4a O 216/09 – Fahrradgangschalter (2)

Düsseldorfer Entscheidung Nr.:  1609

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 5. Mai 2011, Az. 4a O 216/09

I. Die Beklagten werden verurteilt,

1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- EUR, er-satzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, die Ordnungshaft bezüglich der Beklagten zu 1. bis 3. zu vollziehen an dem jeweiligen Geschäftsführer, zu unterlassen,

Schalter zur Betätigung eines Getriebes an einem Fahrrad, umfassend ein Schaltergehäuse, einen Seilspeicher zum Aufwickeln eines Seiles zur Betätigung einzelner Gangstufen des Getriebes, einen Spannhebel und einen Freigabehebel, wobei der Spannhebel am Schaltergehäuse zur Schaltung einzelner Gangstufen im Getriebe in einer Seilaufwickeldrehrichtung verdrehbar ist, während in einer Seilfreigabedrehrichtung durch die Betätigung des Freigabehebels jeweils mindestens eine Gangstufe schaltbar ist, wobei das Schaltergehäuse mit einer an einem Lenker anbringbaren Schelle versehen ist,

in Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen, zu benutzen und/oder zu diesen Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,

bei denen die Schelle zum Schaltergehäuse gesondert ausge-bildet ist und gegenüber dem Schaltergehäuse parallel zum Lenker zwischen unterschiedlichen Anbringpositionen am Schaltergehäuse verschiebbar ausgebildet ist;

2. der Klägerin Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagten seit dem 18.10.2008 die in Zif-fer I. 1. bezeichneten Handlungen begangen haben, und zwar unter Angabe

a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen nebst Namen und Anschriften der Abnehmer,

b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebots-mengen, -zeiten und -preisen sowie Namen und An-schriften der Angebotsempfänger,

c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, Auflagenhöhe, Verbreitungszeit-raum und Verbreitungsgebiet,

d) sowie des erzielten Gewinns unter Angabe der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten,

wobei es den Beklagten vorbehalten bleiben mag, die Namen und Anschriften der nicht gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu be-zeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichte-ten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist.

II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch ver-pflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I. 1. bezeichneten, seit dem 18.10.2008 begangenen Hand-lungen entstanden ist oder noch entstehen wird.

III. Die Kosten des Rechtsstreits werden den Beklagten als Gesamt-schuldnern auferlegt.

IV. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 250.000,- EUR vorläufig vollstreckbar.
Die Sicherheitsleistung kann auch durch eine unwiderrufliche, unbedingte, unbefristete und selbstschuldnerische Bürgschaft einer in der Europäischen Union als Zoll- oder Steuerbürgin anerkannten Bank oder Sparkasse erbracht werden.

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagten aus dem europäischen Patent 1 623 XXX B1 (im Folgenden: Klagepatent), dessen eingetragene Inhaberin sie ist, auf Unter-lassung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung sowie die Feststellung der Schadenersatzpflicht in Anspruch. Das Klagepatent wurde am 03.08.2005 unter Inanspruchnahme der Priorität der DE 102004037XXX vom 04.08.2004 in deutscher Sprache angemeldet. Die Veröffentlichung der Erteilung des Klagepatents erfolgte am 21.05.2008. Das Klagepatent ist in Kraft. Mit Schriftsatz vom 28.05.2008 hat die Beklagte zu 1) Einspruch gegen die Erteilung des Klagepatents eingelegt, über den bisher nicht entschieden wurde.

Das Klagepatent trägt die Bezeichnung „Verstelleinrichtung für Triggerschalter“. Sein hier allein maßgeblicher Patentanspruch 6 lautet:

„Schalter zur Betätigung eines Getriebes an einem Fahrrad, umfassend ein Schaltergehäuse (1), einen Seilspeicher zum Aufwickeln eines Seiles zur Betätigung einzelner Gangstufen des Getriebes, einen Spannhebel (2) und einen Freigabehebel (4), wobei der Spannhebel (2) am Schaltergehäuse (1) zur Schaltung einzelner Gangstufen im Getriebe in einer Seilaufwickeldrehrich-tung verdrehbar ist, während in einer Seilfreigabedrehrichtung durch die Betätigung des Freigabehebels (4) jeweils mindestens eine Gangstufe schaltbar ist, wobei das Schaltergehäuse (1) mit einer an einem Lenker (8) anbringbaren Schelle (6) versehen ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Schelle (6) zum Schaltergehäuse (1) gesondert ausgebildet und gegenüber dem Schaltergehäuse (1) parallel zum Lenker (8) zwischen unterschiedlichen Anbringungspositionen am Schaltergehäuse (1) verschiebbar ausgebildet ist.“

Die nachfolgend (verkleinert) wiedergegebene Figur 1 zeigt nach der Beschreibung des Klagepatents einen Schalter mit einem Schaltergehäuse, einer Schelle, einem Spann- und einem Freigabehebel. In Figur 2 ist die Anordnung der Schelle auf einem Sockel am Schaltergehäuse in einer Teilansicht zu sehen.
In Figur 6 ist die Schelle mit dem Schaltergehäuse am Lenker neben der Bremsbandage angeordnet. Figur 7 zeigt die Anordnung der Schelle mit dem Schaltergehäuse am Lenker zwischen einem Griffteil und einer Bremsbandage.
Die Beklagte zu 1) stellt her und vertreibt über ihre Tochtergesellschaft, die Be-klagte zu 2), durch die Beklagten zu 3) und 4) in der Bundesrepublik Deutsch-land unter der Bezeichnung XX-X XXX (XXX), XX-X XXX (XX) und XX-X XXX(X) Fahrradgangschalter (im Folgenden angegriffene Ausführungsform I), die im Hinblick auf die hier interessierenden technischen Merkmale im Wesentlichen gleich gestaltet sind. Nachfolgend ist beispielhaft der Schalter XX-X XXX eingeblendet:
Im Hinblick auf die Gestaltung der übrigen Schalter wird auf die Anlagen K 15 bis K 22 Bezug genommen. Die Befestigung der angegriffenen Ausführungs-form I am Fahrradlenker lässt sich aus den durch die Beklagten in der Klageer-widerung eingeblendeten Prinzipienskizzen erkennen, deren Richtigkeit die Klägerin nicht in Frage gestellt hat:
Zu den durch die Beklagten in der Bundesrepublik Deutschland vertriebenen Fahrradgangschaltern gehört weiterhin das Modell XX-X XXX der Produktserie XXX (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform II). Ein entsprechender Schalter ist nachfolgend eingeblendet:
Auch die Funktionsweise der angegriffenen Ausführungsform II lässt sich aus den durch die Beklagten in der Klageerwiderung eingeblendeten Prinzipienskizzen erkennen, welche die Klägerin nicht in Frage gestellt hat:
Nach Auffassung der Klägerin machen die angegriffenen Ausführungsformen wortsinngemäß von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch.

