Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 24. März 2011, Az. 4b O 249/10
Die einstweilige Verfügung der Kammer vom 22.11.2010 bleibt im Kostenausspruch (Ziffer IV.) aufrecht erhalten.
Die Antragsgegnerin trägt auch die weiteren Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Die Antragstellerin ist alleinige Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 347 XXX sowie des ergänzenden Schutzzertifikats DE 103 99 XXX.5. Beide Schutzrechte betreffen den Wirkstoff Escitalopram bzw. mit diesem Wirkstoff hergestellte Arzneimittel.
Durch ein Schreiben vom 15.10.2010 (Anlage ASt9) erlangte die Antragstellerin Kenntnis davon, dass die Antragsgegnerin Arzneimittel mit dem Wirkstoff Escitalopram in fertiger Tablettenform bei einem Drittanbieter bestellt und von diesem geliefert bekommen hatte. Mit Schreiben vom 17.11.2010 (Anlagenkonvolut Ast12) mahnte die Antragstellerin daher die Antragsgegnerin ab und forderte sie unter Fristsetzung bis zum nächsten Tag auf, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. Die Antragsgegnerin wies die gesetzte Frist mit Schreiben vom 18.11.2010 (Anlagenkonvolut Ast12) als unangemessen zurück und erklärte, zu keinem Zeitpunkt escitalopramhaltige Arzneimittel in den Verkehr gebracht zu haben. Vielmehr habe sie „die erhaltenen Waren“ bereits am 24.09.2009 vernichtet.
Am 19.11.2010 hat die Antragstellerin deshalb eine einstweilige Verfügung beantragt, woraufhin der Antragsgegnerin durch Beschluss der Kammer vom 22.11.2010 unter Ziffer I. untersagt worden ist, Arzneimittel mit dem Wirkstoff Escitalopram bzw. dessen nicht-toxischen Säure-Additionssalzen, einschließlich Escitalopramoxalat, in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen. Zugleich ist der Antragsgegnerin in Ziffer III. des Beschlusses – neben der unverzüglichen Rechnungslegung – aufgegeben worden, die in ihrem Besitz oder Eigentum befindlichen, unter Ziffer I. bezeichneten Erzeugnisse an einen von der Antragstellerin zu bestimmenden, örtlich zuständigen Gerichtsvollzieher zum Zwecke der vorläufigen Verwahrung herauszugeben.
Gegen die einstweilige Beschlussverfügung hat die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 09.12.2010 Kostenwiderspruch eingelegt, mit dem sie geltend macht, keinen Anlass zur Einleitung des einstweiligen Verfügungsverfahrens gegeben zu haben. Insbesondere sei die von der Antragstellerin mit Schreiben vom 17.11.2010 gesetzte Frist unangemessen kurz gewesen. Indem sie innerhalb dieser Frist reagiert und mitgeteilt habe, dass die bezogene Ware bereits vernichtet worden sei und dass sie wegen der geforderten Unterlassungserklärung innerhalb einer angemessenen Frist wieder auf die Antragstellerin zukommen wolle, habe sie alles Erforderliche getan. Der Antragstellerin sei bekannt gewesen, dass sie – die Antragsgegnerin – von den ihr ursprünglich im Jahr 2008 erteilten Zulassungen infolge des Drittwiderspruchs der Antragstellerin keinen Gebrauch habe machen können und dass sie die streitgegenständlichen Arzneimittel daher nicht in Verkehr gebracht habe. Im Übrigen habe auch deshalb kein Anlass für eine derart kurze Fristsetzung bestanden, weil die Monatsfrist zur Vermutung der Dringlichkeit bereits verstrichen gewesen sei.
Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,
die einstweilige Verfügung des Landgerichts Düsseldorf vom 22.11.2010 im Kostenpunkt (Ziffer IV.) dahin abzuändern, dass der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens auferlegt werden.
Die Antragstellerin beantragt,
zu erkennen wie geschehen.
