Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3278
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 14. Februar 2023, Az. 4b O 93/21
- Die Klage wird abgewiesen.
- Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
- Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
- Tatbestand
- Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 2 XXX XXXB1 (Anlage ABP 1; im Folgenden: Klagepatent) auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung sowie Rückruf und Vernichtung in Anspruch. Ferner begehrt sie die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten dem Grunde nach.
- Die Klägerin ist ausschließliche und alleinverfügungsberechtigte Inhaberin des Klagepatents, das am XXX angemeldet wurde und eine Priorität vom XXX in Anspruch nimmt. Die Anmeldung wurde am XXX offengelegt und der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents am XXX veröffentlicht.
- Die Klägerin erwarb die ursprüngliche Patentinhaberin A AG einschließlich des Klagepatents und beantragte daraufhin am XXX die Umschreibung des Klagepatents im Register. Die Umschreibung wurde am XXX veröffentlicht. Mit Statutenänderung vom XXX, veröffentlicht im Schweizerischen Handelsamtsblatt vom XXX (Anlage ABP 8), firmierte die ursprünglich unter der Firma B AG handelnde Klägerin um und ist nunmehr unter der Firma C AG tätig. Die Umfirmierung ist im Patentregister eingetragen, siehe den Registerauszug vom XXX (Anlage ABP 9). Das Klagepatent steht unter anderem in Deutschland, dort unter dem Aktenzeichen DE 50 XXX XXX XXX.4, in Kraft.
- Gegen das Klagepatent wurde Einspruch eingelegt, der zurückgewiesen wurde; die Entscheidungsgründe datieren auf den 27.01.2017 (Anlage FIN 5). Die Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts (“EPA”) blieb erfolglos und wurde am 23. April 2021 zurückgewiesen (Anlage FIN 7). Das Klagepatent wurde ohne Änderungen aufrechterhalten. Mit Schriftsatz vom 02.05.2022 erhob die Beklagte zu 1) Nichtigkeitsklage gegen das Klagepatent vor dem Bundespatentgericht. Das Verfahren wird dort unter dem Aktenzeichen 5 Ni 18/22 (EP) geführt. Ein qualifizierter Hinweis des Bundespatentgerichts erging am 30.11.2022 (Anlage FIN 11). Termin zur mündlichen Verhandlung ist für den 13.03.2023 bestimmt.
Das Klagepatent betrifft eine Austraganordnung mit einer Verbindungsvorrichtung zwischen einer Mehrkomponenten-Kartusche und einem Zubehörteil. - Die Klägerin stützt ihre Klage auf den Vorrichtungsanspruch 1, der lautet wie folgt:
- Austraganordnung aufweisend: ein Zubehörteil (3; 37; 50; 64) mit mindestens zwei Einlässen (15, 16; 55, 56; 65, 66); eine Kartusche (2; 36) für mindestens zwei Komponenten, wobei die Kartusche (2; 36) mindestens zwei Kammern (13, 14; 44, 45) für jeweils eine der Komponenten und mindestens zwei zu den Einlässen komplementäre Auslässe (18, 19) für die Komponenten aufweist, wobei jeweils einer der Auslässe (18, 19) in einen der Einlässe steckbar ist oder umgekehrt; und eine Verbindungsvorrichtung mit einer ersten Verbindungskomponente (11), die am Zubehörteil (3; 37; 50; 64) angeordnet ist, und einer zur ersten Verbindungskomponente komplementären zweiten Verbindungskomponente (12), die an der Kartusche (2; 36) angeordnet ist, wobei eine der Verbindungskomponenten (11, 12) eine Steckaufnahme (20, 21; 20A, 21A) aufweist und die andere Verbindungskomponente (12, 11) einen in Längsrichtung darin einsteckbaren Anschlussteil (5; 48) aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass außenumfänglich an dem Anschlussteil (5; 48) erste Eingriffsteile (6, 7; 40, 41) und innenumfänglich in der Steckaufnahme (20, 21; 20A, 21A) entsprechende zweite Eingriffsteile (25, 26; 46, 47) einer in Längsrichtung schräg gestellten Drehführung vorgesehen sind, entlang welcher die Verbindungskomponenten (11, 12) nach dem Einstecken des Anschlussteils (5; 48) in die Steckaufnahme (20, 21; 20A; 21A) über einen wirksamen Verbindungsabschnitt ineinander verdrehbar und dabei in axialer Richtung geführt zunehmend miteinander in Eingriff und über einen wirksamen Verbindungsabschnitt in axialer Richtung geführt voneinander außer Eingriff bringbar sind, so dass während des Herstellens der Verbindung ein zwangsläufiges Heranführen des Zubehörteils (3; 37; 50; 64) an die Kartusche (2; 36) erfolgt und dass während des Lösens der Verbindung ein zwangsläufiges Abheben des Zubehörteils (3; 37; 50; 64) von der Kartusche (2; 36) erfolgt.
- Wegen der weiteren, von der Klägerin im Wege von „insbesondere“-Anträgen geltend gemachten Unteransprüche wird auf das Klagepatent verwiesen.
- Zur Veranschaulichung der erfindungsgemäßen Lehre wird nachfolgend die Figur 1 der Patentbeschreibung wiedergegeben:
- Die Klägerin wendet sich gegen Herstellung, Angebot und Vertrieb von Kartuschensystemen, die jeweils aus einer Zweikomponenten-Kartusche und einem dazu passenden Mischer bestehen und unter anderem im Dentalbereich für Bissregistriermaterial unter der Marke XXX oder für dentale Abformmaterialien der Marken XXX oder XXX verwendet werden (im Folgenden gemeinsam: angegriffene Ausführungsform 1), und den zugehörigen Mischer (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform 2):
- Auf den Verpackungen wird die Beklagte zu 1) als Hersteller genannt. Die Beklagte zu 2) gibt sich dadurch als Hersteller zu erkennen, dass sie im Herstellungsvorgang ihre Marke „XXX“ auf Mischer und Kartuschen einprägt.
- Zum Zwecke der Benutzung wird das Zubehörteil (z.B. ein Mischer) mit der Kartusche verbunden, um mindestens zwei in der Kartusche enthaltene Komponenten zu mischen und auszutragen. Die roten und blauen Mischer der angegriffenen Ausführungsform 2 sind hinsichtlich der Verbindung mit der Kartusche identisch gestaltet, sie unterscheiden sich lediglich hinsichtlich der Dimensionierung des Mischrohrs.
- Die angegriffene Ausführungsform 2 wird auch separat zum Kartuschensystem angeboten und geliefert.
- Die Klägerin meint, dass die angegriffene Ausführungsform 1 alle Merkmale des Klagepatents verwirkliche.
- Sie ist der Auffassung, dass eine „einigermaßen feste Verbindung“ durch das Einstecken des Anschlussteils in die Steckaufnahme nicht erforderlich sei. Es gebe keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass durch eine längsaxiale Führung zwangsläufig auch eine einigermaßen feste Verbindung zustande kommen müsse. Vielmehr komme es auf eine funktionale Auslegung an, nach welcher lediglich die patentgemäße Kombination von Steckaufnahme und Drehführung zu einer festen Verbindung führen müsse.
- Die Eingriffsteile seien zudem nicht nur Bestandteil einer „in Längsrichtung schräg gestellten Drehführung“, sondern sie seien so aufeinander abgestimmt, dass sie im Rahmen der anspruchsgemäßen Verbindungsvorrichtung mit der jeweils anderen Verbindungskomponente bereits dann zusammenwirken können, wenn der Anschlussteil in Längsrichtung in die Steckaufnahme eingesteckt werde.
- Bei der angegriffenen Ausführungsform 1 weise die Kartusche als zweite Verbindungskomponente eine Steckaufnahme auf, in welche der Anschlussteil des Zubehörteils, dem Mischer, in Längsrichtung einsteckbar sei. Denn die kuppelförmige Hülse des Mischer-Gehäuses lasse sich in die Steckaufnahme – den ringförmigen Kragen der Kartusche – einstecken. Die Hülse befinde sich bereits vor dem Drehvorgang am oberen Rand des ringförmigen Kragens der Kartusche und sei damit bereits vor dem Verdrehen in die Steckaufnahme eingesteckt. Nach dem Einsteckvorgang sei die tatsächlich vorhandene Längsführung der Steckaufnahme dadurch nachvollziehbar, dass der Mischer sich in horizontaler Richtung nur minimal bewegen lasse, weil diese Horizontalbewegung jeweils durch die Steckaufnahme begrenzt sei.
