4a O 72/11 – Polstervorrichtung III

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 1750

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 22. September 2011, Az. 4a O 72/11

I. Die einstweilige Verfügung vom 05.05.2011 wird aufrecht erhalten.

II. Die weiteren Kosten des Verfahrens werden der Verfügungsbeklagten auferlegt.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 300.000,- EUR vorläufig vollstreckbar. Die Zwangsvollstreckung aus der einstweiligen Verfügung vom 05.05.2011 darf nur nach Leistung dieser Sicherheit fortgesetzt werden.
Die Sicherheitsleistung kann auch durch eine unwiderrufliche, unbedingte, unbefristete und selbstschuldnerische Bürgschaft einer in der Europäischen Union als Zoll- oder Steuerbürgin anerkannten Bank oder Sparkasse erbracht werden.

Tatbestand:

Die Verfügungsklägerin ist eingetragene Inhaberin des europäischen Patents 0 762 XXX B1 (im Folgenden: Verfügungspatent). Das Verfügungspatent wurde am 20.03.1996 unter Inanspruchnahme der Priorität zweier US-Patent-schriften vom 20.03.1995 bzw. vom 05.03.1996 in englischer Verfah-renssprache angemeldet, wobei die Offenlegung der Patentanmeldung am 19.03.1997 erfolgte. Der Hinweis auf die Erteilung des Verfügungspatents wurde am 09.11.2005 veröffentlicht. Das Verfügungspatent steht in der Bun-desrepublik Deutschland in Kraft (DE 696 35 XXX T2). Gegen das Verfügungspatent haben die A GmbH & Co. KG und die B KG Einspruch eingelegt. Das Europäische Patentamt hat das Verfügungspatent daraufhin in der mündlichen Verhandlung vom 17.03.2011 in der hier streitgegen-ständlichen Fassung aufrecht erhalten. Gegen diese Entscheidung hat die B KG mit Schriftsatz vom 16.08.2011 Beschwerde eingelegt, über die noch nicht entschieden wurde.

Das Verfügungspatent trägt die die Bezeichnung „C“ („C“). Sein Patentanspruch 1 lautet in der durch die Einspruchsabteilung aufrecht erhaltenen Fassung:

„Polstervorrichtung zum Einschließen eines Amputationsstumpfes, wobei die Vorrichtung einen Stoff umfasst, der ein offenes Ende zum Einführen des Stumpfes und ein dem offenen Ende gegenüberliegendes geschlos-senes Ende aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass zur Herstellung des Stoffes ein Textilmaterial verwendet wird, das eine Dicke von 0,635 mm bis 3,175 mm (0,025 Inch bis 0,125 Inch) besitzt, wobei der Stoff auf wenigstens seiner Innenseite mit einem eng anliegenden Polymer-Pols-termaterial beschichtet ist, das die Haut des Amputationsstumpfes berührt, wenn durch einen Verwender getragen, um Lufttaschen zu mini-mieren oder zu eliminieren.“

Im Folgenden wird ein Ausführungsbeispiel der Erfindung dargestellt. Figur 5 zeigt nach der Patentbeschreibung eine Polstervorrichtung mit einer gleichför-migen Wanddicke.
Die Verfügungsbeklagte vertreibt deutschlandweit unter dem Markennamen „D“ verschiedene Liner (im Folgenden: angegriffene Ausführungsformen). Derzeit unterteilen sich die streitgegenständlichen Liner in sieben Produkt-familien, wobei die Liner einer Produktfamilie teilweise in verschiedenen Ausstattungen erhältlich sind:

D: XXX000-XXX615
(erhältlich als Locking/Cushion, Stan-dard/Contoured, Matrix)

D Transfermoral: XXX0TF-XXX5TF
(erhältlich als Locking/Cushion, Stan-dard/Contoured)

D Vacuum Cushion: XXX700-XXX800
(erhältlich als Standard/Contoured)

D Twin GO: XXX000-XXX600
(erhältlich als Locking/Cushion, Stan-dard/Contoured)

D Soft: XXX000-XXX615
(erhältlich als Locking/Cushion, Stan-dard/Contoured, Matrix)

D Design Maßliner: XXX9000

Lite Liner mit exponierten Gel: XXX9510

Dabei weist die „Contoured“-Serie die gleichen Eigenschaften wie die „Stan-dard“-Serie auf. Beide Serien unterscheiden sich lediglich in der Dicke der Gel-Schicht. Während die „Standard“-Modelle über eine gleichmäßige Gel-Schicht verfügen, ist die distale Gelpolsterung bei den „Contoured“-Modellen 2 mm dicker. Die „TF“-Serie ist eine Sonderausführung der „Contoured“- und „Standard“-Serie für die speziellen Bedürfnisse von transfemoral Amputierten. Im Unterschied zu den normalen „Contoured“ und „Standard“-Modellen verfügen die „TF-Modelle“ über einen hochwertigen Textilbezug und eine durchgängige Matrix. Bei den „Matrix“-Modellen kann der Verwender wählen, ob der Stoff des Liners mit einer Matrix verstärkt werden soll und in welcher Länge.

Die „D Transfermoral“ bilden wie auch die „D Vacuum Cushion“ eine eigene (Unter-) Produktfamilie innerhalb der Produktfamilie „D“. Die „D TF“ verwenden standardmäßig eine durchgängige Matrix und einen besonders hochwertigen Textilbezug. Der Liner „D Vacuum Cushion“ ist nur als „Cushion“-Modell erhältlich. Die Außenseite des Liners kann mit einer Kniekappe versiegelt werden, um eine Vakuum-Haftung einzusetzen. Die Produktserie „D Soft“ zeichnet sich dadurch aus, dass die Liner ein Polymergel mit sehr geringer Shore-Härte verwenden. Bei der Produktfamilie „Lite Liner mit exponierten Gel“ endet die Stoffschicht am offenen Ende des Liners unterhalb der Polymerschicht, so dass die Polsterschicht aus Polymergel am offenen Ende des Liners frei liegt. Schließlich zeichnet sich der „D Twin Go“ dadurch aus, dass er über eine dynamische Matrix verfügt, die den Stumpf durch eine leichte Kompression formt. Zudem hat der Liner frontal eine stärkere Gelschicht, um das Schienbein und die Kniescheibe besser gegen Druck abzufedern. Auf der Vorderseite des Liners wird zudem ein anderes Textilmaterial als auf der Rückseite verwendet. Bei dem „D Design Maßliner“ kann der Verwender die Aufbringung des Stoffes frei wählen und insbesondere bestimmen, dass das obere Ende des Liners nicht mit Stoff überzogen ist oder dass im Bereich der Kniescheibe Stoff ausgespart wird.

Grundsätzlich sind alle Produkte der Verfügungsbeklagten sowohl mit als auch ohne einen distalen Anschluss erhältlich. Einzige Ausnahme bildet der „D Vacuum Cushion“, der nur ohne distalen Anschluss erhältlich ist. Bei diesem Liner hat der Verwender die Möglichkeit, mittels einer Vakuumpumpe ein Vakuum zwischen der Außenseite des Liners und dem Prothesenschaft anzulegen. Durch dieses Vakuum haftet die Prothese am Liner. Verzichtet der Verwender auf das Anlegen des Vacuums, kann er den „D Vacuum Cushion“ wie einen normalen Liner ohne distalen Anschluss verwenden.

Beispielhaft ist nachfolgend ein „D Locking – Standard – mit distalem Anschluss“ eingeblendet:

Die Verfügungsklägerin meint, die angegriffenen Ausführungsformen würden von der technischen Lehre des Verfügungspatents wortsinngemäß Gebrauch machen. Zudem sei der Rechtsbestand des Verfügungspatents hinreichend gesichert, nachdem das Verfügungspatent durch das Europäische Patentamt im Einspruchsverfahren aufrechterhalten worden sei.

Nachdem die Verfügungsklägerin mit Schriftsatz vom 15.04.2011 den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt hat, hat die Kammer der Verfügungs-beklagten wegen der besonderen Eilbedürftigkeit ohne vorherige mündliche Verhandlung mit Beschlussverfügung vom 05.05.2011 unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel untersagt,

Polsterliner zum Anfügen eines Amputationsstumpfes, wobei der Liner einen Stoff umfasst, der ein offenes Ende zum Einführen des Stumpfes und ein dem offenen Ende gegenüberliegendes geschlossenen Ende aufweist,

in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen oder herzustellen,

bei denen das Textilmaterial, das verwendet wird, um den Stoff herzustel-len, eine Dicke von 0,635 mm bis 3,175 mm (0,025 Inch bis 0,125 Inch) besitzt und bei denen der Stoff auf wenigstens dessen Innenseite mit ei-nem Polymer-Polstermaterial beschichtet ist, welches die Haut des Am-putationsstumpfes berührt, wenn durch einen Verwender getragen, um Lufttaschen zu minimieren oder zu eliminieren.

Zugleich hat die Kammer der Verfügungsbeklagten aufgegeben,

1. der Verfügungsklägerin unverzüglich, spätestens aber zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses, schriftlich und vollständig Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die unter I. bezeichneten Handlungen seit dem 09.12.2005 begangen hat, und zwar durch Vorlage eines Verzeichnisses mit folgenden Angaben:

– Menge und Zeitpunkt der erhaltenen und bestellten Erzeug-nisse und der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferan-ten und anderer Vorbesitzer sowie der Preise für die bestellten oder erhaltenen Erzeugnisse,

– einzelne Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen und Lieferzeiten, die Namen und Anschriften der jeweiligen gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen, für die sie bestimmt waren, sowie der Preise für die ausgelieferten Erzeugnisse,

– unter Beifügung von Belegen in Form gut lesbarer Kopien der Auftragsschreiben oder Auftragsbestätigungen oder der Liefer-scheine oder Rechnungen;

wobei die Angaben zu den Preisen und den Verkaufsstellen erst für die Zeit seit dem 01.09.2008 zu machen sind;

2. die im Besitz oder Eigentum der Verfügungsbeklagten befindlichen unter I. bezeichnete Erzeugnisse an einen von der Verfügungsklägerin zu beauftragenden, örtlich zuständigen Ge-richtsvollzieher zum Zwecke der vorläufigen Verwahrung herauszugeben, bis über das Bestehen des Vernichtungsan-spruchs zwischen den Parteien rechtskräftig entschieden oder eine einvernehmliche Regelung herbeigeführt worden ist.

Mit Schriftsatz vom 20.05.2011 hat die Verfügungsbeklagte gegen diese Be-schlussverfügung Widerspruch eingelegt.

Sie meint, es komme nach dem Wortlaut und dem technischen Zweck des Verfügungspatents allein auf die Dicke des Textilmaterials im Stoff des „ferti-gen“ Liners an, nicht auf die Dicke im Fertigungsprozess. Diese Stoffdicke lasse sich jedoch methodisch und inhaltlich richtig nur mit einer REM-Messung bestimmen. Die durch die Verfügungsbeklagten auf dieser Grundlage in Auftrag gegebenen Messungen hätten jedoch gezeigt, dass die Stoffdicke im Mittelwert deutlich unter 0,635 mm liege.

Zudem hat die Verfügungsbeklagte den Einwand der Verjährung erhoben. Sie behauptet, Herr Martin D habe als Geschäftsführer der E GmbH in der Zeit vom 03.01.2005 bis April 2009 auf Anweisung der Verfügungsklägerin jährlich mindestens einen Cushion Liner und einen Locking Liner aus dem aktuellen Sortiment der Verfügungsbeklagten bestellt und an die Verfügungsklägerin weitergeleitet. Obwohl die Dicke des Textilmaterials noch nicht Anspruchsbestandteil gewesen sei, habe die Verfügungsklägerin gegen den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen keinen Einwand erhoben, wobei der Verfügungsklägerin auch bekannt gewesen sei, dass sich die Pro-dukte der Verfügungsbeklagten lediglich hinsichtlich der Form, Gelstärke und Ausgestaltung des distalen Endes unterscheiden.
Schließlich sei das Verfügungspatent offensichtlich nicht rechtsbeständig. Verstehe man den Begriff „Textile material“ als Faden, der im fertigen Textil des Liners verwendet wird, liege eine unzulässige Erweiterung vor. Dieses Merkmal werde zwar durch die im Einspruchsverfahren geänderte Beschreibung gestützt, nicht hingegen durch die ursprüngliche Beschreibung. Stelle man demgegenüber auf die Dicke des Stoffes im Rohzustand ab, sei die technische Lehre des Verfügungspatents bereits durch von Herrn Michael F öffentlich vorbenutzte Liner des Typs „G“ bekannt gewesen. Messungen des Textilforschungsinstituts Thüringen-Vogtland e. V. hätten ergeben, dass die Dicke des Stoffes im Rohzustand bei den „G“-Linern ca. 0,77 mm betrage. Stelle man schließlich auf die Stoffdicke des fertigen Liners ab, fehle es auch an der Ausführbarkeit der Erfindung. Selbst der durch die Verfügungsklägerin beauftragte Privatgutachter M bestätige, dass eine exakte Messung der Stoffdicke am fertigen Liner unmöglich sei, da hierfür kein standardisiertes Verfahren bereitstehe und das Patent selbst auch keinerlei Hinweis auf eine geeignete Stoffdicke enthalte.

Darüber hinaus habe die Verfügungsbeklagte erfahren, dass die Verfügungs-klägerin aus US-amerikanischen Verfahren seit langem Kenntnis von mindes-tens drei Linern habe, die vor dem Prioritätstag des Verfügungspatents der Öf-fentlichkeit zugänglich gemacht worden seien. In dem Verfahren „The E Company, Inc. v. H,“ Az. C2-04-1223 vor dem US District Court for the Southern District of Ohio hätten der Verfügungsklägerin zwei Liner vorgelegen, die dort als „Exhibit 8 und 9“ bezeichnet worden seien. Der als „Exhibit 8“ bezeichnete Liner habe der Verfügungsklägerin zudem in dem Ver-fahren „Thermo-Ply, Inc. v. The E Co., Az. 8:05-cv-779“ vor dem US District Court for the Middle District of Florida vorgelegen. In dem letztgenannten Verfahren habe der dortige Prozessbevollmächtigte der Verfügungsklägerin den Liner auch zerschnitten, so dass die Stoffdicke unzweifelhaft zu erkennen gewesen sei. Beide Liner seien zudem in der Woche vom 27.04.2009 in einer Anhörung im Rahmen des erstgenannten Verfahrens dem Präsidenten der Verfügungsklägerin und seinen Anwälten vorgelegt worden. Darüber hinaus hätten diese Liner auch bei einem Treffen mit Herrn Jack I vor sieben Jahren vorgelegen. Der Verfügungsklägerin sei bekannt, dass diese Liner mit einem relativ dicken Stoff hergestellt seien. Der Stoff des Liners „Exhibit 9“ habe eine Dicke von 2,64 mm, der des „Exhibit 8“ von 0,74 mm. Der Verfügungsklägerin sei zudem bekannt, dass genau diese Liner auch vor dem Prioritätstag an einen Patienten ausgeliefert und von diesem benutzt worden seien. Die Liner seien später von der Witwe des Patienten an Herrn I übergeben worden.

Weiterhin habe die Verfügungsklägerin verschwiegen, dass in dem Verfahren „The E Company, Inc v. H.“, Az. C2-04-1223 vor dem US District Court for the Southern District of Ohio als „Exhibit 29B“ der sog. „Single Socket Gel Liner (SSGL)“ der Firma J vorgelegt worden sei, der nachweislich vor 1995 herge-stellt und vertrieben worden sei.

Die Verfügungsbeklagte beantragt daher

die einstweilige Verfügung vom 05.05.2011 aufzuheben und den auf ihren Erlass gerichteten Antrag zurückzuweisen;

hilfsweise:
die einstweilige Verfügung vom 05.05.2011 dahingehend abzuändern, dass

die Vollziehung der einstweiligen Verfügung erst zulässig ist, wenn die Verfügungsbeklagte Sicherheit in Höhe von 250.000,- EUR leistet;

die Auskunft erst ab dem Zeitraum 01.01.2007 zu leisten ist.

Die Verfügungsklägerin beantragt,

den Widerspruch der Verfügungsbeklagten vom 20.05.2011 zurückzu-weisen und die einstweilige Verfügung vom 05.05.2011 unverändert aufrecht zu erhalten.

Sie behauptet, in dem Verfahren „E Company v. K“ habe weder der genaue Offenbarungsgehalt, noch die Veröffentlichung der sog. „I“-Liner (Exhibit 8 und 9) geklärt werden können. Zum Einen sei schon der Aufbau der sog. „I“-Liner unklar. Es fehle z. B. jeder Nachweis, dass des sich bei dem schwammartigen Material auf der Innenseite dieser Liner um Polymer-Polstermaterial handele. Zum Anderen bestreitet die Verfügungsklägerin, dass diese Liner der Öffentlichkeit tatsächlich vor März 1995 zugänglich gemacht wurden. So fehle im US-Verfahren jeder Nachweis, dass es sich bei den „I“-Linern, die Gegenstand von Exhibit 8 und 9 sind, tatsächlich um diejenigen Produkte handelt, die Herr I seinen Patienten ausgehändigt habe. Im Hinblick auf die Liner der Firma J bestreitet die Verfügungsklägerin, dass es sich hierbei um ein Produkt handelt, dass alle Merkmale des Anspruchs 1 vorwegnimmt und einen Stoff innerhalb des vom Verfügungspatent bean-spruchten Toleranzbereichs aufweist.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die einge-reichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hat auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Verfügungsbeklagten in der Sache Er-folg. Der Verfügungsklägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung und Rechnungslegung aus Art. 64 EPÜ i. V. m. §§ 139 Abs. 1, 140b Abs. 1 und 3 PatG zu, da die angegriffenen Ausführungsformen von der technischen Lehre des Verfügungspatents wortsinngemäß Gebrauch machen. Der der Sicherung des Vernichtungsanspruchs aus § 140a Abs. 1 PatG dienende Sequestrationsanspruch ist damit ebenfalls gegeben. Darüber hinaus hat die Verfügungsklägerin auch das Bestehen eines Verfügungsgrundes glaubhaft gemacht.

I.
Das Verfügungspatent betrifft eine Polstervorrichtung zum Ein- oder Umschlie-ßen eines Amputationsstumpfes („Liner“).

Wie das Verfügungspatent einleitend ausführt, tragen Amputierte seit den 80er Jahren röhrenförmige Liner über deren Restglied, die typischerweise aus Baumwolle, Wolle oder aus einer Baumwolle-Wolle-Mischung bestehen. Diese Materialien würden sich dadurch auszeichnen, dass diese atmen könnten und nicht luftdicht seien. In letzter Zeit – so das Verfügungspatent weiter – würden jedoch zunehmend synthetische Materialien wie Nylon verwendet.

Bei einer typischen Unterschenkel-Prothese eines Amputationsstumpfes be-stehe die Tendenz, sich in dem Anschlussteil kolbenartig zu bewegen. Dadurch komme es bei Linern, die nicht atmen könnten und die beispielsweise aus einem Polymermaterial hergestellt seien, zu unan-genehmen Ansaug- und Gurgelgeräuschen, welche als störend und unzweckmäßig betrachtet würden.

Darüber hinaus würden viele Amputierte ein Anschwellen des Stumpfes erfahren. Wenn der Rest in einem prothetischen Anschluss des Stumpfes sei, bestehe die Tendenz, dass sich dieser wesentlich zusammenziehe. Wenn er aus einem Stumpf herausgenommen werde, bestehe die Tendenz, dass der Stumpf expandiere. Die Expansion und Kontraktion des Restes trage zur Entwicklung von Lufttaschen und damit ebenfalls zur Erzeugung störender Geräusche bei. Da ein Amputationsrest sich mit der Zeit für gewöhnlich schrumpfe, nehme die Tendenz des beschriebenen Kolbeneffektes zu. Zudem würden Socken, die zu einer Lufttaschenbildung neigen, schnell verschlissen und würden, wenn sie nicht oft ersetzt würden, schnell zu Läsionen auf den Rest führen.

Gegenwärtig verfügbare gepolsterte Liner seien röhrenförmig oder konisch und würden keinen angepassten Sitz auf einen Amputationsstumpf gewährleisten. Zudem seien derartige Liner nicht in der Lage, Lufttaschen zu vermeiden.

Amputierte würden ein prothetisches Gliedmaß typischerweise an ihr Rest-gliedmaß mittels der Einrichtung eines steifen Anpassteils, einer Vorrichtungs- und einer Spannungseinrichtung anbringen. Das steife Anpassteil werde häufig individuell angefertigt, um zu der Gestalt des Gliedmaßes des beabsichtigten Verwenders zu passen, wobei dieses Teil aus thermoplastischen oder faserverstärkten wärmehärtbaren Materialien, aber auch aus Holz oder Metall hergestellt werden könne. Derartige Hartmaterialien seien jedoch unkomfortabel, wenn sie über eine längere Zeit in engen Kontakt mit der Haut, insbesondere unter Lasttragebedingungen, gebracht würden. Daher würden häufig Vorrichtungen und/oder prothetische Liner als Schnittstellenelemente zwischen dem harten Anpassteil und dem Restgliedmaß verwendet, um den Komfort zu erhöhen. Derartige Vorrichtungen könnten beispielsweise aus Materialien wie Pelit oder Kemblo, aber auch Silizium oder Urethan hergestellt werden. Prothetische Liner könnten aus Wolle, Baumwolle oder synthetischen Materialien hergestellt werden. Dabei bestehe die Tendenz, dass Amputierte Vorrichtungen oder Liner bevorzugen, die leicht geändert werden, um die Reinigung zu erleichtern, Volumenänderungen in dem Restglied unterzubringen oder verschiedene Verwendeaktivitäten zu ermöglichen.

Die US 4,635,626 (Lerman) offenbare einen Liner für Amputierte mit einer Ba-sisschicht aus einem flexiblen elastischen offenzelligen Material. Eine Haut schützende erste Schicht aus einem weichen flexiblen porösen Material über-decke eine erste Schicht der Basisschicht. Eine zweite, aus einem Schutzge-webe bestehende Schicht überdecke eine zweite Fläche der Basisschicht.

Wie das Verfügungspatent weiter ausführt, könnten Spannungssysteme, die dazu beitragen, ein prothetisches Glied an seiner Stelle zu halten, ein integraler Teil des Anpassteils und/oder der Vorrichtung sein. Beispiele für Spannungssysteme würden Supracondylare oder Hüftgürtel, Gelenk- und Korsettsysteme, Neopren- oder Latexhülsen, Gelenkköpfe, die an den Gelenkpfannen greifen, Ansaug- oder Pin- und Verschlusssysteme umfassen. Beispiele für typische Spannungssysteme würden verschiedene, in Abschnitt [0009] der Verfügungspatentschrift im Einzelnen genannte US- Patentschriften offenbaren.

An den im Stand der Technik bekannten Schnittstellen kritisiert das Verfü-gungspatent jedoch, dass diese eine individuelle Herstellung und damit ent-sprechend lange Vorlaufzeiten benötigen würden. Zudem seien diese unter anderem mit hohen Kosten, Geräuschentwicklungen, Hautirritationen, einem eingeschränkten gemeinsamen Bewegungsbereich, der fehlenden Unterbringung von Stumpfgeometrieänderungen, störenden Gerüchen, Entfärbung sowie fehlendem Komfort verbunden.

Dem Verfügungspatent liegt daher die Aufgabe (das technische Problem) zu-grunde, einige Nachteile der bislang bekannten Schnittstellenelemente zu ver-meiden.

Dies geschieht nach Patentanspruch 1 in der im Einspruchsverfahren aufrecht erhaltenen und hier allein streitgegenständlichen Fassung durch eine Polstervorrichtung zum Einschließen eines Amputationsstumpfes mit folgenden Merkmalen:

1. Die Polstervorrichtung umfasst einen Stoff.

2. Der Stoff weist ein offenes Ende zum Einführen des Stumpfes auf.

3. Der Stoff weist ein dem offenen Ende gegenüberliegendes geschlossenes Ende auf.

4. Zur Herstellung des Stoffes wird ein Textilmaterial verwendet, dass eine Dicke besitzt von 0,635 mm bis 3,175 mm (0,025 Inch bis 0,125 Inch).

5. Der Stoff ist auf wenigstens seiner Innenseite mit einem eng anliegenden Polymer-Polstermaterial beschichtet.

6. Das Polymer-Polstermaterial berührt die Haut des Amputations-stumpfes, wenn durch einen Verwender getragen, um Lufttaschen zu minimieren oder zu eliminieren.

Nach dem Kern der Erfindung kommt es somit darauf an, dass zur Herstellung des Stoffes ein Textilmaterial verwendet wird, das eine Dicke von 0,635 mm bis 3,175 mm (0,025 Inch bis 0,125 Inch) aufweist.

Zwar ist der Patentbeschreibung kein ausdrücklicher Hinweis darauf zu ent-nehmen, welche Funktion mit der konkret angegebenen Dicke verbunden sein soll. Jedoch erkennt der Fachmann aus Abschnitt [0065] der Patentbeschreibung, dass die erfindungsgemäße Polstervorrichtung oder Hülse vor dem Anziehen aufgerollt und dann auf das Glied und/oder die Vorrichtung abgerollt werden kann, wobei das Ausziehen in umgekehrter Weise erfolgt. Dem Fachmann ist somit klar, dass das Textilmaterial lediglich so dick sein darf, dass das einfache Aus- und Anziehen der Polstervorrichtung oder Hülse durch das Auf- und Abrollen ermöglicht wird.

Des Weiteren ermöglicht die Textilschicht nach Abschnitt [0065], dass das Tex-tilmaterial gegen sich selbst gleitet. Ferner soll durch das Textilmaterial gewährleistet werden, dass die Kleidung des Trägers nicht an den erfindungsgemäßen Gegenständen anhaftet und verschmutzt wird (vgl. Anlage B & B 2, Abschnitt [0065]).

Dem Fachmann ist somit klar, dass die in Merkmal 4 beanspruchte Dicke des Textilmaterials einerseits darauf beruht, dass das Textilmaterial eine gewisse Mindestdicke haben muss, damit das Polstermaterial nicht in Kontakt mit der Kleidung des Trägers kommt. Andererseits darf die beanspruchte Dicke aber auch nicht überschritten werden, da dann die für das einfache An- und Ausziehen erforderliche Auf- und Abrollbarkeit des Polstermaterials nicht mehr gewährleistet ist.

Wie der Fachmann dem Wortlaut des Patentanspruchs weiter entnimmt, bezie-hen sich die in Merkmal 4 beanspruchten Maßangaben auf den Stoff, wie er bei der Herstellung verwendet wurde („zur Herstellung des Stoffes wird ein Textilmaterial verwendet…“, Hervorhebung hinzugefügt). Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Dicke des Stoffes ausschließlich vor dessen Verarbeitung gemessen werden könnte. Entscheidend ist vielmehr, dass die Messung am Textil erfolgt, wie es bei der Herstellung war. Da das Gel bei der Herstellung der Liner – unstreitig – im gestreckten Zustand auf den Stoff aufgebracht wird, soll das Gel somit vor der Messung wieder entfernt werden, damit sich der Stoff wieder entspannt und dem entspricht, wie er bei der Herstellung verwendet wurde. Damit steht Patentanspruch 1 in der hier streitgegenständlichen Fassung in Einklang mit der durch die Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung überreichten BS EN ISO 5084:1997, nach welcher der Stoff ebenfalls in einem entspannten Zustand gemessen werden soll (vgl. Punkt 7.3. „Condition the samples or test specimes in the relaxed state until equilibrium is reached with the standard atmosphere for testing. Note 1 It is recommended to condition the samles at least for 16 h in the relaxed state.“).

II.
Ausgehend von diesen Überlegungen machen die angegriffenen Aus-führungsformen von der technischen Lehre des Verfügungspatents wortsinn-gemäß Gebrauch. Zurecht ist zwischen den Parteien die Verwirklichung der Merkmale 1 bis 3 sowie 5 und 6 nicht umstritten, so dass es insoweit keiner weiteren Ausführungen bedarf.

1.
Darüber hinaus hat die Verfügungsklägerin schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht, dass das zur Herstellung des Stoffes verwendete Textilmaterial eine Dicke von 0,635 mm bis 3,175 mm (0,025 Inch bis 0,125 Inch) aufweist (Merk-mal 4).

a)
Die Verfügungsklägerin hat als Anlage B 21a ein Gutachten der L vorgelegt, welchem Messungen der Dicke der Stoffschicht sowohl nach physikalischer als auch chemischer Trennung der Stoffschicht vom anhaftenden Gel zugrunde liegen. Die Dicke der Stoffschicht wurde dabei durch die Messung des Abstandes zwischen der Messplatte, auf der die Probe ruht, und einem parallelen kreisförmigen Drückerfuß gemessen, der einen spezifischen Druck auf den Bereich des überprüften Teils ausübt (BSENISO5084:1997). Dabei wurden Tests in 20 verschiedenen Bereichen aus jeder der übersandten Pro-ben durchgeführt. Die chemische Trennung der Stoffschicht erfolgte nach dem Privatgutachten mittels vorsichtiger Erwärmung in kochendem Toluol, um die Verbindung zu lösen, ohne die Integrität der Fasern zu beeinträchtigen. Abschließend wurde der Stoff zum Trocknen in einen Abzugschrank verbracht, um die verbleibenden Lösungsmittel abzusaugen, bevor er der Standardatmosphäre für die Textilvorbereitung und -überprüfung ausgesetzt worden ist. Die mittlere Dicke der untersuchten Proben lag zwischen 1,19 mm und 1,37 mm bei einer Standardabweichung von 0,01 – 0,03 Prozent (vgl. Anlagen B 21 und B 21a).

b)
Zudem hat die Verfügungsklägerin als Anlagen B 19 und B 19a ein Gutachten des Instituts P vorgelegt. Dem Gutachten liegen Messungen nach einer mechanischen Trennung von Textil- und Gelschicht zugrunde, wobei das Institut eine Schichtdicke von 0,64 bis 1,10 mm gemessen hat. Nach dem Prüf-bericht wurden durch das Institut Proben von Produkten der Verfügungsbe-klagten untersucht. Soweit die Verfügungsbeklagte insoweit darauf hin-gewiesen hat, in dem Gutachten des Instituts P seien auf Seite 3 Alpha Liner der Verfügungsklägerin abgebildet, ist die Verfügungsklägerin dem in der mündlichen Verhandlung nicht entgegen getreten. Jedoch hat die Verfügungsklägerin dies nachvollziehbar damit begründet, dass ihr nur ein Liner der Verfügungsbeklagten zur Verfügung gestanden habe, welcher jedoch durch zwei Institute untersucht werden sollte. Deshalb sei der Liner der Verfügungsbeklagten in der Mitte geteilt worden. Zwar seien in dem Gutachten zur Erläuterung der Aufbereitung der Liner Produkte der Verfügungsklägerin abgebildet. Untersucht worden seien jedoch Produkte der Verfügungsbeklagten. Dies steht in Einklang mit den Angaben im Gutachten, wo als Proben unter Ziffer 2. ausschließlich Liner der Verfügungsbeklagten aufgezählt werden. Zudem beziehen sich auch die unter Ziffer 6. wiedergegebenen Messwerte ausschließlich auf Liner der Verfügungsbeklagten.

c)
Ferner hat die Verfügungsklägerin eine ergänzende Stellungnahme von Herrn Professor M (Universität Bolton) vorgelegt (vgl. Anlagen B 20 und B 20a). Dieser führt einleitend zunächst aus, dass die durch die Gel-Entfernung bedingte potentielle Wiederaufrichtung der Fasern nicht die Genauigkeit der Messungen nach BSENISO 5084:1997 beeinträchtigt, da die Fasern während der Ausübung des Messdrucks zusammengepresst werden, so dass der Abstand zwischen dem Drückerfuß und der Messplatte nicht durch die potentielle Wiederaufrichtung der Fasern beeinflusst wird. Zudem weist Prof. M darauf hin, dass bei einer physikalischen Trennung der Stoffschicht vom Gel aufgrund von Gelrückständen in den Gelfasern kein völlig entspannter Zustand des Stoffes erreicht werden kann, weshalb Messungen dieser Proben zu dünneren Ablesewerten als bei vollständiger Entfernung des Gels entstehen (vgl. Anlage B 20a, S. 2). Prof. M gelangt zu dem Ergebnis, dass das ideale Verfahren für die Feststellung der Stoffdicke deren Messung vor dem Aufbringen des Gels ist. Zugleich stellt er jedoch fest, dass jede Messung nach der Beschichtung zur Feststellung einer dünneren Stoffdicke führt, als sie tat-sächlich ist (vgl. Anlage B 20a, S. 3 f.), weil die auf die Beschichtung wirkende Grundspannung den Stoff dünner werden lässt.
d)
Schließlich hat die Klägerin als Anlagen B & B 14 und B & B 14a eine eides-stattliche Versicherung von Herrn Christoph N vorgelegt, nach welcher im einzelnen aufgeführte Messungen ebenfalls gezeigt hätten, dass die Dicke der Stoffschicht bei den angegriffenen Ausführungsformen im beanspruchten Bereich liegt.

3.
Das Vorbringen der Verfügungsklägerin hat die Verfügungsbeklagte nicht er-heblich bestritten.

Zwar hat sie als Anlage AG 1 ein Privatgutachten des Textilforschungsinstituts Thüringen-Vogtland e. V. vorgelegt. Danach wurde der Probenquerschnitt von 6 Proben unter dem Elektronenmikroskop ohne jeden Messdruck untersucht und die Textilschicht vermessen, wobei die Dicke der Textilschicht nach den vorgelegten Messergebnissen größtenteils unterhalb des beanspruchten Bereichs liegt. Jedoch sind diese Messungen nicht geeignet, das ebenfalls durch Privatgutachten belegte Vorbringen der Verfügungsklägerin erheblich zu bestreiten.

Die durch die Verfügungsbeklagte in Auftrag gegebenen Messungen wurden am „fertigen“, das heißt gelbeschichteten Liner durchgeführt, so dass der Stoff dort gerade nicht entspannt war. Unstreitig wird der Stoff jedoch beim Entspan-nen dicker. Damit lassen die Messungen bereits aus diesem Grund keinen Schluss darauf zu, welche Dicke der „zur Herstellung der Liner verwendete Stoff“ hatte.

Des Weiteren hat der durch die Verfügungsklägerin beauftragte Prof. M in seiner Stellungnahme (Anlagen B 20 und B 20a) ausführt, bei einer Messung mit einem Rasterelektronenmikroskop (REM) werde eine Metallbeschichtung verwendet, welche die Probe bedecke. Dies lasse die Probe intransparent wer-den und verdecke den im Gel eingebetteten Stoff. Dies führe zu viel niedrige-ren und hochgradig abweichenden Ergebnissen für die Stoffdicke. Dem ist die Verfügungsbeklagte nicht entgegen getreten. Vielmehr haben die Verfahrens-bevollmächtigten der Verfügungsbeklagten in dem parallelen Verfügungs-verfahren gegen die Georg Friedrich Streifeneder KG zusätzlich Messergeb-nisse vorgelegt, die auf Messungen mit einem Lichtmikroskop beruhen, wobei diese, lediglich in einem in englischer Sprache vorgelegten Prüfungsbericht enthaltenen Messergebnisse mangels einer entsprechenden hinreichenden Erläuterung bereits nicht nachvollziehbar sind. Insbesondere lässt sich dem Messbericht nicht entnehmen, ob in die Messungen auch der Bereich der Tex-tilschicht einbezogen wurde, welcher mit Gel bedeckt ist. Eine Einbeziehung dieses Bereiches ist jedoch zwingend erforderlich, da dem Verfügungspatent keine dahingehende Vorgabe zu entnehmen ist, dass lediglich der außerhalb der Gelschicht angeordnete Bereich der Textilschicht zu messen wäre. Dem steht vielmehr bereits der Wortlaut von Merkmal 4 entgegen, wonach es auf die Dicke des „zur Herstellung des Liners verwendeten Stoffes“ ankommen soll.

Soweit die Verfügungsbeklagte weiterhin im Hinblick auf das Gutachten des Messinstituts O ausführt, Toluol siede bei 111 °C, so dass die Messungen keine Aussage in Bezug auf die Stoffdicke im Rohzustand geben könnten, lässt dieses Vorbringen eine entsprechende tatrichterliche Feststellung nicht zu. Die Verfügungsbeklagte begründet ihre Auffassung allein damit, Kunstfasern würden bereits bei einer „Erwärmung“ auf 95 °C unbrauchbar. Hinzu komme, dass Toluol viele Kunststoffe angreife und somit zusätzlich die Struktur des Materials verfälsche. Inwiefern durch das Toluol jedoch bei den gerade durch die Verfügungsbeklagte eingesetzten Materialien entsprechende Veränderungen eintreten, lässt sich dem Vorbringen der Verfügungsbeklagten nicht entnehmen, wobei die Verfügungsbeklagte ihr diesbezügliches Vorbringen trotz eines entsprechenden Hinweises der Kammer in der mündlichen Verhandlung auch nicht ergänzt hat.

Der weitere Hinweis der Verfügungsbeklagten, die Messmethode der Verfü-gungsklägerin sei bereits deshalb ungeeignet, weil diese lediglich eine Ge-nauigkeit von 0,01 mm habe, überzeugt bereits deshalb nicht, weil ins-besondere die durch das Institut O gefundenen Ergebnisse im Schnitt zwischen 1,19 und 1,37 mm und damit deutlich im beanspruchten Bereich liegen, so dass sich die mit dem Verfahren verbundene Ungenauigkeit nicht auswirkt.

Auch das weitere Vorbringen der Verfügungsbeklagten, bei den Messungen der Institute O und P, bei denen das Gel nicht durch Kochen in Toluol, son-dern mechanisch entfernt wurde, würden die Gelreste „natürlich“ primär die Di-cke des Stoffes erhöhen und zu weit höheren Messergebnissen führen, lässt nicht erkennen, inwiefern dies tatsächlich der Fall ist. Vielmehr hat die Verfügungsklägerin in der mündlichen Verhandlung zurecht darauf hingewie-sen, dass der Stoff durch die Gelreste zugleich nicht vollständig entspannt sei, so dass dadurch die durch die in die Messung einbezogenen Gelreste verur-sachte leichte Erhöhung der Stoffdicke zumindest wieder kompensiert werde.

Soweit sich die Verfügungsbeklagte schließlich auf die in dem Schriftsatz vom 04.07.2011 eingeblendete Tabelle beruft, trifft es zwar zu, dass insbesondere die nach einer mechanischen Entfernung der Textilschicht gefundenen Ergebnisse deutlich niedriger als nach der chemischen Entfernung sind. Allerdings hat dies Prof. M nachvollziehbar damit begründet, dass sich der Stoff bei einer mechanischen Entfernung aufgrund der noch vorhandenen, die Strukturen des Stoffes blockierenden geringen Gelrückstände nicht in einem (vollständig) entspannten Zustand befand und diese an der Rückkehr zu ihren entspannten Abmessungen verhindern (vgl. Anlage B 20a, S. 3). Einen Hinweis darauf, dass die Messmethoden ungeeignet sind, stellen die Abweichungen somit gerade nicht dar.

III.
Ohne Erfolg hat die Verfügungsbeklagte die Einrede der Verjährung erhoben. Dem Antrag, die einstweilige Verfügung dahingehend abzuändern, dass die Verfügungsbeklagte Auskunft erst ab dem 01.01.2007 zu leisten hat, fehlt damit die rechtliche Grundlage.

1.
Gemäß § 141 PatG verjähren Ansprüche wegen einer Verletzung des Patent-rechts, der auch entsprechend auf europäische Patente Anwendung findet, innerhalb von drei Jahren. Die Verjährungsfrist beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Tatsachen sowie der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat, § 141 PatG i. V. m. § 199 Abs. 1 BGB.

2.
Das Vorbringen der Verfügungsbeklagten lässt die tatrichterliche Feststellung nicht zu, dass die Ansprüche der Verfügungsklägerin verjährt sind.

Die Verfügungsbeklagte beruft sich zur Begründung des durch sie erhobenen Verjährungseinwandes darauf, Herr Martin D habe als Geschäftsführer der E GmbH in der Zeit vom 03.01.2005 bis April 2009 auf Anweisung der Verfügungsklägerin jährlich mindestens einen Cushion Liner und einen Locking Liner aus dem aktuellen Sortiment der Verfügungsbeklagten bestellt und an die Verfügungsklägerin weitergeleitet. Obwohl die Dicke des Textilmaterials noch nicht Anspruchsbestandteil gewesen sei, habe die Verfü-gungsklägerin gegen den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen keinen Einwand erhoben, wobei der Verfügungsklägerin auch bekannt gewesen sei, dass sich die Produkte der Verfügungsbeklagten lediglich hinsichtlich der Form, Gelstärke und Ausgestaltung des distalen Endes unter-scheiden.

In Erwiderung auf dieses Vorbringen hat die Verfügungsklägerin in der mündlichen Verhandlung erklärt, der Vortrag der Verfügungsbeklagten sei unsubstantiiert und daher für die Verfügungsklägerin nicht nachvollziehbar. Nach derzeitigem Kenntnisstand sei ein erster Liner im März 2007 versandt worden, wobei die Verfügungsklägerin dies aus einer, in der mündlichen Ver-handlung zur Akte gereichten, „Proforma“-Rechnung vom 05.03.2007 schließe.

Damit hat die Verfügungsklägerin das Vorbringen der Verfügungsbeklagten erheblich bestritten, so dass es nunmehr an den in Bezug auf die Verjährungseinrede darlegungs- und beweisbelasteten Verfügungsbeklagten gewesen wäre, ihr Vorbringen weiter zu konkretisieren. Gleichwohl hat die Verfügungsbeklagte ihren Vortrag nicht ergänzt. Insbesondere lässt sich dem Vortrag der Verfügungsbeklagten ebenso wenig wie der im parallelen Zwangsmittelverfahren 4a O 72/11 ZV als Anlage AG 7 vorgelegten eidesstattlichen Versicherung entnehmen, wann genau welcher Liner versandt worden sein soll.

IV.
Die Verfügungsklägerin hat auch das Bestehen eines Verfügungsgrundes glaubhaft gemacht.

1.
Ohne Erfolg beruft sich die Verfügungsbeklagte unter Hinweis auf das in Bezug auf das Verfügungspatent anhängige Einspruchsverfahren darauf, der Rechtsbestand des Verfügungspatentes sei nicht hinreichend gesichert. Zwar trifft es zu, dass der Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung wegen einer Schutzrechtsverletzung nur in Betracht kommt, wenn nicht nur die Verletzung des Schutzrechts, sondern auch dessen Rechtsbestand so eindeutig zugunsten der Verfügungsklägerin zu bewerten ist, dass eine fehlerhafte, in einem späteren Hauptsacheverfahren zu revidierende Entscheidung nicht ernstlich zu erwarten ist. Dabei steht es zur Glaubhaftma-chungslast der Verfügungsklägerin, dass die gegen das Verfügungspatent vorgebrachten Einwendungen unberechtigt sind und das Verfügungspatent mit Sicherheit im Rechtsbestandsverfahren bestehen wird. Von einem hinreichend gesicherten Rechtsbestand kann daher im Allgemeinen nur ausgegangen werden, wenn das Verfügungspatent bereits ein erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren überstanden hat. (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 29.04.2010, I-2 U 126/09 – Harnkatheterset).

Anlass für diese Zurückhaltung hinsichtlich des Rechtsbestandes des Verfü-gungspatentes besteht jedoch dann nicht, wenn die Verfügungsbeklagte wie hier aufgrund des bereits geraume Zeit vor dem Verfügungsantrag anhängigen Hauptsacheverfahrens ausreichend Gelegenheit zur Recherche hatte. In einem derartigen Fall ist die Beschlussverfügung schon dann zu bestätigen, wenn der entgegengehaltene Stand der Technik keinen Anlass zur Aussetzung im Hauptsacheverfahren gegeben hätte. Weil die Verteidigungsmöglichkeiten der Verfügungsbeklagten auch nicht beschränkt waren, bedarf es zur Rechtfertigung des Unterlassungsgebotes auch keiner besonderen Interessenabwägung (vgl. Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 5. Auflage, Rz. 1118).

2.
Davon ausgehend ist der Rechtsbestand des Verfügungspatents hinreichend gesichert. Zum Einen hatte die Verfügungsbeklagte aufgrund des bereits ge-raume Zeit vor dem Verfügungsantrag anhängigen Hauptsacheverfahrens ge-nügend Zeit zur Recherche. Zum Anderen wurde das Verfügungspatent in der hier streitgegenständlichen Fassung bereits durch das Europäische Patentamt aufrecht erhalten. Darüber hinaus vermag auch das weitere Vorbringen der Verfügungsbeklagten Zweifel am Rechtsbestand des Verfügungspatents nicht zu begründen.

a)
Der unter Verweis auf die Liner „G“ erhobene Einwand der offenkundigen Vorbenutzung begründet keine Zweifel am Rechtsbestand des Verfü-gungspatents.

Zum Einen hat sich bereits das Europäische Patentamt in seiner Entscheidung vom 13.04.2011, dort unter Punkt 23.1., ausführlich mit dem Liner „G“ beschäftigt und ist dort zu dem Ergebnis gelangt, dass die Einspruchsführer die Voraussetzungen einer offenkundigen Vorbenutzung nicht hinreichend nachgewiesen hätten (vgl. Anlage B & B 16, S. 8 f.). Zum Anderen lässt sich auch aus den nunmehr als Anlagen AG 9/1 – AG 9/4 vorgelegten Unterlagen nicht erkennen, ob bei dem Liner „G“ tatsächlich alle Merkmale des Verfügungspatents in der nunmehr streitgegenständlichen Fassung erfüllt waren und ob dieser tatsächlich offenkundig vorbenutzt wurde.

Zunächst hat die Kammer in Bezug auf die zum Nachweis der offenkundigen Vorbenutzung als Anlage AG 9/4 vorgelegte eidesstattliche Versicherung zu berücksichtigen, dass eidesstattliche Versicherungen im Einspruchsverfahren grundsätzlich der freien Beweiswürdigung unterliegen (vgl. Schulte/Rudloff-Schäffer, Patentgesetz mit EPÜ, 8. Auflage, § 46 Rz. 44). Insbesondere lässt sich derzeit nicht absehen, ob die Beschwerdekammer möglicherweise Herrn F-Q als Zeugen vernehmen wird. Entsprechend ist bereits unvorhersehbar, wie die Beschwerdekammer die eidesstattliche Versicherung von Herrn F-Q würdigt. Schon wegen dieser gänzlich unsicheren Prognose verbietet sich die Annahme, es sei unter dem Gesichtspunkt der offenkundigen Vorbenutzung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine Vernichtung des Verfügungspatents zu erwarten (vgl. Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 5. Auflage, Rz. 1051).

Dem als Anlage AG 9/1 vorgelegten Artikel aus der Zeitschrift „Orthopädie“ lässt sich die technische Gestaltung des Liners „G“ demgegenüber ebenso wenig entnehmen wie den als Anlagenkonvolut AG 9/2 vorgelegten notariellen Bestätigungen.

Soweit die Verfügungsbeklagte schließlich als Anlagenkonvolut AG 9/3 Untersuchungen der Textilforschungsanstalt Thüringen-Vogtland e. V. vorgelegt hat, bezieht sich der Testbericht vom 10.08.2011 auf die „G“-Liner mit den Urkundennummern 2799/2011 und 2801/2011. Dass diese offenkundig vorbenutzt wurden, lässt sich der als Anlage AG 9/4 vorgelegten eidesstattli-chen Versicherung von Herrn F-Q nicht entnehmen. Vielmehr hat dieser laut seiner eidesstattlichen Versicherung 1993 „zu Testzwecken“ die als „Anlage C“ und „Anlage A“ markierten Liner und damit die mit den Urkundennummern 2798/2011 und 2800/2011 markierten Liner getragen. Diese sind aber laut Ziffer 9 der eidesstattlichen Versicherung „ohne Textilbereich“, wobei die Verfügungsbeklagten dies damit erläutern, die ausgelieferten „R“-Liner hätten an ihrem proximalen Ende eine Art Überstand des Textilmaterials auf-gewiesen, der von dem Benutzer wie ein Socken über die Haut gezogen werde. An diesem Überstand hat das Textilforschungsinstitut Thüringen-Vogtland e. V. nach dem als Anlage AG 9/3 vorgelegten Testbericht eine Dicke von 0,77 mm gemessen, wobei der gemessene Wert nach dem Vortrag der Verfügungsbeklagten dem Rohzustand des Textilmaterials entspricht.

Da der durch Herrn F-Q getragene Liner jedoch ausweislich der als Anlage AG 9/4 vorgelegten eidesstattlichen Versicherung jedoch gerade kein Textilmaterial aufwies, erschließt sich nicht, wie Dritte, selbst wenn die Liner durch Herrn F-Q tatsächlich beim Baden abgelegt wurden, die genaue Dicke des Textilmaterial ohne Gel hätten zur Kenntnis nehmen können. Dem steht bereits entgegen, dass es sich dabei um „fertige“ Liner „ohne Textilmaterial“ gehandelt hat, so dass die Dicke des Textilmaterials auch nach dem Vortrag der Verfügungsbeklagten dort zwischen 0,13 mm und 0,45 mm betragen hat.

Der darüber hinaus in Bezug auf die Proben mit den Urkundennummern 2798/2011 und 2800/2011 vorgelegte Prüfbericht vom 10.08.2011 ist unvoll-ständig und nicht nachvollziehbar, wobei die dort ersichtlichen Werte ebenfalls außerhalb des beanspruchten Bereiches liegen.

b)
Der Einwand der unzulässigen Erweiterung vermag Zweifel am Rechts-bestand des Verfügungspatents bereits deshalb nicht zu begründen, weil die Verfügungsbeklagte die Anmeldeschrift, auf deren Offenbarungsgehalt es bei der Beurteilung der Frage der unzulässigen Erweiterung maßgeblich ankommt, nicht vorgelegt hat. Im Übrigen begründen die Verfügungsbeklagten bzw. die Einspruchsführer den Vorwurf der unzulässigen Erweiterung maßgeblich damit, im Anspruchswortlaut fehle der Begriff „invention“, so dass dieser Anspruch sowohl die unverarbeitete Faser als auch die verarbeitete Faser einschließe. Demgegenüber decke die Beschreibung nur die verarbeitete Faser ab. Mit dieser Frage hat sich die Beschwerdeabteilung des EPA jedoch bereits unter Punkt 2.1. der als Anlage B & B 16 vorgelegten Entscheidung beschäftigt und eine unzulässige Erweiterung verneint.

c)
Des Weiteren vermag auch der Einwand der mangelnden Ausführbarkeit (Art. 84 EPÜ) Zweifel am Rechtsbestand des Verfügungspatents nicht zu begrün-den.

Bei der Beurteilung der Frage der Ausführbarkeit der Erfindung kommt es da-rauf an, ob es einem Fachmann möglich ist, die Erfindung anhand der Offenbarung praktisch zu verwirklichen (vgl. Kühnen/Moufang, Patentgesetz, 8. Auflage, § 34 Rz. 360 ff.). Mit der Frage der Ausführbarkeit der Erfindung hat sich die Beschwerdekammer des EPA jedoch bereits ausführlich in der als Anlage B & B 16 vorgelegten Entscheidung vom 18.02.2010, dort Punkt 2.2., beschäftigt und festgestellt, dass anhand der – hier nicht vorgelegten – Anlage E 24 hinreichend dargelegt worden sei, dass ein Fachmann wisse, welche Messmethode er einzusetzen habe, wobei die Einspruchsführer keinen Beweis des Gegenteils angetreten hätten.

d)
Soweit die Verfügungsbeklagten weiterhin auf die Liner „I“ und „J“ Bezug nehmen, vermag auch dieses Vorbringen Zweifel am Rechtsbestand des Verfügungspatents nicht zu begründen.

Zwar steht es, sobald das Verfügungspatent in seinem Rechtsbestand ange-griffen wurde, zur Darlegungslast der Verfügungsklägerin, die Kammer davon zu überzeugen, dass die vorgebrachten Einwendungen unberechtigt sind und das Verfügungspatent mit Sicherheit das laufende Rechtsbestandsverfahren überstehen wird (vgl. Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 5. Auflage, Rz. 1520). Davon ist jedoch dann eine Ausnahme zu machen, wenn der Rechtsbestand – wie hier – mit einer angeblich offenkundigen Vorbenutzung angegriffen wird. In diesem Fall kommt die Aussetzung eines Hauptsacheverfahrens nur in Betracht, wenn der Verletzer die behauptete Vorbenutzungshandlung im Verletzungsrechtsstreit durch liquide Beweismittel nachweisen kann. Bedarf es hingegen zur tatrichterlichen Feststellung des Vorbenutzungssachverhaltes (auch) einer Zeugenvernehmung, bleibt der Aussetzungsantrag erfolglos, und zwar selbst dann, wenn der Verletzer ei-desstattliche Versicherungen der benannten Zeugen präsentieren kann, die seinen Sachvortrag bestätigen. Unter den zuletzt geschilderten Umständen würde der Verletzer folglich einer Verurteilung im Hauptsacheprozess nicht entgehen können. Dies muss – auch wenn es im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes grundsätzlich nur auf eine Glaubhaftmachung des Parteivortrages ankommt und die eidesstattliche Versicherung nach § 294 ZPO als Mittel zur Glaubhaftmachung zugelassen ist – Auswirkungen auch auf das einstweilige Verfügungsverfahren haben. Daher kann nur dann davon ausgegangen werden, dass der Rechtsbestand relevant erschüttert wurde, wenn ein die Erfindung vorwegnehmender oder naheliegender Vorbenutzungstatbestand in einer Art und Weise nachgewiesen wird, der in einem parallelen Hauptsacheverfahren dessen Aussetzung rechtfertigen würde (vgl. Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 5. Auflage, Rz. 1531 m. w. N.).

Ausgehend von diesen Überlegungen lässt der Vortrag der Verfü-gungsbeklagten bereits weder die Feststellung zu, dass die technische Lehre des Verfügungspatents bei den Linern „I“ und „J“ verwirklicht ist, noch, dass diese vor dem Prioritätsdatum des Verfügungspatents offenkundig vorbenutzt wurden. Auch wenn die Verfügungsbeklagte nunmehr in ihrer Duplik vorträgt, ihr sei bisher der Zugriff auf die US-amerikanischen Zivilakten verwehrt worden, hat sie in Bezug auf den Liner „I“ in ihrer Widerspruchsbegründung gleichwohl vorgetragen, dass die Stoffdicke dort 2,64 mm (Exhibit 9) bzw. 0,74 mm (Exhibit 8) betrage und dass diese Liner vor dem Prioritätstag an einen Pa-tienten ausgeliefert und benutzt wurden, ohne dies jedoch näher zu spezifizie-ren.

Im Übrigen ist auch nicht erkennbar, dass tatsächlich die Verfügungsklägerin in der Lage wäre, näher zu den Linern „I“ und „J“ vorzutragen. Zwar hat die Verfügungsbeklagte vorgetragen, der Verfügungsklägerin hätten diese Liner im US-amerikanischen Verfahren vorgelegen. Insoweit hat die Verfügungsklä-gerin jedoch erwidert, in den US-amerikanischen Verfahren habe weder der genaue Offenbarungsgehalt, noch die Veröffentlichung der „I“-Liner geklärt werden können. Insoweit sei der Aufbau dieser Liner unklar. Außerdem be-streitet die Verfügungsklägerin, dass diese Liner vor dem Prioritätsdatum der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden.

e)
Das weitere Vorbringen der Beklagten in der Duplik, parallele US-Schutzrechte der Verfügungsklägerin seien eingeschränkt oder vernichtet worden, vermag Zweifel am Rechtsbestand des Verfügungspatents bereits deshalb nicht zu begründen, weil diese Schutzrechte weder vorgelegt, noch hinreichend erläutert wurden.

2.
Auch wenn die Verfügungsklägerin bereits nach ihrem Vortrag schon seit eini-ger Zeit Kenntnis von den streitgegenständlichen Verletzungshandlungen der Verfügungsbeklagten hatte und zudem im Zeitpunkt des Verfügungsantrages bereits ein paralleles Verletzungsverfahren rechtshängig war (Az.: 4a O 150/11), fehlte es dem Verfügungsantrag gleichwohl nicht an der erforderlichen Dringlichkeit. Die Verfügungsklägerin hat den Verfügungsantrag hinreichend früh, nämlich knapp einen Monat nach der das Verfügungspatent im hier streitgegenständlichen Umfang auch unter dem Gesichtspunkt der Erfindungshöhe aufrecht erhaltenden Entscheidung des Europäischen Patentamtes gestellt. Auf die Einspruchsentscheidung als maßgeblichen Zeitpunkt für die Dringlichkeit abzustellen rechtfertigt sich daraus, dass sich mit der Entscheidung die für die Beurteilung des Verfügungsgrundes maßgebliche Tatsachengrundlage geändert hat. Das Verfügungspatent hat sich mit der Entscheidung erstmals in einem kontradiktorischen Verfahren als bestandskräftig erwiesen, was für die Möglichkeit der Durchsetzung der Rechte aus dem Patent im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes von entscheidender Bedeutung ist. Ändern sich aber die für die Beurteilung des Verfügungsbegehrens maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse, lebt eine vor der Änderung möglicherweise bereits entfallene Dringlichkeit wieder auf (vgl. OLG Düsseldorf, InstGE 10, 124 – Inhalator; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 5. Auflage, Rz. 1579).

V.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgen aus §§ 709 Satz 1 und 2; 108 ZPO.

Die Anordnung der Sicherheitsleistung beruht auf § 938 ZPO und ist deshalb sinnvoll und geboten, weil damit gewährleistet wird, dass der Unterlassungs-ausspruch nicht unter geringeren Bedingungen vollstreckbar ist, als er es bei einem entsprechenden erstinstanzlichen Hauptsacheurteil wäre (vgl. Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 5. Auflage, Rz. 1532).

Der Streitwert wird im Einvernehmen mit den Parteien auf 300.000,- EUR fest-gesetzt.