4b O 7/17 – Botulinumtoxin

Düsseldorfer Entscheidungsnummer: 2622

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 07. März 2017, Az. 4b O 7/17

I.
Der Antrag wird zurückgewiesen.

II.
Die Kosten des Verfahrens werden der Verfügungsklägerin auferlegt.

III.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Verfügungsklägerin nimmt die Verfügungsbeklagte wegen Verletzung des deutschen Teils des in englischer Sprache abgefassten europäischen Patents EP 1 658 XXX B2 (Anlage HE 1; nachfolgend: Verfügungspatent) auf Unterlassung, Auskunft und Herausgabe der verletzenden Gegenstände an den Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Verwahrung in Anspruch.

Die Verfügungsklägerin ist Inhaberin des Verfügungspatents, das am 15. Juli 1998 unter Inanspruchnahme der Priorität der US Schrift 52XXX P vom 15. Juli 1997 angemeldet wurde. Der Hinweis auf seine Erteilung erfolgt am 18. November 2011. Das Verfügungspatent steht nach rechtskräftiger Einspruchsentscheidung in Kraft.

Das Verfügungspatent betrifft die Verwendung von Botulinumtoxin zur Behandlung der renitenten Blasenentleerungsstörung. Der Anspruch, der von der Klägerin in diesem Rechtsstreit geltend gemacht wird, lautet in deutscher Übersetzung wie folgt:
Anspruch 1:
„Verwendung von Botulinumtoxin bei der Herstellung einer pharmazeutischen Zusammensetzung zur Behandlung einer hartnäckigen Entleerungsstörung, wobei die hartnäckige Entleerungsstörung Harninkontinenz ist, wobei die Zusammensetzung an der Blasenwand oder den Blasenhals des Patienten durch Injektion verabreicht wird.“
Die Verfügungsbeklagte ist als sog. Parallelimporteurin tätig. Sie importiert Arzneimittel aus Ländern mit niedrigerem Preisniveau nach Deutschland, unter anderem das Arzneimittel A der Verfügungsklägerin, das Botulinumtoxin vom Typ A zur Behandlung von Harninkontinenz enthält (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform).

Die Verfügungsbeklagte richtete am 19. September 2013 ein Notifizierungsschreiben an die B, C, Tochtergesellschaft der Verfügungsklägerin (Anlage AG 2), in dem sie den geplanten Parallelimport der angegriffenen Ausführungsform von D in die Bundesrepublik Deutschland ankündigte und ihre Ansicht kundtat, dass der Besondere Mechanismus vorliegend keine Anwendung findet. Das Schreiben ging der B, C am 20. September 2013 zu. Auf dieses Schreiben erhielt die Verfügungsbeklagte keine Reaktion.

Die Verfügungsbeklagte versandte weitere Parallelimportanzeigen für die angegriffene Ausführungsform an die Rechtsabteilung der B Ltd (Anlage AG 7) am 11. April 2014, zugegangen am 14. April 2014, sowie am 23. Mai 2014 (Anlage AG 8), zugegangen am 27. Mai 2014, auf die seitens der Verfügungsklägerin ebenfalls keine Reaktion erfolgte. Die deutsche Tochtergesellschaft der Verfügungsklägerin B GmbH informierte die Verfügungsbeklagte mit Schreiben vom 12. Mai 2014 betreffend die Vertriebsanzeige des Parallelimports des Produkts E darüber, dass die Bearbeitung von Vorabinformationen von Parallelimporten im Auftrag des Marken- bzw. Patentinhabers bei der Rechtsabteilung in F erfolge und gab deren Kontaktdaten an (vgl. Anlage HE 4, Anlage 1). Die gleiche Angabe erhielt ein Wettbewerber bereits im Dezember 2012, der den Parallelimport der angegriffenen Ausführungsform aus der G ankündigte (Anlage AG 9).

Die Verfügungsbeklagte begann im Juli 2014 mit dem Reimport der angegriffenen Ausführungsform von D nach Deutschland (Anlage AG 14).

Am 18. Dezember 2015 wandten sich die Prozessbevollmächtigten der Verfügungsklägerin in deren Namen an die Verfügungsbeklagte, teilten ihre Ansicht mit, dass nach ihrem Verständnis der Besondere Mechanismus auf den Reimport von D nach Deutschland keine Anwendung finde und baten um Bestätigung, dass die Verfügungsbeklagten von einem Parallelimport Abstand nehme (vgl. Anlage HE 14). Es folgte eine wechselseitige Korrespondenz zwischen der Verfügungsbeklagten und den Prozessbevollmächtigten bis April 2016 (vgl. Anlage HE 14).

Die Verfügungsklägerin hatte im Dezember 2015 Kenntnis von der arzneimittelrechtlichen Zulassung zugunsten der Verfügungsbeklagten für einen Reimport der angegriffenen Ausführungsform von D nach Deutschland. Über eine Auswertung von H Daten, die die Verfügungsklägerin aus Marketinggesichtspunkten durchführte, fiel der Verfügungsklägerin im weiteren Verlauf des Jahres ein genereller Anstieg von Parallelimporten auf. Im letzten Quartal 2016 gab die Verfügungsklägerin eine spezifische Studie in Auftrag, von deren Verfügbarkeit sie erst zu diesem Zeitpunkt Kenntnis erhielt – was zwischen den Parteien streitig ist – und die etwa 150 Apotheken umfasste, welche auf Parallelimporte achten und diese melden. Für die Durchführung dieser Studie entstand der Verfügungsklägerin ein Kostenaufwand im 6-stelligen Bereich. Derzeit hat die Verfügungsklägerin Kenntnis von elf Unternehmen, die Zulassungen für den Reimport von D nach Deutschland besitzen. Im Rahmen dieser Studie erlangte die Verfügungsklägerin am 13. Dezember 2016 erstmals gesicherte Kenntnis darüber, dass die angegriffene Ausführungsform im deutschen Markt verkauft wurde.

