4 O 456/01 – Steroide

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 161

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 4. März 2003, Az. 4 O 456/01

I. Die Beklagten werden verurteilt,

1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, zu unterlassen, im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland

a) (nur die Beklagte zu 1) zur Herstellung von steroidbeladenen Körnern zur Herstellung pharmazeutischer Dosiereinheiten (Tabletten) ein Verfahren anzuwenden, das folgende Schritte umfasst:

(1) Lösen eines Steroids und einer Gleitsubstanz in einer ausreichenden Menge eines organischen Lösungsmittels, um eine Lösung zu bilden;

(2) Mischen der Lösung mit einem Trägermaterial, das ein Streckmittel und ein Bindemittel umfasst, wodurch ein Gemisch der Lösung und des Trägermaterials gebildet wird;

(3) Entfernen des organischen Lösungsmittels aus dem Gemisch, während das Gemisch vermischt wird, um steroidbeladene Körner zu bilden;

b) (nur die Beklagte zu 1) steroidbeladene Körner, die in dem Verfahren gemäß a) erhältlich sind, zur Herstellung einer pharmazeutischen Dosiereinheit zu verwenden, wenn die Körner einen ein Steroid und eine Gleitsubstanz umfassenden Filmüberzug enthalten;

c) Tabletten, die Körner gemäß b) umfassen, herzustellen (nur die Beklagte zu 1), anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen (beide Beklagten);

2. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie jeweils die zu 1. bis 3. bezeichneten Handlungen seit dem 3. Januar 1999 begangen haben, und zwar unter Angabe

a) der Herstellungsmengen und –zeiten (Beklagte zu 1),

b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, Lieferzeiten und Lieferpreisen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,

c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, Angebotszeiten und Angebotspreisen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,

d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns, wobei Gemeinkosten nur abzuziehen sind, wenn sie den streitgegenständlichen Tabletten unmittelbar zugerechnet werden können;

3. die im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland im unmittelbaren und mittelbaren Besitz oder Eigentum der Beklagten befindlichen unter 1. bezeichneten Tabletten zu vernichten, oder nach Wahl der Beklagten an einen von der Klägerin zu benennenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben.

II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I. 1. bezeichneten, seit dem 3. Januar 1999 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

III. Die Kosten des Rechtsstreits werden den Beklagten zu 90 % und der Klägerin zu 10 % auferlegt.

IV. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 15.338.756,44 EUR und für die Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 23.000,00 EUR vorläufig vollstreckbar. Die Sicherheit kann auch durch die unbedingte Bürgschaft einer in Deutschland ansässigen, als Zoll- und Steuerbürgin zugelassenen Bank oder Sparkasse erbracht werden.

Tatbestand:

Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des u.a. für die Bundesrepublik Deutschland am 10. Dezember 1993 angemeldeten europäischen Patents 0 657 161 (Klagepatent, Anlage L 1), dessen Erteilung am 2. Dezember 1998 veröffentlicht wurde. Gegen die Erteilung des Klagepatents legte die Beklagte zu 1) Einspruch ein, den die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts mit Beschluss vom 19. März 2001 zurückwies. Hiergegen hat die Beklagte zu 1) Beschwerde erhoben. Die Beklagte zu 2) ist dem Einspruchs- und Beschwerdeverfahren beigetreten. Gegenstand des Klagepatents sind Steroide enthaltende pharmazeutische Granulate. Die im vorliegenden Rechtsstreit vornehmlich interessierenden Patentansprüche 1, 5 und 8 haben in deutscher Übersetzung (Anlage L 1 a) folgenden Wortlaut:

„Verfahren zur Herstellung von steroidbeladenen Körnern, umfassend:

a) Lösen eines Steroids und einer Gleitsubstanz in einer ausreichenden Menge eines organischen Lösungsmittels, um eine Lösung zu bilden;

b) Mischen der Lösung mit einem Trägermaterial, das eine Lösung und ein Bindemittel umfasst, wodurch ein Gemisch der Lösung und des Trägermaterials gebildet wird; und

c) Entfernen des organischen Lösungsmittels aus dem Gemisch, während das Gemisch vermischt wird, um steroidbeladene Körner zu bilden.“ (Anspruch 1)

„Korn, das gemäß Anspruch 1 erhältlich ist, zur Herstellung einer pharmazeutischen Dosiereinheit, dadurch gekennzeichnet, dass es einen ein Steroid und eine Gleitsubstanz umfassenden Filmüberzug enthält.“ (Anspruch 5)

„Tablette, dadurch gekennzeichnet, dass sie das Korn nach einem der Ansprüche 5 bis 7 umfasst.“ (Anspruch 8)

Die Beklagte zu 1) stellt her und vertreibt unter der Bezeichnung Desmin 20 und 30 Tabletten zur Empfängnisverhütung (Kontrazeptiva), welche folgende Bestandteile enthalten (Anlage L 9).

Die Beklagte zu 2) vertreibt die von der Beklagten zu 1) hergestellten Tabletten unter der Bezeichnung Lovina 20 und 30. Diese Tabletten weisen den Gebrauchsinformationen zufolge (Anlagen L 10 und L 11) nachfolgend wiedergegebene Zusammensetzungen auf:

Die Klägerin sieht durch Herstellung und Vertrieb der vorbezeichneten Präparate ihre Rechte aus dem Klagepatent verletzt und nimmt die Beklagten deshalb auf Unterlassung, Rechnungslegung, Schadensersatz und Vernichtung in Anspruch. Soweit sie ursprünglich auch Entschädigungsansprüche für die Zeit ab dem 14. Juli 1995 geltend gemacht hat, hat sie die Klage mit Zustimmung der Beklagten im Haupttermin vom 6.2.2003 zurückgenommen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagten sinngemäß wie erkannt zu verurteilen.

Die Beklagten beantragen,

1. die Klage abzuweisen;

2. hilfsweise, den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Rechtsbestand des Klagepatents auszusetzen;

3. äußerst hilfsweise, ihnen bezüglich des Rechnungslegungsbegehrens der Klägerin einen Wirtschaftsprüfervorbehalt zuzubilligen und ihnen zu gestatten, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung ohne Rücksicht auf eine Sicherheitsleistung der Klägerin abzuwenden.

Die Beklagten machen im Wesentlichen geltend: Die angegriffenen Präparate seien, auch wenn sie die vom Klagepatent verlangte hohe Lagerstabilität aufweisen, nicht unter Anwendung des patentgeschützten Verfahrens hergestellt worden. Insbesondere würden die Körner nicht den durch das Herstellungsverfahren bedingten vollständigen bzw. durchgängigen oder auch nur löchrigen Filmüberzug aufweisen. Beim Verfahren der Beklagten zu 1) erhalte man eine zufällige Verteilung des Steroids über das gesamte Korn. Es könne lediglich nicht ausgeschlossen werden, dass es inselhafte, partielle Anhaftungen gebe, welche jedoch nicht gezielt, sondern willkürlich verteilt wären. Solche Anhaftungen seien mit dem patentgemäßen Verfahren nicht erzielbar. Eine Beweislastumkehr zugunsten der Klägerin nach § 139 Abs. 3 PatG greife nicht ein, da allenfalls das Vorhandensein des Filmüberzugs auf den Körnern als neu an dem patentgemäßen Verfahrenserzeugnis angesehen werden könne. Die Eigenschaft der Migrationshemmung und die dadurch bedingte hohe Lagerstabilität sei nicht neu. Im Anmeldezeitpunkt war – was zwischen den Parteien unstreitig ist – unter der Bezeichnung V3 ein nach dem patentgemäßen Verfahren hergestelltes Produkt der Firma Organon, einer Tochtergesellschaft der Klägerin, auf dem Markt, welches die patentgemäßen Stabilitätswerte bereits aufwies.

Im Übrigen, so meinen die Beklagten, werde sich das Klagepatent im anhängigen Einspruchsverfahren als nicht rechtsbeständig erweisen, so dass zumindest der hilfsweise gestellte Aussetzungsantrag gerechtfertigt sei.

Die Klägerin tritt dem Vorbringen der Beklagten und dem Aussetzungsantrag entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der beiderseitigen Schriftsätze und der mit ihnen vorgelegten Urkunden und Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der Klägerin stehen gegen die Beklagten die zuerkannten Ansprüche auf Unterlassung, Rechnungslegung, Schadensersatz und Vernichtung zu, da die angegriffenen Präparate und das Verfahren zu ihrer Herstellung widerrechtlich von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch machen. Eine Aussetzung des Rechtsstreits kommt nicht in Betracht.

I.

Die dem Klagepatent zugrunde liegende Erfindung betrifft steroidbeladene Körner, Tabletten, die diese Körner umfassen, sowie ein Verfahren zur Herstellung dieser Körner.

Den Darlegungen der Klagepatentschrift zufolge ist zur Herstellung von Tabletten u.a. das sogenannte Nass-Granulationsverfahren bekannt. Zu diesem gehört das Wägen der Inhaltsstoffe einschließlich eines Lösungsmittels, Mischen der Inhaltsstoffe, Granulieren, Feuchtscreenen, Trocknen, Trockenscreenen, mit Gleitmittel Versehen und Pressen der erhaltenen Mischung zu Tabletten. Für die Herstellung von Tabletten mit niedrigen Dosen sehr wirksamer Steroide ist jenes Verfahren jedoch nicht geeignet. Denn es wurde nachgewiesen, dass gewisse Steroide wie M die Tendenz aufweisen, aus den Körnern bzw. den daraus hergestellten Tabletten in die Umgebung zu diffundieren mit der Folge, dass die Menge der in der Dosierungseinheit enthaltenen Steroide innerhalb relativ kurzer Zeit unter die festgesetzte Menge fallen kann. Dies beschränkt die Lagerstabilität der fertigen Tabletten in erheblichem Maße.

Das vorbezeichnete Problem will die dem Klagepatent zugrunde liegende Erfindung auf einfache und preiswerte Weise lösen. Hierzu sieht Patentanspruch 1 folgende Merkmalskombination vor:

Verfahren zur Herstellung von steroidbeladenen Körnern, umfassend

a) Lösen eines Steroids und einer Gleitsubstanz in einer ausreichenden Menge eines organischen Lösungsmittels, um eine Lösung zu bilden;

b) Mischen der Lösung mit einem Trägermaterial, das ein Streckmittel und ein Bindemittel umfasst, wodurch ein Gemisch der Lösung und des Trägermaterials gebildet wird;

c) Entfernen des organischen Lösungsmittels aus dem Gemisch, während das Gemisch vermischt wird, um steroidbeladene Körner zu bilden.

Patentanspruch 5 stellt das Körnchen zur Herstellung der pharmazeutischen Dosiereinheit unter Schutz und weist folgende Merkmale auf:

Körnchen zur Herstellung einer pharmazeutischen Dosiereinheit mit folgenden Merkmalen:

1. Das Körnchen enthält einen ein Steroid und eine Gleitsubstanz umfassenden Filmüberzug.

2. Das Körnchen ist erhältlich durch

a) Lösen eines Steroids und einer Gleitsubstanz in einer ausreichenden Menge eines organischen Lösungsmittels, um eine Lösung zu bilden;

b) Mischen der Lösung mit einem Trägermaterial, das ein Streckmittel und ein Bindemittel enthält, wodurch ein Gemisch aus Lösung und Trägermaterial gebildet wird;

c) Entfernen des organischen Lösungsmittels aus dem Gemisch, während das Gemisch gemischt wird, um steroidbeladene Körnchen zu bilden.

Das erfindungsgemäße Verfahren zeichnet sich dadurch aus, dass das Steroid zusammen mit dem Gleitmittel, das sonst üblicherweise erst nach dem Granulieren zugeführt wird, in einem organischen Lösungsmittel gelöst wird, um den erfindungsgemäßen Filmüberzug zu bilden, nachdem das Trägermaterial zugegeben und das organische Lösungsmittel anschließend entfernt wurde. Der Klagepatentschrift zufolge verhindert der Filmüberzug überraschenderweise die Migration des Steroids.

II.

Die angegriffenen Präparate und das Verfahren zu ihrer Herstellung machen von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch.

1.

Die Beklagte zu 1) wendet bei der Herstellung der angegriffenen Präparate das nach Patentanspruch 1 geschützte Verfahren an. Gegenstand dieses Anspruchs ist ein Verfahren zur Herstellung eines neuen Erzeugnisses. Da die Beklagte zu 1) das gleiche Erzeugnis herstellt, gelten die angegriffenen Präparate gemäß § 139 Abs. 3 Satz 1 PatG als nach dem patentgemäßen Verfahren hergestellt. Den Beweis des Gegenteils hat die Beklagte zu 1), die keine Angaben zu dem von ihr angewandten Herstellungsverfahren gemacht hat, nicht erbracht.

a)

Das erfindungsgemäße Verfahrenserzeugnis ist – bezogen auf den Anmeldetag des Klagepatents – neu, da es sich durch eine unterscheidungskräftige Eigenschaft auszeichnet, die es von vorbekannten Produkten erkennbar abhebt. Das patentgemäße Präparat besitzt im Gegensatz zu vorbekannten Präparaten eine erheblich verbesserte Migrationshemmung, die seine Lagerstabilität deutlich erhöht und die es nach den Darlegungen der Klagepatentschrift (Anlage L 1 a, Seite 2, Zeilen 9 bis 14) ermöglicht, die erfindungsgemäßen Körner von vorbekannten Körnern zu unterscheiden. Dem steht nicht entgegen, dass am Anmeldetag des Klagepatents mit dem Präparat V3 der Firma Organon, einer Tochtergesellschaft der Klägerin, ein Produkt auf dem Markt war, welches unstreitig die erfindungsgemäß verbesserte Lagerstabilität bereits aufwies.

Grundsätzlich greift die Vermutungsregelung des § 139 Abs. 3 PatG zwar nicht mehr ein, wenn ein Erzeugnis mit den patentgemäßen Eigenschaften bereits vorhanden war. Denn hebt sich das patentgeschützte Verfahrenserzeugnis nicht unterscheidungskräftig vom Vorbekannten ab, ist es also nicht im Sinne von § 139 Abs. 3 PatG neu, besteht kein Grund zu der Annahme, Erzeugnisse dieser Art müssen der Lebenserfahrung nach, soweit nichts Gegenteiliges festgestellt werden kann, durch das patentierte Verfahren entstanden sein. Anders als die Klägerin meint, kommt es insoweit auch nicht darauf an, ob das vorbekannte Erzeugnis es erlaubt, auf das Verfahren zu seiner Herstellung oder die spezifische Verbindung seiner Komponenten zu schließen. Der Vermutungsregel nach § 139 Abs. 3 PatG, die auf die Neuheit des Verfahrenserzeugnisses gestützt ist, wird nämlich bereits dann die Grundlage entzogen, wenn die Existenz eines Erzeugnisses mit den gleichen Eigenschaften belegt, dass man nicht ausschließlich durch die Anwendung des patentgeschützten Verfahrens zu Erzeugnissen mit den erfindungsgemäßen Eigenschaften gelangen konnte (vgl. auch BGH GRUR 1977, 100, 104 – Alkylendiamine II; Benkard/Rogge, PatG, 9. Aufl., § 139 Rn. 121). Schon in diesem Fall besteht kein Anlass mehr für die Annahme, die Produkteigenschaften könnten nur durch das patentgemäße Verfahren erzielt werden. Die gegenteilige Ansicht der Klägerin hätte demgegenüber die nicht zu rechtfertigende Konsequenz, dass alleine durch die mangelnde öffentliche Zugänglichkeit bzw. Nachvollziehbarkeit des Herstellungsprozesses und der spezifischen Zusammensetzung eines vorbekannten Produkts Personen, die berechtigterweise nach diesen „geheimen“ Verfahren fertigen, ihr Herstellungsverfahren offenbaren müssten, um nach § 139 Abs. 3 PatG den Beweis erbringen zu können, das patentgeschützte Verfahren nicht anzuwenden. Dies steht in Widerspruch zum Sinn der Vermutungsregelung, nur demjenigen Inhaber eines Verfahrenspatents die Durchsetzung seiner Rechte durch die die Darlegungs- und Beweislast umkehrende Ausnahmeregelung des § 139 Abs. 3 PatG zu erleichtern, dessen Erzeugnisse sich von den bereits bekannten Produkten abhebt, und würde den Patentinhaber allein schon deshalb privilegieren, weil er – anders als andere Hersteller – sein Verfahren nicht geheim gehalten, sondern zum Patent angemeldet hat.

Aus dem zuvor Gesagten folgt zugleich aber auch, dass dann, wenn ein Produkt mit den Eigenschaften des erfindungsgemäßen Verfahrenserzeugnisses schon bekannt war, § 139 Abs. 3 PatG dennoch ausnahmsweise zugunsten des Patentinhabers eingreift, wenn er darlegen und beweisen kann, dass das vorbekannte Produkt ebenfalls nach dem patentgeschützten Verfahren hergestellt worden ist. Denn bei dieser Sachlage wird die Grundlage der Vermutungsregel des § 139 Abs. 3 PatG gerade nicht erschüttert, sondern vielmehr bestätigt, dass Erzeugnisse mit der erfindungsgemäßen neuen Eigenschaft der Lebenserfahrung nach nur bei Anwendung des patentgeschützten Verfahrens hergestellt werden können. So liegt der Fall auch hier. Denn zwischen den Parteien steht außer Streit, dass das vorbekannte Präparat Varoline nach dem patentgeschützten Verfahren hergestellt worden ist.

Soweit die Beklagten geltend machen, die technische Lehre des Klagepatents werde ebenfalls von der europäischen Patentanmeldung 0 037 740 (deutsche Übersetzung Anlage B 13) neuheitsschädlich vorweggenommen, steht dies der Anwendung von § 139 Abs. 3 PatG gleichfalls nicht entgegen, da der Einwand der Beklagten auch insoweit lediglich auf den Nachweis gerichtet ist, dass gerade durch die Anwendung des patentgemäßen Verfahrens ein Präparat mit der erfindungsgemäßen hohen Lagerstabilität erhalten wird.

Das Vorbringen der Beklagten in ihrem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 14. Januar 2003 zur Lagerstabilität von weiteren Erzeugnissen und zu Vorbenutzungshandlungen der Beklagten zu 1) ist verspätet (§ 296a ZPO) und rechtfertigt keine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.

b)

Bei den angegriffenen Präparaten handelt es sich um Erzeugnisse, die von gleicher Beschaffenheit wie die patentgemäßen Verfahrenserzeugnisse sind und daher der Vermutungsregelung des § 139 Abs. 3 PatG unterfallen. Sie weisen die erfindungsgemäßen Inhaltsstoffe auf (M als Steroid, Stearinsäure als Gleitsubstanz sowie Trägermaterial) und verfügen unstreitig über die durch die patentgemäße Migrationshemmung bewirkte hohe Lagerstabilität.

Unerheblich ist der Einwand der Beklagten, die angegriffenen Ausführungsformen wiesen keinen erfindungsgemäßen, im Wesentlichen durchgängigen Filmüberzug auf. Entscheidend für die Hemmung der Migration bzw. für den Erhalt der hohen Lagerstabilität ist nach Patentanspruch 1, Steroid, Gleitsubstanz, Lösungsmittel und Trägermaterial in einer bestimmten Reihenfolge zu mischen, um anschließend das Lösungsmittel zur Bildung der steroidbeladenen Körner zu entfernen. Verfahrenserzeugnis im Sinne von § 139 Abs. 3 PatG ist demgemäß das durch die Mischung erzielte Produkt aus Steroid, Gleitsubstanz und Trägermaterial. Weist ein aus den vorbezeichneten Materialien bestehendes Präparat – wie es bei den angegriffenen Ausführungsformen der Fall ist – die dem Verfahrenserzeugnis innewohnende Eigenschaft einer hohen Lagerstabilität auf, handelt es sich um das gleiche Erzeugnis. Dass nach der Klagepatentschrift die Migrationshemmung auf die Bildung bzw. das Vorhandensein eines Filmüberzugs zurückzuführen ist, stellt insoweit lediglich eine Erklärung für die überraschend bewirkte Migrationshemmung im Endprodukt dar, vermag jedoch nichts daran zu ändern, dass Verfahrenserzeugnis nach Patentanspruch 1 das steroidbeladene Korn aus Steroid, Gleitsubstanz und Trägermaterial ist. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn zwischen dem patentgemäßen Verfahrenserzeugnis und den angegriffenen Erzeugnissen eine Abweichung in der chemischen Konstitution der Stoffe vorläge, die es naturgesetzlich ausschließen würde, dass die Stoffe aus denselben Ausgangsstoffen und auf demselben Verfahrensweg hergestellt sind (vgl. BGH GRUR 1977, 100, 104 – Alkylendiamine II). Ein derartiger Sachverhalt ist vorliegend jedoch nicht gegeben. Die Parteien streiten nicht darum, ob die angegriffenen Ausführungsformen vom Ausgangsmaterial (Steroid, Gleitsubstanz, Lösungsmittel, Trägermaterial) bzw. nach Entfernen des Lösungsmittels vom Endprodukt her eine andere stoffliche Beschaffenheit in dem Sinne aufweisen, dass als Erzeugnis eine chemische Variante vorliegt, die mit dem erfindungsgemäßen Verfahren nicht erreicht werden kann. Vielmehr wenden sich die Beklagten allein dagegen, bei den angegriffenen Ausführungsformen seien Steroid (M) und Gleitsubstanz (Stearinsäure) nicht in der von Patentanspruch 1 vorgegebenen Weise gemischt worden, so dass ein das Korn im Wesentlichen durchgängig einschließender Filmüberzug nicht entstehe. Hierin liegt nicht mehr als das Vorbringen, die erfindungsgemäßen Materialien zwar verwendet, jedoch mit einem anderen Mischverfahren die erwünschte Produkteigenschaft der erhöhten Lagerstabilität erhalten zu haben, die sich durch das Vorliegen eines durchgängigen Filmüberzugs nicht erklären lasse. Dass die angegriffenen Ausführungsformen sich in ihrer stofflichen Zusammensetzung oder gar in ihrer chemischen Konstitution von dem erfindungsgemäßen Verfahrenserzeugnis in einer Weise unterscheiden, die die Anwendung des patentgeschützten Verfahrens als ausgeschlossen erscheinen lassen, lässt sich daraus nicht ableiten. Vielmehr wenden sich die Beklagten in unzulässiger Weise unmittelbar gegen die Vermutungsregelung des § 139 Abs. 3 PatG, wenn sie vortragen, ein in der stofflichen Zusammensetzung vom erfindungsgemäßen Verfahrenserzeugnis nicht unterscheidbares und mit der gleichen neuen Eigenschaft erhöhter Lagerstabilität versehenes Erzeugnis herstellen zu können, ohne vom patentgeschützten Verfahren Gebrauch zu machen.

2.

Die angegriffenen Körner verwirklichen ferner die Merkmale des Patentanspruchs 5, der Körner betrifft, die nach dem patentgeschützten Verfahren erhältlich sind und die einen ein Steroid und eine Gleitsubstanz umfassenden Filmüberzug enthalten.

a)

Dieses Ergebnis ergibt sich unmittelbar schon aus dem unter 1. zur Regelung des § 139 Abs. 3 Satz 1 PatG Ausgeführten. Danach gilt die Vermutung und damit als tatrichterlich festgestellt, dass die angegriffenen Körner nach dem patentgeschützten Verfahren hergestellt wurden. In der Klagepatentschrift (Anlage L 1 a, Seite 2, Zeilen 3 bis 7) heißt es zur Wirkung des patentgemäßen Verfahrens:

„Wenn Steroid und Gleitmittel in einem organischen Lösungsmittel gelöst werden, umfasst das Granulat, das hergestellt werden kann, einen Filmüberzug (oder Matrix), der aus dem genannten Steroid und der Gleitmittelsubstanz besteht. Überraschenderweise verhindert dieser Filmüberzug die Migration.“

Die Richtigkeit dieser Aussage haben die Beklagten nicht in Abrede gestellt. Sie haben vielmehr – auch in der mündlichen Verhandlung – selbst geltend gemacht, das erfindungsgemäße Verfahren führe grundsätzlich zu einem das Korn durchgängig umhüllenden Filmüberzug und nicht zu partiellen, inselhaften Anlagerungen an der Außenhülle des Korns. Unterstellt man dies als wahr, können sich die Beklagten nicht mit Erfolg darauf berufen, die angegriffenen Körner machten von der technischen Lehre des Klagepatents keinen Gebrauch, weil sie allenfalls die vorbezeichneten partiellen Anhaftungen aufwiesen. Denn mit diesem Vortrag setzen sie sich in nicht nachvollziehbarer und damit unsubstantiierter Weise in Widerspruch dazu, dass aufgrund der Regelung des § 139 Abs. 3 PatG die angegriffenen Ausführungsformen in tatrichterlicher Hinsicht als nach dem patentgeschützten Verfahren hergestellt gelten und dass dann nach ihrem eigenen Vorbringen der erfindungsgemäße durchgängige Filmüberzug zwingend entsteht.

b)

Aber auch unabhängig von der Vermutungsregelung des § 139 Abs. 3 PatG ist das Vorbringen der Beklagten nicht geeignet, den Verletzungstatbestand in Zweifel zu ziehen. Die angegriffenen Körner weisen einen Filmüberzug auf und sind durch das in Patentanspruch 1 unter Schutz gestellte Verfahren erhältlich.

Wie der oben bereits zitierten Beschreibungsstelle der Klagepatentschrift (Anlage L 1 a, Seite 2, Zeilen 3 bis 7) entnommen werden kann, verwendet die Patentbeschreibung neben dem Begriff „Filmüberzug“ zu dessen Erläuterung auch das Wort „Matrix“, welches nach den eigenen Darlegungen der Klägerin ein Hüllmaterial bezeichnet, das einen anderen Stoff eingeschlossen hält. In der Patentbeschreibung heißt es in Bezug auf den Filmüberzug weiter:

„Die Körner gemäß der Erfindung werden a) aus einem das Trägermaterial überziehenden Film und vorzugsweise b) einem Trägermaterial, das ein Streckmittel und ein Bindemittel umfasst, hergestellt. Der Filmüberzug besteht wenigstens aus M und einer über das Trägermaterial verteilten Gleitsubstanz.“ (Anlage L 1 a, Seite 3, Zeilen 25 bis 30)

Die verwendeten Begrifflichkeiten und die Umschreibung des Filmüberzugs legen auf den ersten Blick zwar die Vorstellung eines aus dem Trägermaterial bestehenden Korns nahe, welches vollständig von dem erfindungsgemäßen Filmüberzug umhüllt ist. Bei der gebotenen funktionsorientierten technischen Beurteilung ist die Lehre des Klagepatents jedoch – entgegen der Ansicht der Beklagten – nicht auf eine derartige Ausführungsform zu beschränken, sondern umfasst auch Varianten, bei denen die Körner nur partielle Anhaftungen von in Stearinsäure gelöstem M aufweisen. Dass derartige Verhältnisse bei den angegriffenen Ausführungsformen vorliegen, haben die Beklagten nicht konkret in Abrede gestellt, sondern in der mündlichen Verhandlung zugestanden, dass das Vorhandensein solcher Anhaftungen auf dem Trägermaterial nicht ausgeschlossen werden könne.

Schon die Anspruchsformulierung, nach der das Korn den Filmüberzug „enthält“ („contains“), gibt dem Fachmann einen ersten Hinweis darauf, dass eine konkrete Positionierung bzw. Anordnung des Filmüberzugs auf, an oder in dem Korn nicht gelehrt wird, sondern es vielmehr nur darauf ankommt, dass das Korn überhaupt als „Träger“ für den Filmüberzug aus Stearinsäure und Gleitsubstanz dient. Bestätigung findet diese Betrachtung in der Funktion des Filmüberzugs. Entscheidend für die Verhinderung der nachteiligen Migration des Steroids aus der Dosiereinheit ist nämlich – wie der Fachmann erkennt – allein, dass es überhaupt im Filmüberzug eingebettet ist, den es mit der Gleitsubstanz (Stearinsäure) bildet, in welcher das Steroid gelöst wird. Das Korn ist insoweit lediglich das Trägermaterial für den den Wirkstoff (Steroid) enthaltenden Überzug. Mit Rücksicht hierauf wird der Fachmann – entgegen der Auffassung der Beklagten – den Begriff des Filmüberzugs nicht in der Weise begreifen, dass das Körnchen bzw. seine Oberfläche vollständig von dem Überzug eingeschlossen sein muss. Denn wird die Migration durch die Bildung des Filmüberzugs als solche unterbunden, spricht nichts dagegen, dass die erfindungsgemäße Wirkung auch im Falle von nur partiellen Anhaftungen des Überzugs auf, an oder in dem Korn erreicht werden kann. Es ist auch nichts dafür ersichtlich oder vorgetragen, dass durch den vollständigen Einschluss des Korns (auch) bewirkt werden soll, dass nicht in dem Filmüberzug gebundene Steroide dem Korn nicht entweichen können. Als zwingende Voraussetzungen nach der Erfindung verbleibt damit nur, dass das Korn überhaupt (partiell) mit einem Filmüberzug versehen ist bzw. diesen „enthält“, also einen Überzug aufweist, in dem das Steroid in dem Gleitmittel (Stearinsäure) gelöst ist und dadurch an der Migration gehindert wird. Die Begriffe „Filmüberzug“ und „Matrix“ dienen insoweit nur der Umschreibung des Umstandes, dass das Steroid zum Zwecke der Migrationshemmung von der Gleitsubstanz umhüllt sein muss bzw. es von dem Filmüberzug, dessen Bestandteil es zugleich ist, umschlossen wird.

Gegenüber diesem Verständnis können die Beklagten nicht mit Erfolg einwenden, inselhafte, partielle Anhaftungen könnten keinen Filmüberzug darstellen, weil bei Anwendung des erfindungsgemäßen Verfahrens nach fachmännischem Verständnis stets ein (im Wesentlichen) vollständiger bzw. durchgängiger Filmüberzug auf der Oberfläche des Korns entstehe. Dem widerspricht bereits die zwischen den Parteien in der mündlichen Verhandlung als unstreitig behandelte Tatsache, dass Art und Ausmaß des Filmüberzugs u.a. von der Menge an verwendeter Gleitsubstanz und verwendetem Lösungsmittel abhängt. Insoweit haben die Beklagten nicht schlüssig darzulegen vermocht, weshalb – etwa bei der Verwendung von geringen Mengen an Gleitsubstanz – einerseits das Entstehen eines „löchrigen“ Filmüberzugs möglich erscheint, andererseits das Entstehen von (zufällig verteilten) partiellen Anhaftungen ausgeschlossen sein soll, obwohl beide Varianten sich allenfalls quantitativ, nicht jedoch qualitativ voneinander unterscheiden. Auch kann der Auffassung der Beklagten nicht beigetreten werden, Verfahrensschritt 2, der das Mischen der Lösung mit einem Trägermaterial aus Streckmittel und Bindemittel vorsieht, schließe als Endprodukt eine Variante aus, bei der der aus Steroid und Gleitmittel gebildete Filmüberzug nicht allein auf der Kornoberfläche vorhanden sei. Denn weder dem Anspruchswortlaut noch der Patentbeschreibung ist eine Festlegung dahingehend zu entnehmen, dass das Trägermaterial nur in vorkonfektionierter Form der Lösung beigegeben werden darf. Der Fachmann wird daher grundsätzlich auch die Beigabe der Einzelbestandteile des Trägermaterials (Streckmittel, Bindemittel) als patentgemäße Verfahrensvariante ansehen, bei der dann der Filmüberzug aus Gleitsubstanz und Steroid auch im und nicht nur auf dem Korn enthalten sein kann. Soweit die Klägerin im parallelen US-Anmeldeverfahren anderweitige Erklärungen abgegeben hat (vgl. Anlage B 5 a, Seite 2, 2. Absatz), handelt es sich zum einen um kein für die Auslegung des Klagepatents heranzuziehendes Material, welches zum anderen auch nicht ausschließt, dass das Unterbinden der Wirkstoffdurchdringung des Trägermaterials nur als bevorzugte Variante der Erfindung anzusehen ist.

Aus dem Vorgesagten folgt zugleich, dass die angegriffenen Körnchen selbst dann im Sinne von Merkmal 2 durch das erfindungsgemäße Verfahren erhältlich sind, wenn sie nur (zufällig verteilte) partielle, inselhafte Anlagerungen des Filmüberzugs aufweisen.

3.

Patentanspruch 8 ist gleichfalls verwirklicht, da die Körnchen bei den angegriffenen Ausführungsformen unstreitig in Tabletten enthalten sind.

III.

Aufgrund des festgestellten Verletzungstatbestandes sind die Beklagten der Klägerin gemäß Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 139 Abs. 1 PatG zur Unterlassung und, da sie zumindest fahrlässig gehandelt haben, gemäß Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 139 Abs. 3 Satz 2 PatG zum Schadensersatz verpflichtet. Die Schadenshöhe ist derzeit ungewiss. Die Klägerin hat deshalb ein berechtigtes Interesse daran, dass die Schadensersatzhaftung zunächst dem Grunde nach gemäß § 256 Abs. 1 ZPO festgestellt wird. Damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, ihren Anspruch auf Schadensersatz zu beziffern, haben die Beklagten im zuerkannten Umfang Rechnung über ihre Benutzungshandlungen zu legen (§ 140 b PatG, §§ 242, 259 BGB). Die Einräumung eines Wirtschaftsprüfervorbehalts kommt nicht in Betracht. Die Beklagten haben keine Umstände vorgetragen, die darauf schließen lassen, dass die Benennung ihrer Angebotsempfänger und Abnehmer ausnahmsweise unverhältnismäßig ist. Der Vernichtungsanspruch folgt aus § 140 a Abs. 1 PatG.

IV.

Eine Aussetzung des Rechtsstreits nach § 148 ZPO kommt nicht in Betracht. Eine Vernichtung des Klagepatents erscheint im Hinblick auf den dem Klagepatent im Einspruchsbeschwerdeverfahren erstmals entgegengehaltenen Stand der Technik nicht überwiegend wahrscheinlich.

Dass das vorbekannte Produkt V3 das Verfahrenserzeugnis gemäß dem Klagepatent neuheitsschädlich vorwegnimmt, lässt sich nicht feststellen. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass das vorbekannte Produkt im Prioritätszeitpunkt des Klagepatents dem Fachmann einen offenkundigen Hinweis auf das Vorhandensein des erfindungsgemäßen Filmüberzugs und seine Erhältlichkeit durch das patentgeschützte Verfahren gab. Die Beklagten haben weder aufgezeigt, welchen Anlass der Durchschnittsfachmann zur Produktanalyse gehabt haben soll, noch haben sie dargelegt, mit welchen für ihn gängigen Analyseverfahren und –methoden er auf die technische Lehre des Klagepatents hätte schließen können.

Ferner lässt sich auch nicht die Feststellung treffen, dass die von den Beklagten im Einspruchsbeschwerdeverfahren erstmals eingebrachte EP-A 0 037 740 (Anlage B 13 = B 4 im Einspruchsverfahren), die eine mikrodosierte Feststoffarzneimittelzubereitung betrifft, die Lehre des Klagepatents neuheitsschädlich vorwegnimmt. Gegenstand des vorbekannten Verfahrens ist es, für den Wirkstoff einen Wachsüberzug vorzusehen, der die Stabilität und die Gleichmäßigkeit des Gehalts von mikrodosierten Wirkstoffen in Arzneizubereitungen verbessern soll. Dazu wird der Wirkstoff in Wachs dispergiert. In der Entgegenhaltung heißt es zwar auf Seite 5, Zeile 3, dass Lösungsmittel (lediglich) bevorzugt sind, die das Wachs und nicht auch den Wirkstoff auflösen. Aus der Bevorzugung allein, also der Tatsache, dass grundsätzlich auch ein den Wirkstoff auflösendes Lösungsmittel in Betracht kommen kann, lässt sich aber noch kein Hinweis auf die konkrete Lehre des Klagepatents ableiten. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Fachmann der Entgegenhaltung im Hinblick auf die Vielzahl auswählbarer Stoffe als offenkundige Lehre entnehmen konnte, ein Steroid mit Hilfe eines Lösungsmittels in einer Gleitsubstanz (Stearinsäure) aufzulösen, die ohnehin zum Erhalt eines zur Tablettierung geeigneten Granulats benötigt wird. Dagegen lässt sich vielmehr anführen, dass die Entgegenhaltung die Zugabe von Gleitmittel vor der Formung des Granulats zu Tabletten gesondert vorsieht (vgl. die Beispiele nach Anlage B 13, Seite 12). Darüber hinaus spricht auch der erhebliche zeitliche Abstand der Anmeldung der Entgegenhaltung und des Klagepatents (mehr als 10 Jahre) dagegen, dass der Fachmann der Entgegenhaltung die konkrete Lehre des Klagepatents zur Herstellung steroidbeladener Körner entnehmen konnte.

Soweit die Beklagten die entgegengehaltene EP-A 0 037 740 (Anlage B 13 = B 4 im Einspruchsverfahren) außerdem heranziehen, um in Kombination mit der US-PS 4 914 089 (Anlage B 9 im Einspruchsverfahren) oder dem Produkt V3 die Erfindungshöhe des Klagepatents in Abrede zu stellen, erscheint die Argumentation der Beklagten nicht vollständig frei von einer unzulässigen rückschauenden Betrachtung. Denn die europäische Patentanmeldung enthält – wie bereits dargelegt – keinen offenkundigen Hinweis darauf, dass im Hinblick auf Steroide eine Auflösung mit dem Gleitmittel gegenüber dem Dispergieren des Wirkstoffs in Wachs vorteilhaft oder sonst nahegelegt sein könnte. Es lassen sich insoweit zum Wissen des Fachmanns und den daraus abzuleitenden Möglichkeiten, die Entgegenhaltungen in naheliegender Weise zu kombinieren, keine eine Aussetzung tragenden Feststellungen treffen, so dass der Ausgang des Einspruchsbeschwerdeverfahrens zumindest als offen erscheint.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 S. 1, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO.

Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit und zur Sicherheitsleistung folgen aus §§ 709, 108 ZPO. Der Vollstreckungsschutzantrag der Beklagten nach § 712 ZPO bleibt ohne Erfolg, da keine konkreten Tatsachen dafür vorgetragen sind, dass die Vollstreckung des Urteils den Beklagten einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde.

Der Streitwert beträgt 30.000.000,00 DM (= 15.338.756,44 EUR).

Dr. R1 Dr. R2 R3