Düsseldorfer Entscheidungsnummer: 2617
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 09. März 2017, Az. 4a O 137/15
Leitsätze (nichtamtlich):
1. Es ist nicht ersichtlich, dass in der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Interessen (bestimmter) Dritter oder der Öffentlichkeit im Allgemeinen zur Einräumung einer Aufbrauchfrist geführt haben bzw. diese Interessen überhaupt berücksichtigt werden können. Die Entscheidung Wärmetauscher des BGH (vgl. BGH, Urt. v. 10.05.2016, X ZR 114/13, GRUR 2016, 1031 ff.) stellt nur auf die wirtschaftlichen Folgen für den Verletzer ab, aus denen sich die Treuwidrigkeit einer sofortigen Unterlassung er – geben kann. Es lassen sich auch keine Stimmen in der Literatur ersehen, die für die Berücksichtigung solcher Erwägungen sprechen.
2. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll der Unterlassungsanspruch nicht von Verhältnismäßigkeitsüberlegungen abhängig sein. Beim Unterlassungsanspruch existiert – anders als bei den Ansprüchen auf Vernichtung oder Rückruf mit § 140a Abs. 4 PatG – im Gesetz kein Anhaltspunkt, der diesen Anspruch bei Unverhältnismäßigkeit aus – schließen könnte. Erst recht sieht das Gesetz keine Berücksichtigung der Interessen Dritter beim Un – terlassungsanspruch vor. Gerade weil dies für die Ansprüche auf Vernichtung und Rückruf im Gesetz geregelt ist, lässt sich eine planwidrige Gesetzeslücke nicht feststellen.
3. Ein Bedürfnis für die Berücksichtigung von Drittbzw. Allgemeininteressen lässt sich auch deswegen nicht feststellen, da das Patentgesetz das öffentlichen Interesse an der Nutzung einer patentgeschützten Lehre auf andere Weise schützt namentlich durch die Möglichkeit der Einräumung einer Zwangslizenz nach § 24 PatG. Zwar wirkt die Zwangslizenz anders als eine Aufbrauchfrist – insbesondere nicht nur für einen begrenzten Zeitraum für die Umstellung / Anpassung. Gleichwohl erlauben beide Rechtsinstitute die Nutzung einer patent – gemäßen Lehre gegen den Willen des Patentinhabers und durchbrechen so dessen vom Patentamt eingeräumtes Ausschließungsrecht. 4. Eine Zwangslizenz setzt einerseits voraus, dass das öffentliche Interesse die Erteilung einer Zwangslizenz gebietet (§ 24 Abs. 1 Nr. 2 PatG), was die Berücksichtigung von Patienteninteressen ermöglicht (vgl. Rinken/Kühnen in Schulte, PatG, 9. Aufl. 2014, § 24 Rn. 13 f.; vgl. BPatG, Urteil vom 31.08.2016 – 3 LiQ 1/16 (EP)). Weitere Voraussetzung ist jedoch, dass sich der Lizenzsucher innerhalb eines angemessenen Zeitraumes erfolglos bemüht hat, vom Patentinhaber die Zustimmung zu erhalten, die Erfindung zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen zu benutzen (§ 24 Abs. 1 Nr. 1 PatG). 5. Eine Zwangslizenz nach § 24 PatG ist gegenüber einer Aufbrauchfrist vorranging. Die Regelung des § 24 PatG würde unterlaufen, wenn man nur auf der Basis der Interessen Dritter eine Aufbrauchfrist einräumt, ohne dass die Voraussetzungen von § 24 Abs. 1 PatG gegeben sind – also insbesondere, ohne dass der Patentverletzer sich erfolglos um eine Lizenz bemüht hat.
I. Die Beklagten werden verurteilt,
1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, wobei die Ordnungshaft an den jeweiligen gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollziehen ist und insgesamt zwei Jahre nicht übersteigen darf, zu unterlassen,
Herzklappen zum endovaskulären Ersetzen der Herzklappe eines Patienten
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen, welche jeweils die folgenden Merkmale umfassen:
eine expandierbare Befestigung, die eine Ersatzklappe stützt, wobei die Befestigung eine Zuführkonfiguration und eine eingesetzte Konfiguration hat, mit einer Abdichtung aus Gewebe, die sich vom distalen Ende der Klappe in proximaler Richtung hin über die Befestigung in der Zuführkonfiguration erstreckt, wobei die Abdichtung in der eingesetzten Konfiguration aufgebauscht ist;
und wobei sich die Befestigung während des Einsetzens verkürzt;
(Patentanspruch 1 mit Anspruch 9 der EP 2 749 XXX B1)
2. der Klägerin Auskunft zu erteilen und durch Vorlage eines geordneten Verzeichnisses darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie seit dem 17. Juli 2015 die unter Ziffer I.1 bezeichneten Handlungen begangen haben, und zwar unter Angabe
a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse, der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer sowie der bezahlten Preise,
b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen sowie der Typenbezeichnungen und der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,
c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen, sowie der Typenbezeichnungen und der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
e) sowie der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des jeweils erzielten Gewinns,
wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser bezeichneten, dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernehmen und ihn ermächtigen, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist, und
wobei die Beklagten zum Nachweis der Angaben zu a) und b) die entsprechenden Einkaufs- oder Verkaufsbelege (Rechnungen) in Kopie vorzulegen haben, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der rechnungslegungspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen.
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter I.1. bezeichneten, in der Bundesrepublik Deutschland seit dem 17. Juli 2015 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
IV. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten.
V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 90.000.000,00 (neunzig Millionen Euro).
T a t b e s t a n d
Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen behaupteter unmittelbarer Patentverletzung auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf patentverletzender Vorrichtungen und auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, Schadensersatz zu leisten, in Anspruch. Gegenüber der Beklagten zu 2) begehrt sie zusätzlich die Vernichtung patentverletzender Vorrichtungen.
Die Klägerin ist die im Register des Deutschen Patent- und Markenamts (vgl. Anlage PS1c) eingetragene, derzeitige Inhaberin des Deutschen Teils des Europäischen Patents EP 2 749 XXX B1 (nachfolgend: Klagepatent). Das in englischer Verfahrenssprache erteilte Klagepatent trägt den deutschen Titel „Umpositionierbare Herzklappe“. Das Klagepatent ist als Anlage PS1a und eine deutsche Übersetzung hiervon als Anlage PS1b zur Akte gereicht worden. Die Anmeldung zum Klagepatent erfolgte am 22.12.2004 unter Inanspruchnahme der Priorität von 15 US-Schriften, deren Prioritätsdaten zwischen dem 23.12.2003 und dem 05.11.2004 liegen. Das Europäische Patentamt veröffentlichte am 17.06.2015 den Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents.
Ursprüngliche Inhaberin des Klagepatents war die A B, Inc. Das Klagepatent wurde mit Vertrag vom 01.07.2015 auf die Klägerin übertragen.
Das Klagepatent steht in Kraft. Gegen dessen Erteilung haben die Beklagte zu 1) sowie zwei weitere Unternehmen beim Europäischen Patentamt Einspruch erhoben. Auf die in den Anlagen vorgelegten Schriftsätze und dazugehörigen Anlagen aus dem Einspruchsverfahren wird Bezug genommen. Die Verhandlung über die Einsprüche ist auf den 11. und 12.09.2017 terminiert; hinsichtlich der vorläufigen Auffassung der Einspruchsabteilung wird auf die Anlagen PS19a/PS19b bzw. Anlage B42 verwiesen.
Anspruch 1 des Klagepatents lautet in der englischen Verfahrenssprache wie folgt:
“Apparatus for endovascularly replacing a patient’s heart valve, the apparatus comprising:
an expandable anchor (30) supporting a replacement valve (20), the anchor having a delivery configuration and a deployed configuration,
characterized by a fabric seal (380) extending from the distal end of the valve (20) proximally over the anchor in the delivery configuration, wherein the seal is bunched up in the deployed configuration.”
Der im Hauptantrag zusammen mit Anspruch 1 zusammen geltend gemachte Unteranspruch 9 lautet in der englischen Verfahrenssprache:
“The apparatus of any of the preceding claims, wherein the anchor foreshortens during deployment.”
In der deutschen Fassung lauten die Ansprüche 1 und 9 des Klagepatents wie folgt:
“1. Vorrichtung zum endovaskulären Ersetzen der Herzklappe eines Patienten, wobei die Vorrichtung umfasst:
eine expandierbare Befestigung (30), die eine Ersatzklappe (20) stützt, wobei die Befestigung eine Zuführkonfiguration und eine eingesetzte Konfiguration hat,
gekennzeichnet durch eine Abdichtung (380) aus Gewebe, die sich vom distalen Ende der Klappe (20) in proximaler Richtung hin über die Befestigung in der Zuführkonfiguration erstreckt, wobei die Abdichtung in der eingesetzten Konfiguration aufgebauscht ist.”
„9. Die Vorrichtung nach einem der vorhergehenden Ansprüche, wobei sich die Befestigung während dem Einsetzen verkürzt.“
Zur Veranschaulichung der geschützten Lehre werden nachfolgend die Fig. 22, 23 und 29a-29c des Klagepatents verkleinert eingeblendet, die Ausführungsformen der patentgemäßen Lehre zeigen.
Die Fig. 22 und 23 zeigen nach der Beschreibung des Klagepatents (dort Abs. [0018]) eine Ausführungsform der Ersatz-Herzklappe und der Befestigung gemäß der patentgemäßen Lehre in einer nicht eingesetzten (Fig. 22) und in einer eingesetzten (Fig. 23) Konfiguration. Zu erkennen ist jeweils die Befestigung (Bezugsziffer 30), in der sich eine Ersatz-Herzklappe 20 befindet. Nach Abs. [0103] Anlage PS1b erstreckt sich in Figur 22 eine Abdichtung 380 aus Gewebe während des Zuführens von dem distalen Ende der Ersatz-Herzklappe 20 proximal über die Befestigung 30. Während des Einsetzens wird die Befestigung 30, wie in Figur 23 gezeigt, verkürzt und die Abdichtung 380 aus Gewebe bauscht sich auf („bunches up“ gemäß der Patentbeschreibung in der Verfahrenssprache nach Anlage PS1a), um Laschen und Taschen aus Gewebe zu bilden, die in Räume ragen, die von den nativen Klappensegeln 382 gebildet werden (Abs. [0103] Anlage PS1b).
Die Figuren 29A-29C zeigen nach Abs. [0018] der Klagepatentbeschreibung (Anlage PS1b) das Einsetzen einer Befestigung mit Befestigungs-Greifelementen und einer Abdichtung:
Die Klägerin ist ein Unternehmen, das auf die Entwicklung und Herstellung u.a. von Herzklappenimplantaten spezialisiert ist.
Die Beklagte zu 1) ist ein US-amerikanisches Unternehmen, das ebenfalls Herzklappenimplantate herstellt, u.a. solche mit der Bezeichnung „C 3“ (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform). Die Beklagte zu 2) ist ein deutsches Tochterunternehmen der Beklagten zu 1), das deren Herzklappenimplantate – u.a. die angegriffene Ausführungsform – in Deutschland bewirbt und vertreibt.
Zur Veranschaulichung ihrer Ausgestaltung werden nachfolgend Bilder der angegriffenen Ausführungsformen aus den Anlagen PS2 und PS3 eingeblendet:
Die angegriffene Ausführungsform umfasst einen Stent (das auf den obigen Fotos erkennbare Drahtgebilde) und eine darin gehaltene Ersatzherzklappe aus Rinder-Perikard. Ferner weist die angegriffene Ausführungsform eine innere und eine äußere Einfassung aus Polyethylenerephaltat (PET) auf. Die innere Einfassung befindet sich auf der Innenseite des Stents und ist über eine grüne, U-förmig verlaufende Nahtlinie mit der Ersatzklappe verbunden. Die äußere Einfassung ist am unteren (distalen) Ende des Stents mit der inneren Einfassung und dem Stent verbunden/vernäht. Die angegriffene Ausführungsform ist in verschiedenen Größen verfügbar.
Der Netto-Jahresumsatz mit der angegriffenen Ausführungsform in Deutschland betrug 2015 EUR 144 Millionen. Der Netto-Stückpreis einer angegriffenen Ausführungsform in Deutschland liegt bei über EUR 14.000,00, womit sie deutlicher teurer ist als ähnliche Produkte von Wettbewerbern. Sie ist die in Deutschland meistimplantierte Transkatheter-Aortenklappe mit einem Marktanteil von derzeit etwa 60 % bei etwa 10.000 verkauften Exemplaren. Die angegriffene Ausführungsform ist für ca. 76 % des Gesamtumsatzes der Beklagten in Deutschland verantwortlich, wobei die Beklagte zu 1) insgesamt einen jährlichen Umsatz von ca. EUR 2,5 Milliarden erzielt. Die Beklagten erzielen mit der angegriffenen Ausführungsform eine Profitmarge (gem. Rohertrag) von etwa 75 %.
Die angegriffenen Ausführungsformen für den deutschen Markt werden bei der Beklagten zu 2) bestellt und aus einem ausländischen Lager heraus von dem Logistikunternehmen D an Krankenhäuser und Herzzentren in Deutschland geliefert. Nachfolgend werden zusammenfassend nur Krankenhäuser genannt.
Die angegriffene Ausführungsform ist ebenfalls Gegenstand eines Patentverletzungsverfahrens zwischen den Parteien im Vereinigten Königreich vor dem Patents Court des High Courts in London, in dem die Klägerin aus dem dortigen nationalen Parallelschutzrecht zum Klagepatent vorgeht. Eine Entscheidung in diesem Verfahren steht noch aus.
Die Klägerin trägt vor, die angegriffene Ausführungsform verletze das Klagepatent wortsinngemäß. Die Klagepatentbeschreibung weise verschiedene erfinderische Aspekte auf; der hierin angesprochene Aspekt der Umpositionierung sei für das hiesige Klagepatent und die hier geltend gemachten Ansprüche irrelevant. Die Aufgabe des Klagepatents beziehe sich auf die Abdichtung.
Hinsichtlich der Erstreckung der Abdichtung verlange das Klagepatent zwei Teilaspekte: Einerseits müsse sich die Abdichtung patentgemäß vom distalen Endbereich der Ersatzklappe aus erstrecken, wobei die Abdichtung hierzu auch teilweise innerhalb der Befestigung angeordnet sein dürfe. Andererseits müsse sich die Abdichtung über die Befestigung in proximaler Richtung erstrecken – d.h. der Teil der Abdichtung, der sich außerhalb der Befestigung befindet, müsse sich in proximaler Richtung erstrecken, wobei keine bestimmte Mindesterstreckung verlangt werde und sich die Abdichtung nicht bis zum proximalen Ende der Befestigung erstrecken müsse. Patentgemäß dürfe die Abdichtung auch zweiteilig ausgestaltet sein.
Die bei der angegriffenen Ausführungsform am distalen Ende der Befestigung mit einer grünen Nahtlinie vernähte PET-Abdichtung (bestehend aus der inneren und der äußeren Einfassung) stelle eine solche anspruchsgemäße Abdichtung dar. Aber selbst wenn man den inneren Teil der Einfassung der angegriffenen Ausführungsform nicht zur anspruchsgemäßen Abdichtung zählt, sei die angegriffene Ausführungsform patentverletzend. Die innere Einfassung sei dann als Teil der Ersatzklappe anzusehen.
Der Anspruchswortlaut „bunched up“ sei in der deutschen Anspruchsfassung zutreffend mit „aufgebauscht“ übersetzt worden. Patentgemäß sei nur erforderlich, dass die Abdichtung in der eingesetzten Konfiguration nicht straff auf der Außenoberfläche der expandierbaren Befestigung anliegt, damit die Abdichtung Zwischenräume zwischen der Befestigung und der natürlichen Herzklappe ausfüllen kann, um so paravalvuläre Undichtigkeiten zu verringern oder zu vermeiden. Die Abdichtung müsse hierfür überschüssiges Material aufweisen. Es sei dagegen patentgemäß nicht erforderlich, dass die Abdichtung nur in der eingesetzten Konfiguration aufgebauscht ist, nicht aber in der Zuführkonfiguration. Weiterhin werde vom Klagepatent kein umlaufender Faltenwurf mit horizontaler Ausrichtung verlangt.
Es sei patentgemäß keine erhebliche axiale Verkürzung der Befestigung um 50 % oder mehr erforderlich. Die Angaben in den Abs. [0071] – [0074] des Klagepatents seien bevorzugt bzw. optional; auch der nun im Hauptantrag zusätzlich geltend gemachte Anspruch 9 verlange kein bestimmtes Maß der Verkürzung.
Eine Positionierung der aufgebauschten Abdichtung auf einer Ebene mit den nativen Klappensegeln verlange das Klagepatent nicht. Es reiche eine objektive Eignung der patentgemäßen Vorrichtung aus, den unerwünschten Blutrückfluss zu reduzieren.