- Dabei entspreche die Strecke der axialen Führung durch die Steckaufnahme etwa der Strecke der axialen Führung durch die Drehführung, so dass bei der angegriffenen Ausführungsform 1 die vom Klagepatent geforderte, zweischrittige Verbindung realisiert werde. Durch das Zusammenwirken der vom Klagepatent auch als Rampen bezeichneten Eingriffsteile mit den Flächen der jeweils anderen Verbindungskomponente bestehe bei der angegriffenen Ausführungsform 1 eine gewisse radiale Führung und Stabilität der (Steck-) Verbindung. Dass ein gewisses „Spiel“ des Anschlussteils in der Steckaufnahme bestehe, sei zwingend erforderlich, damit der Anschlussteil leicht in die Steckaufnahme eingeführt werden könne. Dies ändere jedoch nichts an der vorhandenen Längsführung. Dass bei der angegriffenen Ausführungsform 1 zusätzlich weitere Steckelemente vorhanden seien, wie etwa der rote Steckvorsprung bzw. der entsprechende blaue Steckvorsprung, ändere nichts am Vorliegen der vorstehend geschilderten, patentgemäßen Steckaufnahme.
- Die Klägerin trägt zudem vor, dass der Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform 2 eine mittelbare Patentverletzung darstelle.
- Die Klägerin meint ferner, dass der von ihr geltend gemachte Rückruf- und Vernichtungsanspruch zudem nicht unverhältnismäßig sei. Schließlich erklärten die Beklagten selbst, dass lediglich etwa 2/3 der angegriffenen Ausführungsformen im Ausland vertrieben würden. Soweit aber etwa 1/3 im Inland vertrieben würde, genüge dies für die Zuerkennung der Ansprüche auf Rückruf und Vernichtung. Für die ebenfalls streitgegenständlichen Mischer („Zubehörteil mit mindestens zwei Einlässen“) greife das Argument ohnehin nicht.
- Die Klägerin meint zudem, dass die erfindungsgemäße Lehre nicht neuheitsschädlich vorweggenommen und das Klagepatent somit rechtskräftig sei. Weder die Entgegenhaltung EP 0 XXX XXX A1, noch die WO 2006/XXX XXXA1 oder die US2001/XXX XXX würden die erfindungsgemäße Lehre eindeutig vorwegnehmen.
- Die Klägerin beantragt, zuletzt geändert durch Antragsänderung im Rahmen der Replik vom 24.08.2022 (Bl. 136 dA),
- I. die Beklagten zu verurteilen,
- 1. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle mehrfacher Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft an ihren Geschäftsführern zu vollziehen ist,
zu unterlassen,
- a) Austraganordnungen aufweisend: ein Zubehörteil mit mindestens zwei Einlässen; eine Kartusche für mindestens zwei Komponenten,
- wobei die Kartusche mindestens zwei Kammern für jeweils eine der Komponenten und mindestens zwei zu den Einlässen komplementäre Auslässe für die Komponenten aufweist, wobei jeweils einer der Auslässe in einen der Einlässe steckbar ist oder umgekehrt; und eine Verbindungsvorrichtung mit einer ersten Verbindungskomponente, die am Zubehörteil angeordnet ist, und einer zur ersten Verbindungskomponente komplementären zweiten Verbindungskomponente, die an der Kartusche angeordnet ist, wobei eine der Verbindungskomponenten eine Steckaufnahme aufweist und die andere Verbindungskomponente einen in Längsrichtung darin einsteckbaren Anschlussteil aufweist,
- in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,
- wobei außenumfänglich an dem Anschlussteil erste Eingriffsteile und innenumfänglich in der Steckaufnahme entsprechende zweite Eingriffsteile einer in Längsrichtung schräg gestellten Drehführung vorgesehen sind, entlang welcher die Verbindungskomponenten nach dem Einstecken des Anschlussteils in die Steckaufnahme über einen wirksamen Verbindungsabschnitt ineinander verdrehbar und dabei in axialer Richtung geführt zunehmend miteinander in Eingriff und über einen wirksamen Verbindungsabschnitt in axialer Richtung geführt voneinander außer Eingriff bringbar sind, so dass während des Herstellens der Verbindung ein zwangsläufiges Heranführen des Zubehörteils an die Kartusche erfolgt und dass während des Lösens der Verbindung ein zwangsläufiges Abheben des Zubehörteils von der Kartusche erfolgt;
- und/oder
- b) Zubehörteile mit mindestens zwei Einlässen zur Benutzung in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten oder zu liefern,
- die geeignet sind, mit einer Kartusche für mindestens zwei Komponenten zu einer Austraganordnung verbunden zu werden,
- wobei die Kartusche mindestens zwei Kammern für jeweils eine der Komponenten und mindestens zwei zu den Einlässen komplementäre Auslässe für die Komponenten aufweist, wobei jeweils einer der Auslässe in einen der Einlässe steckbar ist oder umgekehrt; und eine Verbindungsvorrichtung mit einer ersten Verbindungskomponente die am Zubehörteil angeordnet ist und einer zur ersten Verbindungskomponente komplementären zweiten Verbindungskomponente, die an der Kartusche angeordnet ist, wobei eine der Verbindungskomponenten eine Steckaufnahme aufweist und die andere Verbindungskomponente einen in Längsrichtung darin einsteckbaren Anschlussteil aufweist; wobei außenumfänglich an dem Anschlussteil erste Eingriffsteile und innenumfänglich in der Steckaufnahme entsprechende zweite Eingriffsteile einer in Längsrichtung schräg gestellten Drehführung vorgesehen sind, entlang welcher die Verbindungskomponenten nach dem Einstecken des Anschlussteils in die Steckaufnahme über einen wirksamen Verbindungsabschnitt ineinander verdrehbar und dabei in axialer Richtung geführt zunehmend miteinander in Eingriff und über einen wirksamen Verbindungsabschnitt in axialer Richtung geführt voneinander außer Eingriff bringbar sind, so dass während des Herstellens der Verbindung ein zwangsläufiges Heranführen des Zubehörteils an die Kartusche erfolgt und dass während des Lösens der Verbindung ein zwangsläufiges Abheben des Zubehörteils von der Kartusche erfolgt;
- 2. ihr unter Vorlage eines einheitlichen, chronologisch geordneten und nach Typen/ Farben sowie nach Sets aus Kartuschen und Mischern (Antrag Ziff. I.1.a) und Mischern ohne Kartuschen (Antrag Ziff. I.1.b) gegliederten Verzeichnisses in elektronischer Form vollständig darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagten die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 18.07.2019 begangen haben, und zwar unter Angabe
- a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
- b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
- c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
- wobei die Beklagten Rechnungen und für den Fall, dass keine Rechnungen vorhanden sind, Lieferscheine in Kopie vorzulegen haben;
- wobei geheimhaltungsbedürfte Angaben außerhalb der Auskunftspflicht geschwärzt werden dürfen;
- 3. ihr unter Vorlage eines einheitlichen, chronologisch geordneten und nach Typen/ Farben sowie nach Sets aus Kartuschen und Mischern (Antrag Ziff. I.1.a) und Mischern ohne Kartuschen (Antrag Ziff. I.1.b) gegliederten Verzeichnisses in elektronischer Form vollständig darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagten die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 18.07.2019 begangen haben, und zwar unter Angabe
- a) der Herstellungsmengen und -zeiten,
- b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Liefermengen, -zeiten und -preisen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,
- c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Angebotsmengen, -zeiten und -preisen sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
- d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Herstellungs- und Verbreitungsauflage, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
- e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
- wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht-gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernimmt und ihn ermächtigt, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter nicht-gewerblicher Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist;
- 4. die vorstehend zu Ziffer I.1.a) bezeichneten, seit dem 18.07.2019 im Besitz Dritter befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen gewerblichen Abnehmer, denen durch die Beklagte oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass das Gericht mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents EP 2 XXX XXX erkannt hat, schriftlich und ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagte zurückzugeben und ihnen für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe verbindlich zugesagt wird;
- 5. die im unmittelbaren oder mittelbaren Besitz und/oder Eigentum der Beklagten befindlichen unter Ziffer I.1.a) bezeichneten Erzeugnisse auf ihre – der Beklagten – Kosten zu vernichten oder an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben;
- II. festzustellen,
- dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 18.07.2019 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
- Die Beklagten beantragen,
- die Klage abzuweisen;
- hilfsweise den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die gegen das Klagepatent (deutscher Teil von EP 2 XXX XXX B1) erhobene Nichtigkeitsklage auszusetzen.
