4b O 17/16 – Kettenschloss

Düsseldorfer Entscheidungsnummer: 2661

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 04. Juli 2017, Az. 4b O 17/16

I. Die Beklagte wird verurteilt,

1. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwider-handlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle mehrfacher Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft hinsichtlich der Beklagten an ihrem jeweiligen Geschäftsführer zu vollstrecken ist, zu unterlassen,

Kettenschlösser für eine Gliederkette mit zwei miteinander form-schlüssig verbundenen Schlossteilen und einem sich an den beiden einander gegenüberliegenden Längsstegen der Schloss-teile abstützenden und lösbar zu den Schlossteilen angeordneten Mittelstück, umfassend einen Passbolzen und ein hülsenartig ausgebildetes Passelement, in das der Passbolzen bei geschlossenem Kettenschloss eingesetzt ist,

in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,

wenn das Mittelstück neben dem Passbolzen und dem Pass-element eine mit ihrer äußeren Mantelfläche an den Stützflächen der Längsstege anliegende Verriegelungshülse umfasst, in die das Passelement mit seiner äußeren Mantelfläche an der inneren Mantelfläche der Verriegelungshülse anliegend eingesetzt ist, wobei die Verriegelungshülse und das Passelement von ent-gegengesetzten Seiten in ihre Schließposition zur Ausbildung des Mittelstücks zwischen den Längsstegen eingesetzt werden und die von den entgegengesetzten Seiten in ihre Schließposition eingesetzten Elemente – Verriegelungshülse und Passelement – jeweils einen mit den Längsstegen der Schlossteile zusammenwirkenden Anschlag zum Begrenzen der Einsetzbewegung aufweisen und

wenn das Mittelstück neben der Verriegelungshülse eine weitere Verriegelungshülse aufweist, in die das Passelement einsetzbar ist, wobei die Verriegelungshülsen von entgegengesetzten Seiten in das Kettenschloss eingesetzt werden;

2. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, geordneten Ver-zeichnisses vollständig darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 01.01.2014 begangen hat, und zwar unter Angabe

a) der Herstellungsmengen und zeiten,

b) der einzelnen Lieferungen und Bestellungen, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Liefer- und Bestellmengen, zeiten und preisen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer und der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,

c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Typen-bezeichnungen, Angebotsmengen, zeiten und preisen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,

d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbe-trägern, deren Herstellungs- und Verbreitungsauflage, Ver-breitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

wobei die Beklagte hinsichtlich der Angaben zu lit. a) und b) Rechnungen und für den Fall, dass keine Rechnungen vorhanden sind, Lieferscheine vorzulegen hat;

wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und An-schriften ihrer nicht-gewerblichen Abnehmer und der Ange-botsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeich-nenden, dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernimmt und ihn ermächtigt, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter nicht-gewerblicher Abnehmer oder Angebots-empfänger in der Rechnungslegung enthalten ist;

3. die vorstehend zu Ziffer I. 1. bezeichneten, seit dem 01.01.2014 im Besitz Dritter befindlichen Kettenschlösser aus den Ver-triebswegen zurückzurufen, indem diejenigen gewerblichen Ab-nehmer, denen durch die Beklagte oder mit deren Zustimmung Besitz an den Kettenschlössern eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass das Gericht mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents DE 101 60 XXX erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Kettenschlösser an die Beklagte zurückzugeben und ihnen für den Fall der Rückgabe der Kettenschlösser eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe verbindlich zugesagt wird;

4. die im unmittelbaren oder mittelbaren Besitz und / oder Eigentum der Beklagten befindlichen unter Ziffer I. 1. bezeichneten Ketten-schlösser zu vernichten oder nach Wahl der Beklagten an einen von der Klägerin zu benennenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben;

II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter Ziffer I. 1. Be-zeichneten, seit dem 01.01.2014 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

III. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 250.000 EUR, wobei für die teilweise Vollstreckung des Urteils folgende Teilsicherheiten festgesetzt werden:
Ziff. I. 1., I. 3. und I. 4. des Tenors: 185.000 EUR
Ziff. I. 2. des Tenors: 50.000 EUR
Ziff. III. des Tenors: 110% des jeweils zu vollstre-ckenden Betrages
Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Verletzung des deutschen Patents DE 101 60 XXX (Anlage rop 1, im Folgenden: Klagepatent) auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, Rückruf, Vernichtung sowie Feststellung der Schadensersatzverpflichtung in Anspruch.
Die Klägerin ist Inhaberin des Klagepatents. Die dem Klagepatent zugrunde liegende Anmeldung wurde am 11.12.2001 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 16.12.2000 eingereicht. Die Offenlegung der Anmeldung erfolgte am 01.08.2002. Am 16.01.2003 wurde der Hinweis auf die Patenterteilung veröffentlicht.

Das Klagepatent betrifft ein Kettenschloss. Patentansprüche 1 und 6, die von der Klägerin in Kombination geltend gemacht werden, lauten wie folgt:

Anspruch 1:
„Kettenschloss für eine Gliederkette mit zwei miteinander formschlüssig verbundenen Schloßteilen (2, 3) und einem sich an den beiden einander gegenüberliegenden Längsstegen (4, 5) der Schloßteile (2, 3) abstützenden und lösbar zu den Schloßteilen (2, 3) angeordneten Mittelstück (10, 25), umfassend einen Paßbolzen (12) und ein hülsenartig ausgebildetes Paß-element (11, 30), in das der Paßbolzen bei geschlossenem Kettenschloß (12) eingesetzt ist,
dadurch gekennzeichnet, daß das Mittelstück (10, 25) neben dem Paßbolzen (12) und dem Paßelement (11, 30) eine mit ihrer äußeren Mantelfläche (16) an den Stützflächen (S) der Längsstege (4, 5) anliegende Verriegelungshülse (13; 26, 27) umfaßt, in die das Paßelement (11, 30) mit seiner äußeren Mantelfläche (22) an der inneren Mantelfläche der Verriegelungshülse (13; 26) anliegend eingesetzt ist, wobei die Verriegelungshülse (13, 26) und das Paßelement (11, 30) von entgegengesetzten Seiten in ihre Schließposition zur Ausbildung des Mittelstücks (10, 25) zwischen den Längsstegen (4, 5) eingesetzt werden und die von den entgegengesetzten Seiten in ihre Schließposition eingesetzten Elemente – Verriegelungshülse (13, 26) und Paßelement (11, 30) – jeweils einen mit den Längsstegen (4, 5) der Schloßteile (2, 3) zusammenwirkenden Anschlag (17, 23; 28) zum Begrenzen der Einsetzbewegung aufweisen.“

Anspruch 6:
„Kettenschloß nach einem der Ansprüche 1 bis 4,
dadurch gekennzeichnet, daß das Mittelstück (25) neben der Verriegelungs-hülse (26) eine weitere Verriegelungshülse (27) aufweist, in die das Paß-element (30) einsetzbar ist, wobei die Verriegelungshülsen (26, 27) von ent-gegengesetzten Seiten in das Kettenschloß (1) eingesetzt werden.“

Die nachfolgenden, leicht verkleinerten Abbildungen (Fig. 1 und 2 des Klagepatents) zeigen ein bevorzugtes Ausführungsbeispiel der Erfindung. Dabei zeigt Fig. 1 die Seitenansicht eines Kettenschlosses mit einem eingesetzten Mittelstück und Fig. 2 einen Teilquerschnitt durch das Kettenschloss der Fig. 1 entlang der Linie A-B mit den das Mittelstück ausbildenden Elementen in einer Vormontagestellung.
Die Beklagte stellt her und vertreibt in der Bundesrepublik Deutschland Ketten-schlösser mit der Bezeichnung „A“ (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform). Die technischen Daten dieses Kettenschlosses können den als Anlagen rop 4 und rop 5 vorgelegten Prospekten entnommen werden. Als Anlage B 3a liegt der Kammer ein Muster der angegriffenen Ausführungsform vor der Montage und als Anlage B 3b ein montiertes Muster vor. Zur Veranschaulichung werden nachfolgend verkleinerte Abbildungen der angegriffenen Ausführungsform wieder-gegeben. Die Abbildungen der Querschnitte sind mit Bezeichnungen der Klägerin versehen. Die letzte Abbildung enthält Bezeichnungen der Beklagten und zeigt – nach ihrem Verständnis – ein Verschlussteil mit eingesetztem Verschlussteil mit Doppelzapfen und angesetztem Spannstift.

Die Klägerin ist der Auffassung, die angegriffene Ausführungsform verwirkliche sämtliche Merkmale der Ansprüche 1 und 6 des Klagepatents wortsinngemäß. Das Klagepatent lasse insbesondere offen, wie das Zusammenwirken zwischen den Anschlägen von Verriegelungshülse und Passelement sowie den Längsstegen ausgestaltet sei: unmittelbar wie im ersten Ausführungsbeispiel (Fig. 2) oder mittelbar wie im zweiten Ausführungsbeispiel (Fig. 4, 5). Im zweiten Ausführungsbeispiel weise das Passelement deswegen einen Anschlag auf, weil die Verriegelungshülse, die den Anschlagbund trage, aufgrund der Vorfixierung ebenfalls Teil des Passelements sei. Der Anschlag des Passelements könne zudem auch innenseitig bezüglich der Verriegelungshülse ausgestaltet sein. Die angegriffene Ausführungsform weise beide Arten dieser Anschläge auf. Werde nämlich der Kopf des Verschlussteils mit Doppelzapfen der angegriffenen Ausführungsform, d.h. des Passelements in der Formulierung des Klagepatents, über die innenseitige Verjüngung in den Verriegelungshülsen hinweggeführt, so sei dieser Kopf an den Verjüngungen fixiert. Deshalb handele es sich bei diesen innenseitigen Anlagen des Passelements an die Verriegelungshülsen um Anschläge. Außerdem sei der Anschlag der mit dem Passelement vorinstallierten Verriegelungshülse der am weitesten außen liegende Anschlag des Passelements, der mit den Längsstegen der Schlossteile zusammenwirke. Letztlich verwirkliche die angegriffene Ausführungsform den Gegenstand des Klagepatents exakt entsprechend dem Ausführungsbeispiel nach den Fig. 4 und 5 des Klagepatents.
Die Klägerin beantragt,