Die Antragstellerin ist der Auffassung, eine vorherige Abmahnung der Antragsgegnerin sei vorliegend entbehrlich gewesen, weil sie in ihrem Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung nicht nur Unterlassung und Rechnungslegung, sondern auch Sequestration beantragt habe. In einem solchen Fall könne eine Abmahnung grundsätzlich nicht verlangt werden, weil diese es der Gegenseite ermöglichen würde, patentverletzende Waren vor Erlass und Vollziehung der einstweiligen Verfügung zu beseitigen. Sei aber eine vorherige Abmahnung ohnehin entbehrlich, so könne die in ihrem Abmahnschreiben vom 17.11.2010 gesetzte Frist von einem Tag nicht unangemessen kurz sein. Sie habe hiermit der Antragsgegnerin die Gelegenheit geben wollen, den geltend gemachten Anspruch anzuerkennen, gleichwohl habe sie aber verhindern müssen, dass bei der Antragsgegnerin vorhandene Verletzungsprodukte als Reaktion auf die Abmahnung beiseite geschafft würden. Im Übrigen habe die Antragsgegnerin bis zum 25.11.2010 – d.h. innerhalb von 8 Tagen nach Erhalt der Abmahnung – immer noch nicht die geforderte strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben. Dies zeige, dass auch eine längere Frist die Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe nicht entbehrlich gemacht hätte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Kostenwiderspruch der Antragsgegnerin ist zwar zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.
Nachdem die Antragsgegnerin ihren Widerspruch ausdrücklich auf die Kostenentscheidung beschränkt hat, steht die materielle Berechtigung der gegen sie ergangenen Beschlussverfügung fest. Insbesondere ist ihr der Einwand verwehrt, die Dringlichkeit sei infolge des Zeitablaufs zwischen der Kenntniserlangung der Antragstellerin und dem Einreichen des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu verneinen gewesen. Bei der infolge des Kostenwiderspruchs gegebenen Verfahrenslage ist die Antragsgegnerin ohne weiteres als in der Sache unterlegene Partei anzusehen, welche nach der allgemeinen Regelung in § 91 Abs. 1 ZPO die Kostenlast trifft.
Die Sondervorschrift des § 93 ZPO – die grundsätzlich auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes einschlägig ist (Zöller/Herget, ZPO, 28. Aufl., § 93 Rn. 6, Stichwort: Einstweilige Verfügung) – kommt vorliegend nicht zum Tragen. Die Bestimmung besagt, dass dem obsiegenden Kläger die Kosten aufzuerlegen sind, wenn der Beklagte den Klageanspruch sofort anerkennt und dem Kläger zuvor keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat. Vorliegend fehlt es an der letztgenannten Voraussetzung. Die Antragstellerin steht zu Recht auf dem Standpunkt, dass die Antragsgegnerin Veranlassung zur Einreichung des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegeben hat.
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Abmahnung, sofern eine Sequestration zur Sicherung des Anspruchs auf Vernichtung rechtsverletzender Ware begründet geltend gemacht wird, unzumutbar ist, wenn die Abmahnung die Durchsetzung der berechtigten Ansprüche des Antragstellers vereiteln würde oder dies aus der Sicht des Antragstellers zumindest zu befürchten steht. Von einem derartigen Sachverhalt wird ausgegangen, wenn die in Verwahrung zu nehmende Sache aufgrund ihrer geringen Größe und ihrer Mobilität ohne weiteres beiseite geschafft und dadurch dem Zugriff des Gläubigers entzogen werden kann (OLG Düsseldorf, WRP 1997, 471, 472 – Ohrstecker). Wird mit dem Sequestrationsanspruch zugleich ein Unterlassungsanspruch geltend gemacht, so entfällt die Notwendigkeit einer Abmahnung nicht nur teilweise (für den Sequestrationsanspruch), sondern insgesamt, d.h. auch für den gleichzeitig eingeklagten Unterlassungsanspruch (OLGR Düsseldorf 1998, 270-272; OLG Hamburg, WRP 1988, 47; OLG Frankfurt/Main, InstGE 6, 51 – Sequestrationsanspruch).
Hiernach war eine Abmahnung durch die Antragstellerin entbehrlich. Denn die Antragstellerin musste damit rechnen, dass die Antragsgegnerin die streitgegenständlichen Arzneimittel beiseiteschaffen und dadurch den Sequestrationsanspruch der Antragstellerin vereiteln würde. Dies liegt bereits deshalb nahe, weil die Arzneimittel aufgrund ihrer Größe und ihrer Beschaffenheit ohne weiteres, d.h. insbesondere ohne übermäßig großen Logistik- und Zeitaufwand, an einen anderen Ort verbracht werden konnten.