Die Klägerin beantragt,

zu erkennen wie geschehen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen;

hilfsweise:
das Verletzungsverfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den gegen das Klagepatent eingereichten Einspruch auszusetzen.

Die Beklagten meinen, die angegriffenen Ausführungsformen würden von der technischen Lehre des Klagepatents keinen Gebrauch machen, da die Schelle nicht gegenüber dem Schaltergehäuse parallel zum Lenker zwischen unterschiedlichen Anbringpositionen am Schaltergehäuse verschiebbar ausgebildet sei. Nach der technischen Lehre des Klagepatents müsse das Schaltergehäuse unterschiedliche Anbringpositionen aufweisen, zwischen denen die Schelle verschiebbar sei. Bei der angegriffenen Ausführungsform I würden sich jedoch am Schaltergehäuse zwei Schraubgewinde befinden, an denen die Schelle mittels zweier Schrauben angebracht sei, wobei stets beide Schraubgewinde genutzt würden. Die Schraubgewinde würden daher keine unterschiedlichen Anbringpo-sitionen für die Schelle zur Verfügung stellen. Die Anbringposition variiere daher allein danach, welche der beiden äußeren Bohrungen neben der (stets besetzten) mittleren Bohrung an der Schelle verwendet werde. Ebenso weise auch die angegriffene Ausführungsform II nur eine Anbringposition am Schaltergehäuse auf, die Verstellmöglichkeit ergebe sich allein aus der länglichen Öffnung (Führung) an der Schelle. Dass es sich dabei um keine patentgemäße Lösung handeln könne, zeige bereits ein Vergleich mit der in der Klagepatentschrift als Stand der Technik gewürdigten JP-A-63-315390, aus der Schaltervorrichtungen mit unterschiedlichen Anbringpositionen an der Schelle bekannt gewesen seien.

Darüber hinaus sei es für die Verwirklichung der technischen Lehre des Klagepatents erforderlich, dass die Schelle parallel zum Lenker verschiebbar sei. Dies setze definitionsgemäß eine ununterbrochene, gleitende und lineare Bewegung voraus. Bei der angegriffenen Ausführungsform I fänden sich jedoch eine Ausbuchtung („Nase“) zwischen den Schraubgewinden am Schaltergehäuse und entsprechende Einbuchtungen zwischen den Anbringpositionen am Befestigungsarm der Schelle. Wegen der Nase und den Einbuchtungen sei es dem Nutzer, wenn er das Schaltergehäuse an der zweiten Anbringposition der Schelle befestigen wolle, nicht möglich, eine lineare Bewegung durchzuführen. Vielmehr könne er die Schelle nur durch eine Versetzung und damit gerade nicht durch eine Verschiebung relativ zum Schaltergehäuse in die zweite Position bringen.

Schließlich werde sich das Klagepatent im Einspruchsverfahren als nicht rechtsbeständig erweisen, da die technische Lehre von Patentanspruch 6 im Stand der Technik zumindest naheliegend, wenn nicht sogar neuheitsschädlich vorweggenommen werde und das Klagepatent im Übrigen auf einer unzulässigen Erweiterung beruhe.

Die Klägerin tritt diesem Vorbringen entgegen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die einge-reichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung sowie Feststellung der Schadenersatzpflicht aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. §§ 139 Abs. 1 und 2, 140b Abs. 1 und 3 PatG i. V. m. §§ 242, 259 BGB zu.

I.
Das Klagepatent betrifft einen Schalter zur Betätigung eines Getriebes an ei-nem Fahrrad.

Wie in der Klagepatentschrift einleitend ausgeführt wird, ist aus der EP 1 270 396 A2 ein Triggerschalter zur Betätigung einer Schaltung bekannt, der neben einem Bremshebel auf einem Lenker montiert ist, wobei die Bedienungshebel des Triggerschalters zu einem Griffteil am Lenker in einer allgemein günstigen ergonomischen Position stehen. An diesem Triggerschalter bezeichnet es das Klagepatent jedoch als nachteilig, dass dieser unter Berücksichtigung der un-terschiedlichen Größen der Hände der bedienenden Fahrer nicht ausreichend viele Verstellmöglichkeiten biete. Zudem lasse die Befestigung des Triggerschalters lediglich seine Verschiebung in Längsrichtung und seine Verdrehung um die Mittelachse des Lenkers zu. Schließlich würden die Positionen der drei Elemente, nämlich des Triggerschalters, des Bremshebels und des Griffteils, von vornherein festliegen.

Sodann geht das Klagepatent auf die DE-A-3405421 ein, aus der ein Schalter mit zwei Schalthebeln bekannt sei, die an einem Lagerbock schwenkbar gela-gert seien. Der Lagerbock sei mit einer am Fahrradrahmen anbringbaren Schelle fest verschraubt. Die beiden Schalthebel seien jeweils mit einem Schaltseil verbunden, um einen Umwerfer einer vorderen bzw. hinteren Kettenschaltung wahlweise umschalten zu können. Reibungsscheiben würden den Schalthebel in der jeweils gewünschten Schwenkstellung halten.

