Düsseldorfer Entscheidungsnummer: 2680
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 01. August 2017, Az. 4b O 32/16
1. Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, es zu unterlassen, in Deutschland ein Procyanidine enthaltendes Präparat sinnfällig herzurichten als Arzneimittel zur Behandlung von erektiler Dysfunktion
und / oder
das so hergerichtete Präparat in Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu den oben genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen.
2. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen das Verbot gemäß Ziffer 1 wird der Beklagten zu 1) ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten angedroht, wobei die Ordnungshaft am Geschäftsführer der Beklagten zu 1) zu vollziehen ist.
3. Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, an die Klägerin 12.273,80 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.04.2016 zu zahlen.
4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 1) verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, welcher der Klägerin durch die in Ziffer 1. bezeichneten Handlungen seit dem 17.02.2008 entstanden ist und zukünftig noch entsteht.
5. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 1) verpflichtet ist, der Klägerin für die unter Ziffer 1. bezeichneten Handlungen in der Zeit vom 06.05.2000 bis zum 16.02.2008 eine angemessene Ent-schädigung zu zahlen.
6. Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, der Klägerin, gegliedert nach Kalendervierteljahren, schriftlich in geordneter Form Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die in Ziffer 1. bezeichneten Handlun-gen seit 17.02.2008 begangen hat, und zwar unter Angabe
a) der Herstellungsmengen und -zeiten,
b) der einzelnen Lieferungen (unter Vorlage der Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine), aufgeschlüsselt nach Liefermengen, Lieferzeiten und Lieferpreisen sowie Typenbezeichnungen und den Namen und Anschriften der Abnehmer,
c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, Angebotszeiten und Angebotspreisen und Typenbezeichnungen sowie Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Häufigkeit und Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet und im Fall von Internetwerbung aufge-schlüsselt nach Schaltungszeiträumen, der Domain, unter der die Werbung geschaltet war, sowie den Suchmaschinen und sonstigen Marketing-Tools, unter denen die fraglichen Seiten einzeln oder in einem Gesamtpaket angemeldet waren, einschließlich Metatag-Werbung,
e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Ge-stehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei der Beklagten zu 1) vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht gewerblichen Abnehmer und der Ange-botsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu be-zeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte zu 1) dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter nicht gewerblicher Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist.
7. Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, die sich in ihrem Eigentum oder in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz befindlichen Ausführungsformen gemäß Ziffer 1. zu vernichten oder an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten zu 1) herauszugeben.
8. Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen die Klägerin zu 1/3 und die Beklagte zu 1) zu 2/3. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) trägt diese selbst. Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2) trägt die Klägerin. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.
9. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin gegen Sicher-heitsleistung in Höhe von 670.000 EUR und für den Beklagten zu 2) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu voll-streckenden Betrages.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Verletzung des deutschen Patents DE 198 45 XXX B4 (Anlage K 3, im Folgenden: Klagepatent) auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Vernichtung, Feststellung der Entschädigungspflicht und der Schadensersatzpflicht dem Grunde nach sowie Zahlung vorgerichtlich entstandener Abmahnkosten in Anspruch.
Die Klägerin ist Inhaberin des Klagepatents. Die dem Klagepatent zugrunde liegende Anmeldung wurde am 01.10.1998 eingereicht. Die Offenlegung der Anmeldung erfolgte am 06.04.2000. Am 17.01.2008 wurde der Hinweis auf die Patenterteilung veröffentlicht. Das Klagepatent steht in Kraft.
Die Beklagte erhob am 29.09.2016 Nichtigkeitsklage gegen das Klagepatent (Az. 3 Ni 62/16), über die noch nicht entschieden wurde.
Das Klagepatent betrifft ein procyanidinhaltiges Mittel zur Behandlung von erektiler Dysfunktion.
Der in diesem Rechtsstreit maßgebliche Anspruch 1 des Klagepatents lautet wie folgt:
Anspruch 1:
„Verwendung von Procyanidinen zur Herstellung eines Arzneimittels zur Be-handlung von erektiler Dysfunktion.“
Der in Form eines „insbesondere wenn“-Antrags geltend gemachte Anspruch 3 lautet:
Anspruch 3:
„Verwendung nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass das Arzneimittel als zusätzlichen wirksamen Bestandteil L-Arginin enthält.“
Die in der Bundesrepublik Deutschland ansässige Beklagte zu 1) bietet auf ihrer Website <www.A.com> unter dem Namen „A“ ein potenzförderndes Mittel an (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform). Auf der Website, in der Packungsbeilage bzw. auf der Verpackung der angegriffenen Ausführungsform heißt es zu den Inhaltsstoffen u.a. (siehe Anlagen K 2, K 9 und K 10):
Zu weiteren Angaben auf der Website der Beklagten zu 1) wird auf die Anlagen K 9 und K 11 Bezug genommen. Bezüglich des Inhalts des Beipackzettels und der Ausgestaltung der Verpackung der angegriffenen Ausführungsform wird auf Anlagen K 10 und K 12 verwiesen. Sowohl im Beipackzettel als auch auf der Verpackung wird die angegriffene Ausführungsform zur „diätetischen Behandlung von Erektionsschwäche“ empfohlen.
Die Klägerin mahnte die Beklagte zu 1) mit rechts- und patentanwaltlichem Schreiben vom 06.08.2015 und vom 07.12.2015 fruchtlos ab. Wegen der Einzel-heiten der Schreiben wird auf Anlagen K 5 und K 7 Bezug genommen. Die durch die Abmahnung entstandenen Anwaltskosten macht die Klägerin in Höhe von 12.273,80 EUR ausgehend von einem Gegenstandswert von 1.000.000 EUR geltend.
