4c O 48/21 – Glatirameracetat

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3256

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 29.September 2022, Az. 4c O 48/21

  1. I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Schadensersatz in Höhe von 5.177.826 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz sei dem 17. September 2021 zu zahlen.
  2. II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen weiteren Schaden zu ersetzen, der dieser bzw. der A GmbH ab Oktober 2020 in Deutschland aus der Vollziehung der unberechtigten einstweiligen Verfügung 4c O 22/19 entstanden ist bzw. zukünftig noch entstehen wird.
  3. III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  4. IV. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 70 % und die Beklagte zu 30 %.
  5. V. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
  6. Tatbestand
  7. Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung von Schadensersatz aufgrund unberechtigter Vollziehung einer einstweiligen Verfügung bzw. eine dahingehende Feststellung sowie die weitere Feststellung, dass die Beklagte zur Herausgabe von Vollstreckergewinn verpflichtet ist. Um diesen Anspruch beziffern zu können, begehrt sie zudem Auskunftserteilung.
  8. Die Beklagte war Inhaberin des Europäischen Patents EP 2 XXX XXX (im Folgenden: „Verfügungspatent“ bzw. „EP‘XXX“), welches eine niedrigfrequente Glatirameracetattherapie betraf. Am 14. Juni 2019 erwirkte sie daraus vor der Kammer eine einstweilige Urteilsverfügung (Az. 4c O 22/19), welche sie am 26. Juni 2019 nach Hinterlegung einer Bankbürgschaft (vgl. Anlage BB1) vollzog. Inhaltlich wurde der zum A-Konzern gehörenden und Arzneimittel herstellenden und vertreibenden Klägerin mit dem Kammerurteil das Anbieten und Vertreiben ihres Glatirameracetat („GA“)-Produktes mit der Bezeichnung „XXX“ (im Folgenden auch: angegriffene Ausführungsform) untersagt. Diese Entscheidung wurde vom OLG Düsseldorf im September 2019 bestätigt (Az. I-2 U 28/19). Zur Zeit der Kammerentscheidung lag eine Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 28. März 2019 vor, mit welcher das Verfügungspatent eingeschränkt – wie im Ausgangsverfahren 4c O 22/19 geltend gemacht – aufrechterhalten wurde.
  9. Die angegriffene Ausführungsform ist ein sog. Hybrides Produkt, das nur teilweise auf dem Referenzprodukt XXX der Beklagten und im Übrigen auf eigenen Entwicklungen und Tests beruht. Zum Wirksamkeitsnachweis waren daher nicht nur Bioäquivalenzstudien ausreichend. Es wurde zudem eine klinische Vergleichsstudie (C) zwischen B und XXX, jeweils in der 20mg/ml Dosierung durchgeführt.
  10. Mit der Vollziehung der einstweiligen Verfügung stellte die Klägerin den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform ab Ende Juni 2019 ein. Im Oktober 2020 erfolgte deren Wiedereintritt in den Markt. Diesen nahm die A GmbH XXX (im Folgenden auch: D) als deutsche Schwestergesellschaft der Klägerin vor, weil die Klägerin ihren Geschäftsbetrieb ab dem 1. Februar 2020 an diese verpachtet hatte (vgl. Anlage BB 6).
  11. Mit Entscheidung vom 10. September 2020 widerrief die Technische Beschwerdekammer das Verfügungspatent. In dem schon auf den vorläufigen Hinweis der Technischen Beschwerdekammer vom 18. Mai 2020 vor der Kammer angestrengten Aufhebungsverfahren, gab die Beklagte ein Anerkenntnis ab und verzichtete auf den Unterlassungsanspruch. Den Vollstreckungstitel gab die Beklagte an die Klägerin heraus. Die Parteien erklärten das Aufhebungsverfahren übereinstimmend für erledigt.
  12. Bei der Beklagten handelt es sich um ein zum E-Konzern gehörendes und weltweit tätiges Unternehmen der Arzneimittelbranche mit Sitz in XXX. Im Jahr 2015 erfolgte für Europa die Marktzulassung ihres Produktes XXX® mit dem Wirkstoff Glatirameracetat zur Behandlung Multipler Sklerose in der 40-mg-Dosis. Schon zuvor war ein 20mg-Dosierung erhältlich.
    Zur Behandlung von Multipler Sklerose (MS) sind/waren vier Glatirameracetat-Produkte auf dem Markt verfügbar (Aufstellung der Klageschrift entnommen; Bl. 25 GA:
  13. Die Listung von B 40mg/ml in der XXX erfolgte im Dezember 2017, der Markteintritt erfolgte im Januar 2018. Bis Juni 2019 erlangte die angegriffene Ausführungsform einen Marktanteil von mindestens 11 %, nach Ansicht der Klägerin von rund 13 %.
  14. Neben dem Verfügungspatent verfügt der Unternehmenskonzern der Beklagten über weitere, zu derselben Patentfamilie gehörende parallele Schutzrechte, wie insbesondere das Europäische Patent EP 3 XXX XXX (im Folgenden auch: EP‘XXX; Anlage BB2) sowie das Europäische Patent EP 2 XXX XXX (im Folgenden auch: EP‘XXX; Anlage BB 4). Beide dieser Schutzrechte wurden von der Einspruchsabteilung des EPA am 6. bzw. 7. Dezember 2021 erstinstanzlich widerrufen. Gegen diese Entscheidungen wurde mit Schriftsätzen vom 1. bzw. 13. Juni 2022 Beschwerde eingelegt (Anlagen BB 17, BB 18).
  15. Die Klägerin meint, die Klage sei zulässig. Insbesondere hinsichtlich der Feststellungsanträge verfüge sie über das erforderliche Feststellungsinteresse. Der nachlaufende Schaden von Oktober 2020 bis Ende September 2022 sei derzeit noch nicht abschließend bezifferbar. Ihr sei daher gestattet, nur einen ersten Teilbetrag beziffert einzuklagen. Entsprechendes gelte für den Feststellungsantrag hinsichtlich des überschießenden Verletzergewinns. Es handele sich um einen noch nicht abgeschlossenen Vorgang und zudem sei die Klägerin für die Bezifferung dieses Antrags auf die im Wege der Auskunft begehrten Informationen der Beklagten angewiesen.
  16. Die Klage sei auch begründet. Die geltend gemachten Ansprüche seien vollumfänglich begründet und der Klägerin sei entgangener Gewinn sowie Ersatz von Kollateralschäden zu leisten.
  17. Der Anspruch sei nicht aufgrund unzureichender Bürgschaftserklärung der Beklagten ausgeschlossen. Die Parteien seien jedenfalls während der Vollziehung der einstweiligen Verfügung von der Wirksamkeit der geleisteten Sicherheit ausgegangen. Damit habe ein hinreichender Vollstreckungsdruck vorgelegen. Es sei mit dem Schutzzweck einer solchen Sicherheitsleistung nicht vereinbar, wenn sich der Vollziehungsgläubiger nachträglich auf deren Mangelhaftigkeit berufe.
  18. Auch sei die Klägerin nicht mit Blick auf die parallelen Schutzrechte zur Unterlassung verpflichtet gewesen. Unbeschadet dessen, dass das EP‘XXX und das EP‘XXX erstinstanzlich widerrufen worden seien, falle die Rechtsbestandsprognose auch nicht zu deren Gunsten aus. Dies ergebe sich aus einem Vergleich mit dem Rechtsbestandsverfahren zum Verfügungspatent, zu welchem die europäischen Patente sehr ähnlich seien.
  19. Die Klägerin meint, im Wege der Drittschadensliquidation Schäden der D geltend machen zu können. Insbesondere handele es sich um den gleichen Schaden, der verfolgt werde. Die Beklagte würde bessergestellt, wenn ein Ausgleich über die Drittschadensliquidation abgelehnt würde.
  20. Der relevante Referenzmarkt zur Bestimmung des Umsatzverlusts werde aus den drei GA 40mg/ml-Präparaten gebildet. Der Pen sei hierfür aus der Betrachtung zu lassen, da er nicht substituierbar mit den Fertigspritzen sei. Aber auch um andere etwa oral zu verabreichende Produkte oder solche in der 20mg/ml-Dosierung sei der Markt nicht zu erweitern.
  21. Im Bereich der gesetzlichen Krankenkassen (im Folgenden auch: GKV) sei eine Untergliederung in die drei Teilmärkte F, G und restliche GKV vorzunehmen.
    Bis zur Vollziehung der einstweiligen Verfügung habe der Marktanteil der angegriffenen Ausführungsform bei der F bei 16 % gelegen. Da für die Zeit von Juni 2019 bis Mai 2021 ein Rabattvertrag zwischen der F und H zustande gekommen sei, hätte die angegriffene Ausführungsform nur noch mittels nec aut idem Verordnungen abgegeben werden können. Deren Anteil habe im Juni 2019 bei 2 % aller Verschreibungen gelegen und wäre bis Ende September 2020 bis auf 4 % angestiegen. Dies liege insbesondere darin begründet, dass B über ein Patientenunterstützungsprogramm verfüge. XXX verfüge auch über ein solches und deren Marktanteil sei während der Dauer des Rabattvertrages gestiegen. Diese Tendenz wäre daher auch bei der Klägerin zu verzeichnen gewesen.
  22. Zwischen der G und der Klägerin sei, was unstreitig ist, für die Zeit von April 2019 bis September 2020 ein Rabattvertrag zustande gekommen. Dieser sei von der G aufgrund der ergangenen einstweiligen Verfügung vorzeitig mit Wirkung zum 14. Juli 2019 gekündigt worden. Zu Vertragsbeginn sei der Marktanteil von 8 auf 40% angestiegen; bis zum Vertragsende sei mit einem regelmäßig aufgrund von Rabattverträgen erzielten Marktanteil von 72 % zu rechnen gewesen.
  23. Für die übrigen GKVen sei ein hypothetischer Marktanteil von ca. 25 % anzusetzen. Es habe keinerlei Rabattvertrag bestanden. Zudem komme der angegriffenen Ausführungsform ein Preisvorteil von 23 % bis 34 % zu; Ärzte seien insoweit zu zweckmäßigen und wirtschaftlichen Verordnungen angehalten.
  24. Der Marktanteil in den privaten Krankenkassen (PKV) belaufe sich auf 6 %, was demjenigen Marktanteil bis Ende Juni 2019 entsprechen; dieser wäre zumindest beibehalten worden.
  25. Insgesamt wären 14.261 Packungen mit nachfolgender Aufteilung abgesetzt worden:
    .
  26. Der Bruttopreis einer 12er Packung habe bis Ende Juni 2019 bei EUR 727,38 gelegen und für die 36er Packung bei EUR 2.182,15. Wegen Huziehender Großhandelsrabatte/Skonti sowie einem 6 %-igen Rabatt in der GKV hätten sich bis Ende September 2020 nachfolgende Nettopreise ergeben:
  27. Die so ermittelten Marktanteile seien um den „Pen-Effekt“ zu korrigieren. Sofern die Klägerin durchgängig am Markt tätig gewesen wäre, wäre eine Verschiebung der Marktanteile hin zum Pen langsamer erfolgt, weil sie erfolgreich GA 40mg/ml beworben hätte. Den Teilmärkten seien daher zugunsten der Klägerin ca. 5 % hinzuzurechnen:
  28. Nach Ansicht der Klägerin ergebe sich aus diesem Zahlenmaterial nachfolgende Schadensbemessung bis Ende September 2020 mit einem Gesamtnettoumsatzverlust von EUR 17.441.842:
  29. Hinzuzuaddieren sei die Korrektur aus dem Pen-Effekt:
  30. In Hug zu bringen seien ersparte Produktionskosten, welche sich auf rund 39,74 % (EUR 6.931.388) belaufen würden. Davon würden 39 % (bzw. ein Mindestbetrag von EUR 5,50) auf den Einkaufspreis entfallen; 0,54 % auf Verpackungskosten sowie 0,2 % auf Transport-/Logistikkosten. Ersparte Marketing- und Vertriebskosten würden EUR 2.583.445 (Marketingausgaben: EUR 1.822.544; Vertriebskosten: EUR 760.891) betragen. Der entgangene Gewinn unter Berücksichtigung der Hugsposten belaufe sich auf EUR 7.927.009:
  31. Höchst hilfsweise stünden ihr als eigener Schaden verminderte Einnahmen, die nämlich an den durch die D erwirtschafteten Umsatz geknüpft seien, aus der Betriebsverpachtung zu.
  32. Die Klägerin behauptet ferner, ihr sei aufgrund zerstörter Ware zudem ein Kollateralschaden in Höhe von EUR 851.392 entstanden. Außerdem meint die Klägerin, ihr stehe ein Anspruch auf den seitens der Beklagten erwirtschafteten Gewinn zu, soweit dieser ihren eigenen entgangenen Gewinn übersteige.
  33. Der Rechtsstreit sei nicht auszusetzen. Es sei nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass sich die parallelen europäischen Patente als rechtsbeständig erweisen werden. Ebenso wenig bestehe Raum für ein Vorabentscheidungsersuchen zum EuGH hinsichtlich der Handhabe des § 945 ZPO.
  34. Ursprünglich hat die Klägerin hinsichtlich Ziff. 1 beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin Schadensersatz in Höhe von EUR 8.778.401 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit des Anspruchs zu zahlen. Nachdem die Klägerin die Klage um den Betrag der ersparten Kosten für Freight & Distribution in Höhe von EUR 328.491,51 zurückgenommen hat,
  35. beantragt die Klägerin nunmehr,
  36. 1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin Schadensersatz in Höhe von EUR 8.449.909,49 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit des Anspruchs zu zahlen;
  37. 2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen weiteren Schaden zu ersetzen, der dieser bzw. der A GmbH ab Oktober 2020 in Deutschland aus der Vollziehung der unberechtigten einstweiligen Verfügung 4c O 22/19 entstanden ist bzw. zukünftig noch entstehen wird;
  38. 3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin denjenigen Gewinn herausgeben, den sie (die Beklagte) bzw. die E GmbH infolge der Vollstreckung der einstweiligen Verfügung vom 14. Juni 2019 (Az.: 4c O 22/19) erzielt hat, soweit dieser den nach den Antragen zu 1 und 2 zu ersetzenden Schaden übersteigt;
  39. 4. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) bzw. die E GmbH seit dem 30. Juni 2018 die Produkte „XXX“ und „XXX“ in Verkehr gebracht haben, und zwar unter Angabe:
  40. a. der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,
    b. der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
    c. der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns.
  41. Die Beklagte beantragt,
    die Klage Huweisen;

    hilfsweise: den Rechtsstreit auszusetzen;

  42. weiter hilfsweise: den Rechtsstreit bis zur Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV auszusetzen.
  43. Sie ist der Auffassung, dass die Klage schon unzulässig sei. Der Klägerin fehle hinsichtlich der Feststellungsanträge bereits das Feststellungsinteresse. Immerhin sei es der Klägerin auch möglich, andere Schäden schon jetzt zu beziffern.
  44. Zudem bestehe eine Haftung der Beklagten dem Grunde nach nicht. Ein Schadensersatzanspruch bestehe schon nicht, weil die einstweilige Verfügung seinerzeit nicht wirksam vollzogen und damit kraft Gesetzes wirkungslos geworden sei. Die erbrachte Sicherheitsleistung sei nur unzureichend gewesen. Da zugunsten des Unternehmenskonzerns der Beklagten weitere Patentrechte in Kraft stünden, welche ebenfalls Glatiramerazetat beträfen, dürfe die Klägerin ohnehin aus normativen Gründen und unabhängig vom Verfügungspatent die angegriffene Ausführungsform nicht vertreiben. Diese europäischen Patente würden sich im Beschwerdeverfahren als rechtsbeständig erweisen. Auch deshalb müsse ein Schadensersatzanspruch ausscheiden.