Die äußere Einfassung der angegriffenen Ausführungsform stelle eine patentgemäße Abdichtung aus Gewebe dar. Diese soll den Rückfluss von Blut außen an der Herzklappe (sog. „paravalvuläres Lecks“) vorbei verhindern oder minimieren. Die Abdichtung der angegriffenen Ausführungsform bausche sich auch, wie vom Klagepatent verlangt, in der eingesetzten Konfiguration auf. Dies lasse sich auf den Bildern nach Anlage PS10 erkennen. Hier sei überschüssiges Material auf der Außenseite erkennbar, das Zwischenräume zwischen der Befestigung und der natürlichen Herzklappe ausfüllen könne. Die angegriffene Ausführungsform verkürze sich – insoweit unstreitig – beim Einsetzen. Durch diese Verkürzung reduziere sich der maximale Abstand der äußeren Abdichtung gegenüber der Befestigung, was ein Aufbauschen und Falten mit horizontaler Ausrichtung verursache.
Entgegen dem Vortrag der Beklagten bezwecke die Abdichtung der angegriffenen Ausführungsform auch eine Abdichtung im Bereich der natürlichen Klappensegel und reduziere so paravalvuläre Undichtigkeiten. Die Klägerin verweist darauf, dass die Beklagten in ihren Trainingsunterlagen zur angegriffenen Ausführungsform eine Positionierung empfehlen, bei der nur 20 % der Befestigung unterhalb der Basis der natürlichen Aortenklappe angeordnet sind. In diesem Falle, aber auch bei der niedrigsten, möglichen Implantationshöhe von 30 %, stehe die äußere Abdichtung in Kontakt mit den natürlichen Aortenklappensegeln in Rahmen eines erheblichen Überlappungsbereichs.
Der für den Vernichtungsanspruch erforderliche inländische Besitz der Beklagten zu 2) liege vor. Bei der Lieferung übe D weisungsgebundenen Fremdbesitz für die Beklagte zu 2) aus, die damit mittelbare Besitzerin bleibe. Die angegriffenen Ausführungsformen ständen zudem bis zur Bezahlung im Eigentum der Beklagten zu 2), wobei von den Krankenhäusern gelagerte angegriffenen Ausführungsformen weiterhin in ihrem mittelbaren Besitz seien.
Die beantragte Vernichtung der angegriffenen Ausführungsformen sei nicht unverhältnismäßig. Die Versorgung der Patienten sei nicht gefährdet. Es drohe keine Nichtbehandlung oder Verzögerung der Behandlung von Patienten. Die Beklagten könnten Krankenhäuser statt mit der angegriffenen Ausführungsform mit dem – unstreitig – weiterhin hergestellten und vertriebenen Vorgängerprodukt „C XT“ beliefern. Insoweit seien keine wesentlichen Umschulungsmaßnahmen notwendig. Hinsichtlich der Herzschrittmacher-Implantationsrate weise die Vorgängerversion C XT – unstreitig – bessere Ergebnisse als die angegriffene Ausführungsform auf. Zudem sind – unstreitig – Produkte von Konkurrenzunternehmen verfügbar, welche statt der angegriffenen Ausführungsform eingesetzt werden könnten. So weise die F-Klappe der Klägerin ein noch geringeres Insuffizienzrisiko als die angegriffene Ausführungsform auf. Ärzte seien üblicherweise für mehrere Systeme verschiedener Anbieter zertifiziert. Eine kurzfristige Umstellung auf Transkatheter-Herzklappenprothesen anderer Hersteller sei ohne weiteres möglich und könne von einem Krankenhaus in weniger als einer Woche vorgenommen werden. Die Wartezeiten auf eine Implantation beruhten auf Krankenhausengpässen (in Bezug auf Personal und/oder Krankenhausbetten), nicht aber auf Engpässen bei der Lieferung mit Transkatheter-Herzklappenprothesen.
Der Rückrufanspruch sei ebenfalls nicht unverhältnismäßig.
Für die Frage von Vollstreckungsschutz nach § 712 ZPO seien Nachteile, die Dritten entstehen, irrelevant, wobei Patienten ohnehin keine Gefahr drohe. Den Beklagten drohe bei einer Unterlassungsvollstreckung keine Insolvenz. Verluste bei den Verkäufen mit der angegriffenen Ausführungsform könnten durch Verkäufe mit der C-XT-Herzklappe kompensiert werden.
Eine Vollstreckungssicherheit in Höhe von EUR 36 Mio. sei ausreichend.
Die strengen Voraussetzungen für die Gewährung einer Aufbrauchfrist lägen nicht vor. Die Klägerin verhalte sich nicht treuwidrig. Es bestehe kein Risiko für die Patientenversorgung. Die Beklagten hätten sich auf den Unterlassungstitel seit Klageerhebung einstellen können.
Das Klagepatent werde sich auf die Nichtigkeitsklage der Beklagten hin als rechtsbeständig erweisen, so dass eine Aussetzung des Verfahrens nicht angezeigt sei. Dies belege die vorläufige Auffassung der Einspruchsabteilung gemäß der Anlagen PS19a/19b.
Die Klägerin beantragt,
I. – wie in Ziff. I. des Tenors zuerkannt –
Hilfsweise zum Antrag zu Ziff. I.1:
Den zuerkannten Antrag zu Ziff. I.1 ohne die Worte:
„und wobei sich die Befestigung während des Einsetzens verkürzt“.
II. die Beklagten zu verurteilen, die vorstehend zu Ziffer I. bezeichneten, seit dem 17. Juli 2015 im Besitz gewerblicher Dritter befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagten oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagten zurückzugeben, und den Dritten für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe zugesagt wird; und die erfolgreich zurückgerufenen Erzeugnisse wieder an sich nimmt.
III. Die Beklagte zu 2) zu verurteilen, die in der Bundesrepublik Deutschland in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder Eigentum befindlichen, zu vorstehend in Ziffer I.1 bezeichneten Erzeugnisse zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von ihr zu benennenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf ihre Kosten herauszugeben.
IV. – wie in Ziff. II des Tenors zuerkannt –.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen;
hilfsweise:
den Rechtsstreit bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung des Europäischen Patentamts über die gegen das Klagepatent eingereichten Einsprüche gemäß § 148 ZPO auszusetzen;
weiter hilfsweise:
Für den Fall einer antragsgemäßen Verurteilung den Beklagten zu gestatten, die Vollstreckung gemäß § 712 Abs. 1 ZPO durch Sicherheitsleistung ohne Rücksicht auf eine Sicherheitsleistung der Klägerin abzuwenden;
weiter hilfsweise:
den Beklagten eine Aufbrauchfrist bis zum Abschluss der Auslieferung der streitgegenständlichen Herzklappenprothesen mit der Bezeichnung „C 3“, die bis zu einem Zeitpunkt von 6 Monaten nach dem Tag der Verkündung eines der Klage stattgebenden Urteils hergestellt wurden, einzuräumen. Innerhalb dieses Zeitraums ist den Beklagten zugleich zu gestatten, bereits hergestellte, aber noch nicht ausgelieferte und/oder verkaufte Herzklappenprothesen an Abnehmer zu liefern, aber auch bis zu dem genannten Zeitpunkt bereits bestellte C 3-Herzklappenprothesen herzustellen.
Die Beklagte meint, das Klagepatent werde durch die angegriffene Ausführungsform nicht verletzt.
Die angegriffene Ausführungsform verfüge in der Zuführkonfiguration über keine äußere Abdichtung aus Gewebe, die sich vom distalen Ende der Klappe in proximaler Richtung hin über die Befestigung erstrecke. Startpunkt müsse das distale Ende der Ersatzklappe sein, nicht ein distaler Endbereich. Weiterhin müsse sich die Abdichtung vom distalen Ende der Ersatzklappe als Ausgangs- oder Startpunkt in proximale Richtung hin bis oberhalb des distalen Endes der Ersatzklappe erstrecken. Eine solche (Mindest-) Erstreckung sei für die Funktion der Abdichtung erforderlich, da nur so gewährleistet sei, dass genügend Gewebematerial für die Abdichtung vorhanden ist.
Dagegen erstreckt sich – insoweit unstreitig – die äußere Einfassung der angegriffenen Ausführungsform auf der Außenseite in proximaler Richtung nicht über die Höhe des distalen Endes der Ersatzklappe hinweg. Ferner ist bei der angegriffenen Ausführungsform (unstreitig) die äußere Einfassung am unteren (distalen) Ende des Stents, und nicht (unmittelbar) am distalen Ende der Ersatzklappe vernäht; wo sich nur die innere Einfassung anschließt. Die äußere und die innere Einfassung ließen sich nicht zusammen als eine Abdichtungseinheit ansehen, da es sich um separate Elemente mit unterschiedlichen Strukturen handelt; so weisen die beiden Einfassungen (unstreitig) andere Ausrichtungen der Fasern auf. Die innere Einfassung der angegriffenen Ausführungsform könne auch nicht alternativ als Teil der Ersatzklappe angesehen werden, da beide Elemente unterschiedliche Funktionen besäßen und – unstreitig – aus unterschiedlichen Materialien (Rinder-Perikard bzw. PET-Gewebe) gefertigt sind.
Der maßgebliche englische Anspruchswortlaut „bunched up“ werde mit „aufgebauscht“ in der deutschen Anspruchsfassung unzutreffend übersetzt. Zutreffend sei insoweit die Übersetzung „zusammengeschoben“. Im allgemeinen Sprachgebrauch werde „bunch up“ (unstreitig) auch mit „zusammenknüllen“, „zusammenraffen“ übersetzt. „Bunched up“ werde im Zusammenhang mit dem Zusammenschieben bzw. –stauchen von Gewebematerialien verwendet, wodurch es zu einer Faltenbildung kommt. Beim patentgemäßen Zusammenschieben durch die Verkürzung der Befestigung müssten sich daher aus überschüssigem Material horizontal umlaufende Falten bzw. „Laschen und Taschen aus Gewebe“ bilden. Die Falten sollen patentgemäß die Zwischenräume zwischen den nativen Klappensegeln und der Außenseite des Stents abdichten. Ein bloßer Überschuss an Gewebe alleine erfülle Anspruch 1 des Klagepatents dagegen nicht. Der Fachmann entnehme dem Klagepatent weiter, dass die Faltenbildung patentgemäß dadurch erzeugt werde, dass die Länge der Befestigung der Klappe verkürzt wird. Diese bestätige die Patentbeschreibung in den Abs. [0071] – [0073] sowie die Fig. 22, 23. Das Europäische Patentamt bestätigt in seiner vorläufigen Auffassung ebenfalls – unstreitig – einen funktionellen Zusammenhang zwischen axialer Verkürzung und einem Zusammenschieben („bunches up“) der äußeren Abdichtung. Bei der gebotenen funktionalen Betrachtung müsse eine Verkürzung der Befestigung erheblich sein und bei 50 % oder mehr liegen. Das Gewebe müsse patentgemäß nur in der Einsetzkonfiguration zusammengeschoben sein, nicht aber in der Zuführkonfiguration.
Ein solches patentgemäßes Zusammenschieben werde von der angegriffenen Ausführungsform nicht verwirklicht.
Die äußere Einfassung weise keine zusammengeschobene Struktur im expandierten Zustand auf. Die Klägerin könne insoweit nur auf geringfügige, zufällige vertikale Falten verweisen, die bedingt durch die Art und Weise der Vernähung der äußeren Einfassung und ihres Materials bereits vor der Expansion des Stents bestanden und nicht vollständig geglättet worden sind. Von der Klägerin als Taschen bezeichnete Abschnitte lägen bereits in der Zuführkonfiguration vor. Es komme in der Einsetzkonfiguration zu keiner Faltenbildung durch die axiale Verkürzung des Stents. Faltige Strukturen liegen allenfalls in der Zuführkonfiguration vor, allerdings nur in vertikaler Ausrichtung. Bei der axialen Verkürzung wandelten sich diese vertikalen Falten in eine glatte Struktur in der Einsetzkonfiguration. Im weiteren Verlauf des Expansionsvorgangs werde das Gewebematerial der äußeren Einfassung ähnlich wie ein Regenschirm aufgespannt, so dass sich die in der Zuführkonfiguration bestehenden vertikalen Falten in der Einsetzkonfiguration wieder glätteten.
Bei der angegriffenen Ausführungsform beruhe damit das Ausbeulen der äußeren Einfassung nicht auf einer Verkürzung des Stents, sondern werde durch die Vernähung der äußeren Einfassung mit dem Stent bedingt.
Die angegriffene Ausführungsform ist – unstreitig – nicht zu einer Verkürzung von mindestens 50 % in der Lage, was nach Ansicht der Klägerin ebenfalls schon aus dem Schutzbereich des Klagepatents herausführe.
Die Hauptabdichtung auf Ebene der nativen Klappensegel erfolge bei der angegriffenen Ausführungsform durch die innere Einfassung. Die äußere Einfassung bleibe dagegen auf einer Höhe mit bzw. unterhalb der Basis der nativen Aortenklappensegel, was nicht patentgemäß sei. Es könnten sich somit keine Laschen und Taschen aus Gewebe zwischen äußerer Abdichtung und den nativen Klappensegeln bilden und in eventuell vorhandene Zwischenräume zu den Klappen erstrecken. Die patentgemäße Funktion der Abdichtung werde von der äußeren Einfassung gerade nicht erreicht. Diese solle bei der angegriffenen Ausführungsform vielmehr unterhalb der Klappensegel eine Abdichtung bewirken.
Mangels inländischen Besitzes der angegriffenen Ausführungsformen der Beklagten zu 2) bestehe kein Vernichtungsanspruch.
Die Vernichtung sei zudem ohnehin im Einzelfall unverhältnismäßig, da bei einer Vollstreckung dieses Anspruchs die medizinische Versorgung und das Leben (insbesondere) von solchen Patienten gefährdet seien, bei denen eine Implantation einer angegriffenen Ausführungsform unmittelbar bevorstehe. Die Behandlung sei individuell auf die angegriffene Ausführungsform ausgerichtet, ein Abwarten könne tödlich verlaufen. Die Umstellung der Behandlung auf andere Herzklappen sei dagegen mit Verzögerungen verbunden. Lieferengpässe bei den Konkurrenzprodukten würden entstehen, für deren Implantation zudem (unstreitig) teilweise die erforderliche Schulung der Ärzte fehlt.
Im Übrigen sei die angegriffene Ausführungsform gegenüber den Konkurrenzprodukten in Effektivität und Sicherheit überlegen, etwa aufgrund einer deutlich niedrigeren Rate an Herzschrittmacherimplantationen gegenüber anderen Herzklappenprothesen. Die angegriffene Ausführungsform sei zudem das am universellsten einsetzbare System auf dem Markt und insbesondere für Patienten mit mittlerem Operationsrisiko zugelassen. Die Überlegenheit belege eine Vergleichsstudie zu dem nach der angegriffenen Ausführungsform am zweitmeisten implantierten Konkurrenzprodukt D E. Gleiches gelte für einen Vergleich mit dem Produkt „F“ der Klägerin, wo insbesondere die Herzschrittmacherimplantationsrate bei der angegriffenen Ausführungsform deutlich geringer war. Die Qualität und Sicherheit seien bei dem Produkt „F“ der Klägerin nicht auf einem gleichbleibenden Niveau gewährleistet. Zudem bestehe mit der angegriffenen Ausführungsform ein umfangreicher, praktischer Erfahrungsschatz, der Risiken für die Patienten verringere.
Das Vorgängermodell der angegriffenen Ausführungsform C XT biete keine kurzfristig verfügbare Alternative, u.a. wegen notwendiger Schulungen; zudem müssten hiermit wieder (Arbeits-) Routinen aufgebaut werden. Aufgrund der kontinuierlich zurückgegangen Verfügbarkeit von C XT hätten die Ärzte in Deutschland hierzu nur geringe oder gar keine Erfahrungen mehr. Es würde mindestens 3 – 4 Wochen dauern, bis an sämtlichen Krankenhäusern in Deutschland eine Neuschulung im Hinblick auf den Einsatz von C XT durchgeführt worden ist. Die Beklagten verfügten zudem nicht über ausreichende Produktionskapazitäten für C XT, wobei eine hierfür erforderliche Produktionssteigerung mindestens 3 Monate in Anspruch nehmen würde.
Die damit abzusehende Unterversorgung des deutschen Markts führe zu einer Gefährdung des Lebens und der Gesundheit der Patienten. Den Beklagten könne auch nicht zugemutet werden, schon jetzt den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform einzustellen und auf das Vorgängermodell C XT umzustellen.
Aus den gleichen Gründen sei auch der Rückrufanspruch unverhältnismäßig.
Die Vollstreckungssicherheit sei im Falle einer Verurteilung aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung und den Risiken für die Patienten nicht unter EUR 150 Millionen festzusetzen.
Zudem sei den Beklagten (hilfsweise) Vollstreckungsschutz nach § 712 Abs. 1 ZPO zu gewähren, da ihnen bei Vollstreckung eines Unterlassungsgebots nicht zu ersetzende Nachteile entständen. Eine Wiedereinführung der angegriffenen Ausführungsform wäre mit erheblichen Schwierigkeiten und Verzögerungen verbunden, etwa aufgrund notwendiger Nachschulungen. Dies würde dazu führen, dass die Krankenhäuser Konkurrenzprodukte weiter verwenden würden und die Beklagten so ihren Marktanteil nicht zurückgewinnen könnten. Zudem würden gravierende Risiken für die Patienten bestehen. Indizien für den Vollstreckungsschutz sei die Alternativlosigkeit der angegriffenen Ausführungsform bei der Behandlung bestimmter Patientengruppen und deren Überlegenheit gegenüber Konkurrenzprodukten.