Die Klägerin sieht im Angebot der angegriffenen Ausführungsform eine unmittelbare wortsinngemäße Verletzung des Klagepatents. Sie ist der Auffassung, die angegriffene Ausführungsform verwirkliche sowohl Anspruch 1 als auch (hilfsweise) Anspruch 1 in Kombination mit Anspruch 3.
Die angegriffene Ausführungsform weise (was von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 04.07.2017 bestritten worden ist) Procyanidine sowie – unstreitig – den Wirkstoff L-Arginin auf. Bei der angegriffenen Ausführungsform handele es sich um ein Arzneimittel im Sinne des Klagepatents. Für die Einordnung sei nämlich allein ausschlaggebend, dass es sich um ein aus bestimmten Stoffen zubereitetes Mittel zur Behandlung erektiler Dysfunktionen handle. Es komme nicht auf ein zulassungsrechtliches Verständnis des Begriffs Arzneimittel an.
Nachdem die Klägerin mit Schriftsatz vom 13.06.2017, eingegangen bei Gericht am gleichen Tag, die Klage gegen den Beklagten zu 2) zurückgenommen hat,
beantragt sie nunmehr,
wie erkannt, wobei zu Ziff. 6 b) die Vorlage von Rechnungen und Liefer-scheinen begehrt worden ist und zu Ziff. 1. folgender „insbesondere wenn“-Antrag gestellt worden ist:
„insbesondere wenn das Arzneimittel als zusätzlichen wirksamen Bestandteil L-Arginin enthält“,
sowie zusätzlich zu Ziff. 1. folgender Hilfsantrag gestellt worden ist:
„Die Beklagte zu 1) zu verurteilen, es zu unterlassen, in Deutschland ein Procyanidine enthaltendes Präparat mit einem zusätzlichen wirksamen Bestandteil L-Arginin sinnfällig herzurichten als Arzneimittel zur Be-handlung von erektiler Dysfunktion
und / oder
das so hergestellte Präparat in Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu den oben genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen.“
Die Beklagte zu 1) beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise, die Verhandlung des Rechtsstreits bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in dem Nichtigkeitsverfahren Az. 3 Ni 62/16 vom 29.09.2016 vor dem Bundespatentgericht gegen das Klagepatent auszusetzen.
Die Klägerin tritt dem Aussetzungsantrag entgegen.
Die Beklagte zu 1) ist der Auffassung, der in den Ansprüchen 1 und 3 verwendete Begriff Arzneimittel sei im Sinne von § 2 Abs. 1 oder Abs. 2 AMG auszulegen. Hierfür spreche, dass die Klägerin im Erteilungsverfahren – ausweislich der Offenlegungsschrift – den Begriff des Arzneimittels anstelle des Begriffs Mittel eingeführt habe. Außerdem werde das geschützte Arzneimittel im Klagepatent in Abgrenzung zu Sildenafil, einem rezeptpflichtigen Arzneimittel nach § 2 AMG, beschrieben. Die angegriffene Ausführungsform stelle aber kein Arzneimittel in diesem Sinne dar, sondern ein diätetisches Lebensmittel im Sinne des § 1 Abs. 4a S. 3 Nr. 2 DiätV. Nach der Verkehrsauffassung stehe klar die ernährungs-physiologische Wirkung der angegriffenen Ausführungsform im Vordergrund und nicht eine pharmakologische.
Im Übrigen sei das Klagepatent nicht schutzfähig, weil die patentgemäße Lehre nach Anspruch 1 und Anspruch 3 – auch in Kombination – nicht neu sei und nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Außerdem sei die Erfindung in der Anmeldung nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne.
Die geltend gemachten vorgerichtlichen Anwaltskosten seien überhöht, weil die Gebühr zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr im gerichtlichen Verfahren anzurechnen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Akten-inhalt sowie die tatsächlichen Ausführungen in den nachfolgenden Entscheidungsgründen verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Klägerin stehen gegen die Beklagte zu 1) Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Vernichtung, Feststellung der Entschädigungspflicht und der Schadensersatzpflicht dem Grunde nach sowie Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten nebst Zinsen gem. §§ 9 S. 2 Nr. 1, 33 Abs. 1, 139 Abs. 1 und 2 S. 1, 140a Abs. 1, 140b PatG, §§ 242, 259, 288 Abs. 1, 291, 683 S. 1, 677, 670 BGB zu.
1.
Die dem Klagepatent zugrunde liegende Erfindung betrifft ein Mittel zur Behandlung von erektiler Dysfunktion.
Die Klagepatentschrift beschreibt die erektile Dysfunktion oder männliche Impotenz als die anhaltende Unfähigkeit des Mannes, eine Erektion zu bekommen und sie lange genug für einen befriedigenden Geschlechtsverkehr zu behalten (Anlage K 3, Abs. [0002]; die nachfolgenden Angaben beziehen sich auf die Klagepatentschrift, soweit nicht anders angegeben).
Aus dem Stand der Technik waren verschiedene Behandlungen vorbekannt, wie Vakuumpumpen, Penisprothesen, Gefäßchirurgie sowie die Anwendung von gefäßerweiternden Medikamenten wie Alprostadil, das in die Schwellkörper (corpus cavernosum) injiziert oder mit einem Applikator in die Harnröhre eingebracht werden kann. Im März 1998 wurde Sildenafil (Viagra) von der amerikanischen Gesundheits-behörde FDA für eine orale Behandlung zugelassen.
Laut Klagepatentschrift beruhe die normale Peniserektion auf einer Serie neural vermittelter Blutflussveränderungen in den Schwellkörpern (Abs. [0004]). Voraussetzung für einen vermehrten Blutfluss sei die Erschlaffung der glatten Muskulatur der Schwellkörper. Die Erschlaffung komme wie folgt zustande: Sexuelle Reize führten dazu, dass in Nerven- und Endothelzellen in den Schwellkörpern das Enzym NO-Synthase (NOS) aktiviert werde. Dieses Enzym katalysiere die Freisetzung von Stickstoffmonoxid (NO) aus seinem Substrat L-Arginin. Das NO wiederum aktiviere die Guanylatzyklase, die zu einer verstärkten Bildung von zyklischem Guanosinmonophosphat (cGMP) führe. Das cGMP bewirke die Erschlaffung glatter Muskelzellen.
