Düsseldorfer Entscheidungsnummer: 2676
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 18. Juli 2017, Az. 4a O 90/16
In der Zivilsache
für Recht erkannt:
I. Die Beklagte wird verurteilt,
1. es bei Meldung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder eine Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an ihrem Geschäftsführer zu vollziehen ist, zu unterlassen,
Horizontal-Spannvorrichtungen für eine Seitenplane eines Nutzfahrzeugaufbaus, mit einem Vertikalrohr, an dem ein Befestigungsabschnitt einer Seitenplane auf- und abwickelbar befestigbar ist, und mit einem Spannwellenantrieb zum Drehen des Vertikalrohrs um seine Vertikalachse, wobei der Spannwellenantrieb als Abtrieb eine vom Spannwellenantrieb angetriebene Spannwelle umfasst und die Spannwelle des Spannwellenantriebs und das Vertikalrohr mittels einer ein gerundetes Gehäuse aufweisenden und lösbar mit der Spannwelle verbundenen, aus Metall bestehenden Verbindungsmuffe drehfest miteinander verkoppelt sind,
in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in den Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
bei denen mit dem Gehäuse der Verbindungsmuffe ein Griff zugfest, jedoch verdrehbar verbunden ist;
– DE 10 2006 044 XXX B4, Anspruch 1 –
2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 22. April 2010 begangen hat, und zwar unter Angabe,
a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege, nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine, in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
3. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die unter Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 27.04.2008 begangen hat, und zwar unter Angabe
a) der Herstellungsmengen und -zeiten der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten,
-preisen und Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,
b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei:
– die Angaben zu Ziff. I.3.d) erst für Handlungen ab dem 22.05.2010 zu machen sind;
– der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
4. die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder in ihrem Eigentum befindlichen unter I.1. bezeichneten Erzeugnisse an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben, wobei der Beklagten auch die Selbstvornahme der Vernichtung vorbehalten bleibt;
5. die unter I.1. bezeichneten seit dem 22.04.2010 in den Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich (Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 18.07.2017, Az. 4a O 90/16) festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die erfolgreich zurückgerufenen Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen.
II. Es wird festgestellt,
1. dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin für die zu Ziffer I.1. bezeichneten in der Zeit vom 27.04.2008 bis zum 21.05.2010 begangene Handlung eine angemessene Entschädigung zu zahlen;
2. dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die zu Ziffer I.1. bezeichneten seit dem 22.05.2010 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
III. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 500.000,00.
T a t b e s t a n d
Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen behaupteter Patentverletzung auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Vernichtung und Rückruf patentverletzender Vorrichtungen sowie auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, Schadensersatz zu leisten und eine angemessene Entschädigung zu zahlen, in Anspruch.
Die Klägerin ist die im Register des Deutschen Patent- und Markenamts (vgl. den Anlage K2 vorgelegten Auszug) eingetragene Inhaberin des Deutschen Patents DE 10 006 044 XXX B4 mit dem Titel „Horizontal-Seitenspannvorrichtung für eine Seitenplane eines Nutzfahrzeugaufbaus“ (nachfolgend: Klagepatent; vorgelegt in Anlage K1). Das Klagepatent wurde am 15.09.2006 angemeldet und die Anmeldung am 27.03.2008 offengelegt. Die Offenlegungsschrift ist als Anlage B2-KBS4 zur Akte gereicht worden. Das Klagepatent wurde erteilt und die Erteilung am 22.04.2010 veröffentlicht.
Das Klagepatent steht in Kraft. Die Beklagte hat gegen das Klagepatent unter dem 22.11.2016 Nichtigkeitsklage vor dem Bundespatentgericht erhoben (Az.: 4 Ni 38/17), über die noch nicht entschieden wurde. Für den Inhalt der Nichtigkeitsklage (Anlage B2) und der weiteren Schriftsätze im Nichtigkeitsverfahren wird auf die Anlagen Bezug genommen.
Der geltend gemachte Anspruch 1 des Klagepatents lautet:
„Horizontal-Seitenspannvorrichtung (100) für eine Seitenplane eines Nutzfahrzeugaufbaus, mit einem Vertikalrohr (1), an dem ein Befestigungsabschnitt einer Seitenplane auf- und abwickelbar befestigbar ist, und mit einem Spannwellenantrieb (2) zum Drehen des Vertikalrohrs (1) um seine Vertikalachse, wobei der Spannwellenantrieb (2) als Abtrieb eine vom Spannwellenantrieb (2) angetriebene Spannwelle (3) umfasst und die Spannwelle (3) des Spannwellenantriebs (2) und das Vertikalrohr (1) mittels einer ein gerundetes Gehäuse aufweisenden und lösbar mit der Spannwelle (3) verbundenen, aus Metall bestehenden Verbindungsmuffe (5) drehfest miteinander verkoppelt sind,
dadurch gekennzeichnet, dass mit dem Gehäuse (15) der Verbindungsmuffe (5) ein Griff (6) zugfest, jedoch verdrehbar verbunden ist.“
Zur Veranschaulichung werden nachfolgend die Fig. 1 und 3 des Klagepatents verkleinert eingeblendet, die nach der Patentbeschreibung (dort Abs. [0014] bzw. [0016]) den unteren Teil einer Horizontal-Seitenspannvorrichtung für die Seitenplane eines Nutzfahrzeugs (Fig. 1) sowie ein Detail des zum Spannen dienenden Vertikalrohrs mit eingesteckter Verbindungsmuffe (Fig. 3) gemäß der geschützten Lehre zeigen:
Die Beklagte stellt her und vertreibt in der Bundesrepublik Deutschland Horizontal-Seitenspannvorrichtungen für Seitenplanen für Nutzfahrzeugaufbauten (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform). Ein Bild einer angegriffenen Ausführungsform ist in Anlage K7 zur Akte gereicht worden. Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht die Merkmale des geltend gemachten Patentanspruchs wortsinngemäß.
