Düsseldorfer Entscheidungsnummer: 2718
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 05.10.2017, Az. 4b O 39/16
- I. Die Beklagte wird verurteilt,
- 1. es bei Meldung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlungen bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an dem jeweiligen Geschäftsführer der Beklagten zu vollstrecken ist, zu unterlassen,
- Aerosolbehälter umfassend
- einen Speicher aufweisend ein Treibmittel und ein Nahrungsmittelprodukt;
- eine betätigbare Abgabeeinrichtung, um das Nahrungsmittel-produkt abzugeben;
- einen Spenderkopf, der einen Nahrungsmittelproduktaufnahme-raum zum Aufnehmen des Nahrungsmittelprodukts von der Ab-gabeeinrichtung festlegt, wobei ein distaler Abschnitt des Kopfes Nahrungsmittelformvorsprünge aufweist, wobei der Nahrungs-mittelproduktaufnahmeraum einen stromaufwärts gelegenen Nahrungsmittelproduktaufnahmeraum umfasst, der sich, in einer Nahrungsmittelabgaberichtung betrachtet, auf einen Maximal-durchmesser aufweitet,
- in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
- bei welchen
- der Spenderkopf mit einem integralen ringförmigen Verbindungs-element versehen ist, das an einen umlaufenden Flansch eines oberen Bereiches des Behälters gekoppelt ist, wobei der Spenderkopf um eine Schwenkachse schwenkbar mit dem Verbindungselement verbunden ist,
- um eine Nahrungsmittelauslassdüse des Behälters herabzu-drücken,
- wobei der Kopf einen Griffbereich aufweist zur manuellen Aktivierung der Abgabe des Nahrungsmittelprodukts, wobei der Nahrungsmittelproduktaufnahmeraum einen stromaufwärts gele-genen Boden aufweist, wobei die Länge des Nahrungsmittel-produktaufnahmeraums, gemessen vom stromaufwärts gelegenen Boden des Raumes zu einer stromabwärts gelegenen lateralen Nahrungsmittelproduktauslassöffnung des Spenderkopfs im Bereich von 2 bis 3 cm liegt, wobei das Verhältnis zwischen der Länge des Nahrungsmittelprodukt-aufnahmeraums und der maximale Durchmesser des Raumes im Bereich zwischen 1:2 – 2:1 liegt;
- 2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagte die zu Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 17.10.2012 begangen hat, und zwar unter Angabe
- a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer;
- b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren;
- c) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse, sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;
- wobei zum Nachweis der Angaben entsprechende Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vor-zulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
- 3. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 17.11.2012 begangen hat, und zwar unter Angabe:
- a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefer-mengen, zeiten und preisen und der jeweiligen Typen-bezeichnungen, sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,
- b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebots-mengen, zeiten und preisen und der jeweiligen Typenbe-zeichnungen, sowie den Namen und Anschriften der An-gebotsempfänger,
- c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbe-trägern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Ver-breitungsgebiet, im Falle von Internetwerbung der Domain, der Zugriffszahlen und der Schaltungszeiträume,
- d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
- wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht-gewerblichen Abnehmer und Angebots-empfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeich-nenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten ver-eidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
- 4. die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz und/oder Eigentum befindlichen, vorstehend zu Ziffer I. 1. bezeichneten Erzeugnisse auf eigene Kosten zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von ihr zu benennenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf ihre – der Beklagten – Kosten herauszugeben (alternativ an einen zur Vernichtung bereiten Gerichtsvollzieher);
- 5. die unter Ziffer I. 1. bezeichneten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich (Urteil des LG Düsseldorf vom 28.09.2017, Az. 4b O 39/16) festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen.
- II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu Ziffer l. 1. bezeichneten und seit dem 17.11.2012 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
- III. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
- IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 500.000 EUR, wobei für die Vollstreckung einzelner titulierter Ansprüche folgende Teilsicherheiten festgesetzt werden:Ziff. I. 1., 4., 5. des Tenors: 325.000 EURZiff. I. 2. und 3. des Tenors: 100.000 EURZiff. III. des Tenors: 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
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Tatbestand
- Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Verletzung des deutschen Teils des euro-päischen Patents EP 2 218 XXX B1 (Anlage K 1a, in deutscher Übersetzung ein-gereicht als Anlage K 1b, im Folgenden: Klagepatent) auf Unterlassung, Auskunfts-erteilung, Rechnungslegung, Vernichtung, Rückruf sowie Feststellung der Schadensersatzpflicht dem Grunde nach in Anspruch.
- Die Klägerin ist Inhaberin des Klagepatents. Die dem Klagepatent zugrunde liegende Anmeldung wurde am 11.09.2006 eingereicht. Die Offenlegung der Anmeldung erfolgte am 18.08.2010. Am 17.10.2012 wurde der Hinweis auf die Patenterteilung veröffentlicht. Die Beklagte erhob mit Schriftsatz vom 22.12.2016 Nichtigkeitsklage gegen das Klagepatent, über die noch nicht entschieden wurde. Das Klagepatent steht in Ansehung der Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Der deutsche Teil des Klagepatents wird beim Deutschen Patent- und Markenamt unter dem Aktenzeichen 60 2006 032 XXX.X geführt (Anlage K 12).