wie erkannt,
wobei im Tenor zu Ziff. I. 1. klarstellend eine Begrenzung auf das Territorium der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, die angegriffene Ausführungsform mache nicht von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch. Bei der angegriffenen Ausführungsform sei etwa das Mittelstück nicht an den Längsstegen unmittelbar angeordnet. Die angegriffene Ausführungsform weise Vorstücke und Mittelstege auf, an die das Mittelstück anliege. Aus dem gleichen Grunde liege die Verriegelungshülse bei der angegriffenen Ausführungsform mit ihrer äußeren Mantelfläche nicht unmittelbar an den Stützflächen der Längsstege an, sondern an den Vorsprüngen bzw. Mittelstegen.
Die angegriffene Ausführungsform weise darüber hinaus keinen Passbolzen auf. Ein Passbolzen nach dem Klagepatent müsse vor dem Hintergrund des Standes der Technik und der Beschreibung sowie dem fachmännischen Verständnis massiv ausgebildet sein. Der Passbolzen müsse zudem in seinem Durchmesser unver-änderlich sein, um funktional die spielfreie Presspassung mit dem Passelement zu gewährleisten. Außerdem solle der Passbolzen im Gegensatz zum Passelement und zum Verriegelungselement nicht hülsenartig ausgebildet sein. Der in der ange-griffenen Ausführungsform verwendete Spannstift mit Schlitz stelle keinen solchen Passbolzen dar, denn der Spannstift übe eine elastische Federkraft auf das Verschlussteil mit Doppelzapfen aus.
Das Klagepatent verlange außerdem ein Anliegen der äußeren Mantelfläche des Passelements an die innere Mantelfläche der Verriegelungshülse, d.h. einen vollflächigen Berührungskontakt zwischen äußerer und innerer Mantelfläche. Eine spielfreie Passung in Form eines vollflächigen Anliegens weise die angegriffene Ausführungsform nicht auf, es liege lediglich ein Formschluss mit Spiel vor. Dies werde durch die Messprotokolle der B AG (Anlagenkonvolut B 12) bestätigt. Im Übrigen fülle das Verschlussteil mit Doppelzapfen nicht die gesamte Bohrung der beiden Verschlusshälften aus, was durch das Vermessungsprotokoll in Anlage B 13 belegt werde.
Außerdem würden bei der angegriffenen Ausführungsform Passhülse und Verriegelungshülse nicht von entgegengesetzten Seiten eingesetzt. Zudem weise das Verschlussteil mit Doppelzapfen keinen Anschlag auf, der mit den Längsstegen der Schlossteile zum Begrenzen der Einsetzbewegung zusammenwirke. Solange und soweit das Passelement selbst keinen Anschlag aufweise, sei Anspruch 1 des Klagepatents nicht verwirklicht. Es reiche nicht aus, wenn der Anschlag des Ver-schlussteils mit Bohrung der angegriffenen Ausführungsform mittelbar den Anschlag des Verschlussteils mit Doppelzapfen, also des Passelements, bilden würde. Die Ausgestaltungen nach Fig. 4 und 5 des Klagepatents unterfielen nicht dem Schutzbereich des Anspruchs 1. Auf diese habe die Klägerin ausweislich eines Vergleichs mit der Offenlegungsschrift DE 101 60 XXX A1 verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Akteninhalt sowie die tatsächlichen Ausführungen in den nachfolgenden Entscheidungsgründen verwiesen.
Entscheidungsgründe

I.
Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Klägerin stehen gegen die Beklagte Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf, Vernichtung sowie Feststellung der Schadensersatzpflicht dem Grunde nach gem. §§ 9 S. 2 Nr. 1, 139 Abs. 1 und 2 S. 1, 140a Abs. 1 und 3, 140b Abs. 1 PatG, §§ 242, 259 BGB zu.

1.
Die dem Klagepatent zugrunde liegende Erfindung betrifft ein Kettenschloss.

Ausweislich der Klagepatentschrift waren Kettenschlösser im Stand der Technik in unterschiedlichen Ausgestaltungen bekannt. Aus der DE 199 14 014 A1 war ein Kettenschloss mit einem Mittelstück bekannt, das aus einem Passbolzen besteht, der drei in Nuten befindliche Sprengringe trägt. Der Passbolzen weist eine zylindrische Mantelfläche auf, so dass die den beiden Längsstegen zugeordneten Stützflächen komplementär muldenförmig ausgebildet sind. Sind beide Schlossteile formschlüssig miteinander in Eingriff gestellt worden, so erfolgt eine Verriegelung der Schlossteile durch Einschlagen des Passbolzens in den durch die Stützflächen eingeschlossenen Raum. Durch Vorsprünge, die die Stützflächen tragen, und das Mittelstück wird ein Mittensteg gebildet. Er dient als Stütze zwischen den beiden Längsstegen, um einem Einschnüren der Längsstege bei einer Zugbelastung des Kettenschlosses entgegenzuwirken. Die Klagepatentschrift kritisiert die Handhabung eines solchen Kettenschlosses (Abs. [0004]). Da die beiden Schlossteile zum Öffnen und Schließen des Kettenschlosses parallel zur Längsachse gegeneinander verschoben würden, könnten die eingehängten Kettenglieder nur einen solchen Durchmesser aufweisen, dass ausreichend Raum verbleibe, um die Schlossteile zum Öffnen oder Schließen gegeneinander verschieben zu können. Außerdem sei die Handhabung beim Einschlagen oder Herausschlagen des Mittelstücks wegen des bewusst möglichst klein gehaltenen Passbolzens nicht immer unproblematisch.

Aus DE 32 07 629 A1 war ferner ein Kettenschloss mit einem Mittelstück bekannt, das ein hülsenförmiges Spreizelement als Passelement umfasst, das in eine in die Innenseiten der zueinander weisenden Längsstege eingebrachte Nut eingesetzt wird und nach dem Einsetzen durch einen Passbolzen zum möglichst spielfreien Verriegeln der Schlosshälften aufgeweitet wird. Der Spreizbolzen ist reibschlüssig in der Spreizhülse gehalten. Zum Öffnen des Kettenschlosses kann der Passbolzen mit einem Dorn herausgetrieben werden. Laut Klagepatentschrift sei es aber mitunter nicht ohne weiteres möglich, das in die Innennuten der Längsstege eingreifende Spreizelement aus seiner Position zwischen den Schlossteilen herauszubringen.