- Die Beklagten meinen, dass Herstellung, Angebot und Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform 1 keine Verletzung des Klagepatents darstellen würden.
- So würde die erfindungsgemäße Lehre einerseits eine Steckaufnahme und andererseits ein einsteckbares Anschlussteil, beide gemeinsam also eine Steckverbindung, vorsehen. Zusätzlich müsse die Verbindungsvorrichtung eine schräg gestellte Drehführung aufweisen. Die Steckverbindung und die Drehführung seien dabei getrennt voneinander zu sehen, was dadurch bestätigt werde, dass die Verbindungskomponenten nach dem Einstecken des Anschlussteils in die Steckaufnahme ineinander verdrehbar seien. Die Steckverbindung sei unabhängig von der Steckverbindung, die durch das Stecken der Auslässe des Zubehörteils in die komplementären Einlässe der Kartusche hergestellt werde. Die Ausgestaltung als separate Bauteile verdeutliche, dass die Steckverbindung für sich und nicht nur in Kombination mit der Drehführung eine einigermaßen feste Verbindung erzeugen müsse.
- Außerdem werde eine bestimmte Reihenfolge zur Herstellung der Verbindungsvorrichtung vorgesehen; erst “nach dem Einstecken des Anschlussteils in die Steckaufnahme” seien die Verbindungskomponenten “über einen wirksamen Verbindungsabschnitt ineinander verdrehbar”. Es müsse also zunächst die Steckverbindung hergestellt werden, bevor die Drehführung zum Einsatz komme.
Eine Gewindeverbindung umfasse bei einer am Wortsinn des Klagepatents orientierten Auslegung jedoch keine Steckaufnahme. - Die angegriffene Ausführungsform 1 verwirkliche die erfindungsgemäße Lehre nicht. Denn bei dieser weise die nach dem Einstecken des Steckvorsprungs in die Stecköffnung hergestellte Steckverbindung eine hohe Festigkeit auf, hingegen führe das reine Ansetzen des Gehäuses an den Kartuschenkragen ohne Verdrehen zu keiner festen Verbindung.
- Zum einen könne der ringförmige Kragen an der Kartusche der angegriffenen Ausführungsform 1 nicht als Steckaufnahme bezeichnet werden, so dass auch das Ende der Mischerhülse kein in die Steckaufnahme einsteckbares Anschlussteil darstelle. Denn bei der angegriffenen Ausführungsform 1 werde das Mischergehäuse nur lose auf das Innengewinde des ringförmigen Kragens an der Kartusche aufgesetzt, was nicht zu der erforderlichen „einigermaßen festen Verbindung“ führe. Eine Befestigung finde nicht bereits durch das axiale Aufsetzen statt, da keine für ein axiales Einstecken erforderliche längsaxiale Steckführungsfläche vorhanden sei, sondern erst durch das Drehen am ringförmigen Kragen. Dies werde auch dadurch deutlich, dass zwischen dem Gehäuse und dem ringförmigen Kragen ein Spiel von etwa 0,4 mm bestehe, was beim Kippen der Kartusche zu einem Abfallen des Mischergehäuses führe.
- Die initiale Berührung beim Ansetzen – das Anfasen – der Schraubverbindung sei unumgänglich und finde bei der angegriffenen Ausführungsform 1 maximal über die Strecke einer Gewindeganghöhe statt. Die maximal zurückgelegte Strecke gehe jedoch nicht über das absolut erforderliche Minimum einer solchen Berührung hinaus.
- Bei der angegriffenen Ausführungsform 1 sei lediglich eine Steckaufnahme im Inneren der Kartusche vorhanden, in die der Steckvorsprung hineinrage, bevor der ringförmige Kragen der Kartusche von dem Gehäuse des Mischers berührt werde. Dabei sei das Außengewinde am Mischergehäuse ausgebildet, wohingegen der Steckvorsprung des Mischers an einem separaten anderen Bauteil, nämlich dem Anschlussteil, vorgesehen sei. Bei der angegriffenen Ausführungsform 1 existiere damit kein Bauteil, das beide Funktionen – die des einsteckbaren Anschlussteils und des Eingriffsteils einer schräg gestellten Drehführung – gleichzeitig verwirkliche.
- Da keine unmittelbare Verletzung des Kartuschensystems bestehend aus Kartusche und Mischer vorliege, liege auch durch Angebot und Vertrieb allein der angegriffenen Ausführungsform 2 keine mittelbare Verletzung des Klagepatents vor.
- Die Beklagten meinen zudem, dass die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche auf Rückruf und Vernichtung unverhältnismäßig seien. Dies gelte insbesondere für die angegriffenen Ausführungsformen, die ins nicht-europäische Ausland, vor allem in die USA, geliefert worden seien. Dabei handele es sich um einen Anteil von etwa 2/3 aller vertriebenen angegriffenen Ausführungsformen. Es sei praktisch ausgeschlossen, dass ins Ausland gelieferte Kartuschensysteme zurück nach Deutschland gelangen würden. Darüber hinaus seien sowohl der Rückruf- als auch der Vernichtungsanspruch zumindest für die Beklagte zu 1) auch deshalb unverhältnismäßig, weil sie leere, unbefüllte Kartuschen von der Beklagten zu 2) beziehe und diese anschließend mit Bissregistriermaterial oder dentalen Abformmaterialien befülle. Der Wert der eingefüllten Materialien übersteige den Wert der angegriffenen Kartusche dabei um ein Vielfaches.
- Die Beklagte ist zudem der Auffassung, dass die klagepatentgemäße Lehre neuheitsschädlich vorweggenommen sei. Dies gelte selbst bei der von ihr selbst vorgenommenen, gegenüber der von der Klägerin vorgenommenen engeren Auslegung im Hinblick auf die Entgegenhaltung EP 0 XXX XXX A1. Bei der von der Beklagten vorgenommenen Auslegung, nach der ein Drehverschluss auch eine Steckverbindung darstelle, würden darüber hinaus auch die Entgegenhaltungen WO 2006/XXX XXX A1 und US 2001/XXX XXX A1 die Lehre des Klagepatents neuheitsschädlich vorwegnehmen.
- Entscheidungsgründe
- Die zulässige Klage ist unbegründet.
- A
Der Klägerin stehen gegen die Beklagten keine Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Vernichtung und Rückruf sowie Schadensersatz dem Grunde nach aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. §§ 139 Abs. 1, 2, 140a Abs. 1 und 3, 140b Abs. 1 und 3 PatG, §§ 242, 259 BGB zu. - I.
Das Klagepatent betrifft eine Austraganordnung mit einer Kartusche oder Spritze für mindestens zwei Komponenten und einem Zubehörteil, an welchen jeweils eine Verbindungskomponente einer Verbindungsvorrichtung angeordnet sind, siehe Absatz [0001] des Klagepatents (alle folgenden, nicht näher bezeichneten Absätze sind solche des Klagepatents). - Die Patentbeschreibung zeigt in den Absätzen [0002] bis [0005] verschiedene, aus dem Stand der Technik bekannte Austragsvorrichtungen auf. Dazu gehört zunächst die aus der US-5 XXX XXX A1 bekannte Austraganordnung, die eine Verbindungsvorrichtung mit Bajonettverschlussteilen offenbart, siehe Absatz [0002]. Die durch den Verschluss erreichte axiale Führung sei – so die Beschreibung des Klagepatents – jedoch nur während des Anziehens wirksam und nicht während des Abziehens. Absatz [0003] des Klagepatents beschreibt sodann eine Austraganordnung, die eine Zweikomponenten-Kartusche und einen Mischer oder ein anderes Zubehörteil umfasst. Diese enthielten jeweils zueinander komplementäre Mittel zum gerichteten Zusammensetzen und gegenseitigen Befestigen. Dabei sei an der Kartusche ein Gewinde angebracht, wodurch der Mischer an der Kartusche mittels einer Überwurfmutter befestigt werden könne. So werde durch das Aufsetzen des Mischers auf die Kartusche in vorgegebener Ausrichtung eine eindeutig reproduzierbare und somit besonders zuverlässige Verbindung bereitgestellt. Darüber hinaus offenbare auch die in Absatz [0004] genannte WO 2008/XXX XXX eine Austragsvorrichtung, die eine Zweikomponenten-Kartusche und ein Zubehörteil, wie beispielsweise einen Mischer, umfasse. Dabei weise das Zubehörteil zwei Einlässe auf, die in korrespondierende Auslässe der Kartusche einsteckbar seien, indem das Zubehörteil ohne Drehbewegung in axialer Richtung auf die Kartusche aufgesteckt werde. Absatz [0005] geht sodann auf die EP 0 XXX XXX ein, die ebenfalls eine Austragsvorrichtung mit einer Zweikomponenten-Kartusche und einem Zubehörteil, wie beispielsweise einem Mischer, offenbare. Das Zubehörteil werde dabei über eine Bajonettverbindung an der Kartusche befestigt. Die dazu in einigen Ausführungsformen an der Kartusche und am Zubehörteil befindlichen, geneigten Flächen erzeugten beim Befestigen eine axiale Kraft, um das Zubehörteil und die Kartusche aufeinander zu zu bewegen. Beim Lösen der Verbindung zwischen dem Zubehörteil und der Kartusche wirke hingegen keine axiale Kraft in der Gegenrichtung, um das Abheben zu erleichtern.