- Das Klagepatent betrifft einen Aerosolbehälter. Der in diesem Rechtsstreit maßgebliche Anspruch 1 des Klagepatents lautet in der von der Klägerin im Nichtigkeitsverfahren verteidigten Fassung wie folgt:
- „Aerosolbehälter (1), umfassend:einen Speicher (2) aufweisend ein Treibmittel und ein Nahrungsmittelprodukt; eine betätigbare Abgabeeinrichtung (3), um das Nahrungsmittelprodukt abzu-geben; einen Spenderkopf (10), der einen Nahrungsmittelproduktaufnahme-raum (11) zum Aufnehmen des Nahrungsmittelprodukts von der Abgabe-einrichtung (3) festlegt, wobei ein distaler Abschnitt (15) des Kopfes (10) Nahrungsmittelformvorsprünge (12) aufweist, wobei der Nahrungsmittelproduktaufnahmeraum (11) einen stromaufwärts gelegenen Nahrungsmittelproduktaufnahmeraum (11A, 11 B) umfasst, der sich, in einer Nahrungsmittelabgaberichtung betrachtet, auf einen Maximaldurchmesser (D1) aufweitet,dadurch gekennzeichnet,dass der Spenderkopf (10) mit einem integralen ringförmigen Verbindungs-element (3) versehen ist, das an einen umlaufenden Flansch eines oberen Bereiches des Behälters (1) gekoppelt ist, wobei der Spenderkopf (10) um eine Schwenkachse (T) schwenkbar mit dem Verbindungselement verbunden ist, um eine Nahrungsmittelauslassdüse (N) des Behälters (1) herabzudrücken, wobei der Kopf (10) einen Griffbereich (22) aufweist zur manuellen Aktivierung der Abgabe des Nahrungsmittelprodukts, wobei der Nahrungsmittelproduktauf-nahmeraum (11) einen stromaufwärts gelegenen Boden aufweist, wobei die Länge (L1) des Nahrungsmittelproduktaufnahmeraums (11), gemessen vom stromaufwärts gelegenen Boden des Raumes (11) zu einer stromabwärts ge-legenen lateralen Nahrungsmittelproduktauslassöffnung des Spenderkopfs im Bereich von 2 bis 3 cm liegt, wobei das Verhältnis zwischen der Länge (L1) des Nahrungsmittelproduktaufnahmeraums (11) und der maximale Durchmesser (D1) des Raumes (L1:D1) im Bereich zwischen 1:2 – 2:1 liegt.“
- Hinsichtlich des Wortlauts der lediglich in Form von „insbesondere-wenn-Anträgen“ geltend gemachten Ansprüche 2 bis 14 wird auf den Inhalt der Klagepatentschrift (Anlage K 1b) verweisen.
- Die nachfolgenden Abbildungen zeigen ein bevorzugtes Ausführungsbeispiel der Erfindung in leicht verkleinerter Form. Dabei zeigt Fig. 4 die Seitenansicht des Spenderkopfes des Ausführungsbeispiels und Fig. 6A einen Längsschnitt.
- Die in der Bundesrepublik Deutschland ansässige Beklagte stellt im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Sprühsahne mit einem sog. „A“-Spenderkopf (ange-griffene Ausführungsform) her. Die Sprühsahne wird über die Lebensmittelmärkte „B“ und „C“ in der Bundesrepublik Deutschland, u.a. in NRW, vertrieben. Sie wird auch im Internet auf der Homepage von „B“ beworben.
- Zur Veranschaulichung werden nachfolgend verkleinerte Abbildungen der ange-griffenen Ausführungsform wiedergegeben, die der Klageschrift entnommen sind.
- Mit Urteil vom 15.10.2003 erklärte die Rechtbank van Koophandel te Antwerpen den belgischen Teil des Klagepatents mangels erfinderischer Tätigkeit für nichtig. Hinsichtlich des Inhalts der Entscheidung wird auf die übersetzte Fassung des Urteils in Anlage CMS B 2 verwiesen. Die Klägerin legte gegen diese Entscheidung Berufung ein, über die noch nicht entschieden wurde.
- Die Klägerin ist der Auffassung, dass das Klagepatent rechtsbeständig sei. Es handle sich um eine gänzlich neue Innovation auf dem Markt für Aerosolbehälter. Seit 35 Jahren werde ein zylindrischer Spenderkopf verwendet. Das Klagepatent stelle eine technische Erfindung bereit, um mit den altbekannten Aerosolbehältern deutlich ansprechendere Sprühergebnisse zu erzielen, die mit denen eines professionellen Siphon-Sahne-Spenders oder Schlagsahnegeräts fast vergleichbar seien. Das gesprühte Lebensmittelprodukt weise schärfere Konturen auf und sehe weniger ungeordnet aus.Das belgische Gericht habe einen allwissenden zuständigen Fachmann ange-nommen, der den Spenderkopf von Siphon-Sahne-Spendern auf Aerosolbehälter übertragen habe. Dies sei jedoch nicht möglich, weil mit den Spenderköpfen von Siphon-Sahne-Spendern unabhängig von deren Form bessere Ergebnisse erzielt würden. Denn die Form der Spenderköpfe zeige bei Siphons oder elektrischen Sahnebehältern keinen Einfluss auf das Sprühergebnis. Diese Spenderköpfe seien deutlich länger als der Spenderkopf eines Aerosolbehälters, was zu einem besseren Ergebnis führe. Die Länge des Spenderkopfes bei Siphon-Sahne-Spendern könne nicht auf Aerosolbehälter übertragen werden.
- Die Klägerin beantragt,
- wie erkannt.
- Die Beklagte beantragt,
- die Klage abzuweisen,
- hilfsweise, den Rechtsstreit bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die von der Beklagten beim Bundespatentgericht gegen den deutschen Teil des europäischen Patents 2 218 XXX eingereichte Nichtigkeitsklage auszusetzen.
- Die Klägerin tritt dem Aussetzungsantrag entgegen.
- Die Beklagte ist der Auffassung, dass das Klagepatent nicht rechtsbeständig sei. Dem anspruchsgemäßen Gegenstand des Klagepatents fehle es an der erfinderischen Tätigkeit. Die angebliche Aufgabe des Klagepatents sei eine Schein-aufgabe. Eine Aufgabe könne allenfalls darin gesehen werden, ein breiteres Sprühbild zu erzeugen. Der Fachmann würde durch eine Kombination des seit 35 Jahren bekannten Spenderkopfes („Bekannte Tülle“), der – unstreitig zum Stand der Technik gehörenden – Entgegenhaltung AT 1 oder nach der D 10 mit den Schriften D 12 bzw. D 1 bis D 4, BE 1 und BE 2 zum Gegenstand des Klagepatents gelangen. Im Rahmen der Prüfung einer etwaigen Aussetzung sei jedenfalls zu berücksichtigen, dass die Klägerin dem Europäischen Patentamt (EPA) gegenüber die Schrift nach Anlage AT 1 treuwidrig vorenthalten habe. Die Beklage verwende die tulpenförmige Tülle im Übrigen lediglich deswegen, weil diese hübscher aussehe.
- Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Akteninhalt verwiesen.
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Entscheidungsgründe
- I.Die zulässige Klage ist begründet.
- Der Klägerin stehen gegen die Beklagte Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Vernichtung, Rückruf sowie Feststellung der Schadensersatzpflicht dem Grunde nach gem. Art. 64 Abs. 1 und 3 EPÜ i. V. m. §§ 9 S. 2 Nr. 1, 139 Abs. 1 und 2 S. 1, 140a Abs. 1 und 3, 140b PatG, §§ 242, 259 BGB zu.
