4b O 18/17 – Fluggastsitze für Passagierflugzeuge

Düsseldorfer Entscheidungsnummer: 2783

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 07. Juni 2018,  Az. 4b O 18/17

  1. I. Die Beklagte wird verurteilt,
    1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 € – ersatzweise Ord-nungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle wie-derholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft hinsichtlich der Beklagten an ihrem Geschäftsführer (derzeit Herr A) zu vollziehen ist, zu unterlassen,
    Fluggastsitze mit Sitzkomponenten, wie einem Sitzteil und einer Rückenlehne mit einer eine Rückenlehnenpolsterung tragenden Trä-gerstruktur, an deren Rückseite ein an diese anklappbarer und in eine Gebrauchsstellung wegklappbarer Eßtisch sowie ein taschenartiges Be-hältnis zur Aufnahme von Gebrauchsgegenständen, insbesondere von Druckerzeugnissen und Reiseutensilien, angeordnet sind, wobei das Be-hältnis durch einen Hohlraum gebildet ist, der sich in der Trägerstruktur der Rückenlehne zumindest teilweise zwischen dem angeklappten Eßtisch und der Rückenlehnenpolsterung erstreckt,
    in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
    bei denen das Behältnis befüllt werden kann, während sich der Eßtisch in einer an der Rückseite der Rückenlehne angeklappten Stellung befindet,
  2. 2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer 1. bezeichneten Handlungen seit dem 07.01.2015 begangen hat und zwar unter Angabe
    a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
    b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
    c) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;
    wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
  3. 3. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer 1. bezeichneten Handlungen seit dem 21.11.2009 begangen hat, und zwar unter Angabe
    a) der Herstellungsmengen und -zeiten,
    b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,
    c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
    d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
    e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Geste-hungskosten und des erzielten Gewinns,
    wobei:
    – der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist und
    – wobei die Angaben zu Ziffer e) erst ab dem 07.02.2015 zu machen sind;
    4. die unter 1. bezeichneten, seit dem 07.02.2015 in Verkehr gebrachten Er-zeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich (Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 07.06.2018) festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll-, Lagerkosten und sonstige Kosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen;
    5. die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder Eigentum befindlichen Erzeugnisse nach Ziffer 1. zu vernichten und der Klägerin hierüber eine Dokumentation und einen Nachweis zukommen zu lassen;
  4. II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin
    1. für die zu Ziffer I.1. bezeichneten, in der Zeit vom 21.11.2009 bis zum 06.02.2015 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen,
    2. allen Schaden zu ersetzen, der der Klägerin durch die zu l.1. bezeichneten, seit dem 07.02.2015 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
  5. III.
    Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
  6. IV.
    Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 2.250.000 € vorläufig vollstreckbar, wobei für die teilweise Vollstreckung des Urteils folgende Teilsicherheiten festgesetzt werden:
    Ziffer I.1., I. 4. und I. 5. des Tenors: 1.687.500 €.
    Ziffer I. 2 und I. 3 des Tenors: 450.000 €
    Ziffer III. des Tenors: 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
  7. Tatbestand:
  8. Die Klägerin nimmt die Beklagte aus dem deutschen Teil des europäischen Patents EP 2 110 XXX (Klagepatent) in Anspruch, das sich auf Fluggastsitze für Passagierflugzeuge bezieht.
    Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des Klagepatents, das am 24.01.2005 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 29.01.2004 angemeldet wurde. Die Anmeldung wurde am 21.10.2009 und der Hinweis auf die Erteilung am 07.01.2015 veröffentlicht. Das Klagepatent steht in Kraft, über die von der Beklagten erhobene Nichtigkeitsklage wurde bislang nicht entschieden.
    In der erteilten Fassung des Klagepatents lautet der Anspruch 1:
    Fluggastsitz mit Sitzkomponenten, wie einem Sitzteil und einer Rückenlehne (1) mit einer eine Rückenlehnenpolsterung (13) tragenden Trägerstruktur (11), an deren Rückseite ein an diese anklappbarer und in eine Gebrauchsstellung wegklappbarer Esstisch (3) sowie ein taschenartiges Behältnis (15) zur Aufnahme von Gebrauchsgegenständen, insbesondere von Druckerzeugnissen (17) und Reiseutensilien, angeordnet sind, wobei das Behältnis (15) durch einen Hohlraum gebildet ist, der sich in der Trägerstruktur (11) der Rückenlehne (1) zumindest teilweise zwischen dem angeklappten Esstisch (3) und der Rückenlehnenpolsterung (13) erstreckt dadurch gekennzeichnet, dass das Behältnis befüllt werden kann, während sich der Esstisch (3) in einer an der Rückseite der Rückenlehne (1) angeklappten Stellung befindet.
  9. Fig. 2 des Klagepatents zeigt folgendes Bild:
  10. Wegen der weiteren Ansprüche und Unteransprüche wird auf das als Anlage K 1 vorliegende Klagepatent Bezug genommen.
  11. Die Beklagte ist Herstellerin von Flugzeugsitzen.
    Sie stellt Sitze unter der Bezeichnung B (angegriffene Ausführungsform I) her, bewirbt sie im Internet und auf Messen und vertreibt sie. Die angegriffene Ausführungsform I sieht wie folgt aus:
  12. (Die Ziffern auf den Detailaufnahmen wurden durch die Klägerin eingefügt).