Die hilfsweise begehrte Einräumung einer Aufbrauchfrist (Umstellungsfrist) sei im vorliegenden Fall geboten. Die sofortige Durchsetzung des Unterlassungstenors sei für die Patienten mit unverhältnismäßigen Nachteilen verbunden, welche in keinem Verhältnis zu den rein monetären Interessen der Klägerin ständen.
Hilfsweise sei das Verfahren jedenfalls in Bezug auf das Einspruchsverfahren auszusetzen, in dem sich das Klagepatent als nicht rechtsbeständig erweisen werde. Der unabhängige Anspruch 1 sei durch eine Zwischenverallgemeinerung unzulässig erweitert. Die Lehre des Klagepatents werde von einer Reihe von Dokumenten neuheitsschädlich vorweggenommen, etwa den Entgegenhaltung WO 98/29XXX (BB3, „K“) oder US 5,855,XXX (BB5, „L“). Jedenfalls sei Anspruch 1 aber durch die genannten Entgegenhaltungen in Kombination mit anderen Schriften oder dem allgemeinen Fachwissen jeweils für den Fachmann nahegelegt.
Die Klägerin hat den Beklagten Sicherheit wegen der Prozesskosten in Höhe von EUR 2.000.000,00 geleistet.
Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf die ausgetauschten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 07.02.2017 Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die zulässige Klage ist überwiegend begründet, ansonsten unbegründet. Die angegriffene Ausführungsform verletzt die geltend gemachte Anspruchskombination des Klagepatents wortsinngemäß (hierzu unter I.). Hieraus ergeben sich die zuerkannten Rechtsfolgen (hierzu unter II.). Die Klägerin hat die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung und Schadensersatzfeststellung aus Art. 64 EPÜ i.V.m. §§ 139 Abs. 1, Abs. 2, 140b PatG, §§ 242, 259 BGB, wobei den Beklagten auch keine Aufbrauchfrist einzuräumen war (hierzu unter II.1.). Jedoch hat die Klägerin keine Ansprüche auf Vernichtung und Rückruf patentverletzender Erzeugnisse aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 140a Abs. 1 bzw. Abs. 3 PatG, da Vernichtung und Rückruf hier im Einzelfall jeweils unverhältnismäßig nach § 140a Abs. 4 PatG sind (hierzu unter II.3. und II.4.). Im Rahmen des der Kammer zustehenden Ermessens wird das Verfahren nicht nach § 148 ZPO im Hinblick auf das anhängige Einspruchsverfahren ausgesetzt (hierzu unter III.). Die Sicherheitsleistung für die vorläufige Vollstreckung des Urteils wird auf EUR 90.000.000,00 festgesetzt; Vollstreckungsschutz nach § 712 Abs. 1 ZPO war den Beklagten nicht zu gewähren (hierzu unter IV.).
I.
Die angegriffene Ausführungsform macht von der Lehre der geltend gemachten Anspruchskombination des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch.
1.
Das Klagepatent (nachfolgend nach Abs. und teilweise ergänzend auch nach Seiten und Zeilen der deutschen Übersetzung nach Anlage PS19b zitiert, ohne das Klagepatent stets ausdrücklich zu nennen) betrifft eine Vorrichtung zum endovaskulären Ersetzen einer Herzklappe mit einer Abdichtung. Der Ersatz von Herzklappen kann indiziert sein, wenn eine gewöhnlich „Stenose“ genannte Verengung der nativen Herzklappe vorliegt oder wenn die native Klappe leckt oder regurgitiert, es also zu einem unerwünschten Zurückfließen von Blut kommt (Abs. [0003]).
In seiner einleitenden Beschreibung beschreibt das Klagepatent zunächst die Vorteile der minimalinvasiven Chirurgie gegenüber der bisherigen Herzklappenchirurgie beim Instandsetzen oder Ersetzen erkrankter Herzklappen.
a)
Die Herzklappenchirurgie wird am offenen Herz unter Allgemeinanästhesie durchgeführt. Hierbei wird ein Schnitt durch das Brustbein (Sternum) des Patienten durchgeführt (Sternotomie) und das Herz des Patienten wird angehalten, während der Blutstrom durch eine Herz-Lungen-Bypassmaschine umgeleitet wird (Abs. [0002]). Bei dem Ersetzen der Klappe wird die native Klappe herausgeschnitten und durch eine biologische oder mechanische Klappe ersetzt. An mechanischen Klappen kritisiert das Klagepatent, dass diese eine lebenslange Medikation mit Antikoagulationsmitteln erfordern, um das Entstehen von Blutgerinnseln zu verhindern. Ferner können oft Klickgeräusche der Klappe durch die Brust gehört werden. Dagegen benötigten Klappen aus biologischem Gewebe typischerweise keine derartige Medikation. Solche Gewebeklappen können von Verstorbenen oder aus Schweinen oder Rindern stammen.
Das Klagepatent erläutert, dass die (herkömmliche) Klappenersatzchirurgie unabhängig von der verwendeten Klappe eine hochinvasive Operation mit erheblichen Begleitrisiken sei, bei der 2 – 5 % der Patienten während des chirurgischen Eingriffs sterben (Abs. [0004]). Nach dem chirurgischen Eingriff können Patienten vorübergehend verwirrt sein. Die ersten 2-3 Tage nach dem chirurgischen Eingriff werden in einer Intensivstation verbracht, in der die Herzfunktionen genau überwacht werden. Der mittlere Krankenhausaufenthalt beträgt zwischen 1 und 2 Wochen und zur vollständigen Erholung können mehrere weitere Wochen bis Monate erforderlich sein (Abs. [0005]).
b)
In den letzten Jahren sind einige Forscher durch Fortschritte der minimalinvasiven Chirurgie und der Interventionskardiologie zum perkutanen (d.h. durch die Haut) Ersetzen der Aorta-Herzklappe angeregt worden.
Z („Z“) entwickelte einen ballonexpandierbaren Stent mit einer integrierten Bioprothesenklappe. Die Stent/Klappen-Vorrichtung wird über die native erkrankte Klappe eingesetzt, um die Klappe permanent offen zu halten und so die Notwendigkeit des Herausschneidens der nativen Klappe zu mildern und die Bioprothesenklappe am Ort der nativen Klappe zu positionieren. Die Vorrichtung von Z ist für das Einsetzen unter Lokalanästhesie unter Verwendung fluoroskopischer Führung ausgelegt. Damit können Allgemeinanästhesie und Chirurgie am offenen Herz vermieden werden (Abs. [0006]). Bei der Vorrichtung von Z sei jedoch das Einsetzen des Stents nicht umkehrbar und der Stent kann nicht zurückgeholt werden. Diese mangelnde Umpositionierbarkeit ist aus Sicht des Klagepatents ein entscheidender Nachteil, da eine ungünstige Positionierung zu hoch in Richtung auf die Aorta zu dem Risiko führt, die Koronarostien des Patienten zu blockieren. Eine in die andere Richtung ungünstig platzierte Stent/Klappe (weg von der Aorta, näher an dem Ventrikel (= Herzkammer)) wird mit dem Mitralapparat zusammenstoßen und am Ende das Segel abnutzen, da sich das Segel ständig an dem Rand der Stent/Klappe reibt (Abs. [0007]). Ein weiterer Nachteil der Vorrichtung von Z sei sein vergleichsweise großes Querschnittsprofil zum Zuführen (Abs. [0008]).
Andere Ersatz-Herzklappen im Stand der Technik verwenden selbstexpandierende Stents als Befestigung. Selbstexpandierbare Standardsysteme seien jedoch beim Einsetzen sehr ungenau (Abs. [0009]). Das Klagepatent führt als weiteren Nachteil selbstexpandierender Herzklappenersatzsysteme im Stand der Technik deren mangelnde radiale Festigkeit an (Abs. [0011]). Damit selbstexpandierende Systeme leicht durch ein Zuführhüllrohr zugeführt werden können, muss sich das Metall innerhalb des Zuführkatheters biegen und krümmen, ohne plastisch verformt zu werden. Bei Stents mit darin befestigter Klappe, wie es bei dem Aortenklappenersatz der Fall ist, stellt die Befestigung des Stents an Gefäßwänden ein erhebliches Problem dar. Die Kraft, den arteriellen Druck zurückzuhalten und zu verhindern, dass Blut während der Diastole in das Ventrikel zurückgelangt, wird direkt auf die Stent/Gefäßwand-Grenzfläche übertragen, was eine größere Radialkraft als bei Stents ohne Klappen erfordert (Abs. [0011]).
Die U.S.-Patentanmeldung Nr. 2002/015 1XXX von Y et al. beschreibt eine Vorrichtung aus zwei Teilen zum Ersetzen der Aortenklappe, die zum Zuführen durch die Aorta des Patienten ausgelegt ist. Ein Stent wird perkutan über der nativen Klappe platziert, anschließend wird eine Ersatzklappe in dem Lumen des Stents positioniert. Durch das Getrennthalten von Stent und Klappe während des Zuführens kann das Profil des Zuführsystems für die Vorrichtung ausreichend verringert werden, um Zuführen durch die Aorta zu erlauben (Abs. [0013]). Nachteilig sei jedoch, dass ein dynamisches Repositionieren des Stents während des Einsetzens unmöglich ist. Eine Stentverkürzung oder dessen Wandern während der Expansion können zu einer ungeeigneten Ausrichtung führen (Abs. [0014]). Ferner drückt der Stent von Y die nativen Klappensegel einfach gegen die Herzwand und greift nicht auf eine Weise in die Segel ein, die eine günstige Ausrichtung der Vorrichtung relativ zu der nativen Position der Klappe ermöglichen würde. Ferner weist dieser Stent Lücken auf, in die die Ersatzklappe nach dem Zuführen eingesetzt wird. Durch diese Lücken kann jedoch Gewebe dringen und damit das Risiko einer ungeeigneten Aufnahme der Klappe in den Stent erhöhen (Abs. [0015]).
Ferner verweist das Klagepatent auf die WO 00/47139, die ein Klappenimplantationssystem mit einem Klappenverdrängungselement und einer vor oder nach dem Einführen an dem Klappenverdrängungselement befestigten Ersatzklappe offenbart. Kritik hieran übt das Klagepatent keine.
Vor dem Hintergrund der dargestellten Nachteile der Verfahren zum perkutanen Ersetzen einer Herzklappe im Stand der Technik bezeichnet es das Klagepatent in Abs. [0016] als wünschenswert, Verfahren und Vorrichtungen bereitzustellen, die diese Nachteile überwinden. Als Aufgabe (technisches Problem) lässt sich damit allgemein die Verbesserung der Verfahren im Stand der Technik ansehen.
Das konkret vom Klagepatent bearbeitete Problem sind paravalvuläre Undichtigkeiten (Lecks). Hierbei handelt es sich um Zwischenräume zwischen der eingesetzten Herzklappe und dem menschlichen Körper (der Gefäßinnenwand), durch die Blut an der Ersatzherzklappe vorbei ungewollt wieder in die Herzkammer laufen kann (sog. Regurgitation).
2.
Zur Lösung schlägt das Klagepatent eine Vorrichtung zum endovaskulären Ersetzen der Herzklappe eines Patienten nach Maßgabe von Anspruch 1 in Kombination mit Anspruch 9 vor, die sich in Form einer Merkmalsgliederung wie folgt darstellen lassen:
1. Vorrichtung zum endovaskulären Ersetzen der Herzklappe eines Patienten.
2. Die Vorrichtung umfasst eine expandierbare Befestigung (30).
2.1 Die expandierbare Befestigung (30) stützt eine Ersatzklappe (20).
2.2 Die Befestigung hat eine Zuführkonfiguration und eine eingesetzte Konfiguration.
3. Die Vorrichtung umfasst eine Abdichtung (380) aus Gewebe.
3.1 Die Abdichtung erstreckt sich in der Zuführkonfiguration vom distalen Ende der Klappe (20) in proximaler Richtung hin über die Befestigung.
3.2 Die Abdichtung ist in der eingesetzten Konfiguration aufgebauscht („bunched up“).
3.3 Die Befestigung verkürzt sich während des Einsetzens.
3.
Der Schutzbereich eines Patents wird durch die Ansprüche bestimmt, wobei die Beschreibung und die Zeichnungen zur Auslegung heranzuziehen sind (vgl. § 14 S. 1 PatG bzw. Art. 69 Abs. 1 S. 1 EPÜ). Soweit die Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 07.02.2017 vorgetragen haben, der Anspruch sei hier eng auszulegen, da die Erfindung im Ausführungsbeispiel stecke, kann dem so nicht gefolgt werden. Die Einbeziehung von Beschreibung und Zeichnungen des betreffenden Patents darf nicht zu einer sachlichen Einengung oder inhaltlichen Erweiterung des durch den Anspruchswortlaut festgelegten Gegenstands führen (BGH GRUR 2007, 778 – Ziehmaschinenzugeinheit). Die Ausführungsbeispiele stellen lediglich eine bevorzugte Gestaltung dar, auf welche die Erfindung nicht reduziert werden darf (BGH, GRUR 2008, 779 – Mehrgangnabe; BGH, GRUR 2012, 1242 – Steckverbindung).
Die geltend gemachte Anspruchskombination betrifft nur einen Teilaspekt der vom Klagepatent einleitend angesprochenen Nachteile im Stand der Technik – namentlich die Abdichtung zwischen Stent und Körper des Patienten in der eingesetzten Stellung.
Die geschützte Vorrichtung zum endovaskulären Ersetzen einer Herzklappe (Merkmal 1) umfasst eine expandierbare Befestigung (30), die eine Ersatzklappe trägt (Merkmale 2 und 2.1). Die expandierbare Befestigung (beispielsweise ein Stent) wird im Körper des Patienten in Position gebracht und hält die Ersatzklappe, welche die Funktion der erkrankten, nativen Herzklappe übernehmen soll. Bei der expandierbaren Befestigung kann es sich um eine selbst- oder um eine ballonexpandierbare Befestigung handeln (Abs. [0017], Unteransprüche 10 und 11).
Die patentgemäße Vorrichtung weist nach Merkmal 2.2 eine Zuführkonfiguration und eine eingesetzte Konfiguration auf. Beispielsweise kann es sich bei der Zuführkonfiguration um eine kollabierte Konfiguration handeln und bei der eingesetzten Konfiguration um eine expandierte Konfiguration (Abs. [0017], Unteranspruch 10). Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass beim Einsetzen der Ersatzherzklappe eine möglichst geringe Größe der Vorrichtung vorteilhaft ist, während im eingesetzten Zustand die Größe zu den körperlichen Eigenheiten des Patienten passen muss, um einen guten Sitz der Klappe erzielen zu können.
Kennzeichnend für die geltend gemachte Anspruchskombination ist eine Abdichtung nach Merkmalsgruppe 3. Bestehen zwischen der Gefäßwand einerseits und der Befestigung/Ersatzklappe andererseits Undichtigkeiten, so kann Blut an der Ersatzklappe vorbei (zurück) in Richtung Herzkammer fließen. Dies beeinträchtigt die Funktion der Klappe, die ja gerade einen Rückfluss von Blut verhindern soll. Insofern spricht man von „paravalvulären Lecks“. Um solche paravalvulären Lecks zu verhindern, sieht das Klagepatent eine Abdichtung (380) vor (Abs. [0062]). Im eingesetzten Zustand soll sich diese Abdichtung aufbauschen (Merkmal 3.2). Weiterhin soll sich die Befestigung während des Einsetzens verkürzen (Merkmal 3.3).
4.
Die Verwirklichung der Merkmale 1 – 3 durch die angegriffene Ausführungsform ist zwischen den Parteien zu recht unstreitig, so dass hierzu keine weiteren Ausführungen mehr erforderlich sind.
Das hinzugefügte Merkmal 3.3 aus Anspruch 9 ist ebenfalls unproblematisch verwirklicht, da sich die angegriffene Ausführungsform beim Einsetzen unstreitig verkürzt. Ein bestimmtes Mindestmaß der Verkürzung verlangt das Klagepatent dabei nicht. Insoweit wird auf die Ausführungen zur Auslegung von Merkmal 3.2 Bezug genommen.
5.
Auch die Verwirklichung der streitigen Merkmale durch die angegriffene Ausführungsform lässt sich feststellen.
a)
Die Verwirklichung von Merkmal 3.1
„3.1 Die Abdichtung erstreckt sich in der Zuführkonfiguration vom distalen Ende der Klappe (20) in proximaler Richtung hin über die Befestigung.“
durch die angegriffene Ausführungsform („C 3“) kann von der Kammer festgestellt werden.
aa)
Merkmal 3.1 definiert die Erstreckung der Abdichtung in zwei Teilaspekten. Zum einen den Start- oder Ausgangspunkt am „distalen Ende der Klappe“; zum anderen die Erstreckung „in proximaler Richtung hin über die Befestigung“. Weiterhin beziehen sich die Vorgaben dieses Merkmals nur auf die Zuführkonfiguration, nicht aber auf die eingesetzte Konfiguration, die in Merkmal 3.2 angesprochen ist.