Die Klägerin trägt vor, das Klagepatent werde sich im Nichtigkeitsverfahren als rechtsbeständig erweisen, so dass eine Aussetzung des Verfahrens nicht angezeigt sei.
Soweit der erteilte Anspruch 1 keine Abnehmbarkeit der Verbindungsmuffe verlange, liege keine unzulässige Erweiterung vor. Es handele sich hierbei auch nach der Anmeldung nicht um ein wesentliches Merkmal der Erfindung. Allein die zugfeste, aber verdrehbare Anordnung des Griffes am gerundeten Gehäuse der Verbindungsmuffe löse die Aufgabe, ein Anheben und Trennen des Vertikalrohrs vom Spannwellenantrieb mit großer Kraft zu ermöglichen. Der Prüfer im Erteilungsverfahren habe selbst darauf hingewiesen, dass es auf die Abnehmbarkeit für die Lösung des technischen Problems nicht ankomme.
Das Klagepatent sei auch neu und erfinderisch gegenüber der ES 1 062 039 (vorgelegt in Anlage B2-KBS10 und in Übersetzung als Anlage B2-KBS10a; nachfolgend: ES‘039). Es fehle in dieser Entgegenhaltung an der Offenbarung eines Griffes, der mit dem Gehäuse der Verbindungsmuffe zugfest, jedoch verdrehbar verbunden ist. Eine Verdrehbarkeit des Griffes lasse sich der Entgegenhaltung nicht entnehmen. Die patentierte Lehre sei auch erfinderisch. Um bei der ES‘039 einen drehbaren Griff vorzusehen, müsste der Fachmann das dort vorgesehene Gesamtkonzept der drehfesten Anbindung des Griffs an die Stange aufgeben.
Die Klägerin beantragt,
– wie zuerkannt -.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen;
hilfsweise:
den vorliegenden Rechtsstreit bis zur erstinstanzlichen Entscheidung des Bundepatentgerichts im Nichtigkeitsverfahren 4 Ni 38/17 auszusetzen.
Die Beklagte meint, das Klagepatent sei nicht rechtsbeständig, so dass das Verfahren zumindest auszusetzen sei.
Das Klagepatent sei unzulässig erweitert. Im erteilten Anspruch 1 ist – unstreitig –offengelassen, ob die Verbindung zwischen Verbindungsmuffe und Vertikalrohr lösbar ist. Insofern liege gegenüber der ursprünglichen Anmeldung des Klagepatents eine unzulässige Erweiterung vor. Die Anmeldung sei nur auf eine abnehmbare Verbindungsmuffe gerichtet, d.h. auf eine Muffe, die von beiden Seiten aus lösbar ist. Nach der Anmeldung des Klagepatents sei die Abnehmbarkeit der Muffe ein zentrales und unverzichtbares Merkmal der Erfindung. Diese Abnehmbarkeit diene nach der Anmeldung auch der Nachrüstbarkeit der Verbindungsmuffe, wenn diese beschädigt ist. Der Anmeldung könne nicht entnommen werden, dass auch Ausführungsformen unter Schutz gestellt werden sollten, bei der die Verbindungsmuffe unlösbar mit dem Vertikalrohr verbunden ist. Wäre der Anspruch auf eine abnehmbare Muffe beschränkt, läge keine Patentverletzung vor, da – unstreitig – bei der angegriffenen Ausführungsform die Verbindungsmuffe nicht zerstörungsfrei vom Vertikalrohr getrennt werden kann.
Weiterhin werde Anspruch 1 durch die Entgegenhaltung ES 1 062 039 (ES‘039) neuheitsschädlich vorweggenommen. Die ES‘039 zeige auch einen Griff, der mit dem Gehäuse der Verbindungsmuffe zugfest, jedoch verdrehbar verbunden ist. Die Verdrehbarkeit ergebe sich schon aus der Zusammenschau der Fig. 1 und 2 der ES‘039. Sie werde vom Fachmann auch mitgelesen, da bei einer Drehung der Stange der Griff sonst nicht mehr bedienbar sei. Die Zugfestigkeit werde durch die in den Figuren linke Hülse 4 erreicht. Jedenfalls sei Anspruch 1 für den Fachmann ausgehend von der ES‘039 nahegelegt.
Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf die ausgetauschten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 04.07.2017 (Bl. 92 f. GA) Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet. Die angegriffene Ausführungsform verletzt Anspruch 1 des Klagepatents wortsinngemäß (hierzu unter I.), so dass die Klägerin gegen die Beklagte die geltend gemachten Ansprüche aus §§ 33 Abs. 1, 139 Abs. 1, Abs. 2, 140a Abs. 1, Abs. 3, 140b PatG, §§ 242, 259 BGB hat (hierzu unter II.). Im Rahmen des der Kammer zustehenden Ermessens wird das Verfahren nicht im Hinblick auf das anhängige Nichtigkeitsverfahren ausgesetzt (hierzu unter III.).