Mit Schreiben vom 10. Januar 2017 mahnte die Verfügungsklägerin die Verfügungsbeklagte wegen Patentverletzung erfolglos ab.

Die Verfügungsklägerin ist der Ansicht, auf den vorliegenden Fall finde der Besondere Mechanismus keine Anwendung. Es sei zum Zeitpunkt des Anmeldetags des Verfügungspatents kein entsprechender Schutz für Ansprüche der zweiten medizinischen Indikation zu erlangen gewesen. Patentschutz für Ansprüche der zweiten medizinischen Indikation seien im D Patentrecht erstmals mit dem Gesetz zum gewerblichen Rechtsschutz vom 30. Juni 2000 eingeführt worden, das am 22. August 2001 in Kraft getreten sei. In diesem Zusammenhang sei auf eine ex-ante Sicht des Patentinhabers abzustellen. Es hätten keine Umstände vorgelegen, die eine Erwartungshaltung der Verfügungsklägerin hätten begründen können, dass das D Patentamt bereits vor der Gesetzesänderung Patente mit sog. swiss-type-claims bzw. Verwendungspatente erteile.

Ferner bestehe auch ein Verfügungsgrund. Insbesondere treffe die Verfügungsklägerin weder eine allgemeine Marktbeobachtungspflicht noch habe es in der Vergangenheit ausreichend Anzeichen gegeben, die eine Erstbegehungsgefahr begründet hätten. Daher sei die Dringlichkeit gewahrt. Insbesondere gingen mit der Listung in der Lauer-Taxe keinerlei Informationen zu den Herkunftsländern einher. Seit positiver Kenntnis des Vertriebs der angegriffenen Ausführungsform auf dem deutschen Markt habe sich die Verfügungsklägerin nicht zögerlich verhalten.
Die Verfügungsklägerin beantragt,

I.
der Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen Verfügung zu untersagen, in D erstmals in Verkehr gebrachtes Botulinumtoxin zur Verwendung bei der Herstellung einer pharmazeutischen Zusammensetzung zur Behandlung einer hartnäckigen Entleerungsstörung, wobei die hartnäckige Entleerungsstörung Harninkontinenz ist, wobei die Zusammensetzung an die Blasenwand oder den Blasenhals des Patienten durch Injektion verabreicht wird, in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen;

II.
der Verfügungsbeklagten für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen das gerichtliche Verbot als Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ein Ordnungsgeld bis zu 250.000,00 Euro – ersatzweise Ordnungshaft – oder eine Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Fall wiederholten Zuwiderhandelns bis zu insgesamt zwei Jahren, zu vollstrecken an ihrem gesetzlichen Vertretungsberechtigten, anzudrohen;

III.
der Verfügungsbeklagten aufzugeben, darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die in Ziffer I. bezeichneten Handlungen seit dem 9. April 2014 begangen hat, und zwar unter Angabe von:

– Namen und Anschriften der Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
– Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren, und
– Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,

wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Einkaufs- und Verkaufsbelege (Rechnungen hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;

IV.
der Verfügungsbeklagten aufzugeben, die im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder ihrem Eigentum stehenden, unter Ziffer I. bezeichneten Erzeugnisse an einen von der Antragstellerin zu bestimmenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der vorläufigen Verwahrung herauszugeben, die andauert, bis über das Bestehen eines Anspruchs der Verfügungsklägerin auf Vernichtung der genannten Erzeugnisse eine einvernehmliche Einigung der Parteien herbeigeführt oder eine rechtskräftige Entscheidung ergangen ist;

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung vom 25. Januar 2017 zurückzuweisen.
Die Verfügungsbeklagte ist der Ansicht, es liege bereits kein Verfügungsanspruch vor, weil sich die Verfügungsbeklagte erfolgreich auf den Grundsatz der Erschöpfung berufen könne. Der Besondere Mechanismus greife aus mehreren Gründen nicht. Am 15. Juli 1998 sei ein dem Verfügungspatent entsprechender Schutz in D zu erlangen gewesen. Die PCT-Anmeldung WO99/03XXX, auf der das Verfügungspatent basiert, sei auch für D eingereicht worden und wäre erst im Januar 2000 in die nationale Phase übergangen. Zu dem Zeitpunkt sei seit langem Patentschutz für Second-Medical-Use-Patente erteilt worden. Insofern sei auf den abstrakten Erzeugnisschutz abzustellen. Darüber hinaus sei es aufgrund der Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast Sache der Verfügungsklägerin, positiv festzustellen, dass entsprechender Schutz nicht zu erlangen war. Dies sei ihr nicht gelungen.

Ferner fehle es an einem Verfügungsgrund. Die Verfügungsklägerin habe sich angesichts der zwischen den Parteien geführten Vorkorrespondenz nach positiver Kenntnis der Einfuhr der angegriffenen Ausführungsform zögerlich verhalten. Die Abmahnung hätte schneller versandt werden können. Die nochmalige Verzögerung von zwei Wochen zur Einholung eines Rechtsgutachtens sei nicht gerechtfertigt, da die Verfügungsklägerin bereits seit März 2016 über entsprechende Informationen und Stellungnahmen in D verfügt habe, wie sie selbst im Schreiben vom 4. März 2016 mitgeteilt habe. Auf etwaige Nachforschungen über die Vertriebsanzeigen aus dem Jahre 2014 sei es nicht angekommen.

