4a O 82/06 – Tamsulosin III

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 681

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 23. Januar 2007, Az. 4a O 82/06

I. Die einstweilige Verfügung der Kammer vom 22. Februar 2006 zu dem Aktenzeichen 4a O 82/06 wird aufgehoben, der auf ihren Erlass gerichtete Antrag der Antragstellerin vom 21. Februar 2006 zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens werden der Antragstellerin auferlegt.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Antragstellerin war seit dem 01. Februar 2006 eingetragene Inhaberin des unter dem Registerzeichen DE 36 88 xxx T2 geführten deutschen Teils des europäischen Patents 0 194 xxx (nachfolgend: Verfügungspatent). Aus der zuvor eingetragenen Patentinhaberin Y Co., Ltd. ist die Antragstellerin durch Umfirmierung hervorgegangen. Das Verfügungspatent, dessen Verfahrenssprache Englisch ist, wurde am 10. März 1986 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 08. März 1985 angemeldet, die Anmeldung am 17. September 1987 offengelegt. Die Veröffentlichung der Patenterteilung durch das Europäische Patentamt im europäischen Patentblatt erfolgte am 09. Juni 1993. Das Verfügungspatent ist mit dem 10. März 2006 durch Ablauf seiner Schutzrechtszeit erloschen; bis zu diesem Zeitpunkt stand es in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Mit Klageschrift vom 09. März 2006 hatte die S Arzneimittel AG Nichtigkeitsklage gegen das Verfügungspatent erhoben, die mit Schriftsatz vom 18. April 2006 zurückgenommen wurde. Über eine weitere Nichtigkeitsklage, die unter anderem die H AG gegen das Verfügungspatent erhoben hat, ist bislang nicht entschieden worden.

Das Verfügungspatent betrifft eine pharmazeutische Darreichungsform mit verzögerter Abgabe. Unter Schutz gestellt sind pharmazeutische Zubereitungen mit verzögerter Wirkstoffabgabe, die den Wirkstoff Tamsulosin-Hydrochlorid enthalten. Tamsulosin ist ein Arzneimittel für die Behandlung von Männern, die an einer gutartigen Prostatahyperplasie leiden. Die von dem Verfügungspatent erfassten Retard-Formulierungen bieten den Vorteil einer gesteuerten und damit reproduzierbaren Auflösung, die auf diese Weise ebenfalls reproduzierbare physiologische Effekte hervorruft.

Die im vorliegenden Verfahren geltend gemachten Ansprüche 1 und 2 haben in der deutschen Übersetzung den folgenden Wortlaut:
„ 1. Verfahren zur Herstellung von Körnern zur gesteuerten Freisetzung von pharmazeutischen Zubereitungen, wobei das Verfahren umfasst das Granulieren zu Körnern mit einem Durchmesser von 0,1 bis 1,5 mm eines Gemisches aus (a) 5-{2-[2-(o-Ethoxyphenoxy)ethylamino]propyl}-2-methoxybenzolsulfonamid-hydrochlorid, (b) kristallinem Celluloseträger in einer Menge von mindestens 50 Gew.-% Feststoffen, bezogen auf das Gemisch und (c) einem Mittel zur Steuerung der Freisetzung, umfassend Wasser und (eine) wasserunlösliche makromolekulare Substanz(en), wobei das Mittel zur Steuerung der Freisetzung in Form einer wässrigen Emulsion oder Suspension oder eines Gels der makromolekularen Substanz oder in Form einer Lösung der makromolekularen Substanz in einem wässrig organischen Lösungsmittel vorliegt und die makromolekulare Substanz ausgewählt ist aus Acrylsäurepolymeren, und -copolymeren und Cellulosederivaten, wobei die Menge an Mittel zur Steuerung der Freisetzung bis zu 30 % (als Feststoff) oder 50 bis zu 150 % (als wässriges flüssiges Material), bezogen auf das Gewicht der Körner, ausmacht.
2. Pharmazeutische Zubereitung mit verzögerter Wirkstoffabgabe, umfassend Körner mit einem Durchmesser von 0,1 bis 1,5 mm, erhältlich durch Zugabe eines Mittels zur Steuerung der Freisetzung, umfassend Wasser und (eine) wasserunlösliche makromolekulare Substanz(en) zu einem Gemisch aus 5-{2-[2-o-Ethoxyphenoxy)ethylamino]propyl}-2-methoxybenzol-sulfonamid-hydrochlorid und kristallinem Celluloseträger und Granulieren des erhaltenen Gemisches, wobei der kristalline Celluloseträger mindestens 50 Gew.-% der Feststoffe in dem Gemisch ausmacht und das Mittel zur Steuerung der Freisetzung in Form einer wässrigen Emulsion oder Suspension oder eines Gels der makromolekularen Substanz oder in Form einer Lösung der makromolekularen Substanz in einem wässrig organischen Lösungsmittel vorliegt und die makromolekulare Substanz ausgewählt ist aus Acrylsäurepolymeren und -copolymeren und Cellulosederivaten, wobei die Menge an Mittel zur Steuerung der Freisetzung bis zu 30 % (als Feststoff) oder 50 bis zu 150 % (als wässriges flüssiges Material), bezogen auf das Gewicht der Körner, ausmacht.“

Daneben war die Antragstellerin Inhaberin eines europäischen Patents für den Wirkstoff Tamsulosin-Hydrochlorid (EP 0 034 xxx; DE 196 75 xxx). Der Schutz für diesen Wirkstoff endete unter Einschluss der Laufzeit eines ergänzenden Schutzzertifikats mit dem 03. Februar 2006.

Die in den Niederlanden ansässige Antragsgegnerin stellt unter anderem generische Arzneimittel her, die auch für den deutschen Markt bestimmt sind. Sie beliefert zahlreiche Anbieter von Generika mit Unternehmenssitz in Deutschland. Nachdem die Antragstellerin wegen vor Ablauf des Verfügungspatents aufgenommener Vertriebshandlungen am 15. und 17. Februar 2006 einstweilige Verfügungen gegen vier Generika-Anbieter mit Sitz in Deutschland (H AG, Az. 4a O 61/06; M GmbH, Az. 4a O 71/06; S GmbH, Az. 4a O 72/06; SP GmbH und S Arzneimittel AG, Az. 4a O 73/06) erwirkt hatte, beantragte sie am 21. Februar 2006 den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Antragsgegnerin, die unstreitig jedenfalls die Generika-Anbieter H AG, SP GmbH bzw. S Arzneimittel AG und S GmbH mit Tamsulosin-Präparaten mit Retardeffekt (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform) beliefert.

Die Antragstellerin trägt vor, die Antragsgegnerin stelle her und liefere zum Zwecke des Vertriebs in der Bundesrepublik Deutschland Tamsulosin-Präparate in das Inland, die von der technischen Lehre des Verfügungspatents wortsinngemäß Gebrauch machten. Der Antragsgegnerin sei bereits zum Zeitpunkt der vor Ablauf des Schutzes durch das Verfügungspatent vorgenommenen Lieferungen an die genannten Abnehmer bekannt gewesen, dass die von ihr hergestellten und gelieferten Tamsulosin-Präparate mit Retardeffekt für einen Vertrieb in Deutschland vor dem 11. März 2006 bestimmt gewesen seien. Auf diese Weise habe sie mit Wissen und Wollen an den Verletzungshandlungen ihrer deutschen Abnehmer mitgewirkt.

Gestützt auf diesen Vortrag der Antragstellerin hat die Kammer am 22. Februar 2006 eine Beschlussverfügung gegen die Antragsgegnerin erlassen, mit der dieser unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel unter Ziffer I. untersagt wurde,
bis zum 10. März 2006 in der Bundesrepublik Deutschland Arzneimittel mit dem Wirkstoff Tamsulosinhydrochlorid,
umfassend eine pharmazeutische Zubereitung mit verzögerter Wirkstoffabgabe, umfassend Körner mit einem Durchmesser von 0,1 bis 1,5 mm, erhältlich durch Zugabe eines Mittels zur Steuerung der Freisetzung, umfassend Wasser und (eine) wasserunmischbare makromolekulare Substanz(en) zu einem Gemisch aus 5-{2-[2-(o-Ethoxyphenoxy)ethylamino]propyl}-2-methoxybenzol-sulfonamid-hydrochlorid und kristallinem Celluloseträger und Granulieren des erhaltenen Gemisches, wobei der kristalline Celluloseträger mindest 50 Gew.-% der Feststoffe in dem Gemisch ausmacht und das Mittel zur Steuerung der Freisetzung in Form einer wässrigen Emulsion oder Suspension oder eines Gels der makromolekularen Substanz oder in Form einer Lösung der makromolekularen Substanz in einem wässrig organischen Lösungsmittel vorliegt und die makromolekulare Substanz ausgewählt ist aus Acrylsäurepolymeren und -copolymeren und Cellulosederivaten, wobei die Menge an Mittel zur Steuerung der Freisetzung bis zu 30 % (als Feststoff) oder 50 bis 150 % (als wässriges flüssiges Material), bezogen auf das Gewicht der Körner, ausmacht,
anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen.

Zugleich wurde der Antragsgegnerin unter Ziffer II. der Beschlussverfügung aufgegeben, der Antragstellerin unverzüglich schriftlich und vollständig (unter Vorlage eines Verzeichnisses mit näher spezifizierten Angaben) Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die unter Ziffer I. bezeichneten Handlungen begangen hat, sowie die in ihrem Besitz oder Eigentum befindlichen Erzeugnisse nach Ziffer I. der Beschlussverfügung an einen von der Antragstellerin zu beauftragenden, örtlich zuständigen Gerichtsvollzieher zum Zwecke der vorläufigen Verwahrung bis zu einer außergerichtlichen Einigung der Parteien oder einer rechtskräftigen Entscheidung über den gesicherten Vernichtungsanspruch der Antragstellerin herauszugeben.

Nach Zustellung der Beschlussverfügung an die Antragsgegnerin am 27. Februar 2006 und Stellung eines Zwangsmittelantrags hinsichtlich der tenorierten Auskunft mit Schriftsatz vom 23. März 2006 durch die Antragstellerin hat die Antragsgegnerin am 12. Oktober 2006 Widerspruch gegen die Beschlussverfügung vom 22. Februar 2006 eingelegt. Im Termin haben die Beteiligten den Unterlassungsantrag im Hinblick auf den zwischenzeitlichen Ablauf des Verfügungspatents übereinstimmend für erledigt erklärt und stellen insoweit wechselseitige Kostenanträge.

Im Übrigen beantragt die Antragstellerin nunmehr,

die einstweilige Verfügung der Kammer vom 22. Februar 2006 aufrecht zu erhalten.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die einstweilige Verfügung der Kammer vom 22. Februar 2006 in dem von der Antragstellerin verteidigten Umfang aufzuheben und den auf ihren Erlass gerichteten Antrag der Antragstellerin vom 21. Februar 2006 zurückzuweisen.

Sie stellt bereits die internationale und örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Düsseldorf in Abrede, weil sie zu keinem Zeitpunkt an Verletzungshandlungen des Verfügungspatents im Land Nordrhein-Westfalen teilgenommen habe. Jedenfalls folge daraus, dass mangels vorsätzlicher Mitwirkung an Patentverletzungen ihrer Abnehmer kein Verfügungsanspruch gegen sie – die Antragsgegnerin – gegeben sei. Sie habe keine Kenntnis davon gehabt, dass von ihr hergestellte und gelieferte Tamsulosin-Präparate vor dem Ablauf des Verfügungspatents mit dem 10. März 2006 nach Deutschland geliefert werden würden. Bei sämtlichen von der Antragstellerin angeführten Generika-Anbietern handele es sich um international tätige Unternehmen, die Tamsulosin-Produkte in einer Vielzahl von Ländern – auch solchen, in denen kein Patentschutz entsprechend dem Verfügungspatent besteht bzw. bestand – anbieten und vertreiben. In den der Belieferung zugrunde liegenden globalen Lieferverträgen wirke sie – die Antragsgegnerin – regelmäßig darauf hin, dass ihre Abnehmer etwa bestehenden Patentschutz eigenverantwortlich berücksichtigen. Die Belieferung erfolge sämtlich nach den Incoterms „ex Works“, so dass sie als Lieferantin keine Kenntnis vom Bestimmungsland der Produkte haben müsse. Die Antragsgegnerin verweist des Weiteren darauf, dass die Auslieferung der angegriffenen Produkte vor dem 10. März 2006 in allen Fällen in Griechenland erfolgt sei, wo auch zum damaligen Zeitpunkt kein Patentschutz bestand.
Darüber hinaus verletzten die von ihr hergestellten Tamsulosin-Präparate, deren in Kapseln eingeschlossene Pellets unstreitig im Wege der Extrusion und Spheronisation hergestellt werden und mit einem Überzug („Coating“) versehen sind, das Verfügungspatent nicht. So unterfielen die angegriffenen Produkte einem eigenen Patent der Antragsgegnerin (dem europäischen Patent 1 562 xxx). Ein „Granulieren“ im Sinne des Verfügungspatents liege nicht vor, wenn das feuchte Gemisch, wie bei der angegriffenen Ausführungsform der Fall, extrudiert und danach in Kugelform gebracht („spheronisiert“) wird. Der Fachmann des Prioritätstages verstehe „Granulieren“ als bewusste Abgrenzung zu einer Extrusion und Spheronisation. Als Ergebnis des von der Antragsgegnerin angewandten Herstellungsverfahrens entstehe daher ein Produkt, das sich hinsichtlich seiner Eigenschaften deutlich von dem Produkt nach dem verfügungspatentgemäßen Verfahren unterscheide. Auch stehe ein Überzug, der den Retardeffekt (die kontrollierte Freisetzung des Wirkstoffs) beeinflusst, der Verwirklichung der Merkmale des Verfügungspatents entgegen, weil dieses zwingend auf einen Überzug verzichten wolle.
Unter Verweis darauf, dass sowohl in der vorgelegten Übersetzung der Verfügungspatentschrift (Anlage ASt 7) als auch in der in die elektronische Datenbank des Deutschen Patent- und Markenamts eingestellten Fassung der T2-Schrift des DE 36 88 xxx die Seite 2 der Beschreibung fehlt, stellt die Antragsgegnerin in Abrede, dass der deutsche Teil des europäischen Patents 0 194 xxx wirksam in Kraft gestanden habe. Sie bestreitet, dass innerhalb der gesetzlichen Frist von drei Monaten nach Veröffentlichung des Hinweises auf die Erteilung des europäischen Patents eine vollständige (das heißt auch die Seite 2 der Beschreibung umfassende) Übersetzung der Patentschrift bei dem Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht worden sei.
Des Weiteren sei das Verfügungspatent jedenfalls nicht schutzfähig gewesen, wobei die Antragsgegnerin im Wesentlichen auf den Vortrag der (ehemaligen) Nichtigkeitsklägerin S Arzneimittel AG in dem durch Klagerücknahme beendeten Nichtigkeitsverfahren (Anlage AG3) Bezug nimmt. Dass das Verfügungspatent während seiner Laufzeit zuvor niemals angegriffen wurde, sei allein darauf zurückzuführen, dass wegen des den Wirkstoff betreffenden Patentschutzes und des weiteren Wirkstoffschutzes durch das ergänzende Schutzzertifikat bis zum 03. Februar 2006 ein isolierter Angriff gegen das Verfügungspatent mit einer demgegenüber nur fünf Wochen längeren Schutzdauer wirtschaftlich nicht sinnvoll gewesen wäre.
Schließlich sei der Sinn und Zweck des Auskunftsanspruchs nach § 140b PatG nach Erledigung des Unterlassungsanspruchs durch Laufzeitende des Verfügungspatents nicht mehr erzielbar, weil es keine Verletzungshandlungen Dritter mehr zu untersagen geben könne. Ein weitergehender Schutzzweck als der, Verletzungshandlungen Dritter aufgrund der Auskunft untersagen zu können, könne der Vorschrift (jedenfalls im einstweiligen Rechtsschutz) nicht beigemessen werden. Der tenorierte Auskunftsanspruch sei daher unverhältnismäßig. Da sie – die Antragsgegnerin – keinerlei Kenntnis vom Bestimmungsmarkt der von ihr hergestellten und vertriebenen Tamsulosin-Produkte gehabt habe, sei die Auskunftsverpflichtung zudem nicht hinreichend bestimmt und daher nicht vollstreckbar. Des Weiteren fehle es der einstweiligen Verfügung nach Ablauf des Verfügungspatents mit dem 10. März 2006 insoweit am erforderlichen Verfügungsgrund. Der Herausgabeanspruch schließlich scheitere nach Schutzrechtsablauf daran, dass sämtliche in Besitz oder Eigentum der Antragsgegnerin stehenden angegriffenen Produkte seitdem nur noch berechtigt vertrieben werden könnten.

Die Antragstellerin verweist zur behaupteten Kenntnis der Antragsgegnerin von der Bestimmung der angegriffenen Präparate für den deutschen Markt vor Ablauf des Verfügungspatents darauf, dass die Antragsgegnerin als Initiatorin des Zulassungsverfahrens, als Erstellerin des einheitlichen Qualitätsdossiers und als Herstellerin aller angegriffenen generischen Tamsulosin-Produkte eine zentrale Rolle gespielt habe. Soweit im Liefervertrag mit der S GmbH eine Lieferung nach dem Incoterm „FCA“ („free carrier“) vereinbart gewesen sei, habe der Antragsgegnerin als Lieferantin der Bestimmungsort bekannt sein müssen, da ihr sonst die Erstellung der für die Ausfuhr erforderlichen Dokumente nicht möglich gewesen sei.
Die Kenntnis der Antragsgegnerin vom Bestimmungsort Deutschland werde weiter belegt durch Lieferdokumente (insbesondere die Anlagen ASt 38 und ASt 39), die die Antragstellerin von Abnehmern der Antragsgegnerin erhalten habe. Den von der Antragsgegnerin unter dem 25. Januar 2006 ausgestellten, als „PRE ALERT“ bezeichneten Lieferdokumenten (Anlage ASt 38) sei anhand der Bezeichnung des Liefergegenstandes mit dem Zusatz „MER DE“ zu entnehmen, dass es sich um Tamsulosin-Präparate für die M GmbH in Deutschland gehandelt habe, die für einen Kunden mit Sitz in Deutschland und für den deutschen Markt bestimmt gewesen seien. Angesichts der Abholdaten „27. Januar 2006“ (das heißt kurz vor Ablauf des Substanzschutzes für Tamsulosin, aber noch sechs Wochen vor Ablauf des Verfügungspatents) bzw. „08. Februar 2006“ (und damit mehr als vier Wochen vor Ablauf des Verfügungspatents) sei es weltfremd, annehmen zu wollen, dass eine Lieferung an einen deutschen Kunden, die für den deutschen Markt bestimmt sei, nicht auch unmittelbar und damit vor Ablauf des Verfügungspatents nach Deutschland verbracht werden würde. Daran habe die Antragsgegnerin auch ein eigenes Interesse gehabt, weil ihre Lieferpreise an die Verkaufspreise ihrer Abnehmer im jeweiligen Bestimmungsland gekoppelt seien und die verhältnismäßig hohen Preise in Deutschland die Antragsgegnerin von einem frühzeitigen Vertrieb in Deutschland mittelbar profitieren ließen. Aus den Auftragsänderungsschreiben der S Arzneimittel AG an die Antragsgegnerin (Anlage ASt 39) seien Lieferadressen in Deutschland ersichtlich, zumal dort von der „Ankunft in unserem Lager“ („arrival of the finished packs at our warehouse“) die Rede sei. Das vom 10. März 2006 auf den 02. Februar 2006 vorverlegte Auslieferungsdatum zeige den nachträglich gefassten Entschluss der S Arzneimittel AG, den Patentschutz durch das Verfügungspatent anders als ursprünglich geplant doch nicht bis zu dessen Ablauf zu respektieren, worauf auch die in Verbindung mit der Vorverlegung des Auslieferungsdatums vorgenommene Preiserhöhung hindeute.
Daraus ergebe sich zweifelsfrei, dass die Antragsgegnerin zum Zeitpunkt ihrer Lieferungen der angegriffenen Produkte vor Ablauf des Verfügungspatents bereits positive Kenntnis davon hatte, dass ihre Abnehmer die Produkte noch vor Ablauf des Verfügungspatents nach Deutschland verbringen würden. Damit habe die Antragsgegnerin die patentverletzenden Handlungen ihrer Abnehmer im Inland wissentlich und willentlich mit verursacht.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Auf den Widerspruch der Antragsgegnerin war die einstweilige Verfügung der Kammer vom 22. Februar 2006 in dem von der Antragstellerin noch verteidigten Umfang aufzuheben (§§ 924 Abs. 1; 925; 936 ZPO), weil es der einstweiligen Verfügung bereits aus formalen Gründen an der erforderlichen Grundlage in Gestalt des deutschen Teils des Verfügungspatents fehlt.
Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin ist die Kammer für den Erlass der angefochtenen Beschlussverfügung allerdings international und örtlich zuständig nach Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 vom 22. Dezember 2000 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO), § 32 ZPO, § 143 Abs. 1 und 2 PatG in Verbindung mit der Verordnung der Landesregierung Nordrhein-Westfalen vom 13. Januar 1998 (Verordnung über die Zuweisung von Patentstreitsachen, Sortenschutzstreitsachen, Gebrauchsmusterstreitsachen und Topographieschutzsachen an das Landgericht Düsseldorf, GVBl. NW S. 106). Hierzu bedarf es nicht der Feststellung, dass die Antragsgegnerin bei Lieferung der angefochtenen Tamsulosin-Produkte an ihre Abnehmer um deren Absicht wusste, die Arzneimittel vor dem 11. März 2006 in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten oder in Verkehr zu bringen. Denn für die Zuständigkeit genügt die substantiierte Darlegung der Antragstellerin, dass die Verantwortlichkeit der Antragsgegnerin für die Verletzung des gewerblichen Schutzrechts, hier des Verfügungspatents, im Inland und im Land Nordrhein-Westfalen nicht ausgeschlossen werden kann. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.
Die einstweilige Verfügung vom 22. Februar 2006 war jedoch aufzuheben, weil die Antragstellerin bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht hinreichend glaubhaft gemacht hat, dass die Wirkungen des Verfügungspatents für die Bundesrepublik Deutschland eingetreten sind und sie daher gestützt auf den deutschen Teil des Verfügungspatents Verbietungsrechte, Auskunfts- und Sequestrationsansprüche geltend machen kann. Aus demselben Grund sind die Kosten des übereinstimmend für erledigt erklärten Teils der einstweiligen Verfügung gemäß § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO der Antragstellerin aufzuerlegen, weil sie ohne die Erledigung auf den Widerspruch der Antragsgegnerin auch hinsichtlich des Unterlassungsantrags unterlegen wäre.

Art. II § 3 Abs. 1 IntPatÜG verlangt für die nationale deutsche Phase eines europäischen Patents, das nicht in deutscher Sprache, sondern in einer der beiden anderen Vertragssprachen des EPÜ (Englisch oder Französisch) abgefasst ist und für welches Wirkung in der Bundesrepublik Deutschland begehrt wird, dass der Anmelder oder Patentinhaber innerhalb von drei Monaten nach Veröffentlichung des Hinweises auf die Erteilung des europäischen Patents im Europäischen Patentblatt bei dem Deutschen Patent- und Markenamt eine deutsche Übersetzung der Patentschrift einreicht. Wird diese Übersetzung nicht fristgerecht oder in einer eine ordnungsgemäße Veröffentlichung nicht gestattenden Form eingereicht (oder die Gebühr nicht fristgerecht entrichtet), so gelten gemäß Art. II § 3 Abs. 2 IntPatÜG die Wirkungen des europäischen Patents für die Bundesrepublik Deutschland als von Anfang an nicht eingetreten. Art. II § 3 Abs. 2 IntPatÜG enthält damit eine Fiktion dahin, dass die Wirkungen des europäischen Patents für die Bundesrepublik Deutschland unter anderem dann als von Anfang an nicht eingetreten gelten, wenn die Übersetzung der europäischen Patentschrift in die deutsche Sprache nicht fristgerecht bei dem Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht wurde.
Die von Art. II § 3 Abs. 1 IntPatÜG verlangte „Übersetzung der Patentschrift“ muss vollständig sein (vgl. Schulte, Patentgesetz, 7. Auflage, Anhang 1 IntPatÜG 1976, Rn. 20) und sich damit grundsätzlich auf alle Teile der Patentschrift beziehen. Inwieweit hiervon für die Patentansprüche Ausnahmen zuzulassen sind, soweit diese in deutscher Sprache als einer der Vertragssprachen (Art. 14 Abs. 1 EPÜ) bereits mit der europäischen Patentschrift veröffentlicht wurden (vgl. BPatG, Beschluss vom 24. Juni 1997, Az. 4 W (pat) 42/96; vorgelegt als Anlage AG 18), bedarf hier keiner Entscheidung. Denn im vorliegenden Fall bestreitet die Antragsgegnerin, dass die Übersetzung im Hinblick auf eine Seite der Patentbeschreibung (die Seite 2 der deutschen Übersetzung des Verfügungspatents gemäß Anlage ASt 7) vollständig eingereicht wurde. Ob unabhängig davon völlig nebensächliche Bestandteile der Patentschrift nicht übersetzt zu werden brauchen, etwa fremdsprachige Erläuterungen in den Zeichnungen, wenn und soweit es sich um einfache Begriffe handelt, die jedem Fachmann auch ohne Übersetzung geläufig sind (so Schulte, a.a.O., insoweit entgegen BPatG a.a.O., wo dem Anmelder für zunächst nicht übersetzte sprachliche Erläuterungen von Zeichnungen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wurde, was den Schluss zulässt, dass diese grundsätzlich für übersetzungsbedürftig angesehen wurden), kann für die vorliegende Entscheidung ebenfalls offen bleiben. Denn um derartige „Nebensächlichkeiten“ (die des Weiteren die Problematik der Grenzziehung mit sich bringen würden) handelt es sich im vorliegenden Fall jedenfalls nicht.
Nachdem die Antragsgegnerin im Termin die Voraussetzungen einer fristgerechten und ordnungsgemäßen Einreichung einer vollständigen (auch eine Seite 2 umfassenden) Übersetzung des Verfügungspatents ausdrücklich bestritten hatte, ist die Antragstellerin dem bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht in ausreichender Weise entgegengetreten. Sie hat insbesondere nicht glaubhaft gemacht, dass die Seite 2 der Übersetzung innerhalb der Dreimonatsfrist ab der Veröffentlichung des Hinweises auf die Erteilung des europäischen Verfügungspatents am 09. Juni 1993 bei dem Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht worden ist. So hat sie zwar die fehlende Seite 2 im Termin in Kopie vorgelegt, jedoch keine Anhaltspunkte dafür aufzuzeigen vermocht, die dafür sprechen könnten, dass dies auch gegenüber dem Deutschen Patent- und Markenamt fristgerecht bis zum 09. September 1993 erfolgt ist. Ein Schriftsatznachlass für die Antragstellerin, der ihr in einem Hauptsacheverfahren bei vergleichbarem Verfahrensgang zuzubilligen gewesen wäre, kam im einstweiligen Verfügungsverfahren wegen dessen Eilbedürftigkeit nicht in Betracht.
Nachdem die Antragsgegnerin auf Seite 9 ihres Schriftsatzes vom 21. Dezember 2006 (Bl. 191 GA) im Zusammenhang mit der Auslegung der Verfügungspatentschrift bereits angedeutet hatte, dass ein Teil der Übersetzung gemäß Anlage ASt 7 fehle (und zwar die Seite 2, als Übersetzung der Passage Seite 3, Zeile 18 bis 33 der englischen Fassung der B1-Schrift, Anlage ASt 6), ohne allerdings auf die Rechtsfolgen des Art. II § 3 Abs. 2 IntPatÜG hinzuweisen, hat die Antragstellerin darauf zunächst nicht reagiert. Im Rahmen der Vorbereitung des Verhandlungstermins war auch die Kammer darauf aufmerksam geworden, dass eine Seite 2 der T2-Schrift (Anlage ASt 7) im Verfahren nicht vorlag. Eine seitens der Kammer daraufhin durchgeführte Recherche in der Datenbank des Deutschen Patent- und Markenamts unter www…..de hatte ergeben, dass auch in der dort eingestellten Fassung der T2-Schrift des DE 36 88 xxx keine Seite 2 enthalten ist, wie dies auch dem von der Antragsgegnerin im Termin überreichten Ausdruck gemäß Anlage AG 19 entspricht. Der Kammervorsitzende hat den sachbearbeitenden Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin daraufhin am 08. Januar 2007, drei Tage vor dem anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung, darauf hingewiesen, dass (erstens) die Anlage ASt 7 keine Seite 2 umfasst und (zweitens) diese auch über die elektronische Datenbank www…..de nicht recherchierbar war. Im Termin vom 11. Januar 2007 ließ dann die Antragsgegnerin erstmals auf die Rechtsfolge einer nicht vollständigen und fristgemäßen Einreichung einer Übersetzung gemäß Art. II § 3 Abs. 1 und 2 IntPatÜG hinweisen und bestritt, dass eine vollständige Übersetzung beim Deutschen Patent- und Markenamt fristgerecht eingereicht worden sei. Der im Termin anwesende Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin überreichte daraufhin die in der Anlage ASt 7 zur Antragsschrift fehlende Seite 2.
Das Fehlen einer Seite 2 in der Anlage ASt 7 und zugleich in der Datenbank www…..de kann auf zwei verschiedene Erklärungen zurückzuführen sein. Entweder wurde bereits gegenüber dem Deutschen Patent- und Markenamt nur eine unvollständige, eine Seite 2 nicht umfassende Übersetzung eingereicht. In diesem ersten Fall wäre den Anforderungen des Art. II § 3 Abs. 1 IntPatÜG mit der Nichtigkeitsfolge des Art. II § 3 Abs. 2 IntPatÜG nicht genügt worden. Oder aber es handelte sich bei der Zusammenstellung der Anlage ASt 7, die mit der Antragsschrift vom 21. Februar 2006 eingereicht wurde, ohne eine Seite 2 um ein Büroversehen auf Antragstellerseite, während zugleich seitens des Deutschen Patent- und Markenamts lediglich irrtümlicherweise versäumt wurde, auch die Seite 2 der Übersetzung in die unter www…..de abrufbare Datenbank einzustellen, obwohl auch die Seite 2 in der (wie in diesem zweiten Fall unterstellt werden soll) fristgemäß eingereichten Übersetzung vorhanden war. Dass eine Seite 2 auch in der Anlage ASt 7 zur Antragsschrift fehlte, mag in diesem Fall allein darauf zurückzuführen sein, dass die Übersetzung des Verfügungspatents nach Anlage ASt 7 (DE 36 88 xxx T2) von den Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin aus der Datenbank www…..de gewonnen wurde. In diesem zweiten Fall wäre nicht festzustellen, dass es an einer Voraussetzung der fristgerechten Einreichung der Übersetzung in einer eine ordnungsgemäße Veröffentlichung gestattenden Form im Sinne des Art. II § 3 Abs. 2 IntPatÜG fehlt.
Für die Kammer stellt es sich vor diesem Hintergrund als völlig offen dar, ob die eine oder die andere Erklärung dem tatsächlichen Geschehensablauf entspricht, ob mithin die Unwirksamkeitsfiktion des Art. II § 3 Abs. 2 IntPatÜG eingreift oder nicht. Seitens der Antragstellerin konnten im Termin keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen werden, dass eine vollständige, auch eine Seite 2 umfassende Übersetzung fristgerecht bei dem Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht wurde, etwa indem näher vorgetragen und gegebenenfalls glaubhaft gemacht worden wäre, aus welcher Quelle die im Termin überreichte Seite 2 auf den oben erwähnten gerichtlichen Hinweis vom 08. Januar 2007 hin besorgt wurde. Da die fristgerechte und ordnungsgemäße Einreichung einer Übersetzung zu den Voraussetzungen der Wirksamkeit des deutschen Teils des Verfügungspatents gehört, für welche die Antragstellerin mit der Darlegungslast und der Last der Glaubhaftmachung belastet ist, wirkt sich die im Tatsächlichen verbleibende Ungewissheit zu ihren Lasten aus.

Angesichts dessen kann ausdrücklich offen gelassen werden, ob die Antragstellerin hinreichend glaubhaft gemacht hat, dass der Antragsgegnerin im Lieferzeitpunkt der angegriffenen Ausführungsformen bekannt war, dass das Anbieten und Inverkehrbringen der von ihr hergestellten Tamsulosin-Produkte mit Retardeffekt in der Bundesrepublik Deutschland vor dem 11. März 2006 stattfinden würde, oder ob sie dies zumindest bedingt vorsätzlich in Kauf genommen hat. Für die Aufhebung der angegriffenen Beschlussverfügung aus den formalen Gründen des Art. II § 3 Abs. 2 IntPatÜG ist es des Weiteren unerheblich, ob die angegriffene Ausführungsform von der technischen Lehre des Verfügungspatents Gebrauch macht und ob die im Nichtigkeitsverfahren gegen das Verfügungspatent vorgebrachten Entgegenhaltungen die Neuheit oder Erfindungshöhe ernsthaft in Frage zu stellen vermögen.

Die Kostenentscheidung hinsichtlich der nicht für erledigt erklärten Anträge gemäß Ziffer II. der angegriffenen Beschlussverfügung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 (1. Halbsatz) ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 6 ZPO.

Der Streitwert wird wie folgt festgesetzt:
– Ursprünglich: 500.000,- €,
– seit dem 11. Januar 2007: 100.000,- € zuzüglich Kosteninteresse.