Procyanidine sind ausweislich der Klagepatentbeschreibung einheitliche oder gemischte Polymere aus den Monomereinheiten Catechin oder Epicatechin (Abs. [0005]), die u.a. in Pflanzenextrakten vorkommen, wie z.B. in Extrakten der Rinde der Meereskiefer, der Zapfen der Zypresse, von Weintraubenkernen und Weintraubenschalen (Abs. [0006]). Ein bekanntes procyanidinhaltiges Produkt sei Pycnogenol, das ca. 70 bis 80% Procyanidine enthalte und ein komplexes Gemisch aus phenolischen Substanzen sei (Abs. [0006]).
Von einigen procyanidinhaltigen Pflanzenextrakten war bekannt, dass sie eine Endothel-abhängige relaxierende Aktivität (EDR) aufweisen, wie etwa Rotweine, Traubensaft und Traubenschalenextrakte (Abs. [0011]). Außerdem zeigten Unter-suchungen zum Mechanismus der Wirkung der Procyanidine, dass diese die Aktivität der NO-Synthase steigern (Abs. [0011]). Die Klagepatentbeschreibung führt aber aus, dass diese ex vivo Ergebnisse keine Rückschlüsse auf eine Wirkung auf die Gefäße des corpus cavernosum zuließen (Abs. [0011] a.E.).
Aus dem Dokument US 5,720,956 A waren pharmazeutische Zusammensetzungen für die orale Verabreichung vorbekannt, die Pycnogenol enthalten und die zur Beeinflussung der Blutplättchen-Aggregation geeignet sind. Laut Klagepatentschrift enthalte das Dokument jedoch keinerlei Hinweis auf die Wirksamkeit bei erektiler Dysfunktion (Abs. [0007]).
Das Dokument US 4,698,360 A offenbart die Wirkung von Proanthocyanidinen als therapeutisches Mittel mit Radikalfängerwirkung. In der Beschreibung der Klage-patentschrift heißt es aber auch zu diesem Dokument, dass sich darin kein Hinweis auf eine Wirkung bei erektiler Dysfunktion finde (Abs. [0008]).
Aus den Publikationen Fitzpatrick David et al., Vol. 32, No. 4, (1998), S. 509-515, und Blazso G. et al., Pharm. Pharmacol Lett 6 (1996) 1 : 8-11, war bekannt, dass procyanidinhaltige Pflanzenextrakte eine endothelabhängige relaxierende Aktivität aufweisen. Doch auch bezüglich dieser Publikationen hält die Klagepatentschrift fest, dass sich in ihnen kein Hinweis auf die spezielle Wirkung bei der erektilen Dysfunktion finde (Abs. [0009]).
Sildenafil schließlich hemmt, wie der Klagepatentschrift zu entnehmen ist (Abs. [0012]), selektiv die Phosphodiesterase Typ 5 und verhindert den Abbau von cGMP. Es fördert aber nicht die Bildung von cGMP. Daher wirkt es nur, wenn bereits eine für eine Erektion ausreichende Menge cGMP vorhanden ist, beispielsweise bei starker sexueller Erregung.
Es sei daher wünschenswert, ein Mittel zu entwickeln, das in der genannten Re-aktionskette nicht erst am Ende, also bei der Verhinderung des Abbaus von cGMP, eingreife, sondern bereits eine der vorhergehenden Reaktionen positiv beeinflusse (Abs. [0013]).
Vor diesem Hintergrund bezeichnet es die Klagepatentschrift als Aufgabe, ein Mittel zur Behandlung von erektiler Dysfunktion bereitzustellen, das die zur Produktion von cGMP benötigten Substanzen in größerer Menge bereitstelle, sodass nach der neuronalen Aktivierung vermehrt NO gebildet werden könne (Abs. [0014]).
Das Klagepatent lehrt daher die Verwendung von Procyanidinen zur Behandlung von erektiler Dysfunktion. Die Anspruchsmerkmale lassen sich im Einzelnen wie folgt gliedern:
1. Verwendung von Procyanidinen.
2. Die Verwendung erfolgt zur Herstellung eines Arzneimittels.
3. Das Arzneimittel dient zur Behandlung von erektiler Dysfunktion.
Die Klagepatentschrift hebt hervor, dass Pycnogenol aufgrund des Gehalts an Procyanidinen häufig als Vorbeugemaßnahme gegen Arteriosklerose und venöse Insuffizienz verwendet wird (Abs. [0016]). Es sei nicht vorauszusehen gewesen, dass Procyanidine gezielt zur Behebung von erektiler Dysfunktion verwendet werden könnten. Es habe sich überraschenderweise gezeigt, dass diese gerade eine stimulierende Wirkung auf die NO-Synthase, insbesondere in Nerven- und Endothellzellen des corpus cavernosum, hätten (Abs. [0016]).
2.
Im Hinblick auf den zwischen den Parteien bestehenden Streit bedarf Anspruch 1 des Klagepatents der Auslegung bezüglich des Begriffs des Arzneimittels (Merkmale 2 und 3). Nach Ansicht der Kammer ist dieser Begriff nicht im zulassungsrechtlichen Sinne gem. § 2 AMG zu verstehen. Er erfasst vielmehr jedes Mittel, das zur Erreichung eines gesundheitsfördernden Zwecks benutzt wird.