Aufgrund der Vorgabe von Merkmal 3.1 ist in der Zuführkonfiguration eine Abdichtung zwischen der Ersatzklappe vorhanden, die den distalen Endbereich außen an der Befestigung überdeckt. Damit ist gewährleistet, dass in der eingesetzten Konfiguration eine durchgängige Abdichtung zwischen der Ersatzklappe und der Gefäßwand vorhanden ist, die vom distalen Ende des Stents ausgeht. Eine bestimmte Mindesterstreckung in proximaler Richtung – etwa über das distale Ende der Ersatzklappe hinweg – verlangt das Klagepatent nicht. Auch ist es zulässig, wenn sich die Abdichtung zunächst innerhalb der Befestigung in distaler Richtung erstreckt und dann erst in proximaler Richtung über die Befestigung. Schließlich verlangt das Klagepatent keine Einstückigkeit der Abdichtung.
(1)
Als Start- bzw. Ausgangspunkt der Abdichtung schreibt Merkmal 3.1 das distale, also vom Operateur entfernter liegende Ende der Ersatzklappe, vor. Da die patentgemäße Abdichtung insbesondere verhindern soll, dass Blut an der Ersatzklappe vorbei fließen kann, wird der Fachmann den Anspruchswortlaut „erstreckt sich (…) vom“ als Hinweis auf eine im Wesentlichen undurchlässige, unmittelbare Verbindung zwischen der Ersatzklappe und der Abdichtung verstehen.
(2)
Weiterhin verlangt Merkmal 3.1 eine Erstreckung über die Befestigung, und zwar in proximaler Richtung. „Über die Befestigung“ versteht der Fachmann als Erstreckung auf der Außenseite, da die Befestigung nach Merkmal 2.1 die Ersatzklappe stützt, was hier im Sinne von „in ihr hält“ zu verstehen ist.
Durch die Erstreckung einerseits vom distalen Ende der Ersatzklappe ausgehend, andererseits in proximaler Richtung, wird sich die Abdichtung in jedem Fall über das distale Ende der Befestigung erstrecken – unabhängig davon, ob die Klappe distal mit der Befestigung abschließt oder versetzt zu dieser positioniert ist. Auf diese Weise wird eine Abdichtung des distalen Endes der Vorrichtung erreicht.
(3)
Damit werden auch solche Ausgestaltungen erfasst, bei denen sich die Abdichtung vom distalen Ende der Klappe zunächst weiter distal erstreckt, um nach „Umrundung“ des distalen Endes der Befestigung sich schließlich in proximaler Richtung zu erstrecken. Dass die Abdichtung vom distalen Ende der Klappe unmittelbar in proximaler Richtung verlaufen muss, kann dem Anspruchswortlaut nicht entnommen werden. Auch der Funktion des Merkmals steht es nicht entgegen, wenn ein Teil der Abdichtung (innenseitig) nicht in proximale Richtung verläuft. Dies bestätigen die Beschreibung des Klagepatents und insbesondere das Ausführungsbeispiel nach Fig. 22. Ein Patentanspruch ist grundsätzlich so auszulegen, dass Ausführungsbeispiele von diesem erfasst werden (BGH, GRUR 2015, 875, 876 Rn. [16] – Rotorelemente). In Fig. 22 endet die Ersatzklappe proximal von der Befestigung, wobei sich die Abdichtung zunächst in distaler Richtung innerhalb der Befestigung und dann in proximaler Richtung über die Befestigung erstreckt. Zur Veranschaulichung wird eine von den Beklagten kolorierte und beschriftete Fassung von Fig. 22 nach Anlage B6 (vgl. S. 12 der Klageerwiderung, Bl. 118 GA) auszugsweise eingeblendet, die das Vorstehende verdeutlicht:
Erkennbar verläuft die grün markierte Abdichtung 380 vom distalen Ende der blau gekennzeichneten Ersatzklappe 20 zunächst innerhalb der Befestigung 30 in distale Richtung, bevor sie „abknickt“ und außen an der Befestigung in proximaler Richtung verläuft. Im Einklang mit dem Wortlaut von Merkmal 3.1 heißt es zu Fig. 22 in der Beschreibung (Abs. [0103] – S. 50 Z. 29 bis S. 51 Z. 2):
„Figur 22 zeigt eine Abdichtung 380 aus Gewebe vor dem Einsetzen und Verkürzen der Befestigungs/Klappen-Vorrichtung. In Figur 22 erstreckt sich die Abdichtung 380 aus Gewebe während des Zuführens von dem distalen Ende der Klappe 20 proximal über die Befestigung 30.“
Eine ähnliche Aussage, ebenfalls in Bezug auf Fig. 22, findet sich in Abs. [0062], in dem es in der englischen Verfahrenssprache (Anlage PS1a) heißt:
„A fabric seal 380 extends from the distal end of valve 20 and back proximally over anchor 30 during delivery.”
In der deutschen Übersetzung (S. 31 Z. 9 – 11 Anlage PS1b) fehlen dagegen unzutreffend die Worte „und zurück“, die in der nachfolgenden Übersetzung kursiv gedruckt eingefügt sind:
Eine Abdichtung 380 aus Gewebe erstreckt sich während des Zuführens von dem distalen Ende der Klappe 20 und zurück proximal über die Befestigung 30.
Dies belegt, dass es für die Verwirklichung von Merkmal 3.1 unerheblich ist, wenn die Abdichtung vom Ausgangspunkt Ersatzklappe zunächst in distaler Richtung verläuft.
(4)
Entgegen der Auffassung der Beklagten schreibt das Klagepatent kein Mindestmaß der Erstreckung in proximaler Richtung vor, etwa über das distale Ende der Ersatzklappe hinaus. Eine solche Lehre lässt sich dem Anspruchswortlaut nicht entnehmen; in der Beschreibung findet sich hierfür ebenfalls kein zwingender Anhaltspunkt. Soweit sich in Fig. 22 die Abdichtung in proximaler Richtung bis oberhalb des distalen Endes der Ersatzklappe erstreckt, handelt es sich hierbei insofern um ein Ausführungsbeispiel, auf das die Erfindung nicht reduziert werden darf. Der dazugehörigen Beschreibung lässt sich keine Grundlage dafür entnehmen, dass eine bestimmte Mindesterstreckung allgemein vom Klagepatent vorgesehen wird. In der Beschreibung wird die in Fig. 22 erkennbare Erstreckung vielmehr nicht erwähnt, was die Beispielhaftigkeit der Fig. 22 unterstreicht.
Es ist schließlich kein technisch-funktionaler Grund für eine Mindesterstreckung erkennbar. Zwar muss sich die Abdichtung in proximaler Richtung soweit erstrecken, dass eine Abdichtung erfolgt; insofern bedarf es eines technisch relevanten Abschnitts der Abdichtung, der sich in proximaler Richtung über die Befestigung erstreckt und eine zuverlässige Abdichtung ermöglicht. Genauere Vorgaben im Sinne einer Mindesterstreckung lassen sich dem jedoch nicht entnehmen.
Damit verlangt das Klagepatent erst recht keine Erstreckung in proximaler Richtung bis über das proximale Ende der Befestigung hinweg. Der Anspruchswortlaut „über die Befestigung“ bezieht sich nicht auf ein Ende der Befestigung, sondern auf den Verlauf auf der Außenseite der Befestigung. Eine Erstreckung über das proximale Ende der Befestigung lässt sich weder der Beschreibung, noch den Figuren entnehmen. Vielmehr ist in Fig. 22 eine Abdichtung erkennbar, die sich gerade nicht bis zum proximalen Ende der Abdichtung erstreckt.
(5)
Das Klagepatent schließt nicht aus, dass die Abdichtung aus mehreren Teilstücken zusammengesetzt ist. Neben der in Merkmal 3.1 gelehrten Erstreckung der Abdichtung wird von Merkmalsgruppe 3 nur verlangt, dass die Abdichtung aus Gewebe ist und sie in der eingesetzten Konfiguration aufgebauscht („bunched up“) ist/wird. Weitere Vorgaben zur Ausgestaltung lassen sich dem Klagepatent nicht entnehmen. Zur Vermeidung von Leckagen muss die Abdichtung in der eingebauten Form im Wesentlichen dicht sein und zwar auch an den Übergängen zwischen den einzelnen Teilen der Abdichtung. Dies kann aber mit einer aus mehreren Gewebestücken zusammengesetzten Abdichtung erfolgen, wobei ebenso wenig erforderlich ist, dass alle Gewebestücke dasselbe Gewebematerial aufweisen.
bb)
Auf Grundlage dieser Erwägungen lässt sich die Verwirklichung von Merkmal 3.1 durch die angegriffene Ausführungsform feststellen. Die patentgemäße Abdichtung besteht bei dieser aus der inneren Einfassung und der damit verbundenen äußeren Einfassung. Die innere Einfassung ist mit dem distalen Ende der Klappe vernäht; an die innere Einfassung schließt sich die äußere Einfassung an, welche sich in proximaler Richtung erstreckt. Die beiden Einfassungen überdecken dabei das distale Ende der Befestigung. Die Übergänge zwischen Ersatzklappe und innerer Einfassung sowie innerer und äußerer Einfassung sind jeweils so gestaltet, dass kein Blut hindurch treten kann.
Der Patentverletzung steht nicht entgegen, dass innere und äußere Einfassung jeweils unterschiedliche Gewebestrukturen aufweisen. Schließlich sind, wie vorstehend dargelegt, für die Merkmalsverwirklichung weder eine Erstreckung in proximaler Richtung bis über das distale Ende der Ersatzklappe, noch sonst ein Mindestmaß der proximalen Erstreckung erforderlich.
b)
Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht ebenfalls Merkmal 3.2
„3.2 Die Abdichtung ist in der eingesetzten Konfiguration aufgebauscht („bunched up“)“.
aa)
Dieses Merkmal verlangt, dass in der eingesetzten Konfiguration die Abdichtung aufgebauscht ist, was als eine Ausdehnung der Abdichtung senkrecht zu deren Längsrichtung zu verstehen ist, die auf einem Überschuss von Material (der Abdichtung) beruht. Dies wird – wie Merkmal 3.3 zeigt – durch eine Verkürzung der Befestigung während des Einsetzens erreicht. Dagegen verlangt das Klagepatent kein bestimmtes Mindestmaß der Verkürzung der Befestigung; ebenso wenig erfordert die geschützte Lehre ein Aufbauschen in Form von horizontal umlaufenden Falten oder eine bestimmte, übliche Einsetzhöhe der geschützten Vorrichtung im menschlichen Körper.
(1)
Im Ergebnis ist „aufgebauscht“ hier eine akzeptable Übersetzung des nach Art. 70 Abs. 1 EPÜ maßgeblichen englischen Anspruchswortlaut „bunched up“.
Die von den Parteien diskutieren Übersetzungen dieses Begriffes haben gemeinsam, dass es zu einer Art Auftürmen oder Aufhäufung (von Gewebematerial) kommt, was mit einer Steigerung der – je nach Betrachtungsweise – Breite oder Höhe der Abdichtung einhergeht. Den von den Beklagten favorisierten Begriffen wohnt zusätzlich inne, dass dieses Auftürmen o.ä. auf einer ersten Achse durch eine Verkürzung einer hierzu senkrecht stehenden Achse verursacht wird.
Letztlich ist die Frage der richtigen Übersetzung nicht dafür ausschlaggebend, ob es zu einer axialen Verkürzung kommen muss. Bei der Auslegung ist nicht am Wortlaut zu haften, sondern auf den technischen Gesamtzusammenhang abzustellen, den der Inhalt der Patentschrift dem Fachmann vermittelt. Der Fachmann orientiert sich an dem in der Patentschrift zum Ausdruck gekommenen Zweck eines Merkmals, womit der technische Sinn der in der Patentschrift benutzten Worte und Begriffe – nicht die philologische oder logisch-wissenschaftliche Begriffsbestimmung – entscheidend ist. Die Patentschrift stellt dabei gleichsam ihr eigenes Lexikon dar (BGH, GRUR 2002, 515 – Schneidmesser I; GRUR 1999, 909 – Spannschraube). Es handelt sich weder bei „bunched up“ noch bei den vorgeschlagenen deutschen Übersetzungen um Fachbegriffe des hier gegenständlichen technischen Gebiets, die mit einer feststehenden Bedeutung verbunden sind, welche wiederum zur Auslegung beitragen könnte (wenngleich – wie erwähnt – für den Begriffsinhalt letztlich die Patentschrift insgesamt maßgeblich ist). Soweit die Beklagten auf die Bedeutung von „bunched up“ in Zusammenhang mit Geweben verweisen, handelt es sich hierbei nicht um Gewebe, die für die Abdichtung von Herzklappen oder deren Befestigung benutzt werden, so dass eine unmittelbare Übertragung der Bedeutung nicht möglich ist.
Soweit die Beklagten schließlich aus dem Begriff „bunched up“ einen zwingenden Zusammenhang zwischen dem Aufbauschen und einer axialen Verkürzung herstellen wollen, ist dies nicht auf Grundlage des Begriffs oder seiner deutschen Übersetzung zu entscheiden, sondern eine Frage des technischen Sinns des Merkmals. Letztlich entnimmt der Fachmann dem Gesamtzusammenhang des Anspruchs, dass eine Verkürzung der Befestigung das Aufbauschen (zumindest mit-) verursachen muss, was sich insbesondere aus Merkmal 3.3 ergibt. Die Übersetzung „aufgebauscht“ spiegelt dabei den Wortsinn von „bunched up“ zutreffend wider.
(2)
Das Aufbauschen ist patentgemäß Folge der Verkürzung der Befestigung beim Einsetzen.
(a)
Der reine Wortlaut des Anspruchs beschreibt einen Zustand der eingesetzten Konfiguration, ohne explizit zu beschreiben, wie das „Aufgebauscht-sein“ erreicht wurde. Allerdings legt bereits der Begriff „aufgebauscht“ („bunched up“) nahe, dass es auch einen nicht aufgebauschten Zustand gibt.
(b)
Die Gesamtschau der Merkmale von Anspruch 1 bestätigt, dass das Aufbauschen durch die Verkürzung verursacht werden muss. Die Merkmale des Patentanspruchs sind im Gesamtzusammenhang auszulegen (BGH, GRUR 2004, 845 – Drehzahlermittlung; BGH, GRUR 2012, 1124 – Polymerschaum). Den Merkmalen 3.1 – 3.3 entnimmt der Fachmann, dass sich die Abdichtung auf der Außenseite der Befestigung erstreckt, sie im eingesetzten Zustand aufgebauscht ist und schließlich die Befestigung sich beim Einsetzen verkürzt. Zwar stellt der Anspruchswortlaut keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Verkürzung und dem Aufbauschen her. Dem Fachmann ist jedoch – wie die einleitende Beschreibung belegt – schon aus dem Stand der Technik bekannt, dass zur Befestigung ballon- oder selbstexpandierbare Stents eingesetzt werden, die beim Einsetzen expandiert werden. Insofern liegt für ihn ein Zusammenhang zwischen dem Expandieren und dem Aufbauschen bzw. dem Aufgebauscht-sein in der eingesetzten Konfiguration nahe.
Der Fachmann wird sich ferner fragen, welchen Beitrag Merkmal 3.3 zu dem Ergebnis der patentgemäßen Lehre leistet. Dass die Verkürzung der Befestigung beim Einsetzen für sich genommen zur Vermeidung von paravalvulären Lecks beiträgt oder dass sie sonst per se vorteilhaft ist, lässt sich dem Klagepatent nicht entnehmen. Einen Beitrag zur Abdichtung leistet Merkmal 3.3 jedoch dann, wenn man eine kausale Beziehung zwischen der Verkürzung und der Aufbauschung der Abdichtung annimmt.
Einen solchen Zusammenhang bestätigt die Patentbeschreibung im Rahmen der Erörterung von Ausführungsbeispielen in den Abs. [0062] und Abs. [0103]. Hieraus geht jeweils hervor, dass beim Einsetzen es zu einer Verkürzung kommt, was wiederum zum Aufbauschen führt. Zwar darf eine weitergehende Lehre nicht auf die Ausführungsbeispiele beschränkt werden. Jedoch können Anhaltspunkte für das Verständnis eines Merkmals grundsätzlich auch den Beschreibungspassagen entnommen werden, die Ausführungsbeispiele behandeln (OLG Düsseldorf, Urteil vom 30.10.2014 – Az. I-15 U 30/14 – Rn. 92 bei Juris). Die Beschreibung verdeutlicht hier, dass die Verkürzung beim Einsetzen (kausal) das Aufbauschen der Abdichtung verursacht.