- Vor dem Hintergrund der aus dem Stand der Technik bekannten Vorrichtungen sieht die Klagepatentbeschreibung die der Erfindung zu Grunde liegende Aufgabe darin, eine zuverlässige und schnelle Verbindung zwischen der Kartusche und dem Zubehörteil herzustellen derart, dass mit geringem Kraftaufwand das Zubehörteil sowohl dichtend an der Kartusche befestigt als auch von der Kartusche abgehoben werden kann, siehe Absatz [0006].
- Zur Lösung des Problems schlägt das Patent eine Austraganordnung mit einer Kartusche oder Spritze für mindestens zwei Komponenten und einem Zubehörteil vor, an welchen jeweils eine Verbindungskomponente einer Verbindungsvorrichtung angeordnet sind und die nach Patentanspruch 1 die folgenden Merkmale aufweist:
- 1. Austraganordnung (1) aufweisend:
- 2. ein Zubehörteil (3; 37; 50; 64) mit mindestens zwei Einlässen (15, 16; 55, 56; 65, 66);
- 3. eine Kartusche (2; 36) für mindestens zwei Komponenten, wobei die Kartusche (2; 36) mindestens zwei Kammern (13, 14; 44, 45) für jeweils eine der Komponenten und mindestens zwei zu den Einlässen komplementäre Auslässe (18, 19) für die Komponenten aufweist, wobei jeweils einer der Auslässe (18, 19) in einen der Einlässe steckbar ist oder umgekehrt; und
- 4. eine Verbindungsvorrichtung mit einer ersten Verbindungskomponente (11), die am Zubehörteil (3; 37; 50; 64) angeordnet ist, und einer zur ersten Verbindungskomponente komplementären zweiten Verbindungskomponente (12), die an der Kartusche (2; 36) angeordnet ist,
- 4.1 wobei eine der Verbindungskomponenten (11, 12) eine Steckaufnahme (20, 21; 20A, 21A) aufweist und
- 4.2 die andere Verbindungskomponente (11, 12) einen in Längsrichtung darin einsteckbaren Anschlussteil (5; 48) aufweist,
- 4.3 wobei außenumfänglich an dem Anschlussteil (5; 48) erste Eingriffsteile (6, 7; 40, 41) und innenumfänglich in der Steckaufnahme (20, 21; 20A, 21A) entsprechende zweite Eingriffsteile (25, 26; 46, 47) einer in Längsrichtung schräg gestellten Drehführung vorgesehen sind,
- 4.3.1 entlang welcher die Verbindungskomponenten (11, 12) nach dem Einstecken des Anschlussteils (5; 48) in die Steckaufnahme (20, 21; 20A; 21A) über einen wirksamen Verbindungsabschnitt ineinander verdrehbar und dabei in axialer Richtung geführt zunehmend miteinander in Eingriff und über einen wirksamen Verbindungsabschnitt in axialer Richtung geführt voneinander außer Eingriff bringbar sind,
- 4.3.2 so dass während des Herstellens der Verbindung ein zwangsläufiges Heranführen des Zubehörteils (3; 37; 50; 64) an die Kartusche (2; 36) erfolgt und
- 4.3.3 dass während des Lösens der Verbindung ein zwangsläufiges Abheben des Zubehörteils (3; 37; 50; 64) von der Kartusche (2; 36) erfolgt.
- II.
Das Klagepatent bedarf im Hinblick auf den vorliegenden Rechtsstreit hinsichtlich der in Merkmalsgruppe 4 spezifizierten Verbindungsvorrichtung der Auslegung. - Die Verbindungsvorrichtung der klagepatentgemäßen Austraganordnung dient dem Wortsinn nach der Herstellung einer Verbindung zwischen der Kartusche und dem Zubehörteil. Dies ergibt sich nicht nur aus Merkmal 4, sondern auch aus den Merkmalen 4.3.2 und 4.3.3, die ein zwangsläufiges Heranführen des Zubehörteils an die Kartusche während des Herstellens der Verbindung und ein zwangsläufiges Abheben des Zubehörteils von der Kartusche während des Lösens der Verbindung beschreiben.
- Merkmal 4 spezifiziert diese Verbindungsvorrichtung dahingehend, dass sie einerseits aus einer an dem Zubehörteil befindlichen Verbindungskomponente und andererseits aus einer dazu komplementären, an der Kartusche befindlichen Verbindungskomponente besteht. Die Verbindungsvorrichtung ist demnach – anders als der Wortlaut dies zunächst vermuten lassen würde – nicht einteilig ausgestaltet, sondern setzt sich aus zwei zusammenwirkenden Verbindungskomponenten zusammen.
- Merkmal 4.1 erläutert sodann, dass eine der Verbindungskomponenten eine Steckaufnahme aufweist, und Merkmal 4.2, dass die andere Verbindungskomponente einen in Längsrichtung darin – also in die Steckaufnahme – einsteckbaren Anschlussteil aufweist.
- Die Merkmale 4.1 und 4.2 lassen offen, an welcher der beiden Verbindungskomponenten sich die Steckaufnahme und an welcher sich das einsteckbare Anschlussteil befinden soll. Dies ergibt sich zum einen aus der Wortwahl, die nur „eine der Verbindungskomponenten“ und „die andere Verbindungskomponente“ nennt und damit eine genaue Zuordnung offen lässt, als auch aus der Zuordnung jeweils beider Bezugsziffern 11 und 12 zu beiden Verbindungskomponenten. Der Einfachheit halber wird hier jedoch von einer Anordnung der Steckaufnahme seitens der Kartusche und einer Anordnung des einsteckbaren Anschlussteils seitens des Zubehörteils ausgegangen. Denn dies entspricht der Darstellung in den Figuren; so zeigt Figur 1 mit der Bezugsziffer 11 die erste, an dem Zubehörteil befindliche Verbindungskomponente, die einen mit der Bezugsziffer 5 bezeichneten, einsteckbaren Anschlussteil aufweist. Die zweite, mit der Bezugsziffer 12 gekennzeichnete Verbindungskomponente befindet sich in Figur 1 an der Kartusche, die eine mit den Bezugsziffern 20 und 21 gekennzeichnete Steckaufnahme aufweist. Die Beibehaltung dieser Zuordnung entspricht nicht nur der Darstellung in den Figuren, vielmehr ist die umgekehrte Zuordnung nicht entscheidungserheblich.
- Merkmal 4.3 spezifiziert sodann das in Merkmal 4.2 erstmals erwähnte, einsteckbare Anschlussteil dahingehend näher, dass dieses außenumfänglich erste Eingriffsteile aufweisen muss. Weiterhin muss die in Merkmal 4.1 erstmals erwähnte Steckaufnahme entsprechende zweite Eingriffsteile aufweisen. Die ersten Eingriffsteile und die entsprechenden zweiten Eingriffsteile gehören zu einer in Längsrichtung schräg gestellten Drehführung.