  13. Die Beklagte stellt weiter Sitze unter der Bezeichnung EC01 (angegriffene Ausführungsform II) her, bewirbt sie im Internet und auf Messen und vertreibt sie. Die angegriffene Ausführungsform II sieht wie folgt aus:
  14. (Anm.: Ziffern und Beschriftungen durch die Klägerin hinzugefügt)
    Schließlich stellte die Beklagte auf der diesjährigen Messe „C“ (C) in Hamburg einen Sitz mit der Bezeichnung D (angegriffene Ausführungsform III) und folgendem Aussehen vor:
  15. (Anm.: Ziffern und Beschriftungen durch die Klägerin hinzugefügt)
    Die Klägerin ist der Ansicht, die angegriffenen Ausführungsformen I bis III machten von der technischen Lehre des Anspruchs 1 des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch.
    Die Klägerin beantragt,
    I. die Beklagte zu verurteilen,
    1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 € – ersatzweise Ord-nungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle wie-derholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft hinsichtlich der Beklagten an ihrem Geschäftsführer (derzeit Herr A) zu vollziehen ist, zu unterlassen,
    Fluggastsitze mit Sitzkomponenten, wie einem Sitzteil und einer Rückenlehne mit einer eine Rückenlehnenpolsterung tragenden Trä-gerstruktur, an deren Rückseite ein an diese anklappbarer und in eine Gebrauchsstellung wegklappbarer Eßtisch sowie ein taschenartiges Be-hältnis zur Aufnahme von Gebrauchsgegenständen, insbesondere von Druckerzeugnissen und Reiseutensilien, angeordnet sind, wobei das Be-hältnis durch einen Hohlraum gebildet ist, der sich in der Trägerstruktur der Rückenlehne zumindest teilweise zwischen dem angeklappten Eßtisch und der Rückenlehnenpolsterung erstreckt,
    in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
    bei denen das Behältnis befüllt werden kann, während sich der Eßtisch in einer an der Rückseite der Rückenlehne angeklappten Stellung befindet,
    (Anspruch 1)
    insbesondere wenn
    sich der Hohlraum vom Bereich des oberen Randes der Trägerstruktur bis zu einem den Boden des Behältnisses bildenden Strukturelement der Trägerstruktur erstreckt, welches innerhalb des Flächenbereichs des angeklappten Eßtisches gelegen ist,
    (Anspruch 2)
    und/oder
    der Hohlraum zur Bildung der Hauptöffnung des Behältnisses in dem an den oberen Rand der Trägerstruktur angrenzenden Bereich zur Rückseite hin offen ist,
    (Anspruch 3)
    und/oder
    die Trägerstruktur der Rückenlehne oberhalb des den Boden des Behält-nisses bildenden Strukturelementes eine die Rückwand des Behältnisses bildende, zwischen beiden Seitenrändern der Trägerstruktur durchgehende Platte aufweist, an die der Eßtisch anklappbar ist,
    (Anspruch 4)
    und/oder
    die die Rückwand des Behältnisses bildende Platte eine Riegeleinrichtung zur Fixierung des Eßtisches in der angeklappten Stellung aufweist;
    (Anspruch 6)
    2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer 1. bezeichneten Handlungen seit dem 07.01.2015 begangen hat und zwar unter Angabe
    d) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
    e) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
    f) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;
    wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
  16. 3. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer 1. bezeichneten Handlungen seit dem 21.11.2009 begangen hat, und zwar unter Angabe
    f) der Herstellungsmengen und -zeiten,
    g) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,
    h) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
    i) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
    j) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Geste-hungskosten und des erzielten Gewinns,
    wobei:
    – der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist und
    – wobei die Angaben zu Ziffer e) erst ab dem 07.02.2015 zu machen sind;
    4. die unter 1. bezeichneten, seit dem 07.02.2015 in Verkehr gebrachten Er-zeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich (Urteil des… vom…) festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll-, Lagerkosten und sonstige Kosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen;
    5. die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder Eigentum befindlichen Erzeugnisse nach Ziffer 1. zu vernichten und der Klägerin hierüber eine Dokumentation und einen Nachweis zukommen zu lassen;
  17. II. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin
    1. für die zu Ziffer I.1. bezeichneten, in der Zeit vom 21.11.2009 bis zum 06.02.2015 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen,
    2. allen Schaden zu ersetzen, der der Klägerin durch die zu l.1. bezeichneten, seit dem 07.02.2015 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird;
  18. Die Beklagte beantragt,
    die Klage abzuweisen,
    hilfsweise,
    den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die von der Beklagten gegen den Deutschen Teil (Az. DE 50 2005 XX XXX.X) des europäischen Patents EP 2 110 XXX erhobene Nichtigkeitsklage (BPatG 1 Ni 27/17 (EP)) gemäß § 148 ZPO auszusetzen.
