4a O 70/18 – Schlossgehäuse

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3240

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 25. August 2022, Az. 4a O 70/18

  1. I. Die Klage wird abgewiesen.
  2. II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
  3. III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
  4. Tatbestand
  5. Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen unmittelbarer Patentverletzung auf Auskunft und Rechnungslegung sowie auf Feststellung der Pflicht zur Zahlung einer Entschädigung und zum Leisten von Schadensersatz, jeweils dem Grunde nach, in Anspruch.
  6. Die Klägerin war die im Register des Deutschen Patent- und Markenamts (vgl. Anlage TRI 2) eingetragene Inhaberin des deutschen Teils des Europäischen Patents EP 982 XXX B1 (nachfolgend: Klagepatent; vorgelegt in Anlage TRI 1). Das in deutscher Verfahrenssprache erteilte Klagepatent wurde am 10.06.1999 unter Inanspruchnahme der Prioritäten der DEXXX vom 25.08.1998 und der DEXXX vom 15.04.1999 angemeldet. Die Offenlegung der Anmeldung erfolgte am 01.03.2000. Das Europäische Patentamt veröffentlichte am 24.04.2005 den Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents.
  7. Das Klagepatent erlosch am 10.06.2019 nach Erreichen der maximalen Schutzdauer. Auf eine von der Beklagten zu 1) erhobene Nichtigkeitsklage hielt das Bundespatentgericht das Klagepatent mit Urteil vom 19.04.2021 in eingeschränkten Umfang aufrecht (vgl. das in Anlage B 1 vorgelegte Urteil; nachfolgend kurz: BPatGU). Gegen das Urteil des Bundespatentgerichts ist ein Nichtigkeitsberufungsverfahren vor dem Bundesgerichtshof anhängig.
  8. Patentanspruch 1 des Klagepatents lautet in der erteilten Fassung:
  9. „Gehäuse, insbesondere Schloßgehäuse für einen Kraftfahrzeugtürverschluß, Getriebegehäuse oder dergleichen Leitungsträger, aus Kunststoff, insbesondere Spritzguß-Kunststoff, mit einem oder mehreren elektrischen Bauteilen, denen elektrische Leitungen mit Anschlußeinrichtungen zugeordnet sind, wobei die elektrischen Leitungen mit dem Gehäuse fest verbunden sind,
  10. dadurch gekennzeichnet, daß die an die elektrischen Leitungen (7) anzuschließenden Bauteile (6) einen oder mehrere federnde Anschlußleiter (9) zur Kontaktierung mit den Anschlußeinrichtungen (8) der elektrischen Leitungen (7) aufweisen.“
  11. In der vom Bundespatentgericht aufrechtgehaltenen und von der Klägerin nunmehr geltend gemachten Fassung lautet Anspruch 1 des Klagepatents wie folgt:
  12. „Schlossgehäuse (3) für einen Kraftfahrzeug-Türverschluss aus Spritzguss-Kunststoff, mit einem oder mehreren elektrischen sowie als Mikro-Schalter (6) ausgebildeten Bauteilen (6), denen elektrische Leitungen (7) mit Anschlusseinrichtungen (8) zugeordnet sind, wobei die elektrischen Leitungen (7) mit dem Schlossgehäuse (3) durch Spritzgießen fest verbunden und in das Schlossgehäuse (3) eingebettet sind,
  13. dadurch gekennzeichnet, dass
  14. die an die elektrischen Leitungen (7) anzuschließenden Mikro-Schalter (6)
    einen oder mehrere federnde Anschlussleiter (9) zur endseitigen Kontaktierung mit den Anschlusseinrichtungen (8) der elektrischen Leitungen (7) aufweisen,
    wobei die federnden Anschlussleiter (9) als Leiterblechstreifen (9) ausgebildet sind und in etwa orthogonal zur Fügerichtung (Pfeil A) aus dem Mikro-Schalter (6) austreten,
    und wobei die federnden Anschlussleiter (9) der Mikro-Schalter (6) derart ausgebildet sind, dass die Federwirkung (Pfeil B) der Anschlussleiter (9) in etwa orthogonal zur Fügerichtung (Pfeil A) der Mikro-Schalter (6) ausgerichtet ist, und dadurch auftretende Kräfte nicht oder nur unwesentlich auf den Vergussbereich und das Innere der Mikro-Schalter (6) übertragen werden
    und die Anschlusseinrichtungen (8) der elektrischen Leitungen (7) als senkrecht aufstehende Kontaktstege (10) ausgebildet sind,
    wobei die elektrischen Anschlussleiter (9) als Spreizelemente mit Kontaktflächen (11) ausgebildet sind, welche auf die Kontaktstege (10) aufsteckbar sind,
    und wobei die federnden Anschlussleiter (9) ein in etwa parallel zur Fügerichtung (Pfeil A) abgewinkeltes Kontaktende (12) aufweisen, welches eine auffedernde sowie Ω-förmig ausgebildete Klemmausnehmung (13) aufweist, die auf die Kontaktstege (10) aufsteckbar ist.“
  15. Zur Veranschaulichung der beanspruchten Lehre wird eine vom Gericht kolorierte Version von Figur 2 der Klagepatentschrift eingeblendet, die nach Abs. [0009] der Beschreibung des Klagepatents einen Teil eines Schlossgehäuses mit Anschlusseinrichtungen nach einem Ausführungsbeispiel zeigt:
  16. Wie aus Abs. [0010] der Klagepatentbeschreibung hervorgeht, zeigt die vorstehende Figur 2 ein elektrisches Bauteil (Bezugsziffer 6, rot markiert) mit federnden Anschlussleitern (9, gelb). Auf einer Stirnwand (5, lila) eines Gehäuses sind elektrische Leitungen (7, blau) mit Anschlusseinrichtungen (8, grün markiert) aufgebracht. Das elektrische Bauteil (6, rot) ist in der Darstellung noch nicht an die Anschlusseinrichtungen (8, grün) der elektrischen Leitungen angeschlossen.
