4a O 264/06 – Tilidinhydrochlorid

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 622

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 28. August 2007, Az. 4a O 264/06

I.
Die Beklagten werden verurteilt,
1.
es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, wobei die Ordnungshaft an ihrem jeweiligen gesetzlichen Vertreter zu vollziehen ist und insgesamt zwei Jahre nicht übersteigen darf,
zu unterlassen,
eine feste, stabile pharmazeutische Zusammensetzung für die orale Verabreichung, umfassend Tilidinhydrochlorid bzw. eines seiner Hydrate, einen Morphin-Antagonisten, Hypromellose und/oder Glycerol(mono, tri)docosanoat und/oder mittelkettige Triglyceride sowie pharmazeutische Hilfsstoffe, mit der Maßgabe, dass solche Zusammensetzungen ausgenommen sind, die Komplexbildner für 2- oder 3-wertige Metallkationen oder Pyrazolessigsäure enthalten,
in der Bundesrepublik Deutschland gewerbsmäßig herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen, oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen, wobei sich das Verbot des Herstellens nur auf die Beklagte zu 4) bezieht;

2.
der Klägerin
a) Auskunft über Herkunft und Vertriebsweg der unter I. 1. bezeichneten Erzeugnisse zu erteilen durch schriftliche Angaben über
aa. Namen und Anschriften sämtlicher Lieferanten und die Stückzahl der bei jedem Lieferanten bestellten Erzeugnisse,
bb. die Stückzahl der von jedem Lieferanten erhaltenen Erzeugnisse,
cc. Namen und Anschriften sämtlicher gewerblicher Abnehmer und die Stückzahl der an jeden dieser Abnehmer ausgelieferten Erzeugnisse,
dd. Namen und Anschriften sämtlicher Auftraggeber, Hersteller und Vorbesitzer (insbesondere Transport- und Lagerunternehmen) sowie die Stückzahlen der von diesen hergestellten und/oder bestellten und/oder ausgelieferten Erzeugnisse
und zwar unter Vorlage der entsprechenden Belege (Lieferscheine oder Rechnungen) in Kopie;
b) Rechnung zu legen über
aa. die mit den unter I.1. bezeichneten Erzeugnissen erzielten Umsätze, aufgeschlüsselt nach einzelnen Lieferungen und jeweils mit Angabe
– des Zeitpunkts der Lieferung
– der Namen und Anschriften der Abnehmer
– der gelieferten Stückzahlen
– des Stückpreises
bb. die nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungs- und Vertriebskosten der unter I. 1. bezeichneten Erzeugnisse unter Angabe der Tatsachen, die die Beurteilung ermöglichen, ob der jeweilige Kostenfaktor ausschließlich durch die Gestehung und/oder Vertrieb der unter I. 1. bezeichneten Erzeugnisse verursacht wurde,
cc. den mit den unter I.1. bezeichneten Erzeugnissen erzielten Gewinn,
dd. (nur die Beklagte zu 4)): die hergestellten Mengen mit jeweiligem Herstellungszeitpunkt und gegebenenfalls Chargenbezeichnung,

wobei
– die Angaben zu a) nur für die Zeit seit dem 07.06.2006 zu machen sind,
– die Angaben zu b) aa. und zu b) dd. nur für die Zeit seit dem 02.02.2004 zu machen sind,
– die Angaben zu b) bb. und b) cc. nur für die Zeit seit dem 07.07.2006 zu machen sind,
– den Beklagten vorbehalten bleiben mag, die Namen und Anschriften der nicht-gewerblichen Abnehmer statt der Klägerin einem von der Klägerin zu benennenden und ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder eine bestimmte Lieferung in der Aufstellung enthalten ist;

3.
die in ihrem unmittelbaren und mittelbaren Besitz oder in ihrem Eigentum befindlichen, unter Ziffer I. 1. bezeichneten Erzeugnisse zu vernichten;

4.
die unter I. 1. bezeichneten Erzeugnisse auf ihre Kosten aus den Vertriebswegen zurückzurufen, soweit die Erzeugnisse nach dem 07. Juli 2006 hergestellt, angeboten, in Verkehr gebracht, gebraucht oder zu den genannten Zwecken eingeführt oder besessen wurden.
insbesondere die unter I. 1. bezeichneten Erzeugnisse auf ihre Kosten aus den Beständen von Großhändlern und/oder Apotheken zurückzurufen, soweit die Erzeugnisse nach dem 07. Juni 2006 an die jeweiligen Großhändler bzw. Apotheken geliefert wurden;

II.
Es wird festgestellt,
1.
dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die unter Ziffer I. 1. bezeichneten, seit dem 07. Juli 2006 begangenen Handlungen entstanden ist oder künftig noch entstehen wird;
2.
dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin für die unter I. 1. bezeichneten, in der Zeit zwischen dem 02. Februar 2004 und dem 06. Juli 2006 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen.

III.
Der Klägerin wird die Befugnis zugesprochen, das Urteil auf Kosten der Beklagten öffentlich bekannt zu machen.

VI.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

V.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten.

VI.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 6.000.000,00 € vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Sicherheit durch eine unwiderrufliche, unbedingte, unbefristete und selbstschuldnerische Bürgschaft einer in der Europäischen Union als Zoll- oder Steuerbürgin anerkannten Bank oder Sparkasse zu erbringen.

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents 1 374 xxx (Klagepatent) auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Vernichtung, Entschädigung und Schadensersatz in Anspruch. Ferner verlangt sie, dass sie das Urteil auf Kosten der Beklagten veröffentlichen darf und dass die Beklagten die ihrer Ansicht nach patentverletzenden Arzneimittel auf ihre Kosten zurückrufen. Die Klägerin, ein bekanntes pharmazeutisches Unternehmen, das sich sowohl mit Generika als auch der Entwicklung innovativer Arzneimittel befasst, ist eingetragene Inhaberin des Klagepatents, das unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 28.06.2002 am 27.06.2003 angemeldet wurde. Die Anmeldung wurde am 02.01.2004 und die Erteilung des Patents am 07.06.2006 veröffentlicht. Das Patent steht in Kraft. Das Klagepatent bezieht sich auf eine feste pharmazeutische Zusammensetzung enthaltend Tilidinhydrochlorid.
Der von der Klägerin geltend gemachten Patentanspruch 1 des Klagepatents, dessen Verfahrenssprache Deutsch ist, lautet wie folgt:
Feste, stabile pharmazeutische Zusammensetzung für die orale Verabreichung umfassend Tilidinhydrochlorid bzw. eines seiner Hydrate, einen Morphin-Antagonist sowie pharmazeutische Hilfsstoffe, mit der Maßgabe, dass solche Zusammensetzungen ausgenommen sind, die Komplexbildner für 2- oder 3-wertige Metallkationen oder Pyrazolessigsäure enthalten, dadurch gekennzeichnet, dass sie mindestens ein Retardierungsmittel, ausgewählt aus Alkylcellulosen, Alginate, Acrylsäurecopolymere, Methylacrylsäurecopolymere, Hydroxyalkylcellulosen, Polyvinylpyrrolidon, Fettalkoholen, Polyvinylalkoholen, Fettsäure-Glycerinestern und Wachsen, enthält.

Wegen der insbesondere geltend gemachten Unteransprüche 2, 3, und 4 wird auf die Klagepatentschrift verwiesen (Anlage K 1).
Die Beklagte zu 1) hat gegen das Klagepatent Einspruch beim Europäischen Patentamt eingelegt, über den noch nicht entschieden ist.

Die Beklagten gehören zu dem Schweizer N-Konzern und befassen sich mit Generika. Die Beklagte zu 1) ist auch selbst umfangreich forschend tätig und dies vor allem auf dem Gebiet der Arzneimittelformulierungen. Die Beklagten zu 3) und 4) sind hundertprozentige Tochtergesellschaften der Beklagten zu 1). Die Beklagte zu 1) bietet seit August 2005 das Arzneimittel „A“ (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform 1) mit den Wirkstoffen Tilidinhydrochlorid und Naloxonhydrochlorid in der Wirkstärke 100/8 mg und seit November 2005 in den Wirkstärken 50/4 mg, 150/12 mg sowie 200/16 mg in der Bundesrepublik Deutschland an.
Die Beklagte zu 2) bietet seit August 2005 das Arzneimittel „B“ (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform 2) mit den Wirkstoffen Tilidinhydrochlorid und Naloxonhydrochlorid in der Wirkstärke 100/8 mg und seit November 2005 in den Wirkstärken 50/4 mg, 150/12 mg sowie 200/16 mg in der Bundesrepublik Deutschland an.
Die Beklagte zu 3) bietet seit September 2005 das Arzneimittel „C“ (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform 3) mit den Wirkstoffen Tilidinhydrochlorid und Naloxonhydrochlorid in der Wirkstärke 100/8 mg und seit April 2006 in den Wirkstärken 50/4 mg, 150/12 mg sowie 200/16 mg in der Bundesrepublik Deutschland an
Alle drei Ausführungsformen werden von der Beklagten zu 4) produziert.

Die Klägerin meint, die angegriffenen Ausführungsformen enthielten – wie das Klagepatent es vorgebe – keine Komplexbildner für 2- oder 3-wertige Metallkationen. Die in den angegriffenen Ausführungsformen enthaltene mikrokristalline Cellulose sehe jedenfalls das Klagepatent nicht als einen solchen Komplexbildner an; sie werde auch in den Ausführungsbeispielen verwendet. Die mikrokristalline Cellulose werde auch in den angegriffenen Ausführungsformen nicht als Komplexbildner verwendet. In Hinblick auf den Aussetzungsantrag ist die Klägerin der Ansicht, es bestünden keine Zweifel an der Rechtsbeständigkeit des Klagepatents. Der nächstliegende Stand der Technik sei die Entgegenhaltung EP 0 960 xxx (Anlage K 6; im Folgenden: K 6). Von dieser Entgegenhaltung unterscheide sich aber das Klagepatent dadurch, dass die K 6 vorschlage, zur Stabilisierung Komplexbildner für 2- oder 3-wertige Metallkationen einzusetzen, wohingegen das Klagepatent gerade auf solche Komplexbildner verzichte.
Das von den Beklagten geltend gemachte Vorbenutzungsrecht, insbesondere die gewerbliche Nutzungsabsicht und die quantitative Zusammensetzung der angeblich von der Beklagten zu 4) entwickelten Zusammensetzung, seien nicht hinreichend dargetan. Außerdem könne ein Vorbenutzungsrecht allenfalls bei der Beklagten zu 1) entstanden sein, in deren Auftrag die angebliche Entwicklung einer pharmazeutischen Zusammensetzung durch die Beklagte zu 4) erfolgt sei. Im Übrigen sei lediglich eine Vorbenutzung im Zeitraum vom 28.06.2002 bis zum 27.06.2003 geltend gemacht. Das Klagepatent nehme aber wirksam die Priorität der DE 10229216 in Anspruch, die vom 28.06.2002 stamme. Darin sei bereits die klagepatentgemäße Erfindung vollständig offenbart gewesen. Zwar sei in der DE 10229216 nicht – wie im Klagepatent – ausdrücklich aufgeführt, dass die Zusammensetzung keine Pyrazolessigsäure enthalten solle. Allerdings sei auch in der DE 10229216 an keiner Stelle erwähnt, das Pyrozolessigsäure verwendet werden könne, so dass der Fachmann dies der Druckschrift entnehme.

Die Klägerin beantragt,
wie erkannt,
mit der Maßgabe,
dass sie auch Auskunft über die Preise der von jedem Lieferanten erhaltenen Erzeugnisse und über die Preise der von sämtlichen Auftraggebern, Herstellern und Vorbesitzern hergestellten und/oder bestellten und/oder ausgelieferten Erzeugnisse verlangt hat,
und dass sie eine Belegvorlage auch für die unter I. 2. b) genannte Rechnungslegung begehrt,
und dass sich die Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung einer angemessenen Entschädigung nach dem Klageantrag zu II. nicht – wie tenoriert – bis zum 06.07.2006 sondern bis zum 07.07.2006 erstrecken sollte,
dass im Klageantrag zu II. nicht aufgenommen wurde, dass die Beklagten als Gesamtschuldner haften.

Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.

Hilfsweise beantragen die Beklagten,
die Klage bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den beim Europäischen Patentamt anhängigen Einspruch gegen das Klagepatent gemäß § 148 ZPO auszusetzen.

Die Klägerin tritt dem Aussetzungsantrag entgegen.

Die Beklagten behaupten, die angegriffenen Ausführungsformen verletzten das Klagepatent nicht. Die Ausführungsformen enthielten nämlich Komplexbildner für zwei- oder dreiwertige Metallkationen. Der Begriff „Komplexbildner“ sei dahingehend zu verstehen, dass Komplexbildner im Allgemeinen ausgeschlossen sein sollten, die im Stand der Technik als Stabilisatoren bekannt seien. In den angegriffenen Ausführungsformen sei mikrokristalline Cellulose enthalten, die mit zweiwertigen Metallionen wie Zn2+ oder Ca2+ Komplexe bilde.
Den Beklagten stehe ein Vorbenutzungsrecht zu. Die Beklagte zu 1) habe gemeinsam mit der Beklagten zu 4) bereits im Sommer 2002 die Formulierung des Arzneimittels entsprechend der angegriffenen Ausführungsform entwickelt. Bei der Beklagten zu 1) seien Projektwünsche und Projektideen in der Gruppe „Portfolio Management“ diskutiert worden. Dort seien aufkommende Produktwünsche und Analyseergebnisse bewertet und besprochen worden und dann entschieden worden, ob ein Produktwunsch realisiert und vermarktet werden sollte. Im Jahre 1998 sei die grundsätzliche Entscheidung zur Vermarktung eines retardierten Tilidin-Produkts „D“ getroffen worden. Man habe als Wirkstoff zunächst Tilidin-Mesylat gewählt. Die Entwicklungsarbeit sei in den Jahren 1998 bis 2001 bei der Beklagten zu 4) im Auftrag der Beklagten zu 1) ausgeführt worden. Die Beklagte zu 4) habe diverse Produktchargen mit dem Wirkstoff Tilidin-Mesylat produziert und hieran eine Studie ausgeführt. Da die Ergebnisse der Studie jedoch keine Bioäquivalenz mit dem Referenzprodukt ergeben hätten, sei diese Formulierung nicht weiter verfolgt worden. In den ersten Monaten des Jahres 2002 seien die für die Entwicklung zuständigen Frau E und Frau F auf die Idee gekommen, als Wirkstoff Tilidin-Hydrochlorid zu verwenden, obwohl in den einschlägigen Patenten auf die Instabilität dieses Wirkstoffs verwiesen worden sei. Am 04.07.2002 habe die Beklagte zu 4) dann die Charge 091 mit dem Wirkstoff Tilidin-Hydrochlorid produziert, die in den Studien der Beklagten zu 4) positiv bewertet worden sei. Bei einer Teambesprechung sei beschlossen worden, aufgrund einer bestimmten Rezeptur größere Chargen herzustellen und damit in eine Bioäquivalenzstudie zu gehen. Am 14.11.2002 habe mit der Charge 111 die endgültige Formulierung, die auch in den angegriffenen Ausführungsformen verwendet werde, festgestanden, aufgrund derer im Dezember 2002 die Dossierchargen 10227681, 10228579 und 10227683 zu je mindestens 100.000 Tabletten hergestellt worden seien. Hierbei habe es sich um Formulierungen zum einen mit dem Wirkstoff Tilidin-Hydrochlorid und zum anderen mit dem Wirkstoff Tilidin-Mesylat gehandelt, die auf eine Bioäquivalenz mit Valoron retard N hätten getestet werden sollen. Die anhand dieser Chargen durchgeführte Bioäquivalenzstudie habe von Januar bis März 2003 gedauert und habe eine Bioäquivalenz zu Valoron retard N ergeben. Bei einer Telefonkonferenz vom 24.03.2003, an der Frau F teilgenommen habe, habe man festgelegt, dass man der Vermarktung der Tilidin-Hydrochlorid-Formulierung den Vorzug geben wolle. Dies habe allerdings noch unter dem Vorbehalt gestanden, dass man die Stabilitätsdaten zu den beiden Formulierungen habe abwarten wollen. Vor dem 22.04.2003 sei dann die endgültige Vermarktungsentscheidung für das Tilidin-Präparat mit der Hydrochlorid-Formulierung getroffen worden, was durch den E-Mail-Verkehr der Beteiligten gemäß Anlage B 13 bestätigt werde.
Am 20.11.2003 hat die Beklagte zu 1) – dies ist unstreitig – bei dem BfArM einen Zulassungsantrag für Tilidin Hexal comp 100/8 mg Retardtabletten gestellt (Anlage B 14). Das Vorbenutzungsrecht betreffe den relevanten Zeitraum, denn das Klagepatent könne die Priorität der DE 10229216 nicht in Anspruch nehmen, da darin die negativen Merkmale hinsichtlich des Komplexbildners und der Pyrazolessigsäure nicht offenbart gewesen seien. Da der Beklagten zu 4) ein Vorbenutzungsrecht zustehe, könnten sich die Beklagten zu 1) bis 3) auf eine Erschöpfung der Wirkung des Klagepatents berufen.

Eine Aussetzung sei geboten, weil die klagepatentgemäße Lehre nicht ausführbar sei. Es sei für den Fachmann nicht ersichtlich, worin der erfinderische Gedanke liege, was er also tun müsse, um die gewünschte Stabilität der Zusammensetzung zu erreichen. Außerdem sei die klagepatentgemäße Erfindung nicht neu gegenüber den EP 960619 (Anlage K 6) und WO 02/43713 (Anlage B 17). Weiter nehme die offenkundige Vorbenutzung von „J“ der Beklagten zu 1) (früherer Name: Nalidin, Tilidalor) die Lehre des Klagepatents neuheitsschädlich vorweg. Es fehle schließlich die erfinderische Tätigkeit gegenüber den EP 960 xxx und US 4 457 xxx.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und bis auf die in geringem Umfang zu weitgehend gefassten Ansprüche auf Auskunft, Rechnungslegung und Entschädigung begründet.
Die Klägerin kann von den Beklagten Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Schadensersatz, Entschädigung, Vernichtung, Rückruf von Produkten und Veröffentlichung des Urteils aus Art. 64 EPÜ i.V.m. §§ 139 Abs. 1 und 2, 140a Abs. 1, § 142 Abs. 6 PatG, § 12 Abs. 3 UWG analog, 140b Abs. 1 PatG i.V.m. Art. II § 1 Abs. 1 Satz 1 IntPatÜG; §§ 1004 Abs. 1, 242, 259 BGB verlangen. Die angegriffene Ausführungsform macht von Patentanspruch 1 des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch, ohne dass die Beklagten dazu berechtigt sind (§ 9 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 PatG).

I.
Das Klagepatent schützt im Patentanspruch 1 eine feste pharmazeutische Zusammensetzung enthaltend Tilidinhydrochlorid als Wirkstoff.
In der Beschreibung des Klagepatents wird ausgeführt, dass Tilidin ein entfernt mit Morphin verwandtes Opioidanalgetikum sei, das enteral rasch resorbiert wird und sich zur Behandlung sehr starker Schmerzen besonders eigne. Das Hydrochlorid-Salz des Tilidins, auch in Form seines Hemihydrates, werde seit langem in Form von Lösungen unter der Handelsbezeichnung „K“ vertrieben. Da Tilidin und seine Salze Suchtgifte seien, würden Tilidin enthaltende Arzneimittel zur Verhinderung des Missbrauches üblicherweise mit Morphin-Antagonisten kombiniert, vorzugsweise mit Naloxon.

Nach den weiteren Angaben des Klagepatents soll in der Fachwelt das Vorurteil bestanden haben und bestehen, dass Tilidinhydrochlorid sowie dessen Hydrate sich nicht zu festen Zubereitungen verarbeiten ließen, weil sie in solchen festen Zubereitungen instabil seien. In der WO 94/10129 werde etwa ausgeführt, dass Verreibungen von Tilidinhydrochlorid-Hemihydrat mit üblicherweise pharmazeutisch eingesetzten Hilfsstoffen bereits nach 29 Tagen Lagerung bei 60° C Verfärbungen zeigten. Bei der Verarbeitung von Tilidinhydrochlorid-Hemihydrat mit Naloxonhydrochlorid-Dihydrat, hydriertem Rizinusöl, Lactose, Hydroxyethylcellulose, Stearinsäure, Tablettose und Magnesiumstearat zu Schmelzgranulat-Tabletten zeigten die Tabletten bereits nach 2 Tagen Lagerung in Braunglas bei 22° C orange-graue Verfärbungen. Zur Umgehung der als nicht lösbar angesehenen Stabilitätsprobleme in Verbindung mit Tilidinhydrochlorid sei gemäß der WO 94/10129 die Verwendung von Tilidinorthophosphat anstelle des Hydrochlorids vorgeschlagen worden. Tilidinhydrogenorthophosphat sei in den derzeit in Deutschland vertriebenden festen Arzneiformen umfassend Tilidin enthalten.
Des weiteren werde in der EP 0 960 xxx diskutiert, dass die in Zusammenhang mit einigen Tilidinsalzen und insbesondere mit Tilidinhydrochlorid im Stand der Technik diskutierten Stabilitätsprobleme dadurch überwunden werden könnten, dass in festen Zusammensetzungen Tilidin in Form eines Salzes eines nicht toxischen Komplexbildners für 2- oder 3-wertige Metallkationen oder in Kombination mit solchen Komplexbildnern als Stabilisatoren verwendet wird. Als geeignete Stabilisatoren würden Citronensäure und Weinsäure als besonders bevorzugt genannt.
Tilidin werde in Form seines Hydrochlorid-Hemidydrates seit langem in flüssigen Arzneiformen vertrieben. Es wäre aber wünschenswert, auch über feste, oral zu verabreichende Arzneiformen zu verfügen, die Tilidinhydrochlorid enthalten, weil Überempfindlichkeitsreaktionen von Patienten, die zuvor flüssige Tilidinhydrochlorid-Präparate eingenommen haben, bei der Umstellung auf feste Arzneiformen von vornherein ausgeschlossen werden könnten. Der Vorteil fester Arzneiformen liege insbesondere darin, dass sie eine steuerbare, vorzugsweise verzögerte (retardierte) Freisetzung des Tilidins aus der Arzneiform ermöglichen, so dass eine gleichmäßige Schmerzbehandlung über einen längeren Zeitraum möglich werde. Das sei insbesondere bei der Bekämpfung chronischer Schmerzen vorteilhaft. Das soll nach Patentanspruch 1 des Klagepatents durch folgende Merkmalskombination erreicht werden:
1. Feste, stabile pharmazeutische Zusammensetzung für die orale Verabreichung umfassend:
Tilidinhydrochlorid bzw. eines seiner Hydrate,
einen Morphin-Antagonisten
mindestens ein Retardierungsmittel;
das Retardierungsmittel ist ausgewählt aus Alkylcellulosen, Alginate, Acrylsäurecopolymere, Methylacrylsäurecopolymere, Hydroxyalkylcellulosen, Polyvenylpyrrolidon, Fettalkoholen, Polyvenylalkoholen, Fettsäure-Glycerinestern und Wachsen;
pharmazeutische Hilfsstoffe;
2.1 die Zusammensetzung enthält keine Komplexbildner für 2- oder 3-wertige Metallkationen
2.2 die Zusammensetzung enthält keine Pyrazolessigsäure.

In der Beschreibung des Klagepatents wird weiter erläuternd ausgeführt, dass im Rahmen der Erfindung zugrundeliegender Untersuchungen überraschend gefunden worden sei, dass sich entgegen dem auf dem Fachgebiet vorherrschenden Vorurteil Tilidinhydrochlorid gegebenenfalls in Kombination mit Naloxon, unter Verwendung üblicher pharmazeutischer Hilfsstoffe und gegebenenfalls Retardierungsmittel problemlos zu festen oral zu verabreichenden pharmazeutischen Zusammensetzungen formulieren lasse, die über lange Zeiträume stabil seien, mithin keinen Zersetzungsreaktionen unterlägen oder Verfärbungen zeigten, und zwar auch ohne den Zusatz irgendwelcher Stabilisatoren.

II.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass bei den angegriffenen Ausführungsformen die Merkmale 1.1 bis 1.4 sowie das Merkmal 2.2 erfüllt sind, so dass es hierzu keiner näheren Ausführungen bedarf. Streitig ist dagegen die Frage, ob die angegriffenen Ausführungsformen keinen Komplexbildner für 2- oder 3-wertige Metallkationen enthält, Merkmal 2.1. Die angegriffenen Ausführungsformen enthalten den Zusatzstoff mikrokristalline Cellulose.
Die Klägerin meint, es sei für den Fachmann ersichtlich, dass jedenfalls das Klagepatent mikrokristalline Cellulose nicht als einen Komplexbildner ansehe. Schließlich werde der Stoff in den Ausführungsbeispielen 1, 2, 4 und 5 eingesetzt, während Patentanspruch 1 vorgebe, dass Komplexbilder in der Zusammensetzung nicht enthalten sein dürften.
Die Beklagten meinen, es sei Teil des allgemeinen Fachwissens, dass mikrokristalline Cellulose Komplexe jedenfalls mit zweiwertigen Metallkationen bilde. Dies bestätige auch die kurzgutachterliche Stellungnahme des Prof. Dr. Kricheldorf (Anlage B 2). Die Ausführungsbeispiele, in denen mikrokristalline Cellulose verwendet werde, werde der Fachmann daher nicht als patentgemäß ansehen.
Der Ansicht der Beklagten ist nicht zu folgen. Das Merkmal 2.1 ist bei den angegriffenen Ausführungsformen erfüllt. Der Wortlaut des Merkmals ist klar: die gesamte pharmazeutische Zusammensetzung, bestehend aus dem Wirkstoff Tilidin-Hydrochlorid, einem Morphin-Antagonisten, einem Retardierungsmittel und pharmazeutischen Hilfsstoffen darf keine Komplexbildner für 2- oder 3-wertige Metallkationen enthalten. Das Klagepatent differenziert also nicht etwa zwischen Tablettenkern und Tablettenfilm; ein Komplexbildner darf sich vielmehr in keinem dieser Teile befinden.
Was das Klagepatent unter einem Komplexbildner für 2- oder 3-wertige Metallkationen versteht, erfährt der Fachmann in erster Linie bei der Beschreibung der EP 0 960 xxx und der Kritik, die das Klagepatent an dieser Druckschrift übt (Absatz [0005] der Klagepatentschrift). Dort würden Komplexbildner für 2- oder 3-wertige Metallkationen als Stabilisatoren verwendet. Als Beispiel werden Citronensäure und Weinsäure genannt. In Abgrenzung dazu sei die patentgemäße Zusammensetzung „stabilisatorfrei“ (Klagepatentschrift, Absatz [0008]). Sie sei stabil, unterliege also keinerlei Zersetzungsreaktionen und zeige keine Verfärbungen, und dies ohne den Zusatz irgendwelcher Stabilisatoren (Absatz [0007]).
Aus diesen allgemeinen Beschreibungen des Begriffs des Komplexbildners wird deutlich, dass Citronensäure und Weinsäure lediglich beispielhaft genannt sind, und dass nach dem Klagepatent jeder stabilisierende Stoff fehlen soll, der Komplexe mit 2- oder 3-wertigen Metallkationen eingeht.
In den Ausführungsbeispielen 1, 2 und 5 des Klagepatents ist mikrokristalline Cellulose als ein Bestandteil der pharmazeutischen Zusammensetzung angegeben. Daraus wird der Fachmann grundsätzlich schließen, dass mikrokristalline Cellulose vom Klagepatent nicht als ein Komplexbildner für 2- oder 3-wertige Metallkationen angesehen wird. Die Beklagten haben auch nicht zur Überzeugung des Gerichts dargetan, dass dieses Verständnis vom allgemeinen Fachwissen des Fachmanns im Prioritätszeitpunkt abweicht. Der Privatsachverständige M hat zwar ausgeführt, dass Cellulose mit 2-wertigen Metallionen wie Calcium- oder Zinkionen Komplexe bilden könne. Cellulose existiere sowohl in amorpher als auch in (mikro-)kristalliner Form. Beide Formen der Cellulose reagierten unter Komplexbildung mit 2-wertigen Metallionen. Allerdings beziehen sich die Ausführungen des Sachverständigen lediglich auf die komplexbildende Reaktion von Cellulose in Lösungen. So nennt der Sachverständige als Beispiel für die Komplexbildung der Cellulose die sogenannte „Schweizer Lösung“, bei der lösliche Komplexe mit 2-wertigen Kupferionen in wässrigen Lösungsmitteln gebildet werden. Auch die Veröffentlichung „Ultraviolet Spectra and Structure of Zinc-Cellulose Complexes in Zinc Chloride Solution“ von Q. Xu, L.-F. Chen befasst sich – soweit aus der nur in englischer Sprache überreichten Anlage B 3 ersichtlich – ausschließlich mit der Reaktion von Cellulose in Zinkchloridlösungen. Es ergibt sich aus dem Gutachten und aus der in Bezug genommenen Veröffentlichung nicht, ob mikrokristalline Cellulose auch bei festen Darreichungsformen Komplexe bildet. Auch aus den in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Nachweisen aus der Literatur ergibt sich nichts anderes. So verweisen sowohl das Lehrbuch der Organischen Chemie von Beyer/Walter (Anlage B 29) als auch das Lehrbuch Organische Chemie II von Breitmaier/Jung (Anlage B 30) sowie das Hunnius Pharmazeutische Wörterbuch von Burger/Wachter (Anlage B 31) auf die bereits von dem Privatsachverständigen M beschriebene Schweizer Reagenz, bei der Cellulose in ammoniakalischer Kupfer(II)-hydroxid-Lösung gegeben wird. Breitmaier/Jung beschreiben die Löslichkeit der Cellulose in dieser Lösung als eine „Besonderheit“, die auf einer Komplexbildung beruhe. Dass es bei Zugabe von Cellulose zu festen Darreichungsformen – wie es die patentgemäße Ausführungsform eine ist – ebenfalls zu Komplexbildungen kommt, ist aus dem Privatsachverständigengutachten und der vorgelegten Fachliteratur nicht ersichtlich.

Da somit mikrokristalline Cellulose vom Klagepatent nicht als Komplexbildner angesehen wird und dies auch nicht vom Verständnis des Fachmanns nach seinem allgemeinen Fachwissen im Prioritätszeitpunkt abweicht, erfüllen die angegriffenen Ausführungsformen, die mikrokristalline Cellulose enthalten, sämtliche Merkmale des Klagepatents.

III.
Die Beklagten machen geltend, der Beklagten zu 4) und der Beklagten zu 1) stehe ein Vorbenutzungsrecht gemäß § 12 PatG zu. Dabei stützen die Beklagten dieses Vorbenutzungsrecht auf Handlungen, die – ausgehend von der ersten Idee für eine mögliche Formulierung der Zusammensetzung bis hin zur erfolgreichen Bioäquivalenzstudie und der Entscheidung für eine Vermarktung des Produkts – im Zeitraum von Anfang 2002 bis zum 22.04.2003 vorgenommen worden sein sollen.

1.
Dieser Zeitraum dürfte zwar für die Frage, ob vorliegend ein Vorbenutzungsrecht entstanden ist, relevant sein. Denn die Kammer neigt zu der Auffassung, dass die Priorität der DE 10229216, die auf den 28.06.2002 datiert, vom Klagepatent nicht wirksam in Anspruch genommen wurde, so dass die behaupteten Handlungen, die das Vorbenutzungsrechts begründen sollen, noch vor dem Anmeldetag des Klagepatents erfolgt wären. Gemäß Art. 87 Abs. 1, 88 Abs. 4 EPÜ kann eine Priorität nur wirksam in Anspruch genommen werden, wenn in der früheren Anmeldung dieselbe Erfindung offenbart ist. Das bedeutet, dass eine Priorität nur dann anzuerkennen ist, wenn der Fachmann den Gegenstand des Anspruchs unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens unmittelbar und eindeutig der früheren Anmeldung als Ganzes entnehmen können muss (EPA, Große Beschwerdekammer, GRUR Int. 2002, 80; Benkard/Ullmann/Grabinski, EPÜ, 2002, Art. 88 Rn. 7; so auch BGH GRUR 2002, 146, 149 – Luftverteiler). Das Europäische Patentamt hat klargestellt, dass eine in einer Nachanmeldung offenbarte Erfindung nicht etwa mehr dieselbe Erfindung ist wie die in der früheren Anmeldung offenbarte Erfindung, wenn ein Merkmal verändert, gestrichen oder ein weiteres Merkmal hinzugefügt wird (EPA, Große Beschwerdekammer, GRUR Int. 2002, 80, 86).
Vorliegend ist in den Patentanspruch des Klagepatents im Vergleich zu der älteren Anmeldung DE 10229216 (Anlage K 19) ein neues Merkmal eingeführt worden: das Merkmal 2.2. Dieses Merkmal, nach dem die Zusammensetzung keine Pyrazolessigsäure enthalten soll, ist in der früheren Anmeldung entgegen der Ansicht der Klägerin nicht offenbart. An keiner Stelle in den Patentansprüchen oder der Beschreibung ist klargestellt, dass Pyrazolessigsäure in der Zusammensetzung nicht enthalten soll. Allein der Umstand, dass der Stoff nicht erwähnt wird, wird für den Fachmann noch nicht bedeuten, dass er sich bei einer Verwendung von Pyrazolessigsäure außerhalb des von der früheren Anmeldung beanspruchten Schutzbereiches bewegt. Dies gilt ungeachtet des Umstandes, dass – was zwischen den Parteien unstreitig ist – der Einsatz des Wirkstoffs Pyrazolessigsäure die pharmakologischen Eigenschaften und die Funktionsweise des Endprodukts maßgeblich verändern würde. Denn der Fachmann wird sich in erster Linie danach richten, welche Vorgaben der Patentanspruch macht.
Der Patentanspruch ist aber so gefasst, dass er nicht ausschließt, dass der pharmazeutischen Zusammensetzung noch weitere Stoffe hinzugefügt werden können. Er gibt lediglich vor, dass die Zusammensetzung jedenfalls Tilidin-Hydrochlorid bzw. eines seiner Hydrate sowie pharmazeutische Hilfsstoffe „umfassen“ muss. Dem Unteranspruch 5 des Prioritätsdokuments, nach dem die Zusammensetzung „zusätzlich“ einen Morphin-Antagonisten enthalten soll, kann der Fachmann entnehmen, dass die Formulierung in Patentanspruch 1 nicht ausschließt, dass der Zusammensetzung noch weitere Stoffe zugegeben werden, die im Patentanspruch 1 noch nicht angesprochen sind. Ebenso wenig würde es aus dem Schutzbereich des Prioritätsdokuments herausführen, wenn der Zusammensetzung Pyrazolessigsäure beigegeben würde, so dass das Merkmal 2.2, nach dem die Zugabe von Pyrazolessigsäure ausgeschlossen wird, nicht offenbart ist.

Die zwischen den Parteien diskutierte Rechtsprechung des Europäischen Patentamts zu der Zulässigkeit von Disclaimern ist auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, denn ein Disclaimer bedeutet eine Änderung des in der Patentanmeldung bezeichneten Patentanspruchs durch Aufnahme eines „negativen“ technischen Merkmals, durch das bestimmte Ausführungsformen oder Bereiche eines allgemeinen Merkmals ausgeschlossen werden (EPA GRUR Int. 2004, 959, 960 – Disclaimer). Vorliegend ist aber das Merkmal 2.2 nicht erst im Erteilungsverfahren aufgenommen worden, sondern es war bereits in der Patentanmeldung enthalten (vgl. Anlage K 18).
Ob die Rechtsprechung des Europäischen Patentamts zur Zulässigkeit von Disclaimern auf das hier streitgegenständliche Verhältnis zwischen dem Prioritätsdokument und der nachfolgenden Anmeldung entsprechend angewendet werden kann, kann vorliegend dahinstehen. Denn jedenfalls wäre die hier erfolgte Einfügung des Merkmals 2.2 auch nach dieser Rechtsprechung nicht zulässig. Danach kann ein Disclaimer im Einzelfall nur dann zulässig sein, wenn er entweder dazu dient, die Neuheit wiederherzustellen, indem er einen Patentanspruch gegenüber einem Stand der Technik nach Art. 54 Abs. 3 und Abs. 4 EPÜ abgrenzt oder aber die Neuheit wiederherzustellen, indem er einen Anspruch gegenüber einer zufälligen Vorwegnahme nach Art. 54 Abs. 2 EPÜ abgrenzt, d.h. einer Vorwegnahme, die so unerheblich für die beanspruchte Erfindung ist und so weitab von ihr liegt, dass der Fachmann sie bei der Erfindung nicht berücksichtigt hätte oder schließlich, wenn er dazu dient, einen Gegenstand auszuklammern, der nach den Art. 52 bis 57 EPÜ aus nichttechnischen Gründen vom Patentschutz ausgeschlossen ist (EPA GRURInt. 2004, 959, 960 – Disclaimer). Keiner der vorgenannten Fälle ist vorliegend gegeben. Insbesondere dient das Merkmal 2.2 nicht dazu, die klagepatentgemäße Erfindung von einer gemäß Art. 54 Abs. 3, 4 EPÜ vorangemeldeten aber noch nicht veröffentlichten Entgegenhaltung abzugrenzen. Vielmehr ist zwischen den Parteien unstreitig, dass das Merkmal 2.2 von der Klägerin eingeführt wurde, um die Erfindung von der bereits im Jahre 1976 veröffentlichten Druckschrift OS 26 05 243 (Anlage K 7) abzugrenzen.

2.
Ein Vorbenutzungsrecht gemäß § 12 PatG steht den Beklagten zu 1) und 4) nicht zu.
Ein Vorbenutzungsrecht entsteht dann, wenn der Berechtigte zum maßgeblichen Zeitpunkt im Erfindungsbesitz gewesen ist und die Erfindung am Anmeldetag im Inland bereits in Benutzung genommen oder zumindest die dafür erforderlichen Veranstaltungen getroffen hat (OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.01.2007, 2 U 65/05 – Klimagerät). Die Handlungen, durch die die Erfindung in Benutzung genommen werden kann, umfassen die in §§ 9 und 10 PatG umschriebenen Benutzungshandlungen (Benkard/Rogge, PatG, 10. Aufl. 2006, § 12 Rn. 11). Auch diese Benutzungshandlungen begründen jedoch nur dann ein Vorbenutzungsrecht, wenn sie bereits die Ernsthaftigkeit einer gewerblichen Nutzungsabsicht in die Tat umsetzen (OLG, Urteil vom 11.01.2007, 2 U 65/05 – Klimagerät). Denn nur wenn die Benutzungshandlung vom Benutzenden darauf ausgerichtet ist, mit dem Erzeugnis auf dem Markt Gewinn zu erzielen, ist ein gewerblicher Besitzstand bereits geschaffen. Einen solchen gewerblichen Besitzstand will aber das Gesetz aus Billigkeitsgründen schützen und damit die unbillige Zerstörung in zulässiger, insbesondere rechtlich unbedenklicher Weise geschaffener Werte verhindern (BGH GRUR 2002, 231, 233 – Biegevorrichtung). Auch die übrigen Benutzungshandlungen des § 9 PatG, insbesondere das Anbieten und Inverkehrbringen weisen einen solchen Marktbezug auf; die Absicht, mit dem Erzeugnis auf dem Markt Gewinn zu erzielen, ist ihnen immanent. Ebenso ist in Übereinstimmung mit der vorgenannten Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Düsseldorf zu fordern, dass die Benutzungshandlung des Herstellens nur dann ein Vorbenutzungsrecht begründen kann, wenn sie von einer gewerblichen Nutzungsabsicht getragen ist. Dies folgt auch aus den Entscheidung „Chloramphenicol“ des Bundesgerichtshofs, in der dieser festgestellt hat, dass das Vorbenutzungsrecht unter anderem dann entstehe, wenn ein gewerbsmäßiges Herstellen vorliege (BGH GRUR 1964, 491, 493). Steht fest, dass eine solche gewerbliche Nutzungsabsicht besteht, so genügt für die Herstellung etwa eine Fertigung kleiner Serien in Handarbeit (Benkard/Rogge, PatG, 10. Aufl. 2006, § 12 Rn. 11). Denn das Vorbenutzungsrecht hängt nicht davon ab, ob der Aufwand an Kraft, Zeit und Kapital des Vorbenutzenden wirtschaftlich erheblich ist oder nicht (BGH, Urteil vom 17.11.1970, X ZR 13/69).

Die Beklagten haben – auch auf den in der mündlichen Verhandlung erteilten Hinweis – nicht substantiiert dargetan, dass eine solche gewerbliche Nutzungsabsicht zu einem Zeitpunkt vor der Anmeldung des Klagepatents, d.h. vor dem 27.06.2003, bei der Beklagten zu 1) vorlag. Ein ernstlicher Wille der Beklagten zu 1), die Erfindung gewerblich zu nutzen, ist nicht erkennbar. Ein solcher Wille setzt eine endgültige feste Entschließung zur gewerblichen Nutzung voraus; ein bedingter Entschluss ist nicht ausreichend (vgl. Benkard/Rogge, PatG, 10. Aufl. 2006, § 12 Rn. 13 zur Bekräftigung des Erfindungsbesitzes bei Veranstaltungen zur alsbaldigen Aufnahme der Benutzung).

Nach dem Vortrag der Beklagten hat die Beklagte zu 4) im Auftrag der Beklagten zu 1) im November 2002 zunächst die Charge 111 hergestellt und auf der Basis dieser Charge weiterhin die Dossierchargen 10227681, 10228679 und 10227683. Ein bedingungsloser Wille, Produkte dieser Formulierung zu vermarkten, bestand jedoch zu diesem Zeitpunkt bei der Beklagten zu 1) auch nach deren Vortrag noch nicht. Ein solcher Wille lässt sich nicht daraus herleiten, dass bei der Beklagten zu 1) – wie die Beklagten behaupten – im Jahre 1998 das „Portfolio Management“ die grundsätzliche Entscheidung getroffen habe, ein retardiertes Tilidin-Produkt zu vermarkten. Denn diese Entscheidung bezog sich noch nicht auf ein konkretes Produkt mit einer patentgemäßen Formulierung. Weder war die Zusammensetzung eines solchen Produktes bekannt noch konnte zu diesem Zeitpunkt klar sein, ob eine geeignete Formulierung, die eine Bioäquivalenz zu Valoron retard aufweist, überhaupt gefunden werden würde. Die abstrakte Entscheidung von 1998 kann eine Vermarktungsentscheidung in Bezug auf die im November 2002 gefundene Zusammensetzung daher nicht begründen.
Während der weiteren Arbeiten zum Auffinden einer geeigneten Formulierung lässt sich eine Entscheidung der hierfür zuständigen Gremien, in der ein nicht mehr unter Bedingungen stehender Wille zur gewerblichen Nutzung zum Ausdruck kommen würde, nicht erkennen. Die Entscheidung, auf der Grundlage der Charge 111 die Dossierchargen 10227681, 10228679 und 10227683 herzustellen, ist nicht ausreichend. Denn nach dem Vortrag der Beklagten sollten diese Dossierchargen für die für die Zulassung erforderlichen Bioäquivalenzprüfungen und Stabilitätsnachweise verwendet werden. Zwar ist durch die Herstellung von Dossierchargen, die im Vergleich zu Laborchargen einen größeren Umfang aufweisen, deutlich geworden, dass sich die weitere Forschung unter anderem auf eine Formulierung mit Tilidin-Hydrochlorid konzentrierte. Ob allerdings die für eine Arzneimittelzulassung und damit für eine gewerbliche Nutzung erforderliche Bioäquivalenzstudie positiv verlaufen würde und ob die Chargen sich im Stabilitätstest auch als stabil erweisen würde, stand zu diesem Zeitpunkt noch nicht fest. Gerade weil dies noch nicht feststand, wurde auch im November 2002 noch eine Formulierung mit Tilidin-Mesylat parallel in die Bioäquivalenzstudie eingeführt, welche als eine so genannte „Drei-Arm-Studie“ (mit den Tilidin-Hydrochlorid, Tilidin-Mesylat und Valoron retard N) geführt wurde.
Bei der von den Beklagten behaupteten Telefonkonferenz vom 24.03.2003 soll nach dem Vortrag der Beklagten festgelegt worden sein, dass grundsätzlich der Formulierung mit Tilidin-Hydrochlorid der Vorzug gegeben werden sollte. Allerdings kommt hier ebenfalls noch keine feste Absicht zur Vermarktung dieser Ausdruck. Denn zu diesem Zeitpunkt stand noch nicht fest, ob die Tilidin-Hydrochlorid-Formulierung den Stabilitätstest bestehen würde. Weil dies noch nicht sicher war, stand die Bevorzugung der Tilidin-Hydrochlorid-Formulierung unter dem Vorbehalt, dass die Stabilitätsdaten abgewartet werden sollten. Gerade der Stabilitätstest war aber nicht nur eine reine, für das Zulassungsverfahren auszuführende Formalität. Vielmehr kam dem Stabilitätstest insbesondere deshalb eine erhebliche Bedeutung für die Frage zu, ob sich die Formulierung als vermarktungsfähig erweisen würde, weil sich Frau E und Frau F nach dem Vortrag der Beklagten über die Angabe in den in Betracht gezogenen Patentschriften hinweg gesetzt hatten, wonach eine Tilidin-Hydrochlorid-Formulierung instabil sein solle.
Ob, wann und von wem dann nach Vorliegen der Stabilitätsdaten eine Entscheidung getroffen wurde, die Tilidin-Hydrochlorid-Formulierung auf den Markt zu bringen, haben die Beklagten nicht substantiiert vorgetragen. Sie haben gemeint, die endgültige Vermarktungsentscheidung für Tilidin-Hydrochlorid sei „vor dem 22.04.2003“ gefallen. Dies werde durch die E-Mail-Korrespondenz zwischen Frau F, G und H bestätigt. Auch auf den von der Kammer in der mündlichen Verhandlung vom 24.07.2007 erteilten Hinweis haben die Beklagten jedoch nicht näher anzugeben vermocht, welche Personen wann und in welcher Form diese Entscheidung getroffen haben sollen, so dass die Zeugin F dazu hätte näher befragt werden können. Der Vortrag der Beklagten ist daher nicht ausreichend substantiiert gemäß § 138 Abs. 1 ZPO; eine Vernehmung der Zeugin F wäre auf eine Ausforschung hinausgelaufen. Auch dem E-Mail-Verkehr, auf den sich die Beklagten berufen, lässt sich eine nähere Präzisierung des Vortrags nicht entnehmen. Vielmehr kommt in der E-Mail-Korrespondenz gerade zum Ausdruck, dass eine unumkehrbare Entscheidung, eine Tilidin-Hydrochlorid-Formulierung zu vermarkten, noch nicht getroffen war. So spricht beispielsweise Frau F noch in einer Mail vom 26.03.2003 an, dass „voraussichtlich“ mit Tilidin HCl gearbeitet werde, dass allerdings noch diskutiert werde, ob dieses im Vergleich zum Originator andere Salz als eine neue „active substance“ anzusehen sei, so dass ausführlich Toxdaten zu liefern wären. Es sei im Hause noch nicht geklärt, welche Konsequenzen dies für manche Produkte haben werde. Mit E-Mail vom 09.04.2003 schrieb H, die Entscheidung, mit welchem Tilidinsalz „weitergearbeitet“ werde, entscheide sich erst in der KW 17, und mit E-Mail vom 22.04.2003 teile Frau F der G mit, das in Zukunft mit TilidinHCl weitergearbeitet werde. Aus keiner dieser Mails geht hervor, dass eine Entscheidung zur gewerblichen Nutzung der Tilidin-Hydrochlorid-Formulierung getroffen wurde. Vielmehr beziehen sich die Mails noch auf eine Stadium, in dem mit Tilidin-Hydrochlorid aus Sicht der Beteiligten offensichtlich noch „weitergearbeitet“ werden musste.
Eine Betätigung des Erfindungsbesitzes durch Inbenutzungnahme oder Veranstaltungen zur Inbenutzungnahme ist demnach nicht dargetan, so dass die Voraussetzungen eines Vorbenutzungsrechts nicht vorliegen.

3.
Soweit die Beklagten zu 2), 3) und 4) betroffen sind, könnte deren Vertrieb patentverletzender Produkte im Übrigen ohnehin nicht durch ein Vorbenutzungsrecht gedeckt sein. Denn das Vorbenutzungsrecht entsteht in der Person desjenigen, der im Erfindungsbesitz ist und diesen – getragen von einer gewerblichen Nutzungsabsicht – betätigt. Voraussetzung für die Entstehung des Vorbenutzungsrechts ist die Ausübung des Erfindungsbesitzes selbstständig und im eigenen Interesse. Kenntnis und Tätigkeit eines weisungsgebundenen Gehilfen werden dem Geschäftsherrn zugerechnet (Busse/Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl. 2003, § 12 Rn. 19). Vorliegend wurden die Dossierchargen zwar von der Beklagten zu 4) hergestellt. Die gesamte Entwicklung wurde jedoch von der Beklagten zu 1) geleitet und beaufsichtigt; die Beklagte zu 4) führte lediglich die Anweisungen der Beklagten zu 1) aus. Zwar schließt das Handeln für einen Dritten nicht grundsätzlich aus, dass ein Benutzer eine Benutzungshandlung zugleich im eigenen Interesse vornimmt (BGH GRUR 1993, 460, 463 – Wandabstreifer). Allerdings wäre zum Nachweis einer Benutzungshandlung der Beklagten zu 4) im eigenen Interesse – ebenso wie bei der Beklagten zu 1) – erforderlich gewesen, dass die Beklagte zu 4) bei der Herstellung der Dossierchargen im Dezember 2002 die Absicht gehabt hätte, diese Produkte selbst gewerblich zu nutzen. Hierzu haben die Beklagten aber nichts vorgetragen.

IV.
Aus der Verwirklichung sämtlicher Merkmale des Patentanspruchs 1 ergeben sich die tenorierten Rechtsfolgen.

1.
Da die Beklagten zu 1), 2) und 3) in der Bundesrepublik Deutschland widerrechtlich Produkte vertreiben und die Beklagte zu 4) diese in der Bundesrepublik Deutschland herstellt, die von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch machen, sind sie der Klägerin zur Unterlassung verpflichtet (§ 139 Abs. 1 PatG).

2.
Die Beklagten haben der Klägerin außerdem Schadensersatz zu leisten (§ 139 Abs. 2 PatG). Denn als Fachunternehmen hätten die Beklagten zu 1) bis 4) die Patentverletzung durch die angegriffene Ausführungsform bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt erkennen und vermeiden können, § 276 BGB. Die Beklagten haften nach § 840 Abs. 1 BGB als Gesamtschuldner. Für den Offenlegungszeitraum vom 02.02.2004 bis zum 06.07.2006 – nicht aber, wie beantragt, bis zum 07.07.2006, weil ab diesem Datum bereits Schadensersatz verlangt wird – schulden die Beklagten als tatsächliche Benutzer der Klägerin außerdem eine angemessene Entschädigung (Artikel II Paragraf 1 Absatz 1 Satz 1 IntPatÜG).

3.
Die genaue Höhe des Schadensersatzes und der Entschädigung steht derzeit noch nicht fest. Da jedoch hinreichend wahrscheinlich ist, dass der Klägerin durch die rechtsverletzenden Handlungen der Beklagten ein Schaden entstanden ist und dieser von der Klägerin lediglich noch nicht beziffert werden kann, weil sie ohne eigenes Verschulden in Unkenntnis über den Umfang der Benutzungs- und Verletzungshandlungen ist, ist ein rechtliches Interesse der Klägerin an einer Feststellung der Schadensersatz- und Entschädigungsverpflichtung dem Grunde nach anzuerkennen, § 256 Abs. 1 ZPO. Damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadensersatz- und Entschädigungsanspruch zu beziffern, sind die Beklagten im zuerkannten Umfang zur Rechnungslegung verpflichtet (§§ 242, 259 BGB). Die Klägerin ist auf die zuerkannten Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt, und die Beklagten werden durch die von ihnen verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet.
Dagegen kann die Klägerin nicht – wie unter I. 2. beantragt – verlangen, dass die Beklagten ihre Rechnungslegung mit „entsprechenden Belegen“ belegt. Im Hinblick auf die nur im Rahmen der allgemeinen Rechnungslegung nach §§ 242, 259 BGB geschuldeten Angaben besteht keine Verpflichtung zur Vorlage von Belegen (Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl. 2006, § 139 Rn. 89a).

4.
Die Beklagten haben schließlich über Herkunft und Vertriebsweg der rechtsverletzenden Erzeugnisse Auskunft zu erteilen, § 140b PatG. Allerdings reicht der in diesem Zusammenhang von der Klägerin gestellte Antrag zu I. 2. zu weit. Gemäß § 140b PatG kann der Verletzte Auskunft über die Namen und Anschriften der Lieferanten, Hersteller, Vorbesitzer, gewerblicher Abnehmer und Auftraggeber verlangen sowie Auskunft über die Mengen der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse und deren mengenmäßige Zuordnung zu den einzelnen Vorbesitzern bzw. Abnehmern etc. (Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl. 2006, § 140b Rn. 7). Zu Unrecht verlangt die Klägerin aber auch Auskunft über die Preise der bei den Lieferanten der Beklagten bestellten und von den Beklagten erhaltenen Erzeugnisse (a aa. und a) bb.) sowie Auskunft über die Preise der von den Herstellern und Vorbesitzern hergestellten, bestellten bzw. ausgelieferten Erzeugnisse (a) dd.). Derartige Details über die Preise kann der Verletzte gemäß § 140b PatG nicht verlangen (Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl. 2006, § 140b Rn. 7). Auskünfte über diese Preise sind vom Wortlaut des § 140b Abs. 1, 2 PatG nicht erfasst und eine Zuerkennung eines derart weitgehenden Auskunftsanspruchs würde auch nicht dem Zweck des § 140b PatG entsprechen, der nicht der Durchsetzung von Schadensersatz- und Beseitigungsansprüchen dienen, sondern dem Verletzten eine schnelle Ermittlung der Hintermänner ermöglichen soll (Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl. 2006, § 21 Rn. 1). Ein Anspruch lässt sich auch nicht – wie die Klägerin meint – aus dem Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung des § 140b PatG herleiten im Hinblick auf die Enforcement-Richtlinie 2004/48/EG (im Folgenden: Enforcement-Richtlinie), die zum 29.04.2006 in nationales Recht hätte umgesetzt werden müssen. Gemäß Art. 8 Abs. 2 b) der Richtlinie ist vorgesehen, dass auch die auf dem Vertriebsweg gezahlten Preise offenbart werden müssen. Allerdings setzt die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung, die mit Ablauf der Umsetzungsfrist einer Richtlinie beginnt und nach der die nationalen Vorschriften unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts auszulegen sind, voraus, dass das nationale Recht Auslegungsspielräume belässt (MüKo/Basedow, 5. Aufl. 2007, Vorb. zu §§ 305ff BGB Rn. 53). Daran fehlt es im Hinblick auf den Umfang der Auskunftspflicht gemäß § 140b PatG. In § 140b Abs. 2 PatG ist abschließend aufgezählt, welche Angaben der Verletzte vom Verletzer verlangen kann.
Im Hinblick auf die gemäß dem Tenor zu I. 2. geschuldeten Angaben sind die Beklagten zugleich verpflichtet, die von der Klägerin geforderten Belege (Lieferscheine und Rechnungen) vorzulegen, um es der Klägerin zu ermöglichen, durch Einsicht in die Belege die Verlässlichkeit der Auskunftserteilung zu überprüfen und sich darüber klar zu werden, ob ein Anspruch auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung besteht.

Der Auskunftsanspruch besteht – wie von der Klägerin geltend gemacht – bereits ab Patenterteilung am 07.06.2006 und nicht erst ab Ablauf einer Karenzzeit von einem Monat, da er kein Verschulden voraussetzt (Busse/Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl. 2003, § 140b Rn. 5).

5.
Der Anspruch auf Veröffentlichung des Urteils ergibt sich aus den § 142 Abs. 6 PatG, § 12 Abs. 3 UWG analog (Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl. 2006, § 139 Rn. 136). Das hierfür erforderliche berechtigte Interesse der Klägerin an der Veröffentlichung besteht darin, dass sie aufgrund der bereits in großem Umfang erfolgten Auslieferungen der angegriffenen Ausführungsformen an Ärzte, Großhändler und Apotheken ein Interesse an der Aufklärung dieser Kreise besteht, dass es sich um eine rechtswidrige Handlung handelt.

6.
Weiter hat die Klägerin gemäß § 140a Absatz 1 Satz 1 PatG einen Anspruch auf Vernichtung oder Herausgabe an einen Treuhänder derjenigen patentverletzenden Produkte, die sich in der Bundesrepublik Deutschland im unmittelbaren und mittelbaren Besitz oder Eigentum der Beklagten befinden. Auch der geltend gemachte Anspruch auf Rückruf der bereits vertriebenen Produkte durch die Beklagten steht der Klägerin zu. Der Anspruch ergibt sich aus §§ 139 Abs. 1 PatG, 1004 BGB i.V.m. Art. 10 der Enforcement-Richtlinie. Nach Art. 10 der Richtlinie, die bis zum 29.04.2006 in nationales Recht hätte umgesetzt werden müssen, sollen die Mitgliedstaaten vorsehen, dass dem Verletzten eine Möglichkeit gegeben wird, den Rückruf der patentverletzenden Ware aus den Vertriebswegen zu erreichen. Diese Rechtsfolge lässt sich im Wege der richtlinienkonformen Auslegung aus § 1004 BGB analog herleiten, denn diese Vorschrift berechtigt den Verletzten dazu, die „Beseitigung“ der Beeinträchtigung zu verlangen. Darunter lässt sich der Rückruf patentverletzender Ware subsumieren.

V.
Anlass für eine Aussetzung des Rechtsstreits gemäß § 148 ZPO besteht nicht. Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer (Mitt. 1988, 91 – Nickel-Chrom-Legierung; BlPMZ 1995, 121 – Hepatitis-C-Virus), die auch vom Oberlandesgericht Düsseldorf (GRUR 1979, 188 – Flachdachabläufe) und vom Bundesgerichtshof (GRUR 1987, 284 – Transportfahrzeug) gebilligt wird, stellen ein Einspruch gegen das Klagepatent oder die Erhebung einer Nichtigkeitsklage als solche noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen, da dies faktisch darauf hinauslaufen würde, dem Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beizumessen, die dem Gesetz fremd ist (§ 58 Abs. 1 PatG). Die Interessen der Parteien sind vielmehr gegeneinander abzuwägen, wobei grundsätzlich dem Interesse des Patentinhabers an der Durchsetzung seines erteilten Patents Vorrang gebührt. Die Aussetzung kommt deshalb nur in Betracht, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Widerruf oder eine Vernichtung des Klagepatents zu erwarten ist. Dies wiederum kann regelmäßig dann nicht angenommen werden, wenn der dem Klagepatent am nächsten kommende Stand der Technik bereits im Erteilungsverfahren berücksichtigt worden ist oder wenn neuer Stand der Technik lediglich belegen soll, dass das Klagepatent nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, sich jedoch auch für eine Bejahung der Erfindungshöhe, die von der wertenden Beurteilung der hierfür zuständigen Instanzen abhängt, zumindest noch vernünftige Argumente finden lassen.

Aus dem Vorbringen der Beklagten zu 1) in dem Einspruchsverfahren beim Europäischen Patentamt ergibt sich nicht mit der für eine Aussetzung erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 widerrufen werden wird.

1.
Die Beklagten machen geltend, die Erfindung sei unzureichend offenbart bzw. nicht ausführbar. Dies begründen die Beklagten damit, dass das Klagepatent nicht erkläre, weshalb mit der patentgemäßen Formulierung die begehrte Stabilität der Zusammensetzung erreicht werden soll. Dies überzeugt jedoch nicht. Eine ausreichende Offenbarung einer technischen Lehre liegt schon dann vor, wenn dem Fachmann erläutert wird, wie er den Vorschlag der Erfindung wiederholbar praktisch verwirklichen kann. Nicht erforderlich ist dagegen, dass das Klagepatent erklärt, weshalb mit den beschriebenen Mitteln die angestrebten Vorteile erreicht werden. Dies mag selbst dem Erfinder oft nicht bekannt sein.
Ebensowenig überzeugt das Argument der Beklagten, die Ausführbarkeit sei fraglich, weil in der Klagepatentschrift nur für das Ausführungsbeispiel 1 ein Stabilitätsnachweis erbracht worden sei, obwohl allein das Ausführungsbeispiel 3 überhaupt als patentgemäß angesehen werden könne, weil es keine mikrokristalline Cellulose – nach Ansicht der Beklagten ein Komplexbildner – enthalte. Denn wie bereits ausführt, ist mikrokristalline Cellulose im Sinne des Klagepatents nicht als ein Komplexbildner anzusehen. Deshalb ist auch das Ausführungsbeispiel 1, für den der Stabilitätsnachweis erbracht wurde, als patentgemäß anzusehen.

2.
Die Beklagten machen weiter geltend, die im Erteilungsverfahren berücksichtigte und in der Klagepatentschrift gewürdigte EP 0 960 xxx (im Folgenden: D1) nehme die Lehre des Klagepatents neuheitsschädlich vorweg. Die D 1 offenbart ein festes, peroral applizierbares Retardiermittel aufweisendes Schmerzmittel, das Tilidin enthält. Ebenso wie das Klagepatent befasst sich die D1 mit dem Problem, dass es aufgrund von Stabilitätsproblemen schwierig sei, feste Arzneimittelformen mit dem Wirkstoff Tilidin bereitzustellen. Als bekannt setzt die D1 weiter voraus, dass Tilidin mit einem Morphinantagonisten wie beispielsweise Naloxon kombiniert wird. Um das Stabilitätsproblem zu lösen, schlägt die D1 zwei mögliche Zusammensetzungen vor (Spalte 1, Absätze [0006] und [0007]): Tilidin als Salz eines nicht toxischen Komplexbildners für 2- oder 3-wertige Metallkationen mit einem Morphinantagonisten und einer Cellulosederivatmatrix als Retardiermittel (= 3 Bestandteile) oder Tilidinsalz mit einem Komplexbildner für 2- oder 3-wertige Metallkationen und mit einem Morphinantagonisten sowie einer Cellulosederivatmatrix als Retardiermittel (= 4 Bestandteile).
In den Zeilen 32ff wird näher ausgeführt, welche Wirkung die Komplexbildner auf das Gesamtsystem haben: sie stabilisieren es und tragen dazu bei, dass die Freisetzungsraten von Tilidin und dem Morphinantagonisten im wesentlichen gleich sind. Beide Wirkungen – die Stabilisierung sowie die Kontrolle der Wirkstofffreisetzung – sollen nach dem Verständnis des Durchschnittsfachmanns der D1 eine besondere Errungenschaft der Erfindung darstellen. So wird die mangelnde Stabilität von der D1 als das Hauptproblem der im Stand der Technik beschriebenen Arzneimittelformen mit dem Wirkstoff Tilidin beschrieben, das u.a. durch die Erfindung gelöst wird (vgl. Absatz [0003]). Eine gleichzeitige Freisetzung des Wirkstoffe Tilidin und des Morphinantagonisten zu erreichen, macht sich die D1 sogar ausdrücklich zur Aufgabe. Erreicht werden beide Wirkungen durch die Beigabe des Komplexbildners. Vor dem Hintergrund dieses Verständnisses wird der Fachmann nun die Textstelle in Absatz [0011] lesen, auf die sich die Beklagten berufen. Sie lautet (Hervorhebung hinzugefügt):
„Somit ist es im Sinne der vorliegenden Erfindung möglich, Tilidinhydrochlorid-Semihydrat, Tilidinhydrogenfumarat und Tilidinhydrogensulfat jeweils mit Naloxonhydrochlorid-Dihydrat und üblicherweise pharmazeutisch eingesetzten Hilfsstoffen in eine stabile Zubereitung einzubringen. Auch ohne den Zusatz von Komplexbildnern ist in der Cellulosederivat-Matrix eine stabile pharmazeutische Zusammensetzung auf der Basis von Tilidinhydrochloridsemi-hydrat erhältlich.“
Diese Textstelle kann der Fachmann einerseits so verstehen, dass bei Verwendung des speziellen Wirkstoffs Tilidinhydrochloridsemihydrat in Verbindung mit den übrigen Bestandteilen der Erfindung (dem Morphinantagonisten und dem Retardierungsmittel) auf Komplexbildner verzichtet werden kann – so das Verständnis der Beklagten (im Folgenden: erstes Verständnis). Andererseits kann der Fachmann die Textstelle so auffassen, dass darin von einer Zusammensetzung die Rede ist, die nicht patentgemäß im Sinne der D1 ist, also eine Zusammensetzung, die den Morphin-Antagonisten nicht enthält – so das Verständnis der Klägerin (im Folgenden: zweites Verständnis). Im letzteren Fall wäre die D1 nicht neuheitsschädlich, da das Merkmal 2.1 nicht offenbart ist.
Für das erste Verständnis spricht, dass es grundsätzlich nicht zu erwarten ist, dass in einer Patentschrift Ausführungen angesprochen werden, die nicht patentgemäß sind. Für das zweite Verständnis spricht demgegenüber, dass gerade die Zugabe eines Komplexbildners nach der D1 als der Schlüssel zur Lösung der gestellten Aufgabe für die patentgemäße Zusammensetzung dargestellt wird, so dass der Fachmann nicht davon ausgehen wird, dass ihm in einem Nebensatz nun mitgeteilt wird, dass der Komplexbildner bei der patentgemäßen Ausführung letztlich auch verzichtbar ist. Für das zweite Verständnis spricht darüber hinaus folgende Erwägung: die D1 schildert im Absatz [0003], dass grundsätzlich bei Verwendung des Wirkstoffs Tilidin Stabilitätsprobleme bestünden. Allerdings erwähnt die D1 im Absatz [0003] auch, dass ein erster Vorschlag zur Lösung dieses Problems bereits durch die EP 0 665 830 gemacht worden sei. Darin sei beschrieben, dass Tilidinhydrogenorthophosphat eine hervorragende Stabilität aufweise. Bei Verwendung dieses Stoffes scheint also – so erkennt der Fachmann – das Stabilitätsproblem bereits gelöst zu sein. Die D1 beschreibt aber in der Folge, dass sich neben der Stabilität auch noch das Problem stelle, dass Tilidin bevorzugt mit einem Morphinantagonisten kombiniert werden solle und dass dabei sichergestellt werden solle, dass die in-vitro Freisetzungsraten beider Stoffe im Wesentlichen gleich seien. Dieses Problem einer kontrollierten Freisetzung löst die EP 0 665 830, die die Verwendung von Tilidinhydrogenorthophosphat vorschlägt, nicht, da sie eine Kombination von Tilidin mit einem Morphinantagonisten gar nicht vorsieht. Beide Probleme soll nun der in der D1 eingeführte Komplexbildner erfüllen. Betrachtet man die streitgegenständliche Textstelle nun vor dem Hintergrund dieser Ausführungen, so liegt es nahe, die Textstelle in dem Sinne zu verstehen, dass dort von einer Verbindung ohne den Morphinantagonisten die Rede ist, die nicht vom Schutzbereich der D1 erfasst ist (und dementsprechend auch in keinem der Unteransprüche der D1 wiederzufinden ist). Die Textstelle stellt dann nämlich nur klar, dass das bloße Stabilitätsproblem auch ohne den Zusatz von Komplexbildnern gelöst werden könnte, wenn man etwa Tilidinhydrochloridsemihydrat oder das aus der EP 0 665 830 bekannte Tilidinhydrogenorthophosphat verwendet. Dagegen bleibt es aber dabei – so liest der Fachmann aufgrund der Angaben in den Absätzen [0004], [0005] und [0008] mit -, dass der Zusatz des Komplexbildners notwendig ist, sobald Tilidin mit dem Morphinantagonisten kombiniert wird. Dann nämlich wird die vorteilhafte Wirkung des Komplexbildners auf die gleichmäßige Freisetzung beider Wirkstoffe benötigt.
Ob dem ersten oder dem zweiten Verständnis der in der D1 enthaltenen Textstelle der Vorzug zu geben ist, bedarf vorliegend letztlich keiner abschließenden Entscheidung. Denn jedenfalls ist es zumindest ebenso gut vertretbar, die Textstelle im zweitgenannten Sinne zu verstehen. Da die D1 bei diesem Verständnis nicht neuheitsschädlich ist, da weder das Merkmal 2.1 noch im Übrigen das Merkmal 2.2 offenbart ist, ist ein Widerruf des Klagepatents im Einspruchsverfahren jedenfalls nicht überwiegend wahrscheinlich.
Ausgehend davon, dass das Merkmal 2.1 in der D1 nicht offenbart ist, ist auch nicht ersichtlich, weshalb der Fachmann – wie die Klägerin im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 03.08.2007 vorträgt – ohne erfinderische Tätigkeit ausgehend von der D1 zur Lehre des Klagepatents hätte gelangen können.

3.
Die Lehre des Klagepatents ist auch nicht – wie die Beklagten meinen – neuheitsschädlich von der WO 02/43713 (im Folgenden: D3) getroffen. Die D3 beschreibt die Verwendung von schwachen Opioiden und gemischten Opioidantagonisten zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung von vermehrtem Harndrang. Als Wirkstoff ist unter anderem das Tilidin-Hydrochlorid genannt (Anlage B 17, Seite 4, Zeilen 3, 20f, Seite 5, Zeilen 21f). In Kombination dazu wird die Verwendung eines Morphinantagonisten wie beispielsweise Naloxon empfohlen (Seite 6, Zeile 12-17). Weiter sind Retard-Formulierungen besonders bevorzugt (Seite 7, Zeile 29-32), und beispielhaft sind die Retardierungsmittel genannt, die in der Klagepatentschrift aufgezählt sind (Seite 9, Zeilen 3-20). Allerdings ist eine Neuheitsschädlichkeit schon deshalb nicht gegeben, weil weder das Merkmal 2.1 (keine Komplexbildner) noch das Merkmal 2.2 (keine Pyrazolessigsäure) offenbart ist. Im Gegenteil: in der Entgegenhaltung ist nicht nur nicht offenbart, dass die Zusammensetzung keinen Komplexbildner enthalten soll, sondern es ist sogar die Verwendung von Komplexbildner vorgesehen. So handelt es sich bei den auf Seite 9, Zeilen 14f genannten Citronensäure und Ascorbinsäure um Komplexbildner.

4.
Auch ist nicht wahrscheinlich, dass die Einspruchsabteilung davon ausgehen wird, die Lehre des Klagepatent werde neuheitsschädlich von der WO 94/10129 (im Folgenden: Anlage K 4) vorweggenommen. Diese Entgegenhaltung offenbart eine feste und retardierte Arzneimittelform in Form von Schmelzgranulat-Tabletten, in denen der Wirkstoff Tilidin-Hydrochlorid-Semihydrat und der Morphinantagonist Naloxonhydrochlorid-Dihydrat enthalten sind (Anlage K 4, Seite 5, Zeilen 6, 14). Hinzugefügt werden pharmazeutische Hilfsstoffe und – optional gemäß Unteranspruch 6 – ein Retardierungsmittel. Allerdings ist auch in dieser Entgegenhaltung weder das Merkmal 2.1 noch das Merkmal 2.2 offenbart. Die Klägerin meint zudem, dass sich das Klagepatent von der K 4 dadurch abgrenze, dass die klagepatentgemäße Zusammensetzung stabil sei, also über einen längeren Zeitraum gelagert werden könne. Unabhängig von der Frage, ob es bei der „Stabilität“ um ein geeignetes technisches Abgrenzungskriterium handelt, streiten die Parteien im vorliegenden Verfahren darüber, ob es überhaupt zutrifft, dass die Zusammensetzung nach der K 4 instabil ist. Welche der von den Parteien vorgelegten, einander widersprechenden Gutachten (Anlage B 28, Anlage K 25) zutreffend ist, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht feststellen, so dass jedenfalls eine überwiegende Wahrscheinlichkeit eines Widerrufs des Klagepatents im Einspruchsverfahren nicht gegeben ist.

5.
Die Beklagten meinen weiter, das bereits im Jahre 1997 vertriebene Präparat J habe bereits alle Merkmale des Klagepatents offenbart. Dieses Arzneimittel ist eine Weichkapsel, die Tilidinhydrochlorid, Naloxonhydrochlorid-Dihydrat und ein Retardierungsmittel enthält. Allerdings stellt diese Zusammensetzung keine feste pharmazeutische Zusammensetzung dar. Dem Klagepatent kommt es aber darauf an, dass das Arzneimittel insgesamt fest ist, nicht aber darauf, dass die konkrete Darreichungsform (von außen) fest ist. Der Vorteil fester Arzneiformen liegt insbesondere darin, dass sie eine verzögerte (retardierte) Freisetzung des Wirkstoffs ermöglichen. Bei einer Kapsel aber ist zwar die äußere Hülle fest, der Wirkstoff ist aber in einer gelartigen Lösung enthalten, so dass eine retardierte Freisetzung nicht in demselben Maße möglich ist wie bei insgesamt festen, komprimierten Darreichungsformen.

6.
Schließlich ist nicht ersichtlich, dass der Vortrag der Beklagten, wonach es jedenfalls an einer erfinderischen Tätigkeit fehle, im Einspruchsverfahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu einem Widerruf des Klagepatents führen wird. Die Beklagten meinen, die Lehre des Klagepatents sei durch eine Kombination der DE 25 30 563 (D2) mit der US 4457933 (D 6) nahe gelegt. Die D2 offenbart eine Arzneimittelformulierung mit dem Wirkstoff Tilidin-Hydrochlorid sowie einem Retardierungsmittel. Die Beklagten meinen, die Zugabe eines Morphinantagonisten habe der Fachmann der D6 entnehmen können. Allerdings offenbart keine der Entgegenhaltungen die Herstellung einer festen pharmazeutischen Zusammensetzung. Es ist nicht ersichtlich, dass es für den Fachmann nahe gelegen hätte, eine solche feste pharmazeutische Zusammensetzung zu schaffen und wie dies bewerkstelligt werden kann.

Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Klägerin vom 03.08.2007 rechtfertigt keine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.

VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Mehrforderung der Klägerin war geringfügig und hat keine zusätzlichen Kosten verursacht. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 709, 108 ZPO.

Streitwert: 6.000.000, EUR.