Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 20. Dezember 2013, Az. 4a O 251/05
Rechtsmittelinstanz: 15 U 75/14
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Sicherheitsleistung kann auch durch eine unwiderrufliche, unbedingte, unbefristete und selbstschuldnerische Bürgschaft einer in der Europäischen Union als Zoll- oder Steuerbürgin anerkannten Bank oder Sparkasse erbracht werden.
Tatbestand
Der Kläger beschäftigt sich mit der Vermarktung und Neuzüchtung von Zierpflanzensorten. Er ist eingetragener Inhaber der Gemeinschaftssorte EU 8XXX A (nachfolgend auch Klagesorte genannt). Diese gehört zur Art der Osteospermum (Kapmargeriten).
Der Sortenschutz für A wurde 14.04.2000 angemeldet und am 17.12.2001 erteilt. Nach der offiziellen Sortenbeschreibung weist die Klagesorte folgende Ausprägungsmerkmale auf:
Herr Ralf B beantragte mit Schriftsatz vom 01.11.2004 beim Gemeinschaftlichen Sortenamt, den gemeinschaftlichen Sortenschutz der Klagesorte mit Wirkung seit der Registerprüfung 2002, spätestens aber mit sofortiger Wirkung aufzuheben. Das Gemeinschaftliche Sortenamt wies den Aufhebungsantrag am 21.09.2009 zurück. Gegen diese Zurückweisung legte Herr Ralf B am 14.12.2009 Beschwerde ein, über die bisher nicht entschieden wurde.
Zudem beantragte Herr Ralf B mit Schriftsatz vom 14.03.2007, die Klagesorte für nichtig zu erklären, wobei das Gemeinschaftliche Sortenamt diesen Antrag am 21.09.2009 ebenfalls zurückwies. Auch gegen diese Entscheidung legte er mit Schriftsatz vom 13.12.2009 Beschwerde ein, über die das Gemeinschaftliche Sortenamt noch nicht entschieden hat.
Die Beklagte ist eines der größten Jungpflanzenunternehmen in Deutschland. Im August und September 2002 wurde dem Kläger von einigen Lizenznehmern mitgeteilt, dass die Beklagte Osteospermum-Pflanzen anbiete, die der Sorte der Klägerin sehr ähnlich seien, ohne jedoch entsprechendes Pflanzenmaterial zur Verfügung zu stellen. Das französische Unternehmen C D aus E, das in geschäftlichen Kontakt mit dem Kläger steht, bestellte auf dessen Wunsch mit Schreiben vom 01.02.2003 bei der Beklagten 200 Stecklinge der unter der Bezeichnung „F’s G orange“ vertriebenen Osteospermum-Sorte. Die Bestellung wurde ausgeführt. Das von der Beklagten an C D versandte Pflanzenmaterial stimmt mit dem Pflanzenmaterial überein, welches die Beklagte im Rahmen des Erteilungsverfahrens der Sorte H 02 dem Bundessortenamt zur Verfügung gestellt hat.
Herr Ralf B beantragte für die Sorte „F’s G“ unter der Bezeichnung „H 02“ beim Gemeinschaftlichen Sortenamt Sortenschutz. Diesen Antrag wies das Gemeinschaftliche Sortenamt am 21.09.2009 mit der Begründung zurück, im Ergebnis der technischen Prüfung von 2007 sei dem Amt am 20.08.2007 ein negativer Prüfbericht übersandt worden, der tabellarisch die in 2006 und 2007 für „A“ und „H 02“ erfassten Messwerte und Ausprägungsstufen wiedergeben habe. Die von Herrn B geltend gemachten Unterschiede seien sorgfältig geprüft worden, hätten sich jedoch nicht als hinreichend erwiesen, um die deutliche Unterscheidbarkeit beider Sorgen feststellen zu können. Zugleich wies das Gemeinschaftliche Sortenamt in dieser Entscheidung darauf hin, das Bundessortenamt sei zu der Auffassung gelangt, die als Vergleichsmaterial für „H 02“ herangezogene Sorte „A“ sei im Antragstag allgemein bekannt gewesen, wobei diese Sorte auch unverändert fortbestehe.
Der Kläger ist der Ansicht, dass die von der Beklagten unter der Bezeichnung „F’s G“ vertriebenen und unter der Bezeichnung H 02 angemeldeten Pflanzen Vermehrungsmaterial der Klagesorte seien, weshalb deren Vermehrung und Vertrieb sein Schutzrecht verletze.
