4a O 150/10 – Polstervorrichtung

Düsseldorfer Entscheidung Nr.:  1740

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 22. September 2011, Az. 4a O 150/10

Rechtsmittelinstanz: 2 U 94/11

I. Die Beklagten werden verurteilt,

1. es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwider-handlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- EUR – ersatzweise Ordnungshaft – oder Ordnungs-haft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfalle Ordnungshaft bis zu zwei Jahren – wobei die Ord-nungshaft an ihren jeweiligen gesetzlichen Vertretern zu vollstrecken ist – zu unterlassen,

Polsterliner zum Anfügen eines Amputationsstump-fes, wobei der Liner einen Stoff umfasst, der ein of-fenes Ende zum Einführen des Stumpfes und ein dem offenen Ende gegenüberliegendes geschlos-senes Ende aufweist,

in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen oder herzustellen,

die dadurch gekennzeichnet sind, dass das Textil-material, das verwendet wird, um den Stoff herzu-stellen, eine Dicke von 0,635 mm bis 3,175 mm (0,025 Inch bis 0,125 Inch) besitzt und dass der Stoff auf wenigstens dessen Innenseite mit einem Poly-mer-Polstermaterial beschichtet ist, welches die Haut des Amputationsstumpfes berührt, wenn durch einen Verwender getragen, um Lufttaschen zu minimieren oder zu eliminieren;

2. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in wel-chem Umfang sie die unter Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 09.12.2005 begangen haben, und zwar unter Angabe

a) der Herstellungsmengen und -zeiten, aufge-schlüsselt nach Typenbezeichnungen;

b) der Menge der erhaltenen und bestellten Er-zeugnisse, der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesit-zer sowie – im Falle von in mehrere Teilbe-stellungen aufgeteilten Bestellungen – durch Kennzeichnung der jeweils zusammenhän-genden Teile der Bestellungen;

c) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen und der Typenbezeichnung, sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer;

d) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen (und Typenbezeichnungen) sowie der Na-men und Anschriften der einzelnen Ange-botsempfänger,

e) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsge-biet, im Falle von Internetwerbung der Do-main, der Zugriffszahlen und der Schal-tungszeiträume;

f) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

wobei die Beklagten zum Nachweis der Angaben zu c) die entsprechenden Einkaufs- und Verkaufs-belege (Rechnungen oder Lieferscheine) in Kopie vorzulegen haben, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;

wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht gewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirt-schaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernehmen und ihn ermächtigen, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist.

II. Die Beklagte zu 1) wird darüber hinaus verurteilt,

1. die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder in ihrem Eigentum befindlichen, unter Ziffer I. 1. bezeichneten Erzeugnisse zu vernichten oder an einen von der Klägerin zu bestimmenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten zu 1) herauszugeben;

2. die unter Ziffer I. 1. bezeichneten, im Besitz gewerblicher Dritter befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagte zu 1) oder mit deren Zustimmung seit dem 01.09.2008 Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass die Kammer auf eine Verletzung des Klagepatents EP 0 762 XXX erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagte zu 1) zurückzugeben und den Dritten für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe zugesagt wird.

III. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner ver-pflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die in Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 09.12.2005 entstanden ist oder noch entstehen wird.

IV. Die Kosten des Rechtsstreits werden den Beklagten als Gesamt-schuldnern auferlegt.

V. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 500.000,- EUR vorläufig vollstreckbar.
Die Sicherheitsleistung kann auch durch eine unwiderrufliche, unbedingte, unbefristete und selbstschuldnerische Bürgschaft einer in der Europäischen Union als Zoll- oder Steuerbürgin anerkannten Bank oder Sparkasse erbracht werden.

Tatbestand:

Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des europäischen Patents 0 762 XXX B1 (im Folgenden: Klagepatent). Das Klagepatent wurde am 20.03.1996 unter Inanspruchnahme der Priorität zweier US-Patentschriften vom 20.03.1995 bzw. vom 05.03.1996 in englischer Verfahrenssprache angemeldet, wobei die Offenlegung der Patentanmeldung am 19.03.1997 erfolgte. Der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents wurde am 09.11.2005 veröffentlicht. Das Klagepatent steht in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft (DE 696 35 XXX T2). Gegen das Klagepatent haben die AGmbH & Co. KG und die B KG Einspruch eingelegt. Das Europäische Patentamt hat das Klagepatent daraufhin in der mündlichen Verhandlung vom 17.03.2011 in der hier streitgegenständlichen Fassung aufrecht erhalten. Gegen diese Entscheidung hat die B KG mit Schriftsatz vom 16.08.2011 Beschwerde eingelegt, über die noch nicht entschieden wurde.

Das Klagepatent trägt die die Bezeichnung „Polster Vorrichtung“ („Cushioning Liner“). Sein Patentanspruch 1 lautet in der durch die Einspruchsabteilung aufrecht erhaltenen Fassung:

„Polstervorrichtung zum Einschließen eines Amputationsstumpfes, wobei die Vorrichtung einen Stoff umfasst, der ein offenes Ende zum Einführen des Stumpfes und ein dem offenen Ende gegenüberliegendes geschlos-senes Ende aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass zur Herstellung des Stoffes ein Textilmaterial verwendet wird, das eine Dicke von 0,635 mm bis 3,175 mm (0,025 Inch bis 0,125 Inch) besitzt, wobei der Stoff auf wenigstens seiner Innenseite mit einem eng anliegenden Polymer-Pols-termaterial beschichtet ist, das die Haut des Amputationsstumpfes berührt, wenn durch einen Verwender getragen, um Lufttaschen zu minimieren oder zu eliminieren.“

Im Folgenden wird ein Ausführungsbeispiel der Erfindung dargestellt. Figur 5 zeigt nach der Patentbeschreibung eine Polstervorrichtung mit einer gleichför-migen Wanddicke.
Die Beklagte zu 1), deren Geschäftsführer der Beklagte zu 2) ist, vertreibt deutschlandweit unter dem Markennamen „C“ verschiedene Liner (im Folgenden: angegriffene Ausführungsformen). Derzeit unterteilen sich die streitgegenständlichen Liner in sieben Produktfamilien, wobei die Liner einer Produktfamilie teilweise in verschiedenen Ausstattungen erhältlich sind:

C: XXX000-XXX615
(erhältlich als Locking/Cushion, Stan-dard/Contoured, Matrix)

C Transfermoral: XXX0TF-XXX5TF
(erhältlich als Locking/Cushion, Stan-dard/Contoured)

C Vacuum Cushion: XXX700-XXX800
(erhältlich als Standard/Contoured)

C Twin GO: XXX000-XXX600
(erhältlich als Locking/Cushion, Stan-dard/Contoured)

C Soft: XXX000-XXX615
(erhältlich als Locking/Cushion, Stan-dard/Contoured, Matrix)

C Design Maßliner: XXX9000

Lite Liner mit exponierten Gel: XXX9510

Dabei weist die „Contoured“-Serie die gleichen Eigenschaften wie die „Stan-dard“-Serie auf. Beide Serien unterscheiden sich lediglich in der Dicke der Gel-Schicht. Während die „Standard“-Modelle über eine gleichmäßige Gel-Schicht verfügen, ist die distale Gelpolsterung bei den „Contoured“-Modellen 2 mm dicker. Die „TF“-Serie ist eine Sonderausführung der „Contoured“- und „Standard“-Serie für die speziellen Bedürfnisse von transfemoral Amputierten. Im Unterschied zu den normalen „Contoured“ und „Standard“-Modellen verfügen die „TF-Modelle“ über einen hochwertigen Textilbezug und eine durchgängige Matrix. Bei den „Matrix“-Modellen kann der Verwender wählen, ob der Stoff des Liners mit einer Matrix verstärkt werden soll und in welcher Länge.

Die „C Transfermoral“ bilden wie auch die „C Vacuum Cushion“ eine eigene (Unter-) Produktfamilie innerhalb der Produktfamilie „C“. Die „C TF“ verwenden standardmäßig eine durchgängige Matrix und einen besonders hochwertigen Textilbezug. Der Liner „C Vacuum Cushion“ ist nur als „Cushion“-Modell erhältlich. Die Außenseite des Liners kann mit einer Kniekappe versiegelt werden, um eine Vakuum-Haftung einzusetzen. Die Produktserie „C Soft“ zeichnet sich dadurch aus, dass die Liner ein Polymergel mit sehr geringer Shore-Härte verwenden. Bei der Produktfamilie „Lite Liner mit exponierten Gel“ endet die Stoffschicht am offenen Ende des Liners unterhalb der Polymerschicht, so dass die Polsterschicht aus Polymergel am offenen Ende des Liners frei liegt. Schließlich zeichnet sich der „C Twin Go“ dadurch aus, dass er über eine dynamische Matrix verfügt, die den Stumpf durch eine leichte Kompression formt. Zudem hat der Liner frontal eine stärkere Gelschicht, um das Schienbein und die Kniescheibe besser gegen Druck abzufedern. Auf der Vorderseite des Liners wird zudem ein anderes Textilmaterial als auf der Rückseite verwendet. Bei dem „C Design Maßliner“ kann der Verwender die Aufbringung des Stoffes frei wählen und insbesondere bestimmen, dass das obere Ende des Liners nicht mit Stoff überzogen ist oder dass im Bereich der Kniescheibe Stoff ausgespart wird.

Grundsätzlich sind alle Produkte der Beklagten sowohl mit als auch ohne einen distalen Anschluss erhältlich. Einzige Ausnahme bildet der „C Vacuum Cushion“, der nur ohne distalen Anschluss erhältlich ist. Bei diesem Liner hat der Verwender die Möglichkeit, mittels einer Vakuumpumpe ein Vakuum zwischen der Außenseite des Liners und dem Prothesenschaft anzulegen. Durch dieses Vakuum haftet die Prothese am Liner. Verzichtet der Verwender auf das Anlegen des Vacuums, kann er den „C Vacuum Cushion“ wie einen normalen Liner ohne distalen Anschluss verwenden.

Beispielhaft ist nachfolgend ein „C Locking – Standard – mit distalem Anschluss“ eingeblendet:
Die Klägerin meint, die angegriffenen Ausführungsformen würden von der technischen Lehre des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch machen. Zudem bestehe für eine Aussetzung der Verhandlung keine Veranlassung.

Die Klägerin beantragt,

zu erkennen wie geschehen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen;

hilfsweise: das Verfahren auszusetzen.

Sie meinen, es komme nach dem Wortlaut und dem technischen Zweck allein auf die Dicke des Textilmaterials im Stoff des „fertigen“ Liners an, nicht auf die Dicke im Fertigungsprozess. Diese Stoffdicke lasse sich jedoch methodisch und inhaltlich richtig nur mit einer REM-Messung bestimmen. Die durch die Beklagten auf dieser Grundlage in Auftrag gegebenen Messungen hätten jedoch gezeigt, dass die Stoffdicke im Mittelwert deutlich unter 0,635 mm liege.

Zudem haben die Beklagten den Einwand der Verjährung erhoben. Sie be-haupten, Herr Martin D habe als Geschäftsführer der E GmbH in der Zeit vom 03.01.2005 bis April 2009 auf Anweisung der Klägerin jährlich mindestens einen Cushion Liner und einen Locking Liner aus dem aktuellen Sortiment der Beklagten zu 1) bestellt und an die Klägerin weitergeleitet. Obwohl die Dicke des Textilmaterials noch nicht Anspruchsbestandteil gewesen sei, habe die Klägerin gegen den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen keinen Einwand erhoben, wobei der Klägerin auch bekannt gewesen sei, dass sich die Produkte der Beklagten zu 1) lediglich hinsichtlich der Form, Gel-stärke und Ausgestaltung des distalen Endes unterscheiden.
Schließlich sei das Klagepatent offensichtlich nicht rechtsbeständig. Verstehe man den Begriff „Textile material“ als Faden, der im fertigen Textil des Liners verwendet wird, liege eine unzulässige Erweiterung vor. Dieses Merkmal werde zwar durch die im Einspruchsverfahren geänderte Beschreibung gestützt, nicht hingegen durch die ursprüngliche Beschreibung. Stelle man demgegenüber auf die Dicke des Stoffes im Rohzustand ab, sei die technische Lehre des Klagepatents bereits durch von Herrn Michael F öffentlich vorbenutzte Liner des Typs „G“ bekannt gewesen. Messungen des Textilforschungsinstituts Thüringen-Vogtland e. V. hätten ergeben, dass die Dicke des Stoffes im Rohzustand bei den „G“-Linern ca. 0,77 mm betrage. Stelle man schließlich auf die Stoffdicke des fertigen Liners ab, fehle es auch an der Ausführbarkeit der Erfindung. Selbst der durch die Klägerin beauftragte Privatgutachter I bestätige, dass eine exakte Messung der Stoffdicke am fertigen Liner unmöglich sei, da hierfür kein standardisiertes Verfahren bereitstehe und das Patent selbst auch keinerlei Hinweis auf eine geeignete Stoffdicke enthalte.

Die Klägerin tritt diesem Vorbringen entgegen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die einge-reichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Rechnungslegung, Vernichtung, Rückruf und Schadenersatz aus Art. 64 EPÜ i. V. m. §§ 139 Abs. 1 und 2, 140a Abs. 1 und 3, 140b Abs. 1 und 3 PatG i. V. m. §§ 242, 259 BGB zu, da die an-gegriffenen Ausführungsformen von der technischen Lehre des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch machen.

I.
Das Klagepatent betrifft eine Polstervorrichtung zum Ein- oder Umschließen eines Amputationsstumpfes („Liner“).

Wie das Klagepatent einleitend ausführt, tragen Amputierte seit den 80er Jah-ren röhrenförmige Liner über deren Restglied, die typischerweise aus Baum-wolle, Wolle oder aus einer Baumwolle-Wolle-Mischung bestehen. Diese Materialien würden sich dadurch auszeichnen, dass diese atmen könnten und nicht luftdicht seien. In letzter Zeit – so das Klagepatent weiter – würden jedoch zunehmend synthetische Materialien wie Nylon verwendet.

Bei einer typischen Unterschenkel-Prothese eines Amputationsstumpfes be-stehe die Tendenz, sich in dem Anschlussteil kolbenartig zu bewegen. Dadurch komme es bei Linern, die nicht atmen könnten und die beispielsweise aus einem Polymermaterial hergestellt seien, zu un-angenehmen Ansaug- und Gurgelgeräuschen, welche als störend und unzweckmäßig betrachtet würden.

Darüber hinaus würden viele Amputierte ein Anschwellen des Stumpfes erfahren. Wenn der Rest in einem prothetischen Anschluss des Stumpfes sei, bestehe die Tendenz, dass sich dieser wesentlich zusammenziehe. Wenn er aus einem Stumpf herausgenommen werde, bestehe die Tendenz, dass der Stumpf expandiere. Die Expansion und Kontraktion des Restes trage zur Entwicklung von Lufttaschen und damit ebenfalls zur Erzeugung störender Geräusche bei. Da ein Amputationsrest mit der Zeit für gewöhnlich schrumpfe, nehme die Tendenz des beschriebenen Kolbeneffektes zu. Zudem würden Socken, die zu einer Lufttaschenbildung neigen, schnell verschlissen und würden, wenn sie nicht oft ersetzt würden, schnell zu Läsionen auf den Rest führen.

Gegenwärtig verfügbare gepolsterte Liner seien röhrenförmig oder konisch und würden keinen angepassten Sitz auf einen Amputationsstumpf gewährleisten. Zudem seien derartige Liner nicht in der Lage, Lufttaschen zu vermeiden.

Amputierte würden ein prothetisches Gliedmaß typischerweise an ihr Rest-gliedmaß mittels der Einrichtung eines steifen Anpassteils, einer Vorrichtungs- und einer Spannungseinrichtung anbringen. Das steife Anpassteil werde häufig individuell angefertigt, um zu der Gestalt des Gliedmaßes des beabsichtigten Verwenders zu passen, wobei dieses Teil aus thermoplastischen oder faserverstärkten wärmehärtbaren Materialien, aber auch aus Holz oder Metall hergestellt werden könne. Derartige Hartmaterialien seien jedoch unkomfortabel, wenn sie über eine längere Zeit in engen Kontakt mit der Haut, insbesondere unter Lasttragebedingungen, gebracht würden. Daher würden häufig Vorrichtungen und/oder prothetische Liner als Schnittstellenelemente zwischen dem harten Anpassteil und dem Restgliedmaß verwendet, um den Komfort zu erhöhen. Derartige Vorrichtungen könnten beispielsweise aus Materialien wie Pelit oder Kemblo, aber auch Silizium oder Urethan hergestellt werden. Prothetische Liner könnten aus Wolle, Baumwolle oder synthetischen Materialien hergestellt werden. Dabei bestehe die Tendenz, dass Amputierte Vorrichtungen oder Liner bevorzugen, die leicht geändert werden, um die Reinigung zu erleichtern, Volumenänderungen in dem Restglied unterzubringen oder verschiedene Verwendeaktivitäten zu ermöglichen.

Die US 4,635,626 (Lerman) offenbare einen Liner für Amputierte mit einer Ba-sisschicht aus einem flexiblen elastischen offenzelligen Material. Eine Haut schützende erste Schicht aus einem weichen flexiblen porösen Material über-decke eine erste Schicht der Basisschicht. Eine zweite, aus einem Schutzge-webe bestehende Schicht überdecke eine zweite Fläche der Basisschicht.

Wie das Klagepatent weiter ausführt, könnten Spannungssysteme, die dazu beitragen, ein prothetisches Glied an seiner Stelle zu halten, ein integraler Teil des Anpassteils und/oder der Vorrichtung sein. Beispiele für Spannungssys-teme würden Supracondylare oder Hüftgürtel, Gelenk- und Korsettsysteme, Neopren- oder Latexhülsen, Gelenkköpfe, die an den Gelenkpfannen greifen, Ansaug- oder Pin- und Verschlusssysteme umfassen. Beispiele für typische Spannungssysteme würden verschiedene, in Abschnitt [0009] der Klagepatentschrift im Einzelnen genannte US-Patentschriften offenbaren.

An den im Stand der Technik bekannten Schnittstellen kritisiert das Klagepatent jedoch, dass diese eine individuelle Herstellung und damit entsprechend lange Vorlaufzeiten benötigen würden. Zudem seien diese unter anderem mit hohen Kosten, Geräuschentwicklungen, Hautirritationen, einem eingeschränkten gemeinsamen Bewegungsbereich, der fehlenden Unterbringung von Stumpfgeometrieänderungen, störenden Gerüchen, Entfärbung sowie fehlendem Komfort verbunden.

Dem Klagepatent liegt daher die Aufgabe (das technische Problem) zugrunde, einige Nachteile der bislang bekannten Schnittstellenelemente zu vermeiden.

Dies geschieht nach Patentanspruch 1 in der im Einspruchsverfahren aufrecht erhaltenen und hier allein streitgegenständlichen Fassung durch eine Polstervorrichtung zum Einschließen eines Amputationsstumpfes mit folgenden Merkmalen:

1. Die Polstervorrichtung umfasst einen Stoff.

2. Der Stoff weist ein offenes Ende zum Einführen des Stumpfes auf.

3. Der Stoff weist ein dem offenen Ende gegenüberliegendes geschlossenes Ende auf.

4. Zur Herstellung des Stoffes wird ein Textilmaterial verwendet, dass eine Dicke besitzt von 0,635 mm bis 3,175 mm (0,025 Inch bis 0,125 Inch).

5. Der Stoff ist auf wenigstens seiner Innenseite mit einem eng anliegenden Polymer-Polstermaterial beschichtet.

6. Das Polymer-Polstermaterial berührt die Haut des Amputations-stumpfes, wenn durch einen Verwender getragen, um Lufttaschen zu minimieren oder zu eliminieren.

Nach dem Kern der Erfindung kommt es somit darauf an, dass zur Herstellung des Stoffes ein Textilmaterial verwendet wird, das eine Dicke von 0,635 mm bis 3,175 mm (0,025 Inch bis 0,125 Inch) aufweist.

Zwar ist der Patentbeschreibung kein ausdrücklicher Hinweis darauf zu ent-nehmen, welche Funktion mit der konkret angegebenen Dicke verbunden sein soll. Jedoch erkennt der Fachmann aus Abschnitt [0065] der Patentbeschreibung, dass die erfindungsgemäße Polstervorrichtung oder Hülse vor dem Anziehen aufgerollt und dann auf das Glied und/oder die Vorrichtung abgerollt werden kann, wobei das Ausziehen in umgekehrter Weise erfolgt. Dem Fachmann ist somit klar, dass das Textilmaterial lediglich so dick sein darf, dass das einfache Aus- und Anziehen der Polstervorrichtung oder Hülse durch das Auf- und Abrollen ermöglicht wird.

Des Weiteren ermöglicht die Textilschicht nach Abschnitt [0065], dass das Tex-tilmaterial gegen sich selbst gleitet. Ferner soll durch das Textilmaterial gewährleistet werden, dass die Kleidung des Trägers nicht an den erfindungsgemäßen Gegenständen anhaftet und verschmutzt wird (vgl. Anlage B & B 5, Abschnitt [0065]).

Dem Fachmann ist somit klar, dass die in Merkmal 4 beanspruchte Dicke des Textilmaterials einerseits darauf beruht, dass das Textilmaterial eine gewisse Mindestdicke haben muss, damit das Polstermaterial nicht in Kontakt mit der Kleidung des Trägers kommt. Andererseits darf die beanspruchte Dicke aber auch nicht überschritten werden, da dann die für das einfache An- und Ausziehen erforderliche Auf- und Abrollbarkeit des Polstermaterials nicht mehr gewährleistet ist.

Wie der Fachmann dem Wortlaut des Patentanspruchs weiter entnimmt, bezie-hen sich die in Merkmal 4 beanspruchten Maßangaben auf den Stoff, wie er bei der Herstellung verwendet wurde („zur Herstellung des Stoffes wird ein Textilmaterial verwendet…“, Hervorhebung hinzugefügt). Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Dicke des Stoffes ausschließlich vor dessen Verarbeitung gemessen werden könnte. Entscheidend ist vielmehr, dass die Messung am Textil erfolgt, wie es bei der Herstellung war. Da das Gel bei der Herstellung der Liner – unstreitig – im gestreckten Zustand auf den Stoff aufgebracht wird, soll das Gel somit vor der Messung wieder entfernt werden, damit sich der Stoff wieder entspannt und dem entspricht, wie er bei der Herstellung verwendet wurde. Damit steht die durch Patentanspruch 1 in der hier streitgegenständlichen Fassung in Einklang mit der durch die Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung überreichten BS EN ISO 5084:1997, nach welcher der Stoff ebenfalls in einem entspannten Zustand gemessen werden soll (vgl. Punkt 7.3. „Condition the samples or test specimes in the relaxed state until equilibrium is reached with the standard atmosphere for testing. Note 1 It is recommended to condition the samles at least for 16 h in the relaxed state.“).

II.
Ausgehend von diesen Überlegungen machen die angegriffenen Aus-führungsformen von der technischen Lehre des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch. Zurecht ist zwischen den Parteien die Verwirklichung der Merkmale 1 bis 3 sowie 5 und 6 nicht umstritten, so dass es insoweit keiner weiteren Ausführungen bedarf.

1.
Darüber hinaus hat die Klägerin schlüssig dargelegt, dass das zur Herstellung des Stoffes verwendete Textilmaterial eine Dicke von 0,635 mm bis 3,175 mm (0,025 Inch bis 0,125 Inch) aufweist (Merkmal 4).

a)
Die Klägerin hat in dem parallelen einstweiligen Verfügungsverfahren (Az. 4a O 72/11) als Anlage B 21a ein Gutachten der K Technologies vorgelegt, wel-chem Messungen der Dicke der Stoffschicht sowohl nach physikalischer als auch chemischer Trennung der Stoffschicht vom anhaftenden Gel zugrunde liegen. Die Dicke der Stoffschicht wurde dabei durch die Messung des Abstan-des zwischen der Messplatte, auf der die Probe ruht, und einem parallelen kreisförmigen Drückerfuß gemessen, der einen spezifischen Druck auf den Bereich des überprüften Teils ausübt (BSENISO5084:1997). Dabei wurden Tests in 20 verschiedenen Bereichen aus jeder der übersandten Proben durchgeführt. Die chemische Trennung der Stoffschicht erfolgte nach dem Privatgutachten mittels vorsichtiger Erwärmung in kochendem Toluol, um die Verbindung zu lösen, ohne die Integrität der Fasern zu beeinträchtigen. Abschließend wurde der Stoff zum Trocknen in einen Abzugschrank verbracht, um die verbleibenden Lösungsmittel abzusaugen, bevor er der Standardatmosphäre für die Textilvorbereitung und -überprüfung ausgesetzt worden ist. Die mittlere Dicke der untersuchten Proben lag zwischen 1,19 mm und 1,37 mm bei einer Standardabweichung von 0,01 – 0,03 Prozent (vgl. Anlagen B 21 und B 21a).

b)
Zudem hat die Klägerin im parallelen Verfügungsverfahren als Anlagen B 19 und B 19a ein Gutachten des Instituts H vorgelegt. Dem Gutachten liegen Messungen nach einer mechanischen Trennung von Textil- und Gelschicht zugrunde, wobei das Institut eine Schichtdicke von 0,64 bis 1,10 mm gemessen hat. Nach dem Prüfbericht wurden durch das Institut Proben von Produkten der Beklagten untersucht. Soweit die Beklagten insoweit darauf hingewiesen haben, in dem Gutachten des Instituts H seien auf Seite 3 Alpha Liner der Klägerin abgebildet, ist die Klägerin dem in der mündlichen Verhandlung nicht entgegen getreten. Jedoch hat die Klägerin dies nachvoll-ziehbar damit begründet, dass ihr nur ein Liner der Beklagten zur Verfügung gestanden habe, welcher jedoch durch zwei Institute untersucht werden sollte. Deshalb sei der Liner der Beklagten in der Mitte geteilt worden. Zwar seien in dem Gutachten zur Erläuterung der Aufbereitung der Liner Produkte der Klägerin abgebildet. Untersucht worden seien jedoch Produkte der Beklagten. Dies steht in Einklang mit den Angaben im Gutachten, wo als Proben unter Ziffer 2. ausschließlich Liner der Beklagten aufgezählt werden. Zudem beziehen sich auch die unter Ziffer 6. wiedergegebenen Messwerte ausschließlich auf Liner der Beklagten.

c)
Ferner hat die Klägerin im parallelen einstweiligen Verfügungsverfahren eine ergänzende Stellungnahme von Herrn Professor I (Universität Bolton) vorgelegt (vgl. Anlagen B 20 und B 20a). Dieser führt einleitend zunächst aus, dass die durch die Gel-Entfernung bedingte potentielle Wiederaufrichtung der Fasern nicht die Genauigkeit der Messungen nach BSENISO 5084:1997 beeinträchtigt, da die Fasern während der Ausübung des Messdrucks zusammengepresst werden, so dass der Abstand zwischen dem Drückerfuß und der Messplatte nicht durch die potentielle Wiederaufrichtung der Fasern beeinflusst wird. Zudem weist Prof. I darauf hin, dass bei einer physikalischen Trennung der Stoffschicht vom Gel aufgrund von Gelrückständen in den Gelfasern kein völlig entspannter Zustand des Stoffes erreicht werden kann, weshalb Messungen dieser Proben zu dünneren Ablesewerten als bei voll-ständiger Entfernung des Gels entstehen (vgl. Anlage B 20a, S. 2). Prof. I gelangt zu dem Ergebnis, dass das ideale Verfahren für die Feststellung der Stoffdicke deren Messung vor dem Aufbringen des Gels ist. Zugleich stellt er jedoch fest, dass jede Messung nach der Beschichtung zur Feststellung einer dünneren Stoffdicke führt, als sie tatsächlich ist (vgl. Anlage B 20a, S. 3 f.), weil die auf die Beschichtung wirkende Grundspannung den Stoff dünner werden lässt.

d)
Schließlich hat die Klägerin im parallelen Verfügungsverfahren als Anlagen B & B 14 und B & B 14a eine eidesstattliche Versicherung von Herrn Christoph J vorgelegt, nach welcher im einzelnen aufgeführte Messungen ebenfalls gezeigt hätten, dass die Dicke der Stoffschicht bei den angegriffenen Ausführungsformen im beanspruchten Bereich liegt.

3.
Das Vorbringen der Klägerin haben die Beklagten nicht erheblich bestritten.

Zwar haben sie als Anlage B 2 ein Privatgutachten des Textilfor-schungsinstituts Thüringen-Vogtland e. V. vorgelegt. Danach wurde der Pro-benquerschnitt von 6 Proben unter dem Elektronenmikroskop ohne jeden Messdruck untersucht und die Textilschicht vermessen, wobei die Dicke der Textilschicht nach den vorgelegten Messergebnissen größtenteils unterhalb des beanspruchten Bereichs liegt. Jedoch sind diese Messungen nicht geeignet, das ebenfalls durch Privatgutachten belegte Vorbringen der Klägerin erheblich zu bestreiten.

Die durch die Beklagten in Auftrag gegebenen Messungen wurden jedoch am „fertigen“, das heißt gelbeschichteten Liner durchgeführt, so dass der Stoff dort gerade nicht entspannt war. Unstreitig wird der Stoff jedoch beim Entspannen dicker. Damit lassen die Messungen bereits aus diesem Grund keinen Schluss darauf zu, welche Dicke der „zur Herstellung der Liner verwendete Stoff“ hatte.

Des Weiteren hat der durch die Klägerin beauftragte Prof. I in seiner im parallelen einstweiligen Verfügungsverfahren vorgelegten Stellungnahme (Anlagen B 20 und B 20a) ausführt, bei einer Messung mit einem Rasterelektronenmikroskop (REM) werde eine Metallbeschichtung verwendet, welche die Probe bedecke. Dies lasse die Probe intransparent werden und verdecke den im Gel eingebetteten Stoff. Dies führe zu viel niedrigeren und hochgradig abweichenden Ergebnissen für die Stoffdicke. Dem sind die Beklagten nicht entgegen getreten. Vielmehr haben die Beklagten in dem parallelen Verfügungsverfahren gegen die Georg Friedrich Streifeneder KG zusätzlich Messergebnisse vorgelegt, die auf Messungen mit einem Lichtmikroskop beruhen, wobei diese, lediglich in einem in englischer Sprache vorgelegten Prüfungsbericht enthaltenen Messergebnisse mangels einer entsprechenden hinreichenden Erläuterung bereits nicht nachvollziehbar sind. Insbesondere lässt sich dem Messbericht nicht entnehmen, ob in die Messungen auch der Bereich der Textilschicht einbezogen wurde, welcher mit Gel bedeckt ist. Eine Einbeziehung dieses Bereiches ist jedoch zwingend erforderlich, da dem Klagepatent keine dahingehende Vorgabe zu entnehmen ist, dass lediglich der außerhalb der Gelschicht angeordnete Bereich der Textilschicht zu messen wäre. Dem steht vielmehr bereits der Wortlaut von Merkmal 4 entgegen, wonach es auf die Dicke des „zur Herstellung des Liners verwendeten Stoffes“ ankommen soll.

Soweit die Beklagten weiterhin im Hinblick auf das Gutachten des Messinstituts K ausführen, Toluol siede bei 111 °C, so dass die Messungen keine Aussage in Bezug auf die Stoffdicke im Rohzustand geben könnten, lässt dieses Vorbringen eine entsprechende tatrichterliche Feststellung nicht zu. Die Beklagten begründen ihre Auffassung allein damit, Kunstfasern würden bereits bei einer „Erwärmung“ auf 95 °C unbrauchbar. Hinzu komme, dass Toluol viele Kunststoffe angreife und somit zusätzlich die Struktur des Materials verfälsche. Inwiefern durch das Toluol jedoch bei den gerade durch die Beklagten eingesetzten Materialien entsprechende Veränderungen eintreten, lässt sich dem Vorbringen der Beklagten nicht entnehmen, wobei die Beklagten ihr diesbezügliches Vorbringen trotz eines entsprechenden Hinweises der Kammer in der mündlichen Verhandlung auch nicht ergänzt haben.

Der weitere Hinweis der Beklagten, die Messmethode der Klägerin sei bereits deshalb ungeeignet, weil diese lediglich eine Genauigkeit von 0,01 mm habe, überzeugt bereits deshalb nicht, weil insbesondere die durch das Institut K gefundenen Ergebnisse im Schnitt zwischen 1,19 und 1,37 mm und damit deutlich im beanspruchten Bereich liegen, so dass sich die mit dem Verfahren verbundene Ungenauigkeit nicht auswirkt.

Auch das weitere Vorbringen der Beklagten, bei den Messungen der Institute K und H, bei denen das Gel nicht durch Kochen in Toluol, sondern mechanisch entfernt wurde, würden die Gelreste „natürlich“ primär die Dicke des Stoffes erhöhen und zu weit höheren Messergebnissen führen, lässt nicht erkennen, inwiefern dies tatsächlich der Fall ist. Vielmehr hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung zurecht darauf hingewiesen, dass durch die Gelreste der Stoff zugleich nicht vollständig entspannt sei, so dass dadurch die durch die in die Messung einbezogenen Gelreste verursachte leichte Erhöhung der Stoffdicke zumindest wieder kompensiert werde.

Soweit sich die Beklagten schließlich auf die in dem Schriftsatz vom 04.07.2011 im parallelen einstweiligen Verfügungsverfahren eingeblendete Tabelle berufen, trifft es zwar zu, dass insbesondere die nach einer mechanischen Entfernung der Textilschicht gefundenen Ergebnisse deutlich niedriger als nach der chemischen Entfernung sind. Allerdings hat dies Prof. I nachvollziehbar damit begründet, dass sich der Stoff bei einer mechanischen Entfernung aufgrund der noch vorhandenen, die Strukturen des Stoffes blockierenden geringen Gelrückstände nicht in einem (vollständig) ent-spannten Zustand befand und diese an der Rückkehr zu ihren entspannten Abmessungen verhindern (vgl. Anlage B 20a, S. 3). Einen Hinweis darauf, dass die Messmethoden ungeeignet sind, stellen die Abweichungen somit gerade nicht dar.

III.
Ohne Erfolg haben die Beklagten die Einrede der Verjährung erhoben.

1.
Gemäß § 141 PatG verjähren Ansprüche wegen einer Verletzung des Patent-rechts, der auch entsprechend auf europäische Patente Anwendung findet, innerhalb von drei Jahren. Die Verjährungsfrist beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Tatsachen sowie der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat, § 141 PatG i. V. m. § 199 Abs. 1 BGB.

2.
Das Vorbringen der Beklagten lässt die tatrichterliche Feststellung nicht zu, dass die Ansprüche der Klägerin verjährt sind.

Die Beklagten berufen sich zur Begründung des durch sie erhobenen Verjäh-rungseinwandes darauf, Herr Martin D habe als Geschäftsführer der E GmbH in der Zeit vom 03.01.2005 bis April 2009 auf Anweisung der Klägerin jährlich mindestens einen Cushion Liner und einen Locking Liner aus dem aktuellen Sortiment der Beklagten zu 1) bestellt und an die Klägerin weitergeleitet. Obwohl die Dicke des Textilmaterials noch nicht Anspruchsbestandteil gewesen sei, habe die Klägerin gegen den Vertrieb der angegriffenen Ausfüh-rungsformen keinen Einwand erhoben, wobei der Klägerin auch bekannt gewesen sei, dass sich die Produkte der Beklagten zu 1) lediglich hinsichtlich der Form, Gelstärke und Ausgestaltung des distalen Endes unterscheiden.

In Erwiderung auf dieses Vorbringen hat die Klägerin in der mündlichen Ver-handlung erklärt, der Vortrag der Beklagten sei unsubstantiiert und daher für die Klägerin nicht nachvollziehbar. Nach derzeitigem Kenntnisstand sei ein erster Liner im März 2007 versandt worden, wobei die Klägerin dies aus einer, in der mündlichen Verhandlung zur Akte gereichten, „Proforma“-Rechnung vom 05.03.2007 schließe.

Damit hat die Klägerin das Vorbringen der Beklagten erheblich bestritten, so dass es nunmehr an den in Bezug auf die Verjährungseinrede darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten gewesen wäre, ihr Vorbringen weiter zu konkretisieren. Gleichwohl haben die Beklagten ihren Vortrag nicht ergänzt. Insbesondere lässt sich dem Vortrag der Beklagten ebenso wenig wie der als Anlage B 3 vorgelegten eidesstattlichen Versicherung entnehmen, wann genau welcher Liner versandt worden sein soll. Der durch die Beklagten demgegenüber benannte Zeuge Martin D vermag als Beweismittel den fehlenden hinreichend substantiierten Sachvortrag der Beklagten nicht zu ersetzen.

IV.
Da die angegriffenen Ausführungsformen mithin Erzeugnisse darstellen, welche Gegenstand des Klagepatents sind, ohne dass die Beklagten zu einer Nutzung des Klagepatents berechtigt sind (§ 9 S. 2 Nr. 1 PatG), rechtfertigen sich die tenorierten Rechtsfolgen. Der Beklagte zu 2) haftet als Geschäftsführer und damit gesetzlicher Vertreter der Beklagten zu 1) persönlich, weil er kraft seiner Stellung im Unternehmen für die Beachtung absoluter Rechte Dritter Sorge zu tragen und das Handeln der Gesellschaft im Geschäftsverkehr zu bestimmen hat.

1.
Die Beklagten machen durch die Herstellung und den Vertrieb der angegriffe-nen Ausführungsformen in Deutschland widerrechtlich von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch, so dass sie gegenüber der Klägerin zur Unterlassung verpflichtet sind (Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. § 139 Abs. 1 PatG).

2.
Des Weiteren haben die Beklagten der Klägerin Schadenersatz zu leisten (Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. § 139 Abs. 2 PatG), denn als Fachunternehmen bzw. dessen alleiniger Geschäftsführer hätten sie die Patentverletzung durch die angegriffenen Ausführungsformen bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennen können, § 276 BGB. Die genaue Schadenshöhe steht derzeit noch nicht fest. Da es jedoch ausreichend wahr-scheinlich ist, dass der Klägerin durch die rechtsverletzenden Handlungen der Beklagten ein Schaden entstanden ist und dieser von der Klägerin noch nicht beziffert werden kann, weil sie ohne eigenes Verschulden in Unkenntnis über den Umfang der Benutzungs- und Verletzungshandlungen ist, ist ein rechtliches Interesse der Klägerin an einer Feststellung der Schadenersatzver-pflichtung dem Grunde nach anzuerkennen, § 256 ZPO.

3.
Damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadener-satzanspruch zu beziffern, sind die Beklagten im zuerkannten Umfang zur Rechnungslegung verpflichtet (§§ 242, 259 BGB). Die Klägerin ist auf die zuerkannten Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt. Darüber hinaus werden die Beklagten durch die von ihnen verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet. Die Beklagten haben schließlich über Herkunft und Vertriebsweg der rechtsverletzenden Erzeugnisse Auskunft zu erteilen (Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. § 140b PatG). Soweit ihre nicht gewerblichen Abnehmer und bloßen Angebotsempfänger hiervon betroffen sind, ist den Beklagten im Hinblick auf ihre Rechnungslegungspflicht in Bezug auf ihre nicht gewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger ein Wirtschaftsprüfervorbehalt einzuräumen (vgl. Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 20.09.2001, Az.: 2 U 91/00).

4.
Ferner hat die Klägerin im zuerkannten Umfang gegen die Beklagte zu 1) einen Anspruch auf Rückruf und Entfernung der angegriffenen Ausführungsformen aus den Vertriebswegen, Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. § 140a Abs. 3 PatG.

5.
Schließlich steht der Klägerin gegen die Beklagte zu 1), die ihren Sitz in der Bundesrepublik Deutschland hat, ein Anspruch auf Vernichtung der im Besitz oder Eigentum der Beklagten zu 1) befindlichen Erzeugnisse, die Gegenstand des Patents sind, aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. § 140 a Abs. 1 S. 1 PatG zu.

V.
Für eine Aussetzung der Verhandlung besteht keine Veranlassung, § 148 ZPO.

1.
Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer (Mitt. 1988, 91 – Nickel-Chrom-Legierung; BIPMZ 1995, 121 – Hepatitis-C-Virus), die auch vom Oberlandesge-richt Düsseldorf (GRUR 1979, 188 – Flachdachabläufe; Mitt. 1997, 257, 258 – Steinknacker) und vom Bundesgerichtshof (GRUR 1987, 2784 – Transportfahrzeug) gebilligt wird, stellen ein Einspruch gegen das Klagepatent oder die Erhebung einer Nichtigkeitsklage als Solche noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtstreit auszusetzen, weil dies faktisch darauf hinauslaufen würde, dem Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beizumessen, die dem Gesetz fremd ist. Die Interessen der Parteien sind vielmehr gegeneinander abzuwägen, wobei grundsätzlich dem Interesse des Patentinhabers an der Durchsetzung seines erteilten Patents Vorrang gebührt. Die Aussetzung kommt deshalb nur dann in Betracht, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Widerruf oder eine Vernichtung des Klagepatents zu erwarten ist. Dies kann regelmäßig dann nicht angenommen werden, wenn der dem Klagepatent am nächsten kommende Stand der Technik bereits im Erteilungsverfahren berücksichtigt worden ist oder wenn neuer Stand der Technik lediglich belegen soll, dass das Klagepatent nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, sich jedoch auch auf eine Bejahung der Erfindungshöhe, die von der wertenden Beurteilung der hierfür zuständigen Instanzen abhängt, zumindest noch vernünftige Argumente finden lassen.

2.
Vor diesem Hintergrund hat die Kammer bei der Beurteilung der Aussetzungs-frage zunächst zu berücksichtigen, dass das Klagepatent in der hier streitge-genständlichen Fassung bereits durch das Europäische Patentamt aufrecht erhalten wurde. Soweit die Beklagten in ihrer Beschwerdebegründung auf die Anlagen E 1 bis E 28 Bezug nehmen, liegen diese Anlagen zudem nicht vor. Schließlich rechtfertigt das Vorbringen in der Beschwerdebegründung vom 16.08.2011, auf welche die Beklagten Bezug nehmen, eine Aussetzung der Verhandlung auch in der Sache nicht.

a)
Der Einwand der offenkundigen Vorbenutzung vermag eine Aussetzung der Verhandlung nicht zu tragen. Zum Einen hat sich bereits das Europäische Pa-tentamt in seiner Entscheidung vom 13.04.2011, dort unter Punkt 23.1., aus-führlich mit dem Liner „G“ beschäftigt und ist dort zu dem Ergebnis gelangt, dass die Einspruchsführer die Voraussetzungen einer offenkundigen Vor-benutzung nicht hinreichend nachgewiesen hätten (vgl. Anlage B & B 16, S. 8 f.). Auch wenn die Beklagten insoweit meinen, die Entscheidung sei bereits deshalb unrichtig, weil das Europäische Patentamt zu Unrecht die Vorlage ei-nes benutzten Original-Liners verlangt habe, hat die Kammer die Entscheidung des Europäischen Patentamtes gleichwohl als sachverständige Stellungnahme im Rahmen der hier zu treffenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigen. Zum Anderen lässt sich auch aus den nunmehr als Anlagen B 5/1 – B 5/4 vorgelegten Unterlagen nicht erkennen, ob bei dem Liner „G“ tatsächlich alle Merkmale des Klagepatents in der nunmehr streitgegenständlichen Fassung erfüllt waren und ob dieser tatsächlich offenkundig vorbenutzt wurde.

Bei ihrer Aussetzungsentscheidung hat die Kammer insbesondere zu berück-sichtigen, dass sich die Beklagten zur Begründung der offenkundigen Vorbe-nutzung maßgeblich auf eine als Anlage B/4 vorgelegte eidesstattliche Versi-cherung beziehen, wobei derartige eidesstattliche Versicherungen im Ein-spruchsverfahren grundsätzlich der freien Beweiswürdigung unterliegen (vgl. Schulte/Rudloff-Schäffer, Patentgesetz mit EPÜ, 8. Auflage, § 46 Rz. 44). Ins-besondere lässt sich derzeit nicht absehen, ob die Beschwerdekammer mögli-cherweise Herrn F-L als Zeugen vernehmen wird. Entsprechend ist bereits unvorhersehbar, wie die Beschwerdekammer die eidesstattliche Versicherung von Herrn F-L würdigt. Schon wegen dieser gänzlich unsicheren Prognose verbietet sich die Annahme, es sei unter dem Gesichtspunkt der offen-kundigen Vorbenutzung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine Vernichtung des Klagepatents zu erwarten (vgl. Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 5. Auflage, Rz. 1051).

b)
Der Einwand der unzulässigen Erweiterung rechtfertigt eine Aussetzung der Verhandlung bereits deshalb nicht, weil die Beklagten die Anmeldeschrift, auf deren Offenbarungsgehalt es bei der Beurteilung der Frage der unzulässigen Erweiterung maßgeblich ankommt, nicht vorgelegt haben. Im Übrigen begrün-den die Beklagten bzw. die Einspruchsführer den Vorwurf der unzulässigen Erweiterung maßgeblich damit, im Anspruchswortlaut fehle der Begriff „inven-tion“, so dass dieser Anspruch sowohl die unverarbeitete Faser als auch die verarbeitete Faser einschließe. Demgegenüber decke die Beschreibung nur die verarbeitete Faser ab. Mit dieser Frage hat sich die Beschwerdeabteilung des EPA jedoch bereits unter Punkt 2.1. der im parallelen einstweiligen Verfü-gungsverfahren als Anlage B & B 16 vorgelegten Entscheidung beschäftigt und eine unzulässige Erweiterung verneint. Entsprechend ist unter diesem Gesichtspunkt zumindest nicht mit der für eine Aussetzung der Verhandlung erforderlichen Wahrscheinlichkeit mit einer Vernichtung des Klagepatents zu rechnen.

c)
Eine Aussetzung der Verhandlung ist schließlich auch nicht unter dem Ge-sichtspunkt der mangelnden Ausführbarkeit (Art. 84 EPÜ) gerechtfertigt.

Bei der Beurteilung der Frage der Ausführbarkeit der Erfindung kommt es da-rauf an, ob es einem Fachmann möglich ist, die Erfindung anhand der Offenbarung praktisch zu verwirklichen (vgl. Kühnen/Moufang, Patentgesetz, 8. Auflage, § 34 Rz. 360 ff.). Mit der Frage der Ausführbarkeit der Erfindung hat sich die Beschwerdekammer des EPA jedoch bereits ausführlich in der im parallelen einstweiligen Verfügungsverfahren als Anlage B & B 16 vorgelegten Entscheidung vom 18.02.2010, dort Punkt 2.2., beschäftigt und festgestellt, dass anhand der – hier nicht vorgelegten – Anlage E 24 hinrei-chend dargelegt worden sei, dass ein Fachmann wisse, welche Messmethode er einzusetzen habe, wobei die Einspruchsführer keinen Beweis des Ge-genteils angetreten hätten. Entsprechend ist nicht mit der für eine Aussetzung der Verhandlung erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Beschwerdekammer nunmehr zu einer anderen Bewertung gelangen und die Erfindung als nicht ausführbar ansehen wird.

d)
Soweit die Beklagten schließlich in ihrer Duplik auf die Liner „Fay“ und „Silipos“ Bezug nehmen, ist weder ersichtlich, dass diese bereits in das Einspruchsverfahren eingeführt wurden, noch, welche genaue technische Gestaltung diese Liner aufweisen.

VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgen aus §§ 709 Satz 1 und 2; 108 ZPO.

Der Streitwert wird im Einvernehmen mit den Parteien auf 500.000,- EUR fest-gesetzt. Davon entfallen 125.000,- EUR auf die Feststellung der Schadener-satzpflicht (Tenor Ziff. III.). Die Aufteilung des Streitwerts ist notwendig, weil nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (GRUR-RR 2008, 460, 461) bei den hier streitgegenständlichen Ansprüchen nur der gesamtschuldnerisch gegen die Beklagten geltend gemachte Anspruch auf Schadensersatz gebührenrechtlich eine Angelegenheit darstellt, für die eine Erhöhungsgebühr in Betracht kommt.