Außerdem müsse sich die Verfügungsklägerin die Kenntnis ihrer Tochtergesellschaft B C als ihre Lizenznehmerin seit dem 20. September 2013 zurechnen lassen. Auch müsse sich die Verfügungsklägerin das Wissen der B Ltd. zurechnen lassen, deren Rechtsabteilung zentral mit der Bearbeitung von Parallelimportanzeigen betraut gewesen sei. Etwaige Konzernversäumnisse, die in der mangelnden Weiterleitung der Notifizierungsschreiben lägen, könnten nicht der Verfügungsbeklagten angelastet werden. Jedenfalls habe die Verfügungsklägerin seit Dezember 2015 Kenntnis gehabt, da sie durch ihre Prozessbevollmächtigten mitteilen ließ, dass ihr bekannt sei, dass die Verfügungsbeklagte den Parallelimport der angegriffenen Ausführungsform beabsichtigte.

Hinzu komme, dass bereits vier Listungen in der Lauer-Taxe vorhanden gewesen seien, wobei die vierte Listung zum 15. Dezember 2015 in die Liste aufgenommen wurde. So gehöre es zur allgemeinen Praxis im Pharmabereich, regelmäßig über die Listungen der Konkurrenzprodukte informiert zu sein und den Markt strategisch zu beobachten. Außerdem sei eine Marktzulassung für D bereits im April 2014 erfolgt. Aufwand und Kosten der Zulassungsverfahren seien hoch und die Verfahren selbst langwierig, so dass die Marktzulassung von den Unternehmen nur bei ernsthaften Vertriebsabsichten angestrengt würden. Die genannten Umstände begründeten in ihrer Gesamtschau eine Erstbegehungsgefahr. Jedenfalls stellten diese Umstände greifbare Hinweise dar, aufgrund derer es der Verfügungsklägerin ohne erheblichen Aufwand möglich gewesen wäre, sich Gewissheit zu verschaffen.

Es sei zudem nicht ersichtlich, dass die angeblich von der Klägerin Ende Dezember 2016 beauftragte Studie nicht schon eher hätte beauftragt werden können. Es handele sich um Studien, wie sie wohl allgemein von Anbietern von Daten auf dem Gesundheitsmarkt angeboten werden. Die Klägerin hätte überdies ohne Weiteres Testkäufe bei Apotheken vornehmen können. Aufgrund der jahrelangen Korrespondenz habe es nahe gelegen, die eigenen Handelspartner oder Apotheken zu fragen, inwiefern Waren aus Parallelimporten ins Programm aufgenommen worden seien. Ebenso wäre eine Anfrage an Großhändler kein großer Aufwand gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und auf die zu den Akten gereichten Unterlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2017 Bezug genommen. Das Verfahren ist zur gemeinsamen Verhandlung mit dem Verfahren 4b O 8/17 verbunden worden. Die Akten des Verfahrens 4b O 8/17 sind beigezogen worden.

Entscheidungsgründe

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig (I.), jedoch unbegründet (II.- IV.). Der Verfügungsklägerin ist es nicht gelungen einen Verfügungsanspruch glaubhaft zu machen, §§ 935, 940 ZPO i.V.m. §§ 139 Abs. 1, 140a Abs. 1, 140b PatG i.V.m. Art. 64 EPÜ i.V.m. dem Besonderen Mechanismus gemäß Anhang IV des Abschnitt 2, Liste nach Artikel 22 der Beitrittsakte des Beitrittsvertrags vom 16. April 2003. Zwar verletzt die Verfügungsbeklagte unstreitig das Verfügungspatent, die Kammer kann indes mit den in diesem Verfahren in Betracht kommenden Glaubhaftmachungsmitteln nicht feststellen, dass sich die Verfügungsklägerin gegenüber dem Erschöpfungseinwand der Verfügungsbeklagten mit Erfolg auf die Ausnahme des Besonderen Mechanismus (für die Länder I, J, K, L, M, D, N, G) berufen kann.
I.

Die Verfügungsklägerin ist parteifähig. Zwar ist die Klägerin mit der O, plc, einer irischen Gesellschaft, verschmolzen worden. Jedoch hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung durch Vorlage eines Auszugs aus dem Gesellschaftsvertrag als Teil des Formular 8-K/A, das bei der U.S. Securities and Exchange Commission (nachfolgend: SEC) (Anlage HE 22) eingereicht wurde, substantiiert vorgetragen, dass sie weiter als Rechtspersönlichkeit existiert. So ergibt sich aus dem Absatz „Item. 1.01“ des bei der SEC eingereichten Reports, dass am 16. November 2014 die O plc, eine gemäß irischem Recht errichtete Gesellschaft (Parent), einen Verschmelzungsvertrag und -plan mit der P Inc, einer Delaware Gesellschaft (Merger Sub), bei der es sich um eine indirekte vollständig gehaltene Tochtergesellschaft der Parent handelt, sowie mit der Klägerin (Company) geschlossen hat. Gemäß Abschnitt 1.1 des Verschmelzungsvertrages wird die Merger Sub mit der Company verschmolzen, worauf hin die Merger Sub aufhört, separat zu existieren und die Company als übernehmende Gesellschaft fortbesteht. Sofort im Anschluss an den Merger wird die Company eine vollständig gehaltene indirekte Tochter der Parent. Insofern ist die Klägerin eine fortbestehende Tochtergesellschaft der O, plc, die weiterhin rechtsfähig und somit auch parteifähig ist. Daran ändert auch nichts, dass der Eintrag „good standing“ im ebenfalls in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Auszug aus dem Gesellschaftsregister des US-Bundesstaat Delaware (Anlage HE 21) vom 27. Oktober 2015 stammt. So ergibt sich hieraus ebenfalls, dass der letzte Jahresbericht im Jahr 2016 eingereicht wurde. Sonstige Anhaltspunkte, die auf eine Löschung der Gesellschaft hindeuten könnten, sind dem Dokument nicht zu entnehmen.
II.

Die Klägerin ist ferner aktiv legitimiert. Sie steht als Inhaberin des Verfügungspatents im Register und ist daher berechtigt, die Rechte aus dem Verfügungspatent geltend zu machen.
III.

Das Verfügungspatent betrifft die Verwendung von Botulinumtoxin zur Behandlung von der renitenten Blasentleerungsstörung.