  17. Zur weiteren Veranschaulichung werden nachfolgend die Figuren 3 und 4 des Klagepatents verkleinert eingeblendet:
  18. Die Beklagten sind Unternehmen aus dem A-Konzern, an deren Spitze die A XXX SE & Co steht. Die Beklagte zu 1) entwickelte zur Ausrüstung der X-Baureihe der B AG (nachfolgend: B; vgl. den Entwicklungsvertrag mit B in Anlage B 13) ein Heckklappenschloss mit der dortigen Teilenummer XXX (nachfolgend angegriffene Ausführungsform) und lieferte ein Muster an B. Die Beklagte zu 2) ist ein portugiesisches Unternehmen und stellt die angegriffene Ausführungsform in X in Serie für B her (vgl. den Vertrag in Anlage B 14). B ist der einzige Kunde der angegriffenen Ausführungsform und holt die angegriffene Ausführungsform in Portugal am Werkstor der Beklagten zu 2) ab.
  19. Zur Veranschaulichung der Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform wird nachfolgend ein Bild aus dem Inneren einer angegriffenen Ausführungsform eingeblendet (von S. 12 der Klageschrift = Bl. 12 GA; die Bezugsziffern wurden von der Klägerin eingefügt und entsprechen deren Parteivortrag):
  20. Zur Veranschaulichung der Ausgestaltung der Klemmen zur elektrischen Verbindung der Schalter mit dem Gehäuse werden nachfolgend weitere Bilder von S. 25 ff. des Schriftsatzes der Beklagten vom 25.04.2022 (Bl. 164 ff. GA) eingeblendet:
  21. Die in der angegriffenen Ausführungsform verbauten Schalter (Ziffer 6 im Bild oben) bezogen die Beklagten von der C GmbH, X, der die Klägerin eine Lizenz am Klagepatent zum Vertrieb dieser Schalter erteilte.
  22. Die Klägerin ist der Ansicht, die angegriffene Ausführungsform verwirkliche die Lehre des Klagepatents unmittelbar wortsinngemäß. Die Anschlussleiter der angegriffenen Ausführungsform seien als federnde Spreizelemente im Sinne von Anspruch 1 ausgestaltet.
  23. Die Klage sei auch in der derzeit eingeschränkten Fassung des Klagepatents begründet, da die neu eingefügten Merkmale ebenfalls verwirklicht seien. Das Bundespatentgericht habe den Begriff der Omega-förmigen Klemmausnehmung zutreffend ausgelegt. Eine Omega-Form weise eine geschlossene, rund ausgebildete Oberseite und eine offene Unterseite auf, die wiederum eine abgerundete Engstelle habe, die sich in einer Rundung nach außen wieder öffne. Eine technisch-funktionale Bedeutung hätten nur die Ober- und die Unterseite, die ein Aufstecken auf die Kontaktstege ermöglichten. Dagegen sei der Teilaspekt „bauchig“, in Bezug auf den Bereich, der sich an das Ende der rund ausgestalteten Oberseite anschließe und bis zur abgerundete Engstelle unten reiche („Zwischenbereich“), weder begrifflich noch technisch funktional – für den einwandfreien elektrischen Kontakt oder die kinematische Entlastung – von Bedeutung. Figur 3 des Klagepatents, auf den das Bundespatentgericht zur Definition einer Omega-Form verweise, zeige gerade auch eine längliche Erstreckung der Seitenwände. Das Bundespatentgericht differenziere zwischen einer Omega-Form nach Figur 2 und einer Omega-förmigen Ausbildung in Figur 3 des Klagepatents, wobei der beanspruchte Begriff Omega-förmig weiter zu verstehen sei.