Der Kläger beantragt,
I. die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,- EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle mehrfacher Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, zu vollziehen an ihrem Geschäftsführer, zu unterlassen, die von ihr unter der Bezeichnung „F’s G“ vertriebenen Pflanzen der sortenschutzrechtlich geschützten Osteospermum-Sorte EU 8XXX A,
gekennzeichnet durch die nachstehend wiedergegebenen, für die Sorte festgestellten Ausprägungen der Merkmale
CPVO Merkmal No.: 1; Merkmal: Pflanze: Haltung der Triebe; Note/Ausprägung: 4
CPVO Merkmal No.: 2; Merkmal: Trieb: Länge (cm); Note/Ausprägung: 29,2
CPVO Merkmal No.: 3; Merkmal: Blatt: Länge (cm) ; Note/Ausprägung: 6,5
CPVO Merkmal No.: 4; Merkmal: Blatt: Breite (mm); Note/Ausprägung: 23,6
CPVO Merkmal No.: 5; Merkmal: Blatt: Stärke der Lappung; Note/Ausprägung: 1
CPVO Merkmal No.: 6; Merkmal: Blatt: Panaschierung; Note/Ausprägung: 1
CPVO Merkmal No.: 7; Merkmal: Nur Sorten ohne Panaschierung: Blatt: Grünfärbung der Oberseite; Note/Ausprägung: 5
CPVO Merkmal No.: 8; Merkmal: Blütenstand: Anzahl vollständiger Zungenblütenkreise; Note/Ausprägung: 2
CPVO Merkmal No.: 9; Merkmal: Blütenstand: Vorhandensein von unvollständigen Zungenblütenkreise 9
CPVO Merkmal No.: 10; Merkmal: Blütenstand: Durchmesser (cm); Note/Ausprägung: 6,7
CPVO Merkmal No.: 11; Merkmal: Blütenstand: Form der Zungenblüte; Note/Ausprägung: 1
CPVO Merkmal No.: 12; Merkmal: Zungenblüte: Länge (mm) ; Note/Ausprägung: 31,2
CPVO Merkmal No.: 13; Merkmal: Zungenblüte: Breite (mm); Note/Ausprägung: 5,9
CPVO Merkmal No.: 14; Merkmal: Zungenblüte: Farbe des Randes der Oberseite; Note/Ausprägung: RHS 0028C, orange
CPVO Merkmal No.: 15; Merkmal: Zungenblüte: Farbe der Mitte der Oberseite; Note/Ausprägung: RHS 0028 C, orange
CPVO Merkmal No.: 16; Merkmal: Zungenblüte: Farbe der Basis der Oberseite; Note/Ausprägung: RHS 0090B, blauviolett
CPVO Merkmal No.: 17; Merkmal: Zungenblüte: Farbe der Mitte der Unterseite braunorange
CPVO Merkmal No.: 18; Merkmal: Scheibe: Farbe; Note/Ausprägung: dunkelgrün
CPVO Merkmal No.: 19; Merkmal: Zeitpunkt des Blühbeginns; Note/Ausprägung: 3
in den Ländern der Europäischen Gemeinschaft zu vermehren und/oder vermehren zu lassen und/oder in die Europäische Union einzuführen, dort gewerbsmäßig anzukündigen, anzubieten oder zu verkaufen, soweit sie aus unlizenzierter Vermehrung stammen;
II. dem Kläger Auskunft zu erteilen, und zwar aufgeschlüsselt in einer geordneten Zusammenstellung,
1. über Vermehrungshandlungen und deren Umfang hinsichtlich der in Ziffer I genannten „Sorte“ H 02 (F’s G) seit dem 31.03.2002;
2. über die jeweiligen Abgabemengen und -zeiten sowie die hiermit erzielten Umsätze hinsichtlich der in Ziffer I genannten „Sorte“ H 02 (F’s G) seit dem 31.03.2002 unter Angabe des erzielten Gewinns einschließlich der zu seiner Berechnung jeweils erforderlichen Kosten und Gestehungsfaktoren;
3. über Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer von Pflanzenmaterial aus Handlungen gemäß Ziffer I;
III. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen Schaden zu ersetzen, der ihr aus den in Ziffer I. genannten Handlungen entstanden ist oder noch entstehen wird.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen;
hilfsweise das Verfahren gemäß Art. 106 Abs. 2 GemSortVO auszusetzen, bis das Gemeinschaftliche Sortenamt über die Aufhebung des gemeinschaftlichen Sortenschutzes der Sorte A entschieden hat.
Sie meint, das Vorliegen einer Sortenschutzverletzung sei nicht belegt. Die Sachverständige habe keinen eigenen Vergleichsanbau der streitgegenständlichen Sorte durchgeführt, Aussagen zur Unterscheidbarkeit der Sorten habe die Sachverständige nach eigenem Bekunden nicht treffen können. Auch habe die Sachverständige die zu begutachtenden Pflanzen nicht selbst in Augenschein genommen. Sämtliche Aussagen der Sachverständigen zu der Frage, ob die Abweichungen zwischen den 2003 für „H 02“ festgestellten Merkmalsausprägungen und der Sortenbeschreibung der Klagesorte zu erwarten gewesen seien, seien reine Spekulation. Sie würden der eigenen Aussage der Sachverständigen widersprechen, welchen Beweiswert Sortenbeschreibungen aus verschiedenen Jahren hätten. Hierzu habe sie in ihrer Anhörung wiederholt ausgeführt, dass ein Vergleich von Sortenbeschreibungen aus verschiedenen Jahren kein taugliches Mittel zur Feststellung der Unterscheidbarkeit zweier Sorten darstelle. Eine Beständigkeit der Klagesorte sei nicht gegeben. Spätere Beschreibungen einer Sorte dürften keine andere als die in der amtlichen Sortenbeschreibung vergebenen Merkmalsausprägungen enthalten. So gelinge es dem Bundessortenamt die Einheitlichkeit der Sortenbeschreibung geschützter Sorten durch eine Anpassung der Grenzwerte der Merkmalsausprägungen sicherzustellen. Die in dem Raport vom 16.08.2007 mit „A“ gekennzeichneten Sorten können der Klagesorte nicht angehören, weil deren Beschreibungen nicht mit der amtlichen Sortenbeschreibung der Klagesorte übereinstimmten.
Des Weiteren könne auch die Stellungnahme des Gemeinschaftlichen Sortenamtes vom 21.09.2009, wonach Herr B in seiner Stellungnahme zum Prüfbericht eingeräumt habe, dass die für die Prüfperioden 2006 und 2007 gewonnenen Daten keine Unterschiede zwischen H 02 und der Vergleichssorte zeigten, den Verletzungsvorwurf nicht zu begründen, da Herr B in seiner Äußerung gerade deutlich gemacht habe, dass es sich bei der Vergleichssorte nicht um die Klagesorte gehandelt habe.