- Merkmal 4.3.1 spezifiziert die in Merkmal 4.3 genannte Drehführung näher, indem es heißt, dass die Verbindungskomponenten nach dem Einstecken des Anschlussteils in die Steckaufnahme entlang dieser Drehführung über einen wirksamen Verbindungsabschnitt ineinander verdrehbar sind. „Dabei“, also während des Verdrehvorgangs, werden die Verbindungskomponenten in axialer Richtung geführt und damit zunehmend miteinander in Eingriff gebracht, so dass das in Merkmal 4.3.2 beschriebene, zwangsläufige Heranführen des Zubehörteils an die Kartusche stattfindet. Weiterhin werden die Verbindungskomponenten über einen wirksamen Verbindungsabschnitt in axialer Richtung geführt voneinander außer Eingriff gebracht, so dass das in Merkmal 4.3.3 näher beschriebene, zwangsläufige Abheben des Zubehörteils von der Kartusche stattfindet.
- 1.
Insbesondere der im Klagepatent beschriebene Einsteckvorgang des Anschlussteils in die Steckaufnahme bedarf der Auslegung. Dabei dürfen die Merkmale des Klagepatents nicht isoliert betrachtet werden, sondern vor allem die Merkmale 4.1, 4.2 und 4.3.1 müssen in der Zusammenschau gesehen werden. Merkmal 4.1 nennt erstmalig eine Steckaufnahme – hier als Teil der kartuschenseitigen Verbindungskomponente – und Merkmal 4.2 nennt einen in Längsrichtung darin einsteckbaren Anschlussteil. Sodann beschreibt Merkmal 4.3.1 das „Einstecken“ des Anschlussteils in die Steckvorrichtung und setzt diesen in ein zeitliches Verhältnis zum „Ineinander Verdrehen“ der in Merkmal 4.3 genannten Eingriffsteile. - Im Rahmen der hier vorgenommenen Auslegung wird zunächst der Vorgang des „Einsteckens“ des Anschlussteils in die Steckaufnahme auf Grund seiner sprachlichen Fassung (siehe unten, Ziff. a)) betrachtet und sodann ins Verhältnis zu dem Vorgang des „Ineinander Verdrehens“ der Eingriffsteile gesetzt (siehe unten, Ziff. b)). Die sich dadurch ergebende Auslegung wird im Hinblick auf den in der Klagepatentbeschreibung genannten, vorbekannten Stand der Technik (siehe unten, Ziff. c)) und die in der Beschreibung genannten Ausführungsbeispiele und die Figuren bestätigt (siehe unten, Ziff. d)). Außerdem steht diese Auslegung in Einklang mit der der Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts und der im qualifizierten Hinweis des Bundespatentgerichts zum Ausdruck kommenden Auslegung (siehe unten, Ziff. e)).
- a)
Die Zusammenschau der Merkmale 4.1 und 4.2 ergibt, dass die am Zubehörteil befindliche Verbindungskomponente ein Anschlussteil aufweisen muss, das in Längsrichtung in eine Steckaufnahme einsteckbar ist, wobei der Begriffs des Einsteckens in Merkmal 4.3.1 genannt wird. - Die Begrifflichkeiten „Einstecken“ und „einsteckbar“ verdeutlichen, dass hier nicht von dem weit gefassten Begriff des „Steckens“ ausgegangen werden kann, der nach dem Duden ganz allgemein dafür stehen kann, dass etwas an eine bestimmte Stelle verbracht wird. Vielmehr ist der Begriff des „Einsteckens“ enger gefasst und meint auch nach dem Duden – wenn man von den hier offensichtlich nicht in Frage kommenden Bedeutungen absieht – „in etwas dafür Vorgesehenes [hinein]stecken“ oder „durch Hineinstecken an einer bestimmten Stelle befestigen“. Ein „Hineinstecken“ oder „Befestigen“ erfordert mehr als nur das Verbringen an eine bestimmte Stelle, wenngleich der Wortlaut an dieser Stelle keinen zwingenden Rückschluss darauf zulässt, auf welche Art und Weise das „Einstecken“ zu geschehen hat.
- b)
Der klagepatentgemäße Einsteckvorgang wird insofern näher spezifiziert, als dass er in einen zeitlichen (siehe unten, Ziff. aa)) und auch sachlichen Zusammenhang (siehe unten, Ziff. bb)) mit dem „Ineinander Verdrehen“ der Eingriffsteile gesetzt wird. Daraus ergibt sich, dass das Einstecken einen von dem Eindrehen abzugrenzenden Vorgang darstellt, der in seinem Sinngehalt über den Eindrehvorgang hinausgehen muss und damit auch technisch-funktional die Steckaufnahme bzw. das Anschlussteil von den zu dem Drehvorgang zugehörigen Eingriffsteilen abgrenzt (siehe unten, Ziff. cc)). - aa)
So spezifiziert Merkmal 4.3.1 näher, dass die Verbindungskomponenten „nach dem Einstecken“ des Anschlussteils in die Steckaufnahme über einen Verbindungsabschnitt ineinander verdrehbar sind. Daraus ergibt sich, dass die Verbindungskomponenten der klagepatentgemäßen Austraganordnung so ausgebildet sein müssen, dass sie einerseits ein Einstecken und andererseits ein zeitlich nachgelagertes Verdrehen ermöglichen. Die Präposition „nach“ gibt in diesem Zusammenhang die zeitliche Abfolge und damit auch vor, dass das „Ineinander Verdrehen“ erst nach Abschluss des Steckvorgangs beginnt. - bb)
Dass es sich auch technisch-funktional bei dem „Einstecken“ und dem „Ineinander Verdrehen“ um unterschiedliche Vorgänge handeln muss, verdeutlicht vor allem die in Merkmal 4.2 angegebene „Längsrichtung“, die von der in Merkmal 4.3 angegebenen „in Längsrichtung schräg gestellten Drehführung“ abgegrenzt werden muss. - Der einsteckbare Anschlussteil muss in Längsrichtung in die Steckaufnahme einsteckbar sein, das Einstecken findet also in axialer Richtung statt. Bei dem Drehvorgang werden die Eingriffsteile dann zwar gemäß Merkmal 4.3.1 „in axialer Richtung geführt miteinander in Eingriff gebracht“, aber die dabei konkret zu vollziehende Bewegung des Zubehörteils geschieht in Relation zur Kartusche entlang der in Merkmal 4.3 beschriebenen, in Längsrichtung schräg gestellten Drehführung. Es handelt sich dabei also um einen ganz normalen Drehvorgang, bei dem die Eingriffsteile durch das Verdrehen miteinander in Eingriff gebracht werden, siehe auch Merkmal 4.3.1. Damit steht das axial vorzunehmende Einstecken dem in Schrägstellung vorzunehmenden Drehen gegenüber, so dass die erfindungsemäße Lehre nicht nur zeitlich, sondern auch der Sache nach voneinander unterscheidbare Vorgänge erfordert.
- cc)
Sowohl die zeitliche als auch die inhaltliche Unterscheidung, die das Klagepatent zwischen dem „Einstecken“ und dem „Eindrehen“ vornimmt, verdeutlichen, dass zur Verwirklichung der erfindungsgemäßen Lehre eine Kombination dieser beiden Vorgänge notwendig ist. Das Einstecken muss zunächst in axialer Richtung erfolgen. Dieser Vorgang muss erkennbar abgeschlossen sein, bevor mit dem Verdrehen entlang der schräg gestellten Drehführung begonnen wird. - Demnach reicht es für ein klagepatentgemäßes Einstecken nicht aus, wenn allein zum Zwecke des Aneinanderführens der Eingriffsteile eine gewisse Führung des einsteckbaren Anschlussteils in Längsrichtung erfolgt, wie dies bei der Verwendung eines alleinigen Drehverschlusses der Fall ist. Denn bei der Verwendung eines Drehverschlusses kommt es schon wegen der Schrägstellung der Eingriffsteile bei dem Aufeinandertreffen der – klagepatentgemäß als Eingriffsteile bezeichneten – Innen- und Außengewinde zunächst zu einem „Ineinanderschieben“ der durch die Schrägstellung entstehenden Lücken, bevor ein „Ineinander Verdrehen“ durch die entsprechende Bewegung entlang der schräg gestellten Drehführung überhaupt erst möglich ist. Dieses anfängliche Ineinanderschieben, das der Nutzung eines jeden Drehverschlusses innewohnt, stellt noch kein „Einstecken“ im Sinne des Klagepatents dar. Anderenfalls würde dem vom Klagepatent geforderten „Einstecken“, das dem „Ineinander Verdrehen“ sowohl zeitlich als auch sachlich vorgelagert ist, kein eigener Sinngehalt zukommen.