  24. Die angegriffene Ausführungsform weise eine langgestreckte Omega-förmige Klemmausnehmung mit den patenttragenden Merkmalen auf – namentlich einer geschlossenen Oberseite, die rund ausgebildet sei, sowie einer offenen Unterseite, die eine abgerundete Engstelle aufweise, die sich in einer Rundung nach außen wieder öffne. Es liege dagegen ersichtlich keine U- oder Tulpen-Form vor, von der das Bundespatentgericht die Omega-förmige Klemmausnehmungen abgegrenzt habe.
  25. Die Beklagten hafteten als Gesamtschuldner, da sie bei der Lieferung der angegriffenen Ausführungsform an B in Deutschland arbeitsteilig zusammen arbeiteten. Der Entwicklungsvertrag (Anlage B 14) und der Langzeitliefervertrag über die Serienfertigung (Anlage B 13) stellten eine untrennbare Einheit dar.
  26. Die Benutzung der patentgemäßen Lehre erfolge unberechtigt. Die Rechte aus dem Klagepatent seien hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsform nicht aufgrund der der C GmbH erteilten Lizenz erschöpft. Der zugelieferte Schalter betreffe nur das elektrische Bauteil im Sinne des Klagepatents (Bezugsziffer 6) und führe nicht zur Erschöpfung am Gesamtgegenstand – d.h. der angegriffenen Ausführungsform.
  27. Eine den Beginn der Verjährung auslösende Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis habe auf Seiten der Klägerin nicht vorgelegen. Sie habe bis zur Auskunft in einem Parallelverfahren keine Kenntnis von der Beklagten zu 2) als Herstellerin der angegriffenen Ausführungsform gehabt. Es liege auch keine fahrlässige Unkenntnis vor, da die Beklagte zu 1) mit Schriftsatz vom 26.11.2019 die ausschließliche Herstellereigenschaft der Beklagten zu 1) vorgetragen und an Eides statt versichert habe. Ferner hätten nach der Abmahnung vom 17.10.2016 verjährungshemmende Verhandlungen stattgefunden, die für den gesamten A-Konzern geführt worden seien.
  28. Das Verfahren sei nicht im Hinblick auf das Nichtigkeitsverfahren auszusetzen. Die zur Verletzung des Klagepatents führende Auslegung der Klägerin widerspreche nicht der Argumentation des Bundespatentgerichts, mit der das Klagepatent beschränkt aufrechterhalten worden sei.
  29. Ursprünglich hat die Klägerin angekündigt, gegenüber der Beklagten zu 1) neben den nunmehr gegen diese geltend gemachten Ansprüche auch Unterlassung sowie Rückruf und Vernichtung patentverletzender Erzeugnisse zu beantragen, wobei sie sich auf eine – im Vergleich zum nun geltend gemachten Anspruchswortlaut – weitere Anspruchsfassung gestützt hat.
  30. Den Unterlassungsantrag hat die Klägerin nach Erlöschen des Klagepatents nach Ablauf seiner maximalen Schutzdauer für erledigt erklärt. Dieser teilweisen Erledigungserklärung hat sich die Beklagte zu 1) in der mündlichen Verhandlung vom 26.11.2019 angeschlossen.
  31. Nach der Aussetzung der Verhandlung des hiesigen Rechtsstreits hat die Klägerin die Klage auf die Beklagte zu 2) erweitert und geht nunmehr auf Grundlage der vom Bundespatentgericht zwischenzeitlich beschränkt aufrechterhaltenen Fassung des Klagepatents vor. Die ursprünglich verfolgten Ansprüche auf Rückruf und Vernichtung hat sie in der mündlichen Verhandlung vom 09.08.2022 zurückgenommen.
