Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3281
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 15. März 2023, Az. 4b O 57/14
- I. Die Klage wird abgewiesen.
- II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin mit Ausnahme der durch die Streithilfe verursachten Kosten, die die Streithelferin selbst trägt.
- III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
- Tatbestand
- Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 2 XXX XXX B1 auf Auskunft, Rechnungslegung und Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch.
- Das Klagepatent wurde von der Streithelferin am XXX angemeldet. Der Hinweis auf die Patenterteilung wurde XXX veröffentlicht. Zu diesem Zeitpunkt war die A LLC im Patentregister als Anmelderin/Inhaberin eingetragen. Am 7. März 2014 wurde die Klägerin als neue Inhaberin des Klagepatents angezeigt und ihre Eintragung im Register am 17. April 2014 veröffentlicht.
- Gegen die Erteilung des Klagepatents wurde von verschiedener Seite Einspruch beim Europäischen Patentamt (EPA) eingelegt. Auf die Einsprüche wurde das Klagepatent am 18. Oktober 2017 von der Einspruchsabteilung des EPA widerrufen. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Klägerin wurde von der Technischen Beschwerdekammer des EPA am 18. Oktober 2022 zurückgewiesen. Das Klagepatent ist rechtskräftig widerrufen.
- Das in englischer Sprache erteilte Klagepatent betraf die Selbstkonfiguration und Optimierung von Zellennachbarn in drahtlosen Telekommunikationsnetzen. Die Klägerin stützte den Verletzungsvorwurf auf eine Kombination der Klagepatentansprüche 1 und 6 und den Anspruch 16.
- Die Beklagte gehört zur B-Gruppe. Auf der Website www.B.com, die für die B Corporation registriert und in deren Impressum die Beklagte genannt ist, werden LTE-fähige Mobiltelefone, darunter das B XXX beworben (angegriffene Ausführungsform). LTE („Long Term Evolution“) steht für eine standardisierte Netzwerk- und Mobilfunktechnik, die – soweit für den Rechtsstreit relevant – ihren Niederschlag in den Standarddokumenten XXX gefunden haben (nachfolgend LTE-Standard).
-
Die Klägerin behauptet, die Streithelferin habe mit Übertragungsvertrag vom 11. Februar 2013 die Anmeldung des Klagepatents wirksam auf die C LLC übertragen, die sie am 13. Februar 2013 der A LLC weiter übertragen habe. Am 27. Februar 2014 habe die A LLC das Klagepatent wirksam auf die Klägerin übertragen und die Ansprüche aus dem Patent abgetreten.
Die Klägerin ist weiter der Ansicht, die Beklagte sei auch passivlegitimiert, da ihr der Inhalt des Internetauftritts unter der Adresse www.B.com zuzurechnen sei.
Die Klägerin sah im Angebot und Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform eine wortsinngemäße Verletzung des Klagepatents. Die LTE-Fähigkeit der angegriffenen Ausführungsform setze zwingend die Benutzung des LTE-Standards voraus, der wiederum zwangsläufig die Benutzung der Lehre des Klagepatents vorausgesetzt habe. - Die Klägerin hat ursprünglich ihre Anträge auch auf eine Verletzung des in den Ansprüchen 1 und 12 geschützten Verfahrens gestützt und die Veröffentlichung des Urteils begehrt. Nach Rücknahme dieser Anträge beantragt sie nunmehr,
- I. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Auskunft darüber zu erteilen, in welchem Umfang sie seit dem 13. Dezember 2013
- 1. mobile Endgeräte zur Verwendung in einem drahtlosen Telekommunikationssystem, das eine Mehrzahl von Kommunikationszellen definiert,
in der Bundesrepublik Deutschland angeboten, in Verkehr gebracht oder zu den genannten Zwecken eingeführt oder besessen hat,
wobei das Endgerät Mittel zum Ausführen der Schritte des folgenden Verfahrens umfasst:
Kommunizieren mit einer Funkbasisstation, die eine erste Kommunikationszelle versorgt;
Bestimmen mindestens eines Betriebsparameters für eine zweite Kommunikationszelle;