Das Verfügungspatent erläutert, dass viele medizinische Zustände in der Urologie ihre Ursache in einer spastischen Dysfunktion der sakralen Reflexbögen haben. Im Alterungsprozess von Männern kann es zu Prostatavergrößerungen (BPH) kommen, die zu Harnröhrenobstruktion und Miktionsstörung führen.

Das Verfügungspatent führt aus, dass nach neueren Erkenntnissen, die Prostata aus mehreren morphologisch unterschiedlichen Zonen bestehe. Die Mehrheit des Drüsenvolumens bestehe aus der Peripheriezone. Das übrige Drüsenvolumen teile sich auf in die Zentralzone (ca. 20 bis 25%), die Übergangszone (ca. 10%) und die periurethale Drüsen-Zone (ca. 1 %). So entwickele sich BPH in der Übergangszone und in der die Harnröhre umgebenden Drüsenzone.

Nach dem Verfügungspatent kann BPH mit erhöhten Mengen an Stroma relativ zu Epithel in Verbindung gebracht werden. Ein wesentlicher Anteil des Stromas ist glatter Muskel, der unter Kontrolle des Sympathikus ist. Die Kontraktionseigenschaften dieses glatten Muskels könnten laut dem Verfügungspatent die dynamische Komponente der Blockierung bei BPH erklären. Zusätzlich hierzu ist die Prostata stark mit Nerven durchzogen.

Die anatomischen Studien der Nervenfasertypen in der Prostata verbunden mit anderen Studien der Innervation von Prostatastroma führten zu einer Verwendung von Alphablockern bei der Behandlung von BPH.

Weiter habe es Hinweise gegeben, dass experimentell induzierte Veränderungen in neurologische Einflüsse im Sakral, Rückenmark, der Blase oder der Harnröhre durch mechanische, elektrochemische oder thermische (Mikrowellen, Laser) Methoden erzeugt werden könnten, um irritatives Verhalten zu ändern. Jedoch seien keine Versuche bekannt geworden, für therapeutische Anwendungen Neurotoxine zu nutzen.

Ein chirurgischer Eingriff als Behandlung der Wahl scheint die grundlegenden Mechanismen, die zu BPH führen, nicht zu beeinflussen , wie der fehlerhafte neurologische Einfluss (Steuermechanismus) auf die Integrität des unteren Harntraktes. Die Notwendigkeit wiederholter Operationen, die Morbidität und Mortalität im Zusammenhang mit TURP und die Kosten der Chirurgie hätten zur Entwicklung einiger nicht-chirurgischer Ansätze wie androgene Ablation sowie die Verwendung von Alphablockern geführt, aber nur wenige medizinische oder chirurgische Behandlungen hätten eine Wiederherstellung des Hohlraumverhaltens in den Normalzustand erreicht (Fließrate von ungefähr 22cc/ssec und Hohlvolumen von ungefähr 400cc).

Vor diesem Hintergrund stellt sich das Verfügungspatent die Aufgabe, sichere, kostengünstige, ambulante Verfahren zur Prävention und Behandlung von urologisch-neurologischen dysfunktionalen Zuständen zu schaffen, wie z.B. die Prostatavergrößerung. Andere Aufgaben der verfügungspatentgemäßen Erfindung sind für den Durchschnittsfachmann leicht ersichtlich.

Diese Aufgabe löst das Verfügungspatent mit einer Verwendung, die folgende Merkmale aufweist:

1.
Verwendung von Botulinumtoxin bei der Herstellung einer pharmazeutischen Zusammensetzung zur Behandlung einer hartnäckigen Entleerungsstörung.
2.
Die hartnäckige Entleerungsstörung ist Harninkontinenz.
3.
Die Zusammensetzung wird an die Blasenwand oder den Blasenhals des Patienten durch Injektion verabreicht.

IV.

Das Inverkehrbringen der angegriffenen Ausführungsform in Deutschland ist im Hinblick auf den Ausfuhrstaat D unstreitig. Die Verfügungsbeklagte hat unwidersprochen vorgetragen, dass sie seit Juli 2014 die angegriffene Ausführungsform nach Deutschland importiert (vgl. Anlage AG 14). Die Verfügungsbeklagte beruft sich mit Erfolg auf den Einwand der Erschöpfung, da die Verfügungsklägerin die angegriffene Ausführungsform unstreitig selbst in D und in der EU in Verkehr gebracht hat. Die Verfügungsklägerin kann den Reimport der angegriffenen Ausführungsform von D nach Deutschland hingegen nicht unter Berufung auf den Besonderen Mechanismus verhindern. Denn im Streitfall lässt sich nicht mit der für den Erlass einer einstweiligen Verfügung notwendigen Sicherheit feststellen, ob die Voraussetzungen des Besonderen Mechanismus vorliegen.

1)
Die Regelungen des Besonderen Mechanismus in der Beitrittsakte der Staaten I, J, K, L, M, D, N und G lauten wie folgt (Unterstreichungen hinzugefügt):

„BESONDERER MECHANISMUS

Im Fall der I, Js, Ks, Ls, Ms, Ds, Ns oder der G kann sich der Inhaber eines Patents oder eines Ergänzenden Schutzzertifikats für ein Arzneimittel, das in einem Mitgliedstaat zu einem Zeitpunkt beantragt wurde, als ein entsprechender Schutz für das Erzeugnis in einem der vorstehenden neuen Mitgliedstaaten nicht erlangt werden konnte, oder der vom Inhaber Begünstigte auf die durch das Patent oder das Ergänzende Schutzzertifikat eingeräumten Rechte berufen, um zu verhindern, dass das Erzeugnis in Mitgliedstaaten, in denen das betreffende Erzeugnis durch ein Patent oder Ergänzendes Schutzzertifikat geschützt ist, eingeführt und dort in den Verkehr gebracht wird; dies gilt auch dann, wenn das Erzeugnis in jenem neuen Mitgliedstaat erstmalig von ihm oder mit seiner Einwilligung in den Verkehr gebracht wurde.