  32. Die Klägerin beantragt nunmehr:
  33. I. die Beklagten zu verurteilen,
  34. 1. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, chronologisch geordneten Verzeichnisses in elektronischer Form Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagten jeweils
  35. in der Zeit vom 25.05.2006 bis 10.06.2019
  36. Schlossgehäuse (3) für einen Kraftfahrzeug-Türverschluss aus Spritzguss-Kunststoff mit einem oder mehreren elektrischen sowie als Mikro-Schalter (6) ausgebildeten Bauteilen (6), denen elektrische Leitungen (7) mit Anschlusseinrichtungen (8) zugeordnet sind, wobei die elektrischen Leitungen (7) mit dem Schlossgehäuse (3) durch Spritzgießen fest verbunden und in das Schlossgehäuse (3) eingebettet sind, die an die elektrischen Leitungen (7) angeschlossenen Mikro-Schalter (6) einen oder mehrere federnde Anschlussleiter (9) zur endseitigen Kontaktierung mit den Anschlusseinrichtungen (8) der elektrischen Leitungen (7) aufweisen,
  37. wobei die federnden Anschlussleiter (9) als Leiterblechstreifen (9) ausgebildet sind und in etwa orthogonal zur Fügerichtung (Pfeil A der Figur 2 des Klagepatents gem. Anlage TRI1) aus dem Mikro-Schalter (6) austreten und wobei die federnden Anschlussleiter (9) der Mikro-Schalter (6) derart ausgebildet sind, dass die Federwirkung (Pfeil B der Figur 2 des Klagepatents gem. Anlage TRI1 ) der Anschlussleiter (9) in etwa orthogonal zur Fügerichtung (Pfeil A der Figur 2 des Klagepatents gem. Anlage TRI1) der Mikro-Schalter (6) ausgerichtet ist und dadurch auftretende Kräfte nicht oder nur unwesentlich auf den Vergussbereich und das Innere der Mikro-Schalter (6) übertragen werden und die Anschlusseinrichtungen (8) der elektrischen Leitungen (7) als senkrecht aufstehende Kontaktstege ausgebildet sind, wobei die elektrischen Anschlussleiter als Spreizelemente mit Kontaktflächen (11) ausgebildet sind, welche auf die Kontaktstege (10) aufsteckbar sind und wobei die federnden Anschlussleiter (9) ein in etwa parallel zur Fügerichtung (Pfeil A der Figur 2 des Klagepatents gem. Anlage TRI1) abgewinkeltes Kontaktende (12) aufweisen, welches eine auffedernde sowie Ω-förmig ausgebildete Klemmausnehmung (13) aufweist, die auf die Kontaktstege (10) aufsteckbar ist,
  38. in der Bundesrepublik Deutschland hergestellt, angeboten und/oder in den Verkehr gebracht haben und/oder zu diesen Zwecken eingeführt und/oder besessen haben oder Vorstehendendes jeweils haben tun lassen,
  39. was auch dann gilt, wenn diese Produkte von der Beklagten zu 2 im Ausland an Unternehmen des B-Konzerns (§§ 15 ff. AktienG) ausgeliefert worden sind und die Beklagten zu 1 und zu 2 infolge des Einzelentwicklungsvertrags der Beklagten zu 1) mit der B AG vom 10.06.2013 und des Langzeitliefervertrags der Beklagten zu 2) mit der B AG mit Wirkung vom 26.03.2013 wussten oder für diese infolge der Abmahnung der Klägerin gegenüber der Beklagten zu 1) vom 17.10.2016 konkrete Anhaltspunkte dafür bestanden, dass die abnehmende B-Gesellschaft die Produkte weiter nach Deutschland liefern/liefern lassen und dort besitzen und/oder anbieten würde
  40. und zwar unter Angabe
  41. a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
  42. b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
  43. c) der Menge der nach Deutschland eingeführten und/oder hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse gezahlt wurden,
  44. wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsdürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen und
  45. wobei Angaben zu den „Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren“ und zu den „Preisen, die für die betreffenden Erzeugnisse gezahlt wurden“ erst für Handlungen ab dem 30.04.2006 zu machen sind und
  46. 2. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, chronologisch geordneten Verzeichnisses in elektronischer Form Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagten die zu I.1. bezeichneten Handlungen in der Zeit vom 01.04.2000 bis 10.06.2019 begangen haben, und zwar unter Angabe
  47. a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,
  48. b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen, sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
  49. c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagehöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
  50. d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
  51. wobei es den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der Angebotsempfänger und der nicht gewerblichen Abnehmer statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage hin mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder ein bestimmter Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist,
  52. und wobei die Angaben zu d) bezüglich der zu I.1. bezeichneten Handlungen nur für die Zeit seit dem 25.06.2005 zu machen sind;
  53. II. festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind,
  54. 1. der Klägerin für die unter Ziffer I.1. bezeichneten, in der Zeit vom 01.04.2000 bis 24.06.2005 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen,
  55. 2. der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 25.06.2005 bis 10.06.2019 begangenen Handlungen entstanden ist und künftig noch entstehen wird;
  56. hilfsweise:
    es der Klägerin nachzulassen, die Zwangsvollstreckung wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung durch Bankbürgschaft abzuwenden.
  57. Weiterhin beantragt die Klägerin, für jeden zuerkannten Anspruch und für die Kostengrundentscheidung Teilsicherheiten festzusetzen.
  58. Die Beklagten beantragen,
  59. die Klage abzuweisen;
  60. hilfsweise:
    das Patentverletzungsverfahren bis zum rechtskräftigen Ausgang des Berufungsnichtigkeitsverfahrens vor dem Bundesgerichtshof mit dem Az. X ZR 51/21 auszusetzen.
  61. Die Beklagten meinen, die angegriffene Ausführungsform verletze das Klagepatent nicht. In der angegriffenen Ausführungsform sei der Anschlussleiter nicht wie von Anspruch 1 verlangt federnd und spreizend ausgestaltet. Hinsichtlich der Federwirkung sei auf das allgemeine Federverständnis abzustellen. Der Hersteller der Mikroschalter bezeichne diese zutreffend als „Schneid-Klemm-Anschlüsse“. Auch im Übrigen finde keine Federung statt.