Schließlich war aus der DE 32 26 636 A1 ein Kettenschloss mit einem Mittelstück bekannt, das sich bei geschlossenem Kettenschloss an den beiden gegenüber-liegenden Längsstegen der Schlossteile abstützt. Das Mittelstück umfasst ein als Spreizhülse ausgebildetes Passelement ovalen Querschnitts, in das ein Passbolzen einschlagbar ist. Das Passelement wird durch Drehen um 90 zwischen den Stützflächen angeordnet. Die Stützflächen sind durch jeweils eine zu beiden Seiten der Schlossteile hinterschnittene Ausnehmung in den Längsstegen gebildet. Der Passbolzen dient dazu, das die beiden Schlossteile bereits miteinander verriegelnde Spreizelement in seiner Position zu fixieren. Nachteilig sei laut Klagepatentschrift an einem solchen Kettenschloss, dass eine bestimmungsgemäße Verriegelung nur dann eintrete, wenn die Langachse des Spreizelements lotrecht oder zumindest im Wesentlichen lotrecht zu den Stützflächen angeordnet sei. Dies erfordere eine erhöhte Aufmerksamkeit. Außerdem müssten etwaige Markierungen auch im rauhen und relativ dunklen Untertagebetrieb erkennbar sein.

Nach der Klagepatentschrift zeichneten sich alle beschriebenen Kettenschlösser dadurch aus, dass eine Verriegelung der beiden Schlossteile zueinander durch aufspreizbare Federstahlelemente erfolge, die durch den Passbolzen aufgespreizt würden. Das Entfernen und Herausbringen des Spreizelements aus seiner Position zwischen den beiden Längsstegen würde sich mitunter als schwierig gestalten, insbesondere wenn neben dem zu überwindenden Formschluss, mit dem das Passelement in seiner Schließposition gehalten ist, eine Korrosionsverbindung zwischen dem Spreizelement und den Längsstegen der Schlossteile überwunden werden müsse.

Vor diesem Hintergrund bezeichnet es die Klagepatentschrift als Aufgabe, ein Kettenschloss derart weiterzubilden, dass sich dieses nicht nur auch nach längerer Standzeit leichter öffnen lässt, sondern bei dem auch die zum Gegenstand der DE 32 26 636 A1 aufgezeigten Nachteile vermieden werden.

Zur Lösung dieser Aufgabe sieht das Klagepatent mit den hier in Kombination geltend gemachten Patentansprüchen 1 und 6 ein Kettenschloss mit folgenden Merkmalen vor:

1. Kettenschloss für eine Gliederkette umfassend
1.1. zwei Schlossteile (2, 3) und
1.2. ein Mittelstück.
2. Die Schlossteile
2.1. sind miteinander formschlüssig verbunden und
2.2. weisen zwei sich einander gegenüberliegende Längsstege auf.
3. Das Mittelstück (10, 25)
3.1. stützt sich an den beiden Längsstegen (4, 5) der Schlossteile (2, 3) ab,
3.2. ist lösbar zu den Schlossteilen (2, 3) angeordnet und
3.3. umfasst
3.3.1. einen Passbolzen (12) und
3.3.2. ein Passelement (11, 30) und
3.3.3. eine Verriegelungshülse (13, 26) und daneben
3.3.4. eine weitere Verriegelungshülse (27).
4. Die Verriegelungshülsen (13; 26, 27)
4.1. liegen mit ihrer äußeren Mantelfläche (16) an den Stützflächen (S) der Längsstege (4, 5) an und
4.2. werden von entgegengesetzten Seiten in das Kettenschloss (1) eingesetzt.
5. Das Passelement (11, 30)
5.1. ist hülsenartig ausgebildet,
5.2. ist in die Verriegelungshülsen (13; 26, 27) eingesetzt und
5.3. liegt mit seiner äußeren Mantelfläche (22) an der inneren Mantel-fläche der Verriegelungshülse (13; 26) an.
6. Die Verriegelungshülse (13, 26) und das Passelement (11, 30)
6.1. werden von entgegengesetzten Seiten in ihre Schließposition eingesetzt
6.2. zur Ausbildung des Mittelstücks (10, 25) zwischen den Längsstegen (4, 5).
7. Die von den entgegengesetzten Seiten in ihre Schließposition einge-setzten Elemente – Verriegelungshülse (13, 26) und Passelement (11, 30) – weisen jeweils einen mit den Längsstegen (4, 5) der Schlossteile (2, 3) zusammenwirkenden Anschlag (17, 23; 28) zum Begrenzen der Einsetzbewegung auf.
8. Der Passbolzen (12) ist in das Passelement (11, 30) bei geschlossenem Kettenschloss (12) eingesetzt.

Das erfindungsgemäße Kettenschloss zeichnet sich laut Klagepatentschrift, Abs. [0012], dadurch aus, dass zum ersten Mal eine Verriegelungshülse eingesetzt werde, deren Außenabmessungen an die Dimensionierung der Stützflächen der Schlossteile angepasst seien und mit dem grundsätzlich eine Verriegelung der beiden Schlossteile miteinander ohne jegliche weiteren Elemente möglich sei, vor allem ohne die Notwendigkeit, ein Element in einen Hinterschnitt einbringen zu müssen. Im Gegensatz zum vorbekannten Stand der Technik müsse die Ver-riegelungshülse nicht aufweitbar oder spreizbar ausgebildet sein. Das Passelement und der Passbolzen dienten allein zum Festsetzen der Verriegelungshülse, damit diese nicht herausfallen könne. Die Verriegelungshülse brauche nicht in Hinter-schnitte der Stützflächen einzugreifen. Daher könne sie ohne weiteres entgegen ihrer Einsetzrichtung nach Entfernen des Passbolzens und des Passelements auch bei einer möglichen Korrosion zwischen der Verriegelungshülse und den Stützflächen herausgeschlagen werden.

2.
Im Hinblick auf den zwischen den Parteien bestehenden Streit ist das Klagepatent hinsichtlich der Merkmale 2.2, 3.1 und 4.1, und zwar des Begriffs der Längsstege, auszulegen. Darüber hinaus bedürfen die Merkmale 3.3.1, 5.3 und 7 der Auslegung.

a)
Anspruch 1 verlangt in Merkmal 2.2, dass die Schlossteile zwei sich einander gegenüberliegende Längsstege aufweisen. Merkmal 3.1 fordert, dass sich das Mittelstück an diesen beiden Längsstegen abstützt und Merkmal 4.1 setzt voraus, dass die Verriegelungshülsen mit ihrer äußeren Mantelfläche an den Stützflächen der Längsstege anliegen. Das Klagepatent schließt in seinem Anspruch 1 Vorsprünge an den Längsstegen nicht aus. Dies wird durch die Ausführungen in der Beschreibung des Klagepatents bestätigt, wo es heißt, es könne vorgesehen werden, an den beiden Längsstegen einander gegenüberliegend Vorsprünge anzuformen, die an den einander jeweils zugewandten Seiten Stützflächen ausbilden, zwischen denen die Verriegelungshülsen angeordnet sind (Abs. [0014], Sp. 4 Z. 22 ff.).

b)
Weiterhin setzt Anspruch 1 einen Passbolzen voraus (Merkmal 3.3.1). Dieser Pass-bolzen muss – entgegen der Auffassung der Beklagten – nicht massiv ausgebildet sein, da das Klagepatent keine entsprechenden Vorgaben macht. Dies wird durch die technische Funktion des Passbolzens bestätigt. Der Passbolzen (sowie das Passelement) dient nämlich nach der technischen Lehre allein zum Festsetzen der Verriegelungshülse in ihrer die beiden Schlosshälften miteinander verbindenden Schließstellung, damit die Verriegelungshülse nicht in entgegengesetzter Richtung zu ihrer Einsetzrichtung aus ihrer verriegelnden Stellung herausfallen kann (Abs. [0012]). Um diese Funktion zu erfüllen, muss der Passbolzen nicht massiv ausgebildet sein. Es genügt vielmehr jedes Element, das in ein hülsenartig aus-gebildetes Passelement eingesetzt werden kann (Merkmale 5, 5.1, 8) und das Festsetzen der Verriegelungshülse bewirkt.

c)
Anspruch 1 verlangt zudem, dass das Passelement mit seiner äußeren Mantelfläche an der inneren Mantelfläche der Verriegelungshülse anliegt (Merkmal 5.3). Einschränkende Vorgaben dahingehend, dass ein vollflächiger Berührungskontakt zwischen äußerer Mantelfläche des Passelements und innerer Mantelfläche der Verriegelungshülse ohne Spiel vorliegen müsste oder Passelement und Verriegelungshülse die gleiche Länge aufweisen müssten, sind dem Klagepatent nicht zu entnehmen. Das Passelement kann seiner alleinigen Aufgabe der Festsetzung der Verriegelungshülse (Abs. [0012]) vielmehr auch dann nachkommen, wenn diese engen Vorgaben nicht im Einzelfall erfüllt sind.

d)
Schließlich verlangt Anspruch 1 des Klagepatents, dass die von entgegengesetzten Seiten in ihre Schließposition eingesetzten Elemente – Verriegelungshülse und Passelement – jeweils einen mit den Längsstegen der Schlossteile zusammen-wirkenden Anschlag zum Begrenzen der Einsetzbewegung aufweisen (Merkmal 7). Die Parenthese sowie der Begriff „jeweils“ legen dabei zunächst nahe, dass sowohl die Verriegelungshülse als auch das Passelement über eigenständige Anschläge verfügen sollen. Bei diesem Verständnis kann die Auslegung der Klagepatent-ansprüche aber nicht stehenbleiben, denn Fig. 4 und 5 und die zugehörige Be-schreibung der Klagepatentschrift wären nicht vom Anspruchswortlaut erfasst.

Funktion der Beschreibung ist es, die geschützte Erfindung zu erläutern, so dass im Zweifel ein Verständnis der Beschreibung und des Anspruchs geboten ist, das beide Teile der Patentschrift nicht in Widerspruch zueinander bringt, sondern sie als aufeinander bezogene Teile der dem Fachmann mit dem Patent zur Verfügung gestellten technischen Lehre als eines sinnvollen Ganzen versteht (BGH, Urt. v. 12.05.2015, X ZR 43/13, GRUR 2015, 875, 876 Rn. 16 – Rotorelemente). Nur wenn und soweit dies nicht möglich ist, ist der Schluss gerechtfertigt, dass Teile der Beschreibung zur Auslegung nicht herangezogen werden dürfen (BGH, Urt. v. 12.05.2015, X ZR 43/13, GRUR 2015, 875, 876 Rn. 16 – Rotorelemente).

Nach diesen Grundsätzen sind die Ansprüche 1 und 6 dahingehend auszulegen, dass nicht zwingend das Passelement einen Anschlag aufweisen muss, wenn mehr als eine Verriegelungshülse vorhanden ist.

Der Hauptanspruch 1 des Klagepatents verwendet den Begriff der Verriegelungs-hülse in der Einzahl. Er ist aber nicht auf eine einzelne Verriegelungshülse be-schränkt und schließt die Existenz einer weiteren Verriegelungshülse nicht aus. Dies ergibt sich unmittelbar auch aus dem Unteranspruch 6, den die Klägerin im Streitfall in Kombination mit dem Hauptanspruch 1 geltend macht und der eine weitere Verriegelungshülse vorsieht.
Denn der Hauptanspruch umfasst regelmäßig die von den Unteransprüchen be-schriebenen Ausführungen (vgl. Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 9. A., 2017, Kap. A Rn. 24; Schulte/Rinken/Kühnen, PatG, 9. A., 2014, § 14 Rn. 26). Unteran-sprüche gestalten die im Hauptanspruch unter Schutz gestellte Lösung weiter aus und können daher – mittelbar – Erkenntnisse über deren technische Lehre zulassen. Dabei ist zu beachten, dass sie regelmäßig den Gegenstand des Hauptanspruchs nicht einengen, sondern, nicht anders als Ausführungsbeispiele, lediglich – gegebenenfalls mit einem zusätzlichen Vorteil verbundene – Möglichkeiten seiner Ausgestaltung aufzeigen (BGH, Urt. v. 10.05.2016, X ZR 114/13, GRUR 2016, 1031, 1033, Rn. 15 – Wärmetauscher). Ist der Hauptanspruch 1 so auszulegen, dass die Ausführung des auf ihn rückbezogenen Anspruchs 6 vom Hauptanspruch noch erfasst wird, so sind dann, wenn der Hauptanspruch 1 von einer Verriegelungshülse spricht, stets auch mehrere Verriegelungshülsen umfasst.

Erfasst die Parenthese in Merkmal 7 mehrere Verriegelungshülsen und ein Pass-element, so müssen nicht zwingend alle diese Elemente über einen eigenen An-schlag verfügen. Aus dem Wortlaut ergibt sich, dass der Begriff „jeweils“ auf Elemente, die näher in der Parenthese aufgeführt sind, bezogen ist. Bei funktions-orientierter Auslegung zeigt sich weiter, dass es ausreichend ist, wenn im Falle mehrerer Verriegelungshülsen nur diese über einen Anschlag verfügen und nicht zwingend auch das Passelement. Hierbei ist die Funktion des Anschlags von Be-deutung: Dieser dient dazu, die Einsetzbewegung der von entgegengesetzten Seiten eingesetzten Elemente zu begrenzen. Auf beiden Seiten des Mittelstücks wird damit eine weitere Bewegung in Einsetzrichtung der Bauteile durch ein Anliegen an den Längsstegen der Schlossteile verhindert. Dies verdeutlicht die Beschreibung in Sp. 5 Z. 27 ff., indem sie von der Begrenzung der Einsetzbewegung der Verriegelungshülse durch ihre schräge Anschlagfläche spricht. In umgekehrter Richtung erfolgt dies durch den Formschluss zwischen Verriegelungshülse und Passelement. Laut Beschreibung des Klagepatents ist dies sogar die einzige Funktion des Passelements (Sp. 3, Z. 56 ff.: Passelement und Passbolzen dienen allein zum Festsetzen der Verriegelungshülse). Für den Fachmann ist daher unmittelbar einsichtig, dass es auf jeder Seite des Mittelstücks nur eines Anschlags bedarf, um alle Bauteile in ihrer Position zu halten. Sind zwei Verriegelungshülsen und ein Passelement vorhanden, dann reicht es aus, wenn die beiden Verriegelungshülsen einen Anschlag aufweisen. Genau dies wird in Fig. 4 und 5 dargestellt. Dass dieses Ausführungsbeispiel vom Gegenstand der Erfindung umfasst sein soll, ergibt sich auch daraus, dass in Anspruch 6 die beiden Verriegelungshülsen von entgegengesetzten Seiten eingesetzt werden sollen. Dies wäre bedeutungslos, wenn – wie im Ausführungsbeispiel nach Fig. 4 und 5 – nicht die weitere Verriegelungshülse, sondern dass Passelement den Anschlag aufweist. Die Vorgabe, dass die Verriegelungshülsen von entgegengesetzten Seiten eingesetzt werden sollen, hat ihren Grund darin, dass das Patent – wie in Fig. 4 und 5 verdeutlicht – davon ausgeht, dass die weitere Verriegelungshülse ebenfalls einen Anschlag aufweist. Eines dritten Anschlags, z.B. am Passelement, bedarf es dann nicht mehr.

Demzufolge ist die Parenthese in Merkmal 7 als nicht zwingend abschließende Auf-zählung der Elemente zu verstehen, die einen Anschlag aufweisen müssen. Sind mehr als zwei Elemente vorhanden, beispielsweise zwei Verriegelungshülsen und ein Passelement, genügt es, wenn die beiden Verriegelungshülsen den Anschlag aufweisen.

Im Übrigen führt die Auslegung auch dann nicht zu einem anderen Ergebnis, wenn der Anspruch 6 als selbstständiger Nebenanspruch aufgefasst wird. Patent-anspruch 6 ist auf den Anspruch 1 rückbezogen und inkorporiert dessen Merkmale. Das führt nicht zwangsläufig dazu, dass die Merkmale in beiden Fällen – einmal als Bestandteil des Hauptanspruchs 1 und das andere Mal als Bestandteil des Nebenanspruchs 6 – dieselbe Bedeutung haben. Auch wenn Anspruch 1 für sich genommen dahingehend ausgelegt werden sollte, dass das Passelement einen Anschlag aufweisen muss, so ist diese Auslegung für die Kombination der Patent-ansprüche 1 und 6 aufgrund des selbstständigen Charakters der Kombination nicht zwingend. Vielmehr ist das Merkmal 7 aufgrund der vorstehenden Begründung auch dann so zu verstehen, dass beim Vorhandensein von zwei Verriegelungshülsen das Passelement keinen Anschlag aufweisen muss.

Aufgrund dieser widerspruchsfreien Auslegung der Ansprüche 1 und 6 sowie der Beschreibung und der Zeichnungen verbietet sich ein Rückgriff auf die Offen-legungsschrift DE 101 60 XXX A1. Gleiches gilt im Übrigen für die Äußerungen zwischen der Klägerin und dem Prüfer des Deutschen Patent- und Markenamtes im Rahmen des Erteilungsverfahrens. Denn grundsätzlich bleibt der Inhalt der Ur-sprungsunterlagen oder der Veröffentlichung der Anmeldung bei der Auslegung außer Betracht, denn sie sind in § 14 PatG nicht erwähnt und im Falle der Erteilungsakten sind sie auch nicht allgemein veröffentlicht (vgl. Schulte/Rinken/Kühnen, PatG, 9. A., 2014, § 14 Rn. 45). Weder darf der Patentanspruch – zur Vermeidung einer unzulässigen Erweiterung – nach Maßgabe des ursprünglich Offenbarten ausgelegt werden, noch darf umgekehrt sein Sinngehalt dadurch ermittelt werden, dass dem Wortlaut des Patentanspruchs abweichende Formulierungen der Anmeldung gegenübergestellt werden (BGH, Urt. v. 12.05.2015, X ZR 43/13, GRUR 2015, 875, 876 Rn. 17 – Rotorelemente m. w. N.). Allenfalls dann, wenn zweifelhaft bleibt, ob sich Patentanspruch und Beschreibung sinnvoll zueinander in Beziehung setzen lassen, darf die „Anspruchsgeschichte“ zur weiteren Klärung der Frage herangezogen werden, ob mit dem Anspruch ein Gegenstand unter Schutz gestellt wird, der von dem in der Beschreibung offenbarten abweicht oder hinter diesem zurückbleibt (BGH, Urt. v. 12.05.2015, X ZR 43/13, GRUR 2015, 875, 876 Rn. 17 – Rotorelemente m. w. N.). Das ist hier aber, wie oben gezeigt, nicht der Fall.

3.
Die angegriffene Ausführungsform macht von der technischen Lehre der in Kombination geltend gemachten Ansprüche 1 und 6 des Klagepatents unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch.

Ausweislich der oben dargestellten Abbildungen der angegriffenen Ausführungsform sowie des der Kammer vorliegenden Musters (Anlage 3a) verfügt die angegriffene Ausführungsform über zwei miteinander formschlüssig verbundene Schlossteile (Merkmale 2, 2.1).

Ob die angegriffene Ausführungsform eigenständige Vorsprünge wie das Ketten-schloss nach der DE 199 14 014 C2 aufweist, mag dahingestellt bleiben. Selbst wenn dies der Fall ist, so verwirklicht die angegriffene Ausführungsform die techni-sche Lehre der Ansprüche 1 und 6, verfügt insbesondere über ein Mittelstück, das sich über die Verriegelungshülsen an den Längsstegen abstützt (Merkmale 3, 3.1, 4 und 4.1). Denn das Klagepatent schließt, wie oben ausgeführt, Vorsprünge an den Längsstegen, an denen das Mittelstück angeordnet ist, nicht aus.

Die angegriffene Ausführungsform verfügt zudem über einen Passbolzen in Gestalt des Spannstifts (Merkmal 3.3.1). Denn nach zutreffender Auslegung genügt hierfür jedes Element, das in ein hülsenartig ausgebildetes Passelement eingesetzt werden kann und die in Abs. [0012] der Beschreibung der Klagepatentschrift genannte Funktion, d.h. das Festsetzen der Verriegelungshülse, erfüllt. Der Spannstift wird in die hülsenartig ausgebildete Passhülse der angegriffenen Ausführungsform, d.h. das Verschlussteil mit Doppelzapfen in der Terminologie der Beklagten, eingeführt. Zusammen mit der Passhülse dient er dem Festsetzen der beiden Verriegelungshülsen, d.h. der beiden Verschlussteile mit Bohrung in der Terminologie der Beklagten. Dies wird anhand der herauskragenden Kopfbereiche und des herauskragenden Mittelbereichs der Passhülse deutlich, die mit entsprechenden Auskragungen an der Innenfläche der Verriegelungshülsen korrespondieren, sowie an den geschlitzten Kopfteilen der Passhülse und auch an dem Schlitz des Spannstifts (siehe Schriftsatz der Beklagten vom 21.09.2016, S. 7), der mit seiner federnden Spannkraft gegen die Innenfläche der Passhülse drückt.

Weiterhin verfügt die angegriffene Ausführungsform über ein Passelement in Gestalt der Passhülse, d.h. des Verschlussteils mit Doppelzapfen in der Termi-nologie der Beklagten, das mit seiner äußeren Mantelfläche an der inneren Mantel-fläche der Verriegelungshülse/n anliegt (Merkmale 5, 5.3). Denn die Passhülse der angegriffenen Ausführungsform wird in Bohrungen der beiden Verriegelungshülsen, d.h. der Verschlussteile mit Bohrung in der Terminologie der Beklagten, eingeführt. Dabei ist – wie oben bereits ausgeführt – unerheblich, ob ein vollflächiger Berührungskontakt zwischen äußerer Mantelfläche des Passelements und innerer Mantelfläche der Verriegelungshülse ohne Spiel vorliegt bzw. ob Passelement und Verriegelungshülse die gleiche Länge aufweisen. Denn die Passhülse kann ihre Funktion des Festsetzens der Verriegelungshülsen auch ohne Einhaltung dieser engen Vorgaben erfüllen.