- 1.Die dem Klagepatent zugrunde liegende Erfindung betrifft einen Aerosolbehälter.
- Aus dem Stand der Technik war bereits ein Behälter, der Sahne als Nahrungs-mittelprodukt enthält, vorbekannt und wurde laut Klagepatentschrift vom Anmelder selbst vermarktet und verkauft (Anlage K 1b, Abs. [0002], die nachfolgenden An-gaben beziehen sich auf die Klagepatentschrift, soweit nicht anders angegeben). Während der Benutzung dieses Behälters wird, wenn die Abgabeeinrichtung betätigt wird, Sahne über den Spenderkopf abgegeben und macht ein sog. „Überlaufen“ durch, so dass „Sprühsahne“, die üblicher Schlagsahne ähnelt, erhalten wird (Abs. [0003]).
- Bei der vorbekannten Einrichtung ist der Nahrungsmittelaufnahmeraum ein im Wesentlichen zylindrischer Raum. Der Behälter umfasst eine Ventileinrichtung und eine kleine Abgabedüse. Während der Aktivierung sprüht die Düse die Sahne in den zylindrischen Raum, woraufhin sich die Sahne vorzugsweise bis zu einem ge-wünschten Grad ausdehnt und wegen des sich ausdehnenden Treibmittels heftig bewegt wird (Abs. [0004]). Eine stromabwärts gelegene Abgabeöffnung des Nahrungsmittelproduktaufnahmeraums wird von den Sahneformvorsprüngen teil-weise blockiert. Die bekannten Nahrungsmittelproduktformvorsprünge sind zuein-ander hin gekrümmt, um ausströmende Sahne teilweise einzudrücken, um der Sahne ein Profil zu geben. Die Kontur der resultierenden Sahne, die aus dem Behälter abgegeben wird, ist mit einer gewünschten Kontur versehen, genauer mit Einkerbungen, die durch die genannten Formvorsprünge des Spenderkopfes eingedrückt oder eingeschnitten worden sind. Eine derart geformte Sahne ist für Anwendungen gedacht, wo kleine Sahnemengen (d.h. ein Sahnepunkt oder eine Sahnerosette) ein Nahrungsmittelprodukt, beispielsweise eine Torte oder ein Getränk, wie Trinkschokolade oder Kaffee, verzieren soll (zum Vorstehenden: Abs. [0005]).
- Aus der Schrift US 2005/193744 war ein Behälter vorbekannt, der ein gefrorenes, mit Luft versetztes Produkt enthält. Der Behälter beinhaltet ein Ventil, das sich zum Abgeben viskoser Produkte mit hoher Strömungsgeschwindigkeit eignet und dabei eine Öffnungs- und Betätigungskraft niedrig hält (Abs. [0006]).
- Die Schrift DE 7527199 offenbart eine Schlagsahnespendermaschine, die eine Pumpe und eine Homogenisierungskammer beinhaltet.
- Die Klagepatentschrift bezeichnet als eine Aufgabe der Erfindung die Schaffung eines Aerosolbehälters, der eine verbesserte Formung des Nahrungsmittelprodukts erreichen kann, so dass ein abgegebenes Nahrungsmittelsprühprodukt mit einer verbesserten scharfen Kontur erhalten werden kann (Abs. [0008]).
- Zur Lösung dieses Problems sieht das Klagepatent in Anspruch 1 in der im Nichtigkeitsverfahren verteidigten Fassung ein Erzeugnis mit folgenden Merkmalen vor:
- 1.0 Ein Aerosolbehälter (1)1.1 der ein Treibmittel und ein Nahrungsmittelprodukt in einem Speicher (2) aufweist;1.2 mit einer betätigbaren Abgabeeinrichtung (3), um das Nahrungsmittel-produkt abzugeben,1.3 mit einem Spenderkopf (10), der einen Nahrungsmittelproduktaufnahme-raum (11) zum Aufnehmen des Nahrungsmittelprodukts von der Abgabe-einrichtung (3) festlegt,1.4 wobei ein distaler Abschnitt (15) des Kopfes (10) Nahrungsmittelformvor-sprünge (12) aufweist,1.5 wobei der Nahrungsmittelproduktaufnahmeraum (11) einen stromaufwärts gelegenen Nahrungsmittelproduktaufnahmeraum (11A, 11 B) umfasst, der sich, in einer Nahrungsmittelabgaberichtung betrachtet, auf einen Maximaldurchmesser (D1) aufweitet,1.6 der Spenderkopf (10) ist mit einem integralen ringförmigen Verbindungs-element (3) versehen,1.7 das an einen umlaufenden Flansch eines oberen Bereiches des Behälters (1) gekoppelt ist,1.8 wobei der Spenderkopf (10) um eine Schwenkachse (T) schwenkbar mit dem Verbindungselement verbunden ist, um eine Nahrungsmittelauslassdüse (N) des Behälters (1) herabzudrücken,1.9 wobei der Kopf (10) einen Griffbereich (22) zur manuellen Aktivierung der Abgabe des Nahrungsmittelprodukts aufweist,1.10 wobei der Nahrungsmittelproduktaufnahmeraum (11) einen stromaufwärts gelegenen Boden aufweist,1.11 wobei die Länge (L1) des Nahrungsmittelproduktaufnahmeraums (11), gemessen vom stromaufwärts gelegenen Boden des Raumes (11) zu einer stromabwärts gelegenen lateralen Nahrungsmittelproduktauslass-öffnung des Spenderkopfs im Bereich von 2 bis 3 cm liegt,1.12 und das Verhältnis zwischen der Länge (L1) des Nahrungsmittelprodukt-aufnahmeraums (11) und der maximale Durchmesser (D1) des Raumes (L1:D1) im Bereich zwischen 1:2 – 2:1 liegt.
- Die Klagepatentschrift führt aus, die Erfahrung zeige, dass der erfindungsgemäße Aerosolbehälter eine deutlich verbesserte Formung des abgegebenen Nahrungs-mittelprodukts während des Sprühens des Nahrungsmittelprodukts biete (Abs. [0013]).
- 2.Im Hinblick auf den zwischen den Parteien bestehenden Streit bedürfen die Merkmale 1.5 und 1.12 des Klagepatents der Auslegung.