Als weiteren Stand der Technik erwähnt das Klagepatent die JP-A-63-315390 (1988), aus der ein Schalter mit einem einzigen Schalthebel bekannt sei, der an einem Arm wahlweise in einer von drei möglichen Positionen befestigbar sei. Der Arm wiederum stehe an der vom Griffteil des Lenkers abgewandten Seite eines Bremshebelträgers ab, der über eine Schelle, die Bremsbandage, befestigt sei.

Anschließend beschäftigt sich das Klagepatent mit der JP-A-2-31993 (1990), aus welcher ein Schalter mit lediglich einem Hebel bekannt sei, der am Brems-hebelträger auf der griffabgewandten Seite über einen Bolzen befestigt sei, der in eine Bohrung des Bremshebelträgers eingesteckt werde und innerhalb der Bohrung mittels einer Madenschraube in wahlweiser Position fixiert werden könne.

Schließlich setzt sich das Klagepatent mit der JP-U-134591 (1989) auseinan-der. Diese zeige einen Schalter mit nur einem Hebel mit einer Exzenterverbin-dung zwischen Hebelträger und Hebel mit einer zur Lenker-Längsrichtung senkrechten Exzenterachse, die eine dementsprechende Positionsverlagerung der Hebelschwenkachse längs des Exzenterkreises zulasse.

Vor diesem Hintergrund liegt dem Klagepatent die Aufgabe (das technische Problem) zugrunde, einen Schalter am Lenker zum Schalten von Gangstufen in einem Fahrradgetriebe zu schaffen, der einen Spannhebel und einen Freigabehebel aufweist, die sich ungeachtet der konstruktiven Ausgestaltung des Lenkers mit einem Bremshebel und dessen Bremsbandage entsprechend den individuellen Anforderungen der Fahrer ergonomisch optimal bedienen lassen.

Dies geschieht nach Patentanspruch 6 durch einen Schalter mit folgenden Merkmalen:

a) Schalter zur Betätigung eines Getriebes an einem Fahrrad, umfas-send,

b) ein Schaltergehäuse (1)

c) einen Seilspeicher zum Aufwickeln eines Seiles zur Betätigung einzelner Gangstufen eines Getriebes,

d) einen Spannhebel (2) und

e) einen Freigabehebel (4), wobei

f) der Spannhebel (2) am Schaltergehäuse (1) zur Schaltung ein-zelner Gangstufen im Getriebe in einer Seilaufwickeldrehrichtung verdreh-bar ist, während

g) in einer Seilfreigabedrehrichtung durch die Betätigung des Freigabehebels (4) jeweils mindestens eine Gangstufe schaltbar ist, wobei

h) das Schaltergehäuse (1) mit einer an einem Lenker (8) an-bringbaren Schelle versehen ist;

i) die Schelle (6) ist zum Schaltergehäuse gesondert ausgebildet und

j) gegenüber dem Schaltergehäuse (1) parallel zum Lenker (8) zwi-schen unterschiedlichen Anbringpositionen am Schaltergehäuse (1) verschiebbar ausgebildet.

II.
Nach dem Kern der Erfindung kommt es für die Verwirklichung der technischen Lehre des Klagepatents entscheidend darauf an, dass das Schaltergehäuse (1) mit einer an einem Lenker (8) anbringbaren Schelle (6) versehen ist, wobei Schelle (6) und Schaltergehäuse (1) gesondert ausgebildet und damit getrennte Bauteile sind (Merkmal i) und wobei die Schelle (6) gegenüber dem Schaltergehäuse (1) parallel zum Lenker (8) zwischen unterschiedlichen Anbringpositio-nen am Schaltergehäuse (1) verschiebbar ausgebildet ist (Merkmal j).

1.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist dem Wortlaut von Patentanspruch 6 nicht die zwingende Vorgabe zu entnehmen, dass am Schaltergehäuse mehrere Anbringpositionen zur Befestigung der Schelle vorhanden sein müssen, von denen jeweils nur eine oder einige verwendet werden. Vielmehr kommt es nach dem Wortlaut des Patentanspruchs nur darauf an, dass die Schelle (6) gegenüber dem Schaltergehäuse (1) parallel zum Lenker (8) verschiebbar angeordnet ist, wobei die Verschiebung zwischen unterschiedlichen Anbringposi-tionen am Schaltergehäuse (1) erfolgen soll. Entscheidend ist somit, dass Schelle (6) und Schaltergehäuse (1) relativ zueinander verschiebbar sind, so dass die Schelle, bezogen auf das Schaltergehäuse, in unterschiedlichen Positionen am Schaltergehäuse befestigt werden kann. Konkrete Vorgaben, wie die verschiedenen Anbringpositionen am Schaltergehäuse gestaltet sein sollen, entnimmt der Fachmann Patentanspruch 6, anders als den Unteransprüchen 7 und 8, demgegenüber nicht.

Dass es nach der technischen Lehre maßgeblich darauf ankommt, dass die Schelle räumlich gesehen am Schaltergehäuse unterschiedliche Positionen einnehmen kann, bestätigt dem Fachmann die Beschreibung des Klagepatents, nach der durch eine patentgemäße Gestaltung des Schalters eine individuelle Einstellbarkeit des Spannhebels und des Freigabehebels relativ zu der Lage des Griffteils ermöglicht werden soll. Durch die variable Befestigung einer Schelle am Schaltergehäuse soll somit erreicht werden, dass die Schelle des Schaltergehäuses – anders als im Stand der Technik (vgl. Abschnitte [0002] – [0005]) – entweder direkt neben dem Griffteil am Lenker oder erst im Anschluss an eine Bremsbandage des Handbremshebels montiert werden kann (vgl. Anlage K 1, Abschnitt [0008]). Dadurch kann der Schalter individuell an die Bedürfnisse der einzelnen Fahrer angepasst werden (vgl. Anlage K 1, Abschnitt [0017]).