Erkennen nichteindeutiger Kennungsinformationen für die zweite Kommunikationszelle;
Melden von Parameterinformationen bezüglich des oder jedes Betriebsparametes für die zweite Kommunikationszelle und Melden der erkannten nichteindeutigen Kennungsinformationen an die Funkbasisstation der ersten Kommunikationszelle;
Empfangen einer Anweisung von der Funkbasisstation der ersten Kommunikationszelle;
Erkennen eindeutiger Zellenkennungsinformationen für die zweite Kommunikationszelle nach Empfang der Anweisung; und
Melden der erkannten eindeutigen Zellenkennungsinformationen für die zweite Kommunikationszelle an die Funkbasisstation der ersten Kommunikationszelle; - insbesondere
wenn der mindestens eine Betriebsparameter einen Codierungscode, eine Signalstärkemessung, eine Signalgütemessung und/oder Taktinformationen umfasst;
und/oder
wenn Empfangen einer Liste von Kommunikationszellen von der Funkbasisstation der ersten Kommunikationszelle, wobei die Liste die zweite Kommunikationszelle und eine Mehrzahl weiterer Kommunikationszellen enthält, umfasst;
und/oder
wenn die zweite Kommunikationszelle der ersten Kommunikationszelle benachbart ist; - insbesondere
wenn das mobile Endgerät eine Steuerung zum Kommunizieren mit einer Funkbasisstation, die eine erste Kommunikationszelle versorgt, umfasst, wobei die Steuerung betreibbar ist zum Bestimmen mindestens eines Betriebsparameters für eine zweite Kommunikationszelle; Erkennen nichteindeutiger Kennungsinformationen für die zweite Kommunikationszelle; Melden von Parameterinformationen bezüglich des oder jedes Betriebsparameters für die zweite Kommunikationszelle und Melden der nichteindeutigen Kennungsinformationen an die Funkbasisstation der ersten Kommunikationszelle; Empfangen einer Anweisung von der Funkbasisstation der ersten Kommunikationszelle, wenn die erkannten nichteindeutigen Kennungsinformationen nicht in einer Nachbarzellenmenge der ersten Kommunikationszelle enthalten sind; Erkennen von eindeutigen Zellenkennungsinformationen für die zweite Kommunikationszelle nach Empfang der Anweisung, und Melden der erkannten eindeutigen Zellenkennungsinformationen für die zweite Kommunikationszelle an die Funkbasisstation der ersten Kommunikationszelle;
und/oder
wenn der mindestens eine Betriebsparameter einen Verwürfelungscode, eine Signalstärkemessung, eine Signalgütemessung und/oder Taktinformationen umfasst;
und/oder
wenn die Steuerung zum Empfangen einer Liste von Kommunikationszellen von der Funkbasisstation der ersten Kommunikationszelle betreibbar ist, wobei die Liste die zweite Kommunikationszelle und eine Mehrzahl weiterer Kommunikationszellen enthält;
und/oder
wenn die zweite Kommunikationszelle der ersten Kommunikationszelle benachbart ist;
und/oder
wenn, die Steuerung betreibbar ist zum Erkennen nichteindeutiger Zellenkennungsinformationen für eine Mehrzahl weiterer Kommunikationszellen; Melden von Parameterinformationen bezüglich des oder jedes Betriebsparameters für die Mehrzahl weiterer Kommunikationszellen und Melden der nichteindeutigen Kennungsinformationen an die Funkbasisstation der ersten Kommunikationszelle; Empfangen einer Anweisung von der Funkbasisstation der ersten Kommunikationszelle, wenn die erkannten nichteindeutigen Kennungsinformationen nicht in einer Nachbarzellenmenge der ersten Kommunikationszelle enthalten sind; Erkennen eindeutiger Zellenkennungsinformationen für die Mehrzahl weiterer Kommunikationszellen nach Empfang der Anweisung; und Melden der erkannten eindeutigen Zellenkennungsinformationen für die Mehrzahl weiterer Kommunikationszellen an die Funkbasisstation der ersten Kommunikationszelle; - 2. drahtlose Telekommunikationsnetze
in der Bundesrepublik Deutschland angeboten, in Verkehr gebracht oder zu den genannten Zwecken eingeführt oder besessen hat,
die eine Mehrzahl von Kommunikationszellen definieren, wobei die Netze Netzressourcen umfassen, die betreibbar sind zum Kommunizieren mit einem in einer ersten Kommunikationszelle betriebenen mobilen Endgerät;
Empfangen nichteindeutiger Kennungsinformationen und Parameterinformationen bezüglich mindestens eines Betriebsparameters für die zweite Kommunikationszelle von dem mobilen Endgerät;
Definieren einer Nachbarzellenliste für das mobile Endgerät, wobei die Nachbarzellenliste die zweite Kommunikationszelle enthält;
Bestimmen aus den nichteindeutigen Kennungsinformationen, ob eindeutige Zellenkennungsinformationen für die zweite Kommunikationszelle erforderlich sind, und wenn solche eindeutigen Kennungsinformationen erforderlich sind, Übertragen einer Anweisung an das mobile Endgerät;
Empfangen eindeutiger Zellenkennungsinformationen bezüglich der zweiten Kommunikationszelle von dem mobilen Endgerät; und
Definieren einer für das Handover infrage kommenden Zellenliste für das mobile Endgerät, wobei die für das Handover infrage kommende Zellenliste die zweite Kommunikationszelle enthält; - insbesondere
wenn der mindestens eine Betriebsparameter einen Verwürfelungscode, eine Signalstärkemessung, eine Signalgütemessung und/oder Taktinformationen umfasst;
und/oder
wenn die zweite Kommunikationszelle der ersten Kommunikationszelle benachbart ist;
und/oder
wenn die Netzressourcen betreibbar sind zum Empfangen nichteindeutiger Zellenkennungsinformationen für eine Mehrzahl weiterer Kommunikationszellen von dem mobilen Endgerät; Bestimmen aus den nichteindeutigen Kennungsinformationen, ob eindeutige Zellenkennungsinformationen für die Mehrzahl weiterer Kommunikationszellen erforderlich sind, und wenn solche eindeutigen Kennungsinformationen erforderlich sind, Übertragen einer Anweisung an das mobile Endgerät; Empfangen eindeutiger Zellenkennungsinformationen bezüglich der Mehrzahl weiterer Kommunikationszellen von dem mobilen Endgerät; und Definieren einer für das Handover infrage kommenden Zellenliste für das mobile Endgerät, wobei die für das Handover infrage kommende Zellenliste die Mehrzahl weiterer Kommunikationszellen enthält;
und/oder
wenn die Netzressourcen durch eine Funkbasisstation bereitgestellt werden, - wobei die Auskunft in Form einer geordneten Aufstellung gegenüber der Klägerin zu erfolgen hat, und zwar, soweit zutreffend, unter Angabe
a) der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse, aufgeschlüsselt nach der jeweiligen Menge, Zeiten, Preise, sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer;
b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -und -preisen und der jeweiligen Typenbezeichnungen, sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer;
c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen, sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger;
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, im Falle von Internet-Werbung der Domain, der Suchmaschinen und anderer Marketingwerkzeuge, mit Hilfe derer die betroffenen Webseiten einzeln oder gemeinsam registriert wurden, der Zugriffszahlen und der Schaltungszeiträume jeder Kampagne;
e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns, einschließlich der Umsätze, die mit Zubehör erzielt wurden;
wobei die Beklagte die Richtigkeit ihrer Angaben nach a) und b) belegen muss, indem sie Belegkopien wie Rechnungen hilfsweise Lieferscheine vorlegt,
wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer, der in der Bundesrepublik Deutschland ansässig ist, mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist; - II. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr – der Klägerin – sämtliche Schäden zu ersetzen, die der A LLC durch die vom 13. Dezember 2013 bis zum 26. Februar 2014 begangenen und der Klägerin durch die seit dem 27. Februar 2014 begangenen, unter Ziffer I. bezeichneten Handlungen entstanden sind und noch entstehen werden.
- Die Beklagte beantragt,
- die Klage abzuweisen.
- Die Beklagte hat den Verletzungsvorwurf von vornherein als unbegründet angesehen. Abgesehen davon stelle die uneingeschränkte Geltendmachung von Auskunfts- und Schadensersatzansprüchen aus einem standardessentiellen Patent den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung dar.
- Ursprünglich hatte die Beklagte auch beantragt, die Leistung einer Prozesskostensicherheit durch die Klägerin anzuordnen. Mit Zwischenurteil vom 29. Juli 2014 hat die Kammer diesen Antrag zurückgewiesen. Die gegen dieses Zwischenurteil gerichtete Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht Düsseldorf mit Urteil vom 25. Februar 2015 auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Diese ist von der Beklagten eingelegt, aber auf ihre Kosten mit Urteil vom 21. Juni 2016 durch den Bundesgerichtshof zurückgewiesen worden.
- Entscheidungsgründe
- Die zulässige Klage ist unbegründet.
- I.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keine Ansprüche auf Auskunft und Schadensersatz aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ in Verbindung mit §§ 139 Abs. 2, 140b Abs. 1 und 3 PatG, §§ 242, 259 BGB. Da die Erteilung des Klagepatents widerrufen wurde und der Widerruf ex-tunc-Wirkung hat, haben solche Ansprüche der Klägerin nie bestanden. - II.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 269 Abs. 3 S. 2, 101 Abs. 1 ZPO. - Soweit die Klägerin beantragt, die Kosten des Zwischenrechtsstreits der Beklagten aufzuerlegen, sieht die Kammer dafür keinen Raum. Gemäß § 96 ZPO können die Kosten eines ohne Erfolg gebliebenen Angriffs- oder Verteidigungsmittels, wozu auch die Einrede der fehlenden Prozesskostensicherheit gehört (Zöller/Herget, ZPO 34. Aufl.: § 96 Rn 1), der Partei auferlegt werden, die es geltend gemacht hat, auch wenn sie in der Hauptsache obsiegt. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist die Vorschrift aber als Ausnahmetatbestand vom Grundsatz der Einheit der Kostenentscheidung eng auszulegen. Zwar verlangt die Norm kein Verschulden auf Seiten der obsiegenden Partei. Jedoch ist im Rahmen ihrer Anwendung das mit ihr verfolgte Ziel, die Parteien zu einer sparsamen Prozessführung anzuhalten sowie das der Norm innewohnende Veranlasserprinzip zu berücksichtigen. Ebenso wie bei anderen Vorschriften, die eine Kostentrennung sogar gebieten, wie etwa § 93, § 95, § 97 Abs. 2, § 100 Abs. 3, § 281 Abs. 3 Satz 2, § 344 ZPO, und denen ein unwirtschaftliches oder prozessverlängerndes Verhalten vorausgeht, kommt auch § 96 ZPO in kostenrechtlicher Hinsicht ein Sanktionscharakter zu. Daher reicht es gerade nicht aus, dass einzelne Angriffs- und Verteidigungsmittel verworfen werden, da die Parteien in der Wahl ihrer Rechtsverfolgung auch mit Blick auf drohende Kostenfolgen frei sein müssen. Vielmehr ist maßgebend in die Abwägung einzustellen, ob die Erfolglosigkeit des Angriffs- oder Verteidigungsmittels für die Partei voraussehbar war (BGH Urt. v. 17.04.2019 – VIII ZR 33/18 Rn 47 m.w.Nw.).
- Im Streitfall war nicht von vornherein von der Aussichtslosigkeit des Antrags der Beklagten auszugehen. Dies zeigt schon der Umstand, dass das Oberlandesgericht Düsseldorf die Revision zugelassen hat, weil der Antrag auf Leistung einer Proesskostensicherheit Rechtsfragen aufwarf, die höchstrichterlich nicht geklärt waren und auch zum Erfolg des Antrags der Beklagten hätten führen können.
- Aus dem vorgenannten Grund sieht die Kammer auch keinen Anlass, in Bezug auf die im Zwischenverfahren entstandenen Auslagen eine Kostenquote gemäß § 92 Abs. 1 ZPO zu bilden.
- Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 und 2 ZPO.
- Streitwert: 1.000.000 EUR