Nach § 14 PatG wird der Schutzbereich eines Patents durch die Patentansprüche bestimmt, wobei die Beschreibung und die Zeichnungen zur Auslegung der Patent-ansprüche heranzuziehen sind. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist bei der Auslegung eines Patents nicht am Wortlaut zu haften, sondern auf den technischen Gesamtzusammenhang abzustellen, den der Inhalt der Patentschrift dem Fachmann vermittelt. Nicht die sprachliche oder logisch-wissenschaftliche Bedeutung der in der Patentschrift verwendeten Begriffe ist entscheidend, sondern das Verständnis des unbefangenen technischen Fachmanns (zu Vorstehendem: OLG Düsseldorf, Urt. v. 07.08.2014, I-2 U 8/14, Rn. 66). Denn Patentschriften stellen im Hinblick auf die dort verwendeten Begriffe gleichsam ihr eigenes Lexikon dar (BGH, Urt. v. 02.03.1999, X ZR 85/96, GRUR 1999, 909, 912 – Spannschraube). Die in einer Patentschrift verwendeten Begriffe können abweichend vom allgemeinen Sprachgebrauch benutzt werden, so dass letztlich nur der sich aus der Patentschrift ergebende Begriffsinhalt maßgeblich ist (BGH, Urt. v. 02.03.1999, X ZR 85/96, GRUR 1999, 909, 912 – Spannschraube). Der sich aus der Patentschrift ergebende Begriffsinhalt erschließt sich dem Fachmann anhand derjenigen technischen Effekte und Wirkungen, die mit der im Patent unter Schutz gestellten technischen Lehre erzielt werden sollen (OLG Düsseldorf, Urt. v. 07.08.2014, I-2 U 8/14, Rn. 66).
Im hiesigen Rechtsstreit ist deswegen nicht auf die Sicht einer mit Zulassungsfragen für Arzneimittel befassten Person abzustellen, sondern auf das Verständnis desjenigen technischen Durchschnittfachmanns, an den sich die Klagepatentschrift mit ihrer Lehre zum technischen Handeln wendet. Dies ist hier ein an einer Hochschule ausgebildeter Chemiker, der über eine mehrjährige Berufserfahrung im Bereich der Entwicklung von Mitteln zur Behandlung erektiler Dysfunktion verfügt. Ein solcher Fachmann ist nicht an Zulassungsfragen interessiert. Bereits deswegen hat er keinen Anlass, den Begriff des Arzneimittels im Zusammenhang mit den technischen Anweisungen des Klagepatents im zulassungsrechtlich-regulatorischen Sinne auszulegen. Für den Fachmann ist vielmehr von Relevanz, dass das Klagepatent eine Verwendung von Procyanidin zur Behandlung von erektiler Dysfunktion schützt. Er versteht unter dem Begriff Arzneimittel ein Präparat, das diesem therapeutischen Zweck dient – unabhängig davon, ob das Mittel letztlich zugelassen wird oder nicht. Tatsächlich wird die Frage der Zulassung des erfindungsgemäßen Mittels in der Klagepatentschrift nicht erörtert. Lediglich im Zusammenhang mit Sildenafil wird an einer einzigen Stelle in der Beschreibung erwähnt, dass Sildenafil von der amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA für eine orale Behandlung im März 1998 zugelassen wurde. Dabei wird die Zulassung an sich nicht weiter thematisiert. Sildenafil wird in der Klagepatentschrift vielmehr zur Abgrenzung von dem nach der technischen Lehre des Klagepatents geschützten Mittel erwähnt. Denn Sildenafil verhindert den Abbau von cGMP und wirkt damit – mit den Worten des Klagepatents – in der Reaktionskette erst am Ende (Abs. [0013]). Demgegenüber soll das patentgemäße Mittel bereits früher eingreifen und die zur Produktion von cGMP benötigten Sub-stanzen in größerer Menge bereitstellen, so dass mehr NO gebildet werden kann (Abs. [0014]). Weiterhin ist kein vernünftiger Grund dafür ersichtlich, Mittel nach dem Klagepatent nur deswegen vom Patentschutz auszuschließen, weil eine arzneimittelrechtliche Zulassung nicht vorliegt. Die Beschreibung beschränkt sich auch nicht auf die Nennung des Begriffs Arzneimittel, sondern spricht durchgehend unspezifisch von einem Mittel.
Ein Rückgriff auf die Offenlegungsschrift kommt nicht in Betracht. Der Inhalt der Ursprungsunterlagen oder der Veröffentlichung der Anmeldung bleibt bei der Auslegung außer Betracht, da diese nicht in § 14 PatG erwähnt werden (vgl. BGH, Urt. v. 12.05.2015, X ZR 43/13, GRUR 2012, 875, 876 Rn. 17 – Rotorelemente). Allenfalls dann, wenn zweifelhaft bleibt, ob sich Patentanspruch und Beschreibung sinnvoll zueinander in Beziehung setzten lassen, darf die „Anspruchsgeschichte“ zur weiteren Klärung der Frage herangezogen werden, ob mit dem Anspruch ein Gegenstand unter Schutz gestellt worden ist, der von dem in der Beschreibung offenbarten abweicht oder hinter diesem zurückbleibt (BGH, Urt. v. 12.05.2015, X ZR 43/13, GRUR 2012, 875, 876 Rn. 17 – Rotorelemente). Hier ist eine widerspruchs-freie Auslegung von Anspruch und Beschreibung möglich, wie oben gezeigt, so dass ein Rückgriff auf die Offenlegungsschrift ausscheidet.
3.
Die angegriffene Ausführungsform macht von der technischen Lehre des Anspruchs 1 unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch.