Jede Person, die ein Arzneimittel im Sinne des vorstehenden Absatzes in einen Mitgliedstaat einzuführen oder dort zu vermarkten beabsichtigt, in dem das Arzneimittel Patentschutz oder den Ergänzenden Schutz genießt, hat den zuständigen Behörden in dem die Einfuhr betreffenden Antrag nachzuweisen, dass der Schutzrechtsinhaber oder der von ihm Begünstigte einen Monat zuvor darüber unterrichtet worden ist.“

Der Besondere Mechanismus sieht vor,

– dass sich der Inhaber eines Patents oder eines Ergänzenden Schutzzertifikats für ein Arzneimittel

– auf die Verbietungsrechte aus seinem in einem „alten“ (traditionellen) EU-Mitgliedstaat bestehenden Patent oder Schutzzertifikat berufen kann, um zu verhindern, dass das patentgeschützte Erzeugnis in das Schutzterritorium seines Patents/Zertifikats eingeführt oder dort in Verkehr gebracht wird, und zwar auch dann, wenn das Erzeugnis erstmalig von ihm (dem Patent- bzw. Zertifikatinhaber) oder mit seiner Einwilligung (folglich tatbestandlich erschöpfungsrelevant) im Ausfuhrmitgliedstaat in Verkehr gebracht wurde,

– wenn das die Verbietungsrechte vermittelnde Patent oder Schutzzertifikat zu einem Zeitpunkt beantragt wurde, als ein entsprechender Schutz für das patentgeschützte Erzeugnis in dem neuen EU-Mitgliedstaat (Ausfuhrstaat) nicht erlangt werden konnte.

Der Besondere Mechanismus stellt eine übergangsweise primärrechtliche Ausnahme vom Erschöpfungsprinzip dar. Er wurde eingeführt, da sich der europäische Gesetzgeber veranlasst sah, Benachteiligungen der Schutzrechtsinhaber auszugleichen, da in den neuen EU-Mitgliedstaaten mangels Patentierbarkeit von Arzneimittelstoffen als solchen kein dem westeuropäischen Standard entsprechendes Patentrecht bestand. Der Besondere Mechanismus soll übergangsweise den Zustand in Hinblick auf arzneimittelrechtlichen Patentschutz aufrechterhalten, wie er vor der EU-Erweiterung bestand: Vor der Erweiterung konnte in diesen Ländern kein Stoffschutz für Arzneimittelwirkstoffe erlangt werden, der Patentinhaber konnte aber dem Parallelimport der Arzneimittel, die er selbst in diesen Nicht-EU-Mitgliedstaaten in Verkehr gebracht hatte, sein in den (alten) EU-Mitgliedstaaten geltendes Patent entgegenhalten. Das Erschöpfungsprinzip galt nicht, weil der Patentinhaber die Produkte nicht in der Gemeinschaft in Verkehr gebracht hatte. Er war vor nachteiligen Einflüssen auf sein Geschäft in den (alten) EU-Mitgliedstaaten durch Parallelimporte aus den osteuropäischen Staaten mit erheblich niedrigerem Preisniveau geschützt. Die dem Patentinhaber durch das Patentrecht und den ergänzenden Zertifikatsschutz zuerkannte Möglichkeit, für seine Investitions- und Forschungskosten eine angemessene Amortisation (in den Märkten der betroffenen alten EU-Mitgliedstaaten) zu erlangen, war gesichert. Diese Situation sollte durch den Besonderen Mechanismus für eine Übergangszeit aufrechterhalten bleiben. Der Besondere Mechanismus sichert damit tatsächlich den vor dem Beitritt der neuen EU-Mitgliedstaaten bestehenden status quo. Es werden nicht neue Rechte eingeräumt, sondern der Parallelimporteur profitiert nur für eine Übergangszeit nicht vom Effekt der EU-Erweiterung (vgl. LG Düsseldorf, BeckRS 2014, 17689).

2)
Sofern die Beitrittsregelung von „entsprechendem Schutz für das Erzeugnis“ spricht, ist darunter zu verstehen, dass im Ausfuhrmitgliedstaat für das konkret fragliche Erzeugnis ein vergleichbarer Erzeugnisschutz wie im Inland bestehen musste (vgl. für den Besonderen Mechanismus, LG Düsseldorf, BeckRS 2014, 17689; Kühnen in FS 200 Jahre Carl Heymanns Verlag, S. 373, 378 f.). Vergleichsmaßstab ist das Verfügungspatent. Der Inhaber muss für sein Arzneimittel im Beitrittsgebiet ein Schutzrecht mit gleichem Schutzniveau erhalten haben können, also ein Patent gleicher Patentkategorie (Kühnen in FS 200 Jahre Carl Heymanns Verlag, S. 373, 378 f.). Im vorliegenden Fall ist Voraussetzung, dass die Verfügungsklägerin ein Verwendungspatent auf die zweite medizinische Indikation in D erhalten konnte bzw. ein Patent, dass in Form des sog. Schweizer Anspruchs (Herstellungsverwendungsanspruch) formuliert ist. Hierbei kommt es darauf an, ob eine generelle Erteilungsmöglichkeit bestand (vgl. Kühnen in FS 200 Jahre Carl Heymanns Verlag, S. 373, 379). Maßgeblich ist der Anmeldezeitpunkt des Verfügungspatents. Nach dem eindeutigen Wortlaut des Besonderen Mechanismus ist allein entscheidend, ob zum Zeitpunkt der Anmeldung des inländischen Verfügungspatents im Ausfuhrstaat D Patentschutz für das fragliche Erzeugnis erlangt werden konnte. Der Besondere Mechanismus findet dann Anwendung, wenn kein entsprechender Schutz erlangt werden konnte. Die Tatsache, dass ein entsprechender Patentschutz im Ausfuhrstaat zu einem späteren Zeitpunkt hätte erlangt werden können oder erlangt wurde, ist hingegen ohne Bedeutung (vgl. OLG Düsseldorf, BeckRS 2016, 03691 m.w.N.).