Um diesen Vorteil zu erreichen, ist es wichtig, dass die Schelle (6) und das Schaltergehäuse (1) relativ zueinander beweglich sind, so dass die Schelle (6) und das Schaltergehäuse (1) verschiedene Stellungen zueinander einnehmen können. Darauf, wie die konkrete Befestigung zwischen Schelle (6) und Schaltergehäuse (1) ausgestaltet ist, ob insbesondere mehrere Befestigungslöcher an der Schelle oder dem Schaltergehäuse vorgesehen sind, kommt es demgegenüber nicht an. Die Aufgabe, einen Schalter am Lenker zum Schalten von Gangstufen in einem Fahrradgetriebe zu schaffen, der einen Spannhebel und einen Freigabehebel aufweist, die sich ungeachtet der konstruktiven Ausgestaltung des Lenkers mit einem Bremshebel und dessen Bremsbandage entsprechend den individuellen Anforderungen der Fahrer ergonomisch optimal bedienen lassen, wird unabhängig davon gelöst, ob am Schaltergehäuse (1) oder der Schelle (6) mehrere Befestigungsmöglichkeiten gegeben sind, von denen jeweils nicht alle zum Einsatz kommen (vgl. Anlage K 1, Abschnitt [0010]). Entscheidend ist vielmehr, dass, ausgehend vom Schaltergehäuse als Bezugspunkt, räumlich mehrere Anbringpositionen der Schelle möglich sind, um bei der Anbringung der Schaltervorrichtung am Lenker eine möglichst große Variabilität zu gewährleisten.

Dieser Auslegung steht nicht entgegen, dass nach der Beschreibung des Kla-gepatents aus der JP-A-63-315390 ein Schalter bekannt ist, der an einem Arm wahlweise in einer von drei möglichen Positionen befestigbar ist (vgl. Anlage K 1, Abschnitt [0004]). Das Klagepatent kritisiert die Befestigung an einem, drei mögliche Positionen aufweisenden Arm nicht. Unabhängig davon, dass die JP-A-63-315390 einen Schalter mit nur einem Schalthebel offenbart, grenzt sich das Klagepatent von der dort offenbarten Lösung bereits dadurch ab, dass mit Hilfe der Erfindung unabhängig von der konstruktiven Ausgestaltung des Lenkers mit einem Bremshebel und dessen Bremsbandage ein ergonomisch optimal bedienbarer Schalter bereitgestellt werden soll (vgl. Anlage K 1, Abschnitt [0010]). Dies ist bei der in der JP-A-63-315390 offenbarten technischen Lehre jedoch bereits deshalb nicht möglich, weil dort der Arm an der vom Griffteil des Lenkers abgewandten Seite eines Bremshebelträgers absteht, welcher am Lenker über eine Schelle, die Bremsbandage, befestigt ist (vgl. Anlage K 1, Abschnitt [0004]).

2.
Soweit Merkmal j) darüber hinaus fordert, dass die Schelle (6) gegenüber dem Schaltergehäuse (1) parallel zum Lenker verschiebbar ausgebildet sein soll, setzt dies unter Berücksichtigung der gebotenen funktionsorientierten Ausle-gung anders als die Beklagten meinen nicht zwingend eine ununterbrochene, gleitende, lineare Bewegung voraus.

Wie der Fachmann der Patentbeschreibung entnimmt, soll durch die parallele Verschiebbarkeit erreicht werden, dass die Schelle des Schaltergehäuses ent-weder direkt neben dem Griffteil am Lenker oder erst im Anschluss an eine Bremsbandage des Handbremshebels montiert werden kann (vgl. Anlage K 1, Abschnitt [0008]). Dafür ist es jedoch nicht zwingend erforderlich, dass die Ver-schiebung im Wege einer ununterbrochenen, gleitenden, linearen Bewegung erfolgt. Erforderlich, aber auch ausreichend ist es vielmehr, dass die Schelle parallel zum Lenker gegenüber dem Schaltergehäuse unterschiedliche Positionen einnehmen kann. Ob dies dadurch erfolgt, dass die Schelle (6) ge-genüber dem Schaltergehäuse (1) im Sinne einer ununterbrochenen, durchgehenden, gleitenden Bewegung parallel verschoben wird, oder da-durch, dass die Schelle (6) parallel versetzt wird, ist für die Verwirklichung der durch Patentanspruch 6 beanspruchten technischen Lehre ohne Bedeutung. Entsprechend sieht auch erst Unteranspruch 8 eine parallele Längsführung vor, auf der die Schelle verschoben werden kann.

III.
Dies vorausgeschickt machen die angegriffenen Ausführungsformen wortsinngemäß von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch. Zurecht haben die Beklagten die Verwirklichung der Merkmale a) bis h) nicht in Frage gestellt, so dass es insoweit keiner weiteren Ausführungen bedarf. Entgegen der Auffassung der Beklagten sind bei den angegriffenen Ausführungsformen auch die Merkmale i) und j) wortsinngemäß verwirklicht.

1.
Zunächst führt es aus dem Schutzbereich von Patentanspruch 6 nicht heraus, dass bei der angegriffenen Ausführungsform I die Anbringposition allein danach variiert, welche der beiden äußeren Bohrungen neben der (stets besetzten) mittleren Bohrung an der Schelle verwendet wird. Ebenso steht es der Verwirklichung der technischen Lehre des Klagepatents nicht entgegen, dass sich bei der angegriffenen Ausführungsform II eine Verstellmöglichkeit allein aus der länglichen Führung an der Schelle ergibt. Wie bereits im Rahmen der Auslegung des Klagepatents ausgeführt wurde, kommt es für die Verwirklichung der technischen Lehre des Klagepatents allein darauf an, dass die gegenüber dem Schaltergehäuse (1) gesondert ausgebildete Schelle (6) parallel zum Lenker (8) zwischen unterschiedlichen Anbringpositionen am Schaltergehäuse (1) verschiebbar ausgebildet ist, ohne dass Patentanspruch 6 konkrete konstruktive Vorgaben zu entnehmen sind, wie die unterschiedlichen Anbringpositionen am Schaltergehäuse (1) ausgestaltet sein sollen. Auf die diesbezüglichen Ausführungen wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

