4b O 58/14 – Kommunikationszelle II

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3282

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 15. März 2023, Az. 4b O 58/14

  1. I. Die Klage wird abgewiesen.
  2. II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin mit Ausnahme der durch die Streithilfe verursachten Kosten, die die Streithelferin selbst trägt.
  3. III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
  4. Tatbestand
  5. Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 2 XXX XXX B1 auf Auskunft, Rechnungslegung und Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch.
  6. Das Klagepatent wurde von der Streithelferin am 28. Februar 2007 angemeldet. Der Hinweis auf die Patenterteilung wurde 18. Dezember 2013 veröffentlicht. Zu diesem Zeitpunkt war die A LLC im Patentregister als Anmelderin/Inhaberin eingetragen. Am 7. März 2014 wurde die Klägerin als neue Inhaberin des Klagepatents angezeigt und ihre Eintragung im Register am 17. April 2014 veröffentlicht.
  7. Gegen die Erteilung des Klagepatents wurde von verschiedener Seite Einspruch beim Europäischen Patentamt (EPA) eingelegt. Auf die Einsprüche wurde das Klagepatent am 28. November 2017 von der Einspruchsabteilung des EPA widerrufen. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Klägerin wurde von der Technischen Beschwerdekammer des EPA am 18. Oktober 2022 zurückgewiesen. Das Klagepatent ist rechtskräftig widerrufen.
  8. Das in englischer Sprache erteilte Klagepatent betraf die Selbstkonfiguration und Optimierung von Zellennachbarn in drahtlosen Telekommunikationsnetzen. Die Klägerin stützte den Verletzungsvorwurf auf die Klagepatentansprüche 6 und 17.
  9. Die Beklagte gehört zur B-Gruppe. Auf der Website www.B.com, die für die B Corporation registriert und in deren Impressum die Beklagte genannt ist, werden LTE-fähige Mobiltelefone, darunter das B XXX beworben (angegriffene Ausführungsform). LTE („Long Term Evolution“) steht für eine standardisierte Netzwerk- und Mobilfunktechnik, die – soweit für den Rechtsstreit relevant – ihren Niederschlag in den Standarddokumenten XXX gefunden haben (nachfolgend LTE-Standard).
  10. Die Klägerin behauptet, die Streithelferin habe mit Übertragungsvertrag vom 11. Februar 2013 die Anmeldung des Klagepatents wirksam auf die C LLC übertragen, die sie am 13. Februar 2013 der A LLC weiter übertragen habe. Am 27. Februar 2014 habe die A LLC das Klagepatent wirksam auf die Klägerin übertragen und die Ansprüche aus dem Patent abgetreten.
    Die Klägerin ist weiter der Ansicht, die Beklagte sei auch passivlegitimiert, da ihr der Inhalt des Internetauftritts unter der Adresse www.B.com zuzurechnen sei.
    Die Klägerin sah im Angebot und Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform eine wortsinngemäße Verletzung des Klagepatents. Die LTE-Fähigkeit der angegriffenen Ausführungsform setze zwingend die Benutzung des LTE-Standards voraus, der wiederum zwangsläufig die Benutzung der Lehre des Klagepatents vorausgesetzt habe.
  11. Die Klägerin hat ursprünglich ihre Anträge auch auf eine Verletzung des in den Ansprüchen 1 und 11 geschützten Verfahrens gestützt und die Veröffentlichung des Urteils begehrt. Nach Rücknahme dieser Anträge beantragt sie nunmehr,
  12. I. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Auskunft darüber zu erteilen, in welchem Umfang sie seit dem 18. Januar 2014
  13. 1. mobile Endgeräte zur Verwendung in einem drahtlosen Telekommunikationssystem, das eine Mehrzahl von Kommunikationszellen umfasst, in welchen eine nichteindeutige Zellenkennung und eine eindeutige Zellenkennung übertragen werden,
    in der Bundesrepublik Deutschland angeboten, in Verkehr gebracht oder zu den genannten Zwecken eingeführt oder besessen hat,
    wobei die Endgeräte eine Steuerung für die Kommunikation mit einer Funkbasisstation umfassen, die eine erste Kommunikationszelle versorgt, wobei die Steuerung als Reaktion auf einen Empfang einer Anweisung von der Funkbasisstation der ersten Kommunikationszelle betreibbar ist: zum Erkennen eindeutiger Zellenkennungsinformationen für eine zweite Kommunikationszelle; und Melden der eindeutigen Zellenkennungsinformationen für die zweite Kommunikationszelle an die Funkbasisstation der ersten Kommunikationszelle
  14. insbesondere
    wenn die mobilen Endgeräte betreibbar sind zum Abrufen der nichteindeutigen Zellenkennung der zweiten Kommunikationszelle und zum Melden der nichteindeutigen Zellenkennung der zweiten Kommunikationszelle an die Basisstation, die die erste Kommunikationszelle versorgt;
    und/oder
    wenn die zweite Kommunikationszelle der ersten Kommunikationszelle benachbart ist;
    und/oder
    wenn die Steuerung zum Erkennen eindeutiger Zellenkennungen für eine Mehrzahl weiterer Kommunikationszellen und zum Melden der eindeutigen Zellenkennungen, wie sie erkannt worden sind, an die Funkbasisstation der ersten Kommunikationszelle betreibbar ist;
  15. 2. drahtlose Telekommunikationsnetze
    in der Bundesrepublik Deutschland angeboten, in Verkehr gebracht oder zu den genannten Zwecken eingeführt oder besessen hat,
    die eine Mehrzahl von Kommunikationszellen definieren, in welchem eine nichteindeutige Zellenkennung und eine eindeutige Zellenkennung übertragen werden, wobei das Netz Netzressourcen umfasst, die betreibbar sind zum: Kommunizieren mit einem in einer ersten Kommunikationszelle betriebenen mobilen Endgerät; Stellen einer Anforderung an das mobile Endgerät zum Abrufen der eindeutigen Zellenkennung einer zweiten Kommunikationszelle; Empfangen einer eindeutigen Zellenkennung der zweiten Kommunikationszelle von dem mobilen Endgerät; Herstellen einer Transportverbindung durch Finden in einer Nachschlagetabelle einer Übereinstimmung der eindeutigen Zellenkennung der zweiten Kommunikationszelle mit einer Netzadresse der Funkbasisstation, die die zweite Kommunikationszelle versorgt;
  16. insbesondere
    wenn die Netzressourcen weiterhin betreibbar sind zum Empfange der nichteindeutigen Zellenkennung der zweiten Kommunikationszelle von dem mobilen Endgerät;
    und/oder
    wenn die Netzressourcen betreibbar sind zum Empfangen eindeutiger Zellenkennungen für eine Mehrzahl weiterer Kommunikationszellen von dem mobilen Endgerät;
    und/oder
    wenn die Netzadresse eine IP-Adresse ist;
    und/oder
    wenn die Netzressourcen durch eine Funkbasisstation bereitgestellt werden,
  17. wobei die Auskunft in Form einer geordneten Aufstellung gegenüber der Klägerin zu erfolgen hat, und zwar, soweit zutreffend, unter Angabe
    a) der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse, aufgeschlüsselt nach der jeweiligen Menge, Zeiten, Preise, sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer;
    b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -und -preisen und der jeweiligen Typenbezeichnungen, sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer;
    c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen, sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger;
    d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, im Falle von Internet-Werbung der Domain, der Suchmaschinen und anderer Marketingwerkzeuge, mit Hilfe derer die betroffenen Webseiten einzeln oder gemeinsam registriert wurden, der Zugriffszahlen und der Schaltungszeiträume jeder Kampagne;
    e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns, einschließlich der Umsätze, die mit Zubehör erzielt wurden;
    wobei die Beklagte die Richtigkeit ihrer Angaben nach a) und b) belegen muss, indem sie Belegkopien wie Rechnungen hilfsweise Lieferscheine vorlegt,
    wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer, der in der Bundesrepublik Deutschland ansässig ist, mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
  18. II. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr – der Klägerin – sämtliche Schäden zu ersetzen, die der A LLC durch die vom 18. Januar 2014 bis zum 26. Februar 2014 begangenen und der Klägerin durch die seit dem 27. Februar 2014 begangenen, unter Ziffer I. bezeichneten Handlungen entstanden sind und noch entstehen werden.
  19. Die Beklagte beantragt,
  20. die Klage abzuweisen.
  21. Die Beklagte hat den Verletzungsvorwurf von vornherein als unbegründet angesehen. Abgesehen davon stelle die uneingeschränkte Geltendmachung von Auskunfts- und Schadensersatzansprüchen aus einem standardessentiellen Patent den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung dar.
  22. Ursprünglich hatte die Beklagte auch beantragt, die Leistung einer Prozesskostensicherheit durch die Klägerin anzuordnen. Mit Zwischenurteil vom 29. Juli 2014 hat die Kammer diesen Antrag zurückgewiesen. Die gegen dieses Zwischenurteil gerichtete Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht Düsseldorf mit Urteil vom 25. Februar 2015 auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Diese ist von der Beklagten eingelegt, aber auf ihre Kosten mit Urteil vom 21. Juni 2016 durch den Bundesgerichtshof zurückgewiesen worden.
  23. Entscheidungsgründe
  24. Die zulässige Klage ist unbegründet.
  25. I.
    Die Klägerin hat gegen die Beklagte keine Ansprüche auf Auskunft und Schadensersatz aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ in Verbindung mit §§ 139 Abs. 2, 140b Abs. 1 und 3 PatG, §§ 242, 259 BGB. Da die Erteilung des Klagepatents widerrufen wurde und der Widerruf ex-tunc-Wirkung hat, haben solche Ansprüche der Klägerin nie bestanden.
  26. II.
    Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 269 Abs. 3 S. 2, 101 Abs. 1 ZPO.
  27. Soweit die Klägerin beantragt, die Kosten des Zwischenrechtsstreits der Beklagten aufzuerlegen, sieht die Kammer dafür keinen Raum. Gemäß § 96 ZPO können die Kosten eines ohne Erfolg gebliebenen Angriffs- oder Verteidigungsmittels, wozu auch die Einrede der fehlenden Prozesskostensicherheit gehört (Zöller/Herget, ZPO 34. Aufl.: § 96 Rn 1), der Partei auferlegt werden, die es geltend gemacht hat, auch wenn sie in der Hauptsache obsiegt. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist die Vorschrift aber als Ausnahmetatbestand vom Grundsatz der Einheit der Kostenentscheidung eng auszulegen. Zwar verlangt die Norm kein Verschulden auf Seiten der obsiegenden Partei. Jedoch ist im Rahmen ihrer Anwendung das mit ihr verfolgte Ziel, die Parteien zu einer sparsamen Prozessführung anzuhalten sowie das der Norm innewohnende Veranlasserprinzip zu berücksichtigen. Ebenso wie bei anderen Vorschriften, die eine Kostentrennung sogar gebieten, wie etwa § 93, § 95, § 97 Abs. 2, § 100 Abs. 3, § 281 Abs. 3 Satz 2, § 344 ZPO, und denen ein unwirtschaftliches oder prozessverlängerndes Verhalten vorausgeht, kommt auch § 96 ZPO in kostenrechtlicher Hinsicht ein Sanktionscharakter zu. Daher reicht es gerade nicht aus, dass einzelne Angriffs- und Verteidigungsmittel verworfen werden, da die Parteien in der Wahl ihrer Rechtsverfolgung auch mit Blick auf drohende Kostenfolgen frei sein müssen. Vielmehr ist maßgebend in die Abwägung einzustellen, ob die Erfolglosigkeit des Angriffs- oder Verteidigungsmittels für die Partei voraussehbar war (BGH Urt. v. 17.04.2019 – VIII ZR 33/18 Rn 47 m.w.Nw.).
  28. Im Streitfall war nicht von vornherein von der Aussichtslosigkeit des Antrags der Beklagten auszugehen. Dies zeigt schon der Umstand, dass das Oberlandesgericht Düsseldorf die Revision zugelassen hat, weil der Antrag auf Leistung einer Proesskostensicherheit Rechtsfragen aufwarf, die höchstrichterlich nicht geklärt waren und auch zum Erfolg des Antrags der Beklagten hätten führen können.
  29. Aus dem vorgenannten Grund sieht die Kammer auch keinen Anlass, in Bezug auf die im Zwischenverfahren entstandenen Auslagen eine Kostenquote gemäß § 92 Abs. 1 ZPO zu bilden.
  30. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 und 2 ZPO.
  31. Streitwert: 1.000.000 EUR

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