- Daraus ergibt sich auch, dass die Eingriffsteile technisch-funktional der in Längsrichtung schräg gestellten Drehführung zugeordnet sind und nicht gleichzeitig Teil des einsteckbaren Anschlussteils bzw. der Steckaufnahme sein können. Zwar sieht auch das Klagepatent vor, dass Anschlussteil und Eingriffsteile des Zubehörteils bzw. die Steckaufnahme und Eingriffsteile der Kartusche jeweils Teil einer Verbindungskomponente sind; da aber funktional das „Einstecken“ von dem „Ineinander Drehen“ abzugrenzen ist, kann das von dem Klagepatent als „Rampen“ bezeichnete, für den Drehvorgang unerlässliche Gewinde nicht gleichzeitig als Anschlussteil bzw. Steckaufnahme dienen.
- c)
Aus einer Gegenüberstellung der klagepatentgemäßen Lehre mit dem in der Beschreibung des Klagepatents genannten, vorbekannten Stand der Technik ergibt sich ebenfalls, dass der Vorgang des „Einsteckens“ technisch-funktional von dem des „Verdrehens“ getrennt werden muss und damit einen eigenen Bedeutungsgehalt hat. Dieser Gehalt wird vor allem im Hinblick auf die in Absatz [0004] genannte Druckschrift WO 2008/XXX XXX (Anlage FIN 4, in deutscher Übersetzung Anlage FIN 4a) deutlich. - Die WO 2008/XXX XXX offenbart eine Abgabebaugruppe mit abnehmbar angebauten Zubehörteilen. Auf Seite 2, Zeile 1 ff. wird das Ziel der offenbarten Lehre unter anderem dahingehend beschrieben, „eine Abgabebaugruppe bereitzustellen, die eine Kartusche […] aufweist, wo die Zubehörteile […] einfach anbaubar und abnehmbar sind […]“. Aus den Zeilen 11 ff. ergibt sich ferner, dass eine Abgabebaugruppe bereitgestellt werden soll, „bei der sichergestellt ist, dass die Zubehörteile in der korrekten Orientierung angebaut werden“. Nach der dort in Anspruch 1 genannten Lehre weisen die Kartusche oder Spritze einerseits und die Zubehörteile andererseits jeweils einen Befestigungsbereich auf, wobei diese „auf solche Weise komplementär gestaltet sind, dass die Zubehörteile durch Aufstecken, ohne eine Verdrehbewegung, an der Kartusche oder Spritze anbaubar“ sind. Das bedeutet, dass hier durch das bloße Aufstecken eine derartig feste Verbindung hergestellt wird, dass ein weiteres Verdrehen nicht mehr notwendig ist.
- Die Klagepatentbeschreibung nimmt in Absatz [0004] auf eben diesen, in der WO 2008/XXX XXX beschriebenen Vorgang Bezug und gibt diesen insofern wieder, als dass es heißt, dass die Einlässe des Zubehörteils in die Auslässe der Kartusche „einsteckbar“ seien und dazu das Zubehörteil in axialer Richtung auf die Kartusche „aufgesteckt“ werde. Es ist davon auszugehen, dass dem Begriff „einsteckbar“ im Rahmen des Klagepatentanspruchs der gleiche Bedeutungsgehalt zukommt und auch an dieser Stelle das Herstellen einer festen Verbindung meint.
- d)
Auch im Übrigen bestätigt die Klagepatentbeschreibung eine Auslegung des Merkmals „Einstecken“, bei dem diesem ein eigener, über das Eindrehen – oder auch nur das Ansetzen zum Eindrehen – hinausgehender Bedeutungsgehalt zukommt. - Absatz [0029] beschreibt die zweite Verbindungskomponente dahingehend, dass diese zum einen eine kreisförmig gekrümmte Innenwandung aufweisen soll, die der Zylinderform des Anschlussteils entspricht, und die dabei entstehenden Lücken zwischen den Backen den Umfangsabschnitten der Eingriffsstege am Mischer entsprechen sollen. Dadurch, so Absatz [0033], sei „eine längsaxiale Steckführungsfläche für das Einstecken der Verbindungskomponente 11 gewährleistet“.
- Zudem wird in Absatz [0032] ein sogenannter Absatz beschrieben, der aus einer Steckführungsfläche und einem Steckanschlag für die Eingriffsstege an dem Anschlussteil gebildet ist. Dieser Steckanschlag soll nach Absatz [0034] beim Zusammenstecken der Verbindungskomponenten gewährleisten, dass die Eingriffsstege in die für den Benutzer vorgesehene Verdrehposition gelangen.
- Die Patentbeschreibung spezifiziert damit den Einsteckvorgang dahingehend, dass dieser einerseits entlang einer axialen Steckführungsfläche geschehen soll. Darüber hinaus soll der Steckanschlag dazu führen, dass sich die Verbindungskomponenten am Ende des Steckvorgangs in einer Position befinden, in welcher der Eindrehvorgang begonnen werden kann, ohne dass eine weitere manuelle Positionierung notwendig ist.
- Auch wenn die Beschreibung den in Unteranspruch 11 näher beschriebenen Einsteckvorgang erläutert und sich diese Anforderungen nicht vollumfänglich aus dem Wortlaut des Klagepatentanspruchs 1 ergeben, macht die in Merkmal 4.2 gewählte Wortwahl des „in Längsrichtung“ einsteckbaren Anschlussteils deutlich, dass zur Umsetzung der erfindungsgemäßen Lehre zumindest eine längsaxiale Steckführungsfläche vorhanden sein muss, damit ein von dem Drehvorgang abgrenzbarer Einsteckvorgang vollzogen werden kann.
- Dass mit dem Einstecken und der damit verbundenen Positionierung ein Vorteil erreicht wird, den sich auch das Klagepatent zur Aufgabe macht, ergibt sich zudem aus einer Zusammenschau der Aufgabe des Klagepatents mit der Beschreibung der in Absatz [0003] genannten EP 1 XXX XXX A1, die eine „eindeutig reproduzierbare und somit besonders zuverlässige Verbindung“ bereitstellt. Dort wird eine derartig vorteilhafte Verbindung durch die Kombination aus einem Drehverschluss und Codierungsmitteln erreicht. Um diese Vorteile auch mit der klagepatentgemäßen Lehre beizubehalten, wie Absatz [0006] dies vorsieht, reicht es nicht aus, wenn ein Anschlussteil nur in eine Steckaufnahme eintaucht, um den Verdrehvorgang beginnen zu können. Vielmehr müssen mit dem Einstecken einander angeglichene Bauteile zusammengefügt werden, so dass ein gewisser Formschluss entsteht.
- Der dem Begriff des „Einsteckens“ zukommende Bedeutungsgehalt wird ferner durch das Merkmal 3 und in Absatz [0028] deutlich, der die Kartuschenauslässe als zu den Mischereinlässen komplementär beschreibt, so dass jeweils ein Einlass in einen Auslass „steckbar“ sei. Zusammen mit der leicht konischen Ausbildung der Ein-, bzw. Auslässe würden beim An- und Abziehen des Mischers „recht hohe Reibungs- bzw. Haftkräfte“ entstehen. Dies ist auch notwendig, damit eine dichte Verbindung zwischen Kartusche und Mischer entsteht, die das Hinausquellen der in der Kartusche befindlichen Materialien bei der Benutzung verhindert. Auch dies macht deutlich, dass ein Einstecken über das reine Eintauchen hinausgeht und mit der Entstehung von Reibungskräften verbunden ist. Denn hier ist davon auszugehen, dass gleichen Begriffen auch die gleiche Bedeutung zukommt. Ein unterschiedliches Verständnis kommt nur dann in Betracht, wenn die Auslegung des Patentanspruchs in seiner Gesamtheit unter Berücksichtigung der Beschreibung und der Zeichnungen ein solches Verständnis ergibt (BGH, Urt. v. 5.10.2016 – X ZR 21/15, in GRUR 2017, 152, 154 – Zungenbett). Dafür gibt es im Streitfall keine Anhaltspunkte.