2.
Zudem steht es der Verwirklichung der technischen Lehre des Klagepatents auch nicht entgegen, dass sich bei der angegriffenen Ausführungsform I zwi-schen den beiden Schraubgewinden am Schaltergehäuse eine Ausbuchtung („Nase“) und entsprechende Einbuchtungen zwischen den Anbringpositionen am Befestigungsarm der Schelle befinden. Wie bereits dargestellt wurde, ist unter Zugrundelegung der gebotenen funktionsorientierten Auslegung keine ununterbrochene, gleitende und lineare Bewegung notwendig. Vielmehr ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass die Schelle parallel zum Lenker ge-genüber dem Schaltergehäuse unterschiedliche Positionen einnehmen kann, wofür auch eine Versetzung der Schelle genügt.

3.
Der durch die Beklagten vorsorglich erhobene Formstein-Einwand kann keinen Erfolg haben, weil die Klägerin lediglich eine wortsinngemäße, nicht aber eine äquivalente Verletzung des Klagepatents geltend macht (vgl. BGH GRUR 1999, 914 – Kontaktfederblock; Kühnen/Geschke, Die Durchsetzung von Patenten in der Praxis, 4. Auflage, Rz. 44).

IV.
Da die angegriffenen Ausführungsformen mithin Erzeugnisse darstellen, welche Gegenstand des Klagepatents sind, ohne dass die Beklagten zu einer Nutzung des Klagepatents berechtigt sind (§ 9 S. 2 Nr. 1 PatG), rechtfertigen sich die tenorierten Rechtsfolgen.

1.
Die Beklagten machen durch den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsfor-men in Deutschland widerrechtlich von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch, so dass sie gegenüber der Klägerin zur Unterlassung verpflichtet sind (Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 1 PatG).

2.
Des Weiteren haben die Beklagten der Klägerin Schadenersatz zu leisten (Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 2 PatG), denn als Fachunternehmen hätten sie die Patentverletzung durch die angegriffenen Ausführungsformen bei An-wendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennen können, § 276 BGB. Die genaue Schadenshöhe steht derzeit noch nicht fest. Da es jedoch ausrei-chend wahrscheinlich ist, dass der Klägerin durch die rechtsverletzenden Handlungen der Beklagten ein Schaden entstanden ist und dieser von der Klägerin noch nicht beziffert werden kann, weil sie ohne eigenes Verschulden in Unkenntnis über den Umfang der Benutzungs- und Verletzungshandlungen ist, ist ein rechtliches Interesse der Klägerin an einer Feststellung der Schadenersatzverpflichtung dem Grunde nach anzuerkennen, § 256 ZPO.

3.
Damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadener-satzanspruch zu beziffern, sind die Beklagten im zuerkannten Umfang zur Auskunftserteilung und Rechnungslegung verpflichtet (§§ 242, 259 BGB). Die Klägerin ist auf die zuerkannten Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt. Darüber hinaus werden die Beklagten durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet. Die Beklagten haben schließlich über Herkunft und Vertriebsweg der rechtsverletzenden Erzeugnisse Auskunft zu erteilen (Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. § 140 b PatG). Soweit ihre nicht gewerblichen Abnehmer und bloßen Angebotsempfänger hiervon betroffen sind, ist den Beklagten in Bezug auf ihre nicht gewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger ein Wirtschaftsprüfervorbehalt einzuräumen (vgl. Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 20.09.2001, Az.: 2 U 91/00).

V.
Für eine Aussetzung der Verhandlung besteht keine Veranlassung,
§ 148 ZPO.

1.
Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer (Mitt. 1988, 91 – Nickel-Chrom-Legierung; BIPMZ 1995, 121 – Hepatitis-C-Virus), die auch vom Oberlandesge-richt Düsseldorf (GRUR 1979, 188 – Flachdachabläufe; Mitt. 1997, 257, 258 – Steinknacker) und vom Bundesgerichtshof (GRUR 1987, 2784 – Transportfahrzeug) gebilligt wird, stellen ein Einspruch gegen das Klagepatent oder die Erhebung einer Nichtigkeitsklage als Solche noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtstreit auszusetzen, weil dies faktisch darauf hinauslaufen würde, dem Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beizumessen, die dem Gesetz fremd ist. Die Interessen der Parteien sind vielmehr gegeneinander abzuwägen, wobei grundsätzlich dem Interesse des Patentinhabers an der Durchsetzung seines erteilten Patents Vorrang gebührt. Die Aussetzung kommt deshalb nur dann in Betracht, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Widerruf oder eine Vernichtung des Klagepatents zu erwarten ist. Dies kann regelmäßig dann nicht angenommen werden, wenn der dem Klagepatent am nächsten kommende Stand der Technik bereits im Erteilungsverfahren berücksichtigt worden ist oder wenn neuer Stand der Technik lediglich belegen soll, dass das Klagepatent nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, sich jedoch auch auf eine Bejahung der Erfindungshöhe, die von der wertenden Beurteilung der hierfür zuständigen Instanzen abhängt, zumindest noch vernünftige Argumente finden lassen.

2.
Dies vorausgeschickt liegen die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Verhandlung nicht vor.

a)
Ohne Erfolg rügen die Beklagten im Verletzungsverfahren die fehlende Neuheit der durch Patentanspruch 6 beanspruchten Erfindung, Art. 100 lit. a) EPÜ i. V. m. Art. 54 EPÜ.

Auch nach dem Vortrag der Beklagten ist in keiner der durch sie herangezoge-nen Entgegenhaltungen die technische Lehre des Klagepatents vollständig offenbart. Soweit die Beklagten demgegenüber geltend machen, der Fachmann lese die jeweils fehlenden Merkmale automatisch mit, rechtfertigt auch dieses Vorbringen eine Aussetzung der Verhandlung unter dem Gesichtspunkt der fehlenden Neuheit nicht.