I.
Die angegriffene Ausführungsform macht von der Lehre von Anspruch 1 des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch.
1.
Das Klagepatent (nachfolgend nach Abs. zitiert, ohne das Klagepatent dabei stets explizit zu nennen) betrifft eine Horizontal-Seitenspannvorrichtung für eine Seitenplane eines Nutzfahrzeugaufbaus.
In der einleitenden Beschreibung führt das Klagepatent aus, dass eine Horizontal-Seitenspannvorrichtung nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1 beispielsweise aus DE 298 08 736 U1 bekannt ist. In dieser Schrift wird das Prinzip einer Horizontal-Seitenspannvorrichtung unter Verwendung eines bestimmten Spannwellenantriebs beschrieben. Die zur Seitenspannvorrichtung gehörende Spannwelle hat ein freies Ende mit einer quadratisch-prismatischen Kontur.
Eine andere Spannvorrichtung der eingangs angegebenen Art ist in der DE 196 04 285 A1 (Anlage K3) beschrieben (Abs. [0003]). Diese bekannte Spannvorrichtung umfasst eine als Vertikalrohr dienende, um ihre Längsachse drehbar gelagerte Wickelstange, die an ihrem unteren Ende über ein muffenartiges Kupplungsstück lösbar und drehfest mit der Spannwelle eines Spannantriebes verkoppelt ist.
Bei einer vergleichbar aufgebauten, aus der GB 1 542 812 A (vorgelegt in Anlage B4) bekannten Spanneinrichtung ist das Vertikalrohr über eine Muffe mit der Spannwelle des Spannantriebs verbunden (Abs. [0004]). Die Muffe ist dabei einstückig mit der Spannwelle des Spannantriebs ausgebildet und greift über einen Zapfen formschlüssig in eine korrespondierend geformte Ausnehmung des Vertikalrohrs.
Auch aus der GB 2 258 805 A ist schließlich eine Seitenspannvorrichtung bekannt, bei der über ein verdrehbar gelagertes, mittels eines Spannantriebes angetriebenes Vertikalrohr die Seitenplane eines Nutzfahrzeugs gespannt werden kann. Das Vertikalrohr ist dabei wiederum lösbar und drehfest mit einer als Abtrieb dienenden, in eine korrespondierende, am zugeordneten Ende des Vertikalrohres ausgebildete Öffnung greifenden Spannwelle des Spannantriebs verkoppelt (Abs. [0005]).
Das Klagepatent führt aus, dass in Fällen, in denen das Dach des Nutzfahrzeugaufbaus angehoben werden soll, auch die gesamte Seitenplane nach oben gehoben werden muss (Abs. [0006]). Dabei muss das Vertikalrohr, an dem die Seitenplane hängt, unterstützt werden. Auch ist es in diesen und anderen Fällen erforderlich, das Standrohr seinem unteren Drehlager zu entnehmen, beispielsweise um es zu reinigen oder Verklemmungen zu lösen. Hierzu muss das in der Regel sehr eng gelagerte Vertikalrohr ergriffen und angehoben werden, wozu die Kraft der menschlichen Hand oft nicht ausreicht. Daher werden Zangen oder ähnliche Werkzeuge verwendet, wodurch es aber zu Beschädigungen des Vertikalrohres kommen kann.
Vor diesem Hintergrund bezeichnet es das Klagepatent in Abs. [0007] als seine Aufgabe, „eine Horizontal-Seitenspannvorrichtung der eingangs angegebenen Art dahingehend zu verbessern, dass das Ausheben des Vertikalrohrs erleichtert wird und trotzdem eine sichere drehfeste Verbindung im Kupplungsbereich gewahrt bleibt, wenn das Vertikalrohr mit dem Spannwellenantrieb gekoppelt ist“.
2.
Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent eine Horizontal-Seitenspannvorrichtung nach Maßgabe von dessen Anspruch 1 vor, der sich in Form einer Merkmalsgliederung wie folgt darstellen lässt:
1 Horizontal-Seitenspannvorrichtung (100) für eine Seitenplane eines Nutzfahrzeugaufbaus;
2 mit einem Vertikalrohr (1), an dem ein Befestigungsabschnitt einer Seitenplane auf- und abwickelbar befestigbar ist,
3 und mit einem Spannwellenantrieb (2) zum Drehen des Vertikalrohrs (1) um seine Vertikalachse.
4 Der Spannwellenantrieb (2) umfasst als Abtrieb eine vom Spannwellenantrieb (2) angetriebene Spannwelle (3).
5 Die Spannwelle (3) des Spannwellenantriebs (2) und das Vertikalrohr (1) sind mittels Verbindungsmuffe (5) drehfest miteinander verkoppelt.
6 Die Verbindungsmuffe (5) weist ein gerundetes Gehäuse auf und ist lösbar mit der Spannwelle (3) verbunden und besteht aus Metall.
7 Mit dem Gehäuse (15) der Verbindungsmuffe (5) ist ein Griff (6) zugfest, jedoch verdrehbar verbunden.
3.
