4b O 21/09 – Kleinkinder-Trinkbecher

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 1420

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 27. April 2010, Az. 4b O 21/09

Rechtsmittelinstanz: 2 U 62/10

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Der Streitwert wird auf 500.000,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin ist seit dem 30. Oktober 2007 eingetragene und allein verfügungsberechtigte Inhaberin des europäischen Patents EP 1 014 XXX B1 (Anlage K 1, im Folgenden: Klagepatent), das unter Inanspruchnahme einer US-amerikanischen Priorität vom 21. August 1997 (US 56XXX P) am 21. August 1998 angemeldet, und dessen Anmeldung am 5. Juli 2000 veröffentlicht wurde. Die Erteilung des Klagepatents wurde am 15. August 2007 veröffentlicht. Eine deutsche Übersetzung des in englischer Verfahrenssprache angemeldeten Klagepatents wird beim Deutschen Patent- und Markenamt unter dem Aktenzeichen DE 698 38 XXX (Anlage K 2) geführt. Das Klagepatent betrifft eine Vorrichtung für eine Verwendung bei einem auslaufgeschützten Trinkbecher sowie einen solchen Becher. Das Klagepatent wurde vom früheren Patentinhaber A mit Wirkung zum 30. Oktober 2007 übertragen. Ferner trat Herr A durch schriftliche Erklärung vom 30. Oktober 2007 (Anlage K 28) sämtliche ihm zustehende Schadensersatzansprüche aus dem Klagepatent an die Klägerin ab. Gegen das Klagepatent erhob die Muttergesellschaft der Beklagten, die Fa. B, Einspruch, welcher durch Schriftsatz vom 19. Mai 2008 (Anlage L 5) begründet wurde, und über den noch nicht entschieden ist.

Ansprüche 1 und 32 des Klagepatents lauten:

„1. Vorrichtung für eine Verwendung bei einem auslaufgeschützten Trinkbecher, wobei der Becher eine Kappe mit einer Schnauze (14, 130, 140) aufweist, wobei die Vorrichtung ein Ventil (42) aufweist, wobei das Ventil (42) ein elastisches Material mit einer Öffnung (70) aufweist;
dadurch gekennzeichnet, dass die Vorrichtung außerdem ein Blockierelement (52) aufweist, wobei das Blockierelement (52) einen Abschnitt (56) aufweist, der für den Durchgang von Flüssigkeit durch den Abschnitt (56) undurchlässig ist; das Ventil (42) eine Ruheposition aufweist, bei der das elastische Material am Abschnitt des Blockierelements (52) aufliegt, um so die Öffnung (70) gegen den Abschnitt abzudichten und den Durchgang von Flüssigkeit durch die Öffnung (70) zu blockieren; wobei sich das elastische Material vom Abschnitt (56) weg abhebt und sich umzukehren beginnt, wenn ein Benutzer einen Unterdruck auf das elastische Material durch Saugen an der Schnauze anwendet, um aus dem Becher zu trinken, so dass die Flüssigkeit im Becher durch die Öffnung (70) gelangt.

32. Auslaufgeschützter Trinkbecheraufsatz, der einen Trinkbecher (7), eine Kappe (11) mit einer Schnauze (14, 130, 140) und eine Vorrichtung nach einem der vorhergehenden Ansprüche aufweist.“

Nachstehende Zeichnungen sind dem Klagepatent entnommen und veranschaulichen die technische Lehre des Klagepatents anhand vorzugswürdiger Ausführungsformen:

Die Figuren 1(a) und 1(b) zeigen eine Becheranordnung gemäß der technischen Lehre des Klagepatents in einer Vorderansicht und in einer perspektivischen Darstellung. Figur 3 ist eine perspektivische Ansicht der Ventilanordnung. Figur 8(a) zeigt eine Draufsicht des Ventilhalters und der Ventilanordnung und Figur 8(d) eine Schnittdarstellung des Ventilhalters mit dem Ventil in einem entspannten Zustand, bei dem der Flüssigkeitsstrom abgedichtet ist, während in Figur 8(e) das Ventil im umgekehrten Zustand gezeigt ist, in dem ein Flüssigkeitsstrom durch das Ventil hindurchtreten kann.