Anhaltspunkte dafür, dass die zu vermutende Gefahr des Beiseiteschaffens der Ware und / oder anderer Vernebelungsaktionen ausgeschlossen werden konnte, hatte die Antragstellerin nicht. Zwar hat ihr die Antragsgegnerin in dem Schreiben vom 18.11.2010 mitgeteilt, dass sämtliche streitgegenständlichen Arzneimittel vernichtet worden seien, Nachweise hierfür hat die Antragsgegnerin aber nicht erbracht. Dies wäre erforderlich gewesen, um die Gefahr der Vereitelung eines Sequestrationsanspruches sicher auszuschließen. Angesichts der drohenden Gefahr war die Antragstellerin nicht verpflichtet, die Antragsgegnerin zur Glaubhaftmachung ihres Vortrags aufzufordern, da die hiermit verbundene zeitliche Verzögerung die Gefahr der Vereitelung eines Sequestrationsanspruches erhöht hätte.
Soweit die Antragsgegnerin weiter geltend macht, an einem Vertrieb der angegriffenen Arzneimittel schon deshalb kein Interesse mehr gehabt zu haben, weil die Haltbarkeitsdauer überschritten gewesen sei, ist nicht vorgetragen, dass die Antragstellerin von diesem Umstand Kenntnis hatte. Im Übrigen hätte sich die Antragstellerin auch nicht darauf verlassen müssen, dass allein der Ablauf der Haltbarkeitsdauer der Medikamente die Antragsgegnerin an einer Vereitelung des Sequestrationsanspruches gehindert hätte.
Obwohl eine Abmahnung nach dem Vorstehenden entbehrlich gewesen wäre, hat die Antragstellerin der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 17.11.2010 die Möglichkeit eingeräumt, ein gerichtliches Verfahren zu vermeiden. Die dabei gesetzte Frist von einem Tag war ausreichend.
Eine Verlängerung dieser Frist kann insbesondere nicht damit begründet werden, die Antragstellerin selbst habe die Patentverletzung nicht zügig verfolgt, sondern sei erst ca. einen Monat nach Kenntniserlangung tätig geworden. Dies ist eine Frage der Dringlichkeit der einstweiligen Verfügung, über die durch Beschluss vom 22.11.2010 abschließend entschieden worden ist. Indem die Antragstellerin die Antragsgegnerin vor Einreichung eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgemahnt und ihr binnen eines Tages Gelegenheit gegeben hat, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben, hat sie bereits mehr als das Zumutbare getan. Die Gewährung einer längeren Frist war nicht veranlasst, da sie hierdurch die Gefahr einer Vereitelung ihres Sequestrationsanspruches infolge der ausgesprochenen Abmahnung erhöht hätte.
Demgegenüber wäre es der Antragsgegnerin möglich und zumutbar gewesen, binnen der eingeräumten Frist eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. So führt sie selbst nicht an, dass sie zu diesem Zeitpunkt Zweifel an einer patentverletzenden Wirkung der streitgegenständlichen Arzneimittel gehabt hätte. Vielmehr hat sie sich mit dieser Frage nach ihrem eigenen Vortrag bereits einige Zeit zuvor auseinandergesetzt und infolge der dabei gewonnenen Erkenntnisse die patentverletzenden Arzneimittel nicht in den Verkehr gebracht.
Im Übrigen zeigt auch der Umstand, dass die Antragsgegnerin bis zur Zustellung der einstweiligen Verfügung am 25.11.2010 keine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hat, dass eine längere Fristsetzung durch die Antragstellerin die Einleitung des gerichtlichen Verfahrens nicht hätte verhindern können. Die diesbezüglich von der Antragsgegnerin erhobenen Einwände vermögen nicht zu überzeugen. So kann weder der Umstand, dass die Antragsgegnerin neben der Unterlassung auch Auskunft schuldete, noch die Zustellung der einstweiligen Verfügung am 25.11.2010, nach der die Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe von der Antragsgegnerin nicht mehr hätte verhindert werden können, darüber hinwegtäuschen, dass die Antragsgegnerin in dem Zeitraum vom 17.11.2010 (Abmahnung) bis zum 25.11.2010 (Zustellung der einstweiligen Verfügung), d.h. binnen einer Frist von acht Tagen, die geforderte strafbewehrte Unterlassungserklärung nicht abgegeben hat. Dies lässt den Schluss zu, dass jedenfalls durch die Setzung einer Frist von acht Tagen die Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe nicht hätte vermieden werden können. Zur Setzung einer längeren Frist war die Antragstellerin vor dem Hintergrund der dargestellten Umstände keinesfalls verpflichtet.
Die weitere Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.