    Für die Zeit ab dem 1. Februar 2020 könne die Klägerin auch im Wege der Drittschadensliquidation keine Schäden mehr geltend machen. Dieser Liquidationsweg sei im Rahmen des § 945 ZPO nicht anwendbar. Ferner lägen dessen Voraussetzungen nicht vor. Es handele sich um eine bewusste und nicht um eine zufällige Schadensverlagerung, weil der Geschäftsübergang willentlich und vor allem nach Beginn der Vollziehung herbeigeführt worden sei.

  45. Ein erstattungsfähiger Zeitraum liege daher allenfalls vom 27. Juni 2019 bis zum 31. Januar 2020 vor. Hilfsweise könne der Zeitraum bis zum 10. September 2020 erstreckt werden, als dem Tag, an dem die Beschwerdekammer das Verfügungspatent widerrufen habe. Weiter hilfsweise würde der Schadensersatzzeitraum jedenfalls am 17. Februar 2021 enden. Denn zum 17. Februar 2021 sei die angegriffene Ausführungsform in die Therapieleitlinie „XXX“ aufgenommen worden. Eine solche Listung führe in der Regel zu einem Erfolg des Medikaments. Ein etwaiger Misserfolg liege nicht mehr in der Vollziehung einer einstweiligen Verfügung begründet.
  46. Der Höhe nach seien die geltend gemachten Ansprüche übersetzt. Der relevante Referenzmarkt sei anhand aller MS-Therapiemöglichkeiten in der Erstlinienbehandlung zu bestimmen; insbesondere seien orale Behandlungsformen einzubeziehen. Orale Behandlungsformen seien ähnlich sicher wie Fertigspritzen und verfügten über eine sogar etwas höhere Wirksamkeit. Zudem müsse GA 20mg/ml in den Blick genommen werden. Es erschließe sich insoweit nicht, weshalb für GA 40mg/ml ein anderer Verlauf der Marktanteile zu erwarten gewesen sein sollte. Die Klägerin widerspreche sich hierzu, wenn sie auf hohe Switch-Raten zwischen unterschiedlichen MS-Präparaten verweise, aber gleichwohl für sich einen wachsenden Marktanteil herleiten wolle.
  47. Hinsichtlich des Teilmarkts der G wäre der Marktanteil der angegriffenen Ausführungsform höchstens bei 40 % verblieben, mithin auf dem Niveau, wo er sich nach Beginn des Rabattvertrages bewegt habe. Anhaltspunkte für eine Steigerung bis hin zu 72 % seien nicht erkennbar, zumal andere Produkte im selben Zeitraum erfolgreicher gewesen seien.
  48. Die für den Teilmarkt der F angenommene Bestimmung der steigenden nec aut idem-Verschreibungen sei für die angegriffene Ausführungsform nicht stichhaltig. Eine solche Bewegung könne allenfalls zugunsten eines Originalpräparats zu erwarten sein, nicht jedoch für ein anderes hybrides/generisches Produkt.
  49. Der erwartete Marktanteil an den übrigen GKVen sei nicht nachvollziehbar. Allein der Preisvorteil könne diesen nicht begründen, da insbesondere auch bei Ärzten gewonnenes Vertrauen in XXX-Präparate zu berücksichtigen sei.
  50. Gegen die angenommenen Marktanteile spreche ferner, dass nach der gutachterlichen Stellungnahme von Prof. XXX (Anlage BB 12) in der GA-Behandlung die angegriffene Ausführungsform eine zunehmend untergeordnete Rolle spiele. Die GA-Behandlungen seien von hoher Konstanz geprägt; Patienten würden nicht von XXX auf B zurückwechseln. Dies liege auch in dem Charakter der angegriffenen Ausführungsform als Non-Biological Complex Drug (NBCD) begründet.
  51. Zugunsten des XXX Pen verschobene Marktanteile seien nicht dem Segment GA 40mg/ml hinzuzurechnen. Es sei auch nicht zu erkennen, wie die Klägerin diesen Prozentsatz ermittelt habe.
  52. Die Beklagte erklärt sich hinsichtlich des geltend gemachten Kostenanteils mit Nichtwissen. Aus Geschäftsberichten der I zum gesamten Produktportfolio ergebe sich nämlich ein Materialaufwand von rund 53,6%.
  53. Die Klägerin gehe zudem von einem gleichbleibenden Preis der angegriffenen Ausführungsform aus, obwohl tatsächlich aber mit einer Preissenkung zu rechnen sei. Außerdem seien wesentliche Kostenpunkte wie Pharmakovigilanz und Patientenunterstützung nicht in Hug gebracht worden.
  54. Eigene gutachterliche Berechnungen der Beklagten kämen für den Zeitraum bis zum 31. Januar 2020 allenfalls auf einen Schaden von EUR 1.550.249. Wegen der genauen Berechnung wird auf S. 84 ff. des von der Beklagten vorgelegten Gutachtens (Anlage BB 16) Bezug genommen.
  55. Die Klägerin könne über Bereicherungsrecht nicht auch die Differenz zwischen einem Gewinn der Beklagten und ihrem entgangenen Gewinn verlangen. Eine solche Anspruchsgrundlage scheide neben § 945 ZPO aus. Hierfür seien auch keine Daten ab dem 30. Juni 2018, mithin schon vor der Vollziehung, erforderlich.
  56. Jedenfalls sei der Rechtsstreit im Hinblick auf die Rechtsbestandsverfahren der parallelen Patente auszusetzen. Außerdem sei die Streitigkeit als Vorabentscheidungsersuchen dem EuGH vorzulegen, um eine mit der Enforcement-Richtlinie vereinbare und flexiblere Anwendung des § 945 ZPO Huklären.
  57. Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
  58. Entscheidungsgründe
  59. Die Klage ist zulässig und im tenorierten Umfang begründet.
  60. A.
    Die Klage ist zulässig. Insbesondere liegt das hinsichtlich der Klageanträge zu 2. und 3. erforderliche Feststellungsinteresse vor.
  61. Gemäß § 256 ZPO kann auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis oder die Echtheit oder Unechtheit der Urkunde durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde.
  62. I.
    Diese Voraussetzung ist für den Klageantrag zu Ziff. 2 gegeben. Die Klägerin hat ein Feststellungsinteresse. Sie begehrt die Feststellung, dass ihr über den in Ziff. 1 hinausgehenden Betrag weiterer Schadensersatz dem Grunde nach zusteht, welchen sie derzeit aber noch nicht beziffern kann. Es handelt sich vorliegend nämlich um einen Sachverhalt, der sich in der Fortentwicklung befindet. Denn die Klägerin hat unwidersprochen behauptet, dass es seit auf dem Wiedereintritt der angegriffenen Ausführungsform in den Markt etwa 24 Monate dauern wird, bis derjenige Marktanteil erreicht sein wird, den die angegriffene Ausführungsform ohne die zwischenzeitliche Vollziehung gehabt hätte. Da sich dieser Zeitraum bis Ende September 2022 erstreckt, durfte die Klägerin ihren Klageantrag auch nur teilweise beziffern und war nicht gehalten, den gesamten inzwischen zurückliegenden Zeitraum schon im Wege der Leistungsklage geltend zu machen (vgl. Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, § 256, Rn. 7a).
  63. II.
    Entsprechendes gilt für den Feststellungsantrag der Ziff. 3. Hier kann die Klägerin vor allem deshalb zunächst die Feststellung begehren, da sie für eine etwaige Bezifferung eines Anspruchs auf Herausgabe des übersteigenden Vollstreckergewinns auf Angaben und Informationen der Beklagten angewiesen ist, über welche sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt.
  64. B.
    Die Klage ist hinsichtlich des Anspruchs auf Schadenersatz, der auf entgangenen Gewinn gerichtet ist, teilweise und im Hinblick auf die Erstattung von Kollateralschäden vollständig begründet. Die Ansprüche auf Herausgabe eines den entgangenen Gewinn übersteigenden Vollstreckergewinns einschließlich des diesen flankierenden Auskunftsanspruchs bestehen dagegen nicht.
  65. I.
    Die Klägerin hat gemäß § 945 1. Var. ZPO einen Anspruch auf Ersatz des ihr entstandenen Vollziehungsschadens.
  66. Nach dieser Vorschrift ist die Partei, welche die Anordnung erwirkt hat, verpflichtet, dem Gegner den Schaden zu ersetzen, der ihm aus der Vollziehung der angeordneten Maßregel entsteht, sofern sich die Anordnung eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung als von Anfang an ungerechtfertigt erweist.
  67. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
  68. 1.
    Die Nichtigerklärung eines Patents entspricht einer ungerechtfertigten Anordnung einer einstweiligen Verfügung, weil in diesem Fall zugunsten des Patentinhabers von Anfang an kein Unterlassungsanspruch bestand (vgl. BGH, NJW-RR 2006, 621 – Detektionseinrichtung II). Eine gleichwohl auf Grundlage einer solchen einstweiligen Verfügung angestrengte Vollziehung ist schadensersatzbegründend.
  69. a.
    Vorliegend hat sich die durch die Beklagte erwirkte einstweilige Verfügung (Az. 4c O 22/19) als von Anfang an ungerechtfertigt erwiesen, weil das Verfügungspatent durch die zuständige fachkundige Stelle vernichtet wurde. Dieser rechtliche Mangel haftete dem Schutzrecht von Anfang an. Das entsprechende Aufhebungsverfahren ist – nach Beendigung des Rechtsbestandsverfahrens – vor der Kammer geführt und rechtskräftig beendet worden. Die Beklagte hat auf den Unterlassungstitel verzichtet und den Titel an die hiesige Klägerin herausgegeben.
  70. b.
    Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gemäß § 945 ZPO ist nicht deshalb dem Grunde nach ausgeschlossen, weil die Beklagte zur Zeit der Vollziehung der einstweiligen Verfügung nicht ordnungsgemäß Sicherheit geleistet hat.
  71. Über § 927 ZPO ist die Nichtbeachtung der Vollziehungsfrist gemäß § 929 Abs. 2 ZPO ein tauglicher Aufhebungsgrund für eine einmal erlassene einstweilige Verfügung, weil bei Fristversäumnis der erforderliche Verfügungsgrund nicht mehr vorliegt (vgl. G. Vollkommer in: Zöller, a.a.O., § 927, Rn. 6). Dieser Konstellation unterfallen auch die Sachverhalte, in denen eine für die Vollziehung zu leistende Sicherheit nicht ordnungsgemäß erfolgt ist. Denn die Vollziehungsfrist von einem Monat ist nur dann eingehalten worden, wenn innerhalb dieser Zeit auch die Sicherheitsleistung ordnungsgemäß erbracht und dem Schuldner nachgewiesen worden ist. Für die Frage, ob eine hinreichende Sicherheitsleistung erbracht worden ist, ist insbesondere deren Umfang maßgeblich. Es müssen alle relevanten Haftungsszenarien abgedeckt sein (vgl. OLG Düsseldorf, GRUR 2020, 1126 – Vollziehungssicherheit).
  72. Vorliegend kommt es indes nicht darauf an, ob die von der Beklagten unter dem 21. Juni 2019 erbrachte Bankbürgschaft (Anlage BB1) tatsächlich alle notwendigen Haftungsfälle abgedeckt hätte. Der Aufhebungsgrund der diesem Rechtsstreit zugrunde liegenden einstweiligen Verfügung lag unstreitig schon nicht in deren nicht ordnungsgemäßer Vollziehung begründet, sondern in dem Wegfall des Verfügungsschutzrechts aufgrund rechtskräftiger Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer, wobei zwischenzeitlich selbst das Aufhebungsverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist. Die Ordnungsgemäßheit der Sicherheitsleistung wurde dabei nicht diskutiert. Die Parteien waren auch nicht zu einer Auseinandersetzung darüber veranlasst, ob Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der geleisteten Sicherheit hätten bestehen und diese gleichsam zu einer Aufhebung der einstweiligen Verfügung hätten führen müssen. Denn jedenfalls war für keine der Parteien eine etwaige Unwirksamkeit der Bürgschaft offenbar zu erkennen, was sie zum Ergreifen gerichtlicher Maßnahmen wie einem Antrag nach § 927 ZPO hätte veranlassen müssen. Insbesondere die Klägerin war nicht gehalten, gegen die erbrachte Sicherheitsleistung vorzugehen und ein darauf gestütztes Aufhebungsverfahren einzuleiten. Vielmehr haben beide Parteien die Vollziehung für wirksam gehalten, wie die Beklagte selbst in ihren außergerichtlichen Schreiben an die Klägerin zum Ausdruck gebracht hat (vgl. Anlage TW 21).
  73. Auch aus einer weiteren Erwägung heraus kann die Beklagte mit dem Vorbringen zur Ordnungsgemäßheit der Sicherheitsleistung und vor allem mit dem Vortrag, die Klägerin müsse sich ein versäumtes Vorgehen gegen die Bürgschaftserklärung im Schadensersatzverfahren entgegenhalten lassen, nicht gehört werden. Regelmäßig war der Beklagte des Verfahrens auf Erstattung des Vollziehungsschadens ursprünglich der Gläubiger des einstweiligen Verfügungsverfahrens und damit diejenige Partei, welche eine etwaige – im Ermessen des Gerichts stehende – Sicherheitsleistung zu erbringen hat, um die Vollziehung betreiben zu dürfen. In den Fällen, in denen (versehentlich und unwissentlich) eine unzureichende Sicherheitsleistung erbracht worden ist, unterliegt der Verfügungsgläubiger dem Risiko, der einstweiligen Verfügung deswegen verlustig zu werden. Daraus aber die Konsequenz zu ziehen, dass für den Verfügungsschuldner dann kein Schadensersatzanspruch bestehen kann, wenn er nicht zuvor die Ordnungsgemäßheit der Sicherheitsleistung hat überprüfen lassen, würde auf diesen unbilligerweise das Risiko der Wirksamkeit der Sicherheitsleistung abwälzen. Für eine solche Verlagerung besteht keinerlei rechtliche Rechtfertigung, zumal es auch trotz (unerkannt) fehlerhafter Sicherheit faktisch zu einer Vollziehung beim Schuldner gekommen sein kann, die zu Beeinträchtigungen seiner Rechtspositionen geführt haben kann.
  74. c.
    Der Schadensersatzanspruch ist dem Grunde nach schließlich nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerin aus anderen normativen Gründen zur Unterlassung verpflichtet gewesen wäre.
  75. aa.