Die Beklagte vertreibt in Deutschland Trinkbecher für Kleinkinder und entsprechendes Zubehör unter der Marke „C“. Zu dem vertriebenen Sortiment der Beklagten gehören:

– der „D“, angeboten unter den Artikelnummern XXX und XXX (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform Becher 1, Muster als Anlage K 9, Abbildung aus dem Internetauftritt der Beklagten als Anlage K 8),

– der „E“, angeboten unter den Artikelnummern XXX und XXX (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform Becher 2, Muster als Anlage K 11, Abbildung aus dem Internetauftritt der Beklagten als Anlage K 10) sowie

– der „F“, angeboten unter den Artikelnummern XXX und XXX (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform Becher 3, Muster als Anlage K 13, Abbildung aus dem Internetauftritt der Beklagten als Anlage K 12).

Zu dem von der Beklagten unter der Marke „C“ vertriebenen Zubehör für Trinkbecher gehören:

– ein weicher Trinkschnabel, angeboten unter der Artikelnummer XXX (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform Schnabel 1, Muster als Anlage K 15, Abbildung aus dem Internetauftritt der Beklagten als Anlage K 14),

– der G, angeboten unter der Artikelnummer XXX (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform Schnabel 2, Muster als Anlage K 17, Abbildung aus dem Internetauftritt der Beklagten als Anlage K 16) sowie

– der H, angeboten unter der Artikelnummer XXX (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform Schnabel 3, Muster als Anlage K 19, Abbildung aus dem Internetauftritt der Beklagten als Anlage K 18).

Diese Zubehörteile werden als Verschlüsse bzw. Abschlüsse auf die angegriffenen Ausführungsformen Becher 1, 2 und 3 bestimmungsgemäß aufgesetzt.

Nachstehende Lichtbilder zeigen das Ventil der angegriffenen Ausführungsformen Schnabel 1, 2 und 3 schräg von unten sowie in der Seitenansicht; die Pfeile und Beschriftungen sind durch die Parteien hinzugefügt:

Die Klägerin ist der Auffassung, die angegriffenen Ausführungsformen Schnabel 1, 2 und 3 machten jeweils von der technischen Lehre gemäß Anspruch 1 des Klagepatents und die angegriffenen Ausführungsformen Becher 1, 2 und 3 von der technischen Lehre gemäß Anspruch 32 des Klagepatents Gebrauch. Insbesondere weise das Ventil der angegriffenen Ausführungsformen Schnabel 1, 2 und 3 jeweils einen Abschnitt aus einem elastischen Material auf, welcher sich beim Öffnen des Ventils gemäß der technischen Lehre des Klagepatents umzukehren beginne.

Die Klägerin beantragt,

I. die Beklagte zu verurteilen,

1. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR – ersatzweise Ordnungshaft – oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, zu unterlassen,

a) eine Vorrichtung für eine Verwendung bei einem auslaufgeschützten Trinkbecher, wobei der Becher eine Kappe mit einer Schnauze aufweist, wobei die Vorrichtung ein Ventil aufweist, wobei das Ventil ein elastisches Material mit einer Öffnung aufweist,

im Geltungsbereich des deutschen Teils des EP 1 014 XXX anzubieten, in Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen und/oder einzuführen und/oder zu den genannten Zwecken zu besitzen,

wobei die Vorrichtung außerdem ein Blockierelement aufweist, wobei das Blockierelement einen Abschnitt aufweist, der für den Durchgang von Flüssigkeit durch den Abschnitt undurchlässig ist; das Ventil eine Ruheposition aufweist, bei der das elastische Material am Abschnitt des Blockierelements aufliegt, um so die Öffnung gegen den Abschnitt abzudichten und den Durchgang von Flüssigkeit durch die Öffnung zu blockieren, wobei sich das elastische Material vom Abschnitt weg abhebt und sich umzukehren beginnt, wenn ein Benutzer einen Unterdruck auf das elastische Material durch Saugen an der Schnauze anwendet, um aus dem Becher zu trinken, so dass die Flüssigkeit im Becher durch die Öffnung gelangt;

b) einen auslaufgeschützten Trinkbecheraufsatz, der einen Trinkbecher, eine Kappe mit einer Schnauze und eine Vorrichtung gemäß vorstehender lit. a) aufweist,

im Geltungsbereich des deutschen Teils des EP 1 014 XXX anzubieten, in Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen und/oder einzuführen und/oder zu den genannten Zwecken zu besitzen;