Das Klagepatent schlägt damit insbesondere einen bestimmten Griff an einer Verbindungsmuffe vor, welche die Spannwelle des Spannwellenantriebs und das Vertikalrohr drehfest verkuppelt (Merkmal 5). Im ungelösten Zustand überträgt die Verbindungsmuffe das Drehmoment des Spannwellenantriebs auf das Vertikalrohr, wodurch sich das Vertikalrohr zum Auf- und Abwickeln der Seitenplane um seine Vertikalachse drehen lässt (Merkmale 2 – 4).
Die Verbindungsmuffe kann mittels des Griffs anspruchsgemäß aber auch dazu verwendet werden, dass Vertikalrohr anzuheben. Das Gehäuse der Verbindungsmuffe weist dazu einen zugfesten (aber verdrehbaren) Griff auf (Merkmal 7). Die Verbindungsmuffe wiederum kann von der Spanwelle des Spannwellenabtriebs gelöst werden (Merkmal 6). Somit kann das Vertikalrohr mit dem Griff ohne den Einsatz eines Werkzeuges per Hand angehoben werden, was Beschädigungen vermeidet. Zur erleichterten Bedienung ist der Griff verdrehbar mit dem Muffengehäuse verbunden.
4.
Im Hinblick auf den Streit der Parteien zum Rechtsbestand bedürfen die Merkmale 6 und 7 näherer Erörterung:
a)
Merkmal 6,
„6 Die Verbindungsmuffe (5) weist ein gerundetes Gehäuse auf und ist lösbar mit der Spannwelle (3) verbunden und besteht aus Metall“,
lehrt drei Aspekten: Ein gerundetes Gehäuse, eine lösbare Verbindung und das Bestehen aus Metall. Für den Rechtsstreit ist insbesondere von Interesse, dass nach diesem Merkmal die Verbindungmuffe (5) lösbar mit der Spannwelle (3) verbunden sein muss. Diese Lösbarkeit ist erforderlich, damit das Vertikalrohr beim Anheben der Plane von der Spannwelle entkoppelt werden kann. Da über den Griff der Verbindungsmuffe das Vertikalrohr letztlich angehoben werden soll, muss die Entkoppelung (Lösbarkeit) zwingend zwischen der Muffe und der Spannwelle erfolgen.
Ob die drehfeste Verbindung zwischen Verbindungsmuffe und Vertikalrohr ebenfalls lösbar ausgestaltet ist oder nicht, überlässt das Klagepatent im Rahmen von Anspruch 1 dagegen dem Belieben des Fachmanns. Eine Einschränkung ist insofern nicht ersichtlich, so dass patentgemäß die Verbindungsmuffe auch fest an dem Vertikalrohr angebracht sein kann. Ein zwingender funktionaler Grund dafür, dass auch die Verbindung zum Vertikalrohr gelöst werden muss, ist nicht ersichtlich.
Vielmehr ist eine sowohl von der Spannwelle (wie von Merkmal 6 verlangt) als auch von dem Vertikalrohr lösbare Verbindungmuffe erst Gegenstand von Unteranspruch 2, der dadurch gekennzeichnet ist,
„dass die Verbindungsmuffe (5) abnehmbar mit dem Vertikalrohr (1) und der Spannwelle (3) verbunden ist.“
Unter „abnehmbar“ versteht das Klagepatent dabei also eine Lösbarkeit der Muffe von beiden Bauteilen, die sie im eingebauten Zustand drehfest verbindet. Damit kann eine „abnehmbare“ Verbindungsmuffe leicht ausgetauscht werden. Durch die zusätzliche Abnehmbarkeit „ist die Verbindungsmuffe nachrüstbar und kann in den Bereich zwischen unterem Ende des Vertikalrohrs und der Antriebswelle leicht eingesetzt werden“ (Abs. [0010]). Eine solche Abnehmbarkeit ist jedoch – wie erwähnt – kein erforderliches Merkmal von Anspruch 1.
b)
Merkmal 7,
„7 Mit dem Gehäuse (15) der Verbindungsmuffe (5) ist ein Griff (6) zugfest, jedoch verdrehbar verbunden“,
verlangt, dass mit dem Gehäuse der Verbindungsmuffe ein Griff verbunden ist. Über diesen Griff soll das Vertikalrohr angehoben werden, mit dem die Verbindungsmuffe drehfest verkoppelt ist (Merkmal 5). Dies löst die gestellte Aufgabe und macht den Einsatz von Werkzeug zur Anhebung des Vertikalrohrs überflüssig. Die von Merkmal 7 ebenfalls verlangte Zugfestigkeit verdeutlicht dies, da andernfalls ein (sicheres) Anheben des Vertikalrohrs nicht möglich wäre.
Um auch bei der Drehung des Vertikalrohrs und der daran gekoppelten Verbindungsmuffe den Griff gut bedienen zu können, ist dieser verdrehbar verbunden. Die Verdrehbarkeit betrifft damit eine Bewegung des Griffes relativ um die Längsachse des Vertikalrohrs – also der Achse, um die sich dieses Rohr beim Auf- und Abwickeln dreht. Dies ermöglicht es einem Benutzer, den Griff unabhängig vom Drehwinkel des Vertikalrohrs in einer für ihn günstig erreichbaren Winkelposition zu greifen.
5.
Die Verletzung der Merkmale von Anspruch 1 des Klagepatents steht zwischen den Parteien zu Recht nicht in Streit, so dass es hierzu keiner weiteren Ausführungen mehr bedarf.