    Einem Vollziehungsschuldner ist ein nach § 945 ZPO zu ersetzender Schaden nämlich dann nicht entstanden, wenn der durch die Vollziehung einer ungerechtfertigt ergangenen einstweiligen Verfügung Betroffene ohnehin materiell-rechtlich – etwa wegen eines anderweitigen Verstoßes gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen – verpflichtet gewesen wäre, das ihm durch die einstweilige Verfügung untersagte Verhalten zu unterlassen. In einem solchen Fall entfällt zwar nicht die Kausalität zwischen der Vollziehung der einstweiligen Verfügung und der Einstellung des darin untersagten Verhaltens, für die es allein auf die reale Ursache des haftungsbegründenden Ereignisses ohne Berücksichtigung von Ersatzursachen ankommt. Ein Ersatz der durch Vollziehung einer ungerechtfertigten einstweiligen Verfügung erlittenen Vermögenseinbuße scheidet aber aus normativen Gründen aus. Ein Betroffener soll im Wege des Schadensersatzes keine Kosten ersetzt bekommen, die ihm auch bei rechtskonformem Verhalten auf jeden Fall entstanden wären (vgl. BGH, NJW-RR 2016, 485 Rn. 15 – Piadina-Rückruf; Cepl/Voß, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, 2. Aufl., § 945, Rn. 9).
  76. bb.
    Diese Voraussetzungen vermag die Kammer vorliegend nicht festzustellen.
  77. Dabei kann es dahinstehen, ob die vorliegende Fallkonstellation, in der es um den Verstoß gegen parallele Patente geht, überhaupt gleichzusetzen ist mit den oben angeführten Beispielen betreffend anderweitige wettbewerbsrechtliche Verstöße. Bedenken an der Gleichbehandlung bestehen zumindest insoweit, als sich bei Wettbewerbsverstößen wie etwa nach dem UWG oder MarkenG bereits aus den allgemeingültigen Rechtsvorschriften die erforderlichen Anspruchsvoraussetzungen ergeben, anhand derer ein Benutzungsverhalten bewertet werden kann. Im Patentrecht folgen die konkreten Anforderungen dagegen erst aus einem in Streit stehenden Patentanspruch, wofür dessen gerichtliche Geltendmachung zwingend erforderlich ist – an welcher es vorliegend für die europäischen Patente fehlt. Ein Verletzungsgericht würde die Klägerin aus den Parallelpatenten hier aber jedenfalls nicht zur Unterlassung verurteilen.
  78. Die Beklagte verweist auf die zum Verfügungspatent parallelen Schutzrechte EP 3 XXX XXX und EP 2 XXX XXX, gegen welche die Klägerin mit der angegriffenen Ausführungsform gleichermaßen verstoße und es daher nicht darauf ankomme, ob die einstweilige Verfügung Bestand hatte. Dieser Bewertung vermag sich die Kammer nicht anzuschließen. In diesem Zusammenhang bedarf es keiner Aufklärung, ob die Patente „im Wesentlichen identisch“ mit dem ursprünglichen Verfügungspatent sind, da es jedenfalls so hinreichende Unterschiede gibt, die – das Verbot der Doppelpatentierung einhaltend – von den fachkundigen Stellen zur Erteilung der jeweiligen Schutzrechte geführt haben.
  79. (1)
    Die Ansprüche 1 der Europäischen Patente haben den nachfolgend wiedergegebenen, gegliederten Wortlaut:
  80. (a)
    Das EP‘XXX betrifft „Dosierungsschema für Multiple Sklerose“ und dessen Anspruch 1 lautet wie folgt:
  81. 1. Glatirameracetat zur Verwendung in der Behandlung eines menschlichen Patienten,
    a. der an einer schubförmigen Form von Multipler Sklerose leidet oder der einen ersten klinischen Schub erfahren hat und
    b. bestimmt wurde, dass er ein hohes Risiko trägt, eine klinisch gesicherte Multiple Sklerose zu entwickeln,
    2. umfassend das Verabreichen von drei subkutanen Injektionen von 40 mg Glatirameracetat alle sieben Tage mit mindestens einem Tag zwischen jeder subkutanen Injektion an den Patienten,
    3. wobei das Glatirameracetat in einer pharmazeutischen Zusammensetzung vorliegt, die einen pH zwischen 5,5 und 7,0 aufweist.
  82. Gegenüber dem Verfügungspatent unterscheidet es sich inhaltlich dadurch, dass in Merkmal 1 ausdrücklich die Behandlung eines menschlichen Patienten unter Schutz gestellt ist. Ausgehend von diesem einzigen Unterscheidungsmerkmal stellt die Klägerin eine Verwirklichung dieses Patents nicht in Abrede.
  83. (b)
    Entsprechendes gilt auch für das EP‘XXX. Dessen Anspruch 1 ist wie nachfolgend gezeigt formuliert:
  84. 1. Glatiramerazetat in Form einer pharmazeutischen Zusammensetzung zur Verwendung in der Behandlung eines menschlichen Patienten, der an schubförmiger Multipler Sklerose leidet,
    2. in einem Schema von wöchentlich drei subkutanen Injektionen einer 40 mg Dosis Glatiramerazetat mit mindestens einem Tag zwischen jeder subkutanen Injektion, und
    3. wobei die pharmazeutische Zusammensetzung zusätzlich Mannitol umfasst
    4. und einen pH-Wert zwischen 5,5 und 7,0 hat.
  85. Dieser Anspruch weist hinsichtlich des beanspruchten pH-Wertes sowie dem Behandlungskontext von Glatiramerazetat Unterschiede auf. Die Klägerin wendet sich nicht gegen die behauptete Verletzung.
  86. (2)
    Trotz der unstreitigen Verletzung dieser Schutzrechte wäre die Klägerin auf deren Grundlage nicht zu einer Unterlassung verurteilt worden, da die beiden Patente nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit als rechtsbeständig angesehen werden können.
  87. Vorliegend kann die Frage, ob die Klägerin aus anderen materiell-rechtlichen Gründen zur Unterlassung von Benutzungshandlungen hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsform verpflichtet wäre, nicht losgelöst vom Rechtsbestand der insoweit maßgeblichen anderen beiden Schutzrechte beurteilt werden. Denn nur, wenn es aufgrund eines dieser Schutzrechte tatsächlich zu einem gerichtlichen Unterlassungsausspruch käme, läge für die Klägerin ein vergleichbarer materiell-rechtlicher Sachverhalt vor. Dies vermag die Kammer indes nicht festzustellen. Denn die Kammer ist davon überzeugt, dass die gegen die Schutzrechte gerichteten Rechtsbestandsverfahren mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Erfolg haben werden. Dies gilt unabhängig davon, ob diese Schutzrechte im Wege einer Hauptsacheklage oder des einstweiligen Rechtsschutzes geltend gemacht würden.
  88. (a)
    Die im Rahmen eines Verletzungsstreits von der Kammer anzustellende Prognoseentscheidung über deren Rechtsbestand ginge zulasten der Beklagten.
  89. Ein in Rechtsprechung und Literatur anerkannter Fall, einen Rechtsstreit auszusetzen, liegt insbesondere dann vor, wenn das Klagepatent bereits erstinstanzlich widerrufen oder für nichtig erklärt worden ist. Auch wenn nach einem solchen Urteil die aus der Erteilung des Schutzrechts folgende Tatbestandswirkung fortbesteht, bis die Entscheidung in Rechtskraft erwächst, rechtfertigt die von einer sachkundig besetzten und zur Bewertung der Schutzfähigkeit berufenen Instanz getroffene Entscheidung regelmäßig so weitgehende Zweifel an der Rechtsbeständigkeit des Antragsschutzrechtes, dass im Hauptsacheverfahren eine Aussetzungsanordnung geboten ist und dementsprechend auch im Verfügungsverfahren keine Unterlassungsansprüche mehr durchgesetzt werden können, so lange die erstinstanzliche Nichtigkeitsentscheidung Bestand hat (OLG Düsseldorf, Urteil vom 31. August 2017 – I-2 U 11/17 –, Rn. 108, juris). Von einer Aussetzung kann nur dann abgesehen werden, wenn das Verletzungsgericht aufgrund eigener technischer Sachkunde verlässlich beurteilen kann, dass die getroffene Entscheidung auf einer erkennbar fehlerhaften Beurteilung beruhte und in der nächsten Instanz keinen Bestand haben wird (Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 14. Aufl., Kap. E, Rn. 876).
  90. Diese Fallgruppe ist hier einschlägig. Beide Schutzrechte sind erstinstanzlich von der Einspruchsabteilung mangels erfinderischer Tätigkeit widerrufen worden. Hierzu vertritt die Beklagte die Ansicht, dass die erstinstanzlichen Entscheidungen unvertretbar seien. Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen auf ihre jeweiligen Beschwerdebegründungsschriften. Bei (summarischer) Prüfung durch die Kammer ist aber nicht zu erkennen, dass die Beklagte für das Argument der Fehlbewertung einen konkreten Anknüpfungspunkt hat. Vielmehr stützt sie sich wiederum auf verschiedene schon erstinstanzlich behandelte Druckschriften, um die Fehleinschätzung der Einspruchsabteilung darzulegen. Aufgrund dessen ergibt sich indes nicht die Unvertretbarkeit der erstinstanzlichen Entscheidung. Die langen Verhandlungsdauern vor der Einspruchsabteilung bekräftigen gerade, dass sich diese dezidiert mit den Schutzrechten auseinandergesetzt hat. Auch vor dem Hintergrund des hier betroffenen Gebiets der Technik, welches für eine Beurteilung spezifische Kenntnisse im Bereich der Pharmazie erfordert, ist ohne andere gewichtige Anhaltspunkte von der Richtigkeit der Einspruchsentscheidung auszugehen. Denn die Kammer hat zu berücksichtigen, dass die fachkundig besetzten Stellen derlei komplexe Erfindungen regelmäßig werden besser beurteilen können (vgl. Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, Kap. E, Rn. 876). Eine anderslautende vorläufige Einschätzung der Beschwerdekammer, die Grund zu einer anderen Bewertung des Sachverhalts geben könnte, liegt bislang nicht vor.
  91. Hinzu kommt im Übrigen, dass das Verfügungspatent rechtskräftig vernichtet worden ist, womit – wie von obergerichtlicher Rechtsprechung allgemeinhin anerkannt – eine zumindest als Indiz zu behandelnde Entscheidung einer sachkundigen Stelle zu einem parallelen Patent vorhanden ist.
  92. Wurde ein paralleles Patent bereits in einem Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren bestätigt, so hat das Gericht unabhängig davon auch diese Entscheidung bei der Beantwortung der Frage eines hinreichend gesicherten Rechtsbestandes zu berücksichtigten, soweit sich die entsprechenden Ausführungen auf das Verfügungspatent übertragen lassen. Ist dies der Fall, hat das Verletzungsgericht – ungeachtet seiner Pflicht, auch nach erstinstanzlichem Abschluss des Rechtsbestandsverfahrens selbst ernsthaft die Erfolgsaussichten der dagegen gerichteten Angriffe zu prüfen, um sich in eigener Verantwortung ein Bild von der Schutzfähigkeit der Erfindung zu machen – grundsätzlich die von der zuständigen Fachinstanz (DPMA, EPA, BPatG) nach technisch sachkundiger Prüfung getroffene Entscheidung über die Aufrechterhaltung des Parallelpatents hinzunehmen und, sofern im Einzelfall keine besonderen Umstände vorliegen, auch in Bezug auf das Verfügungspatent die gebotenen Schlussfolgerungen zu ziehen, indem es zum Schutz des Patentinhabers die erforderlichen Unterlassungsanordnungen trifft. Grund, die parallele Rechtsbestandsentscheidung in Zweifel zu ziehen und von einem Unterlassungsgebot Husehen, besteht nur dann, wenn das Verletzungsgericht die Argumentation der Einspruchs- oder Nichtigkeitsinstanz für nicht vertretbar hält oder wenn ein auf das Verfügungspatent unternommener Angriff auf (z. B. neue) erfolgversprechende Gesichtspunkte gestützt wird, die die bisher mit der Sache befassten Stellen noch nicht berücksichtigt und beschieden haben. Solange sich die Ausführungen im Einspruchs- bzw. Nichtigkeitsverfahren auf das Verfügungspatent übertragen lassen und das Verfügungspatent keine abweichenden, eine andere Bewertung rechtfertigenden Merkmale aufweist, ist es für den Regelfall nicht angängig, den Verfügungsantrag trotz des erstinstanzlich aufrechterhaltenen Parallelpatents allein deshalb zurückzuweisen, weil das Verletzungsgericht seine eigene Bewertung des technischen Sachverhaltes an die Stelle der ebenso gut vertretbaren Beurteilung durch die zuständige Einspruchs- oder Nichtigkeitsinstanz setzt (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 19. Februar 2016 – I-2 U 55/15 –, Rn. 28, juris).
  93. Vorliegend handelt es sich zwar nicht um eine ein Parallelpatent bestätigende, sondern um eine dieses vernichtende Entscheidung. Dies hat auf die Bewertung durch das Verletzungsgericht aber keinen Einfluss. Denn in beiden Fällen handelt es sich aus Sicht des Verletzungsgerichts um eine beachtliche Fachentscheidung.
  94. (b)
    Zu einem anderen Ergebnis käme bereits aus vorstehenden Gründen auch die Prüfung des Verfügungsgrundes im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens nicht. Dies gilt unabhängig davon, ob aus der Beantwortung der Vorlagefrage durch den EuGH in der Sache Harting ./. Phoenix (EuGH, Urteil vom 28.04.2022, C-44/21) neue Anforderungen an den Erlass einer einstweiligen Verfügung insbesondere im Hinblick auf die Durchführung eines Rechtsbestandsverfahrens folgen. Denn selbst wenn keine kontradiktorische Rechtsbestandsentscheidung mehr verlangt würde, ist hier jedenfalls tatsächlich eine solche – zum Nachteil der parallelen Schutzrechte – vorhanden, welche nicht außer Acht gelassen werden darf. Danach haben diese Schutzrechte derzeit keinen Bestand.
  95. 2.
    Der Klägerin ist aus dem Vollzug der einstweiligen Verfügung ein erstattungsfähiger Schaden entstanden. Zur Überzeugung der Kammer steht fest, dass die Klägerin ohne die Vollziehung der einstweiligen Verfügung nahtlos am Markt verblieben wäre und B 40mg/ml weiterhin angeboten und vertrieben hätte. Die Vollziehung der einstweiligen Verfügung hat mithin adäquat kausal das zwischenzeitliche Fernbleiben vom Markt verursacht.
  96. a.
    Die Klägerin selbst hat die angegriffene Ausführungsform solange angeboten und vertrieben, bis die Beklagte die Vollziehung eingeleitet hat.
  97. Regelmäßig ist der Beginn der Vollziehung ausreichend zur Begründung einer Schadensersatzpflicht; die Vollziehung muss nicht beendet sein. Bei einer Unterlassungsverfügung, deren Vollziehung nur gegen Sicherheitsleistung gestattet ist, markiert deren Erbringung den maßgeblichen, schadensersatzbegründenden Zeitpunkt. Erst danach anfallende Schäden dürfen geltend gemacht werden (vgl. Cepl/Voß, a.a.O., § 945, Rn. 17).
  98. Vorliegend war die Vollstreckung von der Beibringung einer Sicherheitsleistung abhängig, welche die Beklagte unter dem 26. Juni 2019 leistete. Ab diesem Zeitpunkt war die Klägerin an der Vermarktung der angegriffenen Ausführungsform gehindert.
    Der relevante Schadensersatzzeitraum erstreckt sich von da an vorläufig bis zum 30. September 2022.