2. der Klägerin über den Umfang der vorstehend in Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 15. September 2007 Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen, und zwar unter Vorlage eines Verzeichnisses, das folgendes beinhaltet:

a) die Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie die bezahlten Preise;

b) die einzelnen Lieferungen aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen, sowie die Namen und Anschriften der Abnehmer;

c) die einzelnen Angebote aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen, sowie die Namen und Anschriften der Angebotsempfänger;

d) die betriebene Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, der Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum, Verbreitungsgebiet,

e) die nach den einzelnen Faktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und den erzielten Gewinn;

II. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der

1. Herrn A vom 15. September 2007 bis 29. Oktober 2007 begangenen, unter Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen

und

2. der Klägerin durch die seit dem 30. Oktober 2007 begangenen unter Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen

entstanden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise: den Rechtsstreit bis zur rechtkräftigen Entscheidung über den Einspruch gegen das Klagepatent EP 1 014 XXX auszusetzen.

Die Beklagte bestreitet, das Klagepatent zu verletzen. Bei den angegriffenen Ausführungsformen fehle es jeweils an einem Ventil, das über ein elastisches Material verfüge, welches gemäß der technischen Lehre des Klagepatents sich umzukehren beginne, sobald durch Saugen an der Schnauze ein Unterdruck auf das elastische Material angewendet wird.

Ferner ist die Beklagte der Auffassung, das Klagepatent werde im Einspruchsverfahren widerrufen werden. Seine technische Lehre sei nicht neu, sondern werde vielmehr durch zwei Entgegenhaltungen FR 1,191,XXX (im Einspruchsverfahren als Entgegenhaltung D1 eingeführt, nebst deutscher Übersetzung in Anlagenkonvolut L 3 zur Gerichtsakte gereicht) und IT 594XXX (im Einspruchsverfahren als Entgegenhaltung D2 eingeführt, nebst deutscher Übersetzung in Anlagenkonvolut L 3 zur Gerichtsakte gereicht) jeweils neuheitsschädlich vorweggenommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Klägerin stehen gegen die Beklagte die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, sowie Feststellung der Schadensersatzpflicht aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, §§ 9, 139 Abs. 1 und 2, 140b PatG, §§ 242, 259 BGB nicht zu. Es lässt sich jeweils nicht feststellen, dass die angegriffenen Ausführungsformen von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch machen.

I.

Das Klagepatent betrifft eine Vorrichtung und eine auslaufgeschützte Becheranordnung mit einem verbesserten Ventilmechanismus.

Aus dem Stand der Technik sind auslaufgeschützte Becheranordnungen bekannt, welche in der Vergangenheit in einer Vielzahl entwickelt und auf den Markt gebracht wurden. Ziel eines auslaufgeschützten Bechers ist eine Konstruktion, aufgrund derer es minimiert oder verhindert wird, dass Flüssigkeit aus dem Becher austritt, wenn ein Flüssigkeitsstrom nicht gewünscht ist. An den vorbekannten gattungsgemäßen Vorrichtungen kritisiert das Klagepatent es als nachteilig, dass sie im Allgemeinen nicht einen ausreichend sicheren Schutz gegen ein unerwünschtes Auslaufen oder Austreten bewirken. Wenn die vorbekannten Becher umgewendet oder gar heftig geschüttelt werden, tritt oftmals Flüssigkeit aus, ein Problem, das besonders bei der Verwendung solcher Becher für kleine Kinder besteht.

Das Klagepatent stellt sich vor diesem technischen Hintergrund die Aufgabe, eine verbesserte auslaufgeschützte Bechervorrichtung bereitzustellen. Weitere Ziele des Klagepatents bestehen darin, eine Bechervorrichtung bereit zu stellen, bei der keine Flüssigkeit aus dem Becher herausfließt, wenn der Benutzer nicht trinkt, die ferner einen zufälligen oder unerwünschten Füssigkeitsstrom oder ein Auslaufen aus dem Becher minimiert und/oder eliminiert, die die Fähigkeit mit sich bringt, die Strömungsgeschwindigkeit der Flüssigkeit aus dem Becher heraus zu regulieren, und die von kleinen Kindern benutzt werden kann, um ein zufälliges Auslaufen der Flüssigkeit zu verhindern.

Zur Lösung dieser Aufgabe und Erreichung dieser Ziele schlägt das Klagepatent in seinen Ansprüchen 1 und 32 eine Vorrichtung mit den folgenden Merkmalen vor:

1.1. Vorrichtung für eine Verwendung bei einem auslaufgeschützten Trinkbecher (1), der eine Kappe (11) mit einer Schnauze (14, 130, 140) aufweist.