  19. Die Beklagte ist der Ansicht, die angegriffenen Ausführungsformen machten von der technischen Lehre des Klagepatents keinen Gebrauch. So sehe die technische Lehre des Klagepatents ein „taschenartiges Behältnis“ vor. Ein solches zeichne sich dadurch aus, dass es einen zumindest im Wesentlichen geschlossenen Boden und entsprechende Seitenteile aufweise, die ein Herausfallen von Gegenständen verhindern. Die angegriffenen Ausführungsformen wiesen jedoch sämtlich kein solches, taschenartiges Behältnis auf. Vielmehr seien sie unten und an den Seiten weitgehend offen. Reiseutensilien wie Handy oder Schlüsselbund seien daher in dem Behältnis nicht aufzubewahren. Zudem sei das Behältnis im Fall der angegriffenen Ausführungsform II nicht – wie in der technischen Lehre vorgesehen – durch einen Hohlraum gebildet, vielmehr sei ein Behälter in den Hohlraum eingebaut.
    Das Klagepatent sei auch nicht rechtsbeständig, da es eine unzulässige Erweiterung erfahren habe. So sei das Merkmal im Anspruch 1 des Klagepatents, dass das Behältnis auch bei angeklapptem Esstisch befüllbar ist, gegenüber der Ursprungsanmeldung neu hinzugetreten. Es sei jedoch in der Ursprungsanmeldung nicht offenbart.
    Weiter sei die Erfindung auch nicht neu, wie sich aus der Entgegenhaltung US 4,726,621 (Anlage NK 6 zur Nichtigkeitsklage, vorgelegt mit Anlagen als Anlage B 5), ergebe, die alle Merkmale des Anspruchs 1 des Klagepatents aufweise.
    Schließlich ist die Beklagte der Ansicht, aus den Anlagen zur Nichtigkeitsklage NK 6-8 (vorgelegt als Teil des Anlagenkonvoluts B 4) ergebe sich, dass dem Klagepatent die erfinderische Tätigkeit fehle.
  20. Entscheidungsgründe
  21. Die zulässige Klage ist begründet.
    Die Klägerin hat gegen die Beklagte Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Rückruf, Vernichtung sowie Schadensersatz dem Grunde nach aus Art. 64 EPÜ i.V.m. §§ 139 Abs. 1 und 2, 140a Abs. 1 S. 1, Abs. 3, 140b PatG, §§ 242, 259 BGB wegen der angegriffenen Ausführungsformen I-III.
    Das Herstellen, Anbieten und der Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen durch die Beklagte stellt eine unmittelbare Verletzung des Klagepatents dar, § 9 S. 2 Nr. 1 PatG.
  22. I.
    Das Klagepatent bezieht sich auf Fluggastsitze.
    Aus dem Stand der Technik sind eine Reihe von Sitzen bekannt, die einen ausklappbaren Tisch und einen taschenartigen Behälter zur Aufnahme von Gebrauchsgegenständen und Reiseutensilien aufweisen. Bei den bisher bekannten Sitzen befänden sich die taschenartigen Behältnisse an der Rückenlehne des Vordersitzes unterhalb des Esstisches im Knie- bzw. Beinbereich des Passagiers.
    Entsprechende Sitze zeigt das Klagepatent exemplarisch in Fig. 1:
  23. Das Problem derartiger Sitze wird in Absatz 0007 so beschrieben, dass sie regelmäßig zu einer Einschränkung der Bein- und Kniefreiheit bei enger Bestuhlung der Maschinen insbesondere im Kurzstreckenbereich führten, gerade wenn die entsprechenden Behältnisse, etwa mit Reiseliteratur, befüllt würden.
    Weiter sei aus US 4,636,602 ein Sitz bekannt, bei dem in der Rückenlehne ein Behältnis durch einen Hohlraum gebildet ist, der sich in der Trägerstruktur zumindest teilweise zwischen dem angeklappten Esstisch und der Rückenlehnenpolsterung erstreckt.
  24. Davon ausgehend beschreibt das Klagepatent es in Absatz 0004 als seine Aufgabe (das technische Problem), einen Fluggastsitz zur Verfügung zu stellen, der auch bei enger Bestuhlung des Kabineninnenraumes dem Fluggast ein vergleichsweise besseres Raumangebot zur Verfügung stellt.
    Dies soll, wie Absatz 0007 ausführt, durch den in Anspruch 1 beschriebenen Sitz erfolgen, bei dem das taschenartige Behältnis in einen bislang ungenutzten, inneren Hohlraum der Trägerstruktur der Rückenlehne verlegt wird und so gegenüber den bekannten Fluggastsitzen ein größerer Freiraum im Kniebereich verbleibt.
  25. Die Merkmale des Anspruchs 1 des Klagepatents können wie folgt gegliedert werden:
    1. Fluggastsitz mit Sitzkomponenten, wie
    1.1 einem Sitzteil und
    1.2 einer Rückenlehne (1).
    2. Rückenlehne (1) mit einer eine Rückenlehnenpolsterung (13) tragenden Trägerstruktur (11).
    3. An der Rückseite der Rückenlehne (1) sind angeordnet
    3.1 ein an diese anklappbarer und in eine Gebrauchsstellung wegklappbarer Eßtisch (3) sowie
    3.2 ein taschenartiges Behältnis (15) zur Aufnahme von Gebrauchsgegenständen, insbesondere von Druckerzeugnissen (17) und Reiseutensilien.
    4. Das Behältnis (15) ist durch einen Hohlraum gebildet, der sich erstreckt
    4.1 in der Trägerstruktur (11) der Rückenlehne (1)
    4.2 zumindest teilweise zwischen dem angeklappten Eßtisch (3) und
    der Rückenlehnenpolsterung (13).