- a)Nach Merkmal 1.5 umfasst der Nahrungsmittelproduktaufnahmeraum (11) einen stromaufwärts gelegenen Nahrungsmittelproduktaufnahmeraum (11A, 11B), der sich, in einer Nahrungsmittelabgaberichtung betrachtet, auf einen Maximaldurchmesser (D1) aufweitet. Der Anspruch 1 des Klagepatents schreibt nicht vor, an welcher Stelle genau sich der Nahrungsmittelproduktaufnahmeraum auf einen Maximaldurchmesser aufweitet.Aus der allgemeinen Beschreibung ergibt sich, dass eine Erklärung für die Erzielung besserer Resultate mit dem erfindungsgemäßen Erzeugnis in dem sich weitenden Nahrungsmittelproduktaufnahmeraum gesehen werden kann, der für ein besser gesteuertes Ausströmen des Nahrungsmittelprodukts sorgen kann (Abs. [0013]). Weiter heißt es, dass ein maximaler Durchmesser des Nahrungsmittel-produktaufnahmeraums des Spenderkopfes vorteilhafterweise relativ groß sein könne, z.B. größer als 2 cm oder im Bereich von 2-3 cm liegen könne. Ein solch breiter Nahrungsmittelproduktaufnahmeraum könne eine relativ niedrige Nahrungs-mittelproduktabgabegeschwindigkeit (zumindest niedriger als sie mit herkömmlichen Aerosol-Nahrungsmittelproduktspenderköpfen erreicht werden könne) an den stromabwärts gelegenen Nahrungsmittelproduktformvorsprüngen zum Ergebnis haben, was ebenfalls zu einer verbesserten Funktionsweise der Nahrungsmittelproduktformvorsprünge führen könne (Abs. [0019]). Die Aufweitung nach Merkmal 1.5 dient damit dem besseren Ausströmen des Nahrungsmittelprodukts mittels der Verringerung der Nahrungsmittel-produktabgabegeschwindigkeit.Dass diese Funktion nicht erfüllt werden kann, wenn die Aufweitung stromabwärts auf der Höhe des Nahrungsmittelproduktausgabeelements (23) liegt, ist nicht ersichtlich. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Fig. 6A, die lediglich ein bevorzugtes Ausführungsbeispiel zeigt. Es ist daher nicht entscheidend, wo sich dort genau der minimale Durchmesser (D3) des Nahrungsmittelproduktaufnahmeraums befindet (ob am Boden oder etwas weiter stromabwärts).Schließlich führt Unteranspruch 11 zu keinem anderen Verständnis: Hier wird ein minimaler Durchmesser des Nahrungsmittelproduktaufnahmeraums des Spender-kopfes geringer als 1 cm, beispielsweise 6 mm, definiert. Die Ermittlung des Sinngehalts eines Unteranspruchs kann grundsätzlich zur richtigen Auslegung des Hauptanspruchs beitragen, allerdings ist hierbei zu beachten, dass Unteransprüche – nicht anders als Ausführungsbeispiele – den Gegenstand des Hauptanspruchs regelmäßig nicht einengen, sondern lediglich – gegebenenfalls mit einem zusätzlichen Vorteil verbundene – Möglichkeiten seiner Ausgestaltung aufzeigen (BGH, Urt. v. 10.05.2016, X ZR 114/13, GRUR 2016, 1031, 1033, Rn. 15 – Wärmetauscher). Inwieweit sich aus dem Gegenstand eines Unteranspruchs trag-fähige Rückschlüsse für das Verständnis des Hauptanspruchs und der in ihm ver-wendeten Begriffe gewinnen lassen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (BGH, Urt. v. 10.05.2016, X ZR 114/13, GRUR 2016, 1031, 1033, Rn. 15 – Wärme-tauscher). Im hiesigen Rechtsstreit zeigt Unteranspruch 11 eine Ausgestaltungs-möglichkeit in Bezug auf einen Minimaldurchmesser des Nahrungsmittelprodukt-aufnahmeraums. Er schränkt den Hauptanspruch aber nicht dahingehend ein, dass der Nahrungsmittelproduktaufnahmeraum einen Minimaldurchmesser mit den in Unteranspruch 11 angegebenen Ausmaßen aufweisen muss und wo sich dieser Minimaldurchmesser befinden soll.
- b)Merkmal 1.12 bestimmt, dass das Verhältnis zwischen der Länge (L1) des Nahrungsmittelproduktaufnahmeraums (11) und der maximale Durchmesser (D1) des Raumes (L1:D1) im Bereich zwischen 1:2-2:1 liegt. Das Merkmal charakterisiert damit eine weitere Komponente der Ausgestaltung des Nahrungsmittelprodukt-aufnahmeraums, nämlich dessen Verhältnis zwischen Länge und Durchmesser. Das beanspruchte Verhältnis trägt zu guten Abgabeergebnissen bei (Abs. [0053]). Die geometrische Größe des Nahrungsmittelproduktaufnahmeraums ergibt sich erst aus der Systematik mit Merkmal 1.11.
- 3.Zwischen den Parteien ist – zu Recht – unstreitig, dass die angegriffene Aus-führungsform von der technischen Lehre des Klagepatentanspruchs 1 unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch macht.
- 4.Da die angegriffene Ausführungsform mithin ein Erzeugnis darstellt, welches Gegenstand des Klagepatents ist, ohne dass die Beklagte zu einer Nutzung des Klagepatents berechtigt ist (§ 9 S. 2 Nr. 1 PatG), rechtfertigen sich die nach-stehenden Rechtsfolgen.
- a)Die Beklagte ist gemäß Art. 64 Abs. 1 und 3 EPÜ i. V. m. § 139 Abs. 1 PatG verpflichtet, es zu unterlassen, patentverletzende Aerosolbehälter in der Bundes-republik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu ge-brauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen.Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Beklagte die angegriffene Aus-führungsform im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland hergestellt und vertrieben hat. Die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Gefahr, dass sich in Zukunft weitere Rechtsverletzungen wiederholen werden, ergibt sich in Bezug auf alle Be-nutzungsarten des § 9 S. 2 Nr. 1 PatG daraus, dass die Beklagte die patentierte Erfindung in der Vergangenheit benutzt hat. Da sie hierzu nach § 9 PatG nicht berechtigt war, ist sie zur Unterlassung verpflichtet.