1.2. Die Vorrichtung weist ein Ventil (42) auf, das ein elastisches Material mit einer Öffnung (70) aufweist.

1.3. Die Vorrichtung weist ein Blockierelement (52) auf, das einen Abschnitt (56) aufweist, der für den Durchgang von Flüssigkeit durch den Abschnitt (56) undurchlässig ist.

1.4. Das Ventil (42) weist eine Ruheposition auf, bei der das elastische Material am Abschnitt des Blockierelements (52) aufliegt, um so die Öffnung (70) gegen den Abschnitt abzudichten und den Durchgang von Flüssigkeit durch die Öffnung (70) zu blockieren.

1.5 Das elastische Material hebt sich vom Abschnitt (56) weg und beginnt sich umzukehren, wenn ein Benutzer einen Unterdruck auf das elastische Material durch Saugen an der Schnauze (14, 130, 140) anwendet, um aus dem Becher zu trinken, so dass die Flüssigkeit im Becher durch die Öffnung (70) gelangt.

32.0. Auslaufgeschützter Trinkbecher, der

32.1. einen Trinkbecher (1),

32.2. eine Kappe (11) mit einer Schnauze (14, 130, 140) und

32.3. eine Vorrichtung nach einem der vorhergehenden Ansprüche aufweist.

Die sichere Abdichtung des auslaufgeschützten Trinkbechers wird dadurch erzielt, dass das Ventil (42) geöffnet wird, wenn ein Ansaugen an der Schnauze (14, 130, 140) ein Unterdruck oder ein Teilvakuum an dem Ventil erzeugt. Dadurch wird veranlasst, dass sich das Ventil umkehrt oder das Innere nach außen gedreht und hierdurch eine Öffnung freigegeben wird. Diese Öffnung ist hingegen abgedichtet, wenn das Ventil in einer geschlossenen Ruheposition sitzt und in dieser gegen die mittlere Abdichtung gepresst wird.

II.

Die angegriffenen Ausführungsformen machen von der technischen Lehre des Klagepatents keinen Gebrauch.

1.

Die angegriffenen Ausführungsformen Schnabel 1, 2 und 3 verwirklichen jeweils Merkmal 1.4. des Hauptanspruchs 1 des Klagepatents nicht.

a)

Dieses Merkmal, gemäß dem das Ventil (42) eine Ruheposition aufweist, bei der das elastische Material am Abschnitt (56) des Blockierelements (52) aufliegt, um so die Öffnung (70) gegen den Abschnitt abzudichten und den Durchgang von Flüssigkeit durch die Öffnung (70) zu blockieren, ist aus Sicht des Fachmanns in der Weise auszulegen, dass das elastische Material in der Ruheposition des Ventils eine gekrümmte, nämlich konvexe oder konkave Form aufweist und diese Formgebung wenigstens dazu beiträgt, die Öffnung (70) abzudichten.

Zu diesem Verständnis gelangt der Fachmann dadurch, dass er für die Bestimmung des technisch zutreffenden Verständnisses von Merkmal 1.4. zugleich das Merkmal 1.5. beachtet. Der Fachmann nimmt bei der bei Auslegung des Patentanspruchs diesen immer in seinem Gesamtzusammenhang in den Blick (BGH GRUR 2004, 845, 846 – Drehzahlermittlung; Benkard / Scharen, PatG, 10. Aufl., § 14 Rn. 13). Daher sind im Hinblick auf ein einzelnes Merkmal auch die mit diesem im sinnhaften Zusammenhang stehenden anderen Merkmale zu berücksichtigen. Vorliegend erkennt der Fachmann, dass zwischen den beiden genannten Merkmalen ein enger technischer Zusammenhang besteht: Während in Merkmal 1.4. die Ruheposition beschrieben wird, in welcher die Öffnung (70) im elastischen Material abgedichtet, das Ventil also geschlossen ist, beschreibt Merkmal 1.5. den Vorgang, durch den ermöglicht wird, dass Flüssigkeit im Becher durch die Öffnung (70) hindurch gelangt, das Ventil also geöffnet wird. Insoweit lehrt Merkmal 1.5., dass, wenn ein Benutzer einen Unterdruck auf das elastische Material anwendet, um aus dem Becher zu trinken, sich das elastische Material – zum einen – vom Abschnitt (56) weg hebt und – zum anderen – umzukehren beginnt. Die Merkmale 1.4. und 1.5. beschreiben demnach die beiden entgegengesetzten Zustände des Ventils in geschlossener (Merkmal 1.4.) und in geöffneter (Merkmal 1.5.) Position. Form und Position des elastischen Materials gemäß Merkmal 1.4. müssen sich mithin in einer für die Öffnung des Ventils entscheidenden Weise von Form und Position des elastischen Materials gemäß Merkmal 1.5. unterscheiden.

