Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3424
Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil vom 30. April 2025, I-2 U 45/24
Vorinstanz: 4c O 6/23
- I. Die Berufung der Klägerin gegen das am 20.02.2024 verkündete Urteil der 4c Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.
- II. Die Klägerin hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
- III. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar.
- Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund der Urteile erster und zweiter Instanz vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
- IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
- V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 679.479,20 EUR festgesetzt.
- Gründe:
-
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen behaupteter unberechtigter Abmahnung in Anspruch, nachdem die der Abmahnung zugrundeliegenden Patente vom Europäischen Patentamt widerrufen wurden. - Die Klägerin ist eine deutsche Tochtergesellschaft des international forschenden Pharmaunternehmens A Ltd. und unter anderem im Generikamarkt tätig. Sie beabsichtigte, das Generikum „Oxycodon-HCL/Naloxon-HCI B“, bei dem die Wirkstoffe Oxycodon und Naloxon kombiniert werden, in den Stärken 5/2,5 mg, 10/5mg, 20/10mg und 40/20 mg auf den Markt zu bringen. Diese Kombination der beiden Wirkstoffe, die z.B. in den Medikamenten „C“ und „D“ enthalten ist, konnte die Beklagte – ein mittelständisches forschendes Pharmazieunternehmen – bis zum 31.05.2017 marktexklusiv vertreiben.
- Mit Schreiben vom 25.05.2017 (Anlage KAP 2, dt. Übersetzung KAP 2A) informierte die A F Ltd. die E Ltd. – ein Unternehmen der Unternehmensgruppe, der auch die Beklagte angehört – darüber, dass B eine Marktzulassung für ein orales Oxycodon/Naloxon-Produkt mit verzögerter Wirkstofffreisetzung erhalten habe und beabsichtige, dieses nach Ablauf der Marktexklusivität des Medikaments C auf den Markt zu bringen. Weiterhin verwies sie darauf, dass das (inzwischen erloschene) Patent EP 1 492 XXX und die damit verbundenen erteilten und in Prüfung befindlichen Teilanmeldungen („die Patente“) ihr zwar bekannt seien, sie diese aber als nichtig („invalid“) erachte. Es besteht zwischen den Parteien Einigkeit, dass mit „die Patente“ neben dem EP 1 492 XXX, das EP 2 425 XXX (nachfolgend: „EP‘XXX“), das EP 2 425 YXX (nachfolgend: „EP‘YXX“) und das EP 2 425 ZXX (nachfolgend: „EP‘ZXX“) gemeint sind.
- Mit Schreiben vom 31.05.2017 (Anlage KAP 3, dt. Übersetzung KAP 3A) wies die Kanzlei G für die Unternehmen „H“ die Behauptung, dass die Patente ungültig („invalid“) seien, zurück und verwies u.a. darauf, dass das EP‘XXX gegen die Einwendungen Dritter erteilt worden und Grundlage dreier vom Handelsgricht Barcelona und vom Landgericht München erlassener Unterlassungstitel sei. In Reaktion auf dieses Schreiben bekräftigte die A F Ltd. mit Schreiben der Kanzlei I vom 07.06.2017 (Anlage KAP 4, dt. Übersetzung KAP 4A) ihre Auffassung, dass es die Patente für ungültig („invalid“) erachte und bot eine gegenseitige Verpflichtungserklärung an, wonach sie die Vermarktung in den Zielländern zu unterlassen habe und im Gegenzug für alle Verluste entschädigt werde, die ihr in Bezug auf jedes Land entstünden, in dem die Patente für nichtig erklärt würden. Eine Reaktion seitens der Kanzlei G erfolgte hierauf nicht.
- Mit Schreiben vom 28.06.2017 (Anlage KAP 21, dt. Übersetzung KAP 21A) zeigte die Kanzlei J die Vertretung der Beklagten an und verwies darauf, dass das Medikament D der Beklagten durch die Patente EP‘XXX, EP‘YXX und EP‘ZXX (nachfolgend auch: „Abmahnpatente“) geschützt sei. In dem Schreiben wird weiterhin angemerkt, dass das EP‘XXX Grundlage für drei einstweilige Verfügungen des Landgerichts München – die Abschrift einer dieser einstweiligen Verfügungen war dem Schreiben in anonymisierter Form beigefügt (Anlage KAP 22) – gegen D-Gernerika gewesen sei. Das Schreiben endet wie folgt:
- „3. Your client is requested to cease and desist from any of the aforementioned infringing actions immediately. This obligation results from Art. 64 (1) European Patent Convention (EPC) in connection with §§ 9, 139 German Patent Act (PatG).
-
4. Your client is given the opportunity to avoid court proceedings and to amicably settle our client’s claims by signing and fulfilling in due time the attached declaration as to cease and desist
Exhibit 2.
Should your client fail to provide us with a respective undertaking latest by
3 July 2017
we will advise our client to start legal action.“ - Auf Deutsch (gemäß Anlage KAP 21A):
- „3. Ihre Mandantin wird aufgefordert, die oben genannten rechtsverletzenden Handlungen unverzüglich zu unterlassen. Diese Verpflichtung ergibt sich aus Art. 64 (1) Europäisches Patentübereinkommen (EPÜ) in Verbindung mit §§ 9, 139 Patentgesetz (PatG).
-
4. Ihre Mandantin erhält die Möglichkeit, ein Gerichtsverfahren zu vermeiden und die Ansprüche unserer Mandantin gütlich zu regeln, indem sie die als
Anlage 2
beigefügte Unterlassungserklärung fristgerecht abgibt.
Sollte Ihre Mandantin uns eine entsprechende Zusage nicht spätestens bis zum
3. Juli 2017
erklären, werden wir unserer Mandantin empfehlen, Klage zu erheben.“ - Die als „Cease-and-desist Declaration“ betitelte Anlage 2 („Exhibit 2“) führt im Kopf die A F Ltd. und die Klägerin als diejenigen auf, die sich gegenüber der Beklagten zu einem Unterlassen (Ziff. 1) und einer Vertragsstrafe für den Fall des Zuwiderhandelns (Ziff. 2) verpflichten sollen. Wegen des weiteren Inhalts wird auf die Anlage KAP 23 (dt. Übersetzung KAP 23A) Bezug genommen.
- Unter Bezugnahme auf das vorgenannte Schreiben vom 28.06.2017 verwies die Kanzlei I mit Schreiben vom 30.06.2017 (Anlage KAP 24, dt. Übersetzung KAP 24A) erneut auf die Ungültigkeit der Abmahnpatente sowie auf gegen die Patente erhobene Einsprüche beim Europäischen Patentamt. Gleichwohl heißt es in dem Schreiben weiter:
- „In light of the interim relief obtained by your client against (i) three generic pharmaceutical companies in Spain and Germany referred to in G’s letter of 31 May and (ii) three other parties in Germany as referred to in your letter of 28 June together with the threatened legal proceedings in your letter, our client has no option but to submit to a cease and desist declaration. As you will be aware, an unfounded warning letter provides a basis for a damages claim under German law. It should be understood that this declaration will be rendered without prejudice to any such damages claim that B may bring in the event that the Patents are invalidated.
- An amended declaration that is acceptable to our client is enclosed; the amendments reflect standard drafting of such declarations so we trust they are not contentious.“
- Auf Deutsch (gemäß Anlage KAP 24A):
- „In Anbetracht des einstweiligen Rechtsschutzes, den Ihre Mandantin gegen (i) drei Generikahersteller in Spanien und Deutschland, auf die im Schreiben von G vom 31. Mai Bezug genommen wird, und (ii) drei andere Parteien in Deutschland, auf die in Ihrem Schreiben vom 28. Juni Bezug genommen wird, sowie der in Ihrem Schreiben angedrohten Gerichtsverfahren, hat unsere Mandantin keine andere Wahl, als eine Unterlassungserklärung abzugeben. Wie Sie wissen, stellt eine unbegründete Abmahnung nach deutschem Recht eine Grundlage für einen Schadensersatzanspruch dar. Es versteht sich von selbst, dass diese Erklärung unbeschadet eines solchen Schadensersatzanspruchs abgegeben wird, den B im Falle der Ungültigerklärung der Patente geltend machen könnte.