Zudem werde sich die Klagesorte auch als nicht rechtsbeständig erweisen. Die Klagesorte sei zunächst nicht beständig. Pflanzenmaterial der Klagesorte sei weder bei dem Kläger, noch bei der Firma I vorhanden, weshalb 2003 und 2004 im Erteilungsverfahren für „H 02“ als Vergleichsmaterial nicht Pflanzen der Klagesorte, sondern zumindest 2003 Material der Sorte „J“ eingereicht worden sei. Auch im Prüfjahr 2005 sei kein Pflanzenmaterial vorgelegt worden, welches die Sortenschutzvoraussetzungen der Artt. 8 und 9 der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27.07.1994 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz (im Folgenden: GemSortVO) erfülle, da das in diesem Jahr vorgelegte Material unstreitig nicht homogen sei. Überdies habe das im Prüfjahr 2006 vorgelegte Material nicht der Sortenbeschreibung aus dem Jahr 2001 entsprochen. Die sodann durchgeführte weitere Prüfung sei demgegenüber rechtswidrig gewesen, so dass die Klagesorte bereits zu diesem Zeitpunkt unter dem Gesichtspunkt der fehlenden Homogenität hätte vernichtet werden müssen, ohne dass dem Gemeinschaftlichen Sortenamt insoweit ein Ermessen eingeräumt gewesen wäre. Die Prüfergebnisse der Jahre 2006 und 2007 würden den Schluss nicht zulassen, dass die Klagesorte in diesen Jahren „wieder existiert“ habe, denn das in den Jahren 2003 bis 2007 eingereichte Material sei nicht Solches der Klagesorte gewesen.
Überdies beruft sich die Beklagte auf eine fehlende Berechtigung des Klägers, Art. 20 Abs. 1 lit. c) i.V.m. Art. 11 GemSortVO, da der Kläger erklärt habe, die Klagesorte sei die als „Orange K“ bekannte Sorte, die jedoch von Herrn L M gezüchtet worden sei, wobei der Kläger einen Rechtsübergang nicht habe darlegen können.
Der Kläger tritt diesem Vorbringen entgegen.
Das Gemeinschaftliche Sortenamt habe im Rahmen des Schutzerteilungsverfahrens zur Sorte „H 02“ durch Vergleichsanbau mit der Klagesorte über zwei Prüfperioden (2006 und 2007) festgestellt, dass sich „H 02“ von der Klagesorte nicht hinreichend deutlich unterscheide. Auch wenn die Sachverständige in ihrer Stellungnahme vom 17.11.2004 hervorgehoben habe, dass ein Vergleichsanbau der streitgegenständlichen Sorten nicht durchgeführt worden sei, habe ein Solcher somit nunmehr stattgefunden.
Ferner treffe es zwar zu, dass Art. 21 Abs. 1 GemSortVO dem Amt kein Ermessen einräume, wenn die Voraussetzungen von Artt. 8 oder 9 GemSortVO nicht vorliegen würden. Dies gelte jedoch nicht für die Feststellung der zugrunde liegenden Tatsachen. Insoweit liege es im Entscheidungsermessen des Amtes, ob eine Prüfperiode für ausreichend erachtet oder eine weitere Prüfperiode anordnet werde oder nicht. Soweit Unterschiede der Klagesorte aus dem Jahr 2003 mit dem Vergleichsmaterial aus 2006 und 2007 bestehen würden, würden diese ausschließlich auf äußeren Faktoren („arttypische Variationsbreite“) beruhen.
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die Schriftsätze und deren Anlagen Bezug genommen. Die Kammer hat Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die mündlichen Verhandlungen, die beiden schriftlichen Sachverständigengutachten vom 17.11.2004 und 26.03.2012 sowie das schriftliche Ergänzungsgutachten vom 14.11.2012 inhaltlich verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
I.
Der Kläger macht ohne Erfolg gegenüber der Beklagten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Feststellung der Verpflichtung zum Schadensersatz dem Grunde nach gemäß Art. 94 Abs.1 lit.a) GemSortVO i.V.m. Art.13 Abs.2 GemSortVO, Artt. 94 Abs. 2, 97 Abs. 1 GemSortVO i. V. m. §§ 242, 259 BGB geltend. Nach Art. 94 Abs.1 lit.a) GemSortVO ist zur Unterlassung verpflichtet, wer hinsichtlich einer Sorte, für die ein gemeinschaftlicher Sortenschutz erteilt wurde, eine der in Art. 13 Abs. 2 GemSortVO genannten Handlungen vornimmt, ohne dazu berechtigt zu sein. Die Kammer kann aus Rechtsgründen nicht feststellen, dass die Beklagte die Rechte aus der Klagesorte verletzt hätte, mit der Folge, dass dem Kläger auch die weiteren geltend gemachten Ansprüche gegenüber der Beklagten nicht zustehen.
1.
Der Schutzbereich einer geschützten Sorte wird durch die Kombination der im Erteilungsbeschluss des Gemeinschaftlichen Sortenamts festgelegten Ausprägungsmerkmale gemäß der amtlichen Beschreibung der Sorte (Art. 62 Satz 2 GemSortV) bestimmt, wobei zum Schutzumfang einer geschützten Sorte außer dem sogenannten Identitätsbereich auch ein sogenannter Toleranzbereich gehört, der bestimmte zu erwartende Variationen umfasst (BGH, GRUR 2009, 750752 – Lemmon K).
a)
Der Schutzbereich umfasst zunächst die Kombination aller kennzeichnenden Merkmale, wobei nur die Kombination geschützt ist (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2004, 281, 282 – Lemmon K/A; OLG Frankfurt, Mitt. 1982, 212, 213 – Sortenschutzverletzung; Jestaedt, GRUR 1982, 595, 598). Eine Verletzung scheidet somit aus, wenn zumindest durch ein Merkmal die geschützte Sorte von der anderen Sorte zu unterscheiden ist, denn der Verletzungsrichter ist an diese Merkmalskombination, welche im Erteilungsbeschluss festgeschrieben wurde, gebunden (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2004, 281, 282 – Lemon K/A).