Zwar kann auch dasjenige offenbart sein, was im Patentanspruch und in der Beschreibung nicht ausdrücklich erwähnt, aus der Sicht des Fachmanns je-doch für die Ausführung der unter Schutz gestellten Lehre selbstverständlich ist und deshalb keiner besonderen Offenbarung bedarf, sondern „mitgelesen” wird. Die Einbeziehung von Selbstverständlichem erlaubt jedoch keine Ergänzung der Offenbarung durch das Fachwissen, sondern dient, nicht anders als die Ermittlung des Wortsinns eines Patentanspruchs, lediglich der vollständigen Ermittlung des Sinngehalts, das heißt derjenigen technischen Information, die der fachkundige Leser der Quelle vor dem Hintergrund seines Fachwissens entnimmt (vgl. BGH GRUR 2009, 382 – Olanzapin = Fortführung von BGHZ 128, 270 = GRUR, 1995, 330 – Elektrische Steckverbindung).

Dass der Fachmann vor diesem Hintergrund die jeweils fehlenden Merkmale mitliest, da diese für die Ausführung der unter Schutz gestellten technischen Lehre selbstverständlich sind, ist weder hinreichend vorgetragen, noch ersicht-lich. Vielmehr zeigt bereits die Beklagte zu 1) dadurch, dass sie sich im Ein-spruchsverfahren ausschließlich auf das Fehlen der erfinderischen Tätigkeit, nicht aber auf die fehlende Neuheit beruft, dass sie selbst nicht von einer feh-lenden Neuheit der Erfindung ausgeht.

b)
Die technische Lehre des hier allein streitgegenständlichen Patentanspruchs 6 wird in dem von den Beklagten entgegengehaltenen Stand der Technik auch nicht in einer die Aussetzung der Verhandlung rechtfertigenden Art und Weise naheliegend offenbart, Art. 100 lit. a) EPÜ i.V.m. Art. 54 EPÜ.

Die Beklagten gehen im Rahmen der Begründung des Fehlens einer erfinderischen Tätigkeit von der DE 102 24 196 (D1) aus, die ein Schaltergehäuse offenbart, das vorzugsweise eine Lenkerbefestigung aufweist, so dass das Schaltergehäuse mittels einer Lenkerbefestigung in Form einer Lenkerklemme und einer Klemmschraube am Lenker fixiert wird (vgl. D 1, Sp. 4, Z. 44 – 50 und Sp. 6, Z. 45 – 50). Damit sind – worauf die Beklagten zurecht hinweisen – in der Entgegenhaltung zumindest die Merkmale i) und j) von Patentanspruch 6 nicht offenbart.

Soweit die Beklagten sodann zur Begründung des Naheliegens auf die Entgegenhaltungen D 5 (JE-63-315390) und D 7 (JP-2-31993) abstellen, rechtfertigen diese Schriften eine Aussetzung der Verhandlung unter dem Ge-sichtspunkt des Fehlens einer erfinderischen Tätigkeit bereits deshalb nicht, weil sie im Patenterteilungsverfahren bereits berücksichtigt wurden und in der Klagepatentbeschreibung auch bereits ausdrücklich als Stand der Technik ge-würdigt sind. Auch die Entgegenhaltung D 4 (Händlerkatalog Systemkompo-nenten für die Freizeiterholung) rechtfertigt eine Aussetzung der Verhandlung bereits aus formellen Gründen nicht, da die Klägerin die offenkundige Verbrei-tung des Katalogs bestritten und die Beklagten Beweis nur durch Zeugenver-nehmung angeboten haben. Da eine Vernehmung der angebotenen Zeugin nur im Einspruchsverfahren, jedoch nicht im Verletzungsprozess erfolgt, ist bereits unvorhersehbar, in welcher Weise die benannte Zeugin aussagen wird und ob ihre Aussage, wenn sie für die Einspruchsführerin günstig ist, für glaubhaft gehalten wird. Schon wegen dieser gänzlich unsicheren Prognose verbietet sich die Annahme, es sei unter Einbeziehung der Entgegenhaltung D 4 mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine Vernichtung des Patents zu erwarten (vgl. Kühnen/Geschke, Die Durchsetzung von Patenten in der Praxis, 4. Auflage, Rz. 1051).

Überdies haben die Beklagten auch nicht hinreichend vorgetragen, welchen Anlass der Fachmann haben sollte, die einen Triggerschalter offenbarende D 1, bei dem das Schaltgehäuse mit einer Lenkerbefestigung verbunden ist, mit den Entgegenhaltungen D 4 – D 8 zu kombinieren, welche jeweils keine aus Spann- und Löshebel bestehenden Triggerschalter, sondern Schaltvorrichtungen mit nur einem Schalthebel aufweisen. Es ist unter Berücksichtigung des Aussetzungsmaßstabes zumindest nicht auszu-schließen, dass beide Konstruktionen jeweils unterschiedliche Anforderungen an die Ergonomie stellen.

Darüber hinaus offenbaren die Entgegenhaltungen D 4 bis D 7 auch nicht Merkmal h), wonach das Schaltergehäuse mit einer an einem Lenker anbring-baren Schelle versehen ist. Während es bei der in der D 7 offenbarten Lösung, bei welcher der Schalthebel mittels eines Achs-Stiftes befestigt wird, bereits an einer Schelle im Sinne des Klagepatents fehlt, ist das Schaltergehäuse nach der in den Entgegenhaltungen D 4 – D 6 offenbarten Lehre jeweils am Brems-hebelträger befestigt. Damit ist das Schaltergehäuse gerade nicht wie von Merkmal h) gefordert mit einer an einen Lenker anbringbaren Schelle versehen. Dass die Befestigung des Bremshebelträgers über eine Schelle am Lenker kein Versehen des Schaltergehäuses mit einer Schelle im Sinne des Klagepatents darstellt, erkennt der Fachmann aus der Klagepatentbeschrei-bung. Danach ist mit der durch Patentanspruch 6 beanspruchten Erfindung in Abgrenzung zum Stand der Technik der Vorteil verbunden, das die Position des Spannhebels und des Freigabehebels relativ zu der Lage des Griffteils individuell einstellbar ist, wobei die Schelle des Schaltergehäuses entweder direkt neben das Griffteil oder erst im Anschluss an die Bremsbandage des Handbremshebels angebracht werden kann (vgl. Anlage K 1, Abschnitt [0008]). Dieser patentgemäße Vorteil ist jedoch dann nicht zu erzielen, wenn – wie bei der in den Entgegenhaltungen offenbarten technischen Lehre – das Schalthebelgehäuse mit dem Bremshebelträger verbunden ist.