  62. Das neu eingefügte Merkmal einer Omega-förmigen Klemmausnehmung werde von der angegriffenen Ausführungsform nicht verwirklicht.
  63. Das Bundespatentgericht habe die beanspruchte Omega-Form klar von der Glocken- und der Tulpenform abgegrenzt, wobei die Tulpenform als Obergriff zu verstehen sei. Der entscheidende Unterschied zur aufrechterhaltenen Omega-Form liege darin, dass die nicht-beanspruchte Tulpen-Form steilere, ggf. gerade und senkrecht verlaufende Seiten aufweise. Das Klagepatent sei nur deswegen aufrechterhalten worden, weil die NKL 17 (Anlage B 3) dem Fachmann keinen Hinweis darauf gebe, die dort gezeigten, steilen Seitenwände bauchig bzw. abgerundet zu gestalten. Die beanspruchte Omega-Form schließe eine etwa in der NKL 17 gezeigte Tulpenform mit steilen bzw. gradlinigen Wänden aus. Dagegen lasse die Klägerin bei ihrer Auslegung das Teilmerkmal zum Verlauf der Seitenwände, namentlich deren bauchige Form, unter den Tisch fallen.
  64. Das Erfordernis der Bauchigkeit der Omega-Form werde nicht durch die Formulierung „Omega-förmig“ aufgeweicht, da das Bundespatentgericht die Omega-Form und Omega-förmig insoweit synonym verstehe. Die bauchige Gestaltung der Seitenwände trage maßgeblich zur Neutralisierung der Spannungskonzentration bei. Soweit das Bundespatentgericht auf Figur 3 des Klagepatents abstelle, bedeute dies nicht, dass bei einer Omega-Form bzw. Omega-förmigen Ausnehmung die Seitenflanken bzw. Seitenwände auch steil sein dürften. Zur Definition der Omega-Form bzw. der Omega-förmigen Ausnehmung stelle das Bundespatentgericht nicht allein auf die Figur 3 des Klagepatents, sondern auf die Figuren 2, 3 und 4 in der Gesamtschau ab und beziehe ausdrücklich auch die Bauchform in die Definition mit ein.
  65. Die angegriffene Ausführungsform weise keine klagepatentgemäße Omega-förmige Klemmausnehmung auf, sondern eine U-Form mit senkrechten, steil verlaufenden Seitenwänden. Da die Oberseite nur gering abgerundet und die Unterseite eine gerundete Engstelle aufweise, unterfalle die Klemme der angegriffenen Ausführungsform der Variante der Tulpen-Form des Bundespatentgerichts, die es explizit als nicht rechtsbeständig angesehen habe.
  66. Es liege auch deshalb keine Verletzung des Klagepatents vor, weil die Lieferantin der Beklagten Lizenznehmerin der Klägerin sei. Anzunehmen sei, dass sich die gewährte Lizenz auf die Abnehmer der C GmbH erstrecke und damit die Beklagten erfasse. Eine Lizenz am Klagepatent betreffe gerade die Schnittstelle zwischen dem Mikroschalter und dem Türschloss. Eine auf den Mikroschalter beschränkte Lizenz ergebe keinen Sinn.
  67. Die Beklage zu 2) stelle – insoweit unstreitig – ausschließlich in Portugal her und begehe daher keine inländischen Patentverletzungen. B sei für die Entwicklung der angegriffenen Ausführungsform ausschließlich an die Beklagte zu 1) herangetreten und für die Serienproduktion ausschließlich an die Beklagte zu 2). Mit der Entwicklung der angegriffenen Ausführungsformen und der Bemusterung sei die Tätigkeit der Beklagten zu 1) beendet gewesen. Die Beklagte zu 1) leiste der Beklagten zu 2) keine Beihilfe, sondern unterstütze lediglich die an der Spitze des A-Konzerns stehende A XXX SE & Co.
  68. Zur Begründung der von ihnen – unstreitig – erhobenen Einrede der Verjährung tragen die Beklagten vor, dass die subjektiven Voraussetzungen der regelmäßigen Verjährung hinsichtlich der Beklagten zu 2) bei der Klägerin vorlägen. Diese hätte problemlos herausfinden können, dass die Beklagte zu 2) Herstellerin der angegriffenen Ausführungsform war, so etwa aufgrund des Aufdrucks „Made in Portugal“. Verjährungshemmende Verhandlungen habe es nicht gegeben, erst recht nicht im Hinblick auf die Beklagte zu 2).
  69. Hilfsweise sei das Verfahren in Bezug auf das Nichtigkeitsberufungsverfahren auszusetzen, da bei der Auslegung der Klägerin die Figur 3 der NKL 17 (Anlage B 2) das Klagepatent unmittelbar vorwegnehme. Da die Klägerin die Omega-Form mit der Tulpenform derart gleichsetze, dass die Omega-Form auch steile Seitenwände aufweisen könne, sei die vom Bundespatentgericht vorgenommene Abgrenzung zum Stand der Technik hinfällig.