  99. Weder die Betriebsverpachtung an die D zum 1. Februar 2020 noch die Listung in der Therapieleitlinie zum 17. Februar 2021 führen zu einer Verkürzung dieses Zeitraums. Zunächst ist auch nach der Betriebsverpachtung nicht ausgeschlossen, dass sich aufgrund des Vollzugs der einstweiligen Verfügung Schäden realisieren, weil der Betriebsübergang in den maßgeblichen Berechnungszeitraum fällt. Die Listung in der Leitlinie verkürzt den Schadenszeitraum ebenso wenig. Sie ist allenfalls ein objektiver und bei der Bestimmung der Marktanteile zu beachtender Faktor, der den Markterfolg der angegriffenen Ausführungsform beschleunigen könnte. Weshalb – so wie die Beklagte meint – die Klägerin ab diesem Zeitpunkt keinen Schaden mehr erleiden wird, ist nicht zu erkennen und von der Beklagten nicht konkret vorgetragen worden.
  100. b.
    Soweit durch die Betriebsverpachtung Schäden bei der D entstanden sind, ist die Klägerin berechtigt, diese im Wege der Drittschadensliquidation geltend zu machen. Betroffen ist die Zeit vom 1. Februar 2020 bis zum 30. September 2020 sowie die Zeit bis zum Ende des Feststellungszeitraums reichen.
  101. Im gesamten Schadenszeitraum von Ende Juni/Anfang Juli 2019 bis Ende September 2022 ist der Klägerin nur teilweise selbst Gewinn entgangen, weil sie nur bis zum 31. Januar 2020 Benutzungshandlungen mit der angegriffenen Ausführungsform vorgenommen hätte. Ab der Verpachtung des Gewerbebetriebs mit Wirkung zum 1. Februar 2020 an die D liegt zwar kein eigener Schaden der Klägerin mehr vor. Sie ist unstreitig für den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen rechtlich nicht mehr verantwortlich, weshalb ihr erzielter bzw. entgangener Gewinn nicht mehr zugutekommt. Den darüber hinausgehenden Schaden darf die Klägerin hier trotzdem geltend machen.
  102. aa.
    Anspruchsberechtigte des Ersatzanspruchs nach § 945 ZPO ist grundsätzlich der Anspruchsgegner der einstweiligen Verfügung. Dritten, soweit sich die Vollziehung der einstweiligen Maßnahme nur mittelbar in ihrem Rechtskreis schädigend ausgewirkt hat, wird grundsätzlich kein Anspruch aus § 945 ZPO zugestanden (vgl. Zöller, a.a.O., § 945, Rn. 13a). Etwas anderes soll nur gelten, wenn gegen einen Dritten schon unzulässigerweise eine einstweilige Maßnahme ergangen ist. Gegen eine Haftungserweiterung auf Dritte wird als wesentliches Argument der Ausnahmecharakter des § 945 ZPO als Risikohaftung angeführt, der einen engen Anwendungsbereich der Vorschrift gebietet und dabei berücksichtigt, dass der Dritte aufgrund allgemeiner Regeln nicht schutzlos gestellt ist. Instruktiv heißt es in der von der Beklagten beigebrachten Entscheidung des OLG Brandenburg Urt. v. 1.7.2008 – 2 U 20/05 auszugsweise:
  103. „Diese Auffassung stützt sich auf den Wortlaut der Vorschrift, ihren Schutzzweck sowie auf die Erwägung, dass die Regelung mit Rücksicht auf ihren in der Anordnung einer verschuldensunabhängigen (Gefährdungs-) Haftung liegenden Ausnahmecharakter einer den vom Wortlaut vorgegebenen Anwendungsbereich ausdehnenden „Auslegung“ nicht zugänglich ist. Soweit bei Vollstreckung in schuldnerfremde Sachen vereinzelt dem Arrestgegner zugebilligt wird, den beim (unbeteiligten) Dritten entstandenen Vollziehungsschaden im Wege der Drittschadensliquidation geltend zu machen mit der Begründung, dieser Dritte dürfe nicht schlechter stehen als der Antragsgegner, zumal der Eingriff in sein Vermögen sogar doppelt fehlerhaft sei, überzeugt dieser Ansatz nicht. Die Vorschrift des § 945 ZPO stellt einen Ausgleich der besonderen Entscheidungsrisiken im Eilverfahren dar und trägt damit den Gefahren Rechnung, die bei einer Vollstreckung vor Endgültigkeit des Titels bestehen. Demgegenüber handelt es sich bei dem Risiko des Dritten, nicht für eine fremde Schuld in Anspruch genommen zu werden, um ein mit jeder Vollstreckung verbundenes Risiko, welches durch die Vollstreckung auf „vorläufiger“ Grundlage nicht spezifisch erhöht ist. Jedenfalls ist dieses Risiko des Dritten von dem vorstehend umrissenen Schutzzweck der Norm nicht umfasst. Der Dritte hat kein von § 945 ZPO rechtlich geschütztes Interesse daran, neben den allgemein bei der Vollstreckung in schuldnerfremde Sachen bestehenden Ansprüchen zusätzlich einen verschuldensunabhängigen Anspruch auf Schadensersatz zu erhalten, der dazu auch noch von dem Arrestgegner selbst für ihn geltend zu machen wäre“.
  104. Für den Dritten stellt sich danach ein Eingriff in seine Rechtsphäre durch eine sonstige Vollziehung wie eine unberechtigte Vollstreckung dar, gegen welche er sich mit Bereicherungs- oder Schadensersatzansprüchen zur Wehr setzen kann. In diesen Fällen soll keine Berechtigung des Anspruchsinhabers zur Geltendmachung der Drittschäden bestehen (vgl. MüKoZPO/Drescher, 6. Aufl. 2020, ZPO, § 945, Rn. 20).
  105. bb.
    Gegen diese Grundsätze wird vorliegend nicht verstoßen, wenn in der hier zu entscheidenden Sachverhaltskonstellation die Drittschadensliquidation zur Anwendung kommt, wodurch Interessen eines Dritten im Rahmen des § 945 ZPO berücksichtigt werden. Der Ausnahmecharakter des § 945 ZPO sowie der Umstand, dass es nicht zu einer Haftungserweiterung zulasten des Verfügungsgläubigers kommen darf, bleiben hier gewahrt. Über die Drittschadensliquidation wird hier nicht ein solcher Fall wieder in die Haftung des § 945 ZPO einbezogen, den die Rechtsprechung eigentlich ausschließt. Denn es handelt sich bei der Klägerin und der D schon um zu demselben Konzern gehörende Unternehmen. Sie stellen damit – wenn auch betriebswirtschaftlich eigenständige – Untergliederungen derselben Organisation dar. Wie die Beklagte hierzu selbst erläutert, ist der zwischen diesen Unternehmen geschlossene Betriebspachtvertrag als eine schlicht operative Umorganisation anzusehen. Die D ist daher nicht nur wie ein beliebiger Dritter von der Vollziehung der einstweiligen Verfügung betroffen, sondern gerade aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Unternehmenskonzern der Klägerin.
  106. cc.
    Auf diesen Sachverhalt sind die Grundsätze der Drittschadensliquidation anwendbar.
  107. (1)
    Das Bedürfnis bei der Schadensausgleichung, auf die Drittschadensliquidation zurückzugreifen, entsteht dann, wenn die den §§ 249 ff. BGB zugrunde liegende Wertung, dass nur ein unmittelbar Geschädigter Anspruch auf Schadensersatz hat, nicht jedoch ein mittelbar Geschädigter (vgl. MüKoBGB/Oetker, 9. Aufl. 2022, BGB § 249, Rn. 289). Kennzeichen der Drittschadensliquidation ist demnach regelmäßig, dass Schaden und Aktivlegitimation zur Geltendmachung dieses Schadens auseinanderfallen. Im Laufe der Zeit haben sich in Rechtsprechung und Literatur zur praktischen Anwendung der Drittschadensliquidation bestimmte Fallgruppen entwickelt, denen das aufgezeigte Spannungsverhältnis zwischen Anspruchsinhaber und Geschädigtem immanent ist. Anerkannt sind hierbei die mittelbare Stellvertretung, Treuhandverhältnisse, eine obligatorische Gefahrentlastung sowie Obhutsverhältnisse. Allerdings sind diese Fallgruppen nicht als abschließend zu erachten, weil es auch darüber hinaus besonderer Fallgestaltungen mit vergleichbarer Interessenlage und daher aus normativen Gründen Bedarf an einer Schadensausgleichung geben kann. Ein Schädiger soll keinen Vorteil daraus ziehen, wenn ein Schaden, der eigentlich bei dem Vertragspartner eintreten müsste, zufällig auf Grund eines zu dem Dritten bestehenden Rechtsverhältnisses auf diesen verlagert ist (BGH, NJW 2016, 1089 Rn. 27, beck-online; MüKoBGB/Oetker, a.a.O., § 249, Rn. 289). In jüngerer höchst- und obergerichtlicher Rechtsprechung ist aus diesen Erwägungen die Drittschadensliquidation insbesondere dann hinzugezogen worden, wenn es innerhalb von Vertragsverhältnissen zu einer aus Sicht des Schädigers zufälligen (vertraglichen) Schadensverlagerung gekommen ist (vgl. BGH, NJW 2016, 1089; OLG Koblenz, Urt. v. 22.12.2016, BeckRS 2016, 126821; OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 07.05.2009, BeckRS 2009, 129326). Die Grenze der Anwendbarkeit der Drittschadensliquidation ist jedenfalls dort zu ziehen, wo sie zum Nachteil des Schädigers eine dem allgemeinen Vertragsrecht zuwiderlaufende Schadenshäufung begründen würde (BGH, a.a.O., Rn. 27).
  108. Etwas anderes zur (Un-)Anwendbarkeit der Drittschadensliquidation ergibt sich für den hiesigen Rechtsstreit nicht aus der Nichtzulassungsbeschwerde vom BGH (BGH, B.v. 10.11.2011, BeckRS 2011, 27100) zu vorstehend zitierter Entscheidung des OLG Frankfurt. Darin stellt der BGH klar, dass in der dortigen Sachverhaltskonstellation kein Bedarf für die Anwendung der Drittschadensliquidation bestand, da ein Ergebnisübernahmevertrag vorlag. Das trifft den hiesigen Sachverhalt schon nicht; jedenfalls ist eine Ergebnisübernahme durch die Klägerin nicht bekannt. Demnach mag für die Drittschadensliquidation im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde kein Anwendungsbereich bestanden haben, der BGH schließt deren Anwendbarkeit aber auch nicht grundsätzlich aus, er musste sich aufgrund seiner Rechtsansicht nur nicht dazu verhalten.
  109. (2)
    Die zuvor aufgestellten Voraussetzungen der Drittschadensliquidation greifen hier mit Blick auf den hier streitigen Schadensposten des entgangenen Gewinns ein.
  110. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch, da sie die originäre Gegnerin der vollzogenen einstweiligen Verfügung war. Mit Beginn des Pachtvertrages hat aber die D den Betrieb übernommen und Umsatzverluste wirken sich negativ in ihrem Vermögen aus. Dabei realisiert sich weiterhin nur derjenige Schaden, der auf der Vollziehung der einstweiligen Verfügung beruht und der damit in derselben Form bei der Klägerin eingetreten wäre. Eine Schadenshäufung zulasten der Beklagten tritt gerade nicht ein, weshalb aus dogmatischen Gesichtspunkten keine Bedenken an der Zulässigkeit der Drittschadensliquidation bestehen. Ohne die Heranziehung der Drittschadensliquidation würde es vielmehr zu einer ungerechtfertigten Haftungsbefreiung der Beklagten kommen, weil gegenüber der Klägerin weiterhin die Voraussetzungen zur Schadensersatzleistung erfüllt wären.
  111. Zuzugeben ist der Beklagten, dass der Betriebspachtvertrag nach der Vollziehung der einstweiligen Verfügung geschlossen wurde und deshalb Zweifel an der Voraussetzung der „zufälligen“ Schadensverlagerung bestehen könnten, da die D diejenigen Geschäftsumstände kannte, auf welche sie sich vertraglich eingelassen hat. Der Zeitpunkt der Schadensverlagerung vermag aber die Beklagte von ihrer Haftung nicht zu befreien. Denn in dem hier streitgegenständlichen Anspruch realisiert sich unverändert nur dasjenige Haftungsrisiko, welches für die Beklagte bei Erhalt der einstweiligen Verfügung kalkulierbar war. Allein an dem Zeitpunkt des Abschlusses des Betriebspachtvertrages anzuknüpfen, wäre vorliegend eine allzu formale Betrachtung, für die es keinen Anlass gibt. Denn aus Sicht der Beklagten ist unerheblich, welcher Untergesellschaft des klägerischen Konzerns der Gewinn entgangen ist. Hierbei ist außerdem zu berücksichtigen, dass eine Schadensverlagerung ohnehin zumeist im Innenverhältnis erfolgt und für den Schädiger von außen regelmäßig nicht erkennbar ist. Umso weniger kann der Zeitpunkt der Verlagerung für die Frage der Haftung entscheidend sein, wenn sich – wie gezeigt – daraus für den Schädiger keine Nachteile ergeben.
  112. Auch aus einem weiteren Grund spricht die Konzernverbundenheit der Klägerin und der D für die Zulässigkeit der Drittschadensliquidation. Denn bei der D hat sich derselbe Vollstreckungsdruck wie bei der Klägerin realisiert und manifestiert. Ursprünglich hat sich gegenüber der Klägerin als der maßgeblichen Gegnerin der einstweiligen Verfügung die beginnende Vollziehung vollumfänglich ausgewirkt – durch die zwischenzeitliche Verhinderung des Marktzutritts. Für die Beklagte bestand ursprünglich gegenüber der Klägerin Vollziehungsdruck, woraufhin die Beklagte Sicherheit geleistet und die Vollstreckung in die Wege geleitet hat. Diese Situation setzt sich nun aber unverändert gegenüber der D fort; sie hat die tatsächlichen Marktanteile nur deshalb zu verzeichnen, weil die angegriffene Ausführungsform zeitweise nicht am Markt verfügbar war. Aus Sicht der Beklagten handelt es sich um eine zufällig Schadensverlagerung, weil es für sie keinen Unterschied darstellt, ob die Klägerin oder die D den Schaden geltend macht.
  113. Der zur Entscheidung stehende Sachverhalt weist aufgrund der unternehmerischen Situation bei der Klägerin und der D somit Parallelen zu den Fällen auf, in denen innerhalb von Vertragsbeziehungen eine Schadensverlagerung erfolgt und für die die Anwendbarkeit der Drittschadensliquidation für zulässig gehalten wird. Die einstweilige Verfügung hat zunächst eine Rechtsbeziehung/ein Exklusivitätsverhältnis zwischen den hiesigen Parteien begründet, wonach die Beklagte der Klägerin auf Vollstreckungsschäden haften müsste. Wegen des Betriebspachtvertrages aber ist der Schaden – zumindest partiell – nicht bei der Klägerin, sondern bei der D eingetreten. Die Wirkungen der Vollziehung der ungerechtfertigt erlassenen einstweiligen Verfügung schlagen auf die D durch, ohne dass diese eigne Ansprüche gegen die Beklagte hätte. Insoweit war es der D nicht zumutbar, patentverletzende angegriffene Ausführungsformen zunächst selbst zu vertreiben, um ein gerichtliches, schadensersatzbegründendes Verhalten der Beklagten auch gegen sich zu provozieren, nur um sodann einen eigenen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte geltend machen zu können.
  114. Entgegen der Ansicht der Beklagten handelt es sich bei dem zwischen der Klägerin und der D geschlossenen Betriebspachtvertrag nicht um einen Vertrag zu Lasten Dritter. Bei dem hier konkret in Streit stehenden Schadensposten handelt es sich um genau den Schaden, der bei der Klägerin eingetreten wäre. Insoweit dürfte der Schaden an dem Betrieb als an der juristischen Person hängen, die diesen ausführt.
  115. Dies spricht zudem für eine zufällige Schadensverlagerung. Zumal es im unternehmerischen Kontext üblich ist, dass innerhalb eines Unternehmenskonzerns betriebliche Abläufe umgestaltet werden. Daher sieht die Beklagte den Pachtvertrag selbst als schlicht operative Umorganisation an, was bestätigt, dass diese Strukturierung nicht dem Nachteil eines Dritten dienen sollte.
  116. Vorstehende Auffassung findet Unterstützung in der BGH-Entscheidung „Windsor-Estate“ (GRUR 2007, 877). In dem dort zu entscheidenden Sachverhalt wurde einem Marken-Lizenznehmer ein eigener Schadensersatzanspruch gem. § 14 Abs. 6 MarkenG versagt, da danach nur der Markeninhaber anspruchsberechtigt sei. Etwas anderes folge zugunsten des Lizenznehmers nicht aus § 30 Abs. 4 MarkenG, der nur den Streitbeitritt zu einer Verletzungsklage gestatte. Der vorliegende Rechtsstreit weist jedenfalls wertungsmäßige Ähnlichkeiten zu der vorgenannten BGH-Entscheidung auf. Denn auch hier soll gem. § 945 ZPO nur der Vollziehungsschuldner anspruchsberechtigt sein. Dies kann es in engen Ausnahmefällen erforderlich machen, Schäden anderer in den Anspruch einzubeziehen. Gegenüber Verletzern der Marke verfolgen der Lizenzgeber und Lizenznehmer ein identisches Interesse und stehen dabei nicht in einem Verhältnis von Markeninhaber und „Drittem“ nebeneinander. So liegt der Fall aber auch hier. Die jeweiligen Inhaber des Geschäftsbetriebs begehren gleichermaßen den Ersatz des entgangenen Gewinns, der von einem Vollziehungsgläubiger verursacht wurde. Auch sie stehen – aus Sicht des Vollziehungsgläubigers – nicht im Verhältnis von Dritten zueinander.
  117. 3.
    Dem Umfang nach ist die Beklagte in der tenorierten Höhe zur Leistung von Schadenersatz verpflichtet, soweit er derzeit bereits bezifferbar bzw. von der Klägerin für die Zeit von Juli 2019 bis September 2020 beziffert worden ist.
  118. a.
    Nach § 945 ZPO ist die Partei, welche die Anordnung einer ungerechtfertigten einstweiligen Verfügung erwirkt hat, verpflichtet, dem Gegner den Schaden zu ersetzen, der ihm aus der Vollziehung der angeordneten Maßregel entsteht. Der Schadensersatzanspruch umfasst grundsätzlich den durch die Vollziehung der einstweiligen Verfügung adäquat kausal verursachten unmittelbaren und mittelbaren Schaden. Ein solcher Vollziehungsschaden setzt voraus, dass der Antragsgegner von einer Handlung Abstand nimmt, die durch den gerichtlichen Titel untersagt war (vgl. BGH, NJW-RR 2016, 485 Rn. 29 – Piadina-Rückruf m.w.N.).
  119. Bei auf Unterlassen gerichteten einstweiligen Verfügungen gilt daher der Grundsatz, dass der Antragsteller stets für denjenigen Schaden haftet, der dem Antragsgegner durch Beschränkung seiner Handlungsfreiheit aufgrund der auf Unterlassen bezogenen einstweiligen Verfügung entstanden ist, weil er sich an dieses Unterlassungsgebot gehalten und deshalb anderweitige, widersprechende Handlungen zur Schadensabwehr oder Gewinnerzielung nicht vornehmen konnte (MüKoZPO, a.a.O., § 945 Rn. 22).
  120. Dem Umfang nach bestimmt sich der Schadensersatzanspruch nach den allgemeinen Regeln der §§ 249 ff. BGB, wobei gemäß § 252 BGB der zu ersetzende Schaden auch den entgangenen Gewinn umfasst. Dabei enthält die Vorschrift des § 252 Satz 2 BGB in Ergänzung zu der Vorschrift des § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO eine Beweiserleichterung zur Feststellung des entgangenen Gewinns. Der Verletze ist gemäß § 252 Satz 2 BGB von dem genauen Nachweis des entgangenen Gewinns enthoben. Er braucht nur die Umstände darzulegen, aus denen sich nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge oder den besonderen Umständen des Falles die Wahrscheinlichkeit eines Gewinneintritts ergibt. Der Geschädigte hat zwar auch im Rahmen des § 252 Satz 2 BGB, soweit wie ihm dies möglich ist, konkrete Anhaltspunkte für die Ermittlung des entgangenen Gewinns darzulegen, jedoch sind insbesondere bei hypothetischen Entwicklung eines Geschäftsbetriebs – wie vorliegend – keine zu hohen Anforderungen an die Darlegungslast zu stellen.
  121. Die nach dieser Maßgabe vorgetragenen Tatsachen sind sodann in den Grenzen des § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu beweisen. Diese Vorschrift dehnt das richterliche Ermessen für die Feststellung der Schadenshöhe über die Schranken des § 286 ZPO hinaus aus und räumt dem Gericht die Möglichkeit ein, den entgangenen Gewinn unter Berücksichtigung aller Umstände nach billigem Ermessen zu schätzen. § 287 Abs. 1 Satz 2 ZPO sieht zudem eine Einschränkung des Gebots der Erschöpfung der Beweisanträge für den Tatrichter vor, indem dieser Beweisanträgen lediglich im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens nachgehen muss. Dabei hat der Tatrichter jedoch zu beachten, dass er sein Ermessen in Richtung beider Parteien gleichermaßen zu betätigen hat (vgl. LG Düsseldorf, Urteil vom 28. April 2016, Az. 4a O 106/14). Bei der hier zu entscheidenden Frage des Schadens in Gestalt von entgangenem Gewinn bilden die Bestimmung des Referenzmarktes sowie die Festsetzung von Marktanteilen wesentliche Punkte der Schadenshöhe und sind daher von der Beweiserleichterung des § 287 ZPO erfasst.
  122. Orientiert an diesem Maßstab ist die Kammer unter Abwägung aller Umstände des vorliegenden Falles zu der Auffassung gelangt, dass die Klägerin in der ausgeurteilten Höhe Schadensersatz unter dem Gesichtspunkt des entgangenen Gewinns beanspruchen kann.
  123. Der Bemessung der Schadenshöhe steht dabei auch keine mangelnde Lieferfähigkeit der Klägerin entgegen. Nach dem einfachen Bestreiten der Beklagten hat die Klägerin substantiiert vorgetragen, dass sie in der Lage gewesen wären, den hypothetischen Marktanteil tatsächlich mit angegriffenen Ausführungsformen zu decken. Hierzu verweist sie auf ihren konkreten eigenen Lagerbestand sowie auf noch zur Zeit der Vollziehung gelieferte Chargen der angegriffenen Ausführungsform und erläutert zudem, dass auch darüber hinaus weitere Bestellungen bei der Lieferantin I möglich gewesen wären. Diese Angaben hat die Beklagte nicht in Abrede gestellt.
  124. b.
    Für die Schadensbemessung ist zunächst erforderlich, den relevanten Referenzmarkt zu bestimmen, bevor festgestellt werden kann, welchen Marktanteil die Klägerin mit der angegriffenen Ausführungsform dort gehabt hätte, wenn sie nicht aufgrund der Vollziehung der einstweiligen Verfügung zwischenzeitlich den Vertrieb hätte einstellen müssen.
  125. Ausgehend von den in diesem Referenzmarkt vorherrschenden Marktbedingungen sind außerdem die Anzahl der Produkteinheiten (Verpackungen), die die Klägerin auf diesem Markt hätte veräußern können, sowie der Verkaufspreis, der hätte erzielt werden können, zu bestimmen. Die Multiplikation der absetzbaren Produkteinheiten mit dem erzielbaren Verkaufspreis führt sodann zu dem hypothetischen Umsatz, der entgangen ist. Nach Hug der produktspezifischen Kosten von dem entgangenen Umsatz verbleibt schließlich der entgangene Gewinn. Ein Hug von tatsächlich erwirtschafteten Umsätzen war hier nicht vorzunehmen, weil der bezifferte Klageantrag nur den Zeitraum der Marktabstinenz betrifft, mithin eine Zeit, in der durch die angegriffene Ausführungsform keine Einnahmen generiert wurden.
  126. c.
    Die Kammer erachtet den von der Klägerin angesetzten Markt aller GA 40mg/ml-Präparate als geeigneten Ausgangspunkt für die Schadensschätzung.
  127. aa.
    Maßgebliche Grundlage der gesamten Schadensbemessung bzw. Schadensschätzung ist der relevante Referenzmarkt, auf dem sich das streitgegenständliche Produkt befindet und auf dem es in Konkurrenz zu anderen Produkten steht. Dessen Bestimmung kann hier in Anlehnung an von der EU-Kommission aufgestellte Leitlinien („Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, 97/C 372/03) sowie mithilfe europäischer Rechtsprechung erfolgen, welche sich mit entsprechenden Kriterien befasst hat, wie etwa in der seitens der Beklagten angeführten Entscheidung des EuG (Urteil vom 12.12.2018, T-691/14 – Servier SAS gegen Europäische Kommission; BeckRS 2018, 37325). Unerheblich ist zunächst, dass die Entscheidung sowie die Definition im wettbewerbsrechtlichen Kontext stehen, denn jedenfalls diese Grundsätze dienen, wie Ziff. 2 der Einleitung der Bekanntmachung zu entnehmen ist, dazu, Marktanteile zu berechnen und so die Marktposition eines Unternehmens feststellen zu können. Der vorliegende Fall zeigt, dass diese Fragestellung nicht nur in originären Wettbewerbssachen virulent werden kann, sondern auch darüber hinaus Bedarf an der Bestimmung des relevanten Marktes bestehen kann. Weshalb für diese Fälle aber andere, womöglich geringere, Anforderungen an die Bestimmung des Referenzmarktes zu stellen sein sollten, ist nicht ersichtlich. Die Klägerin verwehrt sich zwar gegen eine Anwendung dieser wettbewerblichen Grundsätze, führte indes keine anderen stichhaltigen Kriterien an, die der Bestimmung des Referenzmarkts dienlich sein könnten.
  128. Danach besteht die Abgrenzung des relevanten Marktes im Wesentlichen darin, das den Kunden tatsächlich zur Verfügung stehende Alternativangebot zu bestimmen. Der sachlich relevante Produktmarkt zeichnet sich dadurch aus, dass er sämtliche Erzeugnisse und/oder Dienstleistungen erfasst, die von den Verbrauchern hinsichtlich ihrer Eigenschaften, Preise und ihres vorgesehenen Verwendungszwecks als austauschbar oder substituierbar angesehen werden. Die als austauschbar angesehenen Produkte sind zu bestimmen. Regelmäßig wird für die Frage der Substituierbarkeit auf die relativen Preise der Produkte abgestellt. Im Kontext von Arzneimitteln verlieren preisrelevante Faktoren zwar nicht ihre Relevanz, erfahren aber aufgrund der spezifischen Gegebenheiten des Arzneimittelsektors eine angepasste Bewertung (vgl. EuG, a.a.O., Rn. 1386). Dies resultiert insbesondere daraus, dass gerade bei – wie vorliegend – verschreibungspflichtigen Arzneien die Nachfrage vom verschreibenden Arzt und nicht vom Endverbraucher (dem Patienten) gesteuert wird. Die Ärzte lassen sich bei ihrer Wahl des zu verschreibenden Mittels hauptsächlich von der therapeutischen Wirkung der Arzneimittel leiten. Soweit derlei außerpreisliche Faktoren wie z.B. die therapeutische Verwendung die Entscheidung der Ärzte bestimmen, sind sie neben den preislichen Indikatoren ein relevanter Gesichtspunkt bei der Definition des Marktes.
  129. bb.
    Ausgehend von diesem grundsätzlichen Verständnis der Marktbestimmung konnte nur der GA 40mg/ml-Markt als Referenz genommen werden. Zur Überzeugung der Kammer besteht nur in diesem Rahmen eine Austauschbarkeit zwischen den Medikamenten.
  130. (1)
    Der relevante Referenzmarkt wird danach aus XXX 40mg/ml, H sowie B 40mg/ml gebildet. Alle diese Produkte weisen Glatirameracetat als Wirkstoff auf und werden als Fertigspritzen verabreicht. Indem sie dieselbe Wirkstoffmenge aufweisen, verfügen sie außerdem über ein sehr ähnliches Behandlungsregime (Patientencompliance).
  131. Durchgreifende Bedenken daran, dass die angegriffene Ausführungsform mit den Präparaten aus dem Konzern der Beklagten gleichgesetzt werden kann, hat die Kammer nicht. Dies hat die Klägerin auf substantiierte Weise dargelegt. Die angegriffene Ausführungsform verfügt über eine Marktzulassung und wurde in der XXX gelistet. Um überhaupt auf den Markt kommen zu dürfen, war es aufgrund ihrer Eigenschaft als NBCD erforderlich, nicht nur Bioäquivalenzstudien vorzuweisen, sondern auch – gemäß den Vorgaben einer Hybridzulassung – die Ergebnisse einer Doppelblindstudie. Zu diesem Zweck führte die Klägerin unstreitig die sog. C-Studie durch. Aufgrund derer ist ihr von den zuständigen Behörden die therapeutische Gleichwertigkeit bestätigt worden (vgl. Anlagen TW 13 ff.). Dieses Vorbringen vermochte die Beklagte nicht zu widerlegen. Dem als Anlage BB 12 vorgelegten Gutachten von Prof. XXX sind keine erheblichen Argumente zu entnehmen, die die Kammer für eine andere Würdigung heranziehen könnte. Er kritisiert insbesondere das Studiendesign sowie das Ergebnis, welches keinen Effekt auf die Schubrate habe erkennen lassen, obwohl derlei wegen früherer Studien zu XXX 20mg/ml zu erwarten gewesen wäre. Hierzu verweist der Parteigutachter etwa auf den Beirat der DMSG und auf Zeitungsveröffentlichungen. Dieses Vorbringen überzeugt indes gegenüber der erteilten behördlichen Zulassung nicht. Diese Fachstelle war in der Lage, auch für B 40mg/ml eine Zulassung zu erteilen, obwohl die Studie auf einer anderen Formulierung (20mg/ml) beruhte. Mangels eigener Fachkunde hat die Kammer diese Zulassung als richtig zu unterstellen.
  132. Insbesondere ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die angegriffene Ausführungsform zwischenzeitlich in der Therapieleitlinie gelistet ist. Dieser Umstand kann von der Kammer als weiteres gewichtiges Indiz für die pharmazeutische Gleichwirkung gewertet werden.
  133. (2)
    Nicht auch in den Referenzmarkt einzubeziehen ist dagegen B 20mg/ml. Die Kammer ist nicht davon überzeugt, dass B 20mg/ml die angegriffene Ausführungsform oder ein anderes GA 40mg/ml substituieren kann.