Die angegriffene Ausführungsform weist ebenfalls eine und sogar zwei Verriege-lungshülsen und ein Passelement auf, die von entgegengesetzten Seiten in ihre Schließposition eingesetzt werden (Merkmale 6, 6.1). Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die beiden Verriegelungshülsen, bzw. Verschlussteile mit Bohrung in der Terminologie der Beklagten, von entgegengesetzten Seiten in die Schließposition eingesetzt werden. Dabei ist die Passhülse bereits in eine Ver-riegelungshülse vormontiert, so dass diese vormontierte Verriegelungshülse samt Passelement von entgegengesetzter Seite zu der anderen Verriegelungshülse eingebracht wird. Da der Hauptanspruch 1 nach zutreffender Auslegung mehrere Verriegelungshülsen erfasst und auch Anspruch 6, der hier in Kombination mit Anspruch 1 geltend gemacht wird, mehrere Verriegelungshülsen vorsieht, vermag die Kammer der Auffassung der Beklagten, dass eine Verriegelungshülse bei der Verletzungssubsumtion außer Betracht bleiben müsse, nicht zu folgen.

Schließlich führt nicht aus der Verletzung heraus, dass die angegriffene Aus-führungsform über zwei von entgegengesetzten Seiten in ihre Schließposition eingesetzte Verriegelungshülsen verfügt, die jeweils einen mit den Längsstegen der Schlossteile zusammenwirkenden Anschlag aufweisen, wohingegen das Pass-element in Gestalt der Passhülse über keinen solchen unmittelbar mit den Längs-stegen zusammenwirkenden Anschlag verfügt. Nach zutreffender Auslegung ist das Klagepatent in Anspruch 1 und 6, Merkmal 7, bei funktionaler Betrachtung in der Art und Weise zu verstehen, dass die Anschläge nicht zwingend an einer Ver-riegelungshülse und einem Passelement ausgebildet sein müssen. Es genügt viel-mehr, dass lediglich die Verriegelungshülsen über entsprechende Anschläge ver-fügen, wie dies hier der Fall ist und wie dies in Fig. 4 und 5 des Klagepatents dargestellt ist.
Ob – unabhängig hiervon – ein mittelbar mit den Längsstegen der Schlossteile zusammenwirkender Anschlag der Passhülse zur Verwirklichung des Merkmals 7 genügt, kann dahingestellt bleiben.

Die übrigen Merkmale der Ansprüche 1 und 6 sind ebenfalls verwirklicht – was von den Parteien zu Recht nicht in Abrede gestellt wird.

4.
Da die angegriffene Ausführungsform ein Erzeugnis darstellt, welches Gegenstand des Klagepatents ist, ohne dass die Beklagte zu einer Nutzung des Klagepatents berechtigt ist (§ 9 S. 2 Nr. 1 PatG), rechtfertigen sich die nachstehenden Rechts-folgen.

a)
Die Beklagte ist gemäß § 139 Abs. 1 PatG verpflichtet, es zu unterlassen, patent-verletzende Kettenschlösser in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Beklagte die angegriffene Aus-führungsform im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland hergestellt und vertrieben hat. Die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Gefahr, dass sich in Zukunft weitere Rechtsverletzungen wiederholen werden, ergibt sich in Bezug auf alle Be-nutzungsarten des § 9 S. 2 Nr. 1 PatG daraus, dass die Beklagte die patentierte Erfindung in der Vergangenheit benutzt hat. Da sie hierzu nach § 9 PatG nicht berechtigt war, ist sie zur Unterlassung verpflichtet.

b)
Weiterhin hat die Beklagte dem Grunde nach für Benutzungshandlungen seit dem 01.01.2014 Schadensersatz zu leisten, § 139 Abs. 2 S. 1 PatG.
Die Beklagte beging die Patentverletzung schuldhaft, weil sie als Fachunternehmen die Patentverletzung bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest hätte erkennen können, § 276 BGB.
Im Übrigen ist die Klägerin derzeit nicht in der Lage, den konkreten Schaden zu beziffern. Es ist aber nicht unwahrscheinlich, dass der Klägerin als Inhaberin des Klagepatents durch die Patentverletzung ein weiterer Schaden entstanden ist. Das für die Zulässigkeit des Feststellungsantrags gem. § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass ohne eine rechtskräftige Feststellung der Entschädigungs- und Schadensersatzpflicht die Verjährung von Ersatzansprüchen droht.

c)
Der Klägerin steht gegen die Beklagte auch ein Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung zu (§ 140b Abs. 1 PatG, §§ 242, 259 BGB). Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungs-formen ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungs-gegenstands unmittelbar aus § 140b Abs. 1 PatG, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 140b Abs. 3 PatG. Die weitergehende Auskunftspflicht und die Verpflichtung zur Rechnungslegung folgen aus §§ 242, 259 BGB, damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch zu beziffern. Die Klägerin ist auf die geltend gemachten Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt. Die Beklagten werden demgegenüber durch die von ihnen verlangte Auskunft nicht unzumutbar belastet.

d)
Schließlich steht der Klägerin gegen die Beklagte ein Anspruch auf Vernichtung patentverletzender Erzeugnisse und auf Rückruf aus den Vertriebswegen gem. § 140 Abs. 1 und 3 PatG zu, da die Beklagte mit der angegriffenen Ausführungsform die klagepatentgemäße Erfindung im Sinne von § 9 S. 2 Nr. 1 PatG benutzte, ohne dazu berechtigt zu sein. Für die Unverhältnismäßigkeit der Inanspruchnahme bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte und diese wird von der Beklagten auch nicht geltend gemacht.

II.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 1 und 2 ZPO. Auf Antrag der Klägerin waren Teilsicherheiten für die einzelnen titulierten Ansprüche festzusetzen, §§ 709, 108 ZPO.

III.
Der Streitwert wird auf 250.000 EUR festgesetzt.