II.
Durch die Herstellung und den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform im Inland hat die Beklagte von der Lehre des Klagepatents widerrechtlich Gebrauch gemacht. Hieraus ergeben sich die zuerkannten Rechtsfolgen:
1.
Der Unterlassungsanspruch beruht auf § 139 Abs. 1 PatG, da die Benutzung des Erfindungsgegenstandes ohne Berechtigung erfolgt.
2.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte dem Grunde nach einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz, der aus § 139 Abs. 2 PatG folgt, sowie einen auf § 33 Abs. 1 PatG beruhenden Anspruch auf eine angemessene Entschädigung. Als Fachunternehmen hätte die Beklagte die Patentverletzung bzw. die Nutzung des Gegenstands der Anmeldung des Klagepatents bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest erkennen können, § 276 BGB.
Da überdies durch die Handlungen der Beklagten die Entstehung eines Schadens bzw. eine Nutzung, die entschädigungspflichtig ist, hinreichend wahrscheinlich ist, jedoch der Schaden bzw. die Höhe der Entschädigung durch die Klägerin noch nicht beziffert werden kann, weil sie den Umfang der Benutzungshandlungen ohne ihr Verschulden nicht im Einzelnen kennt, ist ein rechtliches Interesse der Klägerin an der Feststellung der Schadensersatzverpflichtung bzw. Verpflichtung zum Zahlen einer Entschädigung anzuerkennen, § 256 ZPO.
3.
Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstands unmittelbar aus § 140b Abs. 1 PatG, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 140b Abs. 3 PatG.
Die weitergehende Auskunftspflicht folgt aus §§ 242, 259 BGB. Damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, die Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche zu beziffern, steht ihr gegen die Beklagte ein Anspruch auf Rechnungslegung im zuerkannten Umfang zu. Die Klägerin ist auf die Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt; die Beklagte wird durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet.
4.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Vernichtungsanspruch, der aus § 140a Abs. 1 PatG folgt. Eine Unverhältnismäßigkeit nach § 140a Abs. 4 PatG ist weder dargetan noch sonst ersichtlich.
5.
Die Klägerin kann schließlich die Beklagte aus § 140a Abs. 3 PatG auf Rückruf patentverletzender Erzeugnisse in Anspruch nehmen. Auch insoweit lässt sich keine Unverhältnismäßigkeit gemäß § 140a Abs. 4 PatG feststellen.
III.
Das Verfahren wird nicht nach § 148 ZPO in Bezug auf das Nichtigkeitsverfahren ausgesetzt.
Nach § 148 ZPO kann das Gericht bei der Vorgreiflichkeit eines anderen Verfahrens einen Rechtsstreit aussetzen. Die Vorgreiflichkeit ist aufgrund der festgestellten, unstreitigen Verletzung des Klagepatents hinsichtlich des anhängigen Nichtigkeitsverfahrens gegeben. Die Erhebung einer Nichtigkeitsklage stellt jedoch ohne weiteres noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen. Die Patenterteilung ist auch für die (Verletzungs-) Gerichte bindend. Wegen der gesetzlichen Regelung, die für die Ansprüche nach §§ 139 ff. PatG lediglich ein in Kraft stehendes Patent verlangt und für die Beseitigung dieser Rechtsposition nur die in die ausschließliche Zuständigkeit des Patentgerichts fallende Nichtigkeitsklage bzw. den Einspruch vor dem jeweiligen Patentamt zur Verfügung stellt, kann der Angriff gegen das Klagepatent nicht als Einwand im Verletzungsverfahren geführt werden. Jedoch darf dies nicht dazu führen, dass diesem Angriff jede Auswirkung auf das Verletzungsverfahren versagt wird. Die Aussetzung des Verletzungsstreits im Rahmen der nach § 148 ZPO zu treffenden Ermessenentscheidung ist vielmehr grundsätzlich, aber auch nur dann geboten, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass das Klagepatent der erhobenen Nichtigkeitsklage oder dem erhobenen Einspruch nicht standhalten wird (BGH, GRUR 2014, 1237, 1238 – Kurznachrichten; OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.06.2015 – Az. 2 U 64/14, S. 29 f.).
Eine solche Erfolgswahrscheinlichkeit kann für die von der Beklagten eingereichte Nichtigkeitsklage nicht festgestellt werden.
1.
Es kann von der Kammer nicht mit der für eine Aussetzung erforderlichen, hinreichenden Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass das Klagepatent vom Bundespatentgericht aufgrund einer unzulässigen Erweiterung gemäß §§ 22 Abs. 1, 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG für nichtig erklärt werden wird.
a)
Eine Aussetzung aufgrund der von der Beklagten angeführten unzulässigen Erweiterung kommt vorliegend nur dann in Betracht, wenn eine solche so offenbar vorliegt, dass die Erteilung des Klagepatents in der jetzigen Form nicht mehr vertretbar erscheint.
Es ist anerkannt, dass eine Aussetzung in der Regel nicht in Betracht kommt, wenn eine Entgegenhaltung bereits im Erteilungsverfahren berücksichtigt wurde (vgl. Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 9. Aufl. 2017, Rn. E. 612). Eine Aussetzung aufgrund einer bereits geprüften Schrift sollte regelmäßig nicht erfolgen, wenn die Entscheidung des fachkundigen Prüfers noch vertretbar erscheint. Denn eine solche Aussetzungsentscheidung aufgrund eines bereits vom Patentamt gewürdigten Aspekts würde sich unmittelbar gegen den Erteilungsakt wenden, wobei die Kammer ihre Auffassung an Stelle der des Patentamts setzen würde.