  70. Das Gericht hat den Parteien und den Prozessbevollmächtigten von Amts wegen gestattet, sich während der mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen über den von der Justiz des Landes NRW zur Verfügung gestellten Virtuellen Meetingraum (VMR) vorzunehmen. Davon haben die Prozessbevollmächtigten Gebrauch gemacht.
  71. Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf die ausgetauschten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 26.11.2019 und vom 09.08.2022 Bezug genommen.
  72. Entscheidungsgründe
  73. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 2, 140b PatG, §§ 242, 259 BGB, Art. II § 1 Abs. 1 S. 1 IntPatÜG gegen die Beklagten nicht zu, da eine Verletzung des Klagepatents nicht festgestellt werden kann.
  74. I.
    Die angegriffene Ausführungsform macht von Anspruch 1 des Klagepatents keinen Gebrauch.
  75. 1.
    Das Klagepatent (nachfolgend entstammen Abs. ohne Quellenangaben dem Klagepatent) betrifft insbesondere Schlossgehäuse für einen Kraftfahrzeugtürverschluss aus Kunststoff mit einem oder mehreren elektrischen Bauteilen, denen elektrische Leitungen mit Anschlusseinrichtungen zugeordnet sind, ausgestaltet ist, wobei die elektrischen Leitungen mit dem Gehäuse fest verbunden sind.
  76. In seiner einleitenden Beschreibung erläutert das Klagepatent, dass derartige Vorrichtungen aus dem Dokument DE-A-4 XXX XXX (nachfolgend: NKL 2, vorgelegt als Anlagen TRI3 und KAP3) bekannt sind (Abs. [0001]). Ferner ist auch ein Verfahren zur Herstellung solcher Vorrichtungen bekannt. Hierbei werden die elektrischen Leitungen und die Kontaktvorrichtungen in eine dem herzustellenden Schlossgehäuse entsprechende Spritzgießform eingelegt und im Wege des Spritzgießens in zu armierende Bereiche des Gehäuses eingebettet, während die Kontaktvorrichtungen beim Spritzen des Schlossgehäuses zumindest bereichsweise in das Gehäuse eingespritzt werden. Dadurch wird das Schlossgehäuse bewehrt. Die eingebetteten Leitungen bestehen regelmäßig aus einem galvanisch leitenden Kunststoff oder einer galvanisch leitenden Kunststoffschicht und sind mit einer entsprechenden metallisch leitenden Auflage versehen. Die Anschlusseinrichtungen sind bei der bekannten Ausführungsform entweder als Löthülsen oder als federnde Lippen aufweisende Taschen ausgebildet (Abs. [0002]).
  77. In Abs. [0003] bezeichnet es das Klagepatent als seine Aufgabe, ein Gehäuse gemäß der eingangs beschriebenen Ausführungsform zu schaffen, das nicht nur in montagetechnischer und stabilitätsmäßiger Hinsicht allen Anforderungen genügt und einen einwandfreien elektrischen Kontakt gewährleistet, sondern bei dem auch auftretende Federkräfte nicht oder zumindest möglichst gering auf die elektrischen Bauteile übertragen werden.
  78. 2.
    Zur Lösung schlägt das Klagepatent ein Schlossgehäuse nach Maßgabe von Anspruch 1 vor. Dieser kann in der geltend gemachten, vom Bundespatentgericht beschränkt aufrechterhaltenen Fassung in Form einer Merkmalsanalyse wie folgt dargestellt werden:
  79. a) Schlossgehäuse für einen Kraftfahrzeugtürverschluss.
  80. b) Das Schlossgehäuse ist aus Spritzguss-Kunststoff.
  81. c) Das Schlossgehäuse umfasst einen oder mehrere elektrische sowie als Mikro-Schalter (6) ausgebildeten Bauteile (6).
  82. d) Den als Mikro-Schalter (6) ausgebildeten Bauteilen sind elektrische Leitungen (7) mit Anschlusseinrichtungen (8) zugeordnet.
  83. e) Die elektrischen Leitungen (7) sind mit dem Schlossgehäuse (3) durch Spritzgießen fest verbunden und in das Schlossgehäuse (3) eingebettet.
  84. f) Die an die elektrischen Leitungen (7) anzuschließenden Mikro-Schalter (6) weisen einen oder mehrere federnde Anschlussleiter (9) zur endseitigen Kontaktierung mit den Anschlusseinrichtungen (8) der elektrischen Leitungen auf.
  85. g) Die federnden Anschlussleiter (9) sind als Leiterblechstreifen (9) ausgebildet und treten in etwa orthogonal zur Fügerichtung (Pfeil A) aus dem Mikro-Schalter (6) aus.