Für die Frage der Patentbenutzung ist entscheidend, dass Anspruch 1 des Klage-patents ein Verwendungsanspruch ist, der letztlich auf den Einsatz eines be-stimmten Stoffes (Procyanidin) zu einem speziellen Zweck (Behandlung von erektiler Dysfunktion) gerichtet ist und insofern einen zweckgebundenen Stoffschutz repräsentiert. Gegenstand eines solchen nach Schweizer Vorbild erteilten Patentanspruchs wie hier ist der Sache nach dasjenige, was herkömmlicherweise unter der eigentlichen therapeutischen Anwendung vorausgehenden sinnfälligen Herrichtung des Mittels zu dem geschützten Zweck verstanden wird (BGH, Urt. v. 20.03.2001, X ZR 177/98, GRUR 2001, 730 – Trigonellin). Unmittelbar patentbenutzend ist daher auch die Beifügung eines den fraglichen Einsatz empfehlenden Beipackzettels oder ein entsprechender Hinweis auf der Umverpackung des Mittels (OLG Düsseldorf, Urt. v. 07.08.2014, I-2 U 8/14, Rn. 64; vgl. auch Urt. v. 21.11.1989, X ZR 29/88, GRUR 1990, 505 – geschlitzte Abdeckfolie). Voraussetzung ist dabei, dass die in Verkehr zu bringende Sache als solche auf die patentgeschützte Verwendung ausgerichtet wird, und zwar in einer Weise, dass dank dieser Ausrichtung verlässlich zu erwarten ist, dass es im Anschluss an die getroffene Herrichtungsmaßnahme zu der unter Patentschutz stehenden Verwendung der Sache kommt (OLG Düsseldorf, Urt. v. 07.08.2014, I-2 U 8/14, Rn. 64).
Die angegriffene Ausführungsform enthält einen Pinienrindenextrakt sowie auch L-Arginin, wie sich aus den Angaben zu den Inhaltsstoffen auf der Website der Beklagten zu 1) bzw. dem Beipackzettel ergibt (Anlagen K 9 und K 19). Der Pinien-rindenextrakt wird ausweislich der Angaben der Beklagten zu 1) auf ihrer Website aus der Rinde der Pinus pinaster gewonnen (Anlage K 11). Wie dem Klagepatent zu entnehmen ist, kommen Procyanidine gerade in Extrakten der Rinde der Meeres-kiefer Pinus pinaster vor (Abs. [0006]). Außerdem enthält der in der angegriffenen Ausführungsform verwendete Pinienrindenextrakt ausweislich der Angaben auf der Website der Beklagten zu 1) sowie im Beipackzettel Proanthocyanidine (Anlagen K 9 und K 10), eine Untergruppe der Procyanidine. Dies wird von der Beklagten zu 1) nicht bestritten.
Die Verwendung von Procyanidin erfolgt bei der angegriffenen Ausführungsform zur Herstellung eines Arzneimittels. Wie oben ausgeführt, ist der Begriff des Arznei-mittels nicht im zulassungsrechtlichen Sinne zu verstehen. Es genügt jede therapeutische Verwendung des Mittels, hier zur Behandlung von erektiler Dys-funktion.
Mit Hilfe der angegriffenen Ausführungsform erfolgt eine sinnfällige Herrichtung von Procyanidin. Die sinnfällige Herrichtung ergibt sich daraus, dass die angegriffene Ausführungsform, die Procyanidin sowie auch L-Arginin enthält, ausweislich des Beipackzettels und der Verpackung (Anlagen K 10 und K 12) zur diätetischen Behandlung von Erektionsschwäche empfohlen wird. Der Nutzer erkennt aufgrund dieses Hinweises die Zweckbestimmung und wird die angegriffene Ausführungsform entsprechend verwenden.
Ob eine patentgemäße Verwendung verwirklicht wird, richtet sich danach, wie der angesprochene Verkehr den gegebenen Verwendungshinweis versteht (OLG Düsseldorf, Urt. v. 07.08.2014, I-2 U 8/14, Rn. 77). Für den Nutzer ergibt sich auf-grund des im Beipackzettel und auf der Verpackung (Anlagen K 10 und K 12) ent-haltenen Hinweises „zur diätetischen Behandlung von Erektionsschwäche“, dass die angegriffene Ausführungsform zur Behandlung von erektiler Dysfunktion zu verwenden ist. Der Zusatz „diätetisch“ deutet dem Nutzer lediglich einen Ernährungsbezug an und gegebenenfalls auch eine Langzeitwirkung des Präparats. Er hebt nicht, wie die Beklagte zu 1) vorträgt, die ernährungs-physiologische Wirkung der angegriffenen Ausführungsform in den Vordergrund und verdrängt die pharmakologische, denn die Verpackung enthält den Hinweis, dass es sich um ein diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke handele (Anlage K 12), für die der Nutzer die angegriffene Ausführungsform patent-gemäß zur Behandlung von erektiler Dysfunktion verwenden wird.
4.
Da die angegriffene Ausführungsform mithin ein Erzeugnis darstellt, welches Gegenstand des Klagepatents ist, ohne dass die Beklagte zu 1) zu einer Nutzung des Klagepatents berechtigt ist (§ 9 S. 2 Nr. 1 PatG), rechtfertigen sich die nach-stehenden Rechtsfolgen.
a)
Die Beklagte zu 1) ist gemäß § 139 Abs. 1 PatG verpflichtet, es zu unterlassen, patentverletzende Präparate zur Behandlung erektiler Dysfunktion in der Bundes-republik Deutschland sinnfällig herzurichten, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen.
b)
Weiterhin hat die Beklagte zu 1) dem Grunde nach für Benutzungshandlungen seit dem 17.02.2008 Schadensersatz zu leisten, § 139 Abs. 2 PatG.
Die Beklagte zu 1) beging die Patentverletzung schuldhaft, weil sie als Fachunter-nehmen die Patentverletzung bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest hätte erkennen können, § 276 BGB.
