4b O 197/06 – Fettsäurezusammensetzungen

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 699

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 8. März 2007, Az. 4b O 197/06

I. Die Beklagten werden verurteilt,

1.
es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 € – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft hinsichtlich der Beklagten zu 1) an ihrem jeweiligen gesetzlichen Vertreter zu vollziehen ist, zu unterlassen,

Fettsäurezusammensetzungen, enthaltend omega-3 mehrfach ungesättigte Fettsäuren einschließlich (all-Z)-5,8,11,14,17-Eicosapentaensäure (EPA) C 20:5, (all-Z)-4,7,10,13,16,19-Docosahexaensäure (DHA) C 22:6 und anderer omega-3 C 20, C 21 und C 22 Fettsäuren, wahlweise in Form von pharmazeutisch verträglichen Salzen oder Estern,

in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, in Verkehr zu bringen und/oder in Verkehr bringen zu lassen, oder zu gebrauchen und/oder gebrauchen zu lassen, oder zu dem genannten Zweck einzuführen oder zu besitzen, bei denen

– die Fettsäurezusammensetzung mindestens 80 Gew.-% der omega-3 mehrfach ungesättigten Fettsäuren enthält,

– wobei (all-Z)-5,8,11,14,17-Eicosapentaensäure (EPA) C 20:5 und (all-Z)-4,7,10,13,16,19-Docosahexaensäure (DHA) C 22:6 in relativen Mengen von größer 1:1 bis 2:1 vorliegen,

– und mindestens 75 Gew.-% des Gesamtfettsäuregehaltes ausmachen, und

– die anderen omega-3 C 20, C 21 und C 22 Säuren 3 bis 9,9 Gew.-% des Gesamtfettsäuregehalts ausmachen;

2.
der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die zu 1. bezeichneten Handlungen seit dem 15.03.1990 begangen haben, und zwar unter Angabe

a) der Herstellungsmengen und –zeiten sowie der Menge der erhaltenen und bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,

b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und –preisen unter Einschluss von Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,

c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und –preisen unter Einschluss von Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns, der nicht durch den Abzug von Fixkosten und variablen Gemeinkosten gemindert ist, es sei denn, diese könnten den unter 1. bezeichneten Zusammensetzungen unmittelbar zugeordnet werden,

w o b e i

– der Beklagte zu 2) sämtliche Angaben und die Beklagte zu 1) die Angaben zu e) nur für Handlungen in der Zeit seit dem 15.11.1998 zu machen hat;

– die Angaben zu a) nur für die Zeit seit dem 1.07.1990 zu machen sind;

– sich die Verpflichtung zur Rechnungslegung für die vor dem 01.05.1992 begangenen Handlungen auf solche im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in den bis zum 02.10.1990 bestehenden Grenzen beschränkt;

– den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer Angebotsempfänger und der nicht gewerblichen Abnehmer statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Angebotsempfänger oder ein bestimmter Abnehmer in der Rechnung enthalten ist;

3.
die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder Eigentum befindlichen, vorstehend unter 1. bezeichneten Zusammensetzungen zu vernichten.

II.
Es wird festgestellt,

1.
dass die Beklagte zu 1) verpflichtet ist, der Klägerin für die zu I.1. bezeichneten, in der Zeit vom 15.03.1990 bis 14.11.1998 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen;

2.
dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der durch die zu I.1. bezeichneten, in der Zeit vom 15.11.1998 bis 25.01.2005 der Norsk –Hydro A.S. und der durch die zu I.1. bezeichneten, seit dem 25.01.2005 begangenen Handlungen der Klägerin entstanden ist und noch entstehen wird.

III.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

IV.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

V.
Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung von 500.000 € vorläufig vollstreckbar.

VI.
Der Streitwert wird auf 1.000.000 € festgesetzt.

T a t b e s t a n d :

Die Klägerin ist seit dem 25.01.2005 eingetragene Inhaberin des deutschen Patents 39 26 xxx, das auf einer am 15.02.1990 offengelegten Anmeldung vom 11.08.1989 beruht und dessen Erteilung am 15.10.1998 veröffentlicht worden ist. Das Klagepatent, welches eine Unionspriorität vom 11.08.1988 in Anspruch nimmt, trägt die Bezeichnung „Säurezusammensetzung“. Der im vorliegenden Rechtsstreit allein interessierende Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

„Säurezusammensetzung, enthaltend omega-3 mehrfach ungesättigte Fettsäuren einschließlich (all-Z)-5,8,11,14,17-Eicosapentaensäure (EPA) C 20:5, (all-Z)-4,7,10,13,16,19-Docosahexaensäure (DHA) C 22:6 und anderer omega-3 C 20, C 21 und C 22 Fettsäuren, wahlweise in Form von pharmazeutisch verträglichen Salzen oder Estern,

d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t, dass

– die Fettsäurezusammensetzung mindestens 80 Gew.-% der Omega-3 mehrfach ungesättigten Fettsäuren enthält,

– wobei (all-Z)-5,8,11,14,17-Eicosapentaensäure (EPA) C 20:5 und (all-Z)-4,7,10,13,16,19-Docosahexaensäure (DHA) C 22:6 in relativen Mengen von größer 1:1 bis 2:1 vorliegen,

– und mindestens 85 Gew.-% des Gesamtfettsäuregehaltes ausmachen und dass

– die anderen Omega-3 C 20, C 21 und C 22 Säuren 3 bis 9,9 Gew.-% des Gesamtfettsäuregehalts ausmachen.“

Die Beklagte zu 1), deren gesetzlicher Vertreter der Beklagte zu 2) ist und die mit der Klägerin im Wettbewerb steht, stellt her und vertreibt Fettsäurezusammensetzungen enthaltende Nahrungsergänzungsmittel in Kapselform. Für den vorliegenden Rechtsstreit von Interesse sind zum einen das Präparat „XY“ sowie zum anderen das Präparat „Z“, zu dem die Klägerin – in der Reihenfolge ihrer Aufzählung – die nachfolgend eingeblendeten Analysezertifikate (Anlagen L 6, L 8) vorgelegt hat.

Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass die „XY“-Kapseln wortsinngemäß von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch machen. Hinsichtlich des Präparates „Z“ ist die Klägerin der Auffassung, dass – trotz der im Analysezertifikat ausgewiesenen Gewichtsverteilung zwischen EPA und DHA ebenfalls eine wortsinngemäße, zumindest jedoch eine äquivalente Benutzung des Klagepatents vorliege. Zur Begründung verweist sie darauf, dass bei der Fettsäurebestimmung Messungenauigkeiten bis zu 5 % zu berücksichtigen seien. Darüber hinaus erkenne der Fachmann ohne weiteres, dass sämtliche erfindungsgemäßen Wirkungen auch dann erzielt würden, wenn EPA und DHA nicht in exakt gleichen Gewichtsanteilen (1:1) vorliegen, sondern EPA – wie hier mit einem Anteil von 0,986:1 – geringfügig unterrepräsentiert sei.

Gestützt auf eine schriftliche Abtretungsvereinbarung vom 29.11.2006 (Anlage L 10), mit der die vormalige Patentinhaberin (A) der Klägerin sämtliche Ansprüche wegen Benutzung und/oder Verletzung des Klagepatents in der Zeit vor dem 25.01.2005 übertragen hat, nimmt die Klägerin die Beklagten auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Vernichtung, Entschädigung und Schadenersatz in Anspruch.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagten hinsichtlich beider streitbefangener Präparate („XY“ und „Z“) wie erkannt zu verurteilen, jedoch ohne Wirtschaftsprüfervorbehalt und mit der Maßgabe, dass sie von dem Beklagten zu 2) Rechnungslegung im Umfang der Angaben gemäß Ziffer I.2a)–d) des Urteilstenors auch für die Zeit vom 15.03.1990 bis 15.11.1998 verlangt und die Beklagte zu 1) auf Auskunft im Umfang der Angaben gemäß Ziffer I.2.a) auch für die Zeit vom 15.03.1990 bis 1.07.1990 in Anspruch nimmt.

Die Beklagte zu 1) hat gegen das Klagepatent Nichtigkeitsklage erhoben, über die derzeit noch nicht entschieden ist.

Die Beklagten beantragen,

1. die Klage abzuweisen;

2. hilfsweise,
– ihnen einen Wirtschaftsprüfervorbehalt einzuräumen,
– ihnen Vollstreckungsschutz zu gewähren,
– den Rechtsstreit bis zur abschließenden Entscheidung im anhängigen Nichtigkeitsverfahren auszusetzen.

Die Beklagten bestreiten hinsichtlich der „Z“-Kapseln den Vorwurf der Patentverletzung. Unter Hinweis auf ein Privatgutachten (Anlage HE 12) machen sie geltend, dass bei der Bestimmung des Gewichtsverhältnisses von EPA zu DHA Messtoleranzen lediglich im Promillebereich zu berücksichtigen seien. Die von der Klägerin bei ihrer Analyse festgestellten Gewichtsanteile (EPA: 412 mg/g; DHA: 418 mg/g) seien deshalb verlässlich ermittelt. Mit ihnen werde die vom Patentanspruch 1 geforderte Gewichtsverteilung, wonach EPA in einem Verhältnis größer 1:1 vorliegen solle, verfehlt. Nach der einschlägigen Rechtsprechung zu Zahlen- und Maßangaben verbiete sich unter den gegebenen Umständen nicht nur die Annahme einer wortsinngemäßen, sondern gleichfalls die Bejahung einer äquivalenten Patentbenutzung.

Darüber hinaus sind die Beklagten der Auffassung, dass ihnen ein lediglich leicht fahrlässiges Verschulden zur Last falle und sie zu einer Rechnungslegung über den Gewinn nicht verpflichtet seien. Zumindest – so führen die Beklagten aus – werde sich das Klagepatent im anhängigen Nichtigkeitsverfahren als nicht rechtsbeständig erweisen. In diesem Zusammenhang nehmen die Beklagten insbesondere auf Beispiel 8 der EP 0 271 747 (Anlage HE 6) sowie die PCT-Anmeldung WO 87/03899 Bezug.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Klage ist hinsichtlich des Präparates „XY“ begründet, hinsichtlich der „Z“-Kapseln hingegen abzuweisen.

I.

Das Klagepatent betrifft Fettsäurezusammensetzungen, die omega-3 mehrfach ungesättigte Fettsäuren enthalten.

Nach den einleitenden Erläuterungen der Klagepatentschrift werden kardiovaskulare Erkrankungen mit verschiedenen Risikofaktoren in Verbindung gebracht, zu denen u.a. Bluthochdruck, eine gesteigerte Blutplättchenaggregation und eine hohe Aktivität des Blutcoagulationsfaktor-VII-Phosphorlipidkomplexes zählen. Bekannte antihypertensive Medikamente hätten zwar dazu beigetragen, die Erkrankungs- und Todesrate im Zusammenhang mit kardiovaskularen Erkrankungen herabzusetzen. Allerdings bestünden erhebliche Bedenken im Hinblick auf Nebenwirkungen, speziell bei Patienten mit nur geringem Hochdruck. Ergebnisse – so heißt es – wiesen darauf hin, dass die gegenwärtig verwendeten Medikamente den Blutdruck wirksam senken, die Pulsrate jedoch erhöhen können. Wegen ihrer deutlichen Antiaggregationswirkung werde Eicosapentaensäure C 20:5-omega-3 (EPA) zwar als die wichtigste der marinen omega-3-polyungesättigten Fettsäuren angesehen. Ausweislich zahlreicher neuerer Berichte habe EPA alleine jedoch keinen wesentlichen Einfluss auf den Bluthochdruck. Ebenso sei nichts darüber bekannt, dass Docosahexaensäure (DHA) allein irgend einen blutdrucksenkenden Effekt besitze.

Das Klagepatent sieht dementsprechend einen Bedarf an Medikamenten zur Behandlung des Hochdrucks mit möglichst wenigen schädlichen Nebenwirkungen. Besonders vorteilhaft – so heißt es – wäre es, wenn derartige Medikamente zur gleichzeitigen Behandlung aller Mehrfachrisikofaktoren bezüglich kardiovaskularer Erkrankungen verwendet werden könnten, was mit den gegenwärtig verfügbaren antihypertensiven Arzneimitteln nicht möglich sei.

Zur Lösung der besagten Aufgabe sieht Patentanspruch 1 des Klagepatents eine Fettsäurezusammensetzung mit den folgenden Merkmalen vor:

(1) Fettsäurezusammensetzung, enthaltend Omega-3 mehrfach ungesättigte Fettsäuren.

(2) Zu den mehrfach ungesättigten Fettsäuren gehören – wahlweise in Form von pharmazeutisch verträglichen Salzen oder Estern -:

a) (all-Z)-5,8,11,14,17-Eicosapentaensäure (EPA) C 20:5,

b) (all-Z)-4,7,10,13,16,19-Docosahexaensäure (DHA) C 22:6
und
c) andere Omega-3 C 20, C 21 und C 22 Fettsäuren.

(3) Die Fettsäurezusammensetzung enthält mindestens 80 Gew.-% der Omega-3 mehrfach ungesättigten Fettsäuren.

(4) (all-Z)-5,8,11,14,17-Eicosapentaensäure (EPA) C 20:5 und (all-Z)-4,7,10,13,16,19-Docosahexaensäure (DHA) C 22:6

a) liegen in relativen Mengen von größer 1:1 bis 2:1 vor,

b) machen mindestens 75 Gew.-% des Gesamtfettsäuregehaltes aus.

c) Die anderen omega-3 C 20, C 21 und C 22 Säuren machen 3 bis 9,9 Gew.-% des Gesamtfettsäuregehaltes aus.

Nach den Erläuterungen der Klagepatentschrift hat sich überraschenderweise herausgestellt, dass die vorbeschriebene Fettsäurezubereitung vorteilhafte Wirkungen auf alle Risikofaktoren bezüglich kardiovaskularer Erkrankungen aufweist, und zwar insbesondere bei geringem Bluthochdruck.

II.

1.
Dass das Präparat „XY“ der Beklagten wortsinngemäß von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch macht, steht zwischen den Parteien außer Streit und bedarf deshalb keiner weiteren Erläuterungen.

2.
Zu Unrecht steht die Klägerin auf dem Standpunkt, dass auch die „Z“-Kapseln patentverletzend sind. Nach den eigenen Analyseergebnissen der Klägerin beträgt das Gewichtsverhältnis von EPA und DHA zueinander 412 mg/g : 418 mg/g, d.h. 0,9861 : 1. Unter diesen Umständen ist das Merkmal (4a) von Patentanspruch 1 weder wortsinngemäß noch äquivalent verwirklicht:

Zunächst ist der Klägerin in ihrer Behauptung zu widersprechen, dass bei der Bewertung der vorgelegten Analyseergebnisse Messtoleranzen bis zu 5 % zu berücksichtigen seien. Die Gewichtsanteile von EPA und DHA werden typischerweise anhand ein- und derselben Probe bestimmt. Insoweit trifft es zu, dass der Gewichtsanteil der genannten Fettsäuren nicht völlig exakt ermittelt werden kann, sondern dass Messungenauigkeiten auftreten, die das Ergebnis in einem Schwankungsbereich von bis zu 5 % verfälschen können. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich der Messfehler etwa nur in Bezug auf die eine der Fettsäuren (z.B. EPA) auswirkt, in Bezug auf die andere Fettsäure (z.B. DHA) hingegen wirkungslos bleibt. Vielmehr verhält es sich so, dass eine auftretende Messungenauigkeit (von bis zu 5 %) beide Fettsäuren gleichermaßen betrifft. Dies belegen anschaulich die Untersuchungsbefunde im Privatgutachten der Beklagten, wie die nachstehend eingeblendeten Resultate aus drei Messreihen verdeutlichen.

Die Befunde zeigen, dass die Gewichtsmessungen für EPA und DHA – jeweils isoliert betrachtet – in einem Bereich von 5 bis 6 % schwanken. Die Ungenauigkeitsquote in Bezug auf das Gewichtsverhältnis von EPA zu DHA beträgt demgegenüber lediglich 0,03 bis 0,04 %. Diesen für die Kammer nachvollziehbaren Erkenntnissen hat die Klägerin – auch im Verhandlungstermin vom 08.02.2007 – nichts entgegen zu setzen vermocht.

Scheidet damit die Möglichkeit aus, dass das für die angegriffene Ausführungsform festgestellte Mengenverhältnis EPA : DHA von 0,9861 : 1 nennenswert durch eine Messtoleranz verfälscht worden ist, so kommt eine wortsinngemäße Benutzung des Klagepatents nicht in Betracht. Es gilt nämlich der Grundsatz, dass Zahlen- und Maßangaben zwar der Auslegung fähig sind, dass ihnen der Fachmann aber, weil eine Zahlenangabe von Hause aus eindeutig ist, einen höheren Grad an Verlässlichkeit beimessen wird als verbal umschriebenen Merkmalen der Erfindung (BGH, GRUR 2002, 511, 512 – Kunststoffrohrteil). Grundsätzlich bestimmt und begrenzt eine eindeutige Zahlenangabe den geschützten Gegenstand abschließend, weswegen ihre Über- oder Unterschreitung in der Regel nicht mehr zum Gegenstand des Patentanspruchs zu rechnen ist (BGH, GRUR 2002, 511, 512 – Kunststoffrohrteil). Lediglich Abweichungen im Rahmen üblicher Toleranzen sind als mit dem technischen Sinngehalt der im Patentanspruch enthaltenen Zahlenangabe vereinbar anzusehen (BGH, GRUR 2002, 511, 513 – Kunststoffrohrteil).

Soweit die Klägerin einen Eingriff in das Klagepatent unter Äquivalenzgesichtspunkten geltend macht, kann dahinstehen, ob die angegriffene Ausführungsform technisch gleichwirkend ist und für den Fachmann anhand seines allgemeinen Wissens ohne erfinderische Überlegungen aufzufinden war. Selbst wenn dies zu Gunsten der Klägerin angenommen wird, scheitert eine Bejahung der Äquivalenzvoraussetzungen daran, dass nicht festgestellt werden kann, dass der Durchschnittsfachmann die abweichende Ausführung mit ihren abgewandelten Mitteln als eine Lösung in Betracht gezogen hat, die zu der im Wortsinn des Patentanspruchs liegenden gegenständlichen Ausführungsform gleichwertig ist. Bei Zahlen- und Maßangaben, um die es im Streitfall geht, ist die genannte Gleichwertigkeit zu verneinen, wenn die Patentschrift dem Fachmann den Eindruck vermittelt, dass es sich bei der Zahlenangabe des Patentanspruchs um einen kritischen Wert handelt, oder wenn der Fachmann von der Patentschrift im Unklaren über den genauen Sinn des in den Anspruch aufgenommenen Zahlenwertes gelassen wird. In beiden Fällen muss der Fachmann anhand der Klagepatentschrift zu der Einsicht gelangen, dass die patentgemäßen Wirkungen nur bei genauer Einhaltung des Zahlenwertes erreicht werden können, womit ein davon abweichender Wert bei Orientierung an der beanspruchten Erfindung nicht als gleichwertig auffindbar ist (BGH, GRUR 2002, 519, 522 – Schneidmesser II; GRUR 2002, 523, 525 ff. – Custodiol I).

Exakt so verhält es sich im Entscheidungsfall. Nach den allgemeinen Erläuterungen des Erfindungsgedankens wird dem Fachmann durch die Klagepatentschrift die Lehre vermittelt, dass die überraschende Wirkung der anspruchsgemäßen Fettsäurezusammensetzung nicht nur von einem hohen Anteil an EPA und DHA abhängt, sondern auch davon, dass die genannten ungesättigten Fettsäuren in einem bestimmten, im Patentanspruch klar definierten Gewichtsverhältnis zueinander vorliegen. Auf Seite 2 Zeile 66 bis Seite 3 Zeile 5 heißt es dementsprechend:

„Es wurde nun gefunden, dass bestimmte Fettsäurezubereitungen überraschend vorteilhafte Wirkungen auf alle der oben erwähnten Risikofaktoren bezüglich kardiovaskularer Erkrankungen aufweisen, und insbesondere bei geringem Hochdruck …, wobei diese Zubereitungen eine hohe Konzentration von mindestens 80 Gew.-% Omega-3-Fettsäuren, ihren Salzen oder Derivaten enthalten, wobei EPA und DHA in relativen Mengen von größer 1:1 bis 2:1 enthalten sind, und mindestens 75 % aller Fettsäuren ausmachen. Obwohl der biologische Mechanismus im Einzelnen für die Wirkung der erfindungsgemäßen Zusammensetzungen noch nicht genau bekannt ist, gibt es Hinweise auf überraschende synergetische Effekte beim Zusammenwirken von EPA und DHA.“

Speziell der Hinweis darauf, dass die zugrunde liegenden Wirkmechanismen unbekannt sind, hält den Fachmann davon ab anzunehmen, dass das geforderte Gewichtsverhältnis von EPA : DHA unterschritten werden kann, ohne dass die überraschend günstigen Wirkungen der Fettsäurezusammensetzung verloren gehen. Dies gilt umso mehr, als der Patentanspruch 1 selbst eine gleichmäßige Gewichtsverteilung von EPA und DHA ausschließt, indem er ausdrücklich fordert, dass EPA in einem Überschuss gegenüber DHA vorhanden sein muss, indem EPA und DHA in relativen Mengen von größer 1:1 enthalten sind. Dass die Untergrenze einen kritischen Wert darstellt, wird dem Fachmann schließlich dadurch deutlich vor Augen geführt, dass in der offengelegten Anmeldung des Klagepatents (Anlage HE 2) noch ein Mengenverhältnis von 1: 2 bis 2:1 beansprucht war, das in dieser Form gerade nicht zur Erteilung gelangt ist.

III.

Da die Beklagten mit dem Präparat „XY“ das Klagepatent widerrechtlich benutzt haben, sind sie der Klägerin gemäß § 139 Abs. 1 PatG zur Unterlassung verpflichtet. Die Beklagten trifft als Fachunternehmen ein zumindest fahrlässiges Verschulden. Das eigene Privatgutachten belegt, dass eine Benutzung des Klagepatents mit den zur Verfügung stehenden Analysemethoden zuverlässig vermieden werden kann. In Anbetracht dessen ist kein Raum für die Annahme, dass die Beklagten bei der Herstellung und dem Vertrieb des patentverletzenden Erzeugnisses lediglich leicht fahrlässig gehandelt haben. Sie haften der Klägerin deswegen gemäß § 139 Abs. 2 PatG auf Schadenersatz, wobei die Klägerin für die Zeit seit ihrer Eintragung als Patentinhaberin aus eigenem Recht und mit Blick auf Benutzungshandlungen in der Zeit davor aufgrund der erfolgten Abtretung seitens der vormaligen Patentinhaberin aktivlegitimiert ist. Für den Offenlegungszeitraum schuldet die Beklagte zu 1) – nicht der Beklagte zu 2) – außerdem eine angemessene Entschädigung (§ 33 PatG). Da die genaue Entschädigungs- und Schadenersatzhöhe derzeit noch nicht feststeht, hat die Klägerin ein rechtliches Interesse daran, dass die Haftung der Beklagten zunächst dem Grunde nach festgestellt wird (§ 256 ZPO). Damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, etwaige weitere Patentverletzer aufzudecken sowie ihren Anspruch auf Entschädigung und Schadenersatz zu beziffern, sind die Beklagten im zuerkannten Umfang zur Auskunftserteilung (§ 140 b PatG) und zur Rechnungslegung (§§ 242, 259 BGB) verpflichtet. Hinsichtlich der nicht gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger ist den Beklagten mit Rücksicht auf das zwischen den Parteien bestehende Wettbewerbsverhältnis allerdings ein Wirtschaftsprüfervorbehalt einzuräumen (OLG Düsseldorf, InstGE 3, 178 – Glasscheiben-Befestiger). Schließlich haben die Beklagten die in ihrem Besitz oder Eigentum befindlichen patentverletzenden Fettsäurezusammensetzungen zu vernichten (§ 140a PatG).

IV.

Anlass, den Verletzungsrechtsstreit einstweilen im Hinblick auf die anhängige Nichtigkeitsklage auszusetzen (§ 148 ZPO), besteht nicht.

Eine Aussetzungsanordnung verbietet sich vorliegend schon deshalb, weil das Klagepatent lediglich noch eine vergleichsweise kurze Restlaufzeit (bis 01.08.2009) hat. Würde das Verfahren ausgesetzt und die Sache nach einer die Nichtigkeitsklage zurückweisenden Entscheidung des Bundespatentgerichts erneut terminiert werden müssen, wäre eine erneute Verhandlung voraussichtlich erst im Jahre 2008 möglich, womit der ohnehin nur noch kurze Patentschutz nachhaltig verkürzt würde. Auf der anderen Seite tritt hinzu, dass die Beklagten ihr verletzendes Produkt ohne weiteres so abwandeln können, dass es von der technischen Lehre des Klagepatents keinen widerrechtlichen Gebrauch mehr macht, insbesondere dadurch, dass die Gewichtsanteile von EPA und DHA in einem Verhältnis vorgesehen werden, wie dies bei dem Präparat „Z“ bereits der Fall ist. Selbst wenn sich das Klagepatent deshalb im Nichtigkeitsverfahren als nicht rechtsbeständig erweisen sollte, würde die Verurteilung der Beklagten deshalb nicht wirklich in deren Geschäftsbetrieb eingreifen.

Bei dieser Ausgangslage gibt der von den Beklagten entgegengehaltene Stand der Technik keine hinreichende Veranlassung für die Annahme, das Klagepatent könnte für nichtig erklärt werden. Soweit es die PCT-Anmeldung WO 87/03899 betrifft, gilt dies schon deshalb, weil die genannte Entgegenhaltung bereits im Prüfungsverfahrens des Klagepatents berücksichtigt worden und in der Klagepatentschrift gewürdigt ist. Bei der EP O 271 747 handelt es sich demgegenüber zwar um neuen Stand der Technik. Die Beklagten räumen jedoch ein, dass das von ihnen herangezogene Beispiel 8 lediglich allgemein „andere“ omega-3 ungesättigte Fettsäuren mit einem Gesamtanteil von 13,5 % offenbart. Dass es sich hierbei um omega-3 C 20, C 21 und C 22 Fettsäuren handelt, die nach dem in der EP O 271 747 beschriebenen Aufreinigungsverfahren in einem Mengenverhältnis von 3 bis 9,9 Gew.-% vorliegen, lässt sich für die Kammer jedoch nicht mit der unter den gegebenen Umständen erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit feststellen. Die Beklagten selbst beziehen sich – wenn auch gutachterlich – auf das EP 1 157 692, welches viele Jahre nach dem Prioritätstag des Klagepatents veröffentlich worden ist. Mit Recht steht die Klägerin auf dem Standpunkt, dass eine derartige Schrift nicht denjenigen Kenntnisstand des Durchschnittsfachmanns wiedergibt, der am Prioritätstag des Klagepatents vorhanden war und mit dem der Durchschnittsfachmann zum damaligen Zeitpunkt den Offenbarungsgehalt der EP 0 271 747 interpretieren konnte.

V.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 709, 108 ZPO. Für eine Vollstreckungsschutzanordnung nach § 712 ZPO haben die Beklagten nichts dargelegt.