Soweit die Beklagten schließlich auf die D 8 (JP 1-1334591) abstellen, rechtfertigt auch diese Entgegenhaltung eine Aussetzung der Verhandlung unter dem Gesichtspunkt der mangelnden erfinderischen Tätigkeit nicht. Zwar findet der Fachmann dort in Bezug auf das in den Figuren 7 bis 9 dargestellte Ausführungsbeispiel, dass das Befestigungselement (26) die Lenkstange (1) umgreift und an dieser befestigt ist. Dabei weist das umgreifende Befestigungselement (26) auf der Innenseite, das heißt auf der Seite der Schalthebeleinheit (5), eine Bohrung (26) mit großem Durchmesser auf, in die das Auge (8) des (Schalthebel-) Trägers (6) hinein- und herausschiebbar eingesetzt ist, so dass der Abstand der Schalthebeleinheit (5) zu dem Bremshebel (2) beliebig eingestellt werden kann (vgl. Anlage HL 9a, S. 7, Mitte und insbesondere Figur 9). Jedoch handelt es sich bei dem Befestigungsteil (26) nicht um eine Schelle im Sinne des Klagepatents, sondern vielmehr um die Befestigung des Bremshebels. Dass die Befestigung des Bremshebels nicht zugleich die dem Schaltergehäuse zugeordnete Schelle sein kann, erkennt der Fachmann jedoch – wie bereits ausgeführt – aus der Abgrenzung des Klagepatents zum Stand der Technik, wo sich der Befestigungsarm an einem mit einer Schelle am Lenker befestigten Bremshebelträger befand (vgl. Anlage K 1, Abschnitt [0004]). Von derartigen Lösungen, bei denen die räumliche Anordnung von Bremshebelträger und Schalthebel derart vorgegeben ist, dass sich das Schaltergehäuse zwingend auf einer bestimmten Seite des Bremshebels befindet, möchte sich jedoch das Klagepatent gerade abgrenzen, indem durch die variable Befestigung der Schelle am Schaltergehäuse das Schaltergehäuse entweder direkt neben dem Griffteil am Lenker montiert werden kann oder erst im Anschluss an eine Bremsbandage des Handbremshebels (vgl. Anlage K 1, Abschnitt [0008] und Fig. 6 und 7). Dies ist jedoch dann nicht möglich, wenn, wie in Figur 9 der Entgegenhaltung gezeigt, das Befestigungselement (26) zugleich Teil des Bremshebels ist. Würde man demgegenüber das Auge (8) als Schelle ansehen, so fehlt es bereits an einer gesonderten Ausbildung von Schelle und Schaltergehäuse.

Auch die von den Beklagten darüber hinaus in der mündlichen Verhandlung zur Begründung der fehlenden erfinderischen Tätigkeit herangezogenen Figuren 1 und 4 rechtfertigen eine Aussetzung der Verhandlung nicht. Wie der Fachmann der Beschreibung der Entgegenhaltung entnimmt, zeigen die Figuren 1 – 6 ein erstes Ausführungsbeispiel der Erfindung, welches von dem in den Figuren 7 – 9 dargestellten, zweiten Ausführungsbeispiel zu unterscheiden ist. In Bezug auf das erste Ausführungsbeispiel findet der Fachmann in der Beschreibung der Entgegenhaltung, dass der (Schalthebel-) Träger (6) mit dem Auge (8) versehen ist, das um die Lenkstange (1) in Axialrichtung verschiebbar und um deren Achse drehbar aufgesteckt und befestigt ist. Wie der Fachmann der Entgegenhaltung in Bezug auf das dort offenbarte erste Ausführungsbeispiel jedoch weiter entnimmt, ist das Auge mittels des zylindrischen Befestigungselementes (9) fixiert (vgl. Anlage HL 9a, S. 4 unten – S. 5 oben und insbesondere Figur 1). Eine verschiebbare Ausgestaltung der Schelle gegenüber dem Schaltergehäuse parallel zum Lenker zwischen unterschiedlichen Anbringpositionen ist somit nach diesem Ausführungsbeispiel nicht vorgesehen. Soweit die Entgegenhaltung davon spricht, dass der (Schalthebel-) Träger (6) auch nach diesem Aus-führungsbeispiel in Axialrichtung der Lenkstange (1) verschiebbar und um de-ren Achse drehbar sein soll (vgl. Anlage HL 9a, S. 7 oben), erkennt der Fach-mann sowohl aus den zugehörigen Figuren, als auch aus der vorangegangenen Offenbarung der Fixierung des Auges (8) mittels des zylindrischen Befestigungselementes (9) (vgl. Anlage HL 9a, S. 5 oben), dass nicht das Auge (8) relativ zu dem zylindrischen Befestigungselement (9), sondern der (Schalthebel-) Träger (6) zusammen mit dem zylindrischen Befestigungselement (9) verschoben werden soll.

Welchen Anlass der Fachmann schließlich haben sollte, die in der Entgegen-haltung offenbarten Ausführungsbeispiele zu kombinieren, ist nicht erkennbar. Vielmehr handelt es sich dabei um eine typische rückschauende Betrachtung. Beide Ausführungsbeispiele zeigen in sich abgeschlossene Lösungen. Während das Auge (8) im ersten Ausführungsbeispiel an einem Befestigungselement (9) fixiert wird, handelt es sich bei dem Befestigungselement (26) nach dem zweiten Ausführungsbeispiel um einen Teil des Bremshebels, so dass dort keine, dem Schaltergehäuse zugeordnete Schelle vorhanden ist.

c)
Entgegen der Auffassung der Beklagten beruht das Klagepatent schließlich auch nicht auf einer unzulässigen Erweiterung, Art. 100 lit. c) EPÜ.