Die Klägerin ist derzeit nicht in der Lage, den konkreten Schaden zu beziffern. Es ist aber nicht unwahrscheinlich, dass der Klägerin als Inhaberin des Klagepatents durch die Patentverletzung ein weiterer Schaden entstanden ist. Das für die Zulässigkeit des Feststellungsantrags gem. § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass ohne eine rechtskräftige Feststellung der Schadensersatzpflicht die Verjährung von Ersatzansprüchen droht.
c)
Der Klägerin steht gegen die Beklagte zu 1) gem. § 33 Abs. 1 PatG zudem ein Anspruch auf angemessene Entschädigung im Zeitraum vom 06.05.2000 bis zum 16.02.2008 dem Grunde nach zu. Hinsichtlich des Feststellungsinteresses wird auf die vorstehenden Ausführungen zur Schadensersatzpflicht nach § 139 Abs. 2 PatG verwiesen.
d)
Der Klägerin steht gegen die Beklagte zu 1) auch ein Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung zu, § 140b Abs. 1 PatG, §§ 242, 259 BGB. Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungs-form ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung der patentierten Erfindung unmittelbar aus § 140b Abs. 1 PatG, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 140b Abs. 3 PatG. Die weitergehende Auskunftspflicht und die Verpflichtung zur Re-chnungslegung folgen aus §§ 242, 259 BGB, damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Entschädigungs- und Schadensersatzanspruch zu be-ziffern. Die Klägerin ist auf die geltend gemachten Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt. Die Beklagte zu 1) wird demgegenüber durch die von ihr verlangte Auskunft nicht unzumutbar belastet. Soweit die Klägerin die Vorlage „der Rechnungen und Lieferscheine“ verlangt, legt die Kammer dieses Begehren dahingehend aus, dass Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine verlangt werden.
e)
Weiterhin hat die Klägerin gegen die Beklagte zu 1) einen Anspruch auf Vernichtung patentverletzender Erzeugnisse gem. § 140a Abs. 1 PatG, da die Beklagte zu 1) mit der angegriffenen Ausführungsform die klagepatentgemäße Erfindung im Sinne von § 9 S. 2 Nr. 1 PatG benutzte, ohne dazu berechtigt zu sein. Für die Unverhältnismäßigkeit der Inanspruchnahme bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte und diese wird von der Beklagten zu 1) auch nicht geltend gemacht.
f)
Schließlich stehen der Klägerin gegen die Beklagte zu 1) die geltend gemachten vorgerichtlichen Abmahnkosten in Höhe von 12.273,80 EUR gem. §§ 683 S. 1, 677, 670 BGB nebst Zinsen gem. §§ 288 Abs. 1, 291 BGB zu.
Eine Anrechnung der Verfahrensgebühr kommt, entgegen dem Vortrag der Be-klagten zu 1), nicht in Betracht. Grundsätzlich bestimmt die Vorbemerkung 3 zu Teil 3 des VV RVG, Abs. 4, dass, soweit wegen desselben Gegenstands eine Geschäfts-gebühr nach Teil 2 entsteht, diese Gebühr zur Hälfte, bei Wertgebühren jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet wird. § 15a Abs. 2 RVG bestimmt, dass sich ein Dritter auf die Anrechnung nur berufen kann, soweit er den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat, wegen eines dieser Ansprüche gegen ihn ein Voll-streckungstitel besteht oder beide Gebühren in demselben Verfahren gegen ihn geltend gemacht werden. Dritter ist dabei eine nicht am Mandatsverhältnis beteiligte Person, also auch der Gegner in einem Rechtsstreit (Mayer/Kroiß, RVG, 6. A., 2013, § 15a Rn. 10). Keiner der in § 15a Abs. 2 genannten Fälle ist hier ersichtlich: weder hat die Beklagte zu 1) vorgerichtlich Zahlungen erbracht noch besteht ein Voll-streckungstitel gegen sie. Es werden auch nicht beide Gebühren gegen sie geltend gemacht.
II.
Eine Aussetzung der Verhandlung gem. § 148 ZPO bis zur Erledigung des Nichtigkeitsverfahrens ist nicht veranlasst. Denn die für eine Aussetzung erfor-derliche hinreichende Erfolgswahrscheinlichkeit der Nichtigkeitsklage lässt sich nicht feststellen (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 16.09.2014, X ZR 61/13, GRUR 2014, 1237, 1238, Rn. 4 – Kurznachrichten).
1.
Es erscheint nicht hinreichend wahrscheinlich, dass die Erfindung nach dem Klagepatent neuheitsschädlich vorweggenommen ist, § 3 PatG.
a)
Hierbei ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Patentfähigkeit von zum Stand der Technik gehörenden Stoffen oder Stoffgemischen zur spezifischen Anwendung in einem der in § 2a Abs. 1 Nr. 2 PatG genannten Verfahren nicht nach § 3 Abs. 1 und 2 PatG ausgeschlossen ist, wenn diese Anwendung nicht zum Stand der Technik gehört, § 3 Abs. 4 PatG. Die spezifische Anwendung muss nicht notwendigerweise die Behandlung einer anderen Krankheit als im Stand der Technik betreffen, sondern kann allein in einer neuen Form der Applikation oder Dosierung bestehen oder nur die Behandlung einer neuen Patientengruppe offenbaren (Schulte/Moufang, PatG, 9. A., 2014, § 3 Rn. 145 a.E.).
Die Erkenntnis, dass die Verabreichung eines Wirkstoffs einem mit einer Krankheit verbundenen pathologischen Zustand entgegenwirkt, kann aber eine neue Lehre zum technischen Handeln nicht begründen, wenn der Stoff in der Vergangenheit an dieser Krankheit leidenden Patienten zur Behandlung, etwa zur Linderung von Krankheitssymptomen, verabreicht wurde (BGH, Urt. v. 09.06.2011, X ZR 68/08, GRUR 2011, 999, 1002, Rn. 37 ff. – Memantin; Benkard/Mellulis, PatG, 11. A., 2015, § 3 Rn. 384).
