2 U 1/00 – Brechen von Glasscheiben

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 16

Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil vom 25. Oktober 2001, Az. 2 U 1/00

Die Berufung der Klägerin gegen das am
25. November 1999 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von DM 50.000,– abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Sicherheiten dürfen auch durch die schriftliche, unwiderrufliche, unbedingte und unbefristete Bürgschaft eines im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstituts oder durch Hinterlegung von Geld oder solchen Wertsachen bewirkt werden, die nach § 234 Abs. 1 und 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zur Sicherheitsleistung geeignet sind.

Der Streitwert für die Berufungsinstanz und die Beschwer der Klägerin werden auf DM 1.01x.01x,02 festgesetzt.

Tatbestand:

Der Geschäftsführerin der Klägerin, Herr P1xxx L1xxx, ist eingetragener Inhaber des europäischen Patents 0 457 751 (Anlage K 1; nachfolgend: Klagepatent), das Verfahren und Vorrichtungen zum Brechen von Glasscheiben betrifft. Das Klagepatent wurde am 6. Mai 1991 unter Inanspruchnahme einer Prioriät vom 15. Mai 1990 angemeldet. Die Veröffentlichung der Anmeldung erfolgte am 21. November 1991 und die Bekanntmachung des Hinweises auf die Patenterteilung am 27. Juli 1994.

Die Beklagte hat betreffend den deutschen Teil des Klagepatents Nichtigkeitsklage erhoben, die durch Urteil des Bundespatentgerichts vom 28. März 2000 abgewiesen worden ist (vgl. Anlage B 17). Auf die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hin hat der Bundesgerichtshof das als Anlage B 21 (= Anlage L 5) vorliegende Gutachten eines Sachverständigen eingeholt, welches zu dem Ergebnis gelangt, daß der Patentanspruch 1 des Klagepatents die für den Patentschutz erforderlichen Voraussetzungen erfüllt. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes liegt bisher nicht vor. Das Klagepatent steht in Kraft.

Mit Lizenzvertrag vom 19. Oktober 1999 hat der eingetragene Patentinhaber der Klägerin eine ausschließliche Lizenz an dem Klagepatent erteilt und zugleich an die Kägerin sämtliche Schadenersatz-, Auskunfts- und Vernichtungsansprüche wegen Patentverletzungen abgetreten, die vor der Unterzeichnung des Vertrages entstanden sind (vgl. Anlage K 6).

Der Patentanspruch 1 des Klagepatents lautet wie folgt:

„Verfahren zum Brechen von Glasscheiben (5) entlang einer in der Glasscheibe (5) erzeugten Ritzlinie (6), bei dem die Glasscheibe (5) entlang der Ritzlinie (6) gewölbt wird, indem die Glasscheibe (5) im Bereich der Ritzlinie (6) gehoben und beidseits der Ritzlinie (6) nieder- gehalten wird, wobei die Ritzlinie (6) auf der konvexen Seite der so in der Glasscheibe (5) erzeugten Wölbung liegt, dadurch gekennzeichnet, daß das Wölben der Glasscheibe (5) quer zur Ritzlinie (6) und entlang dieser Ritzlinie fortschreitend erfolgt und daß man die Glasscheibe (5) im Bereich beiderseits der Ritzlinie (6) durch Anlage von Unterdruck (13,20) an die Unterseite der Glasscheibe (5) niederhält..“

Zum besseren Verständnis dieser Verfahrenslehre wird auf die nachstehend wiedergegebenen Figuren der Klagepatentschrift verwiesen, wobei Fig. 1 beispielhaft eine erfindungsgemäße Vorrichtung zum erfindungsgemäßen Brechen von Glasscheiben im Querschnitt, die Fig. 2 die Vorrichtung aus Fig. 1 im Schnitt entlang der Linie II-II von Fig. 1 und Fig. 3 eine abgeänderte Ausführungsform im Schnitt entsprechend Fig. 2 zeigt.

Die Beklagte stellt her und vertreibt Vorrichtungen zum Brechen von Glas, wie sie sich mit den hier interessierenden Teilen und der hier interessierenden Arbeitsweise aus den Darstellungen in den Anlagen K 3, B 22 und B 24 ergibt, die nachstehend verkleinert wiedergegeben sind.

Wie sich aus diesen Darstellungen ergibt, sind nur im Bereich eines Endes der Hebeleiste bzw. Brechleiste Saugköpfe bzw. Sauger angeordnet. Werden sie aktiviert, sorgt der angelegte Unterdruck zunächst dafür, daß sich die Saugköpfe an der Scheibenunterseite festsaugen. Wird dann die Glasscheibe entlang der Ritzlinie mittels der Brechleiste bzw. Hebeleiste angehoben, fahren die kardanisch angelenkten Saugköpfe mit, bis sie mit einem an ihrem unteren Ende befindlichen Anker abgefedert gegen einen Anschlag fahren. Der angelegte Unterdruck bewirkt eine Kraft an der Glasscheibe, die beim weiteren Anheben der Brechleiste bzw. Hebeleiste das Einleiten des Brechvorgangs erleichtert. Das Anheben der Brechleiste bzw. Hebeleiste erfolgt dabei gleichmäßig und gleichzeitig in dem Sinne, daß sie unter sofortiger und permanenter Linienberührung auf der gesamten Breite der Glasscheibe und parallel zur Tischebene hochgefahren wird.

Der Klägerin hat erstinstanzlich geltend gemacht, sie sei als ausschließliche Lizenznehmerin an dem Klagepatent gemäß Lizenzvertrag nach Anlage K 4 befugt, die Rechte aus einer Verletzung der Klagepatents durch die Beklagte geltend zu machen. Die Beklagte verletze mit dem Anbieten und Inverkehrbringen der angegriffenen Ausführungsform gemäß § 10 Abs. 1 PatG die Rechte aus dem Klagepatent. Die angegriffene Ausführungsform sei nämlich dazu bestimmt und geeignet, entsprechend der Verfahrenslehre des Patentanspruches 1 des Klagepatents zu arbeiten. Entsprechend dem Wortsinn der erfindungsgemäßen Lehre erfolge eine fortschreitende Wölbung entlang der Ritzlinie, und zwar dadurch, daß die Glasscheibe nur an einem Ende beiderseits der Ritzlinie niedergehalten und die (geringe) Flexibiliät des Materials dazu ausgenutzt werde, daß sich die durch die Hebeleiste verursachten Kräfte an einem Ende der Glasplatte früher auswirkten als an dem anderen. Durch dieses einseitige Niederhalten der Glasplatte sei eine Hebeleiste, die erst an einem und dann an dem anderen Ende angehoben werde, nicht erforderlich. Der Wortsinn des Patentanspruches 1 des Klagepatents verlange auch nicht eine solche Anhebung der Hebeleiste.

Die Beklagten haben geltend gemacht, daß die angegriffene Ausführungsform nicht nach der technischen Lehre des Patentanspruches 1 des Klagepatents arbeite. Bei der angegriffenen Vorrichtung erfolge unter keinen Umständen das anspruchsgemäß vorgesehene „fortschreitende Wölben“ der Glasscheibe quer zur Ritzlinie und entlang dieser Ritzlinie durch ein ebenso fortschreitendes Anheben und Niederhalten der Glasscheibe. Auch werde die Glasscheibe nicht im Sinne der Erfindung „beiderseits der Ritzlinie“ niedergehalten, sondern der Unterdruck werde nur punktuell an zwei sich gegenüberliegenden Stellen neben der Ritzlinie an der Unterseite der Glasscheibe angelegt. Im übrigen stehe der Erstreckung des Schutzbereiches des Patentanspruches 1 auf die angegriffene Ausführungsform der „Formstein-Einwand“ entgegen, da sie im Jahre 1986 eine Schneid- und Brechanlage gebaut habe, die die angegriffene Vorrichtung vorweggenommen oder zumindest nahegelegt habe und die auch mit ihren Merkmalen öffentlich geworden sei. Wegen dieser Anlage stehe ihr im Hinblick auf die angegriffene Ausführungsform im übrigen auch ein innerbetriebliches Vorbenutzungsrecht nach § 12 PatG zu.

Das Landgericht hat die Klage mangels Aktivlegitmation der Klägerin abgewiesen und es abgelehnt, wegen des nach Schluß der mündlichen Verhandlung mit nicht nachgelassenem Schriftsatz der Klägerin vom 25. Oktober 1999 überreichten Lizenzvertrages vom 19. Oktober 1999 (Anlage K 6) die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen.

Die Klägerin hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt. In der Berufungsinstanz wiederholen die Parteien ihr erstinstanzliches Vorbringen und ergänzen es.

Die Klägerin macht nunmehr geltend, daß sich ihre Aktivlegitmation zumindest aus dem Lizenzvertrag vom 19. Oktober 1999 (Anlage K 6) ergebe. Der Patentanspruch 1 des Klagepatents beschreibe ein Verfahren, das ein einseitiges Anheben im Sinne einer schräggestellten Hebeleiste nicht voraussetze, sondern das vielmehr ein Zusammenwirken zwischen dem Heben und dem dadurch entstehenden Wölben einerseits und dem Niederhalten andererseits dergestalt voraussetze, daß sich im Bereich der Niederhaltung eine Wölbung ergebe, die einen fortschreitend geringeren Radius aufweise (mit der Folge, daß sich der Wölbungsradius von der Stelle der Niederhaltung aus entlang der Ritzlinie fortschreitend verringere), bis daß die Verringerung des Wölbungsradius im Bereich der Niederhaltung so weit fortgeschritten sei, daß es dort zum Bruch komme. Die angegriffene Ausführungsform sei geeignet und bestimmt, das im vorgenannten Sinn zu verstehende Verfahren des Klagepatents wortsinngemäß zu verwirklichen. Für den Fall, daß der Wortsinn des Patentanspruches 1 dahin zu verstehen sein sollte, daß das Anheben der Glasscheibe im Bereich der Ritzlinie an einem Ende der Ritzlinie beginnen müsse, sei die angegriffene Ausführungsform bestimmt und geeignet, das erfindungsgemäße Verfahren mit patentrechtlich äquivalenten Mitteln zu verwirklichen. Bei einem gleichmäßigen Anheben der Brechleiste mit dem Einsatz von Niederhaltemitteln im Bereich des Glasrandes könne die gleiche fortschreitende Wölbung erzielt werden wie bei einem einseitig beginnenden Anheben der Brechleiste und bei einer solchen Verfahrensweise schreite die den Bruch auslösende Wölbung in gleicher Weise fort mit der Folge einer sauberen Bruchkante, ohne daß der Bruch von der Ritzline abweiche, wie bei einem einseitig beginnenden Anheben der Brechleiste. Die Niederhaltemittel der angegriffenen Ausführungsform führten bei einem gleichmäßigen Anheben der Scheibe zu der gleichen einen Bruch auslösenden fortschreitenden Wölbung, wie sie bei einem einseitig beginnenden Anheben aufträte. – Auf ein privates Vorbenutzungsrecht oder den „Formstein“-Einwand könne die Beklagte sich schon deshalb nicht mit Erfolg berufen, weil die angeblich vorbenutzte Vorrichtung weder die Lehre des Klagepatents noch die angegriffene Ausführungsform nahegelegt habe. Für eine Aussetzung des Rechtsstreits wegen der anhängigen Nichtigkeitsklage sei angesichts des Urteils des Bundespatentgerichts und des Ergebnisses des vom Bundesgerichtshof eingeholten Sachverständigengutachtens kein Raum.

Die Klägerin beantragt,

I. auf ihre Berufung das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 25. November 1999 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen,

1. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zu-widerhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu
DM 51x.01x,00, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle mehrfacher Zuwiderhandlung bis zu 2 Jahren, zu unterlassen,

Vorrichtungen zum Brechen von Glasscheiben entlang einer in der Glasscheibe erzeugten Ritzlinie Abnehmern in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten oder an diese zu liefern, die (bestimmt und) geeignet sind,

ein Verfahren zum Brechen von Glasscheiben entlang einer in der Glasscheibe erzeugten Ritzlinie durchzuführen, bei dem die Glasscheibe entlang der Ritzlinie gewölbt wird, indem die Glasscheibe im Bereich der Ritzlinie gehoben und beidseits der Ritzlinie niedergehalten wird, wobei die Ritzlinie auf der konvexen Seite der so in der Glasscheibe erzeugten Wölbung liegt, und wobei das Wölben der Glasscheibe quer zur Ritzlinie und entlang dieser Ritzlinie fortschreitend erfolgt und die Glasscheibe im Bereich beiderseits der Ritzlinie durch Anlage von Unterdruck an die Unterseite der Glasscheibe niedergehalten wird,

hilfsweise,
wobei die Glasscheibe im Bereich der Ritzlinie nicht an einem Ende der Ritzlinie beginnend, sondern gleichmäßig angehoben wird, wobei sich der Radius der Wölbung der Glasscheibe quer zur Ritzlinie und entlang dieser Ritzlinie fortschreitend verringert,

insbesondere, wenn bei diesem Verfahren der Unterdruck in diskreten Bereichen beispielsweise mit Hilfe von Saugnäpfen angelegt wird,

und/oder wenn die Glasscheibe am Ende des Anhebens im Bereich der Ritzlinie gleichmäßig hoch angehoben ist,

ohne

a) im Falle des Anbietens die Angebotsempfänger ausdrücklich und unübersehbar in Schriftform darauf hinzuweisen,

b) im Fall des Inverkehrbringens ihren Abnehmern die schriftliche Verpflichtung mit dem Versprechen einer Vertragsstrafe in Höhe von DM 12.03x,00 für jeden Fall der Zuwiderhandlung, zu zahlen an die Klägerin, abzuverlangen,

daß sie die Vorrichtungen zum Brechen von Glasscheiben
entlang einer in der Glasscheibe erzeugten Ritzlinie nicht
ohne Zustimmung der Klägerin als Inhaberin des deutschen
Teils des europäischen Patents 0 457 751 gewerbsmäßig
für das vorstehend beschriebene Verfahren verwenden (dür-
fen),

2. ihr in Form einer vollständigen , richtigen und nachvollziehbaren Aufstellung darüber Rechnung legen, in welchem Umfang sie die zu 1. bezeichneten Handlungen seit dem 27. August 1994 begangen hat, und zwar unter Angabe

a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen, Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,

b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen und Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern und deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

II. festzustellen,
daß die Beklagte verpflichtet ist, ihr allen Schaden zu ersetzen, der
1. Herrn P1xxx L1xxx, B8xxxxxxxxxxx 31, A-32xx H2xxxxxxxx/
A2xxxxxxx, Österreich vom 27. August 1994 bis zum
19. Oktober 1999 und

2. ihr seit dem 20. Oktober 1999 entstanden ist und noch ent-
stehen wird,

hilfsweise ,
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihr die Bereiche-
rung herauszugeben, die die Beklagte durch die unter Ziff. I.1.
genannten, seit dem 27. August 1994 begangenen Handlun-
gen erlangt hat.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 25. November 1999 zurückzu- weisen,

hilfsweise,
den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die
von ihr gegen das Klagepatent erhobene Nichtigkeitsklage aus-
zusetzen.

Die Klägerin beantragt,

den Aussetzungsantrag zurückzuweisen.

Die Beklagte macht geltend, die angegriffene Ausführungsform sei nicht geeignet und bestimmt, das erfindungsgemäße Verfahren durchzuführen. Es werde von den Merkmalen des Hauptanspruches weder wortsinngemäß noch mit äquivalenten Mitteln Gebrauch gemacht. Bei der angegriffenen Ausführungsform werde die Glasscheibe im Bereich der Ritzlinie nicht an einem Ende beginnend angehoben, sondern die Hebeleiste fahre die Glasscheibe unter sofortiger und permanenter Linienberührung auf der gesamten Breite gleichmäßig und parallel zur Tischebene hoch. Ein fortschreitendes Wölben der Glasplatte sei nicht gegeben, weil das mit der angegriffenen Vorrichtung betriebene Verfahren zweistufig erfolge. Auch komme es nicht zu einem aktiven Niederhalten „im Bereich beidseits der Ritzline“. Die bei der angegriffenen Ausführungsform gewählte Betriebsweise sei der erfindungsgemäßen Betriebsweise auch nicht äquivalent im patentrechtlichen Sinne. Hilfsweise berufe sie sich auf ein privates Vorbenutzungsrecht. Das vorbenutzte Verfahren entspreche im wesentlichen dem nunmehr angegriffenen Verfahren, wie auch ein von ihr eingeholtes Gutachten deutlich mache. Überdies stehe der Erstreckung des Schutzbereichs auf die angegriffene Ausführungsform im Wege der Äquivalenz auch der „Formstein“-Einwand entgegen, und zwar sowohl im Hinblick auf die eigene Vorbenutzung, die auch offenkundig erfolgt sei, als auch im Hinblick auf den druckschriftlichen Stand der Technik. Äußerst hilfsweise erachte sie eine Aussetzung des Rechtsstreits bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Nichtigkeitsverfahren für geboten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt ihrer Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, sachlich jedoch nicht gerechtfertigt. Zwar ist die Klägerin als ausschließliche Lizenznehmerin an dem Klagepatent und aufgrund abgetretenen Rechts befugt, die eingeklagten Ansprüche geltend zu machen, doch sind diese Ansprüche sachlich nicht begründet, da bei dem bestimmungsgemäßen Gebrauch der mit der Klage angegriffenen und von der Beklagten im Inland angebotenen und in Verkehr gebrachten Vorrichtung von der Verfahrenslehre des Patentanspruches 1 des Klagepatents kein Gebrauch gemacht wird, und zwar auch nicht mit patentrechtlich äquivalenten Mitteln.

I.
Die Lehre des Klagepatents mit dem hier interessierenden Patentanspruch 1 betrifft ein Verfahren zum Brechen von Glasscheiben entlang einer in der Glasscheibe erzeugten Ritzlinie,

1. bei dem die Glasscheibe entlang der Ritzlinie gewölbt wird,

a) indem die Glasscheibe im Bereich der Ritzlinie gehoben und

b) beidseits der Ritzlinie niedergehalten wird, wobei

c) die Ritzlinie auf der konvexen Seite der so in der Glasscheibe erzeugten Wölbung liegt.

Derartige Verfahren sind nach der einleitenden Beschreibung der Klagepatentschrift (vgl. Spalte 1, Zeilen 11 – 14) aus der DE-OS 29 25 981 (vgl. Anlage L 1 Nr. 1), der DE-OS 34 28 863 (vgl. Anlage L 1 Nr. 19), der EP-A- 340 199 (vgl. Anlage L 1 Nr. 5) und aus den US-Patentschriften 3 353 756 (vgl. Anlage L 1 Nr. 10), 3 372 847 (vgl. Anlage L 1 Nr. 8), 3 570 34 (vgl. Anlage L 1 Nr. 9)
3 688 955 (vgl. Anlage L 1 Nr. 7) und 3 693 852 (vgl. Anlage L 1 Nr. 6) bekannt.

Beispielhaft für diese Gruppe von Verfahren wird auf die DE-OS 34 28 863 (Anlage L 1 Nr. 19) verwiesen, deren Figur 1 nachstehend wiedergegeben ist.

Die vorstehend wiedergegebene Figur 1 der DE-OS 34 28 863 zeigt in einer Prinzip-Darstellung eine Vorrichtung, bei der die Glasscheibe 1 entlang einer in der Glasscheibe erzeugten Ritzlinie (Bruchlinie 8) gewölbt wird, indem die Glasscheibe mittels der Brechwalze 4 und dem Antrieb 5 (Hubzylinder) im Bereich der Ritzlinie gehoben und beiderseits der Ritzlinie mittels der Druckwalzen- oder -rollenan-ordnungen 2 und 3 niedergehalten wird, wobei die Ritzlinie auf der konvexen Seite der so in der Glasscheibe erzeugten Wölbung liegt.

Von dem aus dieser Schrift wie aus den weiteren genannten Schriften bekannten Verfahren heißt es in der Klagepatentschrift, daß bei ihnen allen die Hebeleiste oder Heberolle so angehoben werde, daß sie die Glasscheibe im Bereich der Ritzung „gleichmäßig und gleichzeitig anhebe“ (Unterstreichungen sind hinzugefügt). Diese Arbeitsweise mit dem „gleichmäßigen und gleichzeitigen“ Anheben wird im Hinblick darauf bemängelt, daß zum einen (1.) dies insbesondere beim Brechen dickerer Glasscheiben erhebliche Kräfte notwendig mache und daß zum anderen (2.) dies auch für das Niederhalten der Glasscheiben beiderseits der Hebeleiste oder -rolle einen beträchtlichen Kraftaufwand erfordere. Schließlich (3.) wird als Nachteil dieser Arbeitsweise angegeben, daß nicht immer saubere Bruchkanten erzielt würden (vgl. Spalte 1, Zeilen 15 – 26).

Wenn die Glasscheibe, wie dies beispielhaft in der DE-OS 34 28863 gezeigt wird, beiderseits der Ritzlinie – und damit auch der Hebe- oder Brechleiste – in ihrem gesamten Bereich niedergehalten wird, erfolgt bei gleichmäßigem und gleichzeitigem Anheben der Hebeleiste oder -rolle auch das Wölben der Glasscheibe entlang der Ritzlinie relativ gleichmäßig und gleichzeitig. Es liegt für den von der Klagepatentschrift angesprochenen Fachmann auf der Hand, dass unter diesen Umständen ein gleichmäßiges und gleichzeitiges Anheben der Glasscheibe nicht nur – insbesondere bei längeren Schnitten – kraftaufwändig ist, sondern auch zu einem undefinierten Verlauf der Bruch- bzw. Trennlinie führen kann; im Bereich der Ritzlinie kann es gleichsam zu einem Aufplatzen kommen, d.h. der Bruch kann infolge der gleichmäßigen Ausübung eines Biegemoments über den gesamten Verlauf der Ritzlinie an verschiedenen Stellen beginnen und nicht von einer bestimmten, vorher festgelegten Stelle ausgehend gleichmäßig und definiert über den gesamten Ritz fortschreiten (vgl. auch DE-OS 19 57 601, Anl. B 1, Seite 2).

Die Klagepatentschrift befaßt sich weiter mit der DE-PS 801 215 (vgl. Anlage B 4), deren Figuren 1 und 2 nachstehend wiedergegeben sind.

Wie sich aus diesen Figuren der DE-PS und der zugehörigen Beschreibung
ergibt, läßt man das Glasband 1 mit einer in ihm erzeugten Schnittlinie bzw. Ritzlinie 2 in der durch den Pfeil a angedeuteten Ziehrichtung auf den punktförmig angreifenden Stützkörper auflaufen. Der Stützkörper 3 besteht aus der Rolle 4, deren Achse 5 in dem Lagergestell 6 ruht. Das Lagergestell 6 ist so ausgebildet, daß die Rolle 4 in ihrer Höhe und seitlichen Stellung zu der Schnittstelle verstellt und in ihrer Stellung fixiert werden kann. Mit zunehmender Bewegung des Glasbandes in der Zugrichtung wird in der Nähe des punktförmig angreifenden Stützkörpers der Bruch ausgelöst, der in der durch Pfeil b angedeuteten Sprungrichtung durchschießt. Bei dünnem Glas setzt der Bruch, wie in Fig. 1 dargestellt, fast sofort mit dem Auflaufen des Bandes auf den Stützkörper ein, während bei dickerem Glas, wie aus Fig. 2 ersichtlich, der Bruch erst zu einem etwas späteren Zeitpunkt nach beiden durch den Pfeil b angedeuteten Richtungen durchschießt.

Diese bekannte Vorrichtung wird in der Klagepatentschrift dahin gewürdigt, daß bei ihr die Glasscheiben über einen als Rolle ausgebildeten und über den die Glasscheiben tragenden Tisch vorstehenden Stützkörper bewegt würden, wobei als nachteilig – weil, wie der Fachmann erkennt, mit der Gefahr der Entstehung unsauberer Bruchkanten verbunden – beanstandet wird, daß die Wölbung ausschließlich durch das Gewicht der Glasscheiben entstehe, durch das diese auf beiden Seiten des Stützkörpers nach unten, d. h. auf den Tisch zu, gebogen würden (Spalte 1, Zeilen 27 -36).

Schließlich befaßt sich die Klagepatentschrift noch mit der aus der DE-OS
19 57 601 (Anlage B 1) bekannten Vorrichtung und ihrer Arbeitsweise. Die nachstehend verkleinert wiedergegebenen Figuren 1 bis 4 dieser Offenlegungsschrift verdeutlichen dessen Gegenstand an Hand eines ersten Ausführungsbeispiels, wobei die Fig. 1 eine Draufsicht auf eine Vorrichtung zum Abtrennen eines schmalen Randstreifens von einer Glasscheibe, Fig. 2 eine schematische Seitenansicht auf einen Teil der Vorrichtung nach Fig. 1, Fig. 3 eine Seitenansicht auf einen Antrieb für die Vorrichtung nach Fig. 1 und 2 und Fig. 4 einen Schnitt nach der Linie IV -IV in Fig. 3 zeigt.

Aus den vorstehend wiedergegeben Figuren der DE-OS ist ersichtlich, daß die Glasscheibe 15 im Bereich der Ritzlinie 13 angehoben wird, und zwar von einer einseitig anhebbaren Hebeleiste, die auch als Walze 16 ausgebildet sein kann. Erst nach Erreichen der gewünschten Neigung der Walze 16 greifen im Bereich des anhebbaren Endes der Hebeleiste zwei Haltefinger 29 die Glasscheibe.

Die Klagepatentschrift würdigt diese DE-OS dahin, daß in ihr eine Vorrichtung zum Teilen von Glasscheiben beschrieben sei, bei der unter der Glasscheibe eine anhebbare Hebeleiste, die auch als Walze ausgebildet sein könne, vorgesehen sei. Die Hebeleiste sei einseitig anhebbar, wobei an der Glasscheibe im Bereich des anhebbaren Endes der Hebeleiste von oben her zwei Niederhalterfinger angriffen, die zusammen mit der Hebeleiste hebbar seien und die Glasscheibe wölbten (Spalte 1, Zeilen 37 – 45).

Die Aufgabenstellung der Erfindung ist in der Klagepatentschrift dahin formuliert, ein Verfahren der eingangs genannten Gattung, also mit den oben genannten Merkmalen 1 mit den Untermerkmalen a), b) und c), anzugeben, mit dem Glasscheiben auch entlang längerer Schnitte, insbesondere sogenannter Traveren
(= über die gesamte Glasbreite durchgehende Ritzlinien), problemlos gebrochen werden können (Spalte 1, Zeilen 46 – 51), wobei für den durch die Klagepatentschrift angesprochenen Fachmann „problemlos“ u.a. bedeutet, den Brechvorgang möglichst einfach und schnell einzuleiten, um mit weniger Kraftaufwand als bisher auszukommen und sauberere Brechkanten als bisher zu erreichen (vgl. die Vorteilsangaben in Spalte 2, Zeilen 4 – 8) und außerdem von oben her auf die Glasscheibe einwirkende Niederhalter entbehrlich zu machen (vgl. Vorteilsangaben in Spalte 2, Zeilen 11/12).

Zur Lösung dieser Aufgabe wird bei einem Verfahren der eingangs genannten Gattung, also einem Verfahren mit den oben genannten Merkmalen 1) , 1 a), 1 b) und 1 c) vorgeschlagen, daß

2. das Wölben der Glasscheibe
a) quer zur Ritzlinie und
b) entlang dieser Ritzlinie fortschreitend erfolgt, sowie

3. die Glasscheibe
a) im Bereich beiderseits der Ritzlinie und
b) mittels Anlage von Unterdruck an die Unterseite der Glasscheibe
niedergehalten wird.

Der Fachmann, der zum Verständnis einer erfindungsgemäß beanspruchten technischen Lehre auf die Beschreibung und die Zeichnungen der Patentschrift zurückgreift, findet hier bereits im allgemeinen Teil der Beschreibung des Erfindungsgegenstandes eindeutige Aussagen dazu, wie die mit Merkmal 2 b gegebene Anweisung zu verstehen ist. So heißt es in Spalte 1, Zeile 58 – Spalte 2, Zeile 4, daß bei der erfindungsgemäßen Arbeitsweise „die Glasscheibe zunächst an einem Rand angehoben und dann das Anheben nach und nach fortgesetzt“ werde, „bis die Glastafel im Bereich der ganzen Ritzlinie angehoben“ sei. In Spalte 2, Zeilen 18 ff ist die Rede davon, daß für gewöhnlich beim erfindungsgemäßen Verfahren so gearbeitet werde, daß man die Glasscheibe „an einem Rand anzuheben“ beginne. In Spalte 3, Zeilen 26 – 33 ist das, was mit dem Merkmal 2 b gemeint ist, und zwar auch in Verbindung mit dem, was die Merkmalsgruppe 3 leisten soll, besonders deutlich zum Ausdruck gebracht, so daß diese Passage nachstehend wörtlich zitiert sein soll:

„Das Niederhalten der Glasscheibe beim Brechen derselben nach dem erfindungsgemäßen Verfahren erfolgt vorzugsweise mit Hilfe von Unterdruck, der von unten gegen die Glasscheibe angelegt wird, da so am einfachsten das unterschiedliche An- heben der Glasscheibe (das Anheben schreitet von einem En- de der Ritzlinie zum anderen hin fort) berücksichtigt werden kann.“

Merkmal 2 b, wonach das Wölben „fortschreitend“ erfolgt, versteht der Fachmann daher angesichts dieser eindeutigen Aussagen im allgemeinen Teil der Beschreibung der Klagepatentschrift dahin, daß das Wölben der Glasscheibe entlang dieser Ritzlinie fortschreitend dadurch erfolgt, daß die Glasscheibe an einem Ende der Ritzlinie beginnend gehoben wird und das Anheben von einem Ende der Ritzlinie zum anderen hin fortschreitet. Irgendwelche Hinweise darauf, daß das gewünschte Wölben der Glasscheibe entlang dieser Ritzlinie auf andere Weise bewerkstelligt werden soll oder könnte, findet er in der Klagepatentschrift nicht.

Damit wird für den Fachmann deutlich, dass die Glasscheibe nicht mehr wie im gattungsgemäßen Stand der Technik im Bereich der Ritzung gleichmäßig und gleichzeitig angehoben werden soll, sondern in einer Art und Weise, die eine fortschreitende Wölbung entlang der Ritzlinie ermöglicht. Da der die Glasscheibe niederhaltende Unterdruck statisch ist, und nicht etwa das Anlegen von Unterdruck „fortschreiten“ soll, was bei in beiderseits der Ritzlinie durchgehenden Bereichen (vgl. Unteransprüche 3; 8, 9) auch nicht möglich wäre, kommt als Mittel zur Herbeiführung der fortschreitenden Wölbung in der Tat allein die in Merkmal 1 a) genannte Anhebung der Glasscheibe im Bereich der Ritzlinie in Betracht, und zwar eine Anhebung, die notwendigerweise nicht wie im als nachteilig kritisierten Stand der Technik gleichmäßig und gleichzeitig erfolgen darf, sondern so durchgeführt werden muß, wie dies insbesondere in Spalte 1, Zeile 58 bis Spalte 2, Zeile 8 beschrieben wird. Durch das einseitige Anheben der Glasscheibe im Bereich der Ritzlinie gegen den Widerstand der beiderseits der Ritzlinie wirkenden Niederhaltekräfte entsteht gerade im Randbereich der Scheibe ein erhöhtes Biegemoment infolge der dort besonders ausgeprägten Wölbung, so dass der Bruch dort, d.h. an diesem Ende der Ritzlinie beginnend, einsetzt und sich dann definiert von selbst bis zum anderen Ende der Ritzlinie fortsetzt (vgl. auch die Darstellung der Klägerin im Nichtigkeitsverfahren, Anlage L 4, Seiten 4 bis 6).

In diesem Verständnis sieht der Fachmann sich auch durch die Darstellung des Ausführungsbeispiels der Klagepatentschrift und durch die Beschreibung der erfindungsgemäßen Vorrichtungen, mit denen das erfindungsgemäße Verfahren ausgeübt werden soll, bestätigt. Hinsichtlich der Darstellung des Ausführungsbeispiels kann zunächst auf die oben im Tatbestand wiedergegebenen Figuren der Klagepatentschrift verwiesen werden. In Spalte 4, Zeilen 16 ff ist der Brechvorgang bei diesem Ausführungsbeispiel der Erfindung wie folgt beschrieben:

„Zur Ausführung des Brechvorganges wird die Hebeleiste 7 von ihren Hebezylindern 9 und 10 zunächst so angehoben, daß der in Fig. 1 rechts liegende Zylinder 9 die Hebeleiste 7 anhebt, bis ihre obere Kante 11 die in Fig.1 strichliert eingezeichnete und mit I bezeichnete Stellung ein- nimmt. Dadurch wird die Glasscheibe 5 einseitig angehoben und der Brechvorgang eingeleitet. Noch während sich die Hebeleiste 7 unter der Wirkung des Hebezylinders 9 nach oben bewegt oder auch nach Beendi- gung des Anhebens der Hebeleiste 7 durch den Hebezylinder 9 wird der Hebezylinder 10 in Betrieb genommen und hebt die Hebeleiste 7 schließ- lich an, bis sie die in Fig. 1 strichpunktiert eingezeichnete obere End-
lage II einnimmt.“

Daß es mit dem Merkmal 2 b darum geht, das Wölben der Glasscheibe mittels eines an einem Ende der Ritzlinie beginnenden Hebens der Glasscheibe zu bewirken, machen für den Fachmann auch die Beschreibungsstellen der Klagepatentschrift deutlich, die sich mit der bzw. den erfindungsgemäßen Vorrichtung(en) zur Durchführung eines Verfahrens nach Anspruch 1 befassen. Diese Vorrichtung(en) ist bzw. sind ausnahmslos so gestaltet, daß mit ihr bzw. ihnen die Glasscheibe im Bereich der Ritzlinie an einem Ende beginnend gehoben wird. Auf Spalte 2, Zeilen 35 -38, Spalte 2, Zeilen 50 – 53, Spalte 3, Zeilen 4 – 7 und Spalte 3, Zeilen 9 – 13 wird verwiesen.

Daß der durch die Klagepatentschrift angesprochene Fachmann die erfindungsgemäße Lehre betreffend das Merkmal 2 b im vorgenannten Sinne versteht, ist für das Bundespatentsgericht so selbstverständlich gewesen, daß es für den Patentanspruch 1 des Klagepatents eine Merkmalsanalyse angegeben hat, die in Merkmal 1 dahin geht, daß die Glasscheibe im Bereich der Ritzlinie an einem Ende der Ritzlinie beginnend gehoben wird (vgl. Seite 8 des Urteils des BPatG vom 28. März 2000 – Anlage B 17). – Auch der für den Bundesgerichtshof im Nichtigkeitsverfahren tätige Sachverständige Prof. Dr. F2xxxxxx hat in seinem Gutachten vom 23. Juli 2001 (Anlage B 21 = L 5) diese Sichtweise geteilt. So hat er auf Seite 4 seines Gutachtens zur Erläuterung der erfindungsgemäßen Lösung ausgeführt, daß das Wölben der Glasscheibe quer zur Ritzlinie und entlang dieser Ritzlinie fortschreitend erfolge und die Glasscheibe dabei im Bereich beiderseits der Ritzlinie durch Anlegen von Unterdruck (13,20) an der Unterseite der Glasscheibe niedergehalten werde. Technische Realisierungsmöglichkeiten seien im Streitpatent in Sp. 1, Z. 58, und Sp.2, Z. 1-24 , bzw. Sp. 3, Z. 26 – 43 beschrieben. Explizit werde dabei mitgeteilt, daß „… die Glasscheibe zunächst an einem Rand angehoben und dann das Anheben nach und nach fortgesetzt …“ werde (Sp. 2, Z-2). Das Anheben der Glasscheibe im Bereich erfolge also nicht gleichmäßig und gleichzeitig. – Auf Seite 6 seines Gutachtens führt der Sachverständige aus, daß im Hauptanspruch zwar die „explizite Formulierung“ fehle, daß „die Glasscheibe im Bereich der Ritzlinie an einem Ende beginnend gehoben“ werde, doch bestehe angesichts der Beschreibung der Klagepatentschrift kein Zweifel daran, daß zur „..erfindungsgemäßen Arbeitsweise gehöre, daß die Glasscheibe zunächst an einem Rand angehoben und dann das Anheben nach und nach fortgesetzt werde“. – Auf Seite 7 beantwortet der Sachverständige schließlich die vom Bundesgerichtshof aufgeworfene Frage, ob die Lehre gemäß Patentanspruch 1 gegenüber der in der Gesamtheit der Anmeldeunterlangen in der ursprünglichen Fassung enthaltenen Lehre eine Erweiterung oder sonstige Änderung darstelle, u. a. dahin, daß die Lehre gemäß den Anmeldungsunterlagen den Beginn des Hebens der Glasscheibe an einem Ende der Ritzlinie enthalte, Anspruch 1 des Streitpatents diese Formulierung explizit zwar nicht enthalte, dies jedoch in der Beschreibung bei der Vorstellung der erfindungsgemäßen Arbeitsweise durch „..die Glasscheibe zunächst an einem Rand angehoben…“ bestätigt werde, was auch in sinnvollem Zusammenhang mit dem Merkmal 2. stehe, wo von einem „fortschreitenden“ Wölben die Rede sei.

Das hier ermittelte Verständnis des Durchschnittsfachmanns von der erfindungsgemäßen Lehre, soweit sie das Merkmal 2 b betrifft, wird mithin sowohl vom sachkundigen Bundespatentgericht sowie von dem gerichtlichen Sachverständigen im Nichtigkeitsverfahren betreffend das Klagepatent geteilt, so daß der Senat keine Veranlassung hat, insoweit ein Sachverständigengutachten zur Ermittlung des Verständnisses des Durchschnittsfachmanns von der erfindungsgemäßen Lehre einzuholen. Mit der hier vorgenommenen Auslegung des Merkmals 2 b ist auch keine Auslegung „unterhalb des Wortlauts“ verbunden, sondern der Wortlaut bzw. Wortsinn diese Merkmals wird vom Fachmann angesichts des gesamten Inhalts der Klagepatentschrift, die letztlich ihr eigenes Lexikon darstellt (vgl. BGH GRUR 1999, 909 – Spannschraube), im oben erläuterten Sinn verstanden. Der Wortlaut bzw. Wortsinn ist nicht philologisch zu bestimmen, sondern maßgebend ist der technische Sinngehalt, so wie er sich aus dem Offenbarungsgehalt der Patentansprüche und ergänzend – im Sinne einer Auslegungshilfe – aus dem Offenbarungsgehalt der Patentschrift ergibt, soweit dieser Niederschlag in den Ansprüchen gefunden hat (vgl. BGH GRUR 1999,909 – Spannschraube).

Die Anweisung der Merkmalsgruppe 2 muß in ihrem Zusammenwirken mit den Anweisungen gemäß Merkmalsgruppe 3 gesehen werden, wonach man die Glasscheibe „im Bereich beiderseits der Ritzlinie durch Anlegen von Unterdruck an die Unterseite der Glasscheibe niederhält“.

Schon bei der Wortwahl des Anspruchs 1 fällt auf, dass es nicht heißt „in einem Bereich“, sondern dass formuliert wird „im Bereich“, also in dem Bereich beiderseits der Ritzlinie, womit bereits zum Ausdruck gebracht wird, dass die Wirkung der Niederhaltekräfte im gesamten maßgeblichen Bereich vorausgesetzt wird. Insoweit kann zudem festgestellt werden, dass die Klagepatentschrift am gattungsgemäßen Stand der Technik nicht den Einsatz der Niederhaltekräfte über die gesamte wirksame Länge der Ritzlinie kritisiert, sondern das gleichmäßige und gleichzeitige Anheben der Hebeleiste oder -rolle gegen den Widerstand dieser Niederhaltekräfte.

Es soll also bei der erfindungsgemäßen Arbeitsweise die Glasscheibe nicht nur zunächst an einem Rand angehoben und dann das Anheben nach und nach fortgesetzt werden, bis die Glasscheibe im Bereich der ganzen Ritzlinie angehoben ist (vgl. Spalte 1, Zeile 58 – Spalte 2, Zeile 4), sondern es soll überdies die Glasscheibe „im Bereich beiderseits der Ritzlinie“ und damit nicht nur punktuell beiderseits der Ritzlinie, durch Anlegen von Unterdruck an die Unterseite der Glasscheibe niedergehalten werden. In Verbindung mit der Merkmalsgruppe 2, so wie diese vom Fachmann verstanden wird, führt das Niederhalten der Glasscheibe „im Bereich beiderseits der Ritzlinie“ dazu, daß durch das einseitig beginnende Anheben es viel einfacher und rascher möglich ist, den Brechvorgang einzuleiten, so daß weniger Kraftaufwand notwendig ist und die Gefahr der Entstehung unsauberer Brechkanten reduziert ist.

In diesem Verständnis der erfindungsgemäßen Lehre betreffend die Merkmalsgruppe 3 sieht sich der Durchschnittsfachmann durch die Beschreibung in Spalte 2, Zeilen 8 – 17 bestätigt. – Auch nach Auffassung des sachkundigen Bundespatentgerichts versteht der Durchschnittsfachmann diese Merkmalsgruppe dahin, daß der Unterdruck von Anfang und dauernd beiderseits der gesamten Ritzlinie angelegt werden soll, wobei das BPatG beispielhaft auf die Beschreibung in Spalte 2, Zeilen 13 – 17 verweist (vgl. Urteil des BPatG vom 20. März 2000 Seite 9 – Anlage B 17).

II.
Von der sich so darstellenden Lehre des Patentanspruches 1 des Klagepatents wird bei der angegriffenen Ausführungsform dem Wortsinne nach kein Gebrauch gemacht, weil die Merkmale 2 b („fortschreitend“) und 3 a („im Bereich beiderseits der Ritzlinie“) , so wie der Fachmann sie nach den Ausführungen unter Ziffer I. dieser Entscheidungsgründe versteht, bei der Arbeitsweise der angegriffenen Ausführungsform nicht verwirklicht werden.

Bei der angegriffenen Vorrichtung erfolgt das Wölben der Glasscheibe quer zur Ritzlinie und entlang dieser Ritzlinie nicht „fortschreitend“ im Sinne der erfindungsgemäßen Lehre, d.. h. dadurch, daß die Glasscheibe im Bereich der Ritzlinie an einem Ende der Ritzlinie beginnend gehoben wird (und dann das Anheben nach und nach fortgesetzt wird), sondern vielmehr hebt die Hebeleiste die Glasscheibe gleichmäßig und gleichzeitig über ihre gesamte Breite bzw. Länge an.

Die Glasscheibe wird auch nicht „im Bereich beiderseits der Ritzlinie“ durch Anlegen von Unterdruck an die Unterseite der Glasscheibe niedergehalten, sondern sie wird nur punktuell auf beiden Seiten der Ritzlinie in der Nähe des Randbereiches durch Anlegen von Unterdruck an die Unterseite der Glasscheiben niedergehalten,

Mit diesen vom Wortsinn des Patentanspruches 1 des Klagepatents abweichenden Verfahrensmitteln macht das auf der angegriffenen Ausführungsform ausgeübte Verfahren auch nicht mit äquivalenten Mitteln von der Lehre des Klagepatents Gebrauch.

Auch bei europäischen Patenten – um ein solches handelt es sich bei dem Klagepatent – ist angesichts der Regelungen in Art. 69 Abs. 1 EPÜ und des Protokolls über seine Auslegung der Weg für eine Bemessung des Schutzbereiches über den Anspruchswortlaut hinaus auf Abwandlungen der in den Patentansprüchen beschriebenen Erfindung eröffnet (vgl. BGH GRUR 1986, 803, 805 – Formstein). Abwandlungen fallen dann in den Schutzbereich des Patents, wenn das durch die Erfindung gelöste Problem mit Mitteln gelöst wird, die den patentgemäßen Mitteln hinreichend gleichwirkend sind, und wenn der Durchschnittsfachmann diese gleichwirkenden Mittel mit Hilfe seiner Fachkenntnisse und aufgrund von Überlegen auffinden konnte, die sich an der in den Patentansprüchen umschriebenen Erfindung orientieren (vgl. BGH GRUR 1986, 803, 805 – Formstein; 1988, 896, 899 – Ionenanalyse; 1989, 205, 208 -Schwermetalloxidationskatalysator; 1989, 903, 904 – Batteriekastenschnur; 1991, 436, 439 – Befestigungsvorrichtung II; 1994, 597, 599 – Zerlegvorrichtung), wobei dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit Rechnung zu tragen ist. Diese Voraussetzungen patentrechtlicher Äquivalenz liegen hier jedoch nicht vor.

Hinsichtlich der Wirkungen ist zunächst einmal festzustellen, daß die für die angegriffene Ausführungsform gewählte Gestaltung zu einer Arbeitsweise dieser Vorrichtung führt, bei der es zwar zu einer Wölbung der Glasscheibe kommt, bei der sich der Radius der Wölbung von der Stelle der Niederhaltung aus fortschreitend verändert, doch anders als nach der Lehre des Klagepatents entsteht die Wölbung der Glasscheibe im Bereich der Ritzlinie in weiten Bereichen durch das Gewicht der Glasscheibe, und zwar je weiter sich die Ritzlinie von dem durch die beiden Saugköpfe definierten Niederhaltepunkt entfernt. Zwar entsteht die Wölbung der Glasscheibe nicht wie bei der in der Klagepatentschrift als nachteilig gewürdigten DE-PS 801 215 (Anlage B 4) ausschließlich durch das Gewicht der Glasscheibe, doch in weiten Bereichen zu einem nicht unerheblichen Teil durch das Gewicht. Dies birgt jedoch die Gefahr der Entstehung unsauberer Bruchkanten mit sich, die bei der erfindungsgemäßen Lösung dadurch vermieden wird, daß bei dem erfindungsgemäßen „forschreitenden“ Wölben der Unterdruck von Anfang an und dauernd im Bereich beiderseits der Ritzlinie, d.h. beiderseits der gesamten Ritzlinie, angelegt wird. Die Frage, ob die insoweit bestehende Gefahr von solcher Relevanz ist, daß die abweichende Arbeitsweise der angegriffenen Ausführungsform nicht mehr als hinreichend gleichwirkend gegenüber einer erfindungsgemäßen Arbeitsweise beurteilt werden kann, kann jedoch letztlich ebenso dahingestellt bleiben wie die Frage, ob die angegriffene Ausführungsform mit ihrer von der Lehre des Klagepatents abweichenden Arbeitsweise auch im übrigen im wesentlichen das Ergebnis erzielt, welches das erfindungsgemäße Verfahren erzielt.

Die bloße Feststellung einer hinreichenden Gleichwirkung reicht nämlich zur Annahme patentrechtlicher Äquivalenz nicht aus. Diese setzt neben der Feststellung einer Gleichwirkung im wesentlichen überdies auch voraus, daß der Fachmann beim Studium der in den Patentansprüchen umschriebenen Erfindung die zur Arbeitsweise der angegriffenen Vorrichtung eingesetzten abgewandelten Verfahrensmerkmale unter Einsatz seines Fachwissens als gleichwirkend auffinden konnte. Wenn der Durchschnittsfachmann durch die in den Patentansprüchen beschriebenen Verfahren nicht auf den Gedanken gebracht wurde, daß er die dort beschriebenen Verfahren auf Grund fachmännischer Überlegungen zur Erzielung der im wesentlichen gleichen Wirkungen abwandeln kann, wie dies hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsform bzw. des auf ihr ausgeübten Verfahrens geschehen ist, scheidet eine Benutzung der im Klagepatent unter Schutz gestellten Erfindung aus (vgl. BGH GRUR 1988, 896 – Ionenanalyse).

Selbst wenn man unterstellte, daß das auf der angegriffenen Ausführungsform ausgeübte Verfahren dem erfindungsgemäßen Verfahren hinreichend gleichwirkend ist, hätte ein Fachmann dieses Verfahren bei einer Orientierung an der in den Patentansprüchen des Klagepatents umschriebenen Erfindung nicht als gleichwirkend auffinden können.

Der Fachmann hätte, um von der Lehre des Klagepatents kommend zur Arbeitsweise der angegriffenen Ausführungsform mit ihren Abweichungen zu finden, zunächst einmal den zentralen Gedanken des Klagepatents, die Hebeleiste im Bereich der Ritzung nicht gleichmäßig und gleichzeitig anzuheben, sondern die Glasscheibe zunächst an einem Rand anzuheben und dann das Anheben nach und nach fortzusetzen, aufgeben müssen. Hierzu hatte er nach dem Inhalt der Klagepatentschrift jedoch überhaupt keinen Anlaß, da ihm in Spalte 1, Zeilen 15 – 21 gesagt wird, daß eine solche bekannte Arbeitsweise nachteilig sei, weil sie insbesondere beim Brechen dickerer Glasscheiben erhebliche Kräfte notwendig mache, und ihm in Spalte 2, Zeilen 4 ff mitgeteilt wird, daß durch das einseitig beginnende Anheben es viel einfacher und rascher möglich sei, den Brechvorgang einzuleiten, so daß weniger Kraftaufwand notwendig sei und sauberere Brech-
linien als bisher erreicht würden.

Der Fachmann hätte weiter erkennen müssen, daß es nicht erforderlich ist, die Glasscheibe „im Bereich beiderseits der Ritzlinie“ durch Anlegen von Unterdruck an die Unterseite der Glasscheibe niederzuhalten, sondern es ausreicht, in der Nähe des Randbereiches punktuell beiderseits der Ritzlinie Saugköpfe vorzusehen. Auch zu einer solchen Umgestaltung gab die Klagepatentschrift dem Fachmann jedoch keine Anregung. Im Gegenteil mußte der Fachmann angesichts dessen, daß die Klagepatentschrift die Vorrichtung nach der DE-PS 801 215 (Anlage B 4) als nachteilig würdigte, weil bei ihr die Wölbung ausschließlich durch das Gewicht der Glasscheiben entstand, befürchten, daß er bei einer Arbeitsweise entsprechend der angegriffenen Ausführungsform, die dazu führt, daß die Wölbung in großen Bereichen der Ritzlinie ebenfalls durch das Gewicht der Glasscheibe entsteht, diesen Nachteil zu einem wesentlichen Teil beibehielt.

Insgesamt gibt das Klagepatent dem Durchschnittsfachmann keine Hinweise, ein Verfahren einzusetzen, bei welchem die Hebeleiste so angehoben wird, daß sie die Glasscheibe im Bereich der Ritzung gleichmäßig und gleichzeitig anhebt, und die Glasscheibe beiderseits der Hebeleiste nur mit in der Nähe eines Randbereiches punktuell angeordneten Niederhaltemitteln (Saugköpfen) niederzuhalten. Der Leser der Klagepatentschrift wird von einer solchen Idee abgelenkt, weil es gerade die zentrale Idee (das Kernstück) des Klagepatents ist, die Glasscheibe nicht mehr gleichmäßig und gleichzeitig anzuheben, sondern die Glasscheibe zunächst an einem Rand anzuheben und dann das Anheben nach und nach fortzusetzen, bis sie im Bereich der ganzen Ritzlinie angehoben ist. Der fachmännische Leser der Patentschrift wird deshalb durch diese nicht auf den Gedanken gebracht, eine „fortschreitende“ Wölbung der Glasscheibe durch ein gleichmäßiges und gleichzeitiges Anheben der Glasscheibe in Verbindung mit einer von der Lehre des Klagepatents abweichenden punktuellen Anordnung der Niederhaltemittel in der Nähe eines Randbereiches der Glasscheibe zu erzielen.

Nach alledem kann die angegriffene Ausführungsform bzw. das auf ihr bzw. mit ihr ausgeübte Verfahren auch nicht unter dem Gesichtspunkt patentrechtlicher Äquivalenz in den Schutzbereich des Klagepatents einbezogen werden.

III.
Die Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 108 Abs. 1 ZPO.

S3xxxxxxxx K1xxxxxxxx R1xx