- b)Weiterhin hat die Beklagte dem Grunde nach für Benutzungshandlungen seit dem 17.11.2012 Schadensersatz zu leisten, Art. 64 Abs. 1 und 3 EPÜ i. V. m. § 139 Abs. 2 PatG.Die Beklagte beging die Patentverletzung schuldhaft, weil sie als Fachunternehmen die Patentverletzung bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest hätte erkennen können, § 276 BGB.Die Klägerin ist derzeit nicht in der Lage, den konkreten Schaden zu beziffern. Es ist aber nicht unwahrscheinlich, dass der Klägerin als Inhaberin des Klagepatents durch die Patentverletzung ein weiterer Schaden entstanden ist. Das für die Zulässigkeit des Feststellungsantrags gem. § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass ohne eine rechtskräftige Feststellung der Schadensersatzpflicht die Verjährung von Ersatzansprüchen droht.
- c)Der Klägerin steht gegen die Beklagte auch ein Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung zu, Art. 64 Abs. 1 und 3 EPÜ i. V. m. § 140b Abs. 1 PatG, §§ 242, 259 BGB. Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstands unmittelbar aus § 140b Abs. 1 PatG, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 140b Abs. 3 PatG. Die weitergehende Auskunftspflicht und die Verpflichtung zur Rechnungslegung folgen aus §§ 242, 259 BGB, damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch zu beziffern. Die Klägerin ist auf die geltend gemachten Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt. Die Beklagten werden demgegenüber durch die von ihnen verlangte Auskunft nicht unzumutbar belastet.
- d)Schließlich steht der Klägerin gegen die Beklagte ein Anspruch auf Vernichtung patentverletzender Erzeugnisse und auf Rückruf aus den Vertriebswegen gem. Art. 64 Abs. 1 und 3 EPÜ i. V. m. § 140a Abs. 1 und 3 PatG zu, da die Beklagte mit der angegriffenen Ausführungsform die klagepatentgemäße Erfindung im Sinne von § 9 S. 2 Nr. 1 PatG benutzte, ohne dazu berechtigt zu sein. Für die Unverhältnismäßigkeit der Inanspruchnahme bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte und diese wird von der Beklagten auch nicht geltend gemacht.
- 5.Eine Aussetzung der Verhandlung gem. § 148 ZPO bis zur Erledigung des Nichtigkeitsverfahrens ist nicht veranlasst. Denn die für eine Aussetzung erforderliche hinreichende Erfolgswahrscheinlichkeit der Nichtigkeitsklage lässt sich nicht feststellen.
- a)Der Einspruch gegen das Klagepatent oder die Erhebung einer Nichtigkeitsklage als solche stellen noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen, weil dies letztlich zur Folge hätte, dem Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beizumessen, die dem Gesetz fremd ist.Die Interessen der Parteien sind vielmehr gegeneinander abzuwägen, wobei grund-sätzlich dem Interesse des Patentinhabers an der Durchsetzung seines erteilten Patents Vorrang gebührt. Angesichts des Umstandes, dass ein Patent seinem Inhaber nur ein zeitlich begrenztes Monopolrecht verleiht und dass ein wesentlicher Teil dieses Rechts, nämlich der Unterlassungsanspruch gegenüber einem Patent-verletzer, durch eine Aussetzung der Verhandlung des Verletzungsrechtsstreits de facto suspendiert würde, kommt eine Aussetzung wegen eines gegen das Klage-patent anhängigen Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahrens nur dann in Betracht, wenn ein Widerruf oder eine Vernichtung des Klageschutzrechtes nicht nur möglich, sondern mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 16.09.2014, X ZR 61/13, GRUR 2014, 1237, 1238, Rn. 4 – Kurz-nachrichten). Ist dies nicht der Fall, so verdient das Interesse des Patentinhabers an einer alsbaldigen Durchsetzung seiner – zeitlich ohnehin begrenzten – Rechte aus dem Patent den Vorrang vor dem Interesse der Gegenpartei, nicht aus einem Patent verurteilt zu werden, das sich möglicherweise später als nicht rechtsbeständig erweist.Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für einen Widerruf oder eine Vernichtung des Klagepatents wiederum kann regelmäßig dann nicht angenommen werden, wenn der ihm am nächsten kommende Stand der Technik bereits im Erteilungsverfahren berücksichtigt worden ist oder wenn neuer Stand der Technik lediglich belegen soll, dass das Klagepatent nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, sich jedoch auch für eine Bejahung der Erfindungshöhe, die von der wertenden Beurteilung der hierfür zuständigen Instanzen abhängt, zumindest noch vernünftige Argumente finden lassen (vgl. BGH, Beschl. v. 11.11.1986, X ZR 56/85, GRUR 1987, 284 – Transportfahrzeug sowie Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 9. A., 2017, Kap. E Rn. 612).Maßgeblich sind dabei die Rechtsbestandsangriffe, die anlässlich der Verfügung des Vorsitzenden vom 22.04.2016 im hiesigen Verfahren schriftsätzlich behandelt wurden und ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung in das Nichtigkeitsverfahren eingeführt werden.Unter Berücksichtigung der oben genannten Grundsätze besteht keine Veran-lassung zur Aussetzung des vorliegenden Verletzungsrechtsstreits.
- b)Zwischen den Parteien ist nicht umstritten, dass die Erfindung nach dem Klagepatent gem. Art. 54 Abs. 1 EPÜ, § 3 PatG, neu ist und es erscheint auch für die Kammer nicht hinreichend wahrscheinlich, dass die Erfindung nach dem Klagepatent neuheitsschädlich vorweggenommen wurde.
- c)Es ist auch nicht hinreichend wahrscheinlich, dass das Klagepatent für nichtig erklärt wird, weil die Erfindung nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, Art. 56 EPÜ, § 4 PatG.