- Eine geänderte Erklärung, die für unsere Mandantin annehmbar ist, ist beigefügt; die Änderungen entsprechen der Standardformulierung solcher Erklärungen, so dass wir davon ausgehen, dass sie nicht strittig sind.“
- Die vorgenommenen Anpassungen – wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage KAP 25 (dt. Übersetzung KAP 25A) Bezug genommen – fügten u.a. den folgenden Satz am Ende der Unterlassungserklärung hinzu:
- „[…] B reserves the right to claim damages arising from the undertaking in the event that the patents stated under clause 1 above are finally revoked.“
- Auf Deutsch (gemäß Anlage KAP 25A):
- „[…] B behält sich das Recht vor, Schadensersatzansprüche aus der Vereinbarung geltend zu machen, falls die unter Klausel 1 genannten Patente endgültig widerrufen werden.“
- Mit Schreiben vom 03.07.2017 (Anlage KAP 26, dt. Übersetzung KAP 26A) teilte die Kanzlei J mit, dass die Beklagte mit den vorgeschlagenen Änderungen einverstanden sei und regte die Aufnahme einer weiteren Dosis in die Unterlassungserklärung an. Daraufhin übersandte die Kanzlei I mit Schreiben vom 05.07.2017 (Anlage KAP 27, dt. Übersetzung KAP 27A) eine entsprechend angepasste und von der Klägerin sowie der A F Ltd. mit Datum vom 04.07.2017 unterzeichnete Fassung der Unterlassungserklärung (nachfolgend: „Unterlassungsverpflichtungserklärung“). Wegen des Wortlauts der Unterlassungsverpflichtungserklärung, die zeitlich darauf beschränkt ist, „solange EP (DE) 2 425 XXX, EP (DE) 2 425 YXX oder EP (DE) 2 425 ZXX gültig und in Kraft sind“, wird auf die Anlage KAP 5 (dt. Übersetzung KAP 5A) Bezug genommen. Sie enthält neben der durch eine Vertragsstrafeklausel abgesicherten Unterlassungsverpflichtung (Ziff. 1 u. 2) folgenden abschließenden Absatz:
- „German law shall be applicable for all disputes arising out of or in connection with this declaration. The parties have agreed that the Düsseldorf District Court shall be the competent Court to decide on such matters. B reserves the right to claim damages arising from the undertaking in the event that the patents stated under clause 1 above are finally revoked.“
- Auf Deutsch:
- „Für alle Streitigkeiten, die sich aus oder im Zusammenhang mit dieser Erklärung ergeben, ist deutsches Recht anwendbar. Die Parteien haben sich darauf geeinigt, dass das Landgericht Düsseldorf das zuständige Gericht ist, um über solche Angelegenheiten zu entscheiden. B behält sich das Recht vor, Schadensersatzansprüche aus der Verpflichtung geltend zu machen, falls die unter Klausel 1 genannten Patente endgültig widerrufen werden.“
- Die drei Patente EP‘XXX, EP‘ZXX und EP‘YXX, die jeweils die Bezeichnung „K“ („K“) tragen, beruhen auf am 04.04.2003 durch die L eingereichten Teilanmeldungen, die aus der europäischen Patentanmeldung 03720XXX.X (entsprechend der internationalen Patentanmeldung PCT/EP03/03XXX, veröffentlicht als WO 03/084XXX A2; nachfolgend: „Stammanmeldung“) abgezweigt wurden. Die Erteilung und der Widerruf der Patente gestaltete sich wie folgt:
- • Der Erteilung des EP‘XXX ging eine am 09.03.2016 beim Euopäischen Patentamt eingegangene anonyme Einwendung eines Dritten voraus, in der eine unzulässige Erweiterung u.a. mit der Begründung gerügt wurde, dass die in der Prioritätsanmeldung DE 102 15 XXX.X enthaltenen notwendigen Merkmale „invariant and independent release“ („unveränderliche und unabhängige Freisetzung“) und „storage stability“ („Lagerstabilität“) weggelassen worden seien und diese das beanspruchte Gewichtsverhältnis zwischen Oxycodonhydrochlorid und Naloxonhydrochlorid nicht offenbare (vgl. Anlage AO 2, dt. Übersetzung AO 2a). Auf die hieraufhin seitens der Anmelderin geänderte Fassung der Anträge (Anlage KAP 28, dt. Übersetzung KAP 28A) teilte die Prüfungsabteilung am 02.06.2016 mit, dass sie beabsichtige, das Patent zu erteilen (Anlage KAP 30, dt. Übersetzung KAP 30A). Nach der Erhebung einer weiteren Einwendung vom 20.06.2016 durch einen Dritten – in dieser wurde insbesondere das Fehlen eines erfinderischen Schritts, aber u.a. auch eine unzulässige Erweiterung wegen des Streichens der Merkmale „invariant and independent“ und „storage stable“ bemängelt (Anlage AO 3, dt. Übersetzung AO 3a) – und einer hierauf erfolgten Stellungnahme der Anmelderin mit Schreiben vom 05.07.2016 (Anlage KAP 31, dt. Übersetzung KAP 31A) erteilte die Prüfungsabteilung mit Entscheidung vom 20.10.2016 (Anlagen KAP 32/AO 10, dt. Übersetzung KAP 32A/AO 10a) das Patent. Der Hinweis auf die Erteilung wurde am 16.11.2016 bekannt gemacht.
- Mit Schreiben vom 17.03.2017 legte die erste von insgesamt zehn Einsprechenden Einspruch gegen die Erteilung des EP‘XXX ein, wobei sie diesen u.a. auf das Vorliegen einer unzulässigen Erweiterung (Art. 76 Abs. 1 bzw. Art. 123 Abs. 2 EPÜ) stützte. Dass der erteilte Anspruch 1 des EP‘XXX gegen die Erfordernisse des Art. 76 Abs. 1 bzw. Art. 123 Abs. 2 EPÜ verstoße, machten – neben anderen Widerrufsgründen – auch die übrigen Einsprechenden mit ihren Einsprüchen geltend (vgl. Anlage KAP 6, dt. Übersetzung KAP 6a). Durch Entscheidung vom 06.11.2018 (Anlagen KAP 6/AO 1, dt. Übersetzung KAP 6a/AO 1a) widerrief die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts das Patent. Zur Begründung führte sie aus, dass sich der Anspruch 1 durch das Weglassen des Merkmals „invariant and independent release“ auf pharmazeutische Präparate erstrecke, die in der Stammanmeldung nicht offenbart seien. Auch die Beanspruchung eines festen Gewichtsverhältnisses der Wirkstoffe von 2:1 sei eine unzulässige Erweiterung, da eine besonders vorteilhafte Wirkung im Hinblick auf die Verringerung von Nebenwirkungen, z.B. Verstopfung, in der Stammanmeldung nicht offenbart werde. Ebenfalls führe das Weglassen des Merkmals „storage stable“ zu einer unzulässigen Verallgemeinerung der Stammanmeldung. Die von der Beklagten hiergegen eingelegte Beschwerde nahm diese in der mündlichen Verhandlung vor der Technischen Beschwerdekammer am 29.09.2021 zurück.
- • Das EP‘ZXX wurde am 13.04.2017 erteilt (Anlage AO 8, dt. Übersetzung AO 8a), wobei in diesem Erteilungsverfahren Dritte keine Einwendungen eingereicht hatten. Allerdings nahm die Antragsstellerin – nach seitens der Prüfungsabteilung geäußerten Bedenken – mit Schriftsatz vom 08.02.2017 (Anlage AO 7, dt. Übersetzung AO 7A) Anspruchsänderungen vor und verwies unter Angabe entsprechender Fundstellen in der eingereichten Anmeldung darauf, dass die neuen Ansprüche im Einklang mit Art. 76 Abs. 1 EPÜ stünden.
- Am 15.07.2019 widerrief die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts das EP‘ZXX wegen unzulässiger Erweiterung. Zur Begründung führte sie aus, dass die Stammanmeldung nicht direkt und eindeutig offenbare, dass zur signifikanten Verringerung der opioidinduzierten Verstopfung ohne Beeinträchtigung der analgetischen Wirkung bei der Schmerzbehandlung ein festes Gewichtsverhältnis von 2:1 von Oxycodon zu Naloxon verwendet werden müsse (vgl. Anlage KAP 11, dt. Übersetzung KAP 11A). Die von der Beklagten gegen diese Entscheidung eingelegte Beschwerde wies die Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts am 23.09.2021 mit der Begründung zurück, dass das beanspruchte Wirkstoffverhältnis von 2:1 in Kombination mit der Verringerung einer opioid-induzierten Obstipation („OIC“) eine neue Lehre darstelle, die über den Inhalt der führeren Anmeldung hinausgehe (Anlage KAP 12, dt. Übersetzung KAP 12A).
- • Die Erteilung des EP‘YXX erfolgte ebenfalls am 13.04.2017 (Anlage AO 9, dt. Übersetzung AO 9a), ohne dass zuvor Dritte Einwendungen erhoben hatten. Am 11.09.2019 widerrief die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts auch dieses Patent wegen unzulässiger Erweiterung mit weitgehend inhaltsgleicher Begründung zum Widerruf des EP‘ZXX (vgl. Anlage KAP 9, dt. Übersetzung KAP 9A). Die von der Beklagten hiergegen eingelegte Beschwerde nahm diese mit Schreiben vom 20.01.2020 zurück.
- Die Klägerin hat vor dem Landgericht geltend gemacht, dass aus dem letzten Satz der Unterlassungsverpflichtungserklärung, bei der es sich um einen zweiseitigen Vertrag handele, eine verschuldensunabhängige Haftung der Beklagten für den durch den unterlassenen Markteintrit entstandenen Schaden folge. Die Unterlassungsverpflichtungserklärung habe den Parteien ein kostenintensives einstweiliges Verfügungsverfahren erspart, sei aber für sie, die Klägerin, nur wegen der Vereinbarung einer verschuldensunabhängigen Haftung in Frage gekommen, weil ihr bei erfolgreicher Durchführung eines einstweiligen Verfügungsverfahrens die (ebenfalls) verschuldensunabhängige Entschädigungsregelung des § 945 ZPO zugutegekommen wäre. Im Übrigen hafte die Beklagte aus § 823 Abs. 1 BGB wegen eines schuldhaften Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Die Beklagte habe sie mit Schreiben vom 30.05.2017, jedenfalls aber mit Schreiben vom 28.06.2017 abgemahnt, obwohl ihr zu diesem Zeitpunkt bereits die Gründe für den späteren Widerruf der Patente aus den Einspruchsverfahren bekannt gewesen seien. Sie habe daher fahrlässig gehandelt, weil ein Rechteinhaber nicht auf den Rechtsbestand seiner Patente vertrauen dürfe, wenn ein Angriff auf den Rechtsbestand vorliege. Vor diesem Hintergrund habe sich die Beklagte nicht blind auf den Erteilungsakt des Europäischen Patentamts verlassen dürfen, sondern sei angesichts der Einsprüche gehalten gewesen, den Rechtsbestand kritisch und gewissenhaft zu überprüfen. Dies gelte insbesondere deshalb, da beim EP‘XXX die von Dritten erhobenen Widerrufsgründe von der Prüfungsabteilung augenscheinlich nicht geprüft worden seien. Im Erteilungsverfahren zum EP‘ZXX und EP‘YXX seien schon keine Einwendungen Dritter eingereicht worden. Der Erlass einstweiliger Verfügungen auf der Grundlage des EP‘XXX ändere an diesem Ergebnis nichts, da das Gericht im einstweiligen Verfügungsverfahren insoweit nur eine summarische Prüfung des Rechtsbestands vornehme.
- Die Beklagte, die Klageabweisung beantragt hat, hat in Abrede gestellt, dass ein Unterlassungs- und Verpflichtungsvertrag zustande gekommen sei. Die abgegebene Unterlassungserklärung sei keine zweiseitige Vereinbarung und von ihr, der Beklagten, auch nicht unterzeichnet worden. Hiervon abgesehen könne dieser aber auch nicht die Vereinbarung einer verschuldensunabhängigen Haftung entnommen werden. Der letzte Satz der Erklärung stelle lediglich klar, dass sich die Klägerin durch die Selbstverpflichtung keiner Rechte begeben wolle. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB. Das Schreiben der Kanzlei G vom 31.05.2017 stelle bereits keine Abmahnung dar, da es keine Unterlassungsaufforderung enthalte, und sei zudem nicht an die Klägerin, sondern an die A F Ltd. gerichtet gewesen. Außerdem habe sie sich auf die Rechtsbeständigkeit der Abmahnpatente verlassen dürfen, da bei der Erteilung des EP‘XXX der – letztendlich zum Widerruf des Patents führende – Einwand der unzulässigen Erweiterung von der Prüfungsabteilung als nicht durchschlagend erachtet worden sei. Da die Prüfer bei allen drei Patenten identisch gewesen seien, müsse davon ausgegangen werden, dass die Einwände auch bei der Erteilung des EP‘ZXX und des EP‘YXX berücksichtigt worden seien. Die Erteilungsakte rechtfertigten daher ein besonderes Vertrauen in den Rechtsbestand. Auch die vom Landgericht München I erlassenen drei einstweilige Verfügungen, von denen zwei vor der Abmahnung erwirkt worden seien, belegten, dass zu diesem Zeitpunkt keine durchgreifenden Zweifel am Rechtsbestand bestanden hätten.
- Durch Urteil vom 20.02.2024 hat das Landgericht Düsseldorf die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
- Zwischen den Parteien sei in Gestalt der Verpflichtungserklärung ein Vertrag zustandegekommen. Mit der Unterzeichnung am 04.07.2017 habe die Klägerin ein entsprechendes Angebot der Beklagten angenommen. Die Verpflichtungserklärung begründe allerdings keine verschuldensunabhängige Schadensersatzhaftung der Beklagten. Hiergegen spreche schon der Wortlaut („reserves the right“), der auf die Erhaltung von Rechten, nicht aber auf deren Begründung abstelle. Die systematische Stellung der Klausel am Ende der Vereinbarung, das Nichtvorsehen einer Unterzeichnung durch die Beklagte und die Entstehungsgeschichte sprächen ebenfalls gegen eine Absicht, eine originäre Haftung zu begründen, sondern für die Schaffung einer Nebenabrede von untergeordneter Bedeutung. Eine Haftung aus § 280 Abs. 1 BGB komme mangels Pflichtverletzung und aus § 311 Abs. 2 BGB mangels Verschuldens nicht in Betracht.
-
Der Klägerin stehe auch keine Schadensersatzforderung aus Deliktsrecht (§ 823 Abs. 1 BGB) zu. Im Gegensatz zum Schreiben vom 31.05.2017 stelle das Schreiben vom 28.06.2017 zwar eine Abmahnung und damit einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar, der – mangels bestehenden Schutzrechts – auch rechtswidrig gewesen sei. Die Beklagte habe allerdings nicht schuldhaft gehandelt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs könne bei einem geprüften Schutzrecht vom Rechteinhaber keine bessere Beurteilung verlangt werden, als sie der Erteilungsbehörde möglich gewesen sei, sofern er keinen Wissenvorspung gehabt habe. An diesem Maßstabe ändere auch die zwischen den Parteien diskutierte Entscheidung des Senats vom XX.XX.XXXX (Az. X, X) nichts. Dieser habe das Verschulden nur deshalb geprüft und bejaht, um die Frage einer Europarechtskonformität der verschuldensunabhängigen Haftung nach § 945 ZPO vor dem Hintergrund der Enforcement-Richtlinie dahinstehenlassen zu können. Diese Konstellation liege hier nicht vor und die Erwägungen seien auch durch die zwischenzeitlich ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs überholt. Im Übrigen überspanne ein Fahrlässigkeitsmaßstab, der einen Vorwurf bereits daran knüpfe, dass ein Widerruf des geltend gemachten Patents möglich erscheine, die Anforderungen an einen (vermeintlichen) Rechteinhaber. Wenn die Erteilungsbehörde das Patent gegen erhobene Einwendungen erteile, könne sich der Rechteinhaber auf diesen Rechtsstandpunkt als vertretbar berufen. Hiervon ausgehend habe sich die Beklagte auf die Rechtseinschätzung der Erteilungsbehörde zum EP‘XXX verlassen dürfen. Denn die Einwendung des Fehlens einer unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung in der Stammanmeldung sei bereits im dieses Patent betreffenden Erteilungsverfahren geprüft worden. Die Beklagte habe weiterhin davon ausgehen dürfen, dass sich die Prüfungsabteilung auch vor der Erteilung der Patente EP‘ZXX und EP‘YXX mit dem Offenbarungsgehalt der Stammanmeldung auseinandergesetzt habe.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt, mit der sie ihr vor dem Landgericht erfolglos gebliebenes Klagebegehren weiterverfolgt. Unter Wiederholung und Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vortrags macht sie u.a. geltend:
- Das Landgericht habe bei der Prüfung des § 823 Abs. 1 BGB einen unzutreffenden Sorgfaltsmaßstab zur Anwendung gebracht. Träten nach dem Erteilungsakt besondere Umstände zu Tage, die diesen in Zweifel zögen, z.B. Einsprüche zahlreicher Mitbewerber, so könne sich der Schutzrechtsinhaber nicht mehr auf den Erteilungsakt verlassen. In einem solchen Fall müsse er die Situation neu bewerten und sich durch eine gewissenhafte Überprüfung der Einspruchsgründe seine Überzeugung bilden. Insoweit sei die Situation dann mit der eines ungeprüften Schutzrechts vergleichbar, insbesondere auch angesichts der hohen Vernichtungsquoten von Patenten in Einspruchs- und Nichtigkeitsverfahren. Dies gelte nach der Glatirameracetat-Entscheidung des Senats selbst dann, wenn eine bestätigende kontradiktorische Entscheidung über den Rechtsbestand vorliege. Diese Wertung müsse entgegen der Auffassung des Landgerichts auch auf die Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB übertragen werden. Das Landgericht habe weiterhin nicht ausreichend gewürdigt, dass zum Zeitpunkt der Abmahnung bereits mehrere Einspruchsbegründungen gegen das EP‘XXX vorgelegen hätten. Dass der Widerrufungsgrund der unzulässigen Erweiterung bereits im Erteilungsverfahren als Einwendung Dritter vorgebracht worden sei, ändere nichts. Es sei schon nicht ersichtlich, dass dieser vom Prüfer überhaupt berücksichtigt worden sei. Die erlassenen einstweiligen Verfügungen begründeten keinen Vertrauenstatbestand, da im dortigen Verfahren bloß eine summarische Prüfung erfolge und das Landgericht München bekanntermaßen geringe Anforderungen an den Rechtsbestand stelle als Düsseldorfer Gerichte.
- Bei der Prüfung der vertraglichen Haftung habe das Landgericht den Begirff „reserves“ zu wörtlich und nicht im Kontext der streitigen Klausel ausgelegt, die gerade von Schadensersatzansprüchen „arising from the undertaking“ spreche. Da deliktische Ansprüche nicht an den Unterlassungs- und Verpflichtungsvertrag anknüpften, könne hiermit nur ein vertraglicher Anspruch gemeint sein. Auch der Kontext des Abschlusses des Unterlassungs- und Verpflichtungsvertrags spreche dafür, dass ihr die Beklagte im Gegenzug zur Unterlassungserklärung einen Schadensersatzanspruch eingeräumt habe. Da die Formatierung des Textes augenscheinlich darauf ausgerichtet sei, alles ordentlich auf einer Seite unterzubringen, lasse sich auch aus der systematischen Stellung der Klausel am Ende des Unterlassungs- und Verpflichtungsvertrags nichts anderes herleiten.
- Entgegen der Auffassung des Landgerichts habe sie auf der Basis des Unterlassungs- und Verpflichtungsvertrags weiterhin einen Anspruch aus § 280 Abs. 1 BGB. Denn mit Schreiben vom 05.07.2017 habe sie der Beklagten mitgeteilt, dass diese sie informieren solle, sobald Patente widerrufen oder einstweilige Verfügungen aufgehoben würden. Dem sei die Beklagte nicht nachgekommen, worin ein Verstoß gegen Treuepflichten (§ 241 Abs. 2 BGB) liege. Auch durch die unberechtigte Abmahnung habe die Beklagte bei der Anbahnung des Unterlassungs- und Verpflichtungsvertrags durch die unzureichende Prüfung der Patente Treuepflichten verletzt, was zu einer Haftung aus culpa in contrahendo (§ 311 Abs. 2 BGB) führe.
- Die Klägerin beantragt,
- das Urteil der 4c. Kammer des Landgerichts Düsseldorf vom 20.02.2024, Aktenzeichen 4c O 6/23, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin EUR 679.479,20 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
- Die Beklagte beantragt,
- die Berufung zurückzuweisen.
- Sie verteidigt das angefochtene Urteil und macht unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens u.a. geltend:
- Das Landgericht habe im Rahmen des § 823 BGB zu Recht ein Verschulden verneint. Denn es habe sich vorliegend bereits nicht um den üblichen Fall eines Erteilungsverfahrens gehandelt. Aufgrund der Einwendungen Dritter sei dieses vielmehr „quasi-kontradiktorisch“ geführt worden. Da die späteren Einsprüche diese Einwendungen nur wiederholt hätten, seien sie nicht geeignet gewesen, das Vertrauen in den Erteilungsakt zu erschüttern. Die Glatirameracetat-Entscheidung des Senats habe das Landgericht im Hinblick auf den bei § 823 Abs. 1 BGB zur Anwendung kommenden Verschuldensmaßstab zutreffend gewürdigt. Der Verschuldensmaßstab der Klägerin hätte hingegen zur Folge, dass eine Abmahnung von Verletzern praktisch ausgeschlossen wäre, gleich wie gesichert der Rechtsbestand der Schutzrechte auch erscheinen möge.
- Das Landgericht habe weiterhin zutreffend eine verschuldensunabhängige Haftung verneint. Die in Rede stehende Passage in der Unterlassungserklärung diene dazu, einen gesetzlichen Anspruch zu sichern und nicht dazu, einen vertraglichen Anspruch zu begründen. Sich etwas vorzubehalten („to reserve“) bedeute, dass man sich gegen den Eintritt einer bestimmten Rechtsfolge oder einer bestimmten Auslegung seiner Erklärung verwahre. Vorliegend habe die Klägerin mit der Klausel bloß eine konkludente Abbedingung ihrer Rechte auf Schadensersatz verhindern wollen. In der gesamten Vereinbarung finde sich kein Anhaltspunkt zur Vereinbarung einer Verschuldsunabhängigkeit von üblicherweise verschuldensabhängigen Schadensersatzansprüchen.
- Der Klägerin stehe auch kein Anspruch wegen der angeblichen Verletzung vertraglicher Neben- oder vorvertraglicher Treuepflichten zu. Soweit die Klägerin erstmals in der Berufung darauf abstelle, dass sie, die Beklagte, die Klägerin nicht über den Widerruf der Patente oder die Aufhebung der einstweiligen Verfügungen informiert habe, so sei der Vortag verspätet und nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht zu berücksichtigen. Einer Mitteilung habe es im Übrigen schon deshalb nicht bedurft, da die Klägerin selbst an den Rechtsbestandsverfahren beteiligt gewesen sei. Der Ausgang paralleler Verletzungsverfahren sei für den Unterlassungsvertrag irrelevant, so dass insoweit auch keine Neben- oder Treuepflicht bestehe. Im Übrigen könne die fehlende Information über die Aufhebung der einstweiligen Verfügungen nicht ursächlich für einen etwaigen Schaden der Klägerin sein.
-
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze der Parteien und der von ihnen vorgelegten Anlagen sowie auf den
Tatbestand und die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug
genommen. - II.
- Die zulässige Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Die Beklagte schuldet der Klägerin keinen Ersatz des hier geltend gemachten Schadens, weder auf der Grundlage vertraglicher noch deliktischer Ansprüche.
-
1.
Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass sich aus der am 04.07.2017 von der Klägerin unterzeichneten Unterlassungsverpflichtungserklärung nicht die Vereinbarung einer verschuldensunabhängigen Haftung der Beklagten für den Fall des Widerrufs der Abmahnpatente herleiten lässt. -
a)
Bei der Unterlassungsverpflichtungserklärung handelt es sich um keine einseitige Erklärung, sondern um einen Vertrag, wovon auch das Landgericht zutreffend ausgegangen ist. Denn sie enthält unter der Ziff. 2 eine Verpflichtung zu Zahlung einer Vertragsstrafe. Diese setzt den Abschluss eines entsprechenden Vertrags voraus, für dessen Zustandekommen die allgemeinen Vorschriften über Vertragsschlüsse gelten (BGH, GRUR 2006, 878 Rn. 14 f. – Vertragsstrafevereinbarung; GRUR 2010, 355 Rn. 17 – Testfundstelle; GRUR 2017, 823 Rn. 12 – Luftentfeuchter). Der Gläubiger, der mit der Abmahnung die Abgabe einer bestimmten Unterlassungserklärung verlangt, macht dem Schuldner ein Vertragsangebot gemäß § 145 BGB. Gibt der Schuldner diese Unterlassungserklärung ab, liegt darin die Annahmeerklärung. Weicht er von der Erklärung ab, liegt darin eine Ablehnung und zugleich ein neues Angebot gemäß § 150 Abs. 2 BGB (BGH, a.a.O.). - Die mit Schreiben vom 28.06.2017 (Anlage KAP 21, dt. Übersetzung KAP 21A) seitens der Kanzlei J übersandte Unterlassungsverpflichtungserklärung stellte damit ein Angebot der Beklagten dar. Die daraufhin mit Schreiben vom 30.06.2017 (Anlage KAP 24, dt. Übersetzung KAP 24A) übersandte angepasste Version stellte – unter Ablehnung des vorherigen Angebots – ein neues Angebot dar, wie auch die mit Schreiben vom 03.07.2017 (Anlage KAP 26, dt. Übersetzung KAP 26A) angeregte Änderung. Letzteres Angebot hat die Klägerin mit der am 05.07.2017 erfolgten Übersendung (Anlage KAP 27, dt. Übersetzung KAP 27A) der am 04.07.2017 unterzeichneten Fassung angenommen. Mit Zugang dieser Annahmeerklärung bei der Beklagten bzw. ihren Prozessvertretern ist die Annahme wirksam geworden (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB) und der Vertrag zustandegekommen. Einer weiteren Erklärung seitens der Beklagten bedurfte es nicht.
-
b)
Mit der Unterlassungsverpflichtungserklärung haben die Parteien keine verschuldensunabhängige Haftung der Beklagten für den Fall des Widerrufs der Patente vereinbart. - Die Klausel, auf die die Klägerin ihre Auffassung stützt, lautet wie folgt:
- „B reserves the right to claim damages arising from the undertaking in the event that the patents stated under clause 1 above are finally revoked.“
- Auf Deutsch (gemäß Anlage KAP 5A):
- „B behält sich das Recht vor, Schadensersatzansprüche aus der Vereinbarung geltend zu machen, falls die unter Klausel 1 genannten Patente endgültig widerrufen werden.“
- Ob bzw. welche Verpflichtungen im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB innerhalb eines Vertrags bestehen, ist durch Auslegung zu ermitteln. In erster Linie hat eine nach §§ 133, 157 BGB vorzunehmende Vertragsauslegung den von den Parteien gewählten Wortlaut der Vereinbarungen und den diesem zu entnehmenden objektiv erklärten Parteiwillen zu berücksichtigen (vgl. z.B. BGH, NJW 2001, 144; NJW 2015, 1672 Rn. 21; NJW-RR 2016, 1032 Rn. 21). Nach der Ermittlung des Wortsinns sind in einem zweiten Auslegungsschritt dann die außerhalb des Erklärungsakts liegenden Begleitumstände in die Auslegung einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Vereinbarung zulassen (vgl. z.B. BGH, MMR 2011, 69 Rn. 14, NJW 2023, 1350 Rn. 29 m.w.N.). Zu diesen gehört – neben der Interessenlage der Beteiligten – auch das dem Vertragsschluss nachfolgende Verhalten der Beteiligten, soweit es Rückschlüsse auf den Vertragswillen erlaubt (vgl. z.B. BGH, NJW-RR 1997, 238; NJW 2005, 3205, 3207; NJW 2017, 1887 Rn. 9).
- Bereits die Formulierung „B reserves the right“ („B behält sich das Recht vor“) spricht ihrem Wortlaut nach gegen die Vereinbarung einer verschuldensunabhängigen Haftung der Beklagten. So enthält der Satz schon keine Erklärung der Beklagten, sondern eine solche der Klägerin und der A F Ltd., in die keine Verpflichtung der Beklagten hineingelesen werden kann. Vielmehr erklären die Klägerin und ihre Muttergesellschaft, dass sie sich die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen vorbehalten („reserves“). Dass die Parteien hierdurch einvernehmlich eine verschuldensunabhängige Haftung begründen wollten, liegt fern. Denn mit der Erklärung eines solchen Vorbehalts möchte eine Partei regelmäßig allein verhindern, dass ihrer Willenserklärung ein von ihr nicht beabsichtigter Sinn beigemessen wird (vgl. Fuchs, in: Weber kompakt, Rechtswörterbuch, 11. Ed. 2024, „Willenserklärung“) und sie sich mit der abgegebenen Erklärung (ungewünscht) weiterer Rechte begibt. Um dies zu verhindern und dem Gegner das Haftungsrisiko vor Augen zu führen, wird die Ausübung dieser Rechte vorbehalten. Vorliegend sollte die Klausel damit lediglich zum Ausdruck bringen, dass die Klägerin und die A F Ltd. mit ihrer Unterlassungserklärung zwar die derzeitige Ausschließlichkeitswirkung der genannten Patente akzeptieren, aber hiermit nicht auf Schadensersatzansprüche verzichten wollen, falls sich die Patente im Nachhinein als nicht rechtsbeständig erweisen. So heißt es in dem Schreiben der Kanzlei I vom 30.06.2017 (Anlage KAP 24, dt. Übersetzung KAP 24A), mit dem die Ergänzungen des ursprünglichen Wortlauts der Unterlassungsverpflichtungserklärung nebst der hier in Rede stehenden Klausel an die Beklagte übersandt wurden, demgemäß auch:
- „As you will be aware, an unfounded warning letter provides a basis for a damages claim under German law. It should be understood that this declaration will be rendered without prejudice to any such damages claim that B may bring in the event that the Patents are invalidated.”
- Auf Deutsch (gemäß Anlage KAP 24A):
- „Wie Sie wissen, stellt eine unbegründete Abmahnung nach deutschem Recht eine Grundlage für einen Schadensersatzanspruch dar. Es versteht sich von selbst, dass diese Erklärung unbeschadet eines solchen Schadensersatzanspruchs abgegeben wird, den B im Falle der Ungültigerklärung der Patente geltend machen könnte.“
- Eben dieser Hinweis, dass die Erklärung unbeschadet von Schadensersatzansprüchen erfolge, sollte durch die streitige Klausel abgesichert werden. Weiterhin ist die Bezugnahme auf „nach deutschem Recht“ begründete Schadensersatzansprüche im vorgenannten Schreiben zugleich ein Hinweis darauf, dass die A F Ltd. hierunter bestehende gesetzliche Ansprüche verstand. Soweit die Klägerin darauf verweist, dass in der Unterlassungsverpflichtungserklärung die Formulierung „claim damages arising from the undertaking“ (Unterstreichung hinzugefügt) hingegen dafürspreche, dass hiermit keine gesetzlichen Schadensersatzansprüche, sondern vertragliche Ansprüche („aus der Vereinbarung“) gemeint seien, die durch die Unterlassungsverpflichtungserklärung selbst begründet wurden, überzeugt dies nicht. Zum einen ändert der Bezug auf die Vereinbarung nichts daran, dass dem Satz keine Verpflichtung der Beklagten, sondern nur ein Rechtevorbehalt der Klägerin und ihrer Muttergesellschaft entnommen werden kann. Eine solche Verpflichtung der Beklagten müsste daher an anderer Stelle der Vereinbarung oder in einer anderweitigen Vereinbarung der Parteien begründet worden sein, was nicht der Fall ist. Zum anderen ist schon fraglich, ob der Begriff „undertaking“ in diesem Zusammenhang nicht eher mit „Verpflichtung“ oder „Zusicherung“ übersetzt werden muss, so dass sich die Unterwerfenden mit der eingefügten Klausel Rechte vorbehalten wollen, die daraus entstehen, dass sie der Unterlassungsverpflichtung bzw. -zusicherung Folge leisten. Die vorbehaltenen Rechte folgen also nicht „aus der Vereinbarung“, sondern aus der Befolgung der in der Vereinbarung enthaltenen „Verpflichtung“ bzw. der dort erklärten „Zusicherung“.
- Hierfür spricht – neben der vom Landgericht zutreffend gewürdigten Stellung der Klausel am Ende des Vertrags im Stile einer Nebenabrede und der Tatsache, dass auf das Angebot der Vereinbarung einer Haftungsregelung im Schreiben vom 07.06.2017 keine Reaktion erfolgt war – auch, dass die Ergänzung im Schreiben vom 30.06.2017 als „standard drafting“ („Standardformulierung“) bezeichnet wird, von der man ausgehe, dass sie nicht „contentious“ („streitig“) sei. Die Vereinbarung einer verschuldensunabhängigen Haftung im Gegenzug zur Abgabe einer Unterlassungserklärung stellt aber kein Standard dar, der sich regelmäßig in solchen Erklärungen findet. Dies entsprach im vorliegenden Fall auch offenstichtlich nicht dem Interesse der Beklagten, die zum Zeitpunkt des Schreibens vom 28.06.2017 allein in Deutschland bereits gegen drei Unternehmen einstweilige Verfügungen des Landgerichts München erwirkt hatte und für die es daher keinen Grund gab, sich eine Unterlassungserklärung der Klägerin mit einer so weitreichenden Haftungsklausel zu „erkaufen“. Vielmehr hatte die Beklagte nach der Erteilung des EP‘XXX trotz Dritteinwendungen und dem Erwirken dreier einstweiliger Verfügungen zu diesem Zeitpunkt eine starke Verhandlungsposition inne. Diesem Druck haben sich die Klägerin und die A F Ltd. durch die Abgabe der Unterlassungsverpflichtungserklärung gebeugt.
-
2.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte auch keine deliktischen Ansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB wegen eines Eingriffs in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. -
a)
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die unberechtigte Verwarnung aus einem gewerblichen Schutzrecht unter dem Gesichtspunkt eines rechtswidrigen und schuldhaften Eingriffs in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zum Schadensersatz verpflichten kann. Dem liegt die Erwägung zu Grunde, dass der notwendige Ausgleich zwischen dem durch Art. 14 GG verfassungsrechtlich geschützten Interesse des Schutzrechtsinhabers, sein Recht geltend machen zu können, und dem gleichfalls durch das Grundgesetz geschützten Interesse des Wettbewerbs, sich außerhalb des Schutzbereichs bestehender Rechte unter Beachtung der Gesetze frei entfalten zu können, nicht mehr wirksam gewährleistet wäre, wenn es dem Schutzrechtsinhaber gestattet wäre, Schutz in einem Umfang zu beanspruchen, der ihm nicht zusteht und wenn er den wirtschaftlichen Nutzen aus einer schuldhaften Verkennung des Umfangs des ihm zustehenden Schutzes ziehen dürfte, ohne für einen hierdurch verursachten Schaden seiner Mitbewerber einstehen zu müssen (BGH, GRUR 2005, 882 Rn. 15 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung I; GRUR 2016, 630 Rn. 15 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung II; GRUR 2020, 1116 Rn. 17 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung III; GRUR 2024, 1129 Rn. 24 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht III). -
b)
Im Streitfall stellt das anwaltliche Schreiben der Beklagten vom 28.06.2017 (Anlage KAP 21, dt. Übersetzung KAP 21A) eine unberechtigte Schutzrechtsverwarnung dar. -
aa)
Der Anspruch wegen einer unberechtigten Schutzrechtsverwarnung, die darauf beruht, dass dem Abgemahnten eine Verletzung des geltend gemachten Schutzrechts vorgeworfen wird, setzt ein ernsthaftes und endgültiges Verlangen voraus, eine als Schutzrechtsverletzung beanstandete Handlung künftig nicht mehr vorzunehmen (vgl. BGH, GRUR 1963, 255, 257 – Kindernähmaschinen; GRUR 1997, 741, 742 – Chinaherde; GRUR 1997, 896, 897 – „Mecki“-Igel III; GRUR 2011, 995 Rn. 29 – Besonderer Mechanismus; GRUR 2024, 1129 Rn. 28 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht III). Ein solches Verlangen liegt in der Regel vor, wenn der Rechtsinhaber die Abgabe einer förmlichen Unterlassungserklärung verlangt und hierfür eine Frist setzt oder er jedenfalls – ob ausdrücklich oder nicht – darauf hinweist, gewillt zu sein, zur Durchsetzung seines Rechts gerichtlichen Schutz in Anspruch zu nehmen (vgl. BGH, GRUR 1979, 332 – Brombeerleuchte; GRUR 1995, 424 – Abnehmerverwarnung; GRUR 2024, 1129 Rn. 28 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht III). -
Gemessen an diesen Grundsätzen handelt es sich bei dem anwaltlichen Schreiben der Beklagten vom 28.06.2017 unzweifelhaft um eine Schutzrechtsverwarnung. Die Beklagte hat die Klägerin mit diesem Schreiben aufgefordert, von der Markteinführung des Medikaments „Oxycodon-HCI/Naloxon-HCI B“ (D-Generikum) Abstand zu nehmen, weil sich dieses die Lehre der Abmahnpatente zunutze mache, also von deren Lehre Gebrauch mache. Sie hat die Klägerin deshalb explizit aufgefordert, die von ihr als rechtsverletzend angesehenen Handlungen zu unterlassen, und von der Klägerin die Abgabe einer förmlichen Unterlassungserklärung verlangt, wobei sie dieser hierfür eine Frist gesetzt hat. Außerdem hat sie zum Ausdruck gebracht, gewillt zu sein, zur Durchsetzung ihre Rechte Klage zu erheben.
bb)
Die Schutzrechtsverwarnung war unberechtigt. - Unberechtigt ist eine Schutzrechtsverwarnung, wenn der geltend gemachte Anspruch mangels Rechtsverletzung tatsächlich nicht besteht (BGH, GRUR 2018, 832 Rn. 70 – Ballerinaschuh; GRUR 2024, 1129 Rn. 57 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht III). Dies gilt auch, wenn das geltend gemachte Schutzrecht erst später, aber mit Rückwirkung gelöscht oder vernichtet worden ist (vgl. BGH, GRUR 1963, 255, 257 – Kindernähmaschinen; GRUR 1974, 290, 291 – maschenfester Strumpf; GRUR 1976, 715, 717 – Spritzgießmaschine; GRUR 2006, 219 Rn. 16 – Detektionseinrichtung II; GRUR 2006, 432 Rn. 21 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II; GRUR 2024, 1129 Rn. 57 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht III). Maßgeblich ist insoweit die objektive Rechtslage, auf den guten Glauben des Schutzrechtsinhabers kommt es nicht an (vgl. BGH, GRUR 1963, 255, 257 – Kindernähmaschinen; GRUR 2024, 1129 Rn. 57 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht III).
- Danach war die Schutzrechtsverwarnung im Streitfall unberechtigt, weil alle Abmahnpatente nach der Abmahnung in Einspruchsverfahren rechtskräftig widerrufen wurden. Art. 68 EPÜ sieht einen rückwirkenden (ex tunc) Entfall der Wirkungen aus einer europäischen Patentanmeldung nach Art. 67 EPÜ sowie eines darauf erteilten Patents nach Art. 64 EPÜ vor, und zwar in dem Umfang, in dem das Patent im Einspruchsverfahren (Art. 99 ff. EPÜ) widerrufen wurde (BeckOK PatR/Cimniak, 35. Ed. 15.10.2024, EPÜ Art. 68 Rn. 8). Vorliegend wurden alle drei Abmahnpatente in vollem Umfang widerrufen.
-
c)
In der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung der Beklagten liegt, wovon das Landgericht zutreffend ausgegangen ist, ein Eingriff in das Recht der Klägerin am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. - Der Schutz des § 823 Abs. 1 BGB wird gegen jede Beeinträchtigung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gewährt, wenn die Störung einen unmittelbaren Eingriff in den gewerblichen Tätigkeitskreis darstellt. Durch diesen Schutz soll das Unternehmen in seiner wirtschaftlichen Tätigkeit und in seinem Funktionieren vor widerrechtlichen Eingriffen bewahrt werden. Die Verletzungshandlung muss sich gerade gegen den Betrieb und seine Organisation oder gegen die unternehmerische Entscheidungsfreiheit richten und über eine bloße Belästigung oder eine sozial übliche Behinderung hinausgehen (BGH, GRUR 2024, 1129 Rn. 78 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht III, m.w.N.).
- Die an ein Vertriebsunternehmen adressierte Patentverwarnung stellt einen solchen Eingriff in das Unternehmen des Vertreibers der als patentverletzend beanstandeten Produkte dar.
-
d)
Die Beklagte hat jedoch nicht schuldhaft gehandelt. Es kann nicht festgestellt werden, dass sie bei der Abmahnung der Klägerin die im Verkehr erforderliche Sorgfalt (§ 276 BGB) außer Acht gelassen hat. -
aa)
Die auf unberechtigte Verwarnung gestützte Einstandspflicht des Verwarners gemäß § 823 Abs. 1 BGB setzt nach ständiger Rechtsprechung Verschulden voraus (vgl. z.B. BGH, GRUR 1974, 290, 291 f. – maschenfester Strumpf; GRUR 1997, 741, 742 – Chinaherde; GRUR 2006, 219 Rn. 18 – Detektionseinrichtung II; Senat, Urt. v. 25.03.2010 – 2 U 142/08 – BeckRS 2010, 15186; GRUR-RR 2014, 315, 316 – Bestattungsbehältnis; OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2003, 230, 231 – Funkuhr; vgl. ferner Benkard PatG/Scharen, 12. Aufl. 2023, PatG vor § 9 Rn. 21). - Die Kriterien für die Beurteilung der Verschuldensfrage sind in einer langen Reihe von höchstrichterlichen Urteilen herausgearbeitet und präzisiert worden.
-
Danach handelt – wovon das Landgericht zutreffend ausgegangen ist – ein Gläubiger, der vom Schuldner zu Unrecht eine Leistung verlangt, grundsätzlich nicht schon dann fahrlässig, wenn er nicht erkennt, dass seine Forderung unberechtigt ist (BGH, GRUR 2018, 832 Rn. 88 – Ballerinaschuh, m.w.N.). Diese Rechtsprechung beruht auf der Erwägung, dass dem Gläubiger die Durchsetzung seiner Rechte unzumutbar erschwert würde, wenn man von ihm verlangte, die nur in einem Rechtsstreit sicher zu klärende Berechtigung einer geltend gemachten Forderung schon im Vorfeld oder außerhalb eines Rechtsstreits vorauszusehen (BGH, GRUR 2018, 832 Rn. 88 – Ballerinaschuh, m.w.N.). Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt entspricht der Gläubiger vielmehr regelmäßig schon dann, wenn er sorgfältig prüft, ob der eigene Rechtsstandpunkt plausibel ist (BGH, GRUR 2018, 832 Rn. 88 – Ballerinaschuh, m.w.N.). Dies gilt auch dann, wenn die zu beurteilende Rechtslage unklar ist (BGH, GRUR 2018, 832 Rn. 88 – Ballerinaschuh, m.w.N.). Ein Schutzrechtsinhaber setzt sich deshalb im Falle einer unberechtigten Verwarnung nicht dem Vorwurf schuldhaften Handelns aus, wenn er sich seine Überzeugung durch gewissenhafte Prüfung gebildet
oder wenn er sich bei seinem Vorgehen von vernünftigen und billigen Überlegungen hat leiten lassen (BGH, GRUR 1974, 290 – Maschenfester Strumpf; BGH, GRUR 2018, 832 Rn. 88 – Ballerinaschuh, m.w.N.). Für einen Verschuldensvorwurf genügt nicht die – in Streitigkeiten des gewerblichen Rechtsschutzes stets gegebene – Möglichkeit, dass das Schutzrecht bei gerichtlicher Überprüfung keinen Bestand haben und sich der Rechtsstandpunkt des Verwarners letztlich als unzutreffend herausstellen könnte. Vielmehr müssen die entsprechenden Zweifel an der Rechtslage einen konkreten Beziehungspunkt haben, den der Verwarner hätte beachten können und müssen (BGH, GRUR 1974, 290, 292 – maschenfester Strumpf; GRUR 1979, 332, 336 – Brombeerleuchte; OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2003, 230, 231 – Funkuhr). - Art und Umfang der Sorgfaltspflichten eines Verwarners werden – wovon das Landgericht ebenfalls zutreffend ausgegangen ist – maßgeblich dadurch bestimmt, inwieweit der Schutzrechtsinhaber auf den Bestand und die Tragfähigkeit seines Schutzrechts vertrauen darf (BGH, GRUR 2006, 432 Rn. 25 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II; GRUR 2024, 1129 Rn. 82 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht III). Bei Verwarnungen aus in ihrer Schutzfähigkeit ungeprüften Schutzrechten wird von dem Verwarner ein höheres Maß an Nachprüfung verlangt als bei einem Vorgehen aus geprüften Schutzrechten (BGH, GRUR 1963, 256, 259 – Kindernähmaschinen; GRUR 1974, 290, 292 – Maschenfester Strumpf; GRUR 1979, 332, 336 – Brombeerleuchte; GRUR 1997, 741, 742 – Chinaherde; GRUR 2006, 432 Rn. 25 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II; GRUR 2018, 832 Rn. 89 – Ballerinaschuh; OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2003, 230, 231 – Funkuhr). Handelt es sich hingegen um ein geprüftes Schutzrecht – etwa ein Patent – kann vom Schutzrechtsinhaber bei einer Verwarnung regelmäßig keine bessere Beurteilung der Rechtslage verlangt werden, als sie der Eintragungs- bzw. Erteilungsbehörde möglich war (vgl. BGH, GRUR 2006, 432 Rn. 25 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II; GRUR 2018, 832 Rn. 89 – Ballerinaschuh; GRUR 2024, 1129 Rn. 81 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht III).
- Ein Patentinhaber kann sich daher grundsätzlich auf die Erteilungsentscheidung des Patentamts verlassen (Senat, Urt. v. 25.03.2010 – I-2 U 142/08, BeckRS 2010, 15816). Die Sorgfaltspflichten des Schutzrechtsinhabers würden im Allgemeinen überspannt, wenn von ihm bei einer Verwarnung eine bessere Beurteilung der Rechtslage verlangt würde, als sie der Eintragungs- bzw. Erteilungsbehörde möglich war, sofern keine besonderen Umstände vorliegen, die vom Schutzrechtsinhaber ausnahmsweise eine besondere Sorgfalt verlangen (vgl. BGH, GRUR 1976, 715, 717 – Spritzgießmaschine; BGH, GRUR 2006, 432 Rn. 25 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II; Urt. v. 02.10.2012 – I ZR 37/10, GRUR-RS 2013, 6018 Rn. 31 f. – XVIII PLUS). So kann z.B. einem Patentinhaber, der einen angeblichen Verletzer verwarnt, bei einem nach Durchführung eines Einspruchsverfahrens erteilten Patent kein Schuldvorwurf daraus gemacht werden, dass er auf die in einem Einspruchsverfahren getroffene Entscheidung des Patentamts vertraut, in der die Lehre des erteilten Patents nach dem zugrunde gelegten Stand der Technik als erfinderisch beurteilt worden ist, sofern ihm danach kein weitergehender Stand der Technik bekannt geworden oder vorwerfbar verborgen geblieben ist (BGH, GRUR 1976, 715, 717 – Spritzgießmaschine). Ist letzteres nicht der Fall, kann vom Schutzrechtsinhaber nicht verlangt werden, dass er der zu seinen Gunsten ergangenen Entscheidung der Erteilungsbehörde mit Misstrauen begegnet und die Rechte aus dem ihm durch Hoheitsakt gewährten Ausschließlichkeitsrecht nicht in dem entsprechenden Umfang wahrnimmt. Andernfalls müsste man dem Patentinhaber folgerichtig den Vorwurf machen, dass er die Schutzunfähigkeit seiner Anmeldung nicht spätestens schon im Erteilungs- bzw. Einspruchsverfahren erkannt und die entsprechenden Konsequenzen daraus gezogen hat. Der Patentinhaber darf in einem solchen Fall vielmehr auf die Sachkunde des Patentamts und den Bestand seines Patents vertrauen. Er braucht nicht damit zu rechnen, dass in einem späteren Rechtsbestandsverfahren derselbe Sachverhalt anders beurteilt werden würde. Es würde eine nicht vertretbare Überspannung der Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des verwarnenden Patentinhabers bedeuten, wollte man von ihm bei einem entsprechenden Tatbestand eine bessere Urteilsfähigkeit als die der Erteilungsbehörde verlangen und ihm das Fehlen dieser Fähigkeit als Verschulden anrechnen (BGH, GRUR 1976, 715, 717 – Spritzgießmaschine).
- Hinsichtlich des Fortbestands eines erteilten Patents bedarf es hiernach in der Regel weitergehender Prüfungen nicht; der Patentinhaber kann sich hinsichtlich der Rechtsbeständigkeit grundsätzlich auf die Sachkunde des Patentamts verlassen (Benkard PatG/Scharen, 12. Aufl. 2023, PatG vor § 9 Rn. 21 m.w.N.; Haedicke/Timmann PatR-HdB/Haedicke, 2. Aufl. 2020, § 16 Rn. 185). Tritt nach der Erteilung des Patents keine neue Entwicklung ein, die Zweifel an dessen weiterem Bestand wecken kann, fehlt es an einem Verschulden auch dann, wenn das Recht später vernichtet wird (Benkard PatG/Scharen, 12. Aufl. 2023, PatG vor § 9 Rn. 21 m.w.N.; Haedicke/Timmann PatR-HdB/Haedicke, 2. Aufl. 2020, § 16 Rn. 185). Etwas anderes gilt, wenn der Patentinhaber weitergehende Kenntnisse als die Erteilungsbehörden über den Stand der Technik hat und diese entgegen der in § 34 Abs. 7 PatG normierten Wahrheitspflicht zurückhält oder wenn ihm möglicherweise der Schutzfähigkeit entgegenstehendes Material nachträglich bekannt geworden ist und er wusste, dass dieses Material der Schutzfähigkeit des Streitpatents entgegensteht, oder er sich dieser Erkenntnis in vorwerfbarer Weise verschlossen hat (vgl. BGH, GRUR 2006, 219 Rn. 18 – Detektionseinrichtung II; Senat, Urt. v. 25.03.2010 – 2 U 142/08, BeckRS 2010, 15816; Benkard PatG/Scharen, 12. Aufl. 2023, PatG vor § 9 Rn. 21; Kühnen, Hdb. Patentverletzung, 16. Aufl., Kap. C Rn. 168).
-
bb)
Der Senat sieht keine Veranlassung, von diesen Rechtsgrundsätzen abzuweichen. In seiner von der Klägerin in Bezug genommenen Entscheidung „Glatirameracetat“ (GRUR 2023, 1764) ist der Senat von den vorstehend wiedergegebenen Haftungsgrundsätzen nicht abgerückt. Denn er hat sich in dieser Entscheidung nicht mit der Frage auseinandergesetzt, welche Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Schutzrechtsinhabers, der einen angeblichen Verletzer verwarnt, im Rahmen der Einstandspflicht nach § 823 Abs. 1 BGB zu stellen sind. Die vorgenannte Entscheidung ist zu § 945 ZPO ergangen. Der Senat hat diesbezüglich dahinstehen lassen, ob die verschuldensunabhängige Haftung aus § 945 ZPO im Lichte des Art. 9 Abs. 7 der RL 2004/48/EG (Enforcement-RL) europarechtskonform ist, da der dortigen Einspruchsentscheidung zum Verfügungspatent Wertungsfragen zugrunde lagen, „deren abweichende Beurteilung im Beschwerdeverfahren durchaus im Bereich des Möglichen lag und deshalb erwartbar war“ (Senat, GRUR 2023, 1764 Rn. 87 – Glatirameracetat). Diese (Hilfs ) Überlegung zu § 945 ZPO, für die nach der zwischenzeitlich ergangenen Mylan-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (GRUR 2024, 195) keine Notwendigkeit mehr besteht, baute auf der gesetzgeberischen Wertung auf, die Haftung für Vollstreckungs- und Vollziehungsschäden (§ 717 Abs. 2 ZPO bzw. § 945 ZPO) zu Lasten des unberechtigt handelnden Vollstreckungsgläubigers streng auszugestalten, indem diese kein Verschulden voraussetzen. Eine – seitens der Klägerin zuletzt im Verhandlungstermin am 24.04.2025 aus rechtspolitischen Gesichtspunkten noch einmal angeregte – Verallgemeinerung dieses Verschuldensmaßstabs auf (andere) deliktsrechtliche Anspruchsgrundlagen (vgl. zur str. Rechtsnatur des § 945 ZPO z.B. die Nachweise bei Musielak/Voit/Huber/Braun, 21. Aufl. 2024, ZPO § 945 Rn. 1), wie z.B. § 823 Abs. 1 BGB, kann der in Rede stehenden Entscheidung des Senats nicht entnommen werden und eine solche ist auch nicht gerechtfertigt. Insoweit hat das Landgericht im angefochtenen Urteil zu Recht darauf hingewiesen, dass in Fällen wie dem vorliegenden ein Fahrlässigkeitsmaßstab, der einen Vorwurf bereits daran knüpft, dass ein Widerruf des geltend gemachten Patents möglich erscheint, die an den Rechtsinhaber gestellten Anforderungen überspannen würde. -
cc)
Auf der Grundlage der oben wiedergegebenen Rechtsprechungsgrundsätze lässt sich nicht feststellen, dass die Beklagte bei ihrer auf die Abmahnpatente gestützten Verwarnung der Klägerin schuldhaft gehandelt hat. -
(1)
Bei den Schutzrechten, auf die die vorliegende Abmahnung der Klägerin gestützt wurde, handelte es sich um erteilte Patente und damit um geprüfte Schutzrechte. -
(2)
Das Abmahnpatent EP‘XXX wurde von der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts wegen Nichterfüllung der Anforderungen von Art. 76 Abs. 1 und Art. 123 Abs. 2 EPÜ widerrufen. Es steht außer Streit, dass in dem dieses Patent betreffenden Erteilungsverfahren im Rahmen von Einwendungen Dritter (Art. 115 EPÜ) bereits Einwendungen gegen die Patentierbarkeit gestützt auf einen Verstoß gegen Art. 76 Abs. 1 bzw. Art. 123 Abs. 2 EPÜ erhoben worden waren. So wurde mit der am 09.03.2016 beim Europäischen Patentamt eingegangenen anonymen Dritteinwendung (Anlage AO 2, dt. Übersetzung AO 2a) geltend gemacht, dass der angemeldete Anspruch 1 im Hinblick auf die Erfordernisse des Art. 123 Abs. 2 EPÜ nicht zugelassen werden sollte. Gerügt wurden sowohl das Weglassen der Merkmale der „unveränderlichen und unabhängigen Freisetzung“ („invariant and independent release“) und der „Lagerstabilität“ („storage stability“) als auch die fehlende Offenbarung des beanspruchten Gewichtsverhältnisses zwischen Oxycodonhydrochlorid und Naloxonhydrochlorid im ursprünglichen Anmeldetext und der zugrundeliegenden Prioritätsanmeldung. Nachdem die Beklagte eine geänderte Anspruchsfassung beim Europäischen Patentamt eingereicht hatte, wurde am 20.06.2016 eine weitere Dritteinwendung (Anlage AO 3, dt. Übersetzung AO 3a) eingereicht. Mit dieser wurde eingewandt, dass der Anspruch 1 nicht den Anforderungen des Art. 76 Abs. 1 EPÜ entspreche. Gerügt wurde u.a. die Streichung der beiden vorgenannten Merkmale der Stammanmeldung. Außerdem wurde das Hinzufügen des beanspruchten Gewichtsverhältnisses zwischen Ozycodon und Naloxon von „2:1“ beanstandet. Wie das Landgericht unangefochten festgestellt hat und zwischen den Parteien auch unstreitig ist, betrafen diese Einwendungen Dritter Aspekte, die letztlich im Einspruchsverfahren zum Widerruf des EP‘XXX geführt haben. - Das EP‘XXX wurde trotz dieser bereits im Erteilungsverfahren vorgebrachten Einwendungen Dritter vom Europäischen Patentamt erteilt. Soweit die Klägerin geltend macht, dass die Einwendungen Dritter von der Prüfungsabteilung nicht geprüft worden seien, gibt es hierfür keine Anhaltspunkte. Allein daraus, dass die Prüfungsabteilung die Einwendungen Dritter nicht beschieden hat, lässt sich dies nicht folgern. Art. 115 Satz 1 EPÜ ist zwar dahin auszulegen, dass die Prüfungsabteilungen verpflichtet sind, von Dritten erhobene Einwendungen gegen die Patentierbarkeit zur Kenntnis zu nehmen (EPA, Entscheidung v. 16.7.2019 – G 2/19, GRUR-RS 2019, 30619 Rn. 67 – Mobilfunknetz; Benkard EPÜ/Unland, 4. Aufl. 2023, EPÜ Art. 115 Rn. 13a). Eine wie auch immer geartete inhaltliche Auseinandersetzung schuldet die Prüfungsabteilung Dritten im Sinne von Art. 115 EPÜ nach der Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes aber nicht (EPA, Entscheidung v. 16.7.2019 – G 2/19, GRUR-RS 2019, 30619 Rn. 67 – Mobilfunknetz).
- Darauf, ob die Prüfungsabteilung die Einwendungen Dritter geprüft hat, kommt es hier letztlich nicht einmal an. Die Beklagte konnte und durfte mangels gegenteiliger Anhaltspunkte jedenfalls davon ausgehen, dass die Prüfungsabteilung die Einwendungen Dritter gegen die Patentierbarkeit zur Kenntnis genommen und diese nicht für durchgreifend erachtet hatte.
-
(3)
Angesichts dieser Sachlage durfte die Beklagte grundsätzlich auf den Bestand des Abmahnpatents EP‘XXX vertrauen. Sie durfte sich auf die Sachkunde der Prüfungsabteilung verlassen und von der Richtigkeit der Beurteilung der Prüfungsabteilung ausgehen, und zwar auch und gerade in Bezug auf die Erfüllung der Anforderungen von Art. 76 Abs. 1 EPÜ, da diese im Erteilungsverfahren im Rahmen der Einwendungen Dritter ausdrücklich thematisiert worden waren. Entsprechendes gilt in Bezug auf die Erfüllung der Anforderungen von Art. 123 Abs. 2 EPÜ, da die zugrundeliegende Teilanmeldung in der am 12.08.2011 eingereichten Fassung mit der Stammanmeldung identisch war, so dass sich insoweit keine Unterschiede ergaben. - In ihrem Vertrauen auf den Fortbestand des EP‘XXX durfte sich die Beklagte durch die vor der Schutzrechtsverwarnung am 17.05. und 07.06.2017 gegen drei andere Wettbewerber beim Landgericht München I erwirkten einstweiligen Verfügungen bestätigt sehen, welche erlassen wurden, nachdem bereits Einsprüche gegen die Erteilung des EP‘XXX eingelegt worden waren. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Unterlassung kommt nämlich grundsätzlich nur in Betracht, wenn der Rechtsbestand des Verfügungspatents hinreichend gesichert erscheint. Hiervon ist das Landgericht München I seinerzeit in Bezug auf das EP‘XXX offenbar ausgegangen. Es hat sogar noch – nach der Abmahnung der Klägerin – am 17.07.2017 eine weitere einstweilige Verfügung erlassen.
- Dass hier besondere Umstände vorlagen, die von der Klägerin eine besondere Sorgfalt verlangten und ihr Anlass geben mussten, in eine zusätzliche eigene Prüfung einzutreten, zeigt die Klägerin nicht schlüssig auf und hierfür ist auch nichts ersichtlich.
- Ein solcher Umstand kann insbesondere nicht darin erblickt werden, dass gegen die Erteilung des EP‘XXX mehrere Einsprüche eingelegt wurden. Eine neue Entwicklung, die Zweifel an dem weiteren Bestand dieses Abmahnpatents wecken konnte, trat allein dadurch nicht ein. Denn es ist weder dargetan noch ersichtlich, dass in den bis zur Abmahnung vorliegenden Einsprüchen neue Widerrufsgründe vorgetragen wurden, die der Beklagten hätten Anlass geben müssen, die Entscheidung der Prüfungsabteilung in Zweifel zu ziehen. Hiergegen spricht auch, dass die letztendlich zum Widerruf des EP‘XXX führenden Gründe unstreitig diejenigen waren, die bereits im Erteilungsverfahren im Rahmen von Einwendungen Dritter gegen die Patentierbarkeit vorgebracht worden waren. Die Klägerin trägt selbst vor, dass sämtliche späteren Gründe, warum die Einspruchsabteilung das Patent widerrufen hat, bereits als Einwendungen Dritter in das Erteilungsverfahren eingeführt worden waren (Bl. 116 eA-LG). Die Klägerin zeigt auch nicht auf, dass im Hinblick auf eben diese Widerrufsgründe im Einspruchsverfahren neue Argumente oder Begründungsansätze geliefert wurden, die der Beklagten hätten Anlass geben müssen, die Beurteilung der Prüfungsabteilung anzuzweifeln. Daher geht auch der – in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 24.04.2025 wiederholte – Vorwurf der Klägerin fehl, die Beklagte hätte sich mehr Zeit für eine intensivere Prüfung nehmen müssen. Den Rechtsbestandsangriffen kam gegenüber dem Erteilungsverfahren keine neue Qualität zu, die die Beklagte zu einer Neueinschätzung der Situation hätten bewegen müssen. Was die Erfüllung der Anforderungen von Art. 76 Abs. 1 EPÜ und Art. 123 Abs. 2 EPÜ anbelangt, brauchte sie nicht damit zu rechnen, dass im Einspruchsverfahren der bereits im Erteilungsverfahren von dritter Seite angesprochene Sachverhalt anders beurteilt werden würde. Allein aus dem Umstand, dass im Abmahnzeitpunkt bereits mehrere Einsprüche gegen die Erteilung des EP‘XXX eingelegt worden waren und von Einsprechenden auch eine unzulässige Erweiterung geltend gemacht worden war, lässt sich ein Verschulden der Beklagten nicht herleiten.
- Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 24.04.2025 erstmalig vorgetragen hat, dass der Prüfer aus dem Erteilungsverfahren anschließend als Mitglied der Einspruchsabteilung offenbar selbst die Fehlerhaftigkeit seiner Auffassung im Erteilungsverfahren erkannt habe, folgt hieraus nichts anderes. Unabhängig davon, dass der Senat die – von der Beklagten allerdings nicht in Abrede gestellte Personenidentität – aus den ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen nicht nachvollziehen kann und es sich sowohl bei der Erteilungs- als auch bei der Einspruchsentscheidung um eine Kollegialentscheidung handelte, stellt die Änderung der Auffassung eines Prüfers bzw. der Erteilungsbehörde im Laufe eines Einspruchsverfahren keinen Umstand dar, der das Vertrauen in den ursprünglichen Erteilungsakt in Frage stellt. Dies wäre allenfalls dann der Fall, wenn – wie bereits ausgeführt – der Patentinhaber über weitergehende Kenntnisse als die Erteilungsbehörde verfügte, die für diese erst im Einspruchsverfahren zu Tage treten. Ein solches Sonderwissen der Beklagten hat die Klägerin indes nicht dargelegt.
- Eine mangelnde Sorgfalt kann der Beklagten bei dieser Sach- und Rechtslage nicht vorgeworfen werden.
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(4)
Hinsichtlich der Abmahnpatente EP‘YXX und EP‘ZXX, die nach der Abmahnung der Klägerin ebenfalls wegen Nichterfüllung der Anforderungen von Art. 76 Abs. 1 EPÜ und Art. 123 Abs. 2 EPÜ widerrufen worden sind, gilt im Ergebnis nichts anderes. - In den Erteilungsverfahren des EP‘YXX und des EP‘ZXX wurden zwar keine vergleichbaren Einwendungen Dritter erhoben. Diese Patente wurden aber aus derselben Stammanmeldung abgezweigt wie das EP‘XXX und erst nach dem EP‘XXX erteilt, wobei die Prüfungsabteilung bei ihrer Erteilung unstreitig personenidentisch wie bei der zuvor erfolgten Erteilung des EP‘XXX besetzt war. Mit Blick auf die in dem das EP‘XXX betreffenden Erteilungsverfahren geltend gemachten Einwendungen Dritter konnte und durfte die Beklagte mangels anderweitiger Anhaltspunkte vernünftiger- und billigerweise davon ausgehen, dass sich die Prüfungsabteilung auch im Rahmen der Erteilung der beiden anderen Abmahnpatente mit dem Offenbarungsgehalt der Stammanmeldung befasst und geprüft hatte, ob diese die Anforderungen von Art. 76 Abs. 1 EPÜ und Art. 123 Abs. 2 EPÜ erfüllen. Das gilt umso mehr als die Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts in dem das EP‘ZXX betreffenden Erteilungsverfahren Bedenken hinsichtlich des Vorliegens einer unzulässigen Erweiterung geäußert und die Klägerin mit Schriftsatz vom 08.02.2017 (Anlage AO 7, dt. Übersetzung AO 7a) Anspruchsänderungen vorgenommen und dabei ausdrücklich auf Art. 76 Abs. 1 EPÜ Bezug genommen hatte. Das EP‘YXX und das EP‘ZXX wurden unstreitig aus denselben Gründen widerrufen. Dass insoweit gänzlich andere Gesichtspunkte eine Rolle gespielt hätten als im Falle des Widerrufs des EP‘XXX, behauptet die Klägerin nicht.
- Unter diesen Umständen durfte die Beklagte zum maßgeblichen Zeitpunkt auch in Bezug auf das EP‘YXX und das EP‘ZXX auf die Erteilungsentscheidungen des Europäischen Patentamts vertrauen.
-
3.
Die Klägerin hat auch keine Ansprüche wegen der Verletzung einer nebenvertraglichen Treuepflicht aus der Unterlassungsverpflichtungserklärung (§ 280 Abs. 1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB) oder aus culpa in contrahendo (§ 280 Abs. 1 i.V.m § 311 Abs. 2 BGB). -
a)
Die Klägerin beruft sich in der Berufungsinstanz erstmalig darauf, dass die Beklagte entgegen der – seitens der Klägerin – im Schreiben vom 05.07.2017 (Anlage KAP 27, dt. Übersetzung KAP 27A) getätigten Annahme nicht mitgeteilt habe, dass die Abmahnpatente widerrufen und die einstweiligen Verfügungen aufgehoben wurden. Da es sich bei dem Vorbringen der unterlassenen Information um eine unstreitige Tatsache handelt, die kein „neues Angriffsmittel” i.S.d. § 531 ZPO darstellen kann (vgl. BGH, NJW 2009, 2532, 2533 Rn. 15), ist die Klägerin mit diesem nicht ausgeschlossen. Allerdings bestand eine solche Informationsverpflichtung ganz offensichtlich nicht in den die Abmahnpatente betreffenden Einspruchsverfahren, da diese der Klägerin als Einsprechende gegen die Abmahnpatente jeweils selbst bereits wohlbekannt waren. Die Beklagte traf auch keine vertragliche Nebenpflicht, über den Ausgang von gegen Dritte geführten einstweiligen Verfügungsverfahren zu informieren. Selbst wenn man dies anders sehen sollte, wäre der Klägerin durch die unterbliebene Mitteilung auch kein kausaler Schaden entstanden. Denn der hier geltend gemachte Schaden beruht auf dem infolge der Abmahnung unterbliebenen Markteintritt und ist keine Folge einer unterlassenen Information über die Aufhebung der einstweiligen Verfügungen. -
b)
Soweit sich die Klägerin auf eine Haftung der Beklagten aus culpa in contrahendo beruft, so braucht hier nicht entschieden zu werden, ob die Anwendung des § 311 Abs. 2 BGB auf Abmahnverhältnisse überhaupt in Betracht kommt (vgl. zum Streitstand z.B. Maximilian Becker, in: Dauner-Lieb/Langen, NK-Schuldrecht, 4. Aufl. 2021, BGB § 311 Rn. 94a ff.). Denn jedenfalls fehlt es an einem Vertretenmüssen; insoweit kann auf die Ausführungen zu § 823 Abs. 1 BGB verwiesen werden. - III.
- Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
- Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 108 ZPO.
- Für eine Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung, weil die in § 543 ZPO aufgestellten Voraussetzungen dafür ersichtlich nicht gegeben sind. Es handelt sich um eine reine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung, mit der der Bundesgerichtshof auch nicht im Interesse einer Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung befasst werden muss (§ 543 Abs. 2 ZPO).