Diese Grundsätze gelten entsprechend bei der Beurteilung einer behaupteten unzulässigen Erweiterung, die ebenfalls im Erteilungsverfahren geprüft wurde. Im vorliegenden Fall gilt dies im besonderen Maße: Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vom 04.07.2017 unwidersprochen vorgetragen, der Prüfer selbst habe in einem Telefonat darauf hingewiesen, dass es sich bei der Abnehmbarkeit der Verbindungsmuffe um einen abtrennbaren Aspekt handelt, der nicht zwingend in den Hauptanspruch aufzunehmen sei. Dies belegt das Schreiben der Patentanwälte der Klägerin vom 15.07.2009 an das Deutsche Patent- und Markenamt (vorgelegt in Anlage KBS9), wo dieser Aspekt unter Bezugnahme auf die Anregung des Prüfers erörtert wurde. Der Prüfer war sich also der Problematik der unzulässigen Erweiterung bewusst und hat dennoch das Klagepatent in der vorliegenden Fassung erteilt.
b)
Es kann von der nicht mit fachkundigen Technikern besetzten Kammer nicht festgestellt werden, dass diese Entscheidung unvertretbar ist und daher mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vom Bundespatentgericht revidiert werden wird. Vielmehr lässt sich vertreten, dass das Weglassen der Abnehmbarkeit zugunsten der Lösbarkeit der Verbindungsmuffe (nur) von dem Spannwellenantrieb keine unzulässige Erweiterung begründet.
aa)
Ob eine unzulässige Erweiterung vorliegt, ist mittels eines Vergleichs des Gegen-standes des erteilten Schutzrechts mit dem Inhalt der ursprünglichen Anmeldung zu klären (Benkard/Rogge/Kober-Dehm, PatG, 11. Aufl. 2015, § 21 Rn. 30). Der Gegenstand des Patents ist dabei die durch die Patentansprüche bestimmte Lehre, wobei Beschreibung und Zeichnungen zur Auslegung heranzuziehen sind (§ 14 PatG / Art. 69 EPÜ). Der Inhalt der Patentanmeldung ist hingegen der Gesamtheit der Unterlagen zu entnehmen, ohne dass den Patentansprüchen dabei eine gleich hervorgehobene Bedeutung zukommt (BGH, GRUR 2010, 509, 511 Rn. 25 – Hubgliedertor I). Der Inhalt der Anmeldung ist also nicht auf den Gegenstand der in der Anmeldung formulierten Patentansprüche beschränkt, so dass im Erteilungsverfahren die Patentansprüche weiter gefasst werden können als in der Anmeldung, allerdings nur im Rahmen der ursprünglichen Offenbarung der Anmeldung (Benkard/Rogge/Kober-Dehm, PatG, 11. Aufl. 2015, § 21 Rn. 30). Für den Offenbarungsgehalt der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen kommt es darauf an, was aus ihnen aus fachmännischer Sicht unmittelbar und eindeutig als zur Erfindung gehörend hervorgeht (BGH, GRUR 2013, 1272, 1273 Rn. 14 – Tretkurbeleinheit; BGH, GRUR 2015, 573 Rn. 21 – Wundbehandlungsvorrichtung). Dabei muss die ursprüngliche Offenbarung für den Fachmann erkennen lassen, dass der geänderte Lösungsvorschlag von vornherein von dem Schutzbegehren mit umfasst werden sollte (BGH, GRUR 2010, 509, 511 Rn. 25 – Hubgliedertor I).
Wenn mehrere Merkmale eines Ausführungsbeispiels gemeinsam, aber auch je für sich dem erfindungsgemäßen Erfolg förderlich sind, ist der Anmelder nicht gezwungen, sämtliche Merkmale dieses Ausführungsbeispiels in den Patentanspruch zu übernehmen (BGH, GRUR 1990, 432 – Spleißkammer; BGH, GRUR 2006, 316 – Koksofentür). Er kann sich, ohne den Patentanspruch unzulässig zu erweitern, darauf beschränken, einzelnen Merkmale in den Anspruch aufzunehmen; dies jedoch nicht in jeder beliebigen Kombination, die dem Fachmann nicht als eine zur angemeldeten Erfindung gehörende Möglichkeit erkennbar war (BGH, GRUR 2012, 1124 Rn. 52 – Polymerschaum). Der Patentanspruch darf also nicht auf einen Gegenstand gerichtet werden, den die ursprüngliche Offenbarung aus Sicht des Fachmanns nicht zur Erfindung gehörend erkennen ließ (BGH, GRUR 2010, 513, 515 Rn. 29 – Hubgliedertor II m.w.N.) oder über den Inhalt der ursprünglichen eingereichten Unterlagen erweitert wird oder zu einem Aliud wird (BGH, GRUR 2010, 910 Rn. 46 – Fälschungssicheres Dokument; BGH, GRUR 2013, 809 Rn. 11 – Verschlüsselungsverfahren).
bb)
Unter Anwendung dieser Maßstäbe finden sich vertretbare Gründe dafür, dass Anspruch 1 gegenüber der Anmeldung nicht unzulässig erweitert ist. Die von der Beklagten angeführte Erweiterung liegt darin, dass im erteilten Anspruch 1 keine „abnehmbare“ Verbindungsmuffe (mehr) verlangt wird, sondern dieser nur noch die Lösbarkeit der Verbindung zwischen Verbindungsmuffe und Spannwelle fordert, eine unlösbare Verbindung zwischen Verbindungsmuffe und Vertikalrohr aber zulässt (vgl. die Ausführungen zur Auslegung von Merkmal 6 oben).