So ist in Abs. [0062] beschrieben, dass es beim Einsetzen zu einem Aufbauschen kommt – so dass die Abdichtung im eingesetzten Zustand aufgebauscht ist. Soweit es in Abs. [0062] S. 31 Z. 11 – 13 heißt „Eingesetzt (…) bauscht sich die Abdichtung (…) auf“, dürfte dies unpräzise übersetzt sein. In der maßgeblichen englischen Verfahrenssprache kommt zum Ausdruck, dass das Aufbauschen beim Einsetzen erfolgt: “When deployed, as shown in Figures 23 and 24, fabric seal 380 bunches up”. Dementsprechend heißt in Abs. [0103] (S. 51 Rn. 3 – 5) der Klagepatentbeschreibung:
„Während des Einsetzens wird die Befestigung 20 wie in Figur 23 gezeigt verkürzt und die Abdichtung 380 aus Gewebe bauscht sich auf, um Laschen und Taschen aus Gewebe zu bilden, die in die Räume ragen, die von den nativen Klappensegeln 382 gebildet werden.“
Zwar stammt Merkmal 3.3 ursprünglich aus dem erteilten Unteranspruch 9, so dass diesem Merkmal grundsätzlich bei der Auslegung des erteilten Anspruchs nur die Bedeutung eines Unterspruchs zuzurechnen gewesen wäre, was einer Beschränkung des Wortsinns des unabhängigen Hauptanspruchs regelmäßig entgegensteht. Durch die Aufnahme von Unteranspruch 9 in den Hauptanspruch wird dieser als Merkmal 3.3 von einer möglichen Ausgestaltung der patentgemäßen Vorrichtung jedoch zu einem wesentlichen Teil der anspruchsgemäßen Lehre, was sich hier auch auf die Auslegung von Merkmal 3.2 auswirkt. Dies gilt umso mehr, als dass die Aufnahme von Unteranspruch 9 in den Hauptanspruch nicht zum Zwecke der Abgrenzung der Lehre des Klagepatents gegenüber dem Stand der Technik erfolgte, sondern, weil das EPA einen zwingengenden funktionellen Zusammenhang zwischen Merkmal 3.3 und dem Hauptanspruch sah (vgl. S. 7 unter Ziff. 1.2 der „Vorläufigen Meinung der Einspruchsabteilung“ des EPA (Anlage PS19b), die unten zitiert wird).
(c)
Diese Auslegung bestätigt die Einspruchsabteilung des EPA in ihrer „Vorläufigen Meinung der Einspruchsabteilung“ (Anlage PS19a/b), welche die Kammer als fachmännische Äußerung zu würdigen hat (BGH, GRUR 1998, 895 – Regenbecken). Hierin heißt es auf S. 7 unter Ziff. 1.2 der Anlage PS19b:
„Während des Einsetzens wird nicht nur die Abdichtung aus Gewebe aufgebauscht, sondern auch die Befestigung verkürzt, wobei es sich um eine klare funktionelle Beziehung handelt. Es scheint, dass nur aufgrund der beiden technischen Erfordernisse Laschen und Taschen aus Gewebe gebildet werden, die sich in Räume erstrecken, die von nativen Klappensegeln gebildet werden. Aus der angeführten Passage auf Seite 85, Zeilen 28-29 und ferner mit der vollständigen Beschreibung im Zusammenhang mit Figur 107B, bei der sich um eine Ausführungsform für die Zuführung einer Vorrichtung handelt, geht hervor, dass die Vorrichtung als solche verkürzt wird, was die Befestigung einschließt. Nur nebenbei sei angemerkt, dass es in der Offenbarung keine weitere Angabe dazu gibt, welches andere Merkmal das Aufbauschen der Abdichtung verursachen kann.“
(d)
Merkmal 3.2 spricht die eingesetzte Konfiguration der patentgemäßen Vorrichtung an, wobei die Abdichtung in diesem Zustand aufgebauscht sein muss. Demgegenüber findet sich in diesem Merkmal keine Aussage über den Zustand der Abdichtung in der Zuführkonfiguration. Erst recht lässt sich nicht der von den Beklagten (S. 15 Rn. 53 KE = Bl. 121 GA) angeführte Umkehrschluss ziehen, dass patentgemäß ein Aufgebauscht-sein in der Zuführkonfiguration zwingend (und ggf. vollständig) zu vermeiden ist. Zwar mag eine nicht aufgebauschte Abdichtung den Umfang der Vorrichtung verringern und dadurch das Zuführen durch die menschlichen Gefäße erleichtern. Es lässt sich aber nicht ersehen, dass die Lehre der geltend gemachten Anspruchskombination auf die größtmögliche Minimierung des Zuführungsdurchmessers ausgerichtet ist. Es reicht aus, wenn die Abdichtung in der Zuführkonfiguration weniger weit ausgedehnt ist.
Damit ist es nicht ausgeschlossen, dass die Abdichtung in der Zuführkonfiguration bereits zu einem gewissen Maß aufgebauscht ist, sofern beim Einsetzen einer Verkürzung der Befestigung erfolgt (Merkmal 3.3), die zu einem (weiteren) Aufbauschen beiträgt. Dabei ist zulässig, dass weitere Maßnahmen das Aufbauschen unterstützen, solange dieses durch die Verkürzung der Befestigung mitverursacht wird.
(3)
Der Anspruch verlangt – auch unter Berücksichtigung von Merkmal 3.3 – kein Mindestmaß einer Verkürzung. Wie oben ausgeführt, dient die Verkürzung dazu, die Abdichtung aufzubauschen. Dies muss in einer Weise geschehen, dass die Aufbauschung und damit die Abdichtungswirkung in einem technisch relevanten Maße erfolgen. Der Anspruch schreibt aber weder vor, wie stark die Abdichtung sich beim Einsetzen aufbauschen muss, noch wie stark die Verkürzung sein muss, welche das Aufbauschen (mit-) verursacht. Entsprechende Vorgaben finden sich im Anspruch nicht. Es ist weitgehend in das Belieben des Fachmanns gestellt, wie stark die Abdichtung aufgebauscht sein soll, um einen hinreichenden Schutz vor Leckagen zu erreichen.
(4)
Dem Klagepatent kann nicht entnommen werden, dass sich horizontal umlaufende Falten bilden müssen. Zwar erscheint eine solche Faltenbildung naheliegend, wenn sich die Befestigung (axial) verkürzt; jedoch kann sich die Art des Aufbauschens je nach Verbindung zwischen der Befestigung und der sich darüber erstreckenden Abdichtung unterscheiden. Eine Faltenbildung kann dem Begriff „bunched up“ nicht entnommen werden, wie oben dargelegt wurde.
Dies bestätigen die Unteransprüche 2 und 3. Die Ermittlung des Sinngehalts eines Unteranspruchs kann grundsätzlich zur richtigen Auslegung des Hauptanspruchs beitragen (vgl. Schulte/Rinken/Kühnen, PatG, 9. Aufl. 2014, § 14 Rn. 26). Denn Unteransprüche gestalten die im Hauptanspruch unter Schutz gestellte Lösung weiter aus und können daher – mittelbar – Erkenntnisse über deren technische Lehre zulassen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass sie regelmäßig den Gegenstand des Hauptanspruchs nicht einengen, sondern, nicht anders als Ausführungsbeispiele (BGH, GRUR 2004, 1023 – Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung), lediglich – gegebenenfalls mit einem zusätzlichen Vorteil verbundene – Möglichkeiten seiner Ausgestaltung aufzeigen. Wird durch einen Unteranspruch ein Merkmal im Interesse funktionaler Optimierung um einen dieses Merkmal weiter ausformenden Aspekt ergänzt, kann dies unter Umständen eher tragfähige Rückschlüsse auf das dem betreffenden Merkmal im Rahmen der Lehre des Klagepatents beizulegende Verständnis ermöglichen, als wenn den Merkmalen des Hauptanspruchs additiv ein weiteres Element hinzugefügt wird. Rückschlüsse von der Beschaffenheit des Zusatzmerkmals auf das „richtige“ Verständnis des Hauptanspruchs werden sich in diesem Fall jedenfalls nicht ohne Weiteres ziehen lassen (BGH, GRUR 2016, 1031, 1033 [15] – Wärmetauscher).
Die Bildung von Falten kommt im Anspruch 1 nicht vor, sondern wird erst in Unteranspruch 3 angesprochen:
„3. Die Vorrichtung nach einem der vorhergehenden Ansprüche, wobei die Abdichtung aufbauscht und Falten bildet.“
Hier erscheint die Faltenbildung als ein zusätzlicher Aspekt, da sie im Unteranspruch kumulativ zum Aufbauschen der Abdichtung genannt wird. Die Faltenbildung stellt also eine spezielle Ausformung der Aufbauschung dar.
Als Indiz gegen die Notwendigkeit der Faltenbildung kann auch Unteranspruch 2 angesehen werden,
„2. Die Vorrichtung nach Anspruch 1, wobei die Abdichtung aus Gewebe aufbauscht, um Laschen und Taschen aus Gewebe zu bilden.“
Hier wird eine weitere mögliche Form der Aufbauschung genannt – die Bildung von Laschen und Taschen aus Gewebe, wobei es sich nicht notwendig um horizontale Falten handeln muss, insbesondere, da (nicht notwendigerweise horizontale) Falten ja erst Gegenstand von Unteranspruch 3 sind. Dies legt nahe, dass Anspruch 1 keine horizontale Faltenbildung in Folge des Aufbauschens verlangt.
(5)
Das Klagepatent schreibt nicht vor, wo die Abdichtung an den Gefäßinnenwänden anliegt. Ziel der geschützten Lehre ist eine Abdichtung zum Schutz vor paravalvulären Lecks. Die Einsetzhöhe der patentgemäßen Vorrichtung relativ zu den nativen Klappensegeln wird von Anspruch 1 und/oder Anspruch 9 nicht zwingend vorgeschrieben. Diese ist auch nicht Teil der patentgemäßen Lehre, sondern eine Frage der Verwendung der geschützten Vorrichtung. Es steht einer Patentverletzung jedoch nicht entgegen, dass eine Vorrichtung normalerweise anders bedient wird oder der Hersteller sogar ausdrücklich eine andere Verwendung seiner Vorrichtung empfiehlt und die Abnehmer deshalb von der patentverletzenden Lehre regelmäßig keinen Gebrauch machen, soweit die Nutzung der patentgemäßen Lehre möglich ist (BGH, GRUR 2006, 399 – Rangierkatze).
bb)
Auf Grundlage der vorstehenden Erwägungen lässt sich die Verwirklichung von Merkmal 3.2 feststellen.
Zwischen den Parteien ist nicht streitig, dass sie sich die angegriffene Ausführungsform in allen Varianten beim Einsetzen (Expandieren) verkürzt und zwar – je nach Modell – etwa von 24,5 auf 18, von 27 auf 20 und von 31 auf 22,5 Millimeter (vgl. Anlage B25). Dies stellt eine technisch relevante und damit ausreichende Verkürzung dar. Eine mindestens 50 prozentige Verkürzung wird dagegen nicht von der patentgemäßen Lehre verlangt.
Die Beklagten räumen auch ein, dass sich die Abdichtung (äußere Einfassung) beim Einsetzen aufspannt, ähnlich einem Regenschirm (S. 28 Rn. 86 Duplik = Bl. 346 GA). Dies stellt ein Aufbauschen (bunch up) im Sinne des Klagepatents dar, denn durch die Verkürzung „verdickt“ sich die Abdichtung mit überschüssigem Material. Im Übrigen kann das Aufspannen als Bildung einer großen Falte angesehen werden. Auch die von der Klägerin in Anlage PS10 vorgelegten Bilder (Bild 12a/b) lassen ein Aufbauschen der Abdichtung in der expandierten Konfiguration erkennen:
Soweit die Beklagten vortragen, es seien bereits in der Zuführkonfiguration (zufällige) vertikale Falten vorhanden, die sich beim Einsetzen glätteten, führt dies nicht aus der Patentverletzung heraus, da sich die Abdichtung aufspannt. Das Klagepatent verlangt zudem nicht, dass sich horizontale Falten bilden.
Der Vortrag der Beklagten, im eingesetzten Zustand würde die Abdichtung hin zur irregulären Oberfläche der nativen Klappensegel durch die innere Einfassung erfolgen, während sich die äußere Einfassung auf einer anderen Höhe befinde, führt nicht aus der Patentverletzung heraus.
Zum einen kommt es nicht auf den gewöhnlichen Einsatz der angegriffenen Ausführungsform an. Es steht einer Patentverletzung nicht entgegen, dass eine Vorrichtung normalerweise anders bedient wird oder der Hersteller sogar ausdrücklich eine andere Verwendung seiner Vorrichtung empfiehlt und die Abnehmer deshalb von der patentverletzenden Lehre regelmäßig keinen Gebrauch machen, soweit die Nutzung der patentgemäßen Lehre möglich ist (BGH, GRUR 2006, 399 – Rangierkatze). Dies ist hier der Fall, da es ohne weiteres möglich erscheint, die angegriffene Ausführungsform „höher“ einzusetzen, so dass die äußere Einfassung vollständig an den nativen Klappensegeln anliegen kann.
Zum anderen greift die Argumentation der Beklagten auch im Tatsächlichen nicht durch. Die Klägerin hat unter Verweis auf Schulungsunterlagen der Beklagten und unter Bezugnahme auf die Länge der angegriffenen Ausführungsform aufgezeigt, dass auch nach den Einsetzempfehlungen der Beklagten eine Überlappung zwischen der äußeren Einfassung und den nativen Klappensegeln besteht. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend entgegen getreten. Dass die Abdichtung der nativen Klappensegel hauptsächlich von der inneren Einfassung vorgenommen wird, wie die Beklagten anführen, ist für die Patentverletzung unerheblich, solange – wie hier – ein Teil der Abdichtungswirkung durch die äußere Einfassung als patentgemäßer Beutel erfolgt. Patentrechtlich ebenso unerheblich ist der (pauschale) Einwand der Beklagten, die angegriffene Ausführungsform weise ein grundlegendes anderes Abdichtungskonzept auf.
II.
Die Beklagte verletzt das Klagepatent durch Anbieten und Inverkehrbringen der angegriffenen Ausführungsformen im Inland. Aufgrund der festgestellten Patentverletzung ergeben sich die zuerkannten Rechtsfolgen, wobei die Anträge auf Vernichtung und Rückruf patentverletzender Vorrichtungen aufgrund fehlender Verhältnismäßigkeit nicht zu gewähren waren.
1.
Der Unterlassungsanspruch beruht auf Art. 64 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 1 PatG, da die Benutzung des Erfindungsgegenstandes im Inland ohne Berechtigung erfolgt. Die hilfsweise begehrte Aufbrauchfrist war nicht zu gewähren.
a)
Die Einräumung einer Aufbrauchfrist (oder synonym: Umstellungsfrist), die üblicherweise der Überbrückung des für Umstellungs- und Beseitigungsmaßnahmen benötigten Zeitraums dienen soll, kann im Einzelfall geboten sein, wenn die sofortige Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs des Patentinhabers auch unter Berücksichtigung seiner Interessen gegenüber dem Verletzer eine unverhältnismäßige, durch das Ausschließlichkeitsrecht nicht gerechtfertigte Härte darstellte und daher treuwidrig wäre (BGH, GRUR 2016, 1031 Rn. [41] – Wärmetauscher). Die Möglichkeit einer Aufbrauchfrist ist Ausfluss des allgemeinen Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) (Grabinski/Zülch in Benkard, PatG, 11. Aufl. 2015, § 139 Rn. 136a).
(1)
Die Gewährung einer Aufbrauchfrist kommt im Falle einer Patentverletzung aus in der Natur der Beeinträchtigung liegenden Gründen nur unter engen Voraussetzungen in Betracht. Anders als etwa im Marken- oder Wettbewerbsrecht wird bei der Patentverletzung entgegen der Wirkung des Patents (§ 9 PatG) unmittelbar ein geschütztes Erzeugnis hergestellt oder in den Verkehr gebracht. Es ist daher notwendige Folge des patentrechtlichen Unterlassungsanspruchs, dass der Verletzer den patentverletzenden Vertrieb einstellen muss und das betroffene Produkt erst dann wieder auf den Markt bringen kann, wenn er sich entweder die dafür benötigten Rechte vom Patentinhaber verschafft oder das Produkt so abgewandelt hat, dass es das Schutzrecht nicht mehr verletzt, was gegebenenfalls erheblichen Zeit- und Kostenaufwand erfordern kann. Die damit zwangsläufig verbundenen Härten sind grundsätzlich hinzunehmen. Eine Einschränkung der Wirkung des Patents durch Gewährung einer Aufbrauchfrist ist deshalb nur dann zu rechtfertigen, wenn die wirtschaftlichen Folgen der sofortigen Befolgung des Unterlassungsgebots den Verletzer im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände über die mit seinem Ausspruch bestimmungsgemäß einhergehenden Beeinträchtigungen hinaus in einem Maße treffen und benachteiligen, das die unbedingte Untersagung als unzumutbar erscheinen lässt (BGH, GRUR 2016, 1031 Rn. [45] – Wärmetauscher).
Eine Aufbrauchfrist kommt in Patentverletzungsfällen damit nur ausnahmsweise und unter sehr strengen Voraussetzungen im Einzelfall in Betracht. Hierbei sind alle betroffenen Interessen und ihre Schutzwürdigkeit unter Berücksichtigung von Gut- und Bösgläubigkeit gegeneinander abzuwägen (Grabinski/Zülch in Benkard, PatG, 11. Aufl. 2015, § 139 Rn. 136a). Berücksichtigt werden können etwa die wirtschaftlichen Auswirkungen der Unterlassung, das Verhalten des Berechtigten sowie Art und Umfang des Verschuldens des Verletzers (Busse/Keukenschrijver, PatG, 8. Aufl. 2016, § 139 Rn. 94). So dürfte bei grober Fahrlässigkeit des Verletzers eine Aufbrauchfrist kaum noch in Betracht kommen (Grabinski/Zülch in Benkard, PatG, 11. Aufl. 2015, § 139 Rn. 136a; vgl. auch Bodewig, GRUR 2005, 632, 635).
(2)
Allerdings ist nicht ersichtlich, dass in der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Interessen (bestimmter) Dritter oder der Öffentlichkeit im Allgemeinen zur Einräumung einer Aufbrauchfrist geführt haben bzw. diese Interessen überhaupt berücksichtigt werden können. Die Entscheidung Wärmetauscher des BGH stellt nur auf die wirtschaftlichen Folgen für den Verletzer ab, aus denen sich die Treuwidrigkeit einer sofortigen Unterlassung ergeben kann. Es lassen sich auch keine Stimmen in der Literatur ersehen, die für die Berücksichtigung solcher Erwägungen sprechen.
Nach dem Willen des Gesetzgebers soll der Unterlassungsanspruch nicht von Verhältnismäßigkeitsüberlegungen abhängig sein. Beim Unterlassungsanspruch existiert – anders als bei den Ansprüchen auf Vernichtung oder Rückruf mit § 140a Abs. 4 PatG – im Gesetz kein Anhaltspunkt, der diesen Anspruch bei Unverhältnismäßigkeit ausschließen könnte. Erst recht sieht das Gesetz keine Berücksichtigung der Interessen Dritter beim Unterlassungsanspruch vor. Gerade weil dies für die Ansprüche auf Vernichtung und Rückruf im Gesetz geregelt ist, lässt sich eine planwidrige Gesetzeslücke nicht feststellen.
Ein Bedürfnis für die Berücksichtigung von Dritt- bzw. Allgemeininteressen lässt sich auch deswegen nicht feststellen, da das Patentgesetz das öffentlichen Interesse an der Nutzung einer patentgeschützten Lehre auf andere Weise schützt – namentlich durch die Möglichkeit der Einräumung einer Zwangslizenz nach § 24 PatG. Zwar wirkt die Zwangslizenz anders als eine Aufbrauchfrist – insbesondere nicht nur für einen begrenzten Zeitraum für die Umstellung / Anpassung. Gleichwohl erlauben beide Rechtsinstitute die Nutzung einer patentgemäßen Lehre gegen den Willen des Patentinhabers und durchbrechen so dessen vom Patentamt eingeräumtes Ausschließungsrecht.
Eine Zwangslizenz setzt einerseits voraus, dass das öffentliche Interesse die Erteilung einer Zwangslizenz gebietet (§ 24 Abs. 1 Nr. 2 PatG), was die Berücksichtigung von Patienteninteressen ermöglicht (vgl. Rinken/Kühnen in Schulte, PatG, 9. Aufl. 2014, § 24 Rn. 13 f.; vgl. BPatG, Urteil vom 31.08.2016 – 3 LiQ 1/16 (EP)). Weitere Voraussetzung ist jedoch, dass sich der Lizenzsucher innerhalb eines angemessenen Zeitraumes erfolglos bemüht hat, vom Patentinhaber die Zustimmung zu erhalten, die Erfindung zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen zu benutzen (§ 24 Abs. 1 Nr. 1 PatG).
Eine Zwangslizenz nach § 24 PatG ist gegenüber einer Aufbrauchfrist vorranging. Die Regelung des § 24 PatG würde unterlaufen, wenn man nur auf der Basis der Interessen Dritter eine Aufbrauchfrist einräumt, ohne dass die Voraussetzungen von § 24 Abs. 1 PatG gegeben sind – also insbesondere, ohne dass der Patentverletzer sich erfolglos um eine Lizenz bemüht hat.
(b)
Die dargestellten Voraussetzungen für die Gewährung einer Aufbrauchfrist haben die Beklagten nicht hinreichend dargelegt.
(1)
Die wirtschaftlichen Folgen einer nicht um eine Aufbrauchfrist verzögerten Unterlassung rechtfertigen nicht die Einräumung einer Aufbrauchfrist. Vielmehr gehen die den Beklagten drohenden Einbußen nicht über die üblichen Folgen eines patentrechtlichen Unterlassungstenors hinaus. Dabei ist zu berücksichtigen, dass grundsätzlich kein schützenswertes Interesse am Weitervertrieb patentverletzender Erzeugnisse besteht. Die Einstellung der Produktion der angegriffenen Ausführungsform und der damit zusammenhängenden Geschäftsaktivitäten sind übliche Folgen des Unterlassungsgebots sind, die alleine die Gewährung von Vollstreckungsschutz nicht rechtfertigen können (vgl. zu § 712 ZPO: OLG Düsseldorf, InstGE 8, 117, 121 Tz. 16 – Fahrbare Betonpumpe), was auch für eine Aufbrauchfrist gelten muss.
Es ist nicht hinreichend vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass den Beklagten eine Insolvenz droht, wenn der Unterlassungstenor durchgesetzt wird. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Wegfall der Umsätze mit der angegriffenen Ausführungsform die Existenz der Beklagten zu 1) bedrohen könnte. Diese ist ein international tätiges Unternehmen, das nur einen Bruchteil seiner Umsätze in Deutschland erzielt. Ein Teil der wegfallenden, inländischen Umsätze dürfte zudem durch die Verkäufe des nicht angegriffenen Vorgängerprodukts C XT kompensiert werden können, welches bei der Durchsetzung des Unterlassungstenors wieder verstärkt angeboten und nachgefragt werden wird. Bei der Beklagten zu 2) handelt es sich um eine abhängige Konzerngesellschaft der Beklagten zu 1), so dass deren Insolvenzgefahr isoliert nur unter besonderen Umständen berücksichtigt werden kann. Zudem vertreibt die Beklagte zu 2) die angegriffene Ausführungsform lediglich und hat dementsprechend weniger laufende Ausgaben, insbesondere keine Herstellungskosten o.ä.
(2)
Ferner erscheint die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs durch die Klägerin nicht treuwidrig. Patentgemäße Produkte werden auch von der Klägerin hergestellt und vertrieben – es handelt sich bei ihr nicht um eine Patentverwerterin. Über den Unterlassungsanspruch schützt die Klägerin auf zulässige Weise eigene Produkte. Hinzu kommt, dass – wie sich aus dem Beklagtenvortrag ergibt – die Klägerin grundsätzlich zur Erteilung einer Lizenz am Klagepatent bereit ist. Soweit die Beklagte der Ansicht ist, die Lizenzforderungen der Klägerin seien überhöht, lässt sich insofern eine Treuwidrigkeit nicht feststellen. Zum einen ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin hier zur Lizenzerteilung verpflichtet ist. Zum anderen haben die Beklagten schon nicht ansatzweise hinreichend vorgetragen, welche Lizenzgebühren die Klägerin verlangt und inwiefern diese Forderungen überhöht sind.
Es ist schließlich nicht ersichtlich, dass den Beklagten ein geringeres Verschulden (verglichen mit durchschnittlichen Fällen) zur Last gelegt werden kann.
2.
Die Klägerin hat gegen die Beklagten dem Grunde nach einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz, der aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 2 PatG folgt. Als Fachunternehmen hätten die Beklagten die Patentverletzung bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest erkennen können, § 276 BGB.
Da überdies durch die rechtsverletzenden Handlungen der Beklagten die Entstehung eines Schadens hinreichend wahrscheinlich ist, der durch die Klägerin aber noch nicht beziffert werden kann, weil sie den Umfang der rechtsverletzenden Benutzungshandlungen ohne ihr Verschulden nicht im Einzelnen kennt, ist ein rechtliches Interesse der Klägerin an der Feststellung der Schadensersatzverpflichtung anzuerkennen, § 256 ZPO.
3.
Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsformen ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstands unmittelbar aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 140b Abs. 1 PatG, der Umfang der Auskunftspflicht aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 140b Abs. 3 PatG. Die weitergehende Auskunftspflicht folgt aus Art. 64 EPÜ i.V.m. §§ 242, 259 BGB. Damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, ihren Schadensersatzanspruch zu beziffern, steht ihr gegen die Beklagten ein Anspruch auf Auskunft im zuerkannten Umfang zu. Die Klägerin ist auf die Angaben angewiesen, über die sei ohne eigenes Verschulden nicht verfügt; die Beklagten werden durch die von ihnen verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet.
4.
Der gegen die Beklagte zu 2) gerichtete Anspruch auf Vernichtung aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 140a Abs. 1 PatG ist vorliegend jedenfalls wegen Unverhältnismäßigkeit nach § 140a Abs. 4 PatG nicht zu zuerkennen.
a)
Nach § 140a Abs. 4 PatG sind Vernichtungs- und Rückrufansprüche ausgeschlossen, wenn die Inanspruchnahme im Einzelfall unverhältnismäßig ist. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit sind die berechtigten Interessen Dritter zu berücksichtigen (§ 140a Abs. 4 S. 2 PatG).
aa)
Maßgeblich sind die vom Patentverletzer darzulegenden und zu beweisenden Umstände des Einzelfalls, die abzuwägen sind (Grabinski/Zülch in Benkard, PatG, 11. Aufl. 2015, § 140a Rn. 8; Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 9. Aufl. 2017, Rn. D.565). Als Ausnahmetatbestand ist § 140a Abs. 4 PatG eng auszulegen, die Vernichtung bzw. der Rückruf stellen die Regelmaßnahme dar (BeckOK PatR/Rinken, 2. Edition, § 140a Rn. 28; zum Markenrecht: BGH, GRUR 1997, 899, 901 – Vernichtungsanspruch). Hohe Kosten der Vernichtung oder des Rückrufs machen diese nicht per se unverhältnismäßig. Ein Aspekt in der Abwägung ist der Grad des Verschuldens des Patentverletzers. Gewisse Schäden beim Verletzer sind oft unvermeidbare Folge der Ansprüche aus § 140a PatG und stellen dessen Verhältnismäßigkeit nicht ohne Weiteres in Frage (BeckOK PatR/Rinken, 2. Edition, § 140a Rn. 30).
Zu berücksichtigen ist bei der Frage der Verhältnismäßigkeit, welche Alternativen es gibt, um einen rechtswidrigen Zustand zu beseitigen und wie wirtschaftlich schwerwiegend der rechtswidrige Zustand für den Schutzrechtsinhaber ist (Voß/Kühnen in Schulte, PatG, 9. Auf. 2014, § 140a Rn. 14). An der Verhältnismäßigkeit kann es fehlen, wenn durch andere Maßnahmen als der vollständigen Vernichtung der Verletzungsform der rechtswidrige Zustand beseitigt werden kann (Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 9. Aufl. 2017, Rn. D.569; BeckOK PatR/Rinken, 2. Edition, § 140a Rn. 29a). Im Einzelfall kann ein Anspruch auf Vernichtung vollständig wegen Unverhältnismäßigkeit ausgeschlossen sein, wenn es an sich keine Alternative zur Vernichtung gibt (Grabinski/Zülch, a.a.O., § 140a Rn. 8b).
bb)
Nach der ausdrücklichen Regelung des § 140a Abs. 4 S. 2 PatG sind bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit die berechtigten Interessen Dritter zu berücksichtigen. Dritte sind in erster Linie die Eigentümer und/oder Besitzer der patentverletzenden Erzeugnisse (Voß/Kühnen in Schulte, PatG, 9. Aufl. 2014, § 140 Rn. 14). Allerdings ist der Begriff der Dritten nicht auf diese Gruppe beschränkt, so dass auch allgemeine öffentliche Interessen oder die Belange mittelbarer Nutznießer der patentverletzenden Vorrichtung (wie Patienten) bei der Verhältnismäßigkeit Berücksichtigung finden können.
Im Hinblick auf den Regel-Ausnahme-Mechanismus des § 140a Abs. 4 PatG gebührt dem Vernichtungs- bzw. Rückrufinteresse des Patentinhabers im Zweifel auch gegenüber Drittinteressen der Vorrang. Das gilt umso mehr, wenn dem Dritten seinerseits eine schuldhafte Verletzungshandlung zur Last fällt (BeckOK PatR/Rinken, 3. Edition 2016, § 140a Rn. 31). Für die Feststellung der Unverhältnismäßigkeit genügt es allerdings, wenn die Unverhältnismäßigkeit nur für einen der Beteiligten festgestellt werden kann, also für den Patentverletzer selbst oder einen Dritten. Zumindest in Grenzfällen werden die für beide Beteiligte sich ergebenden Beeinträchtigungen kumulativ zu berücksichtigen sein (Grabinski/Zülch, a.a.O., § 140a Rn. 8a).
b)
Unter Berücksichtigung der Interessen der Krankenhäuser, Herzzentren und deren Patienten erscheint die Vernichtung der angegriffenen Ausführungsformen hier unverhältnismäßig.
aa)
Besitz und/oder Eigentum im Inland hat die Beklagte zu 2) nur an solchen Exemplaren der angegriffenen Ausführungsform, die sich bereits im unmittelbaren Besitz der Krankenhäuser und Herzzentren (zusammenfassend nachfolgend: Krankenhäuser) befinden bzw. per Logistikunternehmen D auf dem Weg dorthin sind. Soweit daneben (insbesondere defekte) angegriffene Ausführungsformen an die Beklagte zu 2) in Unterschleißheim gesendet werden und so in deren Besitz gelangen, sind diese für beide Parteien kaum wirtschaftlich relevant.
bb)
Das wirtschaftliche Interesse der Klägerin an den Ansprüchen auf Vernichtung und Rückruf ist vorliegend nicht besonders groß. Die Anzahl der potentiell von Vernichtungs- oder Rückruf betroffenen angegriffenen Ausführungsformen ist begrenzt, da die Beklagten in Deutschland weder über Produktionsstätten noch Lager verfügen und eine größere Lagerhaltung von Ersatzherzklappen bei den Krankenhäusern nicht üblich ist (vgl. eidesstattliche Versicherung Dr. G, Anlage B34 S. 4 Rn. 12).
cc)
Die sich im unmittelbaren Besitz der Krankenhäuser (dort gelagerten) oder auf dem Weg dorthin befindlichen angegriffenen Ausführungsformen sind für den zeitnahen Einsatz im Patienten bestimmt. Zwar können dabei regelmäßig auch Konkurrenzprodukte verwendet werden, da aber für jeden Typ von Ersatzherzklappe spezielle Schulungen erforderlich sind, würden der Rückruf- und/oder die Vernichtung dieser Exemplare der angegriffenen Ausführungsform teilweise die Verschiebung von bereits geplanten oder spontan notwendigen Operationen nach sich ziehen. Dies kann sich negativ auf die Gesundheit der Patienten auswirken.
Durch die Nichtgewährung des Vernichtungsanspruchs (dies gilt für den Rückrufanspruch gleichermaßen) können bereits vorhandene und auf dem Weg zu den Krankenhäusern befindliche angegriffene Ausführungsformen noch verwendet werden, so dass den Krankenhäusern eine gewisse Übergangszeit zur Umstellung auf andere Ersatzherzklappen eingeräumt wird.
Eine solche Umstellungszeit ist auch deshalb angezeigt, da beim Vertriebsstopp der angegriffenen Ausführungsform nicht jedes beliebige Konkurrenzprodukt verwendet werden kann. Die verschiedenen, auf dem Markt erhältlichen Ersatzherzklappen besitzen jeweils unterschiedliche Eigenschaften und unterscheiden sich etwa in ihren Klappendurchmesser oder den behandelbaren Patientengruppen. Insofern wird eine gewisse Zeit benötigt, um eine alternative Ersatzherzklappe zu beschaffen und ein hierfür geschultes Ärzte-Team zu finden. Dies erfordert eine Umplanung und ggf. Nachschulungen in den Krankenhäusern und damit Zeit, wobei bei den hier durch die angegriffene Ausführungsform behandelten Krankheitsbildern Verzögerungen im Interesse der Gesundheit der Patienten vermieden werden sollten.
Ferner ist nach Einschätzung der Kammer die angegriffene Ausführungsform das Produkt auf dem Markt, das bei der Betrachtung der möglichen Komplikationen Herzschrittmacher-Implantationsrate und paravalvuläres Leck in Kombination wohl derzeit die besten Ergebnisse erzielt. Zwar mag das Risiko für paravalvuläre Lecks bei verschiedenen anderen Ersatz-Herzklappen geringer sein, wie die Untersuchung von Leon et. al. (vgl. S. 20 RE / Bl. 304) belegt:
Jedoch weist zumindest die Klappe der Klägerin (F) eine höhere Herzschrittmacher-Implantationsrate auf. Weiterhin ist zwar das Modell C XT hinsichtlich dieser Herzschrittmacher-Implantationsrate der angegriffenen Ausführungsform überlegen, dafür weist C XT wiederum eine deutlich höhere Risikorate für paravalvuläre Lecks auf (wie das oben eingeblendete Diagramm ebenfalls zeigt). Diese Umstände haben die Beklagten auch durch die in den Anlagen B34und B20 vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen von Priv.-Doz. Dr. G (H) und Prof. Dr. I (J) hinreichend glaubhaft gemacht. Dies erschwert die Suche nach einem geeigneten Ersatz für die angegriffene Ausführungsform, was deren Rückruf oder Vernichtung aufgrund der Interessen der Patienten unverhältnismäßig erscheinen lässt.
Zudem kann den Krankenhäusern jedenfalls keine besonders große Fahrlässigkeit bei der Patentverletzung vorgeworfen werden, während den Patienten gar kein Verschulden zur Last gelegt werden kann.
5.
Der grundsätzlich der Klägerin zustehende Anspruch auf Rückruf patentverletzender Erzeugnisse aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 140a Abs. 3 PatG besteht hier aufgrund der Unverhältnismäßigkeit im Einzelfall nach § 140a Abs. 4 PatG nicht. Insofern gelten die Ausführungen zur Unverhältnismäßigkeit des Vernichtungsanspruchs hier entsprechend. Die sich in den Vertriebswegen befindlichen angegriffenen Ausführungsformen sind regelmäßig für den zeitnahen Einsatz im Patienten gedacht.
6.
Hinsichtlich der Nebenentscheidungen und dem hilfsweisen Antrag auf Vollstreckungsschutz wird auf Ziff. IV unten verwiesen.
III.
Das Verfahren wird nicht nach § 148 ZPO in Bezug auf das Einspruchsverfahren ausgesetzt.
1.
Nach § 148 ZPO kann das Gericht bei der Vorgreiflichkeit eines anderen Verfahrens einen Rechtsstreit aussetzen. Die Vorgreiflichkeit ist aufgrund der angenommenen Verletzung des Schutzrechtes hinsichtlich des anhängigen Einspruchsverfahrens gegeben.
a)
Die Erhebung eines Einspruchs stellt ohne Weiteres noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen. Die Patenterteilung ist auch für die (Verletzungs-) Gerichte bindend. Wegen der gesetzlichen Regelung, die für die Ansprüche nach §§ 139 ff. PatG lediglich ein in Kraft stehendes Patent verlangt und für die Beseitigung dieser Rechtsposition nur den in die ausschließliche Zuständigkeit des Europäischen Patentamts stehenden Einspruch bzw. die Nichtigkeitsklage beim Bundespatentgericht zur Verfügung stellt, kann der Angriff gegen das Klagepatent nicht als Einwand im Verletzungsverfahren geführt werden. Jedoch darf dies nicht dazu führen, dass diesem Angriff jede Auswirkung auf das Verletzungsverfahren versagt wird. Die Aussetzung des Verletzungsstreits im Rahmen der nach § 148 ZPO zu treffenden Ermessenentscheidung ist vielmehr grundsätzlich, aber auch nur dann geboten, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass das Klagepatent dem erhobenen Einspruch nicht standhalten wird (BGH, GRUR 2014, 1237, 1238 – Kurznachrichten; OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.06.2015 – Az. 2 U 64/14, S. 29 f.).
b)
Eine solche hinreichende Wahrscheinlichkeit lässt sich regelmäßig nicht feststellen, wenn die Einspruchsabteilung des EPA oder das BPatG in einem qualifizierten Hinweis die angeführten Widerrufs- bzw. Nichtigkeitsgründe gewürdigt hat, aber zu dem Ergebnis kommt, dass diese nicht durchgreifen – das Klageschutzrecht also für rechtsbeständig hält. Voraussetzung für die Berücksichtigung solcher Äußerungen bei der Aussetzungssetzungsentscheidung ist jedoch stets, dass eine bestimmte Auffassung bezogen wird und nicht bloße Erwägungen in den Raum gestellt werden (Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 9. Aufl. 2017, Rn. E.620).
Bei der Frage der Aussetzung hat das Verletzungsgericht die Entscheidung im Rechtsbestandsverfahren zu prognostizieren, weshalb es grundsätzlich nicht auf die eigene Sichtweise der nicht mit Technikern besetzten Kammer zum Rechtsbestand ankommt. Vielmehr hat eine Aussetzung bereits dann zu unterbleiben, wenn auf Basis des qualifizierten Hinweises ein Widerruf bzw. eine Vernichtung des Klagepatents nicht zu erwarten ist. Dies gilt selbst dann, wenn das Verletzungsgericht eine abweichende Beurteilung der Entgegenhaltung oder anderer Rechtsbestandsangriffe für zutreffend(er) hält, solange die Auffassung der Einspruchsabteilung oder des Bundespatentgerichts nachvollziehbar begründet ist und vertretbar erscheint. Geht die zuständige Instanz im qualifizierten Hinweis von der Rechtsbeständigkeit aus, kommt eine Aussetzung daher nur dann ausnahmsweise in Betracht, wenn die Annahmen der Einspruchsabteilung oder des Bundespatentgerichts für das Verletzungsgericht erkennbar offensichtlich unzutreffend sind und daher in der noch folgenden mündlichen Verhandlung im Rechtsbestandsverfahren oder zumindest im sich hieran anschließenden Beschwerde- bzw. Berufungsverfahren hinreichend sicher (doch) mit einem Widerruf bzw. einer Vernichtung des Klageschutzrechts zu rechnen ist.
Fehlt in der Stellungnahme eine nachvollziehbare Begründung der Einspruchsabteilung bzw. des Bundespatentgerichts für die Auffassung, dass das Klageschutzrecht rechtbeständig ist, schwächt dies den Einfluss auf die Aussetzungsentscheidung naturgemäß ab. Bedeutungslos wird die Stellungnahme (qualifizierter Hinweis) dadurch jedoch nicht. Denn auch ohne Begründung lässt sich für die Prognose der Entscheidung im Rechtsbestandsverfahren feststellen, dass die Einspruchsabteilung bzw. das Bundespatentgericht zu einer bestimmten Auffassung tendiert. Die in der vorläufigen Meinung bzw. im qualifizierten Hinweis abgehandelte Entgegenhaltungen haben (auch ohne Begründung) einen Status ähnlich wie bereits im Erteilungsverfahren gewürdigte Schriften, auf die eine Aussetzungsentscheidung ebenfalls regelmäßig nicht gestützt werden kann (Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 9. Aufl. 2017, Rn. E.612).
Nur wenn erkennbar ist, dass sich die im Rechtsbestandsverfahren zur Entscheidung berufene Instanz (noch) keine abschließende Meinung zu den Widerrufs- bzw. Nichtigkeitsgründen gebildet hat oder von offensichtlich unzutreffenden Annahmen ausgeht, hat der Hinweis keinen Einfluss auf das Verletzungsverfahren.
2.
Es kann von der Kammer keine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür festgestellt werden, dass die Einspruchsabteilung des EPA das Klagepatent wegen unzulässiger Erweiterung (Einspruchsgrund nach Art. 100 (c) EPÜ) gemäß Art. 101 Abs. 2 EPÜ widerruft. Bei der Aussetzung auf Basis einer unzulässigen Erweiterung ist eine gewisse Zurückhaltung angezeigt, da es sich um einen Aspekt handelt, der bereits Gegenstand des Erteilungsverfahrens war.
Das Klagepatent beruht auf einer Teilanmeldung der EP 1 720XXX, der wiederum die PCT-Anmeldung WO 2005/062 XXX A2 zugrunde liegt (nachfolgend kurz: WO‘XXX; vorgelegt als Anlage B36/2, Anlage BB2 im Einspruchsverfahren). Die Beschreibung und Figuren der Anmeldung zum Klagepatent entsprechen denen der WO‘XXX.
a)
Die vorläufige Meinung der Einspruchsabteilung kommt mit nachvollziehbarer, zumindest aber vertretbarer Begründung dazu, dass die meisten Einwände der Einsprechenden (Beklagten) in Bezug auf die behauptete unzulässige Zwischenverallgemeinerung nicht durchgreifen. Soweit die Einspruchsabteilung ausführt, dass sich die Befestigung während des Einsetzens verkürzen muss, ist dem durch die Aufnahme von Unteranspruch 9 (Merkmal 3.3) in den Klageantrag hinreichend Rechnung getragen worden.
aa)
Es ist nicht ersichtlich, dass Anspruch 1 nach der Offenbarung der Anmeldung auf eine aktive Verkürzung von mindestens 50 % beschränkt werden musste.
bb)
Es ist ebenfalls nicht ersichtlich, dass das Klagepatent auf nicht-hydraulische bzw. nicht-pneumatische Befestigungsaktoren zu beschränken ist bzw. durch die Weglassung dieser Beschränkung unzulässig erweitert ist. Aktive Stellvorrichtungen sind nach der vorläufigen Auffassung der Einspruchsabteilung nur ein optionales Merkmal (S. 7 Anlage PS19b). Zudem sind die Aktoren nur Merkmale des Einsetzsystems, nicht aber der beanspruchten Herzklappen-Vorrichtung (S. 8 f. Anlage PS19b – Ziff. 1.5 und Ziff. 1.7)
cc)
Die Einspruchsabteilung sieht die Feststellbarkeit (Verriegelbarkeit) als ein Merkmal an, welches nur als optional offenbart wurde. Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt sich insoweit ebenfalls keine unzulässige Erweiterung mit der Begründung feststellen, dass dieses Merkmal in Anspruch 1 fehlt.
dd)
Wie die Einspruchsabteilung nachvollziehbar in ihrer vorläufigen Auffassung (S. 9 Ziff. 1.9) ausführt, ist die Fähigkeit zur Selbstexpansion nur als optionales Merkmal in der Anmeldung dargestellt bzw. fehlt komplett bei den Passagen, auf denen Anspruch 1 beruht. Entgegen der Ansicht der Beklagten lässt sich insoweit eine unzulässige Erweiterung nicht hinreichend feststellen.
ee)
Nach der zumindest vertretbaren Auffassung der Einspruchsabteilung, ist der Aspekt, dass die Befestigung repositionierbar und damit zurückholbar ist, nur optional und musste nicht in den Anspruch 1 aufgenommen werden (S. 9 Anlage PS19b – Ziff. 1.10). Auch insofern kann keine unzulässige Erweiterung festgestellt werden.
ff)
Schließlich werden die auf der Innenseite der Befestigung angebrachten Befestigungsstützbalken (Befestigungsstreben im Inneren) in der Anmeldung nur als optionales Merkmal offenbart, welches daher nach der vorläufigen Auffassung der Einspruchsabteilung nicht in den Anspruch mit aufgenommen werden musste (S. 9 Ziff. 1.11 Anlage PS19b).
gg)
Entgegen der Auffassung der Beklagten musste in den Anspruch 1 nicht aufgenommen werden, dass sich durch das Zusammenschieben / Aufbauschen (bunch up) von Gewebe Laschen und Taschen oder umlaufende, horizontale Falten bilden müssen, wie die Einspruchsabteilung in ihrer vorläufigen Meinung (Anlage PS19b S.7 Abs. 1 – Ziff. 1.1, S. 10 Ziff. 1.14) nachvollziehbar ausgeführt hat.
b)
Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Einspruchsabteilung des EPA das Klagepatent wegen einer unzulässigen Erweiterung widerrufen wird, lässt sich auch nicht auf Basis der vorläufigen Meinung der Einspruchsabteilung zu dem Parallelschutzrecht EP 2 745 XXX (vorgelegt in Anlage B66/B66a) feststellen. Dieses Parallelschutzrecht basiert ebenfalls letztlich auf der WP‘XXX.
Soweit ein Widerspruch zwischen den vorläufigen Meinungen besteht, rechtfertigt dies eine Aussetzung nicht, insbesondere, weil die Auffassung zum Klagepatent für die Rechtsbeständigkeit von Anspruch 1 in der beschränkt geltend gemachten Fassung spricht. Es ist für die Kammer nicht hinreichend ersichtlich, dass die Aussagen der Einspruchsabteilung zum Parallelschutzrecht sich auf das Klagepatent übertragen lassen und insoweit für dessen unzulässige Erweiterung sprechen.
c)
Die Aussetzungsentscheidung des Tribunal de Grande Instance de Paris führt zu keiner anderen Bewertung. Diese Entscheidung ist in Anlage PS29a nur auf Französisch vorgelegt worden. Die Beklagten beziehen sich hierauf schon nicht. Soweit das Tribunal de Grande Instance de Paris die Aussetzung – nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Klägerin – mit einer mangelnden Marktpräsenz der Klägerin in Frankreich begründet hat, kann hierauf die Aussetzung des hiesigen Verfahrens ersichtlich nicht gestützt werden. Nach dem Vortrag der Klägerin hat das Tribunal de Grande Instance de Paris eine unzulässige Erweiterung darin gesehen, dass im Anspruch nicht aufgenommen wurde, dass es sich um eine repositionierbare Herzklappe handeln muss. Insofern liegt aber nach der vorläufigen Meinung der Einspruchsabteilung gerade kein Widerrufsgrund vor, da dies nur als optionales Merkmal offenbart sei (S. 8 Anlage PS19b – Ziff. 1.4).
3.
Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass das Klagepatent von der Einspruchsabteilung wegen fehlender Neuheit widerrufen wird, kann die Kammer nicht ersehen.
a)
Es lässt sich nicht hinreichend feststellen, dass der geltend gemachte Anspruch von der Entgegenhaltung WO 98/29XXX (nachfolgend: „K“ (BB3), vorgelegt in Anlage B36/3 und in Übersetzung in Anlage B36/3a) neuheitsschädlich vorweggenommen ist. Die Offenbarung von Merkmal 3.2,
„3.2 Die Abdichtung ist in der eingesetzten Konfiguration aufgebauscht („bunched up“).“
lässt sich im Ergebnis nicht hinreichend sicher feststellen. Eine ausdrückliche Offenbarung eines Aufbauschens findet sich in der Entgegenhaltung K (BB3) unstreitig nicht.
Allerdings wird eine äußere Verkleidung 19‘‘ offenbart, wie sie etwa in Fig. 6d BB3 zu sehen ist, die zur Veranschaulichung nachfolgend verkleinert eingeblendet wird:
Weiterhin wird eine Verkürzung des Stents 10 bei der Expansion in K (BB3) offenbart (vgl. S. 16 Z. 13 BB3). Die Beklagten schließen hieraus, dass eine solche Stentverkürzung zu einem Aufbauschen der äußeren Verkleidung führen muss. Dies dürfte der Fachmann aber nicht unmittelbar und eindeutig der Entgegenhaltung X entnehmen können. Ein Aufbauschen ist in Fig. 6d von K (BB3) nicht ersichtlich, vielmehr scheint die äußere Verkleidung 19‘‘ direkt am Stent 10 anzuliegen. Hierfür spricht auch die Beschreibung zur Figur 6d (S. 22 Z. 25/26 BB3),
„Die interne und externe Abdeckung sind umspritzt, geklebt oder gelötet an die Balken des Stents 10.“ (Übersetzung nach S. 22 vorletzter Abs. Anlage BB36/3a).“,
die auf ein enges Anliegen hindeutet.
Die Einspruchsabteilung des EPA führt auf S. 11 unter 3.1 des Bescheids vom 08.11.2016 (Anlage PS19b) aus, dass in der Entgegenhaltung K (BB3) mindestens die Merkmale C3 und C4 nicht offenbart seien, die dem hiesigen Merkmal 3.2 entsprechen. Eine Begründung für diese Auffassung gibt sie zwar nicht; in der Gesamtabwägung, verstärkt dies aber das Ergebnis, dass eine hinreichende Vernichtungswahrscheinlichkeit nicht erreicht wird.
b)
Die Entgegenhaltung US 5,855,XXX (nahfolgend: L (BB5), vorgelegt in Anlage B36/5 und in Übersetzung in Anlage B36/5a) liegt im Ergebnis nicht näher am Gegenstand des Klagepatents als die Entgegenhaltung K (BB3). In Bezug auf die Entgegenhaltung L (BB5) ist ebenfalls allein die Offenbarung der Merkmale 3 und 3.2 streitig.
Die Einspruchsabteilung des EPA führt dazu auf S. 12 unter 3.2 des Bescheids vom 08.11.2016 (Anlage PS19b) aus, dass in der Entgegenhaltung L (BB5 = D9 im Einspruchsverfahren) zumindest eine Offenbarung von Merkmal 3.2 (dortige Merkmale C3 und C4) sowie einer Abdichtung aus Gewebe (Merkmal 3; dortiges Merkmal (C1)) fehle. Insofern erscheint L auch in den Augen der Einspruchsabteilung weiter vom Klagepatent entfernt als die Entgegenhaltung K (BB3), wo das Merkmal 3 (= C(1)) nicht ausdrücklich als fehlend angesehen wurde.
Eine Offenbarung von Merkmal 3.2 lässt sich auch von der Kammer nicht hinreichend feststellen. Das Aufbauschen der Abdichtung im expandierten Zustand, wie es von Merkmal 3.2 gelehrt wird, ist nicht unmittelbar in der Entgegenhaltung L (BB5) offenbart.
Die Beklagten tragen vor, es seien in der oben eingeblendeten Fig. 4 zwei Falten erkennbar (die beiden Striche am unteren Ende der Vorrichtung zwischen den Bezugsziffern 33 und 34). Zur Veranschaulichung wird eine von den Beklagten bearbeitete Fassung von Fig. 4 BB5 von S. 92 der Klageerwiderung (= Bl. 198 GA) eingeblendet, wo die behaupteten Falten rot umkreist sind:
Hieraus lässt sich für die Kammer nicht die für die Neuheitsschädlichkeit erforderliche unmittelbare und eindeutige Offenbarung eines Aufbauschens feststellen, insbesondere, da die Beklagten nur auf die Fig. 4 BB5 abstellen und keinen ausreichenden Hinweis auf eine Faltenbildung in der Patentbeschreibung anführen. Weiterhin deckt sich dies mit der Auffassung der Einspruchsabteilung zu Merkmal 3.2, wenngleich eine Begründung hierfür nicht gegeben wird.
c)
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die geltend gemachte Anspruchskombination gegenüber der Entgegenhaltung WO 03/047XXX A1 (nachfolgend: M (BB6); vorgelegt in Anlage BB36/6) nicht neu ist.
Gegen eine Aussetzung auf dieser Grundlage spricht bereits, dass sich die Beklagten auf diese Entgegenhaltung schriftsätzlich nicht als neuheitsschädlich berufen haben, sondern nur zur Erläuterung der Offenbarung der Entgegenhaltung BB3 hierauf verwiesen haben (vgl. S. 83. f der Duplik = Bl. 401 f. GA). In der mündlichen Verhandlung vom 07.02.2017 haben die Beklagten erstmals geltend gemacht, die Entgegenhaltung M (BB6) sei neuheitsschädlich für das Klagepatent. Auch eine deutsche Übersetzung wurde nicht eingereicht; die Beklagten haben in der mündlichen Verhandlung insoweit nur auf eine Anlage in einem Parallelverfahren verwiesen.
Aus den in der mündlichen Verhandlung erstmals vorgetragenen Erläuterungen von M (BB6) kann die Kammer eine Neuheitsschädlichkeit dieser Schrift nicht feststellen. Die Offenbarung eines Aufbauschens der Abdichtung beim Verkürzen der Befestigung während des Einsetzens (Merkmale 3.2 / 3.3) kann in M (BB6) nicht hinreichend ersehen werden.
Dies gilt insbesondere, da die Beklagten schriftsätzlich argumentiert haben, M (BB6) offenbare Stützbalken, so dass keine Bewegung zwischen Gewebematerial und Stützträgern stattfinde. Im Gegensatz dazu sei in K (BB3) nicht die Verwendung von Stützbalken offenbart, weshalb es dort bei der Verkürzung der Befestigung zu überschüssigem Gewebe kommen müsse. Die Beklagten haben also die Neuheitsschädlichkeit der K (BB3) damit begründen wollen, dass sie eine von M (BB6) abweichende Ausführungsform offenbart. Insofern scheinen die Beklagten zumindest ursprünglich davon ausgegangen zu sein, M (BB6) sei nicht neuheitsschädlich.
4.
Für die Kammer lässt sich für eine Aussetzung nicht hinreichend feststellen, dass der geltend gemachte Anspruch gegenüber dem Stand der Technik nahegelegt war.
a)
In der Klageerwiderung argumentierten die Beklagten, dem Klagepatent liege zumindest keine erfinderische Tätigkeit gegenüber den bereits diskutieren Entgegenhaltungen K (BB3) oder L (BB5) jeweils mit einer Entgegenhaltung aus der Gruppe US 6,015,XXX (BB12, „W“), WO 03/037XXX (BB13, „V“), US 2001/0027XXXA1 (BB15, „U“) und US 2003/0236XXX (BB17, „T“) zugrunde. Ausgehend von K oder L sei die Aufgabe, eine alternative Herzklappe bereitzustellen.
Es ist nicht ersichtlich, dass der Fachmann ausgehend von K (BB3) oder L (BB5) eine der Entgegenhaltungen BB12, BB13, BB15 oder BB17 herangezogen hätte, um zur Lösung des Klagepatents zu kommen. Die Klägerin hat unwidersprochen vorgetragen, dass die letztgenannten Schriften jeweils Vorrichtungen zum Abdichten von Aneurysmen zum Gegentand haben. Es kann von der nicht mit fachkundigen Technikern besetzten Kammer nicht festgestellt werden, dass der Fachmann hier einen solchen Stand der Technik heranziehen würde.
Darüber hinaus erscheint fraglich, ob sich die in den Entgegenhaltungen BB12, BB13, BB15 oder BB17 gezeigten Vorrichtungen beim Einsetzen verkürzen (Merkmal 3.3). Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, wie der Fachmann die Abdichtungen aus diesen Entgegenhaltungen in die Vorrichtungen in K (BB3) oder L (BB5) inkorporieren soll. So ist bei V (BB13) und U (BB15) jeweils kein Aufbauschen durch eine Verkürzung vorgetragen, sondern vielmehr ein Aufblasen der Flansche. Hinsichtlich der Entgegenhaltung T (BB17) ist daneben schon fraglich, ob es sich hierbei um Stand der Technik nach Art. 54 Abs. 2 EPÜ handelt. Dies wäre nur der Fall, wenn das Klagepatent das angegebene Prioritätsdatum nicht wirksam in Anspruch nimmt, was wiederum die Beklagten im Verletzungsverfahren nicht ausreichend dargelegt haben.
Hinzukommt, dass nach der vorläufigen Meinung der Einspruchsabteilung keine der von den Einsprechenden angeführten Kombinationen den Gegenstand von Anspruch 1 neuheitsschädlich vorwegzunehmen scheint (S. 12 Ziff. 4 Anlage PS12a/b). Zwar wird diese Auffassung nicht begründet; es stützt aber indiziell das Ergebnis der Kammer, dass ein Naheliegen nicht festellbar ist.
b)
Ein Naheliegen kann die Kammer nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf Grundlage der Entgegenhaltungen K (BB3) oder L (BB5) in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen ersehen. Die Beklagten stützen sich insofern auf zwei Gutachten aus dem parallelen englischen Verfahren, wobei weder Übersetzungen vorgelegt werden, noch ersichtlich ist, dass diese Dokumente in zulässiger Weise in das Einspruchsverfahren eingebracht wurden. Eine entsprechende Argumentation wird von den Beklagten erst und nur in der Duplik dargelegt, so dass die Klägerin hierzu keine Stellung nehmen konnte. Aus dem Gutachten Prof. N (Anlage BB68b Rn. 18 f.) geht auch hervor, dass ein Prof. O zu einer abweichenden Einschätzung kommt. Es lässt sich für die nicht mit fachkundigen Technikern besetzte Kammer nicht ersehen, welche Auffassung richtig ist.
5.
Soweit die Beklagten weiterhin die fehlende Neuheit gegenüber der Stammanmeldung EP 1 702XXX des Klagepatents (BB7) und der WO 2005/102XXX A2 (BB10, „S“) geltend machen, kann dies die Aussetzung nicht begründen. Es fehlt an einer selbstständigen Darstellung im Verletzungsverfahren, was den Beklagten aber mit der Prozessleitenden Verfügung aufgegeben wurde. Da die Beklagten die Entgegenhaltung K (BB3) und L (BB5) detailliert darstellen, ist davon auszugehen, dass die anderen Entgegenhaltung weiter vom Gegenstand des Klagepatents entfernt liegen.
Die Einspruchsabteilung des EPA kommt zudem im Bescheid vom 08.11.2016 (Anlage PS19b, dort S. 12 unter 3.6 und 3.7) zur vorläufigen Auffassung, dass die Entgegenhaltung BB7 „nicht als Stand der Technik gemäß Artikel 54(3) EPÜ betrachtet werden“ kann. In der Entgegenhaltung BB10 scheine zumindest Merkmal 3.2 (= C3/C4 EPA) nicht offenbart zu sein, unabhängig von der Frage, ob es sich bei der Entgegenhaltung um Stand der Technik handele. Weiterhin scheine keine der angeführten Kombinationen den Gegenstand von Anspruch 1 neuheitsschädlich vorwegzunehmen, so dass auch kein Naheliegen erkennbar ist.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Das Unterliegen der Klägerin – hinsichtlich der Anträge auf Rückruf und Vernichtung – ist relativ geringfügig.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO. Die Sicherheitsleistung war auf EUR 90.000.000,00 festzusetzen (hierzu unter IV.1.), eine Abwendungsbefugnis war den Beklagten nicht einzuräumen (hierzu unter IV.2.).
1.
Die gemäß § 709 S. 1 ZPO ihrer Höhe nach zu bestimmende Sicherheitsleistung wird auf EUR 90.000.000,00 (neunzig Millionen Euro) festgesetzt.
a)
Die Höhe der Sicherheitsleistung hat sich an dem Schaden zu orientieren, der den Schuldnern durch die vorläufige Vollstreckung droht, und soll dementsprechend den Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO sowie Anwalts- und Gerichtskosten absichern (OLG Düsseldorf, NJOZ 2007, 451, 454; Cepl/Voß/Lunze, ZPO, 1. Aufl. 2015, § 709 Rn. 4). Grundsätzlich wird sich die Sicherheitsleistung am Streitwert orientieren, wobei die Beklagtenseite die Möglichkeit hat, substantiiert darzulegen und glaubhaft zu machen, dass ihr ein höherer Schaden droht, der dann für die Sicherheitsleistung maßgeblich ist (Cepl/Voß/Lunze, a.a.O., § 709 Rn. 6 f.; Kühnen, a.a.O., Rn. H.12).
Für die Abschätzung des drohenden Schadens ist von einer Dauer des Berufungsverfahrens von einem Jahr auszugehen, in dem ein Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen im Inland nicht möglich ist (vgl. OLG Düsseldorf, NJOZ 2007, 451). Zum ersatzfähigen Schaden können allerdings auch Aufwendungen gehören, die die Schuldner zwar zeitlich nach dem Berufungsurteil, aber zu dem Zweck machen, die entsprechend dem ergangenen Verbot vorübergehend unterlassenen Vertriebshandlungen wieder aufnehmen zu können, also die vorübergehend nicht vertriebenen Gegenstände wieder in den Verkehr zu bringen und einen etwa verlorenen Kundenkreis zurückzugewinnen. Es kommt also bei dem drohenden Schaden nicht darauf an, wann sich der Schaden entwickelt und der Schuldner die konkrete Vermögenseinbuße erlitten hat, sondern, wann die Ursache für den Schaden gesetzt wurde (OLG Düsseldorf, NJOZ 2007, 451, 454).
b)
Auf Basis dieser Grundsätze ist hier eine Sicherheitsleistung von EUR 90 Mio. angemessen.
Der Schaden wird im Wesentlichen durch die Vollstreckung des Unterlassungstenors verursacht – also einem erzwungenen Vertriebsstopp im Inland. Die Ansprüche auf Vernichtung und Rückruf der angegriffenen Ausführungsform wurde dagegen abgewiesen.
Der Umsatz der Beklagten mit der angegriffenen Ausführungsform in Deutschland beträgt etwa EUR 150 Mio. pro Jahr mit einer steigenden Tendenz. Die Klägerin hat unwidersprochen vorgetragen, dass die erzielte Profitmarge mit der angegriffenen Ausführungsform etwa 75 % beträgt, so dass der durch die Vollstreckung des Unterlassungstenors entstehende Schaden einen Großteil des Umsatzverlustes betragen würde. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Beklagten nach einer Aufhebung des Unterlassungsgebots einige Zeit bräuchten, bis sie wieder die vorherigen Umsatzzahlen erreichen. Denn die angegriffene Ausführungsform erfordert ebenso wie die Konkurrenzprodukte spezielle Schulungen und kann damit nicht unmittelbar ausgetauscht werden. Dadurch würden mögliche Abnehmer die angegriffene Ausführungsform nach einem Vertriebsstopp nur verzögert wieder nachfragen (möglicherweise auch überhaupt nicht mehr), so dass den Beklagten selbst nach einem Berufungsurteil, welches das hiesige Urteil revidiert, ein Schaden durch die vorläufige Vollstreckung entsteht. Weitere drohende Schäden, abgesehen von dem verlorenen Gewinn durch Umsatzverluste, sind nicht hinreichend vorgetragen.
Bei der Abschätzung des Schadens ist allerdings auch zu berücksichtigen, dass die Beklagten die Umsatzverluste mit der angegriffenen Ausführungsform durch erhöhte Umsätze mit der Vorgängerversion C XT teilweise kompensieren können. Dies mindert die Sicherheitsleistung. Allerdings ist davon auszugehen, dass die Umsätze mit C XT nicht das Niveau der Einnahmen mit den angegriffenen Ausführungsformen erreichen werden. Ein Teil der Umsätze mit den angegriffenen Ausführungsformen wird zu anderen Wettbewerbern abfließen. Auch ist der Einzelpreis von C XT geringer als der der angegriffenen Ausführungsform.
Bei der Abwägung dieser Faktoren erscheint eine Sicherheitsleistung von EUR 90.000.000,00 angemessen.
Soweit die Beklagten bei der Höhe der Sicherheitsleistung auf behauptete Risiken für die Patienten verweisen, hat dies keinen Einfluss auf die Höhe der Sicherheitsleistung. Es ist nicht ersichtlich, welcher Schaden den Beklagten hieraus entstehen könnte.
2.
Eine Abwendungsbefugnis nach § 712 Abs. 1 ZPO war den Beklagten nicht einzuräumen.
a)
Nach dieser Vorschrift kann das Gericht dem Schuldner gestatten, die Vollstreckung eines Urteils durch Sicherheitsleistung (ohne Rücksicht auf eine Sicherheitsleistung des Gläubigers) abzuwenden, wenn die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde. In Betracht kommen Fälle, in denen die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz des Schuldners sicher erscheint (Musielak/Voit, ZPO, 13. Aufl. 2016, § 712 Rn. 1a; Münchener Kommentar zur ZPO/Götz, 5. Aufl. 2016, § 712 Rn. 3). Erforderlich sind irreparable Fakten durch die Vollstreckung, die so gut wie sicher zu erwarten sind, wobei zu beachten ist, dass der Schuldner bereits durch den Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO und einer Sicherheitsleistung vor den Folgen einer unberechtigten Vollstreckung geschützt ist (Musielak/Voit, ZPO, 13. Aufl. 2016, § 712 Rn. 1a).
Aufgrund der zeitlichen Beschränkung der Patentrechte ist ein Vollstreckungsschutz nach § 712 ZPO in Patentverletzungssachen in der Regel zu verweigern (OLG Düsseldorf, GRUR 1979, 188, 189 – Flachdachabläufe). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Einstellung der Produktion der angegriffenen Ausführungsform und der damit zusammenhängenden Geschäftsaktivitäten übliche Folgen des Unterlassungsgebots sind, die alleine die Gewährung von Vollstreckungsschutz nicht rechtfertigen können (OLG Düsseldorf, InstGE 8, 117, 121 Tz. 16 – Fahrbare Betonpumpe; LG Mannheim, Urteil vom 18.02.2011 – Az. 7 O 100/10 – Tz. 243 bei Juris). Ein unersetzbarer Nachteil durch die Vollstreckung des Unterlassungsanspruchs setzt daher grundsätzlich voraus, dass dessen Vollstreckung zur Insolvenz der Anspruchsschuldnerin führt (Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 9. Aufl. 2017, Rn. H.62).
b)
Hiernach war den Beklagten kein Vollstreckungsschutz zu gewähren. Die Beklagten haben nicht aufgezeigt, dass die Vollstreckung des Unterlassungsgebots für sie existenzbedrohende Folgen hätte. Auf die Ausführungen zur Nicht-Einräumung einer Aufbrauchfrist wird verwiesen.
Soweit die Beklagten vortragen, es bestehe die Gefahr, dass die medizinische Versorgung der Bevölkerung Schaden nimmt, kann dies ebenfalls Vollstreckungsschutz nicht rechtfertigen. § 712 Abs. 1 ZPO betrachtet nur die dem Schuldner entstehenden Nachteile, nicht die von Dritten (Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 9. Aufl. 2017, Rn. H.62; für die Unbeachtlichkeit der Interessen der Arbeitnehmer des Schuldners: OLG Düsseldorf, InstGE 8, 117, 121 Tz. 17 – Fahrbare Betonpumpe; zur Medizintechnik: Kammer, Urteil vom 30.10.2014 – 4a O 114/13 – Rn. 101 bei Juris).
c)
Hinsichtlich der anderen Ansprüche scheidet die Gewährung von Vollstreckungsschutz ebenfalls aus. Der Feststellungsantrag besitzt keinen vollstreckungsfähigen Inhalt und hinsichtlich des Kostentenors sind die Beklagten durch die zu leistende Sicherheit ausreichend geschützt (vgl. Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 9. Aufl. 2017, Rn. H.59 u. H.61). Einen nicht zu ersetzenden Nachteil durch die Auskunftserteilung und Rechnungslegung haben die Beklagten nicht hinreichend vorgetragen.
V.
Den Beklagten war keine Schriftsatzfrist zu der in der mündlichen Verhandlung vom 07.02.2017 überreichten Anlage PS40 einzuräumen. Der entsprechende Antrag wurde nur unter der Voraussetzung gestellt, dass es auf die Anlage ankommt, was nicht der Fall ist.
Die nicht nachgelassenen Schriftsätze der Parteien, die nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung eingereicht wurden, fanden bei der Entscheidung keine Berücksichtigung. Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ist nicht geboten, §§ 296a, 156 ZPO.
VI.
Der Streitwert wird auf EUR 30.000.000,00 (dreißig Millionen Euro) festgesetzt.