    5. Das Behältnis (15) kann befüllt werden, während sich der Eßtisch (3) in einer an der Rückseite der Rückenlehne (1) angeklappten Stellung befindet.
  26. II.
    Der Streit der Parteien gibt Anlass zur Auslegung der Merkmale 3.2 und 4.
    Nach der patentgemäßen technischen Lehre soll das in diesen Merkmalen genannte Behältnis, das im Stand der Technik regelmäßig in Kniehöhe angebracht ist, in einen Bereich der Trägerstruktur der Rückenlehne verlegt werden, in dem sich ein Hohlraum befindet, den die US 4,636,602 ebenfalls nutzt und der ansonsten ungenutzt bleibt. Hierdurch soll der Platz im Kniebereich, der für solche Behältnisse traditionell notwendig ist, insbesondere, wenn diese befüllt sind, eingespart werden.
    Das Behältnis wird dabei im Merkmal 3.2 als „taschenartig“ beschrieben. Mit Rücksicht auf die Funktion soll dies gewährleisten, dass Gegenstände in dem Behältnis aufbewahrt werden können. Die aufzubewahrenden Gegenstände werden im Klagepatent in Merkmal 3.2 mit „insbesondere Druckerzeugnisse und Reiseutensilien“ und im Absatz 0007 beispielhaft mit der Karte mit den Sicherheitsanweisungen, Reiseliteratur und weiteren Reiseutensilien beschrieben. Die Bezeichnung als „taschenartig“ und die Angabe, dass es auch zur Aufnahme von sonstigen Druckerzeugnissen und Reiseutensilien geeignet sein soll, zeigen, dass das Behältnis die grundsätzliche Fähigkeit haben muss, von oben durch eine „Hauptöffnung“ – sei dies nun durch eine nach oben weisende Öffnung oder einen oben gelegenen Schlitz in der Rückwand, vgl. Absatz 0009 – befüllt zu werden und die einfüllbaren Dinge ohne weitere Einrichtungen an ihrem Platz zu halten. Dem genügt beispielsweise ein mit einer Klappe verschlossener Hohlraum wie in US 4,636,602 gezeigt nicht, weil die Gegenstände ohne weitere Sicherungen beim Öffnen der Klappe herausfallen.
    Der Anspruch selbst nennt darüber hinaus keine Anforderungen an die Fähigkeit des Behältnisses, besondere Arten oder Größen von Gegenständen aufzunehmen. Aus der Tatsache, dass das Behältnis nach dem Klagepatent aus dem Kniebereich nach oben verlegt wird und somit die im Stand der Technik vorhandene Aufbewahrungsmöglichkeit nicht ergänzt, sondern sie ersetzt, schließt der Fachmann in Verbindung mit Absatz 0007 lediglich, dass in dem Behältnis jedenfalls die Sicherheitsanweisungen Platz finden und auch gehalten werden müssen.
    Die Begriffe „Reiseutensilien“ und Druckerzeugnisse sind dabei so allgemein gewählt, dass sich daraus keine besonderen Mindestanforderungen an die räumlich-körperliche Ausgestaltung ableiten lassen. Erfasst ist neben den genannten Druckerzeugnissen alles, was Reisende üblicherweise mit sich führen, wie beispielsweise Portemonnaies, Handtaschen, Tabletcomputer, Mobiltelefone, Schlüsselbünde, (Sonnen-) Brillen, Mützen und Schals etc. Es liegt auf der Hand, dass bei dem beschränkten Platzangebot kein Behältnis jede Art von mitgeführtem Gegenstand aufnehmen kann. Es liegt damit letztlich in der Hand des Fachmanns, dem Nutzer Grenzen etwa dadurch zu setzen, dass die Tiefe der Tasche oder die Größe der Öffnung in bestimmter Weise ausgestaltet werden, so dass bei starrer Konstruktion etwa dickere oder besonders großformatige Druckerzeugnisse nicht hineinpassen. Es lässt sich dem Klagepatent auch keine Mindestanforderung, dass etwa ein Mobiltelefon oder ein Schlüsselbund sicher zu verwahren sind, entnehmen. Jede räumlich-körperliche Ausgestaltung, die grundsätzlich zur Aufnahme und zum Halten von Gegenständen, die Reiseuntensilien sind, geeignet ist, ist von der Lehre des Klagepatents umfasst. Die Auslegung der Beklagten, die davon ausgeht, dass „taschenartig“ voraussetze, dass der Boden und die Wände „im Wesentlichen geschlossen“ sei, weil sonst etwa Lippenstifte oder Mobiltelefone oder Schlüsselbünde herausfallen könnten, greift demnach zu kurz. Dies zeigt das Klagepatent auch in Absatz 0012, der aufzeigt, dass neben der obenliegenden Hauptöffnung auch eine weitere Öffnung unten angebracht werden kann, aus der solche kleineren Gegenstände praktisch zwangsläufig herausfallen, zumal die am Rand der in Absatz 0012 beschriebenen Öffnung hochgezogene „Lippe“, die dies nach Absatz 0013 verhindern kann, wiederum fakultativ ist.