- e)
Diese Auslegung des Klagepatents wird durch die Entscheidungsgründe des Europäischen Patentamts im Einspruchsverfahren und die Ausführungen des Bundespatentgerichts im seinem qualifizierten Hinweis im Nichtigkeitsverfahren bestätigt. Der Auslegung durch das Europäische Patentamt in einer zurückweisenden Entscheidung kommt zwar keine Bindungswirkung für das Verletzungsgericht zu, die Meinung des Europäischen Patentamts hat jedoch die Bedeutung einer gewichtigen sachverständigen Stellungnahme (BGH GRUR 1998, 895, 896 – Regenbecken). Gleiches muss für den Hinweis des Bundespatentgerichts im Nichtigkeitsverfahren gelten. - Die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts fordert im Rahmen der Auslegung des Begriffs der „Steckaufnahme“, dass eine „einigermaßen feste Verbindung zustande“ kommt. In ihrer Entscheidung vom 27.01.2017 heißt es auf S. 4 (siehe Anlage FIN 5):
- „Es ist unstrittig, dass die Dokumente E1, E2, E5 und E6 eine Verschraubung statt einer „Steckaufnahme“ zeigen. Die Einspruchsabteilung kann in einer Gewindeverbindung keine „Steckaufnahme“. erkennen, so dass der Gegenstand van Anspruch 1 wie erteilt neu ist gegenüber den Dokumenten E1, E2, E5 und E6.
- Zwar ist richtig, wie der Einsprechende angibt, dass eine Verbindung mittels Gewinde im Normalfall erst ein Ansetzen z.B. des Schraubenteils auf das Mutterteil erfordert. Nach gängigen Erklärungswörterbüchern bzw. nach allgemeinem Verständnis erfordert das „Stecken“ oder „Einstecken“ jedoch durchaus, dass eine einigermaßen feste Verbindung zustande kommt. An den Begriff „Steckaufnahme“ können sogar noch höhere Anforderungen gestellt werden. Im Gegensatz hierzu erfolgt bei einem Gewinde die Befestigung nicht durch Stecken, sondern durch die lnteraktion der Gewindegänge. Entsprechend kann auch die Berührung der beiderseitigen, kurzen Anfasung an Schraube und Mutter weder als „Aufnahme“ noch als Steckverbindung bezeichnet werden.“
- Die Einspruchsabteilung stellt klar, dass bei einem Gewinde die Befestigung durch eine Interaktion der Gewindegänge zu Stande kommt und die bei der von ihr als „Anfasung“ bezeichneten Anbahnung der Interaktion stattfindenden Berührung noch kein „Stecken“ oder „Einstecken“ im Sinne der erfindungsgemäßen Lehre ist. Sie geht erkennbar davon aus, dass der Begriff der Steckaufnahme räumlich-körperlich über einen bloßen Gewindeansatz hinausgeht.
- Auch die Beschwerdekammer stellt in ihrer Mitteilung unter dem Aktenzeichen T0828/17 auf Seite 10 die Begrifflichkeiten der „Steckaufnahme“, der „schräg gestellten Drehführung“ und der „Bewegungsabfolge“ wie folgt klar (Anlage FIN 6):
- „Begriff „Steckaufnahme“
Aus der Gesamtoffenbarung des Streitpatents geht hervor, dass durch die Steckaufnahme eine Längsführung des Anschlussteils in der Steckaufnahme hergestellt wird, siehe insbesondere Beschreibungsabsätze [0029] und [0033]. - Begriff „schräg gestellte Drehführung“
Unter einer „schräg gestellten Führung“ versteht der Fachmann, dass die Eingriffsteile in der Steckaufnahme und die Eingriffsteile am Anschlussteil so zusammenwirken, dass das Anschlussteil einer rein axialen Bewegung gegenüber der Steckaufnahme in beiden axialen Richtungen und an einer reinen Drehbewegung in beiden Richtungen behindert ist. Somit ist eine Zwangskopplung zwischen Drehung und axialer Bewegung ein wesentliches Merkmal des Anspruchs 1. - Begriff „Bewegungsabfolge“
Anspruch 1 definiert in Merkmal 1.5.1 eine bestimmte Bewegungsabfolge: Zuerst wird das Anschlussteil in die Aufnahme eingesteckt. Erst danach werden das Anschlussteil und die Steckaufnahme in der schräg gestellten Drehführung gegeneinander verdreht, um das Zubehörteil zwangsläufig an die Kartusche heranzuführen.“ - Die Beschwerdekammer verdeutlicht damit zum einen, dass sich die Steckaufnahme durch ihre Längsführung auszeichnet und zum anderen die Zwangskopplung von Drehung und axialer Bewegung wesentlich für die erfindungsgemäße Lehre ist. Sie zitiert zwar zur Begründung ihrer Auslegung für den Begriff der Steckaufnahme Textstellen, die das Ausführungsbeispiel des Klagepatents betreffen und daher grundsätzlich nicht geeignet sind, eine einschränkende Auslegung des Klagepatents zu begründen. In der Beschwerdeentscheidung selbst macht sie aber deutlich, dass jedenfalls dem Beginn eines Schraubgewindes ohne Versatz zur freien Kante der Begrenzungswand jegliche Basis für das Entstehen einer Steckverbindung fehlt; ein direktes Einschrauben wird nicht als Einstecken angesehen (Ziffer 3.1.1 und 3.1.4 der Anlage FIN 7). Der Umstand, dass das Anschlussteil – wie bei jedem Gewinde – bis zur Höhe des ersten Gewindegangs eingesteckt werden kann, begründet demnach – unabhängig davon, in welchem Umfang man eine Längsführung fordert – jedenfalls keine Steckaufnahme.
- Ähnlich hat sich auch das Bundespatentgericht in seinem qualifizierten Hinweis vom 30.11.2022 verhalten, in welchem es hinsichtlich der Steckverbindung ausführt:
- „Der Begriff der Steckverbindung ist im Streitpatent nicht explizit genannt, die Elemente „Steckaufnahme“ sowie einem ,,… in Längsrichtung darin einsteckbares Anschlussteil:..“ implizieren nach derzeitiger Ansicht des Senats jedoch zumindest ein nennenswertes axiales Eintauchen ineinander sowie eine gewisse radiale Führung und Stabilität dieser (Steck-) Verbindung. Ein Ansetzen einer Schraubverbindung ist jedenfalls kein „Einstecken“ im Sinne des Streitpatents, wie es die Klägerin mit Bezug auf den Stand der Technik zum Teil sehen möchte.“
- Mit seinen vorläufigen Ausführungen stellt auch das Bundespatentgericht insofern klar, dass ein Ansetzen zu einer Schraubverbindung für sich weder ein „nennenswertes axiales Eintauchen“ darstellt, noch eine „gewisse radiale Führung und Stabilität dieser (Steck-) Verbindung“ bietet. Auch das Bundespatentgericht bestätigt damit, dass es sich bei dem „Einstecken“ und dem „Ineinander Verdrehen“ um zwei voneinander zu trennende Vorgänge handelt. Dabei rekurriert das Bundespatentgericht, anders als die Beschwerdekammer beim Europäischen Patentamt, nicht auf das Ausführungsbeispiel des Klagepatents, sondern entnimmt die Auslegung dem fachmännischen Verständnis vom Begriff einer Steckaufnahme („Der Begriff (…), die Elemente ‚Steckaufnahme‘ sowie (…) ‚Anschlussteil‘ implizieren“).
- Auch wenn die Ausführungen der Einspruchsabteilung und des Bundespatentgerichts nicht bindend sind, bestätigen sie in nachvollziehbarer Weise die hier vorgenommene Auslegung. Dies gilt insbesondere für den qualifizierten Hinweis des Bundespatentgerichts, das sich bei seiner Auslegung am Wortlaut des Klagepatentanspruchs orientiert.
- 2.