Die Regelung des Besonderen Mechanismus definiert in diesem Zusammenhang nicht näher, was sie unter entsprechendem Schutz versteht und ist insofern auslegungsbedürftig. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Besondere Mechanismus, der ausdrücklich vom Erschöpfungsgrundsatz abweicht und damit eine Bestimmung in einer Beitrittsakte darstellt, die eine Ausnahme oder Abweichung von Vorschriften der Verträge erlaubt, unter Berücksichtigung der betreffenden Vertragsbestimmungen eng auszulegen und auf das zur Erreichung seines Ziels unbedingt Erforderliche zu beschränken (vgl. EuGH, GRUR Int. 2015, 359 – Merck Canada und Merck Sharp & Dohme; EuGH, Urteil vom 5.12.1996, C-267/95 und C-268/95 – Merck/Primecrown). Ausgehend von einer solchen grundsätzlich engen Auslegung kann nur dann davon ausgegangen werden, dass entsprechender Schutz nicht erlangt werden konnte, wenn die gesetzlichen Regelungen im Beitrittsstaat die Gewährung eines Swiss-Type-Claims ausschlossen oder – sofern solche Regelungen nicht bestanden – jedenfalls eine gefestigte Rechtsprechung oder Behördenpraxis bestand, nach der die Gewährung eines Swiss-Type-Claims nicht zu erwarten war.
3)
Das vorstehende Verständnis des Besonderen Mechanismus korrespondiert mit der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast. Nach den allgemeinen prozessualen Grundsätzen trägt der Anspruchsteller die Beweislast für die rechtsbegründenden, der Anspruchsgegner trägt sie für die rechtsvernichtenden, rechtshindernden und rechtshemmenden Tatbestandsmerkmale; soweit den rechtsvernichtenden wiederum vernichtungshindernde (rechtserhaltende) Tatsachen gegenübertreten, liegt die Beweislast wieder auf der Seite des Anspruchstellers (Zöller/Greger, ZPO 31. Aufl.: vor § 284 Rn 17a m.w.N.). Im Streitfall beruft sich die Verfügungsklägerin zur Begründung ihres Anspruchs auf das Eingreifen des Besonderen Mechanismus, um damit dem Einwand der Erschöpfung der Verfügungsbeklagten zu begegnen. Die Verfügungsklägerin ist demnach für den Umstand, dass die Erteilung eines Patents für die zweite medizinische Indikation in D nicht möglich war, darlegungsbelastet und hat die entsprechenden Glaubhaftmachungsmittel beizubringen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob ein dem Verfügungspatent entsprechender Schutz in D nicht erhältlich war, ist der Zeitpunkt der Anmeldung des Verfügungspatents am 15. Juli 1998. Dies ist der Verfügungsklägerin nicht gelungen zu zeigen.

Der Kammer liegen hinsichtlich der Frage, ob am 15. Juli 1998 ein Patent für die zweite medizinische Indikation in Form des Schweizer Anspruchs in D erteilt wurde, drei Gutachten zum D Recht von zwei Parteigutachtern vor (Anlagen HE 11, 11a, 18, 18a; Anlage AG 1, 1a). Beide Gutachter gehen weitgehend von identischen rechtlichen Grundlagen des D Rechts aus, kommen aber zu einer abweichenden Bewertung der Rechtslage. Das Gutachten vom 23. Januar 2017 (Anlage HE 11a) des klägerischen Parteigutachters Q sowie sein Ergänzungsgutachten vom 13. Februar 2017 (Anlage HE 18a) kommen zu dem Ergebnis, dass kein entsprechender Schutz zu erlangen war. Der Parteigutachter der Verfügungsbeklagten R ist demgegenüber der Ansicht, dass es im Anmeldetag des Verfügungspatents möglich gewesen sei, in D entsprechenden Patentschutz zu erlangen (vgl. Anlage AG 1a, S. 6).

Unzweifelhaft war am 15. Juli 1998 in D das Gesetz über das Erfindungswesen vom 19. Oktober 1972, das mit Gesetz vom 15. Januar 1993 novelliert wurde, in Kraft. Es ist nicht ersichtlich, dass sich dieses Gesetz in irgendeiner Weise dazu verhält, ob Patentansprüche allgemein auf die Verwendung von Stoffen oder speziell auf die zweite medizinische Indikation, etwa in der Form von Swiss-Type-Claims, erteilungsfähig waren oder nicht. Vielmehr sah das Gesetz anders als in der zuvor geltenden Fassung vom 19. Oktober 1972 kein wörtliches Verbot der Erteilung von Patenten für pharmazeutische Erzeugnisse und chemische Stoffe mehr vor, der entsprechende Art. 12 Abs. 2 wurde gestrichen (vgl. Anlage AG 1a, S. 1).

Es ist auch nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass es eine Behördenpraxis gab, die das Gesetz über das Erfindungswesen am 15. Juli 1998 dahingehend auslegte, dass Verwendungspatente oder Swiss-Type-Claims nicht erteilungsfähig seien. Dazu verhalten sich die von den Parteien vorgelegten Gutachten nicht.