    Auch Absatz 0010 und Merkmal 5 grenzen dieses Verständnis der räumlich-körperlichen Ausgestaltung des taschenartigen Behältnisses nicht weiter ein:
    Absatz 0010 verweist dabei darauf, dass die Rückwand durch eine durchgehende Platte zwischen den Trägerstrukturen gebildet werden kann. An dieser Platte könne der Riegel für den Tisch angebracht werden (Absatz 0011). Weiter wird in Absatz 0012 die bereits erwähnte Öffnung zwischen der Unterseite der Rückwand beschrieben, die vorgesehen werden kann, um kleinere Gegenstände wieder herausnehmen zu können. Diese Absätze stellen zusammengenommen ein Ausführungsbeispiel dar, das den weiter gefassten Anspruch insoweit nicht auf solche Konstruktionen einschränkt. Die Formulierungen zeigen, dass mit „taschenartigem“ Behältnis nicht etwa nur solche gemeint sind, die aus flexiblen Materialien wie etwa Netzen bestehen, sondern dass der Hohlraum des Behältnisses auch durch die Nutzung der fest geformten Sitzstrukturen in Verbindung mit einer festen Rückplatte gebildet werden kann. Entscheidend kommt es mit Blick auf die Funktion und die zu lösende Problemstellung vielmehr darauf an, wo sich der Behälter befindet, nämlich zumindest teilweise im sonst ungenutzten Bereich zwischen der Rückenlehne und dem hochgeklappten Tisch.
    Entgegen der Ansicht der Beklagten ist insofern auch der erste Satz des Merkmals 4 nicht so auszulegen, dass aus ihm eigene Anforderungen an die räumlich-körperliche Ausgestaltung des Behältnisses dahingehend folgen, dass der Hohlraum durch die Rückenlehne gebildet werde, weil er sonst inhaltsleer wäre. Merkmal 4 enthält insgesamt Anforderungen an die räumlich-körperliche Ausgestaltung des Fluggastsitzes, indem es angibt, wo sich der Hohlraum, durch den das klagepatentgemäße Behältnis wie auch jedes andere Behältnis gebildet wird, befinden soll. Dass dem ersten Satz des Merkmals 4 nicht das Verständnis der Beklagten zugrunde gelegt werden kann, zeigt sich auch durch die Ausführungen zum Stand der Technik in Absatz 0003 des Klagepatents, in dem derselbe Wortlaut verwendet wird. Die dort in Bezug genommene US-Druckschrift 4,636,602 zeigt einen eigenen Behälter, der dem Hohlraum komplett entnommen werden kann. Auch Absatz 0020 verweist lediglich in Form von den Schutzanspruch nicht beschränkenden Ausführungsbeispielen auf eine Ausgestaltung, bei der das Behältnis (u.a.) durch die integralen Bestandteile der Rückenlehne gebildet wird.
  27. Merkmal 5 des Anspruchs 1 des Klagepatents beschreibt dabei weiter, dass das Behältnis auch befüllt werden kann, wenn der Tisch hochgeklappt ist. Hieraus in Verbindung mit Merkmal 4.2 folgt, dass die oben gelegene Öffnung erreichbar bleiben muss. Daraus, dass lediglich davon die Rede ist, dass das Behältnis befüllbar bleibt, folgt dabei nicht, dass die Sachen nicht wieder entnehmbar wären und das Patent seinen Zweck verfehlt, wie die Beklagte meint. Der Logik des Klagepatents zufolge kann vorteilhafterweise auch eine untenliegende Öffnung zum Entnehmen kleinerer Gegenstände vorgesehen werden. Daraus, dass die untere Öffnung fakultativ ist, ergibt sich – abhängig von der nicht weiter vorgegebenen Ausgestaltung – die Notwendigkeit, die Gegenstände, deren Aufbewahrung bezweckt ist, ggf. von oben durch die „Hauptöffnung“ entnehmen zu können.

    III.
    Die angegriffenen Ausführungsformen machen von der technischen Lehre des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch.
    In allen Fällen ist ein taschenartiges Behältnis vorgesehen, das die Eignung aufweist, unter anderem solche Gegenstände aufzunehmen, wie sie im Klagepatent ausdrücklich angegeben werden, wie Druckerzeugnisse und Reiseutensilien.
    Dabei hat die Beklagte die Behältnisse zwar so konstruiert, dass sie sich für eine Vielzahl denkbarer Reiseutensilien, wie eben Mobiltelefone oder Schlüssel nicht (mehr) eignen, weil diese herausfallen würden. Dies führt jedoch nicht aus der Lehre des Klagepatents heraus. Denn zum einen können Druckerzeugnisse wie Zeitschriften und die Sicherheitskarten dort verstaut werden. Es sind zudem auch noch eine Vielzahl von Reiseutensilien denkbar, die in den angegriffenen Ausführungsformen Platz finden, wie etwa I-Pad, Schal und Mütze oder auch kleinere Handtaschen wie eine Clutch bzw. größere Portemonnaies, so dass auch Merkmal 3.2 erfüllt ist. Es ist weiterhin unbeachtlich, dass bei der angegriffenen Ausführungsform II ein Behälter in dem Hohlraum der Rückenlehne eingelassen ist, weil Merkmal 4 dies bei zutreffender Auslegung nicht ausschließt.
    Es ist dabei zu Recht unstreitig geblieben, dass das Behältnis auch in der Trägerstruktur der Rückenlehne so angeordnet ist, dass der angeklappte Tisch es teilweise überdeckt und dass die oben gelegenen Öffnungen jeweils erreichbar bleiben, wenn der Tisch angeklappt ist.

  28. IV.
    Unstreitig stellte die Beklagte im von der Klägerin geltend gemachten Zeitraum Sitze der angegriffenen Ausführungsformen I und II her, vertrieb diese und bewarb sie auch im Internet auf einer deutschsprachigen Webseite mit deutscher Domainendung, und auf verschiedenen Messen, u.a. in Deutschland (angegriffene Ausführungsform I und II). Die angegriffenen Ausführungsformen I und II wurden auch in Flugzeuge eingebaut.
    Auch die angegriffene Ausführungsform III wurde unstreitig hergestellt und jedenfalls auf einer Fachmesse in Deutschland und im Internet auf deutschsprachigen Webseiten mit deutscher Domainendung beworben.
    V.
    1.
    Die Beklagte ist der Klägerin zur Unterlassung verpflichtet, Art. 64 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 1 PatG.
    Die Wiederholungsgefahr wird dabei aufgrund der bereits begangenen Verletzung vermutet (vgl. BGH GRUR 2003, 1031, 1033 – Kupplung für optische Geräte).
  29. 2.
    Weiterhin hat die Klägerin gegen die Beklagte dem Grunde nach einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 1 und 2 PatG.
  30. Das für die Zulässigkeit des Feststellungsantrags gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass die Klägerin derzeit nicht in der Lage ist, den konkreten Schaden zu beziffern und ohne eine rechtskräftige Feststellung der Schadensersatzpflicht die Verjährung von Schadensersatzansprüchen droht.
  31. Die Beklagte ist zum Schadensersatz verpflichtet, weil sie die Patentverletzung schuldhaft beging. Als Fachunternehmen hätte sie die Patentverletzung bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest erkennen können, § 276 BGB. Es ist auch nicht unwahrscheinlich, dass der Klägerin durch die Schutzrechtsverletzung ein Schaden entstanden ist.
  32. 3.
    Unabhängig vom Verschulden der Beklagten hat die Klägerin gegen diese für den Zeitraum zwischen der Offenlegung der Patentanmeldung und der Patenterteilung auch einen Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung dem Grunde nach aus Art. II § 1 Abs. 1 IntPatÜG. Die Beklagte hat den Erfindungsgegenstand genutzt, obwohl sie wusste oder jedenfalls wissen musste, dass die benutzte Erfindung Gegenstand der Anmeldung des Klagepatents war.
  33. 4.
    Der Klägerin steht gegen die Beklagte auch ein Anspruch auf Rechnungslegung und Auskunft aus § 140b Abs. 1 PatG zu. Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstands unmittelbar aus § 140b Abs. 1 PatG, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 140b Abs. 3 PatG. Die weitergehende Auskunftspflicht und die Verpflichtung zur Rechnungslegung folgen aus §§ 242, 259 BGB, damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch zu beziffern. Die Klägerin ist auf die tenorierten Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt, und die Beklagte wird durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet.
  34. 5.
    Die Klägerin hat schließlich gegen den Beklagten im tenorierten Umfang einen Anspruch auf Rückruf der unmittelbar patentverletzenden Erzeugnisse aus den Vertriebswegen und deren Vernichtung gemäß § 140a Abs. 1 und 3 PatG.
  35. V.
    Anlass für eine Aussetzung besteht nicht.
  36. 1.
    Der Patentanspruch ist nicht nachträglich unzulässig erweitert worden.
    Bei der Frage, ob es sich insoweit um eine unzulässige Erweiterung handelt, ist zu entscheiden, ob die ursprüngliche Offenbarung für den Fachmann erkennen ließ, dass der geänderte Lösungsvorschlag von vornherein von dem Schutzbegehren mit umfasst werden sollte, in diesem Rahmen sind Erweiterungen der Ansprüche zulässig, oder ob der Gegenstand der Schutzansprüche unzulässig über diesen Rahmen hinaus erweitert wurde oder ob durch die Erweiterung ein aliud erzeugt wurde (BGH GRUR 2010, 513, 515 Rn. 28 – Hubgliedertor II; BGH GRUR 2010, 910, 914 Rn. 46- Fälschungssicheres Dokument).
    Der maßgebliche Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung ist dabei nicht auf den Inhalt der formulierten Ansprüche beschränkt, sondern auf das, was der Gesamtheit der ursprünglichen Unterlagen als zur Erfindung gehörend zu entnehmen ist (vgl. BGH GRUR 2010, 513, 515 Rn. 28 – Hubgliedertor II). Zum Offenbarungsgehalt einer Patentanmeldung gehört dabei nur das, was den ursprünglich eingereichten Unterlagen „unmittelbar und eindeutig“ zu entnehmen ist, wobei die Kriterien der Neuheitsprüfung gelten (vgl. so auch Meyer-Beck, GRUR 2012, 1177, 1179 f.).
  37. Der Klagepatentanspruch unterscheidet sich von dem ursprünglich angemeldeten Anspruch allein durch das zusätzliche Merkmal 5.
    Das hinzugetretene Merkmal ergibt sich unmittelbar und eindeutig aus der Ursprungsoffenbarung als ausdrücklich aufgezeigte Ausgestaltungsvariante, wie Absatz 0019 in Verbindung mit der in diesem Absatz in Bezug genommenen Fig. 2 zeigt.
    Denn zwar zeigt Fig. 2 den angeklappten Tisch gerade nicht, was nach Absatz 0019 ausdrücklich aus Gründen der Übersichtlichkeit geschieht. Es wird jedoch aus Absatz 0019 und Fig. 2 die relative Position des Tisches zum Behältnis und vor allem dessen Öffnung eindeutig aufgezeigt: Denn in Absatz 0019 wird ausdrücklich ausgeführt, dass der Tisch mittels eines schwenkbaren Riegels verriegelt wird, der „üblicher Weise den oberen Rand des angeklappten Eßtisches 3 übergreift“. Hierdurch wird dem Fachmann eindeutig vor Augen geführt, dass bei der üblichen und offensichtlich in Bezug genommenen Ausgestaltung des Tisches und seiner Verriegelung Fig. 2 ein Ausführungsbeispiel zeigt, bei dem der Tisch die obenliegende Öffnung des Behältnisses nicht verdeckt.
    Darauf, ob es neben den ausdrücklich benannten Ausführungen auch solche Tischausführungen gibt, bei denen dies bei gleich angebrachtem Riegel anders ist, und ob der Fachmann diesen Umstand bei dem Anblick der Zeichnung im Sinn haben musste, kommt es nicht an. Denn jedenfalls die im Klagepatent zum Merkmal erhobene Ausführungsform ist unmittelbar und eindeutig offenbart worden.
    Das Merkmal ist auch als zur Erfindung gehörig offenbart, denn der ursprüngliche Anspruch war weiter gefasst und enthielt den dann erteilten Patentanspruch vollständig:
    Zwar enthält die Ursprungsanmeldung keine ausdrücklichen Angaben dazu, wie sich der angeklappte Tisch und die Erreichbarkeit des vorgesehenen, taschenartigen Behältnisses zueinander verhalten sollen. Aus den Ausführungen etwa in Absatz 007 ergibt sich lediglich, dass die Einbauhöhe des Behälters variabel sein soll, man soll sie etwa nach unten verlegen können, um darüber noch einen Bildschirm anbringen zu können.
    Bei richtiger Auslegung sind damit Ausgestaltungen, bei denen das Fach erreichbar bleibt, von der technischen Lehre des Patents eindeutig umfasst: Bereits der Wortlaut des Patents, das lediglich davon spricht, dass das Behältnis „zumindest teilweise“ zwischen Tisch und Lehne angeordnet sei, umfasst für den Fachmann ohne weiteres erkennbar eine Ausgestaltung, bei der die obenliegende Einfüllöffnung über den Tisch hinausragt.
    Letztlich entspricht dieses Verständnis auch der Funktion der technischen Lehre der Ursprungsanmeldung. Diese bezweckt, das Behältnis aus dem Fußraum nach oben in die Lehne zu verlegen, um im Fußraum mehr Beinfreiheit zu schaffen, vgl. Absatz 0002, 0005 und 0006 der Ursprungsanmeldung. Dabei kommt es nicht darauf an, dass der angeklappte Tisch das Behältnis verdecken müsste, sondern allein darauf, dass das Behältnis in der Rückenlehne Platz findet.
  38. 2.
    Die Erfindung ist auch „neu“ und beruht auf erfinderischer Tätigkeit.
  39. a)
    US 4,726,621 (vorgelegt als NK6 als Teil des Anlagenkonvoluts der B 4) offenbart nicht die Erfindung. US 4,726,621 hat im Wesentlichen die Erweiterung des Tisches durch eine zweites, gesondert klappbares, schmaleres Tischelement zum Gegenstand und Ziel, das zum einen alleine (ohne den Haupttisch) ausgeklappt werden kann oder zum anderen in regalartig angeordneter Weise mit dem Haupttisch zusammen genutzt werden kann:
  40. Dabei findet ein Behältnis in den Ansprüchen und der Entgegenhaltung keine selbständige Erwähnung. Lediglich die Bilder zeigen ein Netz, wie es aus dem Stand der Technik bekannt war, das unterhalb des Tisches angeordnet ist. Damit entspricht die Darstellung im Wesentlichen dem im Klagepatent benannten Stand der Technik.
    Merkmale 4.1 und 4.2 des Klagepatents werden nicht offenbart: Das gezeigte Netz erstreckt sich zum einen nicht in der Trägerstruktur der Rückenlehne (Merkmal 4.1).
    Es erstreckt sich auch nicht zumindest teilweise zwischen Lehne und angeklapptem Tisch (Merkmal 4.2): Für die Frage, ob das taschenartige Behältnis gemäß der technischen Lehre des Klagepatents zumindest teilweise vom angeklappten Tisch überdeckt wird, kommt es nicht darauf an, ob etwaige Inhalte des Behältnisses vom angeklappten Tisch zumindest teilweise überdeckt werden können (was von deren Größe abhängt). Das Klagepatent setzt vielmehr die zumindest teilweise Überdeckung des Behältnisses selbst voraus. Derlei offenbart US 4,726,621 nicht.
