudem nicht dargetan, inwiefern sich die Anspritzstelle in der angegriffenen Ausführungsform 3 von der in den beiden anderen angegriffenen Ausführungsformen unterscheidet (die ja nach ihrem Vortrag baugleich in Bezug auf die Merkmalsverwirklichung sein sollen).
  150. (b)
    Es erscheint auch bei Inaugenscheinnahme der angegriffenen Ausführungsform 3 möglich, dass sich der erhabene Teile des transparenten Teils der Anspritzstelle nur über einer Vertiefung im opaken Teil befindet – also über der Naht und nicht über deren Querausdehnung hinaus. Eine genauere Darstellung der Anspritzstelle, insbesondere deren Querschnitt, hat die Klägerin nicht vorgebracht.
  151. (c)
    Ferner kann mangels Vortrag nicht festgestellt werden, ob es sich bei der Verdickung um einen Randabschnitt handelt oder nicht sogar um ein zusätzliches Teil, dass keinen Einfluss auf die Festigkeit der Naht hat.
  152. (d)
    Schließlich kann nicht festgestellt werden, dass die Anspritzstelle für das von der Klägerin dargelegte Rissmuster (vgl. Anlage KC-3) ursächlich ist, was aber von Merkmal 3 verlangt wird.
  153. II.
    Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 S. 1, 101 Abs. 1, 1. HS. ZPO.
  154. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

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