Beide Gutachter stimmen weiterhin darin überein, dass in D jedenfalls nach dem 15. Juli 1998 unter der Geltung des weiterhin unverändert fortbestehenden Gesetzes über das Erfindungswesen vier Patente erteilt wurden, die die bestimmte Verwendung eines Erzeugnisses in der Form eines EPÜ-2000-Anspruchs (Odw. 14XX/97; Odw. 10XX/98 und Odw. 16XX/98) bzw. die Verwendung zur Herstellung eines Erzeugnisses im Schweizer Format (Patent PL 180000) zum Gegenstand hatten. Die ersten zwei Patente PL 177XXX und PL 177XXX wurden von der Beschwerdekammer des D Patentamts am 21. Oktober 1998 und das dritte Patent PL 181XXX am 3. März 2000 erteilt (vgl. Anlage HE 11a, S. 7; Anlage AG 1a, S. 3). Das Erteilungsdatum des vierten Patents PL 18XXX, das anscheinend bereits durch die Prüfungsinstanz erteilt wurde, bleibt in den Gutachten offen. Es wurde jedoch unzweifelhaft zu einem Zeitpunkt erteilt, als noch das am 15. Juli 1998 D Gesetz über das Erfindungswesen galt. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass bereits im Juli 2000 in einer Veröffentlichung von R über das Patent berichtet wurde (Anlage HE 13).

Vor dem Hintergrund ist festzuhalten, dass die am 15. Juli 1998 in D geltende Gesetzeslage jedenfalls nicht der Erteilung von Verwendungsansprüchen oder Swiss-Type-Claims entgegenstand, da zwar nach diesem Zeitpunkt, aber noch unter der Geltung des gleichen Gesetzes über das Erfindungswesen, entsprechende Patente erteilt wurden. Auf welcher Grundlage der klägerische Parteigutachter in seinen Gutachten zu dem Ergebnis kommt, vor der Erteilung der zuvor genannten Verwendungspatente sei in D kein entsprechender Schutz erhältlich gewesen, erschließt sich nicht. Dass es eine entsprechende gefestigte Behördenpraxis oder Rechtsprechung gab, die der Erteilung von Verwendungspatenten entgegenstand, ist nicht ersichtlich.

Soweit der klägerischer Parteigutachter Q darauf abstellt, dass die Patente – insbesondere das PL 177XXX und das PL 177XXX – nach dem 15. Juli 1998 erteilt wurden und insofern keine Relevanz entfalten (vgl. Anlage HE 18a, S. 4), führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Denn nach der eingangs dargestellten Verteilung der Darlegungs- und Beweislast hat die Verfügungsklägerin zu zeigen, dass kein entsprechender Schutz erhältlich war. Allein der Umstand, dass dem Parteigutachter keine Entscheidung zu einer Erteilung von Verwendungspatenten bekannt ist, die vor dem Anmeldetag des Verfügungspatents datiert (vgl. Anlage HE 18a, S. 4), schließt nicht aus, dass solcher Schutz gleichwohl möglich war. Vielmehr deutet die von den Parteigutachtern geschilderte D Gesetzeslage und die darauf basierende Erteilungspraxis darauf hin, dass entsprechender Schutz im Sinne des Besonderen Mechanismus nicht ausgeschlossen war.

Der Parteigutachter R sieht dementsprechend die Patenterteilungen als Beleg einer Entwicklung der Erteilungspraxis in D, nach der die Patentierbarkeit von Ansprüchen für Erzeugnisse mit einer spezifischen Zweckbestimmung insbesondere Arzneimittel, die einen bekannten Wirkstoff enthalten, der für eine neue medizinische Indikation bestimmt war, beim D Patentamt keinerlei Zweifel aufgeworfen hat (vgl. Anlage AG 1a, S. 3). So habe das D Patentamt in den späten 90er Jahren eine allmähliche Entwicklung durchlaufen, die zur Anerkennung der Schweizer Anspruchsfassung führte. Nach Erinnerung des Parteigutachters R haben Experten des D Patentamts bei einer Beratungsrunde mit Patentanwälten erläutert, dass eine Anspruchsformulierung in der Fassung eines sogenannten Schweizer Anspruchs an geeignetsten erscheine, da sie den Umfang des Monopols lediglich auf das Gebiet des Wettbewerbs zwischen den Arzneimittelherstellern begrenze und das Aktionsgebiet der Arzneimittelnutzer dem Bereich des Patentmonopols ganz entziehe (vgl. Anlage AG 1a, S. 4).

Vor diesem Hintergrund spricht nach Ansicht der Kammer keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass es vor dem 15. Juli 1998 nicht möglich war, Verwendungspatente in Form des Schweizer Anspruches in D zu erlangen. Die Kammer kann anhand des vorliegenden Sachverhalts nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen, dass auch bereits unter der früheren seit Januar 1993 bestehenden Gesetzesfassung entsprechende Patente erteilt wurden.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass erstmals mit dem Gesetz zum Gewerblichen Rechtsschutz vom 30. Juni 2000 eine explizite gesetzliche Regelung in D eingeführt wurde, die die Erteilung eines Patents auf eine Erfindung betreffend eine neue Verwendung eines Stoffes aus dem Stand der Technik oder die Verwendung eines solchen Stoffes zum Zwecke der Erlangung eines Erzeugnisses für eine neue Verwendung vorsah. Das Gesetz trat am 22. August 2001 in Kraft (Anlage HE 11a, S. 3; Anlage AG 1, S. 1). Das bereits unter der Geltung des früheren Gesetzes Patente für Ansprüche der zweiten medizinischen Indikation erteilt wurden, wird dadurch nicht in Frage gestellt.