- aa)Eine Erfindung gilt nach Art. 56 Abs. 1 S. 1 EPÜ, § 4 S. 1 PatG als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in nahe-liegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt.Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichthofs handelt es sich bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit um eine Rechtsfrage, die mittels wertender Würdigung der tatsächlichen Umstände zu beurteilen ist, die unmittelbar oder mittelbar geeignet sind, etwas über die Voraussetzungen für das Auffinden der erfindungsgemäßen Lösung auszusagen (BGH, Beschl. v. 20.12.2011, X ZB 6/10, GRUR 2012, 378, 379 Rn. 16 – Installiereinrichtung II). Maßgeblich ist, ob der Stand der Technik am Prioritätstag dem Fachmann den Gegenstand der Erfindung nahegelegt hat. Dabei kann das Auffinden einer neuen Lehre zum technischen Handeln nicht schon dann als nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend bewertet werden, wenn lediglich keine Hinderungsgründe zutage treten, von im Stand der Technik Bekanntem zum Gegenstand der beanspruchten Lehre zu gelangen (BGH, Urt. v. 08.12.2009, X ZR 65/05, GRUR 2010, 407, 409 Rn. 17 a.E. – einteilige Öse). Diese Wertung setzt vielmehr voraus, dass das Bekannte dem Fachmann Anlass oder Veranlassung gab, zu der vorgeschlagenen Lehre zu gelangen (vgl. BGH, Urt. v. 08.12.2009, X ZR 65/05, GRUR 2010, 407, 409 Rn. 17 a.E. – einteilige Öse). Dabei lässt sich keine allgemeine, vom jeweiligen Streitfall losgelöste Aussage darüber treffen, in welchem Umfang und mit welcher Konkretisierung der Fachmann Anregungen im Stand der Technik benötigt, um eine bekannte Lösung in bestimmter Weise weiterzuentwickeln. Es handelt sich vielmehr um eine Frage des Einzelfalls, deren Beantwortung eine Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Sachverhaltselemente erfordert (BGH, Beschl. v. 20.12.2011, X ZB 6/10, GRUR 2012, 378, 379 Rn. 17 – Installier-einrichtung II).
- bb)Daran gemessen sowie unter Berücksichtigung des Aussetzungsmaßstabs lässt sich nicht feststellen, dass die Nichtigkeitsklage wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit hinreichend wahrscheinlich erfolgreich sein wird.
- (1)Es ist nicht hinreichend wahrscheinlich, dass der Durchschnittsfachmann anhand der Kombination der Schrift G 85 19 968.0 (Anlage D 10) mit der Entgegenhaltung EP 1 428 791 A1 (Anlage D 12) zur erfindungsgemäßen technischen Lehre gelangen würde. Beide Schriften offenbaren nämlich nicht die Merkmale 1.7, 1.11 und 1.12.
- Die Entgegenhaltung D 10 betrifft einen auswaschbaren Diffusor für das Ventil eines Aerosolbehälters. Die Schrift offenbart nicht eindeutig und unmittelbar, dass ein ringförmiges Verbindungselement an einen umlaufenden Flansch eines oberen Bereiches des Behälters gekoppelt ist (Merkmal 1.7). Der Diffusor nach der Schrift D 10 umfasst laut Beschreibung im Wesentlichen ein ringförmiges Sockelteil mit Vorsprüngen (11) und (12) (vgl. hierzu auch Fig. 1 der D 10), mittels derer er auf den Kragen eines Ventils aufgerastet werden kann (D 10, S. 3, Z. 19-22). Der Hauptanspruch der D 10 spricht von einem Diffusor für ein Ventil einer Aerosol-konfektionierung mit einem ringförmigen Sockelteil zur Befestigung an dem Hals eines mit einem Ventil ausgestatteten Aerosolbehälters. Weder aus der Be-schreibung noch aus den Figuren der Schrift D 10 folgt jedoch, dass die Vorsprünge (11) und (12) an einen umlaufenden Flansch angreifen. Zu den Möglichkeiten der Befestigungen äußert sich die Schrift nicht näher. So ergibt sich gerade nicht, dass der Kragen flanschartig ausgebildet ist bzw. sich an dem Hals des Behälters ein Flansch befindet. Die Vorsprünge stellen erst recht keinen Flansch dar und bilden auch keinen solchen.
- Ebenfalls nicht offenbart ist in der Schrift D 10, dass die Länge des Nahrungsmittel-produktaufnahmeraums, gemessen vom stromaufwärts gelegenen Boden des Raumes zu einer stromabwärts gelegenen lateralen Nahrungsmittelproduktauslass-öffnung des Spenderkopfes im Bereich von 2 bis 3 cm liegt (Merkmal 1.11). Dies ergibt sich nicht aus der Schrift selbst. Soweit die Beklagte argumentiert, dass es zum üblichen handwerklichen Können eines Fachmanns gehört, geometrische Maße anzupassen, so dringt sie hiermit nicht durch. Aus normalen, routinemäßigen Versuchen gewonnene Erkenntnisse gehören zum Fachwissen (Benkard/Asendorf/Schmidt, PatG, 11. A., 2015, § 4 Rn. 110). Solche Versuche unternimmt der Fach-mann aber nur, wenn dafür ein konkreter Anlass besteht (Schulte/Moufang, PatG, 9. A., 2014, § 4 Rn. 45). Ein solcher ist nicht ersichtlich und insbesondere nicht, warum der Fachmann sein Augenmerk im Anmeldezeitpunkt genau auf die in Merkmal 1.11 angegebenen Maße gerichtet hätte. Allgemeine Motive, wie Material und Kostenersparnis und eine erleichterte Reinigung, scheiden angesichts des Merkmals 1.12 aus. Zwischen den Maßangaben in Merkmal 1.11. und Merkmal 1.12 besteht eine Wechselwirkung. Dort ist ein bestimmtes Verhältnis der Länge L1 zum maximalen Durchmesser D1 geschützt. Insofern steht der Fachmann vor der Schwierigkeit, dass er die Länge L1 nicht ohne weiteres anpassen kann, sondern zusätzliche Überlegungen anstellen muss. Soweit die Beklagte vorträgt, die Tülle müsse unter einen „normalen“ Deckel passen und die Länge des Nahrungsmittelproduktaufnahmeraums orientiere sich an den Maßstäben üblicher Aerosolbehälter, genügt dies für sich genommen nicht. Es ist nicht ersichtlich, welche genauen Maße ein „normaler“ bzw. „üblicher“ Deckel aufweist. Der Verweis in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung des EPA vom 08.06.2010 (Anlage Ni 4) verfängt in zweifacher Hinsicht nicht: Zum einen führt das EPA – ebenso wenig wie die Beklagte – dazu aus, was im Einzelnen die übliche Dimension eines Sahnespenders darstellt. Zum anderen setzt sich die Entscheidung des EPA gerade nicht mit dem Spender aus der Entgegenhaltung der D 10 auseinander, sondern befasst sich mit dem Spendertyp, der in der GM 75 27 199 (Anlage D 2) gezeigt wird. Schließlich wird auch das beanspruchte Verhältnis zwischen der Länge L1 und des Durchmessers D1 (Merkmal 1.12) in der Schrift D 10 nicht gezeigt.So vermag der Fachmann in der D 10 zwar eine Anregung finden, die Düse so zu konstruieren, dass das zu verteilende Produkt in besonderer Weise gestaltet werden kann, um eine dekorative Wirkung zu erzielen (D 10, S. 2, Z. 30 ff.). Eine Kombina-tion der D 10 mit der Entgegenhaltung der D 12 führt indes nicht dazu, dass alle Merkmale des klagepatentgemäßen Spenders nahegelegt sind.Denn die Entgegenhaltung D 12 offenbart ebenfalls nicht die Merkmale 1.7, 1.11. und 1.12. Die D 12 zeigt einen Siphonkopf, wobei das Kopfstück vorzugsweise am Siphonkörper angebracht ist (D 12, Absatz [0010]). Nicht unmittelbar und eindeutig offenbart ist ein Spenderkopf mit Verbindungselement, das an einem umlaufenden Flansch eines oberen Bereiches des Behälters gekoppelt ist (Merkmal 1.7.). Ferner zeigt die D 12 kein spezifisches Längenverhältnis des Nahrungsmittelprodukt-aufnahmeraums gemäß Merkmal 1.11. Es ist nicht ersichtlich, wo sich der Boden des Nahrungsmittelproduktaufnahmeraums befindet, von dem aus die Länge bestimmt werden soll. Der Boden kann insbesondere nicht den Fig. 3 und 7 entnommen werden, welche ein tulpenförmiges Formgebungsrohr („shaping tube“) als Teil des Kopfstücks zeigen. Der Boden ist weder erkennbar noch näher erläutert, so dass der Anfang des Nahrungsmittelaufnahmeraums nicht bestimmt werden kann. Mangels bestimmter Länge wird jedoch auch das beanspruchte Verhältnis von Länge und maximalem Durchmesser – wobei letzterer in der Tulpenform des Formgebungsrohrs in den Fig. 3 und 7 gesehen werden kann – nicht offenbart (Merkmal 1.12).
- (2)Es ist ferner nicht hinreichend wahrscheinlich, dass der Fachmann durch eine Kombination der Entgegenhaltung AT 1 mit der Entgegenhaltung D 12 zur erfindungsgemäßen technischen Lehre gelangen würde.
- Zwischen den Parteien ist nunmehr unstreitig, dass die Düse nach der Entgegen-haltung AT 1 zum Stand der Technik gehört. Allerdings ist in der Entgegenhaltung ein Flansch nach Merkmal 1.7 des Klagepatents nicht offenbart.Selbst wenn man im Zusammenhang mit Merkmal 1.7 ergänzend auf die Abbildung auf S. 10 der Klageerwiderung zurückgreifen würde, offenbart die Anlage AT 1 jedenfalls unstreitig nicht das Merkmal 1.12, da der Nahrungsmittelaufnahme-bereich des Spenderkopfes nach der AT 1 eine zylindrische Form aufweist, wobei das Verhältnis zwischen der Länge und dem maximalen Durchmesser des Nahrungsmittelproduktaufnahmeraums nicht im Bereich 1:2-2:1 liegt.
- Der Fachmann wird Kenntnisse auf technischen Nachbargebieten heranziehen (vgl. BGH, Urt. v. 30.06.2009, X ZR 107/05, Rn. 41 – Widerstandsschweiß-vorrichtung), wie dem technischen Gebiet der Siphon-Sahne-Spender und Schlag-sahnegeräte. Dies folgt bereits daraus, dass sich auch die Klagepatentschrift in Abs. [0015] mit automatischen Schlagsahnespendermaschinen beschäftigt. Es ist jedoch bereits fraglich, ob der Fachmann einen Anlass hatte, die A 1 mit der Schrift D 12 zu kombinieren, um zum beanspruchten Verhältnis nach Merkmal 1.12 zu gelangen. So hat die Kammer anders als die Rechtbank van Koophandel te Antwerpen (= belgisches Handelsgericht Antwerpen; Urteil vom 15.10.2013, Anlage CMS B 2) Zweifel, dass die intellektuelle Zusammenbringung der Aerosolbehälter mit einer Sprühdüse, wie sie in Siphons genutzt werden, ohne weitere Über-legungen für den Fachmann auf der Hand liegt und es sich dabei um einen normalen Fortgang der Technologie handelt (vgl. Anlage CMS B 2, S. 25). Dagegen sprechen die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung angesprochenen Argumente wie die Verwendung von frischer Sahne und dass die Form der Tülle für die Formung der frischen Sahne in den Siphons irrelevant sei. Zu einer Kombination mit der Schrift D 12 äußert sich die Rechtbank van Koophandel te Antwerpen in ihren Ausführungen zur Erfindungshöhe im Übrigen nicht. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, ist nicht ersichtlich, warum der Fachmann in Ansehung der D 12 zur Erzielung einer verbesserten scharfen Kontur des Nahrungsmittelsprühprodukts auf einen aufgeweiteten Spenderkopf zurückgreifen sollte, der die geometrischen Maße des Merkmals 1.12 aufweist. Auf die Ausführungen unter Ziffer 5 c) bb) (1) wird Bezug genommen.Etwas anderes folgt auch nicht aus den Absätzen [0017] und [0019] der Schrift D 12. In Abs. [0019] werden insbesondere die Vorteile des ballonförmigen Siphonkörpers beschrieben, womit verhindert werden soll, dass Schlagsahne mit einem Fettgehalt von mehr als 30% übermäßig geschlagen wird. Soweit das Formgebungsrohr (21; in Englisch: „shaping tube“) erwähnt wird, so wird lediglich betont, dass dann, wenn die Haube (20) nur die Durchbohrungseinheit (11) bedeckt, das Formgebungsrohr (21) separat sei und auf formschlüssige Weise an das Öffnungsmittel gekoppelt sei. Welche Vorteile die unterschiedliche, etwa eine kugelförmige oder tulpenförmige Ausgestaltung des Formgebungsrohrs haben soll, lehrt die Entgegenhaltung nicht. Es heißt im Gegenteil in Abs. [0017] a.E., dass ein beliebiges der bekannten Formgebungsrohre (21) am Öffnungsmittel angebracht werden könne, ohne dass einzelnen Ausgestaltungen des Formgebungsrohres besondere technische Eigenschaften oder Vorteile beigemessen werden. Insbesondere ergibt sich hieraus nicht, dass ein sich weitender Nahrungsmittel-produktaufnahmeraum für ein besser gesteuertes Ausströmen des Nahrungsmittelproduktes sorgt (Abs. [0013]). Maßangaben werden nicht gemacht. Die Verwendung unterschiedlich ausgestalteter Tüllen ohne bestimmte Maßangaben zeigt dem Fachmann noch nicht, warum er gerade eine Tülle wählen soll, die dem Merkmal 1.12 entspricht.