  134. Die Beklagte argumentiert für diese Erweiterung des Referenzmarkts, dass es sich um wirkstoffidentische und für dieselbe Indikation zugelassene Medikamente handele. Konkrete und auf die Dosierung der Arzneien bezogene Argumente trägt die Beklagte aber nicht vor. Sie verweist lediglich darauf, dass Gründe, die bei GA 40mg/ml für einen anderen Marktanteilsverlauf sprechen könnten, nicht ersichtlich seien. Insbesondere bleiben die Wirksamkeit sowie die Compliance auf Seiten der Patienten völlig unberücksichtigt, wobei sich aber bereits aufgrund der Dosierung aufdrängt, dass ein anderes Behandlungsregime zur Anwendung kommen muss, um dieselbe Wirksamkeit wie mit GA 40mg/ml zu erreichen. Ferner sind keine plausiblen Gründe ersichtlich, die für eine identische Marktentwicklung sprechen. Allein aus demselben Wirkstoff ergibt sich eine gleichlaufende Marktentwicklung der Produkte noch nicht. Denn es gibt diverse Umstände, die unterschiedliche Marktakzeptanzen begründen können, was insbesondere der Beklagten selbst bekannt sein muss, da sie mit XXX 20mg/ml und XXX 40mg/ml ähnliche Produkte vertrieben hat/vertreibt. Insoweit ist auch nicht bekannt geworden, ob ihr eigenes Produkt mit einer GA 20mg/ml-Dosierung den gleichen Verlauf genommen hat wie GA 40mg/ml. Dies hätte ein valider Anhaltspunkt für die Kammer sein können, den seitens der Klägerin vorgegebenen Referenzmarkt um GA 20mg/ml zu erweitern. Ohne solche Nachweise geht die Kammer weiterhin davon aus, dass weder dem GA 20mg/ml Produkt der Beklagten noch demjenigen der Klägerin für den zur Beurteilung stehenden Zeitraum praktische Marktrelevanz zukommt.
  135. Schließlich ist die konkrete Switch-Rate für die Bestimmung des relevanten Referenzmarkts nicht entscheidend. Zu dieser Frage haben sich sowohl der Kläger als auch der Beklagtengutachter verhalten (vgl. Anlagen TW 12, S. 18 f.; BB 13, S. 23 ff.). Für die in den Referenzmarkt einbezogenen Produkte kommt es aber nur darauf an, dass sie gegeneinander ausgetauscht werden könnten. Dass es tatsächlich zu Produktwechseln kommt, ist nicht erforderlich.
  136. (3)
    Die Kammer vermag vorliegend keine weiteren Tatsachen festzustellen, aufgrund derer eine über GA-Präparate hinausgehende Marktbestimmung in Betracht käme.
  137. Selbst wenn der zuvor zitierten EuG-Entscheidung zu entnehmen sein sollte, dass nur unter besonderen Umständen ein Markt auf ein Molekül beschränkt werden dürfte und dies bei GA 40mg/ml so wäre – wogegen spricht, dass es sich um ein Gemisch verschiedener Polypeptide handelt –, kommt eine Erweiterung insbesondere auf orale Behandlungsformen nicht in Betracht.
  138. Die Beklagte führt unter diesem Gesichtspunkt oral zu verabreichende Medikamente wie XXX, XXX und XXX an, welche als Therapieoptionen gleichwertig neben GA 40mg/ml bestehen sollen. Dem mag sich die Kammer jedoch nicht anzuschließen. Die Beklagte behauptet zwar deren Austauschbarkeit mit den Fertigspritzen und verweist auf deren gute Wirksamkeit sowie Patientencompliance. Allerdings fehlen hierzu belastbare Angaben. Es ist zum einen kein nachvollziehbares Zahlenmaterial für die Marktdurchdringung dieser Produkte vorhanden. Dazu ist die mit der Klageerwiderung vorgelegte Grafik, die die Entwicklung aller auf dem MS-Markt verfügbaren Produkte zeigen soll, nicht geeignet. Es ist weder die Größe des Gesamtmarkts bekannt, noch hat die Beklagte zur Relevanz der übrigen dort aufgeführten Produkte Angaben gemacht, die eine etwaige Entscheidung über deren Einbeziehung in den relevanten Referenzmarkt zuließen. Zum anderen stammt das als Anlage BB11 zur Akte gereichte Strategiepapier zur Marke XXX aus dem Hause der Beklagten bzw. ist jedenfalls nicht von objektiver Stelle verfasst worden. Der Umstand, dass die Anwendung von GA zur Erstlinienbehandlung insgesamt rückläufig ist, führt nicht zu einer anderen Bewertung des relevanten Referenzmarktes. Denn diese (wohl unstreitige) Tendenz lässt eine Veränderung des Markts erkennen, was aber nicht ohne Weiteres eine Substituierbarkeit durch orale Präparate bedeutet.
  139. (4)
    Die Klägerin bemisst die ursprüngliche Größe des Referenzmarktes auf für die Kammer nachvollziehbare Weise mit ca. 13 %.
  140. Die Parteien stützen sich bei der Bestimmung der Größe des Referenzmarktes und dem Marktanteil der Klägerin auf nachfolgende Angaben:
  141. Beklagte:
  142. Klägerin:
  143. Die vorstehenden der Klageerwiderung bzw. der Replik entnommenen Tabellen veranschaulichen, dass die von der Klägerin angeführten Daten stichhaltig sind. Denn die Klägerin behauptet, in der Zeit vor Erlass der einstweiligen Verfügung im Juni 2019 einen Marktanteil von 13% erreicht zu haben; die Beklagte gibt für diesen Zeitpunkt einen 11,6%-igen Marktanteil an. Die Beklagten gehen dabei von Parallelimporten aus, was die Reduzierung der prozentualen Angabe erklärt. Abgesehen von einer Aussage der I in einem Verfahren vor dem LG München I führt die Beklagte keine Tatsachen für diese Parallelimporte an. Ebenso wenig lassen sich die weiteren seitens der I angegebenen Werte verifizieren. Für die Zeit nach Wiedereintritt beziffert die Klägerin ihren Marktanteil auf 1-2% im Februar 2021, während die Beklagte für diesen Zeitpunkt Werte um rund 1,00 % anführt.
  144. Vorstehendes zeigt, dass die Parteien hinsichtlich der Marktpräsenz der angegriffenen Ausführungsform bis zur Vollziehung der einstweiligen Verfügung von sehr identischen Grundannahmen ausgehen.
  145. c.
    Für die Bestimmung des hypothetischen Marktanteils waren sodann separat die Gesetzlichen Krankenkassen und die Privaten Krankenkassen zu betrachten, wobei die GKVen wiederum in die Teilmärkte F, G und übrige GKVen unterteilt wurden, wobei die jeweiligen Größen der Teilmärkte zwischen den Parteien unstreitig sind. Diese Untergliederung trägt nach Auffassung der Klägerin, welcher die Beklagte nicht entgegengetreten ist, den jeweiligen Marktmechanismen hinreichend Rechnung.
  146. Die nachfolgenden Erläuterungen sind in der Anlage zum Urteil tabellarisch zusammengefasst.
  147. aa.
    Hinsichtlich des Teilmarkts der F, der 27 % des Gesamtmarkts der GKV ausmacht, kommen der Klägerin für den hier zu beziffernden Schadenszeitraum Marktanteile zwischen 2 % und 4 % zu.
  148. Die Kammer kann die von der Klägerin angeführten Marktanteile in die Schadensberechnung einstellen, da sie gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gelten.
  149. Bei der schätzweisen Bemessung des hypothetischen Marktanteils für die F war relevant, dass ab Juli 2019 ein Rabattvertrag zwischen der F und H bezüglich GA H bestand. Die angegriffene Ausführungsform wäre demnach nur noch bei einer nec aut idem-Verordnung abgegeben worden. Der Anteil solcher Verordnungen lag im Juni 2019 bei 2 % und wäre auf 4 % gestiegen. Zur Begründung ihrer Erwartung führt die Klägerin an, dass H kein Patientenunterstützungsprogramm habe und deshalb weniger attraktiv sein könnte. Dementsprechend hat sich auch nach Beginn des Rabattvertrags der Marktanteil von H nicht so positiv entwickelt, wie es ansonsten bei Gewinnern von Rabattverträgen wäre. Daraus schließt die Klägerin, dass trotz des Rabattvertrages nec aut idem-Verordnungen zugunsten von XXX ausgestellt wurden. Eine solche Verfahrensweise wäre gleichermaßen der angegriffenen Ausführungsform zugutegekommen, wäre sie am Markt gewesen. Von dieser Grundannahme vermehrter nec aut idem-Verschreibungen geht auch die Beklagte aus. In ihrem Gutachten, Anlage BB 16a, legt die Beklagte ihrer Schadensberechnung daher identische Werte zugrunde. Sie kommt letztlich nur deshalb für den Teilmarkt F zu einem anderen Gesamtergebnis, weil sie den Post-EV-Zeitraum verkürzt hat (vgl. S. 41, Anlage BB 16a), auf welchen es vorliegend nicht ankommt.
  150. Weshalb die Klägerin in der Triplik meint, die Beklagte unterschätze den Marktanteil der angegriffenen Ausführungsform in diesem Segment, vermag die Kammer nicht nachzuvollziehen. Wie oben ausgeführt, legt die Beklagte ihrer eigenen Berechnung dieselben Werte zugrunde.
  151. bb.
    Die Klägerin hätte auf dem Teilmarkt der G Marktanteile zwischen 40 % und 50 % erwirtschaftet.
  152. Auf die gesetzliche Krankenkasse G entfällt ein Anteil von 16 % am Gesamtmarkt der GKVen. Auch trotz des von April 2019 bis (hypothetisch) Oktober 2020 durchgeführten Rabattvertrags zwischen der Klägerin und der G vermag sich die Kammer nicht der Anteilsbemessung der Klägerin anzuschließen, welche in einen Anteil von 72 % auf diesem Teilmarkt münden sollte. Die Klägerin orientiert sich hierfür am Anstieg des Marktanteils von 8 % auf 40 % schon im ersten Monat der Laufzeit des Rabattvertrages. Die weitere Steigerung auf 70 % ergebe sich sodann aus einem Vergleich mit anderen Generika und aus der Annahme, dass die nec aut idem-Verordnungen für XXX stabil geblieben wären. Die Klägerin genügt damit aber den Anforderungen an die sie treffende Darlegungslast nicht. Denn sie macht weder detaillierte Angaben noch führt sie hinreichende Belege an, die eine über den ersten Anstieg auf 40 % hinausgehende stetige Steigerung begründen könnten. Insbesondere fehlen schriftsätzliche, nachvollziehbare Anhaltspunkte für einen Marktvergleich mit einem anderen Generikum unter Darlegung der vergleichbaren Ausgangssituationen. Allenfalls im Gutachten TW2, S. 19 ff. stellt der Gutachter Benchmarks zu vergleichbaren Präparaten auf. Unbeschadet dessen, dass die konkrete Marktsituation auf den in Bezug genommenen Märkten nicht bekannt ist, hat sich die Beklagte hierzu erheblich verhalten. Sie hat auf nachvollziehbare Weise zunächst den starken Anteilsanstieg bei den Benchmarks dargestellt und darauffolgend einen verlangsamten weiteren Anstieg ermittelt. So lagen die Benchmarks nach Beginn des Rabattvertrags bei rund 68 % und sind in der Folgezeit um ca. 9 % gewachsen. Für die Kammer fehlen, auch nach der Triplik, Anhaltspunkte, für die angegriffene Ausführungsform ein anderes Marktverhalten anzunehmen. Die Klägerin bemängelt, dass die Grundlagen dieser RBB-Analyse nicht bekannt seien. Ausgehend von der Verteilung der Darlegungslasten wäre die Klägerin dabei aber gehalten gewesen, ihr eigenes Zahlenmaterial in plausibler Weise zu untermauern. Da das unterblieben ist, schließt sich die Kammer der Anteilsverteilung der Beklagten im RBB-Gutachten an, wonach ab Juli 2019 monatlich ein Zuwachs zu verzeichnen ist, sich der höchste Marktanteil aber auf 50 % beläuft, wobei für die Monate Juli und August 2019 ebenfalls Werte von 40 % angenommen werden, da nicht zu erkennen ist, weshalb der Marktanteil wieder gesunken wäre. Nicht mit einzustellen in die Anteilsbemessung war dagegen der Umstand, ob ein Rabattvertrag mit der G verlängert worden wäre. Denn für den hier in Streit stehenden Zeitraum bestand ein solcher jedenfalls; zukünftige Rabattverträge sind für die vorliegende Beurteilung nicht von Relevanz.
  153. Das weitere Vorbringen der Klägerin in ihrer Triplik vermag die Bewertung nicht zu verändern. Selbst wenn aufgrund des aufrechterhaltenen Verfügungspatents und der seitens der Beklagten beworbenen bevorstehenden Durchsetzung des Verfügungspatents (Anlage TW 23) der Markterfolg der angegriffenen Ausführungsform gebremst war, belegt dies keinen Zuwachs des Marktanteils auf bis zu 72 %. Denn immerhin konnte die angegriffene Ausführungsform trotz dieser Umstände in der Anfangszeit einen starken Zuwachs verzeichnen. Inwieweit dieser noch stärker ausgefallen wäre, wenn die Beklagte eine Vollziehung nicht angekündigt hätte, vermag die Kammer mangels Tatsachenmaterials aber nicht festzustellen. Insoweit liefert der als Anlage TW 23 zur Akte gereichte Flyer keine betragsmäßig zu beziffernden Anhaltspunkte für einen Marktanteil der angegriffenen Ausführungsform.
  154. cc.
    Den Marktanteil auf dem Teilmarkt der übrigen GKVen, der 57 % des Gesamtmarkts der GKV darstellt, liegt zwischen 8 % und 12 %. Einen darüber hinausgehenden Anteil in Höhe von bis zu 25 % vermochte die Kammer nicht festzustellen.
  155. Bis Juni 2019 lag der Marktanteil der angegriffenen Ausführungsform unstreitig bei ca. 8 %. Dieser wäre ab Juli 2019 innerhalb von 12 Monaten aber auf 25 % gestiegen. Diese hypothetische Berechnung stützt die Klägerin vorwiegend auf den Preisvorteil der angegriffenen Ausführungsform von 23-34 % gegenüber XXX und auf die Tatsache, dass Ärzte angehalten seien, günstige Medikamente zu verordnen. Zwischen den Parteien unstreitig bestehen auf diesem Teilmarkt keine Rabattverträge mehr, sondern nur sog. Open-House-Rabattverträge, die allen interessierten Marktteilnehmern offenstehen und keine Exklusivität einräumen. Schriftsätzlich führt die Klägerin auch in der Replik zu dieser hypothetischen Annahme nicht näher aus. Es mögen Preisvorteile bei der angegriffenen Ausführungsform bestehen, die Ärzte zu einer dahingehenden Verschreibung leiten könnten. Die Klägerin fundierte diese Annahme aber auch durch die gutachterliche Stellungnahme nicht in nachvollziehbarer Weise. Soweit sie anhand der erfolgten nec aut idem-Verordnungen einen Rückschluss auf einen steigenden Marktanteil anstellt, überzeugt dieser nicht. Denn dem Gutachten (Anlage TW 12, S. 18) sind zwar prozentuale Angaben zu solchen Verordnungen zu entnehmen. Die Herkunft dieser Daten ist aber unbekannt. Zudem ist bei diesem Zahlenmaterial fraglich, inwieweit bei aut idem-Verordnungen tatsächlich die angegriffene Ausführungsform abgegeben wurde und nicht doch XXX.
  156. Zu diesem Zuwachs des Marktanteils kann auch eine Generikaquote nicht beitragen. Die Klägerin verweist in der Replik auf die Ausführungen des Gutachters, der für Schleswig-Holstein, die XXX sowie die XXX derlei Quoten zwischen 30 % und 42,5% anführt, welche als Zielvereinbarungen festgeschrieben worden seien. Diese Zielvereinbarungen mögen genauso wie die Aufforderung zu wirtschaftlichem Handeln dazu beitragen, dass Generika verordnet werden. Eine weitergehende Bedeutung vermag die Kammer diesen Angaben nicht beizumessen. Denn es ist nicht zu ersehen, inwieweit diese Zielvereinbarungen tatsächlich erreicht wurden. Zudem fehlen nähere Details zu diesen Vereinbarungen. Die Beklagte hat nämlich hierzu teils das Bestehen dieser Vorgaben oder jedenfalls deren Bedeutung in Abrede gestellt (vgl. Anlage BB 16, Rn. 145 ff.). Im Übrigen handelt es sich bei diesen drei Quoten allenfalls um Indizien, die aber zum einen nicht den Gesamtmarkt Deutschlands erfassen und von denen zum anderen unbekannt ist, welchen Anteil die drei GA-Zielvereinbarungen an diesem einnehmen würden.
  157. Zugunsten der angegriffenen Ausführungsform ist die Kammer ebenso wenig vom Auftreten sog. „Spill-Over“-Effekte überzeugt. Die Klägerin argumentiert, dass solche Effekte durch die Marktanteile der angegriffenen Ausführungsform bei der F und G entstünden, sowie durch eine intensive Bewerbung durch die Klägerin. Damit genügt sie jedoch ihrer Darlegungslast nach dem Bestreiten der Beklagten nicht mehr. Wissenschaftlich fundierte und rechnerisch nachvollziehbare Anhaltspunkte, welche die Kammer im Wege der Schätzung gem. § 287 ZPO zugunsten eines höheren Marktanteils der Klägerin ansetzen könnte, sind nämlich auch den weiteren Ausführungen des Ergänzungsgutachtens (Anlage TW 12, S. 14 f.) nicht zu entnehmen. Der Gutachter führt lediglich pauschal Gründe an, die einen solchen Effekt auslösen könnten. Nachweise oder Erfahrungsberichte zu anderen Generika/Hybrid-Präparaten führt er zur Unterstützung seiner Aussagen aber nicht an.
  158. Mit vorstehend erläuterten Argumenten vermag die Klägerin die angegebenen Marktanteile nicht plausibel zu stützen. Die Kammer schätzt den Marktanteil der angegriffenen Ausführungsform ab Oktober 2019 weiterhin auf 12 %. Dieser Wert orientiert sich an dem ursprünglichen Marktanteil von 8 % vor Vollziehung der einstweiligen Verfügung und gesteht zugleich einen leichten Profit aus dem Rabattvertrag mit der G zu.
  159. Diese Anteilssteigerung rechtfertigt sich ebenso wenig unter Berücksichtigung eines möglichen Medikamentenwechsels (Switch-Rate) der Patienten. Die Klägerin leitet eine hohe Switch-Rate zu ihren Gunsten aus einem Betrachtungszeitraum aus dem Jahr 2018 ab, für den longitudinale Daten vorliegen (vgl. Anlage TW 12, S. 19). Mit der Klägerin mag die Aufstellung nach Abbildung 12 im Gutachten einen Zuwachs bei B abbilden. Nach Auffassung der Kammer muss bei der Bewertung dieser Angaben allerdings berücksichtigt werden, dass sie für das Jahr 2018 geltend, als die Klägerin neu am Markt war. Welche Bedeutung die Daten für folgende Jahre haben, legt der Gutachter nicht fundiert dar. Er führt nur aus, dass die positive Patiententwicklung auch erwartungsgemäß zunächst weiter ungebrochen verlaufen wäre. Worauf er diese Annahme stützt, ist nicht zu erkennen. Es hätte, da die Beklagte diese positive Entwicklung des Anteilsverlaufs durch ihre eigene gutachterliche Bewertung (vgl. Anlage BB 16a, Rn. 164 ff.) erheblich in Abrede gestellt hat, nähere Erläuterungen der Klägerin erforderlich gewesen. Insbesondere auch zu einer Gewichtung ihrer Begründungsansätze für den hypothetischen Marktanteil. Denn, indem das Argument des Preisvorteils nach Auffassung der Kammer nicht trägt, fehlt jedenfalls eine wesentliche Stütze für den ermittelten hypothetischen Marktanteil.
  160. Die Klägerin kann ihren erhöhten hypothetischen Marktanteil schließlich nicht mit Äußerungen der Beklagten im Verfügungsverfahren belegen. Selbst wenn sie dort eine Umstellung der Patienten auf B angenommen hat, das im hiesigen Verfahren eher ausschließt, wirkt dies nicht zugunsten der Klägerin. Denn sie ist vorliegend darlegungs- und beweisbelastet für die ihrerseits ermittelten Marktanteile. Das Vorbringen der Beklagten ist allenfalls unbeachtlich, zumal es keine konkreten prozentualen Angaben enthält, welche die Klägerin für sich nutzen könnte.
  161. dd.
    Der Anteil der angegriffenen Ausführungsform am PKV-Teilmarkt beläuft sich nach Angaben der Klägerin auf 6 %. Sie selbst nimmt keine Änderungen des Marktanteils im Vergleich zum ersten Markteintritt an. Diesem Vorbringen setzt die Beklagte nichts entgegen, sodass es in dieser Form in die Schadensbemessung der Kammer einfließen kann.
  162. ee.
    Eine prozentuale Anpassung der ermittelten Marktanteile ist nicht vorzunehmen. Die Kammer vermag anhand der ihr von der Klägerin vorgelegten Daten nicht festzustellen, dass ein mit 5 % (auf den Teilmärkten) zu bemessender „Pen-Effekt“ zu verzeichnen gewesen wäre, wenn es nicht zu einer Unterbrechung im Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform gekommen wäre.
  163. Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass sich der XXX Pen seit April 2019 auf dem Markt gut etabliert hat und dass sein Markteintritt die Marktanteile der anderen GA-Präparate negativ beeinflusst. Zu dessen Marktentwicklung hat der Gutachter der Klägerin (Anlage TW 12) nachfolgende Grafik erstellt, welche inhaltlich von der Beklagten nicht bestritten, sondern auch in ihrem Gutachten aus Anlage BB16a herangezogen wurde:
  164. Diese Grafik lässt eine Verlangsamung des Pen-Wachstums ab dem Zeitpunkt des Wiedereintritts von B 40mg/ml erkennen, worin die Klägerin einen kausalen Zusammenhang sieht. Eine Anteilsverschiebung zu ihren Gunsten hin zu der angegriffenen Ausführungsform begründet die Klägerin schriftsätzlich mit den Vertriebsbemühungen, die sie bei Ärzten und Apothekern angestellt, um die Vorzüge der angegriffenen Ausführungsform herauszustellen. Zudem wären die Nachteile des Pen, Umweltbelastung durch Einsatz sowie Gebot der kostengünstigen medizinischen Versorgung, betont worden. Tatsächliche Angaben, an denen die Kammer dieses Vorbringen festmachen oder etwa eine eigene Schätzung vornehmen könnte, fehlen allerdings. Es verbleibt bei den zuvor bestimmten Marktanteilen der angegriffenen Ausführungsform. Dabei lässt die Klägerin zudem außer Acht, dass es auch andere Gründe für einen weniger starken Umsatzanstieg geben könnte, wie etwa eine gewisse Marktabdeckung. Ferner sind auch die mit dem Pen einhergehenden Vorteile, wie insbesondere die Patienten-Compliance in der Anwendung zu berücksichtigen, was ebenfalls einer Anteilsverschiebung zugunsten der Klägerin eher entgegenstehen könnte.
  165. Ebenso wenig lässt sich rechnerisch nicht auf verlässliche und eine Verurteilung stützende Weise bemessen, wie sehr – was die Klägerin in der Triplik wiederholt betont – Ärzte neben dem eigentlichen Medikament und Wirkstoff und evtl. einem Patientensupportprogramm auch Aspekte wie den Umweltschutz (vgl. Anlage TW 22) in ihre Überlegungen zu Verordnungen einbeziehen werden. Gerade bei der Behandlung schwerer Krankheiten wie MS dürften nach Einschätzung der Kammer das Wohlergehen der Patienten sowie eine positive Beeinflussung des Krankheitsverlaufs andere Aspekte deutlich zurücktreten lassen.
  166. ff.
    Zur Berechnung des entgangenen Nettoumsatzverlusts ist die den Marktanteilen entsprechende Menge an hypothetisch abgesetzten Packungen mit dem bereinigten, d.h. unter Hug von Kostenpunkten ermittelten, Nettopreis zu multiplizieren.
  167. Auf allen GKV-Märkten sowie bei den PKVen hätte die Klägerin insgesamt 10.141 Packungen absetzen können.
  168. (1)
    Beide Parteien haben ihre Berechnungen auf dieselbe Gesamtzahl an Verpackungen für den gesamten GA 40 mg/ml Markt gestützt, weshalb auch die Kammer keinen Anhaltspunkt hat, von diesen Angaben Huweichen. Anhand dieser Gesamtmengen hat die Kammer die mit den Marktanteilen korrespondierende Anzahl hypothetisch vertriebener Verpackungen ermittelt. Wegen der konkreten Angaben für jeden Monat innerhalb des hier relevanten Schadensersatzzeitraums von Juli 2019 bis September 2020, wird auf die Anlage zum Urteil Bezug genommen.
  169. (2)
    Für die Preisermittlung hat die Klägerin ihrer hypothetischen Berechnung einen im Wesentlichen konstanten Bruttopreis je Packung (Preis wie in XXX zu Dezember 2017 gelistet) zugrunde gelegt und Durchschnittspreise errechnet, die sich aus abgesetzten 12er und 36er Packungen ergeben. Die Einzelpreise betragen durchschnittlich für eine 12er Packung EUR XXX und für eine 36er Packung EUR XXX. Den angesetzten konstanten Bruttopreis hat die Klägerin anhand von Grafiken, welche die Preisentwicklung von Januar 2018 bis Oktober 2020 zeigen, untermauert. Abgesehen von einem einmaligen Preisanstieg für Februar 2018 sind keine anderen Abweichungen zu erkennen (vgl. Anlage TW 2, S. 30).
  170. Die von diesem Bruttopreis Huziehenden und üblichen Großhandelsrabatte von 1,5 % sind zwischen den Parteien unstreitig. Ebenso wie weitere 6 %, welche gegenüber gesetzlichen Krankenkassen obligatorisch Huziehen sind. Hierbei hat die Klägerin zudem auf dem G-Teilmarkt einen Rabatt wegen des hypothetisch durchgeführten Rabattvertrages in Ansatz gebracht.
  171. Die Klägerin ist aufgrund vorstehender Faktoren zu den nachfolgenden durchschnittlichen Nettopreisen pro Packung gelangt:
  172. Die Kammer kann ihrer konkreten Schadensermittlung nur die vorstehenden Nettopreise zugrunde legen, weil auch nur gemittelte Bruttopreise bekannt sind und keine Angaben dazu vorhanden sind, wie viel Stück in welcher Verpackungsgröße abgegeben worden wären.
  173. Entgegen der Ansicht der Beklagten bestand für die Kammer kein Anlass, im Wege der Schätzung eine Korrektur des Nettopreises vorzunehmen. Die Beklagte verweist für eine Herabsetzung des Preises auf die eigene Preisentwicklung bei ihrem Präparat XXX 40mg/ml (vgl. Anlage BB16a, S. 71), die einen Preisabfall erkennen lässt. Sie meint, dass gerade bei einer Erhöhung des Marktanteils der Preis gesenkt werden müsste und zwar der Nettopreis, nach der Gewährung von Rabatten, da nur dieser von den Kunden gezahlt würde. In welchem Ausmaß ein solcher Verfall aber auch bei der angegriffenen Ausführungsform eintreten könnte, bleibt – was die Beklagte auch zugesteht – unbeziffert. Dabei hätte sich ein Anhaltspunkt etwa aus einem Vergleich des Brutto- und Nettopreises von XXX ergeben können. So ist es der Kammer mangels hinreichender Tatsachengrundlage für eine Schadensberechnung jedoch nicht möglich, eine Preissenkung zu berücksichtigen.
  174. gg.
    Ausgehend von dem zuvor ermittelten hypothetischen Nettoumsatzverlust in Höhe von EUR 11.466.759 hat die Kammer im Wege ihrer Schadensschätzung Hugsposten in Höhe von EUR 7.140.325 berücksichtigt.
  175. Der entgangene Gewinn beträgt danach 4.326.434 Euro.
  176. Bei der Berechnung des entgangenen Gewinns muss sich der Verletzte grundsätzlich nur die besonderen Aufwendungen, die so genannten Spezialunkosten, anrechnen lassen, die gerade im Zusammenhang mit dem beabsichtigten Vertrieb der Ware entstanden wären. Generalunkosten hingegen, die unabhängig davon anfallen, ob es zu einem Vertrieb zu dem konkret beabsichtigten Zeitpunkt des Markteintritts gekommen wäre, scheiden als Element der Schadensberechnung regelmäßig aus (ähnlich, jedoch im Zusammenhang mit vertragswidrig unterbliebener Abnahme BGH, NJW-RR 2001, 985 (986)).
  177. Danach sind Verpackungskosten, Transport-/Logistikkosten sowie eingesparte Vertriebs- und Marketingkosten vom reinen Nettopreis Huziehen. Höhere als seitens der Klägerin angegebene Beträge waren indessen nicht in Hug zu bringen.
  178. Die Klägerin gibt, wobei sich die Kammer dieser Bemessung anschließt, ihren Gewinnanteil mit rund 60 % an. Eingesparte Produktkosten in Höhe von 39,75 % des Nettoumsatzes, die sie aufgrund des Vertriebsstopps nicht aufbringen musste. Davon verteilen sich 39 % auf den vereinbarten Einkaufspreis, sowie 0,54 % auf eingesparte Verpackungskosten und 0,2 % auf eingesparte Transport-/Logistikkosten. Hinsichtlich der anteiligen Verpackungs- sowie Logistikkosten erhebt die Beklagte keine Einwände.
  179. Sofern die Beklagte der Angabe zum Gewinnanteil mit Verweis auf eine Gewinn- und Verlustrechnung aus dem eigenen Geschäftsbericht der Klägerin vom Jahr 2018 (vgl. Anlage BB 6) eine Gewinnquote von nur 27 % ableiten will, verfängt dies nicht. Denn in den Geschäftsbericht ist – wie auch die Beklagte erkennt – schon nicht nur der Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform einbezogen, sondern ein breiteres Produktportfolio der Klägerin. Die Parteien stimmen insoweit sogar darin überein, dass unterschiedliche Produkte unterschiedliche Gewinnmargen aufweisen können. Dabei dürfte zugunsten der von der Klägerin angegebenen Gewinnmarge zu berücksichtigen sein, dass keine Herstellungskosten anfallen, welche andernfalls maßgeblich zu einer Schmälerung des Gewinns beitragen dürften. Konkrete Anhaltspunkte, die für die angegriffene Ausführungsform gegen die seitens der Klägerin benannte Gewinnmarge sprechen, hat die Beklagte indes nicht aufgezeigt.