  86. h) Die federnden Anschlussleiter (9) der Mikro-Schalter (6) sind derart ausgebildet, dass die Federwirkung (Pfeil B) der Anschlussleiter (9) in etwa orthogonal zur Fügerichtung (Pfeil A) der Mikro-Schalter (6) ausgerichtet ist.
  87. i) Durch die Ausrichtung der Federwirkung werden auftretende Kräfte nicht oder nur unwesentlich auf den Vergussbereich und das Innere der Mikro-Schalter (6) übertragen.
  88. j) Die Anschlusseinrichtungen (8) der elektrischen Leitungen (7) sind als senkrecht aufstehende Kontaktstege (10) ausgebildet.
  89. k) Die elektrischen Anschlussleiter (9) sind als Spreizelemente mit Kontaktflächen (11) ausgebildet, welche auf die Kontaktstege (10) aufsteckbar sind.
  90. l) Die federnden Anschlussleiter (9) weisen ein in etwa parallel zur Fügerichtung (Pfeil A) abgewinkeltes Kontaktende (12) auf, welches eine auffedernde sowie Ω-förmig [Omega-förmig] ausgebildete Klemmausnehmung (13) aufweist, die auf die Kontaktstege (10) aufsteckbar ist.
  91. 3.
    Das Klagepatent lehrt ein für ein Kraftfahrzeugtürschloss bestimmtes Schlossgehäuse aus Spritzguss-Kunststoff (Merkmale a) und b)). In das Schlossgehäuse sind elektrische Leitungen fest eingebettet (Merkmal e)).
  92. Weiterhin umfasst das Schlossgehäuse ein oder mehrere elektrische Mikroschalter (Merkmal c)), denen die im Schlossgehäuse eingebetteten elektrischen Leitungen mit Anschlusseinrichtungen zugeordnet sind (Merkmal d)). Dabei sind die Anschlusseinrichtungen der im Schlossgehäuse eingebetteten elektrischen Leitungen als senkrecht aufstehende Kontaktstege ausgebildet (Merkmal j)). An diese Anschlusseinrichtungen sollen die Mikroschalter angeschlossen werden, so dass elektrischer Strom fließen kann.
  93. Die Mikroschalter wiederum weisen – gewissermaßen als Gegenstück zu den Kontaktstegen der elektrischen Leitungen – federnde Anschlussleiter auf, die mit den Kontaktstegen verbunden werden können (Merkmal f)). Die Ausgestaltung der federnden Anschlussleiter wird in den Merkmalen h), i), k) und l) näherer spezifiziert: Hiernach sind sie als Spreizelemente mit Kontaktflächen ausgebildet, welche auf die senkrechten Kontaktstege der Leitungen aufsteckbar sind (Merkmal k)) und zum Aufstecken eine Klemmausnehmung aufweisen (Merkmal l)). Die Federwirkung der Anschlussleiter soll dabei orthogonal zur Fügerichtung der Mikroschalter ausgerichtet sein (Merkmal h)). Zur Veranschaulichung wird nachfolgend ein Ausschnitt aus Figur 2 eingeblendet, in der die Fügerichtung mit Pfeil A gezeigt ist, während die Federwirkung als Pfeil B illustriert ist:
  94. Durch die orthogonal zur Fügerichtung wirkende Federkraft werden Kräfte nicht oder nur unwesentlich auf den Vergussbereich und das Innere der Mikro-Schalter übertragen (Merkmal k)). Die Form der federnden Anschlussleiter bzw. deren Klemmausnehmung wird von Merkmal l) näher spezifiziert: Dieses weisen ein in etwa parallel zur Fügerichtung abgewinkeltes Kontaktende auf, wobei die Klemmausnehmung auffedernde und Ω-förmig [Omega-förmig] ausgebildet ist.
  95. Durch die beanspruchte (federnde) Ausgestaltung der Anschlussleiter sollen Kontaktprobleme zwischen elektrischen Bauteilen und elektrischen Leitungen durch Verformungen vermieden werden (vgl. Abs. [0004]). Die federnde Ausgestaltung ermöglicht es, die Anschlusseinrichtungen (8) der elektrischen Leitungen (7) im Schlossgehäuse in Form von Kontaktstegen starr auszubilden, so dass bei diesen Verformungen kein Problem darstellen. Dies vereinfacht die Fertigung des Gehäuses, weil die Elemente mit Federwirkung nicht mehr im Bereich der Anschlusseinrichtungen (also im Gehäuse), sondern im Bereich der Anschlussleiter der elektrischen Bauteile untergebracht sind (Abs. [0004]) werden. Der Anschlussleiter wird zwar beim Fügen (d.h. Einbau des elektrischen Bauteils (6) in das Schlossgehäuse) kurzfristig belastet, anschließend werden die Belastungen aber weitestgehend unterdrückt. Bei empfindlichen Bauteilen besteht so nicht mehr die Gefahr der Beschädigung beim Fügen.