Es erscheint aus Sicht der Kammer vertretbar, die Lösbarkeit der Verbindungsmuffe von der Spannwelle als selbstständigen Teilaspekt anzusehen, der in dem erteilten Anspruch 1 separat geschützt werden konnte, ohne zugleich auch die zusätzliche Lösbarkeit vom Vertikalrohr (wodurch die Abnehmbarkeit erreicht werden würde) mit aufzunehmen.
Zwar ist der angemeldete Hauptanspruch dadurch gekennzeichnet, dass die Verbindungsmuffe „abnehmbar, jedoch verdrehsicher mit der Spannwelle (3) und dem Vertikalrohr (1) als Zwischenstück verbunden“ ist. Wie oben erwähnt, kommt bei der Ermittlung des Offenbarungsgehalts der Anmeldung allerdings den Ansprüchen nicht der Vorrang wie bei der Auslegung von erteilten Ansprüchen zu. Wie die Einschätzung des Prüfers im Erteilungsverfahren bestätigt, entnimmt der Fachmann der Anmeldung in ihrer Gesamtheit, dass die grundsätzliche Problemstellung darin liegt, das Vertikalrohr anheben zu müssen. Dabei stellt sich gemäß Abs. [0004] f. der Anmeldung (nachfolgend zitiert als „OS“ nach der in Anlage B2-KBS4 vorgelegten Offenlegungsschrift) die Schwierigkeit, dass hierbei
„das sehr eng gelagerte Vertikalrohr ergriffen und angehoben werden, wozu die Kraft der menschlichen Hand oft nicht ausreicht. Daher werden Zangen oder dergleichen verwendet, wobei es zu Beschädigungen des Vertikalrohres kommen kann.“
Dementsprechend wird es in Abs. [0005] OS als Aufgabe der angemeldeten Lehre bezeichnet,
„bei einer Horizontal-Seitenspannvorrichtung den Kupplungsbereich dahingehend zu verbessern, dass das Ausheben des Vertikalrohrs erleichtert wird und trotzdem eine sichere drehfeste Verbindung im Kupplungsbereich gewahrt bleibt, wenn das Vertikalrohr mit dem Spannwellenantrieb gekoppelt ist.“
Es ist für den Fachmann ohne weiteres ersichtlich, dass bereits das Vorsehen eines verdrehbaren, aber zugfesten Griffs an der Verbindungsmuffe dieses Problem löst. Demgegenüber erscheint das zusätzliche Merkmal der Abnehmbarkeit für die Lösung dieser Aufgabe nicht erforderlich. Die Abnehmbarkeit der Verbindungsmuffe stellt sich als weiteres, den Erfindungszweck förderndes Merkmal dar, welches insbesondere die Nachrüstbarkeit der Verbindungsmuffe und ihren Austausch unabhängig vom Vertikalrohr ermöglicht (vgl. Abs. [0006] f., [0022] a.E. OS). Dies ist aber für das erleichterte, beschädigungsfreie Anheben des Vertikalrohrs nicht nötig. Die Teilbarkeit der beiden Aspekte Griff und lösbare Spannwellenverbindung einerseits und Abnehmbarkeit der Verbindungsmuffe andererseits geht für den Fachmann auch aus Abs. [0022] OS hervor, wo beide Aspekte hintereinander und damit trennbar beschrieben werden.
2.
Es kann von der Kammer ebenfalls nicht festgestellt werden, dass Anspruch 1 des Klagepatents von der Entgegenhaltung ES 1 062 039 (nachfolgend: ES‘039, vorgelegt mit Übersetzung in Anlage B2-KBS10/10a) neuheitsschädlich vorweggenommen wird und somit ein Nichtigkeitsgrund nach §§ 22 Abs. 1; 21 Abs. 1 Nr. 1; 3 Abs. 1 PatG vorliegt.
a)
Die Beurteilung, ob der Gegenstand eines Patents durch eine Vorveröffentlichung neuheitsschädlich getroffen ist, erfordert die Ermittlung des Gesamtinhalts der Vorveröffentlichung. Entscheidend ist, was der Fachmann einer Schrift unmittelbar und eindeutig entnehmen kann (BGH, BGHZ 179, 168 Rn. 25, 26 – Olanzapin; BGH, GRUR 2004, 407 Rn. 44 – Fahrzeugleitsystem). Offenbart kann auch dasjenige sein, was im Patentanspruch und in der Beschreibung nicht ausdrücklich erwähnt ist, aus der Sicht des Fachmanns jedoch für die Ausführung der unter Schutz gestellten Lehre selbstverständlich ist und deshalb keiner besonderen Offenbarung bedarf, sondern „mitgelesen“ wird. Die Einbeziehung von Selbstverständlichem erlaubt jedoch keine Ergänzung der Offenbarung durch das Fachwissen, sondern dient nicht anders als die Ermittlung des Wortsinns eines Patentanspruchs lediglich der vollständigen Ermittlung des Sinngehalts, d.h. derjenigen technischen Information, die der fachkundige Leser der Quelle vor dem Hintergrund seines Fachwissens entnimmt (BGH, BGHZ 128, 270, 276 ff. – Elektrische Steckverbindung).
b)
Zwischen den Parteien alleine streitig ist die Offenbarung von Merkmal 7,
„7 mit dem Gehäuse (15) der Verbindungsmuffe (5) ist ein Griff (6) zugfest, jedoch verdrehbar verbunden“,
in der ES‘039. Eine ausdrückliche Offenbarung dieses Merkmals ist für die Kammer weder in der Beschreibung noch in den Figuren ersichtlich. Fraglich erscheint insoweit die Offenbarung einer Verdrehbarkeit des Griffs um die Längsachse des Vertikalrohrs.
aa)
In den Ansprüchen der ES‘039 ist eine solche Ausgestaltung nicht erwähnt. Auch aus den Figuren lässt sich dieses Merkmal nicht hinreichend ersehen. Zwar steht der Griff in den Fig. 1 und 2 möglicherweise jeweils in einer anderen Winkelstellung, wie aus der Stellung vom Griff (7) zum Rastelement (Bandeisen 5) ersichtlich ist. Jedoch kann hieraus ein Verdrehbarkeit des Griffs nicht unmittelbar und eindeutig ersehen werden. Es kann sich hierbei auch um zwei unterschiedliche Ausführungsformen handeln. Zur Veranschaulichung werden die Fig. 1 und 2 der ES‘039 nachfolgend verkleinert eingeblendet:
Auch scheint die in den Figuren linke Hülse (Bezugsziffer 4) an den Umfang der länglichen Stange (2) angepasst zu sein, so dass die Hülse diesem gegenüber nicht verdreht werden kann. Aufgrund der Zeichnungen kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Schelle des Griffs (7) mit dieser Hülse fest verbunden ist, so dass eine Bewegung nicht möglich ist.
bb)
Schließlich lässt sich auch der Beschreibung der ES‘039 weder eine unmittelbare Offenbarung eines verdrehbaren Griffs entnehmen, noch findet sich ein Ansatzpunkt dafür, die Figuren in einer solchen Weise zu verstehen. Vielmehr heißt es zum Griff 7 in der Beschreibung der ES‘039 auf S. 2 Z. 24 – 31 ES‘039 (Anlage B2-KBS10a):
„Am unteren Teil der länglichen Stange (2) ist ein Griff (7) vorgesehen, unter welchem sich der Drehmechanismus des hier beschriebenen Teleskopspanners befindet, welcher ein ratschenartiges Zahnrad enthält, welches im Inneren einer Hülse (3) liegt und durch einen Hebel angetrieben wird, der mit Hilfe des Griffs (7) verfahren wird.“
Die Parteien haben hierzu in der mündlichen Verhandlung vom 04.07.2017 erneut bestätigt, dass diese Übersetzung der ES‘039 korrekt ist. Die Beschreibung des Griffs erscheint der nicht mit technischen Fachleuten besetzten Kammern unklar; sie dürfte jedoch eher von einer verdrehbaren Gestaltung weglehren. Auf S. 2 Z. 24 ff. ES‘039 scheint eine Ausgestaltung beschrieben zu werden, bei der der Griff letztlich zum Bewegen des Zahnrads verwendet wird. Dies schließt eine Verdrehbarkeit des Griffs im Sinne von Merkmal 7 des Klagepatents aus.
cc)
Dass der Fachmann eine Verdrehbarkeit des Griffs in der ES‘039 mitliest, da ansonsten eine Bedienbarkeit des Griffs je nach Drehstellung des Vertikalrohrs beim Auf- oder Abwickeln der Plane erschwert oder unmöglich gemacht wird, kann von der Kammer nicht ausreichend festgestellt werden. Ein solcher Gedanke dürfte über das fachmännische Erfassen des Offenbarungsgehalts der Entgegenhaltung hinausgehen und zudem der oben zitierten Stelle in der Beschreibung widersprechen.
dd)
Es kann schließlich nicht festgestellt werden, dass die in Anlage B5 vorgelegte Stange Stand der Technik des Klagepatents ist oder der Entgegenhaltung ES‘039 genau entspricht. Dieses Muster bildet damit keinen Anhaltspunkt dafür, eine verdrehbare Befestigung des Griffs an dem Stab anzunehmen.
3.
Schließlich kann eine mangelnde Erfindungshöhe des Klagepatents gegenüber der Entgegenhaltung ES‘039 nicht hinreichend festgestellt werden. Der Nichtigkeitsgrund nach §§ 22 Abs. 1; 21 Abs. 1 Nr. 1; 4 S. 1 PatG setzt voraus, dass sich die geschützte Lehre für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Eine Ausgestaltung nach der ES‘039, aber mit einem verdrehbaren Griff, erscheint jedoch nicht naheliegend. Dagegen spricht, dass nach der Beschreibung der ES‘039 der Hebel mit dem Griff verfahren werden soll, was von einer Verdrehbarkeit gerade wegführt.
VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 ZPO.
V.
Der Streitwert wird auf EUR 500.000,00 festgesetzt.