Hinsichtlich des fachmännischen Verständnisses von Merkmal 1.5. bringen die Parteien übereinstimmend vor, dass das insoweit gelehrte „sich Umkehren“ des elastischen Materials einen Veränderung der Form dieses Materials voraussetzt, dass nämlich die Form sich von einer konvexen in eine konkave – oder, je nach Sichtweise, umgekehrt – verändert. Dieses Verständnis des Merkmals 1.5. ist auch nach Auffassung der Kammer zutreffend: Bereits aus dem Anspruchswortlaut gemäß Merkmal 1.5. ergibt sich, dass beim Vorgang der Ventilöffnung gemäß der technischen Lehre des Klagepatents neben eine Bewegungskomponente („hebt sich vom Abschnitt (56) weg“) eine Verformungskomponente tritt („und beginnt sich umzukehren“). Während das Abheben auch ohne Verformung geschehen kann und daher eine bloße Bewegungskomponente lehrt, wird das „sich Umkehren“ im Zuge der allgemeinen Erfindungsbeschreibung (Anlage K 2, Abschnitt [0012]) in der Weise offenbart, dass der Unterdruck an dem in der Becherschnauze positionierten Ventil bewirkt, dass sich das Ventil entweder teilweise oder vollständig umkehrt wobei das Innere nach außen gedreht wird, und dass hierdurch die Öffnung im elastischen Material freigegeben wird. Indem die Form von konvex in konkav (oder umgekehrt) übergeht, werden die Innen- und die Außenseite der Wölbung des elastischen Materials miteinander „vertauscht“.

Für das fachmännische Verständnis des in der beschriebenen Weise mit Merkmal 1.5. zusammenhängenden Merkmals 1.4. folgt daraus, dass die insoweit gelehrte Ruheposition nur gegeben ist, wenn das elastische Material eine konkave (oder konvexe) Form aufweist. Die Ruheposition ist das Gegenteil zur geöffneten Position gemäß Merkmal 1.5. Wenn also der Öffnungsvorgang den Wechsel von einer konkaven in eine konvexe Form (oder umgekehrt) voraussetzt, so erfordert die Ruheposition ihrerseits die konkave (oder konvexe) Form des elastischen Materials. Mit dieser Formgebung wird ein bestimmter technischer Zweck verfolgt, wie bereits der im Merkmal 1.4. enthaltenen Zweckangabe zu entnehmen ist: In der Ruheposition liegt das elastische Material auf, um die Öffnung (70) abzudichten. Eine solche der Zweckbestimmung nimmt der Fachmann immer mindestens in der Weise ernst, dass er sie als Erkenntnisquelle dafür heranzieht, wie er die gelehrte Vorrichtung räumlich-körperlich ausgestalten soll, damit sie für die in der Zweckangabe beschriebene Funktion geeignet ist. Daher ist eine Zweckangabe wenigstes für die Bestimmung des fachmännischen Verständnisses einzelner Anspruchsmerkmale, unter Umständen sogar für die Bestimmung des Schutzbereiches von Bedeutung (vgl. zur Bedeutung von Zweckangaben im Allgemeinen BGH GRUR 1979, 149, 151 – Schießbolzen; BGH GRUR 1991, 436, 442 – Befestigungsvorrichtung II; BGH GRUR 1981, 259, 260 – Heuwerbungsmaschine II; BGH GRUR 2006, 923, 925 – Luftabscheider für Milchsammelanlage; Urteil der Kammer vom 11.08.2009, Az. 4b O 38/09). Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die konkave (oder konvexe) Form des elastischen Materials in der Ruheposition einen kausalen Beitrag zur Funktion des Abdichtens der Öffnung leistet in der Weise, dass gerade (auch) diese Formgebung die Abdichtung der Öffnung durch Aufliegen des elastischen Materials am abdichtenden Abschnitt bewirkt.