  180. Zudem betragen eingesparte Kosten für Marketing mit 1.822.544 Euro und eingesparte Vertriebskosten mit 760.891 Euro. Die Kammer kann sich auch hier bei ihrer schätzweisen Schadensermittlung diesen Werten anschließen. Hinsichtlich dieser Kostenpositionen hat die Klägerin nämlich auf gutachterliche Ausführungen in den Anlagen TW 2 und TW12 verwiesen, aus denen sich die Kostenpunkte ergeben. Auch dort ist zwar nicht zu erkennen, anhand welcher Materialien und Nachweise der Gutachter diese Kostenpunkte beziffern konnte. Mangels erheblichen Bestreitens durch die Beklagte hat die Klägerin mit diesen Vorbringen aber ihrer Darlegungslast genügt.
  181. hh.
    Zusammenfassend stellt sich die Berechnung des entgangenen Gewinns wie folgt dar:
  182. Der Zinsanspruch folgt aus § 291 BGB.
  183. VII.
    Die Klägerin hat ferner einen Anspruch auf Erstattung von Kollateralschäden in Höhe von 851.392 Euro wegen beschädigter Waren.
  184. Nachdem die Beklagte diesen Schadensposten bestritten hat, hat die Klägerin diesen Betrag zwar schriftsätzlich nicht näher erläutert. Aus der als Tatsachenvortrag zu wertenden eidesstattlichen Versicherung von Herrn XXX (Anlage TW 25) ergibt sich aber, dass diese Kosten aufgrund eingetretenen Verfalls von bestimmten Chargen der angegriffenen Ausführungsformen und der deswegen erforderlichen Vernichtung entstanden sind. Die Vernichtung von bestimmten Chargen als Kostengrund ist zudem schon den gutachterlichen Ausführungen in Anlage TW2, S. 38 zu entnehmen.
  185. Die Notwendigkeit der Vernichtung hat die Klägerin außerdem in der mündlichen Verhandlung damit bergründet, dass die angegriffene Ausführungsform schon neun Monate vor dem eigentlichen Verfallsdatum auf dem Markt nicht mehr absetzbar ist. Das führt zu einer faktischen Verkürzung der grundsätzlichen Haltbarkeit von drei Jahren und erklärt, weshalb bereits kurz nach der Vollziehung der einstweiligen Verfügung Vernichtungen vorgenommen wurden. Wie lange sich dabei die vernichteten Produkte schon im Besitz der Klägerin befanden, ist nicht entscheidend. Denn andere Gründe als die Vollziehung der einstweiligen Verfügung sind weder von der Beklagten erheblich behauptet worden noch im Übrigen ersichtlich.
  186. Die Kammer vermag kein Mitverschulden der Klägerin gemäß § 254 BGB festzustellen.
  187. Dass die Vernichtung der Medikamente nicht notwendig gewesen wäre, da eine andere Einsatzmöglichkeit bestanden hätte, wird von der hierfür darlegungsbelasteten Beklagten schon nicht schriftsätzlich, sondern nur gutachterlich erwogen und ebenso wenig mit anderweitigen Absatzmöglichkeiten konkret untermauert.
  188. VIII.
    Der Antrag der Klägerin zu Ziff. 2 ist begründet. Sie hat Anspruch auf Feststellung, dass ihr auch ab Oktober 2020 entstehende Schäden zu ersetzen sind. Die Schadensentstehung begann mit der Vollziehung und endet nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin ca. 24 Monate nach erneuten Markteintritt.
  189. IX.
    Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung, dass ein überschießender Vollstreckergewinn gemäß § 812 BGB herauszugeben ist.
  190. Soweit die Klägerin diesen Anspruch in Anlehnung an eine ungerechtfertigte Vollstreckung aus einem landgerichtlichen Urteil herleitet, wo ausnahmsweise die §§ 812 ff. BGB als Rechtsfolgenverweis aus § 717 Abs. 3 ZPO gelten können, ist der Anwendungsbereich hier nicht eröffnet.
  191. Die Vorschrift des § 717 ZPO begründet einerseits gemäß Abs. 2 dann eine Pflicht zum Schadensersatz, wenn dem Beklagten durch die Vollstreckung eines für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteils oder durch eine zur Abwendung der Vollstreckung gemachte Leistung ein Schaden entstanden ist, und andererseits in Abs. 3 einen Anspruch auf Erstattung desjenigen, was ein Beklagter anlässlich eines aufgehobenen oder abgeänderten Berufungsurteils gezahlt oder geleistet hat. Es handelt sich um eine ausdifferenzierte Regelung, die unterschiedliche Sachverhalte in den Blick nimmt. Während bei nur vorläufig vollstreckbaren Urteilen dem Gläubiger des Risiko für deren Fehlerhaftigkeit aufgebürdet wird und er daher auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden kann, liegt der Rechtsfolgenverweisung des Absatz 3 die Erwägung zugrunde, dass ein erhöhtes Vertrauen in die Richtigkeit einer zweitinstanzlichen Entscheidung besteht (vgl. MüKoZPO/Götz, a.a.O., § 717, Rn. 3; BGH, NJW 2017, 829 Rn. 50 ff.). Ein Nebeneinander dieser Vorschriften kommt ausnahmsweise dann in Betracht, wenn die Voraussetzungen einer Analogie gegeben sind.
  192. Darüber hinaus wird von Literatur und Rechtsprechung allenfalls eine teleologische Reduktion von Abs. 3 mit der Folge, dass Abs. 2 nicht verdrängt wird, dann als geboten erachtet, wenn der Bestand des vorläufig vollstreckbaren Berufungsurteils vom Bestand eines mit Nichtigkeitsklage angegriffenen Patents abhängig ist und das Patent nachfolgend für nichtig erklärt wird. Die Trennung von Verletzungs- und Nichtigkeitsverfahren hindert eine unmittelbare Berücksichtigung der Patentnichtigkeit bei Erlass des Berufungsurteils. Die hinter dieser Trennung stehenden Erwägungen schließen aber nicht aus, im Rahmen von § 717 Abs. 2, Abs. 3 ZPO die Abhängigkeit des Berufungsurteils vom Bestand eines Patents bei Realisierung der sich aus der Trennung erhebenden Risiken dergestalt zu berücksichtigen, dass einem entsprechenden Berufungsurteil die von Abs. 3 vorausgesetzte Bestandsgewissheit umfassend erst zukommt, wenn auch der Fortbestand des Patents seinerseits ausreichend gewiss ist, das heißt, die Nichtigkeitsklage vom BPatG abgewiesen wurde (vgl. BeckOK ZPO/Ulrici, 44. Ed. 1.3.2022, ZPO, § 717, Rn. 24.2).
  193. Auch nur solche Fälle dürften es sein, in denen nach Kühnen eine Anwendung des Abs. 3 möglich ist, da er eine Korrektur nur für geboten hält, wenn eine endgültig unberechtigte Vollstreckung eines LG-Urteils vorliegt (vgl. Kühnen, a.a.O., Kap. I, Rn. 45).
  194. Ein solcher Fall liegt hier indes nicht vor. Es handelt sich schon nicht um die Vollstreckung eines Hauptsacheurteils, sondern um eine Entscheidung, die im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens ergangen ist. Anhaltspunkte dafür, auch in Sachverhalten des einstweiligen Rechtsschutzes die Regelung des § 717 ZPO für anwendbar zu erklären, fehlen dagegen. Vielmehr handelt es sich bei § 717 ZPO um eine zu § 945 ZPO parallele Vorschrift, weil beide eine Risikohaftung des Gläubigers begründen. Insbesondere die systematische Einordnung dieser Regelung explizit in den Abschnitt über die Zwangsvollstreckung, die in erster Linie aus Urteilen erfolgt, spricht für eine differenzierte Betrachtung (vgl. BeckOK, ZPO/Mayer, a.a.O., § 945, Rn. 2). Damit besteht für den Schuldner einer Verfügungsvollziehung kein Rechtsschutzbedürfnis, auch über § 717 ZPO Erstattung zu bekommen. Der Gesetzgeber hat dessen Ansprüche abschließend geregelt (BeckOK, ZPO/Mayer, a.a.O., § 945, Rn. 8).
  195. X.
    Der Rechtsstreit war nicht gemäß § 148 ZPO auszusetzen.
  196. Danach kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.
  197. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
  198. 1.
    Mit Blick auf die Rechtsbestandsverfahren über die parallelen Patente war der hiesige Rechtsstreit nicht auszusetzen. Der Erfolg der Beschwerdeverfahren steht zur Überzeugung der Kammer nicht fest. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen unter Ziff. 1), c., bb, (2) verwiesen.
  199. 2.
    Ebenso wenig war der vorliegende Rechtsstreit aufgrund einer Vorlage an den EuGH gem. Art. 267 AEUV auszusetzen.
  200. Danach entscheidet Gerichtshof der Europäischen Union im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung der Verträge und über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union. Wird eine derartige Frage einem Gericht eines Mitgliedstaats gestellt und hält dieses Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich, so kann es diese Frage dem Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen. Eine Pflicht, die Frage an den EuGH zu richten besteht für ein nationales erstinstanzliches Gericht nur dann, wenn keine Rechtsmittel mehr gegen dessen eigene Entscheidung eingelegt werden können.
  201. Ausgehend davon besteht für die Kammer hier keine Pflicht zur Vorlage, weil gegen ein Kammerurteil die Berufung statthaft ist. Die Kammer darf deshalb von dem Ermessensspielraum Gebrauch machen und die Frage dem EuGH vorlegen, wenn sie eine Entscheidung darüber für den Erlass eines Urteils für erforderlich hält.
  202. Das ist nicht der Fall.
  203. a.
    Ein Vorlageersuchen ist vorliegend nicht deshalb begründet, weil sich aus der von der Beklagten angeführten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 28. April 2022, Az. C-44/21 (Phoenix/Harting) ergeben könnte, dass der Erlass einer einstweiligen Verfügung flexibilisiert und eine den Rechtsbestand bestätigende Entscheidung nicht mehr als mögliche Erlassvoraussetzung angesehen wird. Denn soweit dieser Entscheidung überhaupt Auswirkungen auf die gerichtliche Erteilungspraxis einstweiliger Verfügungen beigemessen werden, betreffen diese jedenfalls nicht die Handhabe der Regelung des § 945 ZPO. Auf ein Schadensersatzverfahren der hiesigen Art wirkt sich die EuGH-Entscheidung daher schon nicht aus.
  204. b.
    Soweit die Beklagte die deutsche Vorschrift des § 945 ZPO unter Bezugnahme auf die europäische Rechtssache C-688/17 (Gedeon/Richter; vorgelegt als Anlage BB 15) dahin kritisiert, dass es sich um eine starre Regelung handele, die eine verschuldensunabhängige Haftung des Vollziehungsgläubigers anordne, vermag dies allein vorliegend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Ansicht der Kammer ebenso wenig zu begründen.
  205. aa.
    Der EuGH hatte in der genannten Entscheidung darüber zu entscheiden, ob eine nationale Vorschrift des ungarischen Rechts, welche einem Geschädigten im Falle einer ungerechtfertigten Vollziehung aus einer einstweiligen Maßnahme keinen Schadensersatz zugesteht, mit europäischen Vorgaben vereinbar ist. Angeknüpft war die Vorlage an dem Begriff des „angemessenen Ersatzes“ in Art. 9 Abs. 7 der Enforcement-Richtlinie.
  206. In Rn. 51 führt der EuGH aus:
    „Es ist daher Sache dieser nationalen Gerichte, in Ausübung der ihnen innerhalb dieses Rahmens übertragenen Befugnisse die besonderen Umstände der bei ihnen anhängigen Rechtssachen zu beurteilen, um zu entscheiden, ob der Antragsteller zu verurteilen ist, dem Antragsgegner Ersatz zu leisten, der „angemessen“, d. h. in Anbetracht dieser Umstände gerechtfertigt, sein muss.“
  207. Daraus leitet der EuGH im Weiteren ab, dass allein der Umstand einer zu Unrecht ergangenen einstweiligen Maßnahme nicht bedeutet, den Antragsteller zu jedwedem Schadensersatz verurteilen zu müssen. Denn dies könnte einen Schutzrechtsinhaber von der Geltendmachung seiner Rechte im Eilverfahren abhalten, obwohl seinerseits möglicherweise ein nicht wiedergutzumachender Schaden drohen könnte. Für die Frage der Erstattung etwaiger Schäden beim Antragsgegner soll den Gerichten gestattet sein, alle objektiven Umstände der Rechtssache, einschließlich des Verhaltens der Parteien, gebührend zu berücksichtigen, um insbesondere zu prüfen, ob der Antragsteller diese Maßnahmen nicht missbräuchlich verwendet hat (vgl. EuGH-Urteil, Rn. 71).
  208. Selbst wenn dieser Vorlageentscheidung, welche konkret auf eine Vorschrift, welche keinerlei Erstattungsmöglichkeiten vorsah, die grundsätzliche Anweisung zu entnehmen sein soll, neben dem (un-) gerechtfertigten Erlass einer Eilmaßnahme auch weitere Umstände für die Erstattungspflicht zu berücksichtigen, ist vorliegend eine Aussetzung nicht angezeigt.
  209. Denn im vorliegenden Fall darf das Gericht nach § 287 ZPO die Höhe des Schadens schätzen. Dadurch kommt dem Gericht eine Beweiserleichterung zugute und es darf Tatsachenvorbringen der Parteien zur Grundlage seiner Schätzung machen. Hierdurch wird eine etwaige Starre der Schadensersatzregelung jedenfalls abgemildert. Dies gilt umso mehr, als schon in der zuvor vorgenommenen Referenzmarktbestimmung sowie bei der Bemessung der Marktanteile ein Spielraum zugunsten der Kammer bestand, von dem diese auch Gebrauch gemacht hat.
  210. Im Übrigen hätte die Kammer hier keine Möglichkeit gehabt, andere Umstände als die Vernichtung des Verfügungspatents in ihre Entscheidung einzustellen, da insbesondere von der Beklagtenseite, der diese etwaige Anforderung aus der EuGH-Entscheidung bekannt war, kein dahingehender Vortrag erfolgt ist. Nähere Angaben zum Verhalten der hiesigen Parteien und nähere zeitliche Abläufe zu Benutzungshandlungen und dem anschließenden Erlass der einstweiligen Verfügung fehlen.
  211. bb.
    Auch der Verweis auf das finnische Vorabentscheidungsersuchen führt ungeachtet dessen, dass der Schriftsatznachlass schon nicht auf diesen Aspekt bezogen war und die Entscheidung des finnischen Gerichts vom 14. Juli 2022, mithin zu einem Zeitpunkt vor der mündlichen Verhandlung erging, zu keiner anderen Bewertung des hiesigen Sachverhalts. Denn es verbleibt dabei, dass die Kammer hier Ermessen ausgeübt hat und dadurch eine verschuldensunabhängige Haftung abgemildert ist.
  212. cc.
    Soweit die Beklagte auch hinsichtlich eines bereicherungsrechtlichen Anspruchs Bedarf für eine Vorlage an den EuGH sieht, vermag dies hier schon deshalb keine Aussetzung zu begründen, da nach Auffassung der Kammer ein solcher Anspruch nicht besteht.
  213. C.
    Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3, 709 ZPO.
  214. Streitwert: X

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