2 U 140/08 – Holzhäcksler

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 1081

Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil vom 18. Mai 2009, Az. 2 U 140/08

Vorinstanz: 4b O 203/08

I.
Die Berufung der Antragstellerin gegen das am 21. Oktober 2008 verkündete Urteil der 4b. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.

II.
Die Antragstellerin hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 250.000,– Euro festgesetzt.

G r ü n d e :

I.

Die zulässige Berufung der Antragstellerin ist unbegründet. Zu Recht hat das Landgericht den Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Unbeschadet der Frage, ob der Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin ein Verfügungsanspruch zusteht, kann dem Verfügungsantrag der Antragstellerin jedenfalls deshalb nicht entsprochen werden, weil der Rechtsbestand des Verfügungspatents nach derzeitigem Sach- und Streitstand zu unsicher ist und es deshalb an einem Verfügungsgrund fehlt.

Über die bereits im Verhandlungstermin erteilten Hinweise des Senats hinaus gilt im Einzelnen Folgendes:

A.
Das Verfügungspatent (EP 1 338 XXX; Anlage AST 1; deutsche Übersetzung der Klagepatentschrift Anlage AST 25) betrifft ein Raupenfahrzeug zum Zerspanen, Zerkleinern von Holz oder kombiniertes Raupenfahrzeug zum Zerspanen und Zerkleinern.

Wie die Verfügungspatentschrift in ihrer Einleitung ausführt, sind kettengetriebene Häcksler und Schredder im Stand der Technik bekannt (Anlage AST 25, Seite 1,
2. Abs.). Sie sind besonders nützlich in Bereichen, in denen der Zugang mit einem konventionellen hängergezogenen Häcksler oder Schredder angesichts der Zugangsprobleme für Straßenfahrzeuge schwierig wäre, wie beispielsweise in Landschaftsparks und Waldgebieten. Ein kettengetriebener Häcksler bzw. Schredder ist bei solchen Gegebenheiten von Vorteil, weil das geschnittene Holz nicht vom Schnittplatz abtransportiert werden muss, sondern dadurch, dass man mit dem kettengetriebenen Häcksler/Schredder zur Schnittstelle fahren kann, an Ort und Stelle gehäckselt und/oder geschreddert werden kann (Anlage AST 25, Seite 1,
2. Abs.).

Bei einem bekannten kettengetriebenen Holzhäcksler/Schredder sind die kettenlegenden Anordnungen gemäß den Angaben in der Klagepatentschrift (Anlage AST 25, Seite 1, 3. Abs.) auf beiden Seiten des Häckslerkörpers gleitfähig auf horizontalen Schienen angeordnet. Es ist ein hydraulischer Stempel vorgesehen, der die Ketten relativ zu dem Körper auf den horizontalen Schienen nach außen drücken kann, um dem Häcksler eine zusätzliche laterale Stabilität zu verleihen, wenn dieser auf abschüssigem Untergrund angeordnet ist. Die Klagepatentschrift gibt an, dass diese Anordnung gewisse Nachteile hat. Sie bemängelt insbesondere, dass die Anordnung der kettenlegenden Anordnungen mit dem hydraulischen Stempel und den horizontalen Schienen am Körper die Bodenfreiheit des Häckslers/Schredders begrenzen, was sich dann als nachteilig erweist, wenn das Fahrzeug groben und unebenen Boden überqueren soll (Anlage AST 25, Seite 1, 3. Abs.).

Wie die Verfügungspatentschrift einleitend weiter ausführt (Anlage AST 25, Seite 2,
2. Abs.) ist aus der WO 92/10390 (Anlage AG 7.1), deren Figuren 1 und 3 nachfolgend eingeblendet werden, eine Vorrichtung in Fahrzeugen beschrieben, die ein Chassis und rädertragende Schwenkarme umfasst, welche in vertikalen Ebenen relativ zum Chassis schwenkbar sind, um die Bodenfreiheit zu vergrößern. Daneben sind dort Einrichtungen vorgesehen, um die Laufflächenbreite des Fahrzeuges zu verändern.

Vor diesem technischen Hintergrund hat es sich das Verfügungspatent zur Aufgabe gemacht, einen verbesserten (kombinierten) Holzhäcksler und Zerkleinerer für Unterholz zur Verfügung zu stellen (Anlage AST 25, Seite 2, 3. Abs.).

Zur Lösung dieser Problemstellung schlägt Anspruch 1 des Verfügungspatents eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor:

1. Holzhäcksler, Zerkleinerer für Unterholz oder kombinierter Holzhäcksler und Zerkleinerer für Unterholz (1 0), der aufweist:
a) einen Körper (12),
b) eine erste Raupenanordnung (26),
c) eine zweite Raupenanordnung (28) und
d) Betätigungsmittel (36, 36a, 38, 38a).

2. Die zweite Raupenanordnung (28) ist von der ersten Raupenanordnung (26) in einer zu der Laufrichtung der Raupe transversalen Richtung beabstandet, um einen Spurabstand zu definieren.

3. Jede Raupenanordnung (26, 28) wird mittels eines jeweiligen Arms (32, 34) gestützt.

4. Die Arme (32, 34) sind
a) bewegbar („being moveably mounted“),
b) auf eine verschiebbare Art und Weise
an dem Körper (12) montiert, um die Bewegung herbeizuführen.

5. Die Betätigungsmittel (36, 36a, 38, 38a) dienen der Bewegung der jeweiligen Arme (32, 34), um die jeweiligen Raupenanordnungen (26, 28) relativ zu dem Körper (12) zu bewegen.

6. Die Bewegung der Anordnungen relativ zum Körper (12) ist derart, dass die Bodenfreiheit des Körpers (12) und der Spurabstand zwischen den Raupenanordnungen (26, 28) einstellbar ist.

7. Jeder Arm ist
a) relativ zu einer fiktiven horizontalen Ebene des Körpers (12)
b) bei einem festen Winkel im Bereich von 10 – 60 Grad relativ zu der fiktiven horizontalen Ebene
angeordnet.

Die Verfügungspatentschrift hebt hervor, dass die Vorrichtung auf diese Weise zum einen mit ausreichender Bodenfreiheit versehen werden kann, um groben Untergrund zu überqueren, und zum anderen mit ausreichender Weite zwischen den Raupenanordnungen, um Stabilität zu gewinnen, wenn die Maschine in Position ist oder sich über schwieriges Terrain bewegt (vgl. Anlage AST 25, Seite 2, 4. Abs.).

B.
Es kann dahinstehen, ob der von der Antragsgegnerin hergestellte und unter der Bezeichnung „A“ vertriebene Holzzerkleinerer, dessen grundsätzliche Ausgestaltung sich aus den von der Antragstellerin als Anlage AST 14 überreichten Lichtbildern ergibt, von der technischen Lehre des Verfügungspatents Gebrauch macht. Insoweit muss hier nicht entschieden werden, ob die zwischen den Parteien streitigen Merkmale 4 und 7 der vorstehenden Merkmalsgliederung von der angegriffenen Ausführungsform wortsinngemäß verwirklicht werden. Hierauf kommt es im Rahmen des vorliegenden Verfügungsverfahrens nicht an. Unabhängig davon, ob der Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin ein Unterlassungsanspruch aus § 139 Abs. 1 PatG zusteht, kommt der Erlass einer einstweiligen Verfügung deshalb nicht in Betracht, weil der Rechtsbestand des Verfügungspatents nach derzeitigem Sach- und Streitstand zu unsicher ist und es deshalb an einem Verfügungsgrund fehlt.

1.
Der Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen Verletzung gewerblicher Schutzrechte setzt voraus, dass die begehrte Regelung gemäß § 940 ZPO zur Abwendung wesentlicher Nachteile für die Antragstellerin nötig erscheint. Dies verlangt nicht nur eine „Dringlichkeit“ in einem rein zeitlichen Sinne, sondern darüber hinaus eine materielle Rechtfertigung des vorläufigen Unterlassungsgebotes aus den dem Schutzrechtsinhaber ohne das gerichtliche Eingreifen drohenden Nachteilen, welche gegen die Interessen des als Verletzer in Anspruch genommenen Antragsgegners abgewogen werden müssen. Anders als im Wettbewerbsrecht wird das Vorliegen eines Verfügungsgrundes in Patentverletzungsstreitigkeiten nicht vermutet. § 12 Abs. 2 UWG ist wegen der besonderen Komplexität der Sach- und Rechtslage nicht – auch nicht entsprechend – anwendbar (vgl. zum Ganzen Senat, GRUR 1983, 79, 80 – AHF-Konzentrat; Mitt 1982, 230 – Warmhaltekanne; GRUR 1994, 508; Mitt 1996, 87, 88 – Captopril; zuletzt Senat, InstGE 9, 140, 144 = Mitt. 2008, 327 = GRUR-RR 2008, 329 – Olanzapin).

In Patentverletzungsstreitigkeiten ist das Vorliegen eines Verfügungsgrundes besonders sorgfältig zu prüfen. Gerade hier ergeben sich regelmäßig besondere Schwierigkeiten daraus, die Übereinstimmung mit der schutzbeanspruchten technischen Lehre, den Schutzumfang und die Schutzfähigkeit bzw. Rechtsbeständigkeit des Antragsschutzrechtes innerhalb kurzer Zeit und ohne eine dem Verfahren der Hauptsache entsprechende schriftsätzliche Vorbereitung sachgerecht zu beurteilen. Die eingeschränkten Möglichkeiten treffen besonders den Antragsgegner. Während dem Antragsteller, der sich zwar beschleunigt um eine Durchsetzung seiner Rechte bemühen muss, um die zeitliche Dringlichkeit nicht zu beseitigen, auch unter den Voraussetzungen des § 940 ZPO regelmäßig ausreichend Zeit bleibt, den Verletzungstatbestand und den Rechtsbestand des Schutzrechtes vor dem Einreichen eines Verfügungsantrages sorgfältig zu prüfen, sieht sich der Antragsgegner auch im Falle einer vorherigen mündlichen Verhandlung nach der Zustellung des Verfügungsantrags regelmäßig erheblichem Zeitdruck ausgesetzt, um in der verhältnismäßig kurzen Zeit bis zum Verhandlungstermin seine Verteidigung aufzubauen. Ergeht eine Unterlassungsverfügung, greift sie darüber hinaus meist in sehr einschneidender Weise in die gewerbliche Tätigkeit des Antragsgegners ein und führt während ihrer Bestandsdauer zu einer Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs.

Eine einstweilige Unterlassungsverfügung wegen Patentverletzung setzt deshalb in der Regel voraus, dass die Übereinstimmung des angegriffenen Gegenstandes mit der schutzbeanspruchten technischen Lehre und die Benutzungshandlungen entweder unstreitig oder für das Gericht hinreichend klar zu beurteilen sind, insbesondere kein Sachverständiger hinzugezogen werden muss. Die Kürze der im Eilverfahren bis zur gerichtlichen Entscheidung verfügbaren Zeit steht in der Regel der Einholung eines Sachverständigen-Gutachtens entgegen. Darüber hinaus muss auch die Rechtsbeständigkeit des Antragsschutzrechtes hinlänglich gesichert sein. Zweifel an der grundsätzlich zu respektierenden Schutzfähigkeit des Verfügungspatentes können das Vorliegen eines Verfügungsgrundes anerkanntermaßen ausschließen; sie spielen eine wesentliche Rolle im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung (vgl. Senat, GRUR 1983, 79, 80 – AHF-Konzentrat; Mitt 1996, 87, 88 – Captopril; InstGE 9, 140, 146 – Olanzapin; OLG Karlsruhe, GRUR 1988, 900 – Dutralene; OLG Hamburg, GRUR 1984, 1005 – Früchteschneidemesser; Busse/Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl., § 143 PatG Rdnr. 328; Benkard, PatG/GebrMG, 10. Aufl., § 139 PatG Rdnr. 153 b; Schulte, PatG, 8. Aufl., § 139 Rdnr. 391 und 392).

Auch wenn es keine festen Anforderungen an die Rechtsbeständigkeit gibt, kann sie im Allgemeinen nur dann als ausreichend gesichert angesehen werden, wenn die Patentfähigkeit des Antragsschutzrechtes bereits in einem kontradiktorischen Verfahren zumindest durch eine erstinstanzliche Entscheidung anerkannt worden ist, oder aber – unabhängig davon – der Bestand des Antragsschutzrechtes bereits jetzt für das Verletzungsgericht so eindeutig zugunsten des Antragstellers zu beantworten ist, dass eine fehlerhafte Entscheidung nicht ernstlich zu erwarten ist, zumindest aber unwahrscheinlich ist. Darauf, ob ein etwaiger Hauptsacheprozess in erster Instanz auszusetzen wäre, kommt es in diesem Zusammenhang nicht entscheidend an. Zwar ist ein Verfügungsgrund in aller Regel zu verneinen, wenn der in einem Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren entgegengehaltene Stand der Technik beim Verletzungsgericht so starke Zweifel an der Schutzfähigkeit hat aufkommen lassen, dass in einem entsprechenden Hauptsacheverfahren die Verhandlung im Verletzungsrechtsstreit nach § 148 ZPO ausgesetzt werden müsste, um die Entscheidung über den gegen das Antragsschutzrecht eingelegten Rechtsbehelf abzuwarten. Wenn der Schutzrechtsinhaber mittels Klage keine Titulierung eines Unterlassungsanspruchs erreichen kann, kann auch kein überwiegendes Interesse an einem dahingehenden vorläufigen sichernden Ausspruch gegeben sein. Da infolge des Eilcharakters eine Aussetzung des Verfügungsverfahrens nicht in Betracht kommt, ist in dieser Situation der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen (vgl. Senat, InstGE 7, 147, 148 = GRUR-RR 2007, 219 – Kleinleistungsschalter). Das bedeutet aber nicht, dass im Verfügungsverfahren zu prüfen ist, ob ein etwaiger Hauptsacheprozess in erster Instanz nach den dort geltenden Grundsätzen gemäß § 148 ZPO auszusetzen wäre. Maßgeblich ist vielmehr, ob jetzt eine Situation gegeben ist, in der der Rechtsbestand des Antragsschutzrechtes derart gesichert ist, dass ein in der erforderlichen Rechtssicherheit ausgesprochenes, die Hauptsache praktisch vorwegnehmendes Vertriebsverbot ausgesprochen werden kann.

2.
Bei Anwendung dieser Grundsätze überwiegen im Streitfall die Interessen der Antragsgegnerin die Belange der Antragstellerin, weil der Rechtsbestand des Verfügungspatents, gegen das die Antragsgegnerin Einspruch (Anlage AG 6) eingelegt hat, derzeit nicht hinreichend gesichert ist. Es liegen nämlich zwei sich widersprechende Voten zur Schutzfähigkeit der Erfindung bei gleichem Sachverhalt vor, nämlich einerseits die erstinstanzliche Löschung des parallelen deutschen Gebrauchsmusters 203 20 YYY und andererseits die Erteilung des Verfügungspatents.

Das aus der dem Verfügungspatent zugrundeliegenden Anmeldung abgezweigte deutsche Gebrauchsmuster 203 20 YYY der Antragstellerin, das im April 2004 hinterlegt und das im. August 2005 in das beim Deutschen Patent- und Markenamt geführte Gebrauchsmusterregister eingetragen worden ist, ist auf den Löschungsantrag der Antragsgegnerin durch nicht rechtskräftigen Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung I des Deutschen Patent- und Markenamtes vom. April 2008 (Anlage AG 2) gelöscht worden.

Der Schutzanspruch 1 dieses Gebrauchsmusters in der Fassung des von der Antragstellerin im Gebrauchsmusterlöschungsverfahren zuletzt gestellten Hautantrages (vgl. Löschungsentscheidung, Anlage AG 2, Seite 3) lautet wie folgt:

„Holzhäcksler, Schredder für Unterholz oder kombinierter Holzhäcksler und Schredder für Unterholz mit einem Körper, einer ersten kettenlegenden Anordnung und einer zweiten kettenlegenden Anordnung, wobei jede kettenlegende Anordnung von einem jeweiligen Arm getragen ist, wobei die Arme beweglich an dem Körper befestigt sind, und Betätigungseinrichtungen zur Bewegung der jeweiligen Arme, um die jeweiligen kettenlegenden Anordnungen bezüglich des Körpers zu bewegen, wobei die Bewegung der Anordnungen relativ zum Körper derart ist, dass die Bodenfreiheit des Körpers und der Abstand zwischen den kettenlegenden Anordnungen einstellbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass jeder Arm relativ zu einer fiktiven horizontalen Ebene des Körpers in einem Winkel von 10 – 60 Grad relativ zu der fiktiven horizontalen Ebene angeordnet ist, wobei die Arme an dem Körper in einer verschieblichen Art und Weise befestigt sind, um die Bewegung zu bewirken.“

Dieses Schutzrecht betrifft damit dieselbe Erfindung wie das Verfügungspatent. Der Patentanspruch 1 des Verfügungspatents unterscheidet sich vom Schutzanspruch 1 des Gebrauchsmusters 203 20 YYY lediglich dadurch, dass er ergänzend vorgibt, dass die zweite Raupenanordnung von der ersten Raupenanordnung in einer zu der Laufrichtung der Raupe transversalen Richtung beabstandet ist, um einen Spurabstand zu definieren (Merkmal 2). Dieses zusätzliche Merkmal ist allerdings lediglich eine Klarstellung, um den „Spurabstand“ zu definieren; es beinhaltet eine Selbstverständlichkeit. Außerdem unterscheidet sich der Patentanspruch 1 des Verfügungspatents vom Schutzanspruch 1 des Gebrauchsmusters 203 20 YYY dadurch, dass er in Bezug auf die Anordnung der Arme ausdrücklich von „einem festen Winkel“ spricht (Merkmal 7 b). Auch hieraus ergibt sich aber kein sachlicher Unterschied. Denn die Gebrauchsmusterabteilung hat den Schutzanspruch 1 des Gebrauchsmusters 203 20 YYY dahin ausgelegt, dass er für die Anordnung jedes Arms einen „unveränderlichen Winkel“ innerhalb des Bereichs von 10 bis 60 Grad relativ zu der fiktiven horizontalen Ebene vorgibt, wobei sie dies aus der Formulierung „angeordnet ist“ in Schutzanspruch 1 in Verbindung mit dem Ausführungsbeispiel der Gebrauchsmusterschrift gefolgert hat (Löschungsentscheidung, Anlage AG 2, Seite 5). Unter Zugrundelegung dieses Verständnisses stimmt das parallele Gebrauchsmuster mit dem Gegenstand von Anspruch 1 des Verfügungspatents überein. Denn ein „unveränderlicher Winkel“ ist nichts anderes als ein „fester Winkel“ im Sinne des Merkmals 7 b von Patentanspruch 1 des Verfügungspatents.

Die Gebrauchsmusterabteilung des Deutschen Patent- und Markenamtes hat die – dem Verfügungspatent entsprechende – technische Lehre des parallelen Gebrauchsmusters für nicht schutzfähig erachtet. Demgegenüber hat das Europäische Patentamt die Patentfähigkeit dieser technischen Lehre bejaht und das Verfügungspatent erteilt. Beiden Stellen lag derselbe Stand der Technik vor, insbesondere die WO 92/10390 (Anlage AG 7.1) und die JP 2000/335457 (Deckblatt Anlage AG 7.2; englische Übersetzung Anlage AG 7.3).

Sowohl die Gebrauchsmusterabteilung des Deutschen Patent- und Markenamtes als auch das Europäische Patentamt haben – ausgehend hiervon – übereinstimmend die Neuheit des Gegenstandes der in Rede stehenden Schutzrechte bejaht, und zwar im Hinblick auf zwei Merkmale, welche die Löschungsentscheidung (Anlage AG 2) auf Seite 5, 3. Absatz, ausdrücklich erwähnt und welche das Europäische Patentamt in den kennzeichnenden Teil des Patentanspruchs 1 des Verfügungspatents aufgenommen hat:

 Anordnung der Arme in einem unveränderlichen (= festen) Winkel von 10 bis 60 Grad relativ zu einer gedachten Horizontalebene des Körpers;

 Teleskopierbarkeit der Arme, so dass die Bodenfreiheit des Körpers und die Spurweite zwischen den kettenlegenden Anordnungen (= Spurabstand zwischen den Raupenanordnungen) einstellbar ist.

Trotz dieses identischen Ansatzpunktes, der insbesondere auf ein gleiches Verständnis des Offenbarungsgehaltes der entgegengehaltenen WO 92/10390 (Anlage AG 7.1) schließen lässt, sind beide fachkundigen Stellen zu unterschiedlichen Erkenntnissen gekommen. Die Gebrauchsmusterabteilung des Deutschen Patent- und Markenamtes hat das Gebrauchsmuster gelöscht, weil es die besagten kennzeichnenden Merkmale für durch den Stand der Technik nach der WO 92/10390 nahegelegt gehalten hat. Das Europäische Patent hat das Verfügungspatent erteilt, weil es hierin eine erfinderische Leistung gesehen hat.

Es liegen damit zwei unterschiedliche Voten zur Schutzfähigkeit der Erfindung bei gleichem Sachverhalt vor. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist die das parallele Gebrauchsmuster betreffende Löschungsentscheidung, welche in einem kontradiktorischen Verfahren und unstreitig in Kenntnis der bevorstehenden Erteilung des Verfügungspatents ergangen ist, bei der hier vorzunehmenden Interessenabwägung zu berücksichtigen. Zwar handelt es sich bei dem parallelen Gebrauchsmuster um ein eigenständiges Schutzrecht, aus dem die Antragstellerin die Antragsgegnerin hier nicht in Anspruch nimmt. Es betrifft aber dieselbe „Erfindung“ wie das Verfügungspatent. Diese wird von zwei fachkundigen Stellen unterschiedlich beurteilt. Dieser Streit der „Sachverständigen“ kann schwerlich durch das angerufene Verletzungsgericht entschieden werden, jedenfalls nicht ohne das Gutachten eines Sachverständigen, dessen Einschaltung im einstweiligen Verfügungsverfahren aus Rechtsgründen nicht in Betracht kommt. Dass die das parallele Gebrauchsmuster betreffende Löschungsentscheidung der Gebrauchsmusterabteilung offensichtlich unrichtig ist und demgegenüber die Beurteilung des Europäischen Patentamtes zutreffend ist, kann der Senat nicht feststellen.

Unter diesen Umständen kann der Rechtsbestand des Anspruchs 1 des Verfügungspatents nicht als hinlänglich gesichert angesehen werden, weshalb der Erlass einer hierauf gestützten einstweiligen Verfügung mangels eines Verfügungsgrundes nicht in Betracht kommt.

3.
Dass die in den Unteransprüchen 2, 3, 4 und 10 definierten Merkmale dem Verfügungspatent einen hinreichend gesicherten Rechtsbestand vermitteln können, vermag – mit dem Landgericht – auch der Senat nicht zu erkennen. Die fachkundige Gebrauchsmusterabteilung hat insbesondere auch in der von Unteranspruch 2 vorgeschlagenen teleskopischen Gestaltung der Arme keinen erfinderischen Schritt erblickt, da die teleskopische Verschiebung eines Armes bereits aus der WO 92/10390 bekannt ist (Löschungsentscheidung, Anlage AG 2, Seite 5 unten bis Seite 6 oben).

4.
Fehlt es bereits aus den vorstehenden Gründen an einem Verfügungsgrund, bedarf es keiner Auseinandersetzung mit den weiteren Entgegenhaltungen der Antragsgegnerin. Insbesondere kann dahinstehen, ob – wovon das Landgericht auch ausgegangen ist – die einen Bagger betreffende JP 2000/335457 der Patentfähigkeit der technischen Lehre des Verfügungspatents entgegensteht, weil die erfindungsgemäße Lösung für den Fachmann im Hinblick auf diesen Stand der Technik nahegelegen hat.

II.
Da die Berufung der Antragstellerin erfolglos geblieben ist, hat sie nach § 97 Abs. 1 ZPO auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Eines Ausspruches zur vorläufigen Vollstreckbarkeit bedurfte es nicht, weil das vorliegende Urteil als zweitinstanzliche Entscheidung im Verfahren der einstweiligen Verfügung keinem Rechtsmittel mehr unterliegt (§ 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO) und ohne besonderen Ausspruch endgültig vollstreckbar ist.