  96. 4.
    Vor dem Hintergrund des Streits der Parteien bedarf Merkmal l), wonach die federnden Anschlussleiter ein in etwa parallel zur Fügerichtung abgewinkeltes Kontaktende aufweisen, das wiederum eine auffedernde sowie Ω-förmig [Omega-förmig] ausgebildete Klemmausnehmung aufweisen, der näheren Erörterung.
  97. Nach dem Verständnis des Fachmanns, bei dem es sich hier um einen mit der Entwicklung von KFZ-Schließsystemen betrauten Mechatronik-Ingenieur mit Hochschulabschluss handelt (vgl. S. 14 BPatGU), ist eine Omega-Form bauchig und an der geschlossenen Oberseite rund ausgebildet und weist an der offenen Unterseite eine abgerundete Engstelle auf, die sich in einer Rundung nach außen wieder öffnet.
  98. a)
    Wie sich bereits aus dem Anspruchswortlaut „Klemmausnehmung“ ergibt, kommt es bei der beanspruchten Omega-Form auf den Verlauf der Innenwandungen der Klemme – also die eigentliche Ausnehmung – an. Dies steht zwischen den Parteien zutreffend nicht in Streit und ergibt sich auch aus den Figuren im Klagepatent, bei denen nur die Innenwandungen, nicht aber die Außenkontur der Klemmen eine entsprechende Form aufweisen. Käme es auf die Außenkontur an, so wären diese Figuren nicht anspruchsgemäß, wovon im Zweifel nicht auszugehen ist (vgl. (BGH, GRUR 2015, 972 – Kreuzgestänge; BGH, GRUR 2015, 875 – Rotorelemente).
  99. b)
    Das Klagepatent differenziert zwischen einer nunmehr allein beanspruchten Omega-förmigen Klemmausnehmung und solchen, die tulpenförmig oder glockenförmig sind. So erläutert das Klagepatent in Abs. [0005] der ursprünglichen, nicht abgeänderten Klagepatentbeschreibung eine Ausgestaltung, bei der der federnde Anschlussleiter ein in etwa parallel zur Fügerichtung abgewinkeltes Kontaktende aufweist, das wiederum eine auffedernde Klemmausnehmung aufweist, die auf die Kontaktstege aufsteckbar ist. In dieser Variante kann die Kontaktausnehmung „tulpenförmig, glockenförmig oder Omega-förmig“ ausgebildet sein. Aufgrund des neu eingefügten Merkmals l) ergibt sich für den Fachmann, dass tulpen- oder glockenförmige Klemmausnehmungen nicht (mehr) in den Schutzbereich des Klagepatents fallen, so dass die Omega-Form sich von der Tulpen- und der Glockenform unterscheiden muss. Der Unterschied liegt insbesondere darin, dass die beanspruchte Omega-Form bauchige Seitenwände aufweist.
  100. aa)
    Dies ergibt sich insbesondere aus dem das Klagepatent beschränkt aufrecht erhaltenden Urteil des Bundespatentgerichts, welches bei der Auslegung zu berücksichtigen ist.
  101. (1)
    Zwar binden die Entscheidungsgründe eines das Klagepatent beschränkt aufrechterhaltenden Nichtigkeitsurteils das Verletzungsgericht grundsätzlich nicht, sondern dienen lediglich als wertvolle Auslegungshilfe (BGH, GRUR 1998, 895 – Regenbecken; BGH, GRUR 2010, 950 – Walzenformgebungsmaschine; OLG Düsseldorf, Urteil vom 31.10.2019 – I-15 U 65/17 = BeckRS 2019, 31339). Wenn aber – wie vorliegend – eine Änderung von Beschreibung oder Zeichnungen erfolgt ist, ergänzt oder ersetzt der die geänderte Anspruchsfassung betreffende Teil der Entscheidungsgründe die Patentbeschreibung (BGH, GRUR 2007, 778, 780 – Ziehmaschinenzugeinheit I; OLG Düsseldorf, Urteil vom 31.10.2019 – I-15 U 65/17 – Rn. 27 bei Juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 21.04.2005 – I-2 U 111/03 = BeckRS 2006, 10244). Der Gegenstand des Patentanspruchs ergibt sich nunmehr aus dem Wortlaut des neugefassten Anspruchs, wie er durch die Beschreibung und die Zeichnungen im Lichte der insoweit ergangenen Entscheidungsgründe erläutert ist (BGH, GRUR 1992, 839, 840 – Linsenschleifmaschine). Die Bestimmung des Schutzbereichs darf sich nicht in Widerspruch zu einer Teilvernichtung setzen (BGHZ 73, 40, 45 – Aufhänger; OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.09.2013 – I-2 U 23/13 Rn. 57). Es verbietet sich deshalb, im Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren in den Anspruch neu eingefügte beