Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 27. Mai 2014, Az. 4a O 26/13
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
TATBESTAND
Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des deutschen Teils des in deutscher Verfahrenssprache erteilten Europäischen Patents EP 0 846 XXX B1 (im Folgenden kurz: „Klagepatent“). Das Klagepatent nimmt die Priorität der AT 70XXX vom 03.12.1996 sowie der AT 41XXX vom 03.07.1997 in Anspruch und wurde am 27.11.1997 angemeldet. Die Anmeldung wurde am 10.06.1998 offengelegt, der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents wurde am 19.06.2002 veröffentlicht. Das Klagepatent steht in Kraft.
Das Klagepatent trägt den Titel „Verfahren und Vorrichtung zur Analyse des Fahrverhaltens von Kraftfahrzeugen“. Sein Patentanspruch 1 lautet wie folgt:
Verfahren zur Analyse des Fahrverhaltens von Kraftfahrzeugen, mit folgenden Schritten:
– Durchführen von Messungen an einem realen Fahrzeug zur Gewinnung von Messgrößen über das Fahrverhalten;
– laufende Überprüfung, ob vorbestimmte Triggerbedingungen (4a), d.h. Konstellationen von Messgrößen (2, 3), erfüllt sind, die vorbestimmten Fahrzuständen des Kraftfahrzeuges entsprechen;
– nur dann, wenn eine der Triggerbedingungen (4a) erfüllt ist, Berechnen mindestens einer Bewertungsgröße (Dr), die die Fahrbarkeit des Fahrzeugs ausdrückt, aus einer oder mehreren Messgrößen (2,3) aufgrund einer vorbestimmten, von der Triggerbedingung abhängigen Funktion;
– Ausgeben der Bewertungsgröße (Dr).
Anspruch 11 des Klagepatents lautet wie folgt:
Vorrichtung zur Beurteilung der Fahrbarkeit von Kraftfahrzeugen, welches folgende Elemente aufweist:
– ein Messsystem mit Messwertaufnehmern zur Erfassung zumindest einer für die Fahrbarkeit relevanten Messgrößen (2, 3) aus der Gruppe Motordrehzahl (N), Drosselklappenstellung (DK), Gaspedalstellung, Fahrzeuggeschwindigkeit, Fahrzeuglängsbeschleunigung (a), Saugrohrunterdruck, Kühlmitteltemperatur, Zündzeitpunkt, Einspritzmenge, Lambda-Wert, Abgasrückführrate und Abgastemperatur samt Aufnahmeelektronik;
– ein Datenablagesystem (4) mit Triggerbedingungen (4a), das sind Konstellationen mehrerer Messgrößen (2, 3) sowie über mit Daten korrelierende Bewertungsgrößen (Dr) über die Fahrbarkeit;
– ein Zuordnungssystem (6) zum Zuordnen von Bewertungsgrößen (Dr) über die Fahrbarkeit des Fahrzeuges (B) zu den Daten (2, 3) über den Betriebszustand des Motors (A) und/oder des Fahrzeuges (B);
– eine Auswerteeinheit (5) zum Vergleichen der gemessenen mit den abgelegten Daten sowie zur Bestimmung von Bewertungsgrößen (Dr) über die Fahrbarkeit unter Verwendung des Zuordnungssystems (6), unter der Voraussetzung, dass eine der Triggerbedingungen (4a) vorliegt, in Abhängigkeit von der Triggerbedingung.
Hinsichtlich der in Form von Insbesondere-Anträgen geltend gemachten Unteransprüche 3 und 9 wird auf die Klagepatentschrift verwiesen.
Im Folgenden wird zur Verdeutlichung Fig. 1 des Klagepatents eingeblendet:
Fig. 1 zeigt ein System 1, welches selbstständig die Messgrößen 2, 3 der Betriebszustände des Motors A und/oder des Fahrzeuges B misst. Die Bezugsziffer 4 bezeichnet die Datenablageeinheit, in der auch Triggerbedingungen 4a abgelegt sind. Bei Übereinstimmung der Messdaten 2, 3 mit den gespeicherten Triggerbedingungen 4a wird durch die Auswerteeinheit 5 eine vordefinierte mathematische und statistische Auswertung in einer Auswertungseinheit 5a gestartet. Der Berechnungsablauf ist in einem Zuordnungssystem 6 abgelegt. Die Ergebnisse der Berechnungen werden in Speicherzellen 4c der Datenablageeinheit 4 abgelegt.
Das Klagepatent wurde am 26.05.2011 im Einspruchsverfahren in zweiter Instanz von der Technischen Beschwerdekammer des EPA vollumfänglich aufrechterhalten (Anlage TW1-K6), nachdem die Einspruchsabteilung mit Entscheidung vom 03.07.2008 den jetzigen Anspruch 1 als durch die hiesige Entgegenhaltung D2 neuheitsschädlich vorgenommen angesehen hatte (S. 11 Anlage TW1-K5).
Die Beklagte erhob am 24.09.2013 vor dem Bundespatentgericht Nichtigkeitsklage gegen das Klagepatent, über die das Bundespatentgericht noch nicht entschieden hat.
Die Klägerin ist ein weltweit tätiges Unternehmen mit Sitz in Österreich, welches sich mit Entwicklungsdienstleistungen, insbesondere auf dem Gebiet der Automobiltechnik, sowie mit Mess- und Prüfsystemen befasst. Die Klägerin hat ein System namens „A“ zur Analyse des Fahrverhaltens von Kraftfahrzeugen entwickelt und vertreibt dieses.
Die Beklagte ist ein ebenfalls weltweit operierendes Unternehmen mit Sitz in B, das sich mit der Entwicklung und Konstruktion von Motoren, Getrieben und Testeinrichtungen für die Antriebsentwicklung befasst. Die Beklagte stellt her und vertreibt eine Softwareoberfläche namens „C“, die auch das Softwaremodul (Tool) „D“ (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform) umfasst. Dieses Programm dient der Einstellung von Motoren bzw. Motorsteuergeräten im Hinblick auf die Fahrbarkeit. Die angegriffene Ausführungsform lieferte die Beklagte auch an Automobilunternehmen in Deutschland, die es zusammen mit Testsystemen in Deutschland verwenden.
Die angegriffene Ausführungsform kann während einer Testfahrt dazu genutzt werden, dem Testfahrer anzuzeigen, ob er ein auszuführendes Fahrmanöver korrekt durchgeführt hat. Hierzu werden zunächst bestimmte Messgrößen wie Gang, Geschwindigkeit etc. für ein Manöver eingestellt, dem Testfahrer anschließend Anweisungen gegeben, wie er das Manöver auszuführen hat, wobei die Einhaltung der Anweisung bzw. die korrekte Durchführung des Manövers überwacht wird, und schließlich das Ergebnis dem Testfahrer angezeigt.
Daneben umfasst die angegriffene Ausführungsform eine Funktion, die dazu dient, ein Fahrzeug / Motor hinsichtlich der Fahrbarkeit an ein Referenzfahrzeug anzupassen. Hierzu wird analysiert, ob die bei der Testfahrt gemessenen Werte des Testfahrzeuges mit denen des Referenzfahrzeuges übereinstimmen.
Hierzu müssen zunächst zur „initialen Zieldefinition“ bei einem Referenzfahrzeug dieselben Fahrmanöver gefahren werden, die später beim zu testenden Fahrzeug getestet werden sollen. Die während der Fahrmanöver am Referenzfahrzeug gemessenen Werte werden aufgezeichnet.
Anschließend wird das zu testende Fahrzeug einer Testfahrt unterzogen und die ermittelten Messwerte ebenfalls aufgezeichnet. Bei der angegriffenen Ausführungsform kann jeweils nur ein vorausgewählter Fahrzustand bzw. ein Fahrmanöver aus den aufgezeichneten Daten herausgesucht werden. Die während eines bestimmten Fahrmanövers während der Testfahrt ermittelten Messwerte können dann mit den Werten des Referenzfahrzeuges verglichen werden.
Zum Vergleich mit dem Referenzfahrzeug werden in „Ratingmatrizen“ für jeweils einen Fahrzustand bzw. ein Fahrmanöver bestimmte Wertbereiche manuell festgelegt, welche ausgehend von dem am Referenzfahrzeug gemessenen Werten Toleranzgrenzen darstellen. Die am zu testenden Fahrzeug gemessenen Daten werden dann in einer Tabelle ausgegeben, wobei durch farbliche Hinterlegung (grün, gelb und rot) angezeigt wird, inwieweit die gemessenen Werte sich innerhalb der verschiedenen Toleranzbereiche der Referenzfahrzeugwerte befinden.
Bei der Analyse kann von der angegriffenen Ausführungsform nur ein Fahrzustand pro Überprüfungsdurchlauf erkannt und mit den Werten des Referenzfahrzeuges verglichen werden.
In einem Artikel in der von der Beklagten herausgegebenen Zeitschrift „F“ (Ausgabe 45 von September 2010; Anlage K13) heißt es:
„Die Fahrbarkeitsbewertung auf Basis objektivierter Kriterien wird nun auch von C in vollem Umfang unterstützt. Dies beginnt mit einer versuchsplanbasierten Online-Unterstützung zur Durchführung von Fahrmanövern mit direkter Auswertung und Visualisierung im Fahrzeug. Alternativ kann das Tool auch auf einen definierten Satz von relevanten Events warten und die Ergebnisse online im Hintergrund auswerten, speichern und aufbereiten, um den Fahrer möglichst nicht abzulenken.“ (Anlage K13 S. 3, spaltenübergreifender Absatz).
In einem Artikel „Toolunterstützte Fahrbarkeitsapplikation“ von Mitarbeitern der RWTH B und der Beklagten (Anlage K14) wird auf S. 237 die folgende Abbildung gezeigt, in der in einem optionalen zweiten Schritt eine Regressionsanalyse gezeigt wird:
Auf den S. 241 ff. des Artikels nach Anlage K14 finden sich Ausführungen zu dem Programm „E D“ der Beklagten.
Die Klägerin trägt vor, die angegriffene Ausführungsform verwirkliche die Ansprüche 1, 3, 9 und 11 des Klagepatents.
Anspruch 1 sei auch dann verwirklicht, wenn nur das Vorliegen jeweils eines Fahrzustands vom Verfahren überprüft werde. Es könnten patentgemäß mehrere Triggerbedingungen für einen vorbestimmten Fahrzustand existieren. Der Anspruchswortlaut „die vorbestimmten Fahrzuständen des Kraftfahrzeuges entsprechen“ bedeute nur, dass verschiedene Fahrzustände existierten, nicht aber, dass das Verfahren das Vorliegen mehrerer Zustände überprüfe. Dies ergebe sich etwa auch aus Abs. [0013] (Z. 7) und Abs. [0049] des Klagepatents.
Dies sei in der angegriffenen Ausführungsform verwirklicht, da hier für ein Fahrmanöver jeweils mehrere Triggerbedingungen überprüft und in Rating-Matrizen dargestellt würden. Die Darstellung der gemessenen Daten in Rating-Matrizen mit einer farblichen Hinterlegung stelle die Ausgabe einer durch Vergleich mit den Werten des Referenzfahrzeuges berechneten Bewertungsgröße im Sinne des Klagepatents dar.
Die Klägerin behauptet, die angegriffene Ausführungsform implementiere auch die in der Publikation der Beklagten (Anlage K13) gezeigte Variante, wonach das Tool alternativ auf einen definierten Satz von relevanten Events warten könne. Bei dieser Variante würden mehrere Fahrzustände abgeprüft. Es obliege der Beklagten, detailliert vorzutragen, dass diese Option in der angegriffenen Ausführungsform nicht verwirklicht worden sei. Dies gelte auch für die auf S. 237 Anlage K14 gezeigte „optionale Regressionsanalyse“.
Darüber hinaus stelle die Publikation K13 bereits ein patentrechtliches Angebot dar, selbst wenn die dargestellten Programmoptionen tatsächlich später nicht verwirklicht worden seien.
Weiter trägt die Klägerin vor, Anspruch 11 sei mittelbar verletzt, da die angegriffene Ausführungsform dazu ausgelegt sei, als Computerprogramm auf ein Testsystem aufgespielt zu werden, und zusammen mit diesem Testsystem dann alle Merkmale von Anspruch 11 erfülle.
Das Klagepatent werde sich auch auf die anhängige Nichtigkeitsklage als rechtsbeständig erweisen. Die Entgegenhaltungen D1 und D2 zeigten jeweils nicht die Lehre des Klagepatents.
Die Klägerin beantragt,
I. die Beklagte zu verurteilen,
es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250 000 EUR — ersatzweise Ordnungshaft — oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an dem Geschäftsführer der Beklagten zu vollziehen ist, in der Bundesrepublik Deutschland zu unterlassen,
1. ein Verfahren zur Analyse des Fahrverhaltens von Kraftfahrzeugen, mit folgenden Schritten:
Durchführen von Messungen an einem realen Fahrzeug zur Gewinnung von Messgrößen über das Fahrverhalten;
laufende Überprüfung, ob vorbestimmte Triggerbedingungen, d.h. Konstellationen von Messgrößen, erfüllt sind, die vorbestimmten Fahrzuständen des Kraftfahrzeugs entsprechen;
nur dann, wenn eine der Triggerbedingungen erfüllt ist, Berechnen mindestens einer Bewertungsgröße, die die Fahrbarkeit des Fahrzeugs ausdrückt, aus einer oder mehreren Messgrößen aufgrund einer vorbestimmten, von der Triggerbedingung abhängigen Funktion;
Ausgeben der Bewertungsgröße;
in der Bundesrepublik Deutschland anzuwenden oder zur Anwendung anzubieten;
(EP 0846XXX B1, Anspruch 1)
insbesondere wenn,
als Messgrößen eine Auswahl aus der folgenden Gruppe verwendet wird:
Motordrehzahl, Drosselklappen- bzw. Gaspedalstellung, Fahrzeuggeschwindigkeit, Fahrzeuglängsbeschleunigung, Saugrohrunterdruck, Kühlmitteltemperatur, Zündzeitpunkt, Einspritzmenge, Lambdawert, Abgasrückführrate und Abgastemperatur;
(EP 0846XXX B1, Anspruch 3)
und/oder
die Zuordnung der Bewertungsgröße aufgrund von mathematischen und statistischen Routinen, Vergleichsrechnungen, Fuzzy Logik Verfahren oder mittels neuronaler Netze erfolgt.
(EP 0 846 XXX B1, Anspruch 9)
und/oder
2. Ein Computerprogramm im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/oder zu liefern, das geeignet ist zusammen mit Vorrichtungen zur Beurteilung der Fahrbarkeit von Kraftfahrzeugen benutzt zu werden, aufweisend die folgenden Elemente:
ein Messsystem mit Messwertaufnehmern zur Erfassung zumindest einer für die Fahrbarkeit relevanten Messgrößen aus der Gruppe Motordrehzahl, Drosselklappenstellung, Gaspedalstellung, Fahrzeuggeschwindigkeit, Fahrzeuglängsbeschleunigung, Saugrohrunterdruck, Kühlmitteltemperatur, Zündzeitpunkt, Einspritzmenge, Lambda-Wert, Abgasrückführrate und Abgastemperatur samt Aufnahmeelektronik;
ein Datenablagesystem mit Triggerbedingungen, das sind Konstellationen von Messgrößen sowie über mit Daten korrelierende Bewertungsgrößen über die Fahrbarkeit;
ein Zuordnungssystem zum Zuordnen von Bewertungsgrößen über die Fahrbarkeit des Fahrzeuges zu den Daten über den Betriebszustand des Motors und/oder des Fahrzeugs
eine Auswerteeinheit zum Vergleichen der gemessenen mit den abgelegten Daten sowie zur Bestimmung von Bewertungsgrößen über die Fahrbarkeit unter Verwendung des Zuordnungssystems, unter der Voraussetzung, dass eine der Triggerbedingungen vorliegt, in Abhängigkeit von der Triggerbedingung;
(mittelbare Verletzung EP 0 846 XXX, Anspruch 11)
3. Der Klägerin Rechnung zu legen über den Umfang der unter den Ziffern I.1 und I.2 bezeichneten und seit dem 10. Juli 1998 begangenen Handlungen, und zwar unter Angabe
a) der Menge der erhaltenen und bestellten Erzeugnisse, der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderen Vorbesitzer sowie der bezahlten Preise,
b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen und jeweiligen Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer, einschließlich der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der einzelnen Angebote aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen und der jeweiligen Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
e) der nach einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
und dabei zu Ziffer a) die entsprechenden Verkaufsbelege (Rechnungen und Lieferscheine) vorzulegen, wobei die Daten, auf die sich die geschuldete Auskunft und Rechnungslegung nicht bezieht und hinsichtlich der ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse der Beklagten besteht, abgedeckt oder geschwärzt sein können,
wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einen von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfragen mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist,
mit der Maßgabe, dass die Angaben zu den bezahlten Preisen ebenso wie Angaben zu den Verkaufsstellen nur für den Zeitraum seit dem 01. September 2008 zu machen sind,
sowie des Weiteren mit der Maßgabe, dass die Angaben gemäß Ziffer e) nur für die Zeit seit dem 19. Juli 2002 zu machen sind.
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin
1. für die in der Ziffer I.1 bezeichneten und zwischen dem 10.07.1998 und dem 18.07.2002 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen;
2. jeglichen Schaden zu ersetzen, der der Klägerin durch die in den Ziffern I.1 und I.2 bezeichneten und seit dem 19.07.2002 begangenen Handlungen bereits entstanden ist und noch entstehen wird.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen;
hilfsweise:
den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Nichtigkeitsklage gegen den deutschen Teil des europäischen Patents EP 0 846 XXX B1 auszusetzen.
Die Beklagte trägt vor, das Klagepatent sei nicht verletzt und werde sich zudem auf die anhängige Nichtigkeitsklage als nicht rechtsbeständig erweisen, so dass das hiesige Verfahren zumindest hilfsweise auszusetzen sei.
Anspruch 1 erfordere, dass bei dem patentgemäßen Verfahren gleichzeitig eine Mehrzahl von Fahrzuständen überprüft werde. Für jeden Fahrzustand sei jeweils patentgemäß eine Triggerbedingung vorhanden. Aus dem Anspruchswortlaut ergebe sich, dass vom patentgemäßen Verfahren jeweils mehrere Fahrzustände erkannt werden können. Die Überprüfung nach einer Mehrzahl von Fahrzuständen entspreche der Aufgabe des Klagepatents, das – wie sich etwa aus der Kritik am Stand der Technik in Abs. [0006] des Klagepatents ergebe – eine „vollständige Beurteilung über die Fahrbarkeit“ eines Fahrzeuges anstrebe. Ferner zeige der in Abs. [0046] des Klagepatents erwähnte Zähler, dass das Klagepatent von einer Mehrzahl von Fahrzuständen ausgehe.
Dieser Teil des patentgemäßen Verfahrens sei in der angegriffenen Ausführungsform nicht erfüllt, da – insoweit unstreitig – die aufgezeichneten Daten von der Software bei jedem Durchgang jeweils nach nur einem Manöver durchsucht werden können.
Schließlich erfolge bei der angegriffenen Ausführungsform – anders als vom Klagepatent vorgegeben – keine „Berechnung einer Bewertungsgröße“. Eine „Bewertungsgröße“ müsse patentgemäß auf der Grundlage früherer subjektiver Bewertungen durch Versuchspersonen erfolgen.
Zudem sei der Vergleich von gemessenen Daten mit den Werten eines Referenzfahrzeuges in der angegriffenen Ausführungsform keine patentgemäße „Berechnung“ einer Bewertungsgröße.
Die Beklagte behauptet, die zweite in der Publikation nach Anlage K13 auf S. 3 spaltenübergreifender Absatz genannte Variante sei entgegen der dortigen Ankündigung nie implementiert worden. Auch eine in dem Artikel nach Anlage K14 erwähnte „Regressionsanalyse“ sei nie umgesetzt worden.
Es bestehe keine Veranlassung, die Verwirklichung von Anspruch 11 zu bestreiten, solange die Klägerin eine Verletzung dieses Anspruchs nicht substantiiert vorgetragen habe. Anspruch 11 sei darüber hinaus schon deshalb nicht verletzt, weil keine patentgemäße „Auswerteeinheit“ vorhanden sei. Es finde insofern nur ein Vergleich statt. Ferner sei ein Computerprogramm kein Mittel im Sinne von § 10 Abs. 1 PatG, da es sich hierbei nicht um einen körperlichen Gegenstand handele.
Schließlich sei das Verfahren – hilfsweise – auszusetzen, da sich das Klagepatent auf die anhängige Nichtigkeitsklage als nicht rechtsbeständig erweisen werde. Das Klagepatent sei von den Entgegenhaltungen D1 und D2 jeweils neuheitsschädlich vorweggenommen. Die Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer des EPA sei in Bezug auf die in Wahrheit neuheitsschädliche Entgegenhaltung D1 offensichtlich fehlerhaft. Darüber hinaus sei das Klagepatent auf Grundlage des Standes der Technik naheliegend.
Die von der Klägerin vorgebrachten Einwände gegen die Nichtigkeit des Klagepatents seien als verspätet zurückzuweisen; zumindest sei aber der Aussetzungsmaßstab zu lockern. Die Widerspruchsbegründung und deren Zusammenfassung im hiesigen Verfahren seien verspätet, da sie – soweit unstreitig – nicht, wie von dem Gericht aufgegeben, mit der Replik sondern ohne Entschuldigung erst zwei Monate danach eingereicht wurden.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die ausgetauschten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 24.04.2014 (Bl. 178 f. GA) verwiesen.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
I.
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Klägerin stehen keine patentrechtlichen Ansprüche gegen die Beklagte zu, da eine Verwirklichung der geltend gemachten Ansprüche nicht festgestellt werden konnte.
1.
Das Klagepatent betrifft ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Analyse des Fahrverhaltens von Kraftfahrzeugen.
In seiner einleitenden Beschreibung nennt das Klagepatent einige Zielgrößen bei der
Entwicklung und Optimierung von Kraftfahrzeugsantriebssystemen. Hierzu zähle auch die Fahrbarkeit oder – synonym – Drivability. Hierunter verstehe man eine subjektive Empfindung von Fahrern, die besonders mit dem Verhalten des Fahrzeugs in transienten Betriebszustanden zusammenhänge (Abs. [0002] Z. 6 – 9 des Klagepatents; im Folgenden sind Zitate ohne Quellenangaben solche des Klagepatents). Diese Fahrbarkeit werde unter anderem durch das Motormanagement wesentlich beeinflusst (Abs. [0002] Z. 14 f.).
Im Unterschied zu anderen Zielgrößen (wie dem Kraftstoffverbrauch) sei es jedoch in der Praxis wesentlicher schwieriger, die Fahrbarkeit objektiv und reproduzierbar zu bestimmen (Abs. [0003]). Dies gelte insbesondere für frühe Phasen der Motorentwicklung, wenn transiente Motormanagementfunktionen am dynamischen Motorprüfstand optimiert werden müssten.
Am Stand der Technik kritisiert das Klagepatent, dass Tests am Prüfstand zur Gewinnung von zuverlässigen Aussagen über die Fahrbarkeit problematisch seien, da es derzeit noch nicht möglich sei, den Antriebsstrang eines Fahrzeugs am Prüfstand ausreichend genau zu simulieren (Abs. [0004], vgl. auch Abs. [0007]).
Aus diesem Grunde könne man erst in späteren Fahrzeugentwicklungsphasen eine Fahrbarkeitsbewertung auf subjektiver Basis mit erfahrenen Versuchsfahrern durchführen (Abs. [0005] Z. 28 – 30). Aufgrund ihres subjektiven Charakters sei die Reproduzierbarkeit solcher Bewertungen jedoch beschränkt (Abs. [0005] Z. 30 – 33).
Mittels des Standes der Technik US 4,169,XXX A könne zwar das subjektive menschliche Schwingungsempfinden für eine Frequenz von etwa 4 Hz näherungsweise simuliert werden, eine vollständige Beurteilung über die Fahrbarkeit lasse sich hiermit aber nicht durchführen, insbesondere da das Auftreten bestimmter Schwingungen je nach der augenblicklichen Fahrsituation von dem Fahrer eines Fahrzeugs völlig unterschiedlich beurteilt werde (Abs. [0006]). Auch bei dem in der US 4,413,XXX A gezeigten Verfahren oder bei dem in der DE 27 52 XXX beschriebenen Messgerät sei es nicht möglich, die Abhängigkeit menschlicher Empfindungen vom jeweiligen Fahrzustand abzubilden (Abs. [0008] f.).
Vor diesem Hintergrund bezeichnet es das Klagepatent in Abs. [0010] als seine Aufgabe, ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Analyse des Fahrverhaltens und insbesondere von Fahrzeugschwingungen anzugeben, womit die Fahrbarkeit (Driveability) zuverlässig und reproduzierbar bestimmt werden kann, ohne alle Untersuchungen am realen Fahrzeug durchführen zu müssen.
Diese Aufgabe löst das Klagepatent (EP 0 846 XXX B1) mit Hilfe des Inhalts der Ansprüche 1 und 11. Diese lassen sich in Form von Merkmalsgliederungen wie folgt darstellen:
Anspruch 1:
1. Verfahren zur Analyse des Fahrverhaltens von Kraftfahrzeugen, mit folgenden Schriften:
1.1 Durchführen von Messungen an einem realen Fahrzeug zur Gewinnung von Messgrößen über das Fahrverhalten;
1.2 laufende Überprüfung, ob vorbestimmte Triggerbedingungen (4a), d.h. Konstellationen von Messgrößen (2, 3), erfüllt sind, die vorbestimmten Fahrzuständen des Kraftfahrzeuges entsprechen;
1.3 Berechnen mindestens einer Bewertungsgröße (Dr), die die Fahrbarkeit des Fahrzeugs ausdrückt,
1.3.1 nur dann, wenn eine der Triggerbedingungen (4a) erfüllt ist,
1.3.2 aus einer oder mehreren Messgrößen (2,3)
1.3.3 aufgrund einer vorbestimmten, von der Triggerbedingung abhängigen Funktion;
1.4 Ausgeben der Bewertungsgröße (Dr).
Anspruch 11:
11. Vorrichtung zur Beurteilung der Fahrbarkeit von Kraftfahrzeugen, welches folgende Elemente aufweist:
11.1 ein Messsystem mit Messwertaufnehmern zur Erfassung zumindest einer für die Fahrbarkeit relevanten Messgrößen (2, 3) aus der Gruppe Motordrehzahl (N), Drosselklappenstellung (DK), Gaspedalstellung, Fahrzeuggeschwindigkeit, Fahrzeuglängsbeschleunigung (a), Saugrohrunterdruck, Kühlmitteltemperatur, Zündzeitpunkt, Einspritzmenge, Lambda-Wert, Abgasrückführrate und Abgastemperatur samt
11.2 Aufnahmeelektronik;
11.3 ein Datenablagesystem (4) mit Triggerbedingungen (4a),
11.3.1 das sind Konstellationen mehrerer Messgrößen (2, 3)
11.3.2 sowie über mit Daten korrelierende Bewertungsgrößen (Dr) über die Fahrbarkeit;
11.4 ein Zuordnungssystem (6) zum Zuordnen von Bewertungsgrößen (Dr) über die Fahrbarkeit des Fahrzeuges (B) zu den Daten (2, 3) über den Betriebszustand des Motors (A) und/oder des Fahrzeuges (B);
11.5 eine Auswerteeinheit (5)
11.5.1 zum Vergleichen der gemessenen mit den abgelegten Daten
11.5.2 sowie zur Bestimmung von Bewertungsgrößen (Dr) über die Fahrbarkeit unter Verwendung des Zuordnungssystems (6),
11.5.2.1 unter der Voraussetzung, dass eine der Triggerbedingungen (4a) vorliegt,
11.5.2.2 in Abhängigkeit von der Triggerbedingung.
Wegen der geltend gemachten Unteransprüche wird auf die Klagepatentschrift verwiesen.
2.
Der Schutzbereich eines Patents wird durch die Ansprüche bestimmt, wobei die Beschreibung und die Zeichnungen zur Auslegung heranzuziehen sind (vgl. § 14 S. 1 PatG bzw. Art. 69 Abs. 1 S. 1 EPÜ). Die Auslegung hat aus Sicht eines Durchschnittsfachmanns im Prioritäts- bzw. Anmeldezeitpunkt zu erfolgen (Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 6. Aufl. 2013, Rn. 64). Maßgebend ist der Offenbarungsgehalt der Patentansprüche und ergänzend – im Sinne einer Auslegungshilfe – der Offenbarungsgehalt der Patentschrift, soweit dieser Niederschlag in den Ansprüchen gefunden hat (BGH, GRUR 1999, 909, 911 – Spannschraube; GRUR 2004, 1023, 1024 – Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung). Hierbei ist nicht am Wortlaut zu haften, sondern auf den technischen Gesamtzusammenhang abzustellen, den der Inhalt der Patentschrift dem Fachmann vermittelt. Der Fachmann orientiert sich an dem in der Patentschrift zum Ausdruck gekommenen Zweck eines Merkmals, womit der technische Sinn der in der Patentschrift benutzten Worte und Begriffe – nicht die philologische oder logisch-wissenschaftliche Begriffsbestimmung – entscheidend ist. Die Patentschrift stellt dabei gleichsam ihr eigenes Lexikon dar (BGH, GRUR 2002, 515 – Schneidmesser I; GRUR 1999, 909 – Spannschraube).
3.
Anspruch 1 wird von der angegriffenen Ausführungsform nicht verwirklicht, da diese zumindest von Merkmal 1.2 keinen Gebrauch macht.
a)
Das Verfahren nach Merkmal 1 besteht aus mehreren Schritten. Zunächst sollen nach Merkmal 1.1 Messungen an einem realen Fahrzeug zur Gewinnung von Messgrößen über das Fahrverhalten vorgenommen werden. Diese dienen später als Basis für die Analyse.
Bei der eigentlichen Analyse – die auch am Prüfstand erfolgen kann – soll laufend überprüft werden, ob vorbestimmte Fahrzustände eines Fahrzeuges vorliegen. Hierzu wird überprüft, ob bestimmte Konstellationen von Messgrößen (die das Klagepatent als „Triggerbedingungen“ bezeichnet) bei der Messung erfüllt sind. Die Triggerbedingungen definieren also Fahrzustände des Kraftfahrzeuges. Anhand der gemessenen Messgrößen wird überprüft, ob eine der Triggerbedingungen erfüllt ist und damit einer der vorbestimmten Fahrzustände vorliegt (Merkmal 1.2).
Wenn ein vorbestimmter Fahrzustand vorliegt, soll die Fahrbarkeit des Fahrzeuges bestimmt werden. Hierzu wird eine die Fahrbarkeit angegebene Bewertungsgröße gebildet und zwar aus einer oder mehreren der gemessenen Messgrößen und aufgrund einer Funktion, die abhängig von der Triggerbedingung ist, d.h. letztlich vom Fahrzustand (Merkmalsgruppe 1.3).
Schließlich wird diese Bewertungsgröße ausgegeben (Merkmal 1.4).
b)
Merkmal 1.2,
„laufende Überprüfung, ob vorbestimmte Triggerbedingungen (4a), d.h. Konstellationen von Messgrößen (2, 3), erfüllt sind, die vorbestimmten Fahrzuständen des Kraftfahrzeuges entsprechen;“
setzt voraus, dass laufend das Vorliegen einer Mehrzahl von Fahrzuständen überprüft wird.
Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Anspruches. Die „vorbestimmten Fahrzustände“ stehen wie „Triggerbedingungen“ und „Konstellationen“ im Plural. Das Verfahren muss also in der Lage sein, mindestens zwei vorbestimmte Fahrzustände des Kraftfahrzeuges anhand des Erfüllens von Triggerbedingungen zu erkennen, wobei diese Triggerbedingungen wiederum Konstellationen von Messgrößen entsprechen.
Einer Auslegung, wonach auch die Überprüfung des Vorliegens nur eines Fahrzustands zulässig ist, steht der klare Wortlaut von Merkmal 1.2 entgegen, der von „Fahrzuständen“ spricht. Dass es sich hierbei – wie die Klägerin vorträgt – um eine generische Bezeichnung handeln könnte, findet weder im Anspruchswortlaut noch in der sonstigen Patentschrift eine Stütze. So heißt es in Abs. [0013] Z. 4:
„Im zweiten Schritt werden anhand von zuvor definierten Triggerbedingungen verschiedene Fahrzustände erkannt.“ (Unterstreichung hinzugefügt)
Weiter heißt es in Abs. [0013] Z. 17 – 19:
„Es ist auch möglich, die Unterteilung der Betriebszustände weiter zu verfeinern, indem zu jedem Betriebszustand auch der jeweils davor herrschende Betriebszustand berücksichtigt wird, da auch dieser einen Einfluss auf das Fahrzeugverhalten haben kann.“ (Unterstreichung hinzugefügt)
Dies belegt, dass das Klagepatent von einer Mehrzahl von Betriebszuständen ausgeht („Unterteilung der Betriebszustände“).
Das Überprüfen von mehr als einem Fahrzustand steht auch in Einklang mit der Kritik des Klagepatents am Stand der Technik, dem das Klagepatent vorwirft, keine vollständige Beurteilung der Fahrbarkeit zu ermöglichen (Abs. [0006] Z. 38). Eine vollständige Beurteilung setzt aber die Überprüfbarkeit verschiedener Fahrzustände voraus.
Soweit das Klagepatent in Abs. [0049] eine „Messung und Analyse selektiver Fahrbarkeitszustände“ für die Kalibrierung beschreibt, so legt dies kein anderes Verständnis des Anspruchs nahe. Zum einen steht der Begriff „Fahrbarkeitszustände“ im Plural; zum anderen begreift der Fachmann Abs. [0049] nicht im Zusammenhang mit Merkmal 1.2, sondern als Beschreibung eines nachgelagerten Schritts. An der genannten Stelle findet sich kein Hinweis, dass das Verfahren nicht zuvor das Vorliegen einer Mehrzahl von Fahrzuständen überprüft hat. Dass anschließend nur ein Fahrzustand näher ausgewertet wird, ändert an der Auslegung von Merkmal 1.2 nichts.
Ähnliches gilt für das in den Abs. [0055] ff. und Fig. 6 und 10 beschriebene Ausführungsbeispiel. Soweit hier die Berechnung einer Bewertungsgröße nur für den Fahrzustand „Tip In“ im zweiten Gang beschrieben wird, schließt das nicht die laufende Überprüfung des Vorhandenseins von weiteren Fahrzuständen im zweiten Schritt des Verfahrens (Merkmal 1.2) aus. Die Abs. [0055] ff. erläutern lediglich wie für ein Fahrmanöver Bewertungsgrößen ermittelt werden; dem kann der Fachmann nicht entnehmen, dass das Verfahren nicht gleichzeitig – wie von Anspruch 1.2 gefordert – mehrere Fahrzustände überprüfen kann.
Die Überprüfung, ob eine Mehrzahl von Fahrzuständen vorliegt, schließt aber nicht aus, dass für einen Fahrzustand mehrere Triggerbedingungen existieren. Der Anspruchswortlaut verlangt, dass das Vorliegen einer Mehrzahl von Triggerbedingungen und einer Mehrzahl von Fahrzuständen überprüft wird. Danach ist es patentgemäß möglich, dass die Anzahl der überprüften Triggerbedingungen die Anzahl der überprüften Fahrzustände übersteigt. Dies unterstreicht die allgemeine Beschreibung der Erfindung in Abs. [0013] Z. 7 f., wo es heißt:
„Für jeden dieser Fahrzustände werden Triggerbedingungen angegeben, d.h. Konstellationen von verschiedenen Messgrößen, bei deren Auftreten geschlossen wird, dass der betreffende Fahrzustand vorliegt.“
Das Verfahren muss schließlich in der Lage sein, die mehreren verschiedenen Fahrzustände während eines Durchlaufes zu erkennen. Dies ergibt sich aus dem Anspruchswortlaut „laufende Überprüfung“.
Anspruch 1 ist weder durch das Programm „D“ verwirklicht, noch ist eine patentverletzende Handlung der Beklagten aufgrund der Publikationen nach den Anlagen K13 oder K14 ersichtlich.
c)
Die angegriffene Ausführungsform verletzt Anspruch 1 des Klagepatents nicht, da von Merkmal 1.2,
laufende Überprüfung, ob vorbestimmte Triggerbedingungen (4a), d.h. Konstellationen von Messgrößen (2, 3), erfüllt sind, die vorbestimmten Fahrzuständen des Kraftfahrzeuges entsprechen;
kein Gebrauch gemacht wird.
aa)
Merkmal 1.2 ist in der implementierten angegriffenen Ausführungsform nicht verwirklicht. Das Programm „D“ kann pro Durchgang nur das Vorliegen eines Fahrzustands überprüfen. Dass bei einem weiteren Durchgang ein anderer Fahrzustand abgefragt und analysiert werden kann, führt nicht zu einer Verwirklichung des Merkmals, da dies keine „laufende Überprüfung“ darstellt.
Soweit die Klägerin unter Bezugnahme auf die Dokumente nach Anlage K13 und K14 behauptet, die dort beschriebene Alternative des „Wartens auf mehrere Events“ bzw. die „optionale Regressionsanalyse“ seien in der angegriffenen Ausführungsform implementiert und verwirklichten Anspruch 1, kann dem nicht gefolgt werden. Es ist nicht substantiiert dargetan, dass im Tool „D“ die laufende Überprüfung des Vorliegens mehrerer Fahrzustände möglich ist. Es obliegt insofern der Klägerin, die Existenz einer solchen Variante der Ausführungsform substantiiert vorzutragen.
Die Beklagte hat bestritten, dass eine solche Programmvariante implementiert wurde und zusätzlich zum Beleg ausschnittsweise die Bedienungsanleitung der angegriffenen Ausführungsform vorgelegt (Anlage TW3). Bei dieser Sachlage hätte die Klägerin substantiiert darlegen müssen, warum eine solche Variante tatsächlich doch Teil des angegriffenen Programmes sein soll.
Dies ist nicht erfolgt. Die Klägerin hat zu diesem Punkt lediglich vorgetragen, dass bei der angegriffenen Ausführungsform innerhalb einer Ratingmatrizen-Tabelle verschiedene Kombinationen von gemessenen Werten (etwa Drosselklappenöffnung und Drehzahl) mit unterschiedlichen Farben hinterlegt sind. Dies interpretiert die Klägerin als Mehrzahl von Fahrzuständen, wobei sie eine Ähnlichkeit zu den Fig. 6 und 10 des Klagepatents sieht. Kombinationen aus jeweils zwei Wertbereichen in einer Tabelle stellen jedoch keine Mehrzahl von Fahrzuständen dar, sondern vielmehr verschiedene Werte innerhalb eines Fahrzustands. Die Aufteilung eines Fahrzustands in mehrere Wertbereiche macht aus einem Fahrzustand nicht eine Mehrzahl von Fahrzuständen.
Dass auf eine andere Weise das Vorliegen einer Mehrzahl von Fahrzuständen von der implementierten angegriffenen Ausführungsform überprüft wird, hat die Klägerin dagegen nicht dargetan.
bb)
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Zeitschrift der Beklagten F (Ausgabe 45, September 2010; Anlage K13) als Angebotshandlung im Sinne von § 9 S. 2 Nr. 2 PatG zu verstehen ist. Mangels Vorlage einer entsprechenden Ausführungsform müsste für die Bejahung eines patentverletzenden Angebots die Verwirklichung aller Merkmale von Anspruch 1 aus der Anlage K13 hervorgehen. Dies ist nicht der Fall.
Es ist schon die Verwirklichung von Merkmal 1.2 fraglich. Aus dem Satz,
„Alternativ kann das Tool auch auf einen definierten Satz von relevanten Events warten und die Ergebnisse online im Hintergrund auswerten, speichern und aufbereiten, um den Fahrer möglichst nicht abzulenken“,
lässt sich nicht mit hinreichender Sicherheit schließen, dass in einem Durchgang das Vorliegen von mehr als einem Fahrzustand geprüft wird. Es ist nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellbar, dass „Events“ mit „Fahrzuständen“ gleichzusetzen ist. Die Klägerin hat nicht dargetan, dass nach dem Verständnis eines Fachmanns der Begriff „Events“ mit einer Mehrzahl von Fahrzuständen gleichzusetzen ist. Hierfür findet sich auch in der Anlage K13 kein Hinweis. In dem genannten Absatz findet sich keine nähere Beschreibung von „Events“.
Schließlich lässt sich aus dieser Textstelle – selbst wenn man hierin eine Verwirklichung von Merkmal 1.2 sehen wollte – nicht das Vorliegen der anderen Merkmale des Anspruchs 1 ersehen. In der von der Klägerin angeführten Passage der Anlage K13 wird das Programm „C“ nur in knappen Sätzen beschrieben, ohne dass sich hieraus ersehen ließe, wie das vorgestellte Programm im Einzelnen abläuft.
cc)
Hinsichtlich des Artikels „Toolunterstützte Fahrbarkeitsapplikation / Tool Supported Drivability Calibration“ (Anlage K14) von Mitarbeitern der RWTH B und der Beklagten fehlt es zumindest an einer Angebotshandlung.
Für die Frage, ob ein Angebot vorliegt, ist zwar nicht entscheidend, ob der angebotene Gegenstand schon existiert oder eine Möglichkeit besteht, diesen alsbald herzustellen oder zu importieren (Schulte-Rinken/Kühnen, PatG, 9. Aufl. 2014, § 9 Rn. 55). Es genügt vielmehr jede Art des Anbietens, so dass Dritte Gebote auf Überlassung abgeben können (BGH, GRUR 1970, 358, 360 – Heißläuferdetektor).
Ein solches Angebot lässt sich der Anlage K14 aber nicht entnehmen. Ein Leser der Anlage K14 kann nicht den Eindruck gewinnen, er könne Gebote für eine Überlassung eines patentgeschützten Gegenstands abgeben. Zum einen handelt es sich bei dem Artikel um einen wissenschaftlichen Beitrag, bei dem Mitarbeiter der Beklagten nur Mitautoren waren. Es ist bereits aus dieser Erwägung heraus fraglich, ob in dem Artikel überhaupt eine Angebotshandlung der Beklagten zu sehen ist. Zum anderen wird zwar auf S. 237 / Abb. 5 K14 eine Regressionsanalyse als optionaler Schritt dargestellt; auf S. 240 linke Spalte, vorletzter Abs. Anlage K14 wird aber darauf hingewiesen, dass die Beklagte den Ansatz der Regressionsanalyse gerade nicht verfolgt. Die Beschreibung des Programmes der Beklagten erfolgt erst auf den S. 241 ff. Anlage K14. Aus dieser Beschreibung lässt sich aber eine Verwirklichung von Merkmal 1.2 nicht ersehen. Vielmehr entspricht das dortige Programm nach dem Verständnis der Kammer der (implementierten) angegriffenen Ausführungsform.
4.
Eine mittelbare Verletzung von Anspruch 11 hat die Klägerin nicht ausreichend dargetan.
a)
Anspruch 11 beansprucht eine Vorrichtung mit einem Messsystem (Merkmal 11.1), einer Aufnahmeelektronik (11.2), einem Datenablagesystem mit Triggerbedingungen (Merkmal 11.3), einem Zuordnungssystem (11.4.) sowie einer Auswerteeinheit (11.5) vorhanden.
Durch das Messsystem können bestimmte Messgrößen erfasst werden und in der Aufnahmeelektronik gespeichert werden (Merkmale 11.1 und 11.2).
Eine Auswerteinheit vergleicht die gemessenen Werte mit denen in dem Datenablagesystem abgelegten Daten. Diese Daten bestehen aus Triggerbedingungen und Daten zu den Bewertungsgrößen (Merkmalsgruppe 11.3).
Das Zuordnungssystem ordnet Bewertungsgrößen den Daten über den Betriebszustand des Motors oder des Fahrzeuges zu – diese entsprechen den Fahrzuständen des Anspruchs 1 (Merkmal 11.4).
Die Auswerteeinheit nach Merkmalsgruppe 11.5 vergleicht die gemessenen mit den abgelegten Daten (Merkmal 11.5.1). Wenn eine Triggerbedingung vorliegt, bestimmt die Auswerteeinheit eine Bewertungsgröße unter Verwendung des Zuordnungssystems und in Abhängigkeit von der Triggerbedingung (Merkmale 11.5.2.1 und 11.5.2.2).
b)
Auf Grundlage des Vortrages der Klägerin ist eine mittelbare Verletzung von Anspruch 11 nicht hinreichend vorgetragen. Die Klägerin verweist schriftsätzlich hier nur auf ihren Vortrag zur behaupteten Verwirklichung von Anspruch 1 und behauptet pauschal, die von Anspruch 11 genannten Vorrichtungskomponenten seien alle bei den Testsystemen vorhanden, mit denen die angegriffene Ausführungsform zusammen verwendet wird.
In der mündlichen Verhandlung hat sich die Klägerin auf den entsprechenden Hinweis des Gerichts – erstmals – auf verschiedene Stellen in der Anlage TW3a bezogen, ohne dass hierdurch eine Verletzung von Anspruch 11 für die Kammer ersichtlich wurde.
Es fehlen substantiierten Angaben dazu, wie die Vorrichtungen, in denen die angegriffene Ausführungsform eingesetzt wird, ausgestaltet sein sollen und wie durch das Zusammenwirken der angegriffenen Ausführungsform als Mittel und einem Testsystem Patentanspruch 11 verwirklicht wird. Auch die Abgrenzung zwischen dem Programm als Mittel und dem Testsystem, welches die Vorrichtung darstellen soll, ist auf Grundlage des Klägervortrages nicht möglich.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
III.
Die nicht nachgelassenen Schriftsätze der Parteien fanden bei der Entscheidung keine Berücksichtigung. Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ist nicht geboten, §§ 296a, 156 ZPO.
IV.
Der Streitwert wird auf EUR 500.000,00 festgesetzt.