  41. b)
    Die klagepatentgemäße Erfindung ist auch nicht nahegelegt:
    Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt es sich bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit um eine Rechtsfrage, die mittels wertender Würdigung der tatsächlichen Umstände zu beurteilen ist, die unmittelbar oder mittelbar geeignet sind, etwas über die Voraussetzungen für das Auffinden der erfindungsgemäßen Lösung auszusagen (vgl. BGH GRUR 2012, 378, 379 – Installiereinrichtung II).
    Maßgeblich ist, ob der Stand der Technik am Prioritätstag dem Fachmann den Gegenstand der Erfindung nahegelegt hat. Dies erfordert zum einen, dass der Fachmann mit seinen durch seine Ausbildung und berufliche Erfahrung erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten in der Lage gewesen ist, die erfindungsgemäße Lösung des technischen Problems aus dem Vorhandenen zu entwickeln, was die Beklagte vorliegend vorgetragen hat.
    Dies allein genügt jedoch nicht, um den Gegenstand der Erfindung als nahegelegt anzusehen. Hinzukommen muss vielmehr zum anderen, dass der Fachmann Grund hatte, den Weg der Erfindung zu beschreiten. Dazu bedarf es in der Regel über die Erkennbarkeit des technischen Problems hinausreichender Anstöße, Anregungen, Hinweise oder sonstiger Anlässe (BGH GRUR 2012, 378, 379 – Installiereinrichtung II; GRUR 2010, 407, 409 – einteilige Öse).
    Es ist nicht ersichtlich, welchen besonderen Anlass der Fachmann gehabt hätte, ausgehend von den als NK 7 oder NK 8 zur Nichtigkeitsklage (Anlagenkonvolut B4) vorgelegten japanischen Druckschriften, die jeweils andere heranzuziehen und zur erfindungsgemäßen Lehre zu konkretisieren. Dargetan ist lediglich, dass der Fachmann aus einer Kombination der Entgegenhaltungen zu einer klagepatentgemäßen Lösung kommen kann, wenn er sich aus Anlass des dem Klagepatent zugrundeliegenden technischen Problems auf die Suche danach begibt. Dies stellt jedoch keinen Anlass dar, sich gerade einer Kombination von NK7 und NK8 zuzuwenden, sondern ist lediglich die Kombination von Erkennbarkeit des technischen Problems mit der Erkennbarkeit der Lösung, was gerade nicht ausreicht.
    Auch hinsichtlich der G 82 31 127 (vorgelegt als Anlage NK5 im Rahmen des Anlagenkonvoluts B4) ist dies nicht ersichtlich. Dort mag zwar erkennbar sein, dass es einen nutzbaren Hohlraum in der Rückenlehne eines (in dem Fall Fahrzeug-) Sitzes gibt. In der Entgegenhaltung wird dort jedoch der Tisch eingeklappt. Unterhalb dieses Tisches soll eine Konsole angeordnet werden, die den herausgeklappten Tisch abstützen soll. Diese kann nach der Beschreibung vorteilhafterweise zur Erreichung eines Doppelnutzens auch als Netzbehälter ausgeführt werden. Dass dabei bei angeklapptem Tisch überhaupt ein substantieller, befüllbarer Hohlraum verbleibt, ist nicht bezweckt. Dieser ist auch in der NK 5 nicht unmittelbar und eindeutig offenbart. Vielmehr spricht NK 5 in Anspruch 1 davon, dass der Tisch in Nichtgebrauchslage parallel an der Rückwand anliege.
    Entgegen der Ansicht der Beklagten folgt auch aus dem Bild nichts anderes:
  42. Zwar wirkt der Rahmen der Rückenlehne, wie die Beklagte zutreffend bemerkt, breiter als der Tisch dick wirkt. Allerdings finden sich in der schematischen Zeichnung weder Anschläge noch sonstige Begrenzungen, die ein „dichtes“ Anliegen der Oberkante des Tisches verhindern könnten. im Gegenteil zeigt die Beschreibung, der zufolge die Ziffer 19 das Einrastelement für den Tisch zeigt, dass der Tisch in der Zeichnung weit über ein bündiges Abschließen der Tischunterkante mit der Außenkante des Rahmens hinaus angeklappt werden müsste, um einzurasten. Dass dann ein von oben zugänglicher Hohlraum verbliebe, ist auch durch die Zeichnung nicht offenbart.
    Geht man vom Vorhandensein eines Hohlraums aus, eignet sich dieser bei der gegebenen Konfiguration nicht zur Aufnahme von Gegenständen, weil die Gefahr drohte, dass sie entweder nach unten herausfallen, oder beim Aufklappen des Tisches nach vorne herausfallen oder eingeklemmt werden. Jedenfalls handelt es sich auch nicht um ein taschenartiges Behältnis, das gebildet wird, denn das Behältnis hat keine Rückwand. Diese wird vielmehr durch den Tisch selbst im angeklappten Zustand gebildet.
  43. Nach alldem ist nicht ersichtlich, welchen Anlass der Fachmann haben soll, von der gänzlich anderen Ausführung der Entgegenhaltung zur patentgemäßen Lösung zu gelangen.
  44. VII.
    Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 91 Abs 1. S. 1, 709 ZPO.
  45. Streitwert: 2.250.000 EUR

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