Auch die funktionsorientierte Auslegung, also die Deutung der Merkmale und Begriffe des Patentanspruchs dahingehend, wie dies angesichts der ihnen nach der offenbarten Erfindung zugedachten technischen Funktion angemessen ist (BGH GRUR 2001, 232, 233 – Brieflocher; OLG Düsseldorf GRUR 2000, 599, 601 – Staubsaugerfilter), führt den Fachmann zu dem dargelegten Verständnis des Merkmals 1.4. Als technischen Sinn und Zweck des insoweit gelehrten Aufliegens des elastischen Materials in der Ruheposition erkennt der Fachmann die Vorspannung dieses elastischen Materials. Die im Klagepatent formulierte Aufgabe, mithilfe des Ventils zu verhindern, dass Flüssigkeit herausfließt, wenn der Benutzer nicht trinkt, sowie – weitergehend – einen zufälligen oder unerwünschten Flüssigkeitsstrom zu minimieren oder zu eliminieren (und zwar auch dann, wenn die Bechervorrichtung von kleinen Kindern benutzt wird), wird dadurch erreicht, dass die Kraft, die für eine Öffnung des Ventils aufgewandt werden muss, eher größer gewählt wird. Das Klagepatent setzt sich dabei hinsichtlich der Qualität der Abdichtung das Ziel, durch den Aufbau des Ventils einen besonders sicheren Verschluss des Bechers zu gewährleisten: Nicht nur wird die Aufgabe formuliert (Anlage K 2, Abschnitt [0006]), dass die Bechervorrichtung ein unbeabsichtigtes Herausfließen verhindert; das Klagepatent nimmt für seine technische Lehre auch in Anspruch (Anlage K 2, Abschnitt [0012], Seite 2, re. Sp., Zeilen 19 bis 25), dass Becherkonstruktion und Ventilvorrichtung eine extrem sichere Abdichtung gegen einen zufälligen Flüssigkeitsstrom bieten. Um dies zu erreichen, ist eine besonders hohe Stabilität des elastischen Materials in der geschlossenen Ventilkonfiguration erforderlich. Genau dies wird, wie der Fachmann erkennt, durch das Erfordernis einer gewölbten Form des elastischen Materials in der Ruheposition (Merkmal 1.4.) und sodann durch den Wechsel der Form von konkav in konvex (oder umgekehrt, Merkmal 1.5.) erreicht: Dadurch, dass die Wölbung des Materialquerschnitts umgekehrt werden muss, muss zunächst Kraft aufgewandt werden, um die Wölbung in der geschlossenen Ventilkonfiguration zu egalisieren, also einen im Wesentlichen geraden Materialquerschnitt zu erreichen; zusätzlich ist eine weitere Kraft notwendig, um das Material in eine umgekehrte Wölbung umzuformen. Der Weg, den das Material bei der Verformung durchlaufen muss, wird dadurch vergrößert, dass das Material nicht aus einer ebenen Form in eine gewölbte verformt wird, sondern aus einer Wölbung in eine entgegengesetzte Wölbung.

b)

Hiernach lässt sich nicht feststellen, dass eine der angegriffenen Ausführungsformen Schnabel 1, 2 und 3 Merkmal 1.4. verwirklicht. Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass die oben eingeblendeten Seitenansichten jeweils das Ventil dieser angegriffenen Ausführungsformen zeigen. Demnach ist unstreitig, dass bei diesen angegriffenen Ausführungsformen die aus elastischem Material geformte und mit einer Öffnung versehene Ventilmembran in der Ruheposition, also in der geschlossenen Ventilkonfiguration, im Wesentlichen waagerecht verläuft und nur im mittleren Bereich rund um die Öffnung um ein Weniges gewölbt ist. Aus dieser waagerechten Form wird die Membran, was ebenfalls außer Streit steht, in Richtung der Schnauze aufgewölbt, sobald der Benutzer der angegriffenen Ausführungsformen Schnabel 1, 2 und 3 an der Schnauze saugt und damit die Membran mit einem Unterdruck (im Verhältnis zum Inneren des Bechers) beaufschlagt. Da die Membran indes aus einer waagerechten Form aufgewölbt wird, fehlt es an einer klagepatentgemäßen Ruheposition der Membran: Vor ihrer Beaufschlagung mit Unterdruck hat die Membran überhaupt keine (konkave oder konvexe) Wölbung, der Querschnitt ist im Wesentlichen eben. Aus diesem ebenen Querschnitt wird die Membran durch den beaufschlagten Unterdruck lediglich in eine Wölbung aufgebogen, ohne jedoch eine schon zuvor vorhandene entgegengesetzte Wölbung umzukehren.