(1)
Ein Patent ist dann unzulässig erweitert, wenn sein Gegenstand über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinausgeht. Bei der Prüfung einer unzulässigen Erweiterung ist somit der Gegenstand des Patents, der durch die Patentansprüche definiert wird, mit dem Gesamtinhalt der ursprünglichen Anmeldung zu vergleichen. Der Inhalt der Patentanmeldung ist demnach nicht durch den Inhalt der Patentansprüche begrenzt. Vielmehr dürfen alle Gegenstände, die sich einem Fachmann aus der ursprünglichen Anmeldung ohne Weiteres erschließen, zum Gegenstand eines Patents gemacht werden (vgl. Schulte/Moufang, PatG, 8. Auflage, § 21 Rz. 55 ff.).

(2)
Dies vorausgeschickt ist es unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Erweiterung nicht hinreichend wahrscheinlich, dass Anspruch 6 des Klagepatents im Einspruchsverfahren tatsächlich für nichtig erklärt werden wird.

Ohne Erfolg wenden die Beklagten zunächst ein, in der Offenlegungsschrift des Klagepatents (Anlage HL 7) sei Merkmal j) nicht offenbart, es fehle somit an einer Offenbarung, dass die Schelle (6) gegenüber dem Schaltergehäuse parallel zum Lenker zwischen unterschiedlichen Anbringpositionen am Schaltergehäuse verschiebbar ausgebildet sein soll. Wie der Fachmann zunächst Anspruch 7 der Offenlegungsschrift entnimmt, soll das Schaltergehäuse (1) eine Schelle aufweisen, deren Position am Schaltergehäuse (1) veränderbar ist. Daraus erkennt der Fachmann, dass die Schelle zum Schaltergehäuse gesondert ausgebildet und dass die Position der Schelle gegenüber dem Schaltergehäuse veränderbar sein muss. Da, wie bereits im Rahmen der Auslegung des Klagepatents im Einzelnen dargestellt wurde, auch nach der technischen Lehre des Klagepatents der Begriff der parallelen Verschiebbarkeit nicht zwingend eine ununterbrochene, gleitende, lineare Bewegung voraussetzt, ist damit auch eine Verschiebbarkeit der Schelle gegenüber dem Schaltergehäuse offenbart.

Außerdem entnimmt der Fachmann Abschnitt [0012] der Offenlegungsschrift, dass die Schelle gegenüber dem Schaltergehäuse verstellbar sein soll, wobei das Schaltergehäuse gegenüber einem Griffteil parallel zum Lenker verschieb-bar angeordnet sein muss. Dem Fachmann ist somit klar, dass einerseits die Schelle, mit deren Hilfe das Schaltergehäuse am Lenker befestigt wird, in sei-ner Position verschiebbar gegenüber dem Schaltergehäuse angeordnet sein soll und dass dieses Schaltergehäuse wiederum parallel zum Lenker ver-schiebbar sein muss. Da Patentanspruch 6 – wie bereits dargestellt – keine konstruktiven Vorgaben enthält, wie die verschiedenen Anbringpositionen der Schelle am Schaltergehäuse verwirklicht werden sollen, ist damit zugleich of-fenbart, die Schelle gegenüber dem Schaltergehäuse parallel zum Lenker zwi-schen unterschiedlichen Anbringpositionen am Schaltergehäuse verschiebbar auszubilden. Soweit die Beklagten demgegenüber in ihrer Duplik versuchen darzustellen, dass es auch Möglichkeiten der Verschiebung des Schaltergehäuses parallel zum Lenker gibt, die nicht gleichzeitig eine parallele Verschiebung der Schelle nach sich ziehen, übersehen sie, dass in Abschnitt [0012] weiter offenbart ist, dass das Schaltergehäuse darüber hinaus entweder direkt neben dem Griffteil am Lenker oder erst im Anschluss an die Bremsbandage angebracht werden soll, was auch eine parallele Verschiebung der Schelle zum Lenker voraussetzt.

Schließlich trägt auch der Hinweis der Beklagten, die Klägerin habe in den Ab-schnitten [0004] und [0005] der Offenlegungsschrift (= Abschnitte [0007] und [0008] der Klagepatentschrift) jeweils den Zusatz „bevorzugt“ eingefügt, zumin-dest in Bezug auf den hier allein streitgegenständlichen Patentanspruch 6 den Vorwurf der unzulässigen Erweiterung nicht. Die Ergänzung in Abschnitt [0004] (= Sp. 1, Z. 54) der Offenlegungsschrift betrifft den hier nicht streitgegenständlichen Patentanspruch 1. Zwar gilt dies für die zweite Ergänzung in Abschnitt [0005] (= Sp. 2, Z. 16 f.) nicht. Jedoch erkennt der Fachmann bereits aus einer Zusammenschau von Patentanspruch 7 der Offenlegungsschrift mit Unteranspruch 8, dass es sich bei der betroffenen Gestaltung um ein bevorzugtes Ausführungsbeispiel handelt. Die Hinzufügung des Zusatzes „bevorzugt“ war somit lediglich deklaratorisch.

VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 709 S. 1, 108 ZPO.

Der Streitwert wird auf 250.000,- EUR festgesetzt.

Der Gewährung einer Schriftsatzfrist bedurfte es nicht, da der Schriftsatz der Klägerin vom 28.03.2011 den Beklagten noch innerhalb der Wochenfrist zuge-gangen ist und auch keinen neuen Tatsachenvortrag enthält, der es rechtferti-gen würde, den Beklagten gleichwohl eine Frist zur Stellungnahme einzuräu-men.