- Aus den gleichen Gründen ist eine Verneinung der Erfindungshöhe aufgrund der Kombination der AT 2 mit der D 12 nicht hinreichend wahrscheinlich.
- (3)Eine Nichtigerklärung des Klagepatents mangels erfinderischer Tätigkeit ist aufgrund von Kombinationen der AT 1 / AT 2 mit den Schriften US 2005/0193744 A1 (Anlage D 1) bzw. der Schrift D 2 noch weniger wahrscheinlich. Weder in der D 1 noch in der D 2 ist das in Merkmal 1.12 beanspruchte Verhältnis, das in Abhängigkeit zum Merkmal 1.11 steht, offenbart. Bei den Figuren in den Entgegen-haltungen handelt es sich jedenfalls um nicht bemaßte Zeichnungen. Die seitens der Beklagten in Bezug genommenen Ausführungen des EPA (Anlage Ni 4, S. 7) betrafen eine Anspruchsfassung, die Merkmal 1.11 noch nicht beinhaltete, und führen daher zu keiner anderen Beurteilung. Die Rechtbank van Koophandel te Antwerpen, die die Schrift D 1 auf S. 21 ihrer Entscheidung (Anlage CMS B 2) erwähnt, befasst sich mit dieser Entgegenhaltung nicht im Detail. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die Entgegenhaltungen D 1 und D 2 genauso wie die 2 281 287 (Anlage D 3, Veröffentlichung der Anmeldung: 05.03.1976) und US 3,263,744 (Anlage D 4, 02.08.1966) – die von den Parteien im Verletzungsverfahren nicht diskutiert werden – bereits im Erteilungsverfahren berücksichtigt wurden, so dass auch aus diesem Gesichtspunkt eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für die Nichtigerklärung des Klagepatents nicht anzunehmen und auch im Übrigen nicht ersichtlich ist.
- (4)Ein Rückgriff auf die Entgegenhaltungen BE 1 und BE 2 kommt bereits deswegen nicht in Betracht, weil die Beklagte nicht hinreichend dargelegt hat, dass diese Vorbenutzungen offenkundig waren.Nach dem Vortrag der Beklagten ist der Prospekt in Anlage BE 1 im Internet abrufbar. Bei der Anlage BE 2 handelt es sich um Auszüge aus einem Online-Katalog 2004. Das Internet ist in der Regel kein geeigneter Informationsdienst zur Ermittlung des Standes der Technik im Prüfungsverfahren (BPatG, Beschl. v. 17.10.2002, 17 W (pat) 1/02, GRUR 2003, 323, 324 f. – Computernetzwerk-Information). Denn für einen bestimmen Zeitpunkt der Vergangenheit lassen aktuell gefundene Informationen nicht die Feststellung zu, dass sie damals schon im Internet eingestellt waren und dass ihre damalige technische Lehre mit der aktuellen identisch ist (BPatG, Beschl. v. 17.10.2002, 17 W (pat) 1/02, GRUR 2003, 323, 324 f. – Computernetzwerk-Information). So verhält es sich auch mit den Anlagen BE 1 und BE 2, die dem Internet entnommen wurden. Der zusätzliche Verweis der Beklagten auf Metainformationen genügt nicht, um nachzuweisen, dass der Prospekt nach der BE 1 vorbekannt war. Denn diese Information gibt lediglich das Erstelldatum der Datei an, zeigt jedoch nicht den Tag der Veröffentlichung auf. Auf die Drucklegung kommt es bereits deswegen nicht an, weil zu einer solchen gar nicht im Einzelnen vorgetragen wird. Gleiches gilt für die Veröffentlichung der BE 2.
- (5)Die weiteren Entgegenhaltungen sind noch weiter von der geschützten technischen Lehre entfernt, so dass sich eine Auseinandersetzung mit diesen im Einzelnen erübrigt. Sie werden von der Beklagten im Übrigen nicht im Einzelnen gewürdigt.Die Entgegenhaltungen WO 99/15434 (Anlage D5), DE 20 2006 003 701 U1 (An-lage D 8) und US 4,901,891 (Anlage D 9) offenbaren jedenfalls weder Nahrungs-mittelformvorsprünge (Merkmal 1.4) noch die Aufweitung des Nahrungsmittel-produktaufnahmeraums auf einen Maximaldurchmesser (Merkmal 1.5) oder die geometrischen Merkmale aus der Zusammenschau der Merkmale 1.11 und 1.12. Die Entgegenhaltungen EP 0 792 821 A1 (Anlage D 6) und EP 0 780 324 A1 (Anlage D 7) sehen Nahrungsmittelprodukte nicht als Füllmedium vor (vgl. Merkmale 1.8 bis 1.10). Bei der DM/006478-1 (Anlage D 11) handelt es sich lediglich um ein Design, das keine technische Lehre manifestiert. Dies spricht gegen seine Berücksichtigung als maßgeblichen Stand der Technik. Im Übrigen ergeben sich aus den in Anlage D 11 vorgelegten Zeichnungen jedenfalls nicht die geo-metrischen Maße nach den Merkmalen 1.11 und 1.12.
- d)Die Beklagte dringt auch nicht mit ihrem Vortrag zu einem etwaigen treuwidrigen Vorenthalten der Schrift AT 1 gegenüber dem EPA durch. Denn selbst bei Berück-sichtigung dieser Schrift ist eine Nichtigerklärung mangels erfinderischer Tätigkeit nicht hinreichend wahrscheinlich (s.o.).
- 6.Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Beklagten vom 04.09.2016 hat bei der Urteilsfindung keine Berücksichtigung gefunden und gibt keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gem. § 156 ZPO.
- II.Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 709 S. 1, 108 ZPO.
- III.Der Streitwert wird auf 500.000 EUR festgesetzt.