Aus dem Wortlaut des Klagepatents unter Berücksichtigung der Beschreibung ergibt sich, dass zur Verwirklichung der erfindungsgemäßen Lehre ein einsteckbares Anschlussteil vorhanden sein muss, das in Längsrichtung in eine Steckaufnahme eingesteckt wird. Der Wortlaut stellt in diesem Zusammenhang keine besonderen Anforderungen daran, welche Reibungskräfte beim Einstecken entstehen müssen oder wie fest die dadurch geschaffene Verbindung sein muss. Der Wortlaut ist jedoch eindeutig dahingehend, dass es sich beim Einstecken um einen sachlich und zeitlich vorgelagerten Vorgang handeln muss, dem das „Ineinander Verdrehen“ mittels erster und zweiter Eingriffsteile nachgelagert ist. Diese vom Klagepatent vorgegebene Trennung hat zur Folge, dass die ersten und zweiten Eingriffsteile, die zu einer in Längsrichtung schräg gestellten Drehführung gehören, nicht gleichzeitig den einsteckbaren Anschlussteil und die Steckaufnahme darstellen können. Zwar gehören jeweils ein Eingriffsteil gemeinsam mit dem einsteckbaren Anschlussteil bzw. der Steckaufnahme zu jeweils einer Verbindungskomponente; aber es muss eine technisch-funktionale Zuordnung einerseits zu dem in Längsrichtung durchgeführten Einsteckvorgang und der Drehführung andererseits möglich sein. Denn das Klagepatent gibt einen ganz bestimmten Aufbau vor, der die Bereitstellung von technisch-funktionalen Elementen – dem einsteckbaren Anschlussteil und der Steckaufnahme einerseits und der den zu der Drehführung zugehörigen Eingriffsteilen andererseits – beinhaltet, und nicht nur eine Funktion beschreibt. Merkmale und Begriffe des Patentanspruchs sind zwar regelmäßig so zu deuten, wie dies angesichts der ihnen nach dem offenbarten Erfindungsgedanken zugedachten technischen Funktion angemessen ist (vgl. BGH, GRUR 1999, 909 – Spannschraube; GRUR 2009, 655 – Trägerplatte). Die gebotene funktionale Betrachtung darf bei räumlich-körperlich definierten Merkmalen aber nicht dazu führen, dass ihr Inhalt auf die bloße Funktion reduziert und das Merkmal in einem Sinne interpretiert wird, der mit der räumlich-körperlichen Ausgestaltung, wie sie dem Merkmal eigen ist, nicht mehr in Übereinstimmung steht (vgl. BGH, GRUR 2016, 921 Rn. 30 ff. – Pemetrexed; OLG Düsseldorf, Urt. v. 09.06.2022 – I-15 U 67/17, GRUR-RS 2022, 16207 Rn. 70 – Blasenkatheter-Set II; Urt. v. 23.09.2021 – I-15 U 29/20; Urt. v. 11.03.2021 – I-15 U 87/19, GRUR-RS 2021, 14804 Rn. 49 – Abstandsgewirk; Urt. v. 19.09.2019 – 15 U 36/15, GRUR-RS 2019, 44914 Rn. 44 – Türbandscharnier; Urt. v. 28.05.2015 – I-15 U 109/14, BeckRS 2015, 16125 Rn. 65 – Mikrometer; Urt. v. 14.08.2014 – I-15 U 15/14, GRUR-RS 2014, 21710 – Stimmventil; Urt. v. 09.06.2022 – I-15 U 67/17; GRUR-RR 2014, 185, 188 – WC-Sitzgelenk; Urt. v. 26.11.2020 – 2 U 65/19, GRUR-RS 2020, 37856 Rn. 69 – Trägerplatte). Demzufolge können die Teile der Verbindungskomponente, die technisch-funktional zur Ausführung des Drehvorgangs zwingend notwendig sind, nicht gleichzeitig dem einsteckbaren Anschlussteil oder der Steckaufnahme zugeordnet werden. - Insofern kann jedenfalls ein bei der „Anfasung“ des Drehvorgangs technisch notwendiges Eintauchen des ersten, an dem Zubehörteil befindlichen Eingriffsteils in das zweite, an der Kartusche befindliche Eingriffsteil kein „Einstecken“ sein.
- III.
Die angegriffene Ausführungsform 1 verwirklicht die klagepatentgemäße Lehre, insbesondere die Merkmalsgruppe 4, nicht. - Die angegriffene Ausführungsform 1 setzt sich aus einer Kartusche mit zwei Auslässen und einem Zubehörteil mit dazu komplementären Einlässen zusammen. Das Zubehörteil weist jeweils an der Kartusche und dem Zubehörteil eine erste und eine zweite Verbindungskomponente auf. Die Verbindungskomponenten wiederum bestehen aus ersten und zweiten Eingriffsteilen – vorliegend jeweils einem Gewinde – die zu einer in Längsrichtung schräg gestellten Drehführung gehören. Über das Gewinde sind die durch die Eingriffsteile gebildeten Komponenten der Verbindungsabschnitte ineinander verdrehbar, so dass durch ein „Zudrehen“, also einem Herstellen der Verbindung, das Zubehörteil zwangsläufig an die Kartusche herangeführt wird und durch ein „Abdrehen“, also dem Lösen der Verbindung, ein zwangsläufiges Abheben des Zubehörteils von der Kartusche erfolgt.
- 1.
Die angegriffene Ausführungsform 1 weist weder einen einsteckbaren Anschlussteil, noch eine Steckaufnahme auf. Denn das an dem Kragen des Mischers befindliche Außengewinde stellt ebenso wenig einen einsteckbaren Anschlussteil dar, wie in dem Innengewinde der Kartusche eine Steckaufnahme gesehen werden kann. - Das an den beiden Teilen befindliche Gewinde dient allein dem Zweck, ein „Ineinander Verdrehen“ zu ermöglichen. Darin erschöpft sich die technische Funktion. Dies wird bereits dadurch deutlich, dass das Gewinde sowohl an der Kartusche als auch an dem Zubehörteil durchgängig ist und bis an das obere Ende des Kartuschenkragens reicht. Sofern das Zubehörteil ein Stück in die Kartusche eintaucht, bevor zu dem eigentlichen „Ineinander Verdrehen“ angesetzt werden kann, stellt dies eine technische Unvermeidbarkeit dar. Denn ein „Ineinander Verdrehen“ mittels Drehverschlusses setzt ein Gewinde voraus, das naturgemäß aus einem schräg gestellten Gewindegang – vom Klagepatent auch als „Eingriffsteile“ oder im Rahmen der Beschreibung als „Eingriffsstege“ bezeichnet – besteht. Aus der Schrägstellung folgt, dass auf beiden Seiten – der Kartusche und dem Zubehörteil – Lücken sind, was dazu führt, dass Kartusche und Zubehörteil ein Stück weit ineinander eintauchen können, bevor zum eigentlichen Drehvorgang angesetzt werden kann. Diese Eigenheit wohnt jedem Schraubverschluss inne und stellt damit eine technische Notwendigkeit zur Umsetzung eines „Ineinander Verdrehens“ dar.
- Da der Gewindegang allein die erfindungsgemäß geforderten Eingriffsteile umsetzt, stellt er darüber hinaus keinen einsteckbaren Anschlussteil oder eine Steckaufnahme dar.
- Die Funktion eines vor dem „Ineinander Verdrehen“ stattfindenden „Einsteckens“ übernimmt bei der angegriffenen Ausführungsform 1 die im Inneren der Kartusche vorhandene Steckaufnahme, in die der (rote oder blaue) Steckvorsprung hineinragt, bevor der ringförmige Kragen der Kartusche von dem Gehäuse des Mischers berührt wird. Der Steckvorsprung ist jedoch als separates Bauteil ausgebildet und übernimmt dabei nicht – wie klagepatentgemäß gefordert und insofern zwischen den Parteien unstreitig – zusätzlich die Funktion eines zweiten Eingriffsteils einer in Längsrichtung schräg gestellten Drehführung.
- 2.
Mangels Vorliegens einer Steckaufnahme und eines in Längsrichtung darin einsteckbaren Anschlussteils fehlt es an der Verwirklichung der Merkmale 4.1 und 4.2. Auch Merkmal 4.3 ist nicht verwirklicht, weil es an der darin genannten Steckaufnahme fehlt. Zudem fehlt es an dem in Merkmal 4.3.1 genannten „Einstecken des Anschlussteils in die Steckaufnahme“. - 3.
Aus den unter Ziffer 2. genannten Gründen scheidet auch eine mittelbare Patentverletzung durch Angebot und Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform 2 aus. - B
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. - Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 1 und 2 ZPO.
- Der Streitwert wird gemäß §§ 51 Abs. 1 GKG auf 1.000.000,00 Euro festgesetzt, wovon 100.000,00 Euro auf den Antrag auf Feststellung der Schadensersatzpflicht entfallen.