b)
Darüber hinaus fallen auch Merkmalsausprägungen einer Pflanze in den Schutzbereich einer europäischen Sorte, die unterschiedliche Ausprägungen von Merkmalen zeigen, die Unterschiede sich aber im Rahmen der zu erwartenden und zu tolerierenden Variation halten (BGH, GRUR 2009, 750752 – Lemmon K; OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2004, 281, 282 – Lemmon K/A; OLG Frankfurt, Mitt. 1982, 212, 213 – Sortenschutzverletzung). Denn zu beachten ist, dass sich der Sortenschutz – anders als etwa der Patentschutz – nicht auf künstlich und damit stets identisch herstellbare Gegenstände bezieht, sondern auf Pflanzen, also auf Lebewesen, deren konkrete Ausprägungen von unterschiedlichen Faktoren wie der Mutterpflanzenhaltung, der Qualität des verwendeten Stecklings, dem Stutztermin, dem Einsatz von Fungiziden und Insektiziden, dem Substrat, der Menge der Düngung und der Wassergaben, der Temperatur und dem Lichtangebot abhängen. So können insbesondere beim Anbau von Pflanzen einer Sorte im Freiland Schwankungen der Umweltbedingungen zu einer unterschiedlichen Ausbildung eines Merkmals führen. Aus diesem Grunde ist es auch nicht immer möglich, ausschließlich auf Grund eines sog. botanischen Vergleichs der der Beschreibung einer geschützten Sorte entnommenen Merkmale mit den Merkmalen eines angegriffenen Pflanzenmaterials eine Sortenschutzverletzung festzustellen. Ein solcher Vergleich alleine mag dann ausreichen, wenn sich die Überzeugung gewinnen lässt, dass die in Verkehr gebrachten angegriffenen Pflanzen in allen Merkmalen identisch mit der Sortenbeschreibung der geschützten Sorte übereinstimmen. In Zweifelsfällen oder wenn es um die Frage geht, ob und inwieweit Pflanzen, bei denen hinsichtlich der Ausprägung der Merkmale Abweichungen gegenüber den bei der Erteilung des Sortenschutzes festgestellten Ausprägungen auftreten, gleichwohl in den vom Sortenschutz erfassten Bereich fallen, müssen regelmäßig mit Hilfe eines Sachverständigen Bewertungen der Merkmale vorgenommen werden, die häufig erst nach einem Vergleichsanbau möglich sind (vgl. BGH, GRUR 2006, 575, 576 – Melanie; OLG Düsseldorf, Urteil vom 21.12.2006, 2 U 94/05, BeckRS 2007, 02436).
c)
Allerdings gebieten es der Grundsatz der Rechtssicherheit und die Bindung des Verletzungsrichters an die im Erteilungsbeschluss festgelegte Kombination der Ausprägungsmerkmale, den Toleranzbereich nach allgemein nachvollziehbaren Kriterien zu bestimmen und nicht zu weit auszudehnen. Die Rechtsprechung hat daher bereits früher zur Feststellung des Toleranzbereichs die damaligen Grundsätze des Bundessortenamtes für die Registerprüfung herangezogen und – entsprechend den damaligen Kriterien zur Unterscheidbarkeit – darauf abgestellt, ob die Abweichungen innerhalb einer Klassenbreite liegen (OLG Frankfurt, Mitt. 1982, 212, 213 – Sortenschutzverletzung; vgl. auch Jestaedt, GRUR 1982, 595, 598).
Nachdem die damaligen Grundsätze des Bundessortenamtes durch die „Grundsätze des Bundessortenamtes für die Prüfung auf Unterscheidbarkeit, Homogenität und Beständigkeit von Pflanzensorten“ ersetzt worden sind, hat die Kammer die nach den derzeit gültigen Grundsätzen des Bundessortenamtes anzuwendenden Bestimmungen für die Prüfung auf Unterscheidbarkeit als Maßstab für die Bestimmung des Toleranzbereiches herangezogen (vgl. OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2004, 281, 282 – Lemon K/A).
Zu berücksichtigen ist allerdings, dass die Prüfung auf Unterscheidbarkeit einen Vergleichsanbau voraussetzt, also den Anbau der auf Unterscheidbarkeit zu prüfenden zwei Sorten (Pflanzenmaterial der Klagesorte und des als verletzend beanstandeten Pflanzenmaterials) am gleichen Prüfort während der gleichen Vegetationsperiode. Daher können die unter Nr. 3 der Grundsätze festgelegten Maßstäbe für die Unterscheidbarkeit zweier Sorten auch nur dann für die Bestimmung des Toleranzbereiches einer Sorte gegenüber einer anderen Sorte entsprechend herangezogen werden, wenn auch tatsächlich ein Vergleichsanbau der Klagesorte und des als verletzend beanstandeten Pflanzenmaterials durchgeführt worden ist.
Ein solcher Vergleichsanbau setzt die Feststellung voraus, dass es sich bei dem Pflanzenmaterial, das zur Klagesorte gehören soll, tatsächlich um Solches handelt. Diese Feststellung kann sich im Falle von sich vegetativ vermehrenden Pflanzen – bei denen anders als bei samenvermehrten Sorten die Hinterlegung eines Standardmusters, das zu Vergleichszwecken mit herangezogen werden kann, nicht möglich ist – nur aus einem Vergleich der bei der Registerprüfung erfassten und im Erteilungsbeschluss niedergelegten Ausprägungsmerkmale mit den Ausprägungsmerkmalen des jeweils aktuellen Pflanzenmaterials ergeben. Für diesen zwei unterschiedliche Vegetationsperioden betreffenden Vergleich sind die für den Vergleichsanbau geltenden Maßstäbe der Grundsätze des Bundessortenamtes nicht ohne Weiteres übertragbar. Denn es ist zu berücksichtigen, dass es bei sich vegetativ vermehrenden Pflanzen neben eher konstanten Ausprägungsmerkmalen auch sich aufgrund der äußeren Einflüsse in den einzelnen Vegetationsperioden mehr oder weniger stark verändernde Ausprägungsmerkmale gibt. Daher bedarf es, wenn mehr als eine Note (Ausprägungsstufe) betragende Abweichungen zwischen der Bewertung der Registerprüfung der Klagesorte und der Bewertung des aktuellen Pflanzenmaterials bei sich bekanntermaßen verändernden Ausprägungsmerkmalen festgestellt werden, der Prüfung, ob diese Abweichungen auf äußere Einflüsse zurückzuführen sind und es sich in Anbetracht dieses Umstandes gleichwohl um dieselbe Sorte handelt. Dafür wird in aller Regel die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich sein.
2.
Unter Anwendung dieser Grundsätze kann eine Verletzung des Schutzbereichs der Klagesorte seitens der Kammer aus Rechtsgründen nicht festgestellt werden.
a)
Die Beurteilung, ob die Pflanzen mit der Bezeichnung „H 02“ in den Schutzbereich der Klagesorte fällt, ist eine Rechtsfrage, welche die Kammer zu beantworten hat (vgl. zum Patent BGH, GRUR 2004, 1023 – Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung; BGH, GRUR 2006, 131, 133 – Seitenspiegel; BGH, GRUR 2006, 313, 315 – Stapeltrockner). Zwar kann sich die Kammer zur Ermittlung der der Beurteilung zugrunde liegenden Tatsachen sachverständiger Hilfe bedienen, die abschließende Beurteilung der Frage des Vorliegens einer Sortenschutzverletzung obliegt jedoch gleichwohl der Kammer.
b)
Ausgangspunkt der Beurteilung der Verletzungsfrage ist die die Klagesorte betreffende Sortenbeschreibung, die dem Erteilungsbeschluss vom 17.12.2001 zugrunde lag (vgl. für das nationale Recht, Jestaedt, GRUR 1982, 595, 597). Ein nationales Gericht, vor dem eine Klage wegen eines gemeinschaftlichen Sortenschutzes anhängig ist, hat gemäß Art. 105 GemSortVO von der Rechtsgültigkeit des gemeinschaftlichen Sortenschutzes auszugehen. Diese Bindungswirkung bezieht sich auf die Sorte, wie sie sich aus dem Erteilungsbeschluss und der dazugehörenden Sortenbeschreibung ergibt (Art. 62 GemSortVO). In der amtlichen Sortenbeschreibung wird die eingetragene Pflanzensorte mit ihren Ausprägungen beschrieben. Sie beruht auf der technischen Prüfung und ist, sollten die Voraussetzungen der Artt. 7-9 GemSortVO vorliegen, neben dem Prüfbericht Bestandteil des Ergebnisses der technischen Prüfung (vgl. Art. 57 GemSortVO). Der Prüfbericht und die Sortenbeschreibung mit den jeweiligen Merkmalen und Ausprägungen stammen vorliegend aus dem Jahr 2001.
Diese Sortenbeschreibung ist somit für das Verletzungsgericht bindend, solange keine Anpassung der amtlichen Sortenbeschreibung gemäß Art. 87 Abs. 4 GemSortVO stattgefunden hat. Danach kann das gemeinschaftliche Sortenamt nach Anhörung des Inhabers die Art der Merkmale und die festgestellten Ausprägungen dieser Merkmale den jeweils geltenden Grundsätzen für die Beschreibung von Sorten anpassen, soweit dies erforderlich ist, um die Beschreibung der Sorte mit den Beschreibungen anderer Sorten des treffenden Taxons vergleichbar zu machen.
c)
Vor diesem Hintergrund, dass die Sortenbeschreibung aus dem Prüfjahr 2001 stammt, ist zu berücksichtigen, dass, wie bereits zuvor ausgeführt, es sich bei dem vorliegenden Schutzgut um lebendes Material handelt. Die konkreten Ausprägungen einer Pflanze hängen von den jeweiligen Umweltbedingungen ab, wie es sich auch aus den Sachverständigengutachten ergibt. Dies ergibt sich anschaulich aus der Anlage 5 des Gutachtens vom 26.03.2012, in welcher die festgestellten Unterschiede der Pflanzen „H 02“ und ihrer einzelnen Merkmale im Vergleich zur Sortenbeschreibung im Erteilungsbeschluss dokumentiert sind (vgl. z. B. Merkmale 2, 3, 4 und 12).
Mithin ist es den jährlich in Erscheinung tretenden Ausprägungen einzelner Merkmale, die die jeweilige Variationsbreite der Merkmale darstellen, geschuldet, die Grenzwerte der Ausprägungsstufen jeweils jährlich, soweit erforderlich, neu zu bestimmen. Wie die Sachverständige in ihrem Ergänzungsgutachten vom 14.11.2012 auf Seite 1 ausführt, reagieren Pflanzen auf ihre Umweltbedingungen, so dass keine Pflanze exakt der anderen gleicht. So können sich Organismen mit gleichem Genotyp in ihrer endgültigen Ausgestaltung voneinander unterscheiden. Derartige umweltbedingte, nichterbliche Unterschiede im äußeren Erscheinungsbild werden in der Wissenschaftsliteratur auch als Modifikationen bezeichnet (Nultsch, Allgemeine Botanik, 6. Aufl., S. 313).
Neben den tabellarisch festgehaltenen unterschiedlichen Merkmalsausprägungen der geprüften Pflanzen, die das Bundessortenamt für „Osteopermum“ in der Prüfung hatte, sind die unterschiedlichen Merkmalsausprägungen auch auf den im Gutachten vom 26.03.2012 (Anlage 2) wiedergegebenen Abbildungen augenscheinlich. Um die Feststellung treffen zu können, ob ein geprüftes Pflanzenmaterial im Rahmen des Bestandsverfahren noch zur Klagesorte gehört, ist es nach den Ausführungen der Sachverständigen in ihrem Gutachten vom 26.03.2012, Seite 4, erforderlich, die Modifikationen hinreichend zu erfassen.
Hierzu werden gemäß Ziffer 2.3 der Bekanntmachung Nr. 20/04 des Bundessortenamtes über die Grundsätze für die Prüfung auf Unterscheidbarkeit, Homogenität und Beständigkeit von Pflanzensorten (Bl. für Sortenwesen 10/2004, S. 330 ff) im Verlauf der Prüfung die Merkmalsausprägungen der einzelnen Sorten erfasst. Die so erfassten Ausprägungen werden für die Beschreibung der Sorten bestimmten Ausprägungsstufen zugeordnet.
Danach können sich bestimmte Merkmale aufgrund der jährlich unterschiedlichen Umweltbedingungen unterschiedlich „ausprägen“, so wie die Sachverständige im Rahmen ihrer mündlichen Anhörung vom 24.05.2005, S. 6, vor dem erkennenden Gericht ausgeführt hat (vgl. Bl. 281 ff GA). So sei die Trieblänge nicht exakt jedes Jahr gleich wiederzufinden. In dem einen Jahr sei eine Sorte 30 cm lang, in dem nächsten Jahr sei sie 45 cm lang. Diesbezüglich, so die Sachverständige weiter, würden die jährlichen Grenzwerte, die einer Ausprägungsstufe zugrunde liegen, neu bestimmt werden. Auch die Parteivertreter erklärten in der mündlichen Verhandlung vom 03.12.2013 übereinstimmend die nachfolgend wiedergegebene Prüfungs- und Entscheidungspraxis des Bundessortenamtes. Die beobachteten Modifikationen führten zu jährlichen Messwerten von einzelnen Merkmalen, die Grundlage für die Definition der jährlichen Grenzwerte seien. So werde das Merkmal „Blatt, Länge“ – soweit Messwerte vorlägen – jährlich neu bestimmt, wie es sich auch aus den Anlagen B 33 und B 34 beispielhaft ergibt. Die jährlichen Grenzwerte für Merkmale der Osteospermum können jeweils in einem Jahr unterschiedlich ausfallen. Beispielhaft sind die Grenzwerte einzelner Merkmale für Osteospermum für das Jahr 2002 bis 2004 nachfolgend verkleinert wiedergegeben, die der Anlage B 33 entnommen worden sind:
Anhand der festgestellten Variationsbreite einzelner Merkmale werden dann diese statistisch gemittelt und so der jeweilige Grenzbereich der Ausprägungsstufen bestimmt. Allerdings ließen sich so nicht alle festgestellten Modifikationen hinreichend genau erfassen, wie die Sachverständige auf Seite 8 ihres schriftlichen Ergänzungsgutachtens ausführt.
d)
Bei der Beurteilung der Rechtfrage, ob die Pflanzen der Sorte „H 02“ in den Schutzbereich der Klagesorte fallen, ist allerdings zu beachten, dass bei der Bestimmung des Schutzbereichs das von der Rechtsprechung entwickelten Rechtsinstitut des Toleranzbereichs eines Schutzbereichs einer eingetragenen Sorte Modifikationen einer angegriffenen Ausführungsform ebenfalls berücksichtigt. Aus Rechtsgründen ist jedenfalls dann eine Verletzung des Schutzbereichs einer Klagesorte zu verneinen, wenn der Fall so liegt wie hier. Die festgestellten Modifikationen wurden bei der Bestimmung der Grenzwerte berücksichtigt. Darüber hinaus wurden diese Modifikationen berücksichtigt, um die Feststellung zu treffen, ob Modifikationen im erwarteten Variationsbereich liegen. Zudem wären diese Modifikationen bei der Frage zu berücksichtigen, ob die Pflanzen der angegriffenen Ausführungsform in den Toleranzbereich des Schutzbereichs der Klagesorte fallen.
aa)
Eine solche wiederholte Berücksichtigung von Modifikationen ist aus Rechtsgründen ausgeschlossen, da dies dem Grundsatz der Rechtssicherheit widerspricht.
(1)
Der Grundsatz der Rechtssicherheit ist Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung (vgl. EuGH, Urteil vom 21.06.2007, C-158/06, Stichting ROM, Rz. 24 = EuZW 2007, 438) und stellt ein grundlegendes Prinzip des Gemeinschaftsrechts dar (EuGH, Entscheidung vom 13.02.1996, C-143/93, Van Es Douane Agenten, Rz. 27; Mayer, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 50. Ergänzungslieferung 2013, Grundrechtsschutz und rechtsstaatliche Grundsätze Rn. 392). Nach dem Grundsatz der Rechtssicherheit muss eine Gemeinschaftsregelung den Betroffenen ermöglichen, den Umfang der ihnen auferlegten Verpflichtungen genau zu erkennen. Denn die Einzelnen müssen ihre Rechte und Pflichten eindeutig erkennen und sich darauf einstellen können (EuGH, Urteil vom 21.06.2007 – C-158/06, Stichting ROM, Rz. 25).
Dies bedeutet für das gemeinschaftliche Sortenschutzrecht, dass es der Grundsatz der Rechtssicherheit und die Bindung des Verletzungsrichters an die im Erteilungsbeschluss festgelegte Kombination der Ausprägungsmerkmale gebieten, den Toleranzbereich nach allgemein nachvollziehbaren Kriterien zu bestimmen und nicht zu weit auszudehnen. Die Rechtsprechung hat bereits früh auf die Grundsätze des Bundessortenamtes für die Registerprüfung zurückgegriffen (vgl. OLG Frankfurt, Mitt. 1982, 212, 213 – Sortenschutzverletzung) und entsprechend den Kriterien zur Unterscheidbarkeit (vgl. Art. 6 lit. a) GemSortVO) darauf abgestellt, ob die Abweichungen innerhalb einer Klassenbreite liegen (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2004, 281, 282 – Lemon K/A).