Mit ihrem Argument, vor Einbau in das Ventil der angegriffenen Ausführungsformen Schnabel 1, 2 und 3 weise die verwendete Ventilmembran der angegriffenen Ausführungsformen eine gewölbte, nämlich „konvexe“ Form auf, kann die Klägerin aus Rechtsgründen nicht durchdringen. Unstreitig ist zwar, dass diese Membran als loses Bauteil in der Tat eine Wölbung aufweist, wie dies auf dem nachstehend wiedergegebenen Lichtbild ersichtlich ist:

Auf die Formgebung von losen Bauteilen der angegriffenen Ausführungsformen kommt es indes nicht an, sondern allein auf die räumlich-körperliche Ausgestaltung der jeweiligen vollständigen angegriffenen Ausführungsform. Insofern bringt die Klägerin selber vor, dass die im noch nicht montierten, losen Zustand gewölbte Membran nach dem Einbau in der geschlossenen Ruheposition des Ventils unter Spannung gehalten und dadurch waagerecht geformt ist. Es fehlt somit an einer Ruheposition, aus der heraus die Membran als elastisches Material im Sinne des Klagepatents umgekehrt wird, sobald das Ventil durch Beaufschlagung mit Unterdruck geöffnet wird.

Ebenso wenig greift das klägerische Vorbringen durch, aufgrund der Verformung einer vor dem Einbau konvexen Membran in eine im Wesentlichen waagerechte Form nach dem Einbau, werde die nach dem Klagepatent erforderliche Vorspannung erzielt. Zum einen setzt das Klagepatent gemäß dem oben ausgeführten Verständnis eine andere räumlich-körperliche Gestaltung der Membran voraus (nämlich: eine auch im eingebauten Zustand gewölbte), welche die technische Funktion einer hinreichenden Vorspannung ausübt. Zum anderen hat die Beklagte insoweit vorgebracht, dass die Membran einen Totpunkt erreicht, sobald sie in eine waagerechte Form gebogen wurde, dass also die erforderliche Kraft bis zum Erreichen der waagerechten Form größer ist als diejenige Kraft, die zum weiteren Verformen aus der Waagerechten in eine (umgekehrte) Wölbung aufgewendet werden muss. Dem ist die Klägerin nicht entgegengetreten.

2.

Aus den obigen Ausführungen zu Merkmal 1.4. folgt zugleich, dass sich auch eine Verwirklichung des Merkmals 1.5. durch die angegriffenen Ausführungsformen Schnabel 1, 2 und 3 nicht feststellen lässt. Der insoweit erforderliche Wechsel der Membranform von konkav in konvex (oder umgekehrt) bei der Öffnung des Ventils, also das beginnende „sich Umkehren“ des elastischen Materials, fehlt, da die Membran dieser angegriffenen Ausführungsformen in der Ruheposition keine Wölbung aufweist.

3.

Ebenso ergibt sich aus den Darlegungen oben unter 1. zur fehlenden Verwirklichung der Merkmale 1.4. und 1.5. durch die angegriffenen Ausführungsformen Schnabel 1, 2 und 3, dass die angegriffenen Ausführungsformen Becher 1, 2 und 3 von der technischen Lehre gemäß Anspruch 32 des Klagepatents jeweils keinen Gebrauch machen. In diese werden die angegriffenen Ausführungsformen Schnabel 1, 2 oder 3 eingesetzt, die indes, wie oben ausgeführt, nicht von der technischen Lehre des Hauptanspruchs 1 des Klagepatents Gebrauch machen. Damit verwirklichen die angegriffenen Ausführungsformen Becher 1, 2 und 3 jeweils Merkmals 32.3. nicht, da sie, versehen mit den angegriffenen Ausführungsformen Schnabel 1, 2 und 3 keine Vorrichtung nach Anspruch 1 (und den hiervon abhängigen Ansprüchen 2 bis 31) des Klagepatents aufweisen.

III.

Mangels feststellbarer Verletzung des Klagepatents bedarf es keiner Ausführungen dazu, ob ein Widerruf des Klagepatents im Einspruchsverfahren mit so hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass der Hilfsantrag der Beklagten auf Aussetzung des Rechtsstreits begründet ist.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.