Sofern die Verfügungsklägerin entgegenhält, die Gesetzesbegründung zum Gesetz vom 30. Juni 2000 spreche gegen eine mögliche Erteilung von Verwendungspatenten, weil das Gesetz zum Gewerblichen Rechtsschutz den Patentschutz für Ansprüche der zweiten medizinischen Indikation in das D Patentgesetz eingeführt habe (vgl. Anlage HE 18a, S. 2), vermag die Kammer dem nicht beizutreten. Abgesehen davon, dass sich in der im Gutachten zitierten Stelle der Gesetzesbegründung der Begriff „Einführung“ nicht wörtlich findet, spricht eine Einführung in das Gesetz nicht gegen eine vorherige Behördenpraxis, die die bestehende gesetzliche Regelung als weit genug angesehen hat, um Schweizer Ansprüche zu erteilen. Die zuvor erteilten Patente auf Verwendungen sind dafür ein Beleg. Der Gesetzesbegründung kommt daher allenfalls eine Indizwirkung zu. Diese entfaltet angesichts der Möglichkeit, dass der Gesetzgeber in einer Gesetzesänderung eine Rechtspraxis abbilden bzw. klarstellen kann, nur geringe Überzeugungskraft. Die Kammer vermag auch keinen vermeintlichen Widerspruch zwischen dem Gutachten des Parteigutachters R und seinen Ausführungen in seinem Aufsatz „Patentability of the biotechnological inventions in D“ vom Juli 2000 (Anlage HE 13) erkennen. Abgesehen davon, dass der Aufsatz nicht übersetzt wurde, vermag der Satz „Until now the use claims have been recognised as not patentable. But recently we may observe some new trends […]“ nicht ohne Weiteres ein Beleg dafür sein, dass es im Juli 1998 keine Möglichkeit gab, ein Verwendungspatent erteilt zu bekommen. Die Kammer verkennt nicht, dass die im Jahr 2000 niedergeschriebene Ansicht eine objektive Aussage zum damaligen Zeitpunkt darstellt. Jedoch ergibt sich auch hier Interpretationsspielraum, der nicht mit der im Verfügungsverfahren notwendigen Sicherheit zu füllen ist. So basiert die Aussage „have been recognised“ (wurden verstanden/anerkannt) bereits auf einer subjektiven Einschätzung des Autors. Die Bezugnahme „recently […] new trends“ steht im Zusammenhang mit dem neuen Gesetz, sagt aber nichts darüber aus, ob bereits vorher eine entgegenstehende Erteilungspraxis bestand. Auch wird nicht hinreichend deutlich, auf welchen genauen Zeitraum sich „recently“ (kürzlich/unlängst) bezieht. Darüber hinaus lässt sich dem Umstand, dass die öffentlich bekannt gewordenen Erteilungen wohl überwiegend nach langen Beschwerdeentscheidungen – also nach Rechtsmittelverfahren – ergingen, weder ein eindeutiges Argument für noch gegen die Möglichkeit der Erteilung entnehmen. Die Beschwerdeentscheidungen sind im Wortlaut nicht bekannt, so dass über die Gründe nur spekuliert werden kann. So kann die mangelnde Erteilung in der Prüfungsinstanz auch an einer neuheitsschädlichen Entgegenhaltung gescheitert sein, die die Beschwerdekammer anders bewertet hat. Indiziell kann in jedem Fall berücksichtigt werden, dass die unter der Geltung des Gesetzes über das Erfindungswesen erteilten Verwendungspatente bereits 1993 und 1994 angemeldet wurden. Insofern hat bei den Anmeldern offenbar die Erwartung bestanden, Schutz für die Verwendung vorbekannter Stoffe erhalten zu können.

Alles in allem steht die Kammer vor der Situation, dass sie das in den Gutachten skizzierte Bild der D Rechtslage nicht eindeutig beurteilen kann. Unter den vorliegenden Umständen wäre sie in einem Hauptsacheverfahren gehalten, ein Sachverständigengutachten zum D Recht und der Möglichkeit, Patente auf eine zweite medizinische Indikation zu erlangen, einzuholen. Denn bei keinem der beiden Parteigutachten treten offensichtliche Fehler, Ungereimtheiten oder sonstige Anhaltspunkte zu Tage, aufgrund derer die Kammer zu einer eindeutigen Entscheidung zugunsten des einen oder anderen Ergebnisses gelangen könnte. Vielmehr kann aufgrund der vorgenannten Gründe derzeit nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass im Anmeldezeitpunkt des Verfügungspatents entsprechender Schutz in D nicht erhältlich war. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens ist der Kammer jedoch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes verwehrt. In seinem solchen Fall ist angesichts der sonst drohenden Vorwegnahme der Hauptsache der Verfügungsanspruch abzulehnen.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Oberlandesgericht Düsseldorf (vgl. InstGE 9, 140 – Olanzapin; InstGE 12, 114 – Harnkatheterset), dass der Erlass einer einstweiligen Verfügung, insbesondere auf Unterlassung, nur in Betracht kommt, wenn sowohl die Frage der Patentverletzung als auch der Bestand des Verfügungspatentes im Ergebnis so eindeutig zugunsten der Verfügungsklägerin zu beantworten sind, dass eine fehlerhafte, in einem der nachfolgenden Hauptsacheverfahren zu revidierende Entscheidung nicht ernstlich zu erwarten ist (ebenso OLG Karlsruhe, InstGE 11, 43 – VA-LVD-Fernseher). Die Frage, ob das Verfügungspatent durch den Reimport der angegriffenen Ausführungsform tatsächlich verletzt wird, ist nicht eindeutig zu beantworten, weshalb dem Verfügungsbegehren nicht entsprochen werden konnte.
V.

Ob daneben auch ein Verfügungsgrund besteht, kann dahinstehen. Es mag aufgrund der Vielzahl der hier zu berücksichtigenden Umstände in diesem konkreten Einzelfall der ein oder andere Zweifel hieran angebracht sein. Mangels Entscheidungserheblichkeit muss die Kammer hierüber indes nicht befinden.
VI.

Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Verfügungsklägerin vom 20. Februar 2017 hat bei der Urteilsfindung keine Berücksichtigung gefunden. Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ist bereits deshalb nicht veranlasst, weil es sich vorliegend um ein Eilverfahren handelt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91a ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit basiert auf § 708 Nr. 6 ZPO.

Der Streitwert wird auf € 500.000,00 festgesetzt.