(2)
In Übereinstimmung mit dem Vortrag der Parteivertreter ist es im vorliegenden Fall so, dass Modifikationen von Merkmalen wiederholt berücksichtigt werden, nämlich zunächst bei der Bestimmung der jährlichen Grenzwerte. Zwar führt die Sachverständige auf Seite 4 ihres Gutachtens vom 26.03.2012 aus, Schwankungen ließen sich bei sorgfältigster Auswahl und Erfassung der Merkmale nicht verhindern und müssen daher bei der Identitätsprüfung besondere Beachtung finden. Eine mehrfache Berücksichtigung der Modifikationen auch bei der Feststellung, ob Pflanzen der Klagesorte zuzuordnen sind und bei der Frage, ob Pflanzen der angegriffenen Ausführungsform in den Toleranzbereich fallen, würde jedoch dazu führen, letztendlich den Schutzbereich unzulässigerweise auszudehnen. Dies könnte dazu führen, dass Pflanzen, die von den Pflanzen einer eingetragenen Sorte in jeder Hinsicht gemäß Art. 7 GemSortVO unterscheidbar wären oder sogar die Anforderungen einer eigenständigen Sorte (vgl. Artt. 7-9 GemSortVO) gerecht würden, im Laufe der Jahre durch Weiterentwicklungen von Modifikationen in den Schutzbereich einer eingetragenen Sorten fallen, mithin „hineinwachsen“ könnten. Dies wäre mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit nicht zu vereinbaren, denn derjenige, der in Ansehung der Sortenbeschreibung Pflanzen vermehrt und in den Verkehr bringt, die zum Zeitpunkt der Erteilung des Sortenschutzes nicht in den Identitäts- und Toleranzbereich des Schutzbereichs der eingetragenen Sorte fällt, vermag die weiteren Modifikationen der Pflanzen der geschützten Sorte nicht derart genau zu prognostizieren. Das Gegenteiliges der Fall ist, ist dem Sachvortrag der Parteien nicht hinreichend deutlich zu entnehmen. In diesem Fall kann er aber seine Pflichten gemäß Artt. 94 ff i. V. m. Art. 13 GemSortVO nicht mehr unzweideutig erkennen. Ihm ist es unter diesen Umständen verwehrt, seine Vorkehrungen zu treffen, eine Sortenschutzverletzung zu vermeiden.
bb)
Die Auffassung des Klägers, der Toleranzbereich einer eingetragenen Sorte schließe sich an den Variationsbereich der Sorte an, würde nicht nur zu der zuvor beschriebenen Rechtsunsicherheit in dem betroffenen Verkehrskreis führen, sondern auch den Anwendungsbereich der Bestimmung des Art. 87 Abs. 4 GemSortVO beeinträchtigen. Denn die auftretenden Modifikationen der Pflanzen einer eingetragenen Sorte würden bei der Bestimmung der Grenzwerte sowie über den Variationsbereich und den Toleranzbereich aufgefangen werden. Eine Anpassung der Sortenbeschreibung an die Ausprägungen einzelner Merkmale dient aber gerade dem Grundsatz der Rechtssicherheit der beteiligten Verkehrskreise, da die Beschreibung der Sorte mit der Beschreibung anderer Sorten vergleichbar gemacht werden kann. Eine Änderung der amtlichen Sortenbeschreibung lässt Dritte erkennen, welche Merkmale mit welchen Ausprägungen in der angepassten Sortenbeschreibung Grundlage für die Frage sind, ob eine Rechtsschutzverletzung der eingetragenen Sorte vorliegt oder nicht. Eine Anpassung der amtlichen Sortenbeschreibung hat unstreitig jedoch nicht stattgefunden.
cc)
Es ist Aufgabe des Tatrichters zu der Überzeugung zu gelangen, dass eine von dem als Verletzer in Anspruch genommenen erzeugten oder in den Verkehr gebrachten Pflanze der geschützten Sorte angehört (BGH, GRUR 2006, 575, 576 – Melanie). Vor dem zuvor dargestellten Hintergrund gelangt die Kammer nicht zu der Überzeugung, dass eine Sortenschutzverletzung vorliegt.
Aus Rechtsgründen scheidet eine Verletzung der Rechte des Klägers aus dem gemeinschaftlichen Sortenschutzrecht aus, wenn Modifikationen unzulässig mehrfach berücksichtigt werden. Ausweislich der Anlagen 1 und 3 des schriftlichen Sachverständigengutachtens vom 26.03.2012 unterscheiden sich die Ausprägungen einzelner Merkmale der Klagesorte für die Jahre 2006 und 2007 von den in der amtlichen Sortenbeschreibung festgeschriebenen Ausprägungsstufen.
Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass bereits Modifikationen bei der Bestimmung der jährlichen Grenzwerte und damit der Bestimmung der Ausprägungsstufen berücksichtigt wurden, vermag die Kammer aus Rechtsgründen aufgrund der nachfolgenden Unterschiede der einzelnen Ausprägungsstufen einzelner Merkmale eine Rechtsverletzung nicht festzustellen.
CPVO No.: 2; Merkmal: Trieb; Erteilungsbeschluss (2001): 3; Klagesorte (2005), (2006), (2007): 2, 4, 4; H-02 (2004), (2006), (2007): 3, 5, 4
CPVO No.: 3; Merkmal: Blatt: Länge; Erteilungsbeschluss (2001): 1; Klagesorte (2005), (2006), (2007): 1, 2, 3; H-02 (2004), (2006), (2007): 1, 3, 3
CPVO No.: 4; Merkmal: Blatt: Breite; Erteilungsbeschluss (2001): 1; Klagesorte (2005), (2006), (2007): 1, 3, 4; H-02 (2004), (2006), (2007): 1, 4, 3
CPVO No.: 8; Merkmal: Blütenstand, Anzahl vollständiger Zungenblütenkreise; Erteilungsbeschluss (2001): 1; Klagesorte (2005), (2006), (2007): 1, 2, 2; H-02 (2004), (2006), (2007): 2, 2, 2
CPVO No.: 9; Merkmal: Blütenstand, Anzahl von unvollständiger Zungenblütenkreise; Erteilungsbeschluss (2001): 1; Klagesorte (2005), (2006), (2007): 1, 9, 9; H-02 (2004), (2006), (2007): 9, 9, 9
CPVO No.: 10; Merkmal: Blütenstand, Durchmesser; Erteilungsbeschluss (2001): 6; Klagesorte (2005), (2006), (2007): 7, 6, 5; H-02 (2004), (2006), (2007): 6, 6, 5
CPVO No.: 12; Merkmal: Zungenblüte; Erteilungsbeschluss (2001): 8; Klagesorte (2005), (2006), (2007): 7, 7, 7; H-02 (2004), (2006), (2007): 7, 8, 6
CPVO No.: 10; Merkmal: Blütenstand, Durchmesser; Erteilungsbeschluss (2001): 6; Klagesorte (2005), (2006), (2007): 7, 6, 5; H-02 (2004), (2006), (2007): 6, 6, 5
CPVO No.: 19; Merkmal: Zeitpunkt des Blühbeginns; Erteilungsbeschluss (2001): 3; Klagesorte (2005), (2006), (2007): 4, 4, 3; H-02 (2004), (2006), (2007): 1, 4, 3
Grundlage dieser Darstellung einzelner Ausprägungsstufen von Merkmalen sind die bereits statistisch gemittelten Grenzwerte, die für jedes Jahr die Ausprägungsstufen neu definieren.
Trotz der Berücksichtigung der Modifikationen im Rahmen der Ausprägungsmerkmale weichen die festgestellten Ausprägungsstufen bei der Klagesorte in den Jahren 2006 und 2007 von denen der Sortenbeschreibung ab. Dies gilt insbesondere für die gemessenen quantitativen Merkmale 3 (2007) und 4 (2007), die einen Unterschied von mehr als einer Ausprägungsstufe aufweisen.
CPVO No.: 3; Merkmal: Blatt: Länge; Erteilungsbeschluss (2001): 1; Klagesorte (2007): 3
CPVO No.: 4; Merkmal: Blatt: Breite; Erteilungsbeschluss (2001): 1; Klagesorte (2007): 4
Aber auch bei den Merkmalen 2 und 10 ist der Bereich der festgestellten Abweichungen der Klagesorte selbst in den Jahren 2005 bis 2007 größer als eine Ausprägungsstufe (Ausprägungsstufen 2 – 4 bzw. 7 – 5).
CPVO No. : 2; Merkmal: Trieb; Erteilungsbeschluss (2001): 3; Klagesorte (2005), (2006), (2007): 2,4,4
CPVO No. : 10; Merkmal: Blütenstand, Durchmesser; Erteilungsbeschluss (2001): 6; Klagesorte (2005), (2006), (2007): 7, 6, 5
Wie sich aus der obigen Tabelle ergibt, weichen die Ausprägungsstufen der Merkmale 2 und 12 der angegriffenen Pflanzenform nicht nur von den Ausprägungsstufen der amtlichen Sortenbeschreibung ab, sondern gehen gleichzeitig über die festgestellten Ausprägungsstufen der Merkmale der Klagesorte in den Jahren 2006 bzw. 2007 sogar hinaus.
CPVO No.: 2; Merkmal: Trieb; Erteilungsbeschluss (2001): 3; Klagesorte (2005), (2006), (2007): 2, 4, 4; H-02 (2004), (2006), (2007): 3, 5, 4
CPVO No.: 12; Merkmal: Zungenblüte; Erteilungsbeschluss (2001): 8; Klagesorte (2005), (2006), (2007): 7, 7, 7; H-02 (2004), (2006), (2007): 7, 8, 6
Vor dem Hintergrund, dass bereits Modifikationen im Rahmen der Grenzwertbestimmung berücksichtigt wurden, können diese Modifikationen nicht zusätzlich für die Frage einer Schutzrechtsverletzung herangezogen werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn die festgestellten Modifikationen der angegriffenen Pflanzenform über die festgestellten Modifikationen der Klagesorte hinausgehen und sich von den Ausprägungsstufen der Merkmale der amtlichen Sortenbeschreibung weiter entfernen. Dies würde für sich genommen dazu führen, dass die Modifikationen jedenfalls für das jeweilige Jahr außerhalb des nach der Rechtsprechung zuerkannten Toleranzbereichs liegen würden. Da die Abweichungen zum Teil erheblich sind, zeigt sich, um dem Grundsatz der Rechtssicherheit gerecht zu werden, dass Modifikationen nicht – wie im vorliegenden Fall – mehrfach berücksichtigt werden dürfen. Eine solche Betrachtung rechtfertigt aus Rechtsgründen nicht die Annahme einer Sortenschutzverletzung.
e)
Diesem Ergebnis stehen die Ausführungen der Sachverständigen nicht entgegen. Die Ausführungen der Sachverständigen verhalten sich über die tatsächlichen Feststellungen der Ausprägungsstufen der einzelnen Merkmale in den einzelnen Jahren.
Soweit die Sachverständige zum dem Ergebnis kommt, die vom Bundessortenamt geprüften Pflanzen, die aus der Sphäre des Klägers aus den Jahren 2006 und 2007 stammen, seien der Klagesorte zuzuordnen und die Pflanzen „H 02“ würden in den Schutzbereich der Klagesorte fallen, vermag dies allein kein anderes Ergebnis rechtfertigen. Denn streitentscheidend ist allein die Rechtsfrage, ob eine Verletzung der Klagesorte vorliegt oder nicht. Es bedurfte keiner weiteren Feststellung zu der Frage, ob und wie Modifikationen von Ausprägungen einzelner Merkmale berücksichtigt werden, denn diese Feststellungen sind zwischen den Parteien unstreitig und stimmen mit den Ausführungen der Sachverständigen überein.
Aus diesem Grund konnte von einer – von den Parteien auch nicht beantragten – Anhörung der Sachverständigen abgesehen werden.
Soweit die Sachverständige in ihrem schriftlichen Sachverständigengutachten vom 26.03.2012 ausführt, dass der Einfluss der Umweltbedingungen auf die Modifikationen von Ausprägungen der Merkmale 2, 3 und 4 besonders groß ist, mag dies Einfluss auf die jeweilige Bestimmung der Grenzwerte oder den Toleranzbereich haben. Es kann aber aus Rechtsgründen nicht dazu führen, die Modifikationen wiederholt zu berücksichtigen.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 1, 2 ZPO.
Streitwert: 250.000,- EUR.