Wurde hingegen der Stoff an diesem Leiden Erkrankten aus anderen Gründen ver-abreicht und führte zu einer Besserung der Leiden, dann ist Neuheitsschädlichkeit nur dann zu bejahen, wenn diese Besserung von der Fachwelt auf die Gabe des in Rede stehenden Wirkstoffs zurückgeführt wurde (Benkard/Mellulis, PatG, 11. A., 2015, § 3 Rn. 384). Neuheit entfällt folglich nur dann, wenn der Stoff schon gezielt zur Behandlung dieser Erkrankung oder ihrer Symptome eingesetzt wurde bzw. ihre Eignung für diesen Zweck erkannt wurde (Benkard/Mellulis, PatG, 11. A., 2015, § 3 Rn. 384). Fehlt es an dieser Erkenntnis, ist eine medizinische Indikation bei bekannten Wirkstoffen neu, auch wenn diese Wirkung infolge der Verabreichung bei anderen Erkrankungen in der Vergangenheit eingetreten ist, ohne erkannt zu werden (Benkard/Mellulis, PatG, 11. A., 2015, § 3 Rn. 384).
Nach Ansicht der Kammer ist die Neuheit vor diesem Hintergrund auch dann zu bejahen, wenn der vorbekannte Stoff bereits zusammen mit weiteren Stoffen zur therapeutischen Behandlung einer bestimmten Krankheit verabreicht wurde, jedoch nicht gezielt zur Behandlung dieser Krankheit eingesetzt wurde bzw. die Eignung gerade dieses Stoffs für die konkrete Behandlung nicht erkannt wurde. Denn auch in einem solchen Fall fehlt es an der Erkenntnis, dass sich gerade dieser Stoff zur Behandlung eignet. Der Behandlungserfolg wird nicht auf diesen Stoff zurückgeführt.
b)
Nach dem Vorstehenden ist die Vernichtung des Klagepatents wegen mangelnder Neuheit wegen der Entgegenhaltung WO 89/06966 (Anlage NK 4 zur Anlage BK 2) nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten.
Gegenstand der Erfindung nach dieser Schrift ist ein Verfahren zur Herstellung eines die sexuelle Potenz und Bereitschaft erhöhenden Kräutertees und / oder heil-kräftigen Getränks (Anlage NK 4 zur Anlage BK 2, S. 2). Der Verzehr des Kräuter-tees soll einen sedativen-beruhigenden Effekt ausüben und gleichzeitig die Störun-gen des Sexuallebens vermindern (Anlage NK 4 zur Anlage BK 2, S. 2). Die spezifische Verwendung von Procyanidin zur Behandlung von erektiler Dysfunktion wird in der Schrift jedoch nicht gelehrt. Procyanidin wird in der Schrift lediglich als Bestandteil von Hagedorn erwähnt, ohne dass ihm eine bestimmte Wirkung beigemessen wird (Anlage NK 4 zur Anlage BK 2, S. 3 unten). Zudem heißt es nur allgemein in Bezug auf Hagedorn, dieser habe einen sedativen-beruhigenden, positiv inotropen, koronargefäßerweiternden Effekt, er erniedrige den Blutdruck und, als kardiologisches Agent, verbessere den Koronardurchfluss des Herzens (Anlage NK 4 zur Anlage BK 2, S. 4).
c)
Die Entgegenhaltung US 5,730,987 (Anlage NK 6 zur Anlage BK 2, auszugsweise in deutscher Übersetzung als Anlage NK 6A vorgelegt) nimmt die technische Lehre des Klagepatents ebenfalls nicht neuheitsschädlich vorweg. Aufgabe der Erfindung nach der Schrift ist es, ein Mittel zur Behandlung von Impotenz bereitzustellen. Als Hauptbestandteil des Mittels wird Fischrogen offenbart, der mit einem Trocken-pulverextrakt aus Ginkgo biloba-Blättern vermischt wird (Anlage NK 6 zur Anlage BK 2, Sp. 4, Z. 30 ff.). Die Schrift beschreibt die Wirkung von Ginkgo biloba bei der Behandlung von Impotenz (Anlage NK 6 zur Anlage BK 2, Sp. 5 Z. 7 ff., 15, 26 ff.). Sie misst aber dem Bestandteil Procyanidin, der nach der nachveröffentlichten Schrift von van Beek und Montoro (Anlage NK 7 zur Anlage BK 2, auszugsweise in deutscher Übersetzung als Anlage NK 7A vorgelegt) zu 4-12% in Ginkgoblättern vorkommt (S. 2018 und Anlage NK 7A), keine Bedeutung zu. Daher ist nicht ersichtlich, dass der Fachmann anhand der Entgegenhaltung US 5,730,987 gerade Procyanidin als Bestandteil von Ginkgo biloba als das Mittel zur Behandlung von Impotenz identifizieren würde.
d)
Der Beitrag von Sohn und Sikora (Anlage NK 8 zur Anlage BK 2) wurde nicht – auch nicht auszugsweise – in deutscher Übersetzung zur Gerichtsakte gereicht, so dass sich eine Auseinandersetzung mit diesem erübrigt. Darüber hinaus wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
e)
Die weiteren Entgegenhaltungen werden von den Parteien im Zusammenhang mit der Neuheit nicht schriftsätzlich diskutiert, so dass sich eine Auseinandersetzung mit diesen ebenfalls erübrigt.
2.
Die Erfindung nach dem Klagepatent beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit, § 4 PatG. Die hinreichende Erfolgswahrscheinlichkeit der Nichtigkeitsklage lässt sich auch insoweit nicht feststellen.
Nach § 4 S. 1 PatG gilt eine Erfindung als auf einer erfinderischen Tätigkeit be-ruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Der Fachmann muss durch seine Kenntnisse und Fähig-keiten in der Lage gewesen sein, die erfindungsgemäße Lösung des technischen Problems aus dem Vorhandenen zu entwickeln. Es reicht hingegen nicht aus, wenn lediglich keine Hinderungsgründe zutage treten, von im Stand der Technik Bekanntem zum Gegenstand der beanspruchten Lehre zu gelangen. Diese Wertung setzt vielmehr voraus, dass das Bekannte dem Fachmann Anlass oder Veranlassung gab, zu der vorgeschlagenen Lehre zu gelangen (vgl. BGH, Urt. v. 08.12.2009, X ZR 65/05, GRUR 2010, 407, 409 Rn. 17 a.E. – einteilige Öse).
Die Beklagte zu 1) ist der Auffassung, aus Abs. [0011] der Patentschrift ergebe sich, es sei im Stand der Technik bekannt gewesen, dass Procyanidine ex vivo die Aktivität der NO-Synthase steigern. Es sei daher aufgrund der Kenntnisse über die neurochemischen Zusammenhänge der penilen Erektion naheliegend gewesen, Procyanidin zur Behandlung einer erektilen Dysfunktion einzusetzen. Hierbei beruft sie sich auf die vorbekannten Schriften laut Anlagen NK 9, NK 10 und NK 11 zur Anlage BK 2 (auszugsweise in deutscher Übersetzung vorgelegt als Anlagen NK 9A, NK 10A und NK 11A), die insbesondere die Bedeutung von NO im Zusammenhang mit der penilen Erektion hervorheben.
Damit trägt die Beklagte zu 1) jedoch lediglich das vor, was bereits Gegenstand des Erteilungsverfahrens war, nämlich die in Abs. [0011] genannte Schrift sowie die neurochemischen Zusammenhänge einer penilen Reaktion, wie sie im Einzelnen in Abs. [0004] der Klagepatentschrift beschrieben sind.
Die Beklagte zu 1) zeigt darüber hinaus nicht auf, welchen Anlass der Fachmann gehabt haben soll, den bekannten Stand der Technik zu kombinieren, also den Einsatz von Procyanidinen zur Beseitigung einer Inhibition der NOS-Aktivität oder anders gewendet zur Aktivierung von NOS in Nerven- und Endothellzellen des corpus cavernosum heranzuziehen. Die Erkenntnis, dass Procyanidine die Aktivität von NOS steigern und dass sich die Hemmung von NOS durch bekannte Inhibitoren mit Pycnogenol aufheben ließ, beruhte gerade nur auf ex vivo Ergebnissen.
3.
Die Erfindung ist schließlich so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann, § 34 Abs. 4 PatG.
Eine Erfindung ist ausführbar, wenn ein Fachmann anhand der Angaben unter Einsatz seines Fachwissens in der Lage ist, die offenbarte technische Lehre praktisch zu verwirklichen, wobei die Erfindung nicht buchstabengetreu realisierbar sei muss, sondern es ausreicht, dass der Fachmann anhand der Offenbarung das erfindungsgemäße Ziel in praktisch ausreichendem Maße erreichen kann (vgl. Schulte/Moufang, PatG, 9. A., 2014, § 34 Rn. 338, 349 f.).
Die ausreichende Offenbarung einer Verwendung setzt voraus, dass die neue Wirkung, Funktion oder der neue Zweck oder Effekt, den die Verwendungserfindung lehrt, ursprünglich aufgezeigt worden ist. Denn sie begründet und begrenzt den Patentschutz (Schulte/Moufang, PatG, 9. A., 2014, § 34 Rn. 410 m. w. N.).
Nach der Rechtsprechung des Bundespatentgerichts könne sich die Frage der Spekulation stellen, wenn die behauptete therapeutische Wirkung des Stoffs in den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen durch keinerlei experimentelle Daten glaubhaft gemacht sei (BPatG, Urt. v. 11.11.2008, 3 Ni 37/07 (EU), GRUR 2010, 50, 53 – Cetirizin). Fraglich sei danach, ob die Eignung eines Stoffes für den beanspruchten therapeutischen Einsatzzeck, die den Gegenstand des Ver-wendungsanspruchs bilde, in den ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen so deutlich und vollständig offenbart sei, dass der Fachmann sie nicht bloß als Spekulation auffasse (BPatG, Urt. v. 11.11.2008, 3 Ni 37/07 (EU), GRUR 2010, 50, 53 – Cetirizin).
Im hiesigen Rechtsstreit ist zunächst zu berücksichtigen, dass laut Beklagtenvortrag die Frage der Ausführbarkeit bereits Gegenstand des Erteilungsverfahrens war (Schriftsatz vom 02.11.2016, S. 8), das Klagepatent aber dennoch erteilt wurde. Darüber hinaus gibt die Klagepatentschrift dem Fachmann genügend Anhalts-punkte, um die Erfindung nacharbeiten zu können. Hierbei kann er sich insbesondere an den bevorzugten Ausführungsbeispielen orientieren, etwa den Angaben in Abs. [0017]. Es ist außerdem nicht ersichtlich, warum der Fachmann die Eignung von Procyanidin für den beanspruchten therapeutischen Einsatzzeck der Behandlung erektiler Dysfunktion als reine Spekulation auffassen könnte. Laut Klagepatentschrift wurden Vergleichsstudien gemacht. Die neurochemischen Zusammenhänge sprechen für eine Wirkung von Procyanidin, und Untersuchungen, die zu anderen Ergebnissen führen könnten, hat die Beklagte zu 1) nicht vorgelegt.
III.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus §§ 92 Abs. 1 S. 1, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO. Im Hinblick auf die bezüglich des Beklagten zu 2) erklärte teilweise Klagerücknahme waren die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin nach § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO aufzuerlegen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.
IV.
Der Streitwert wird wie folgt festgesetzt:
Bis 13.06.2017: 1.000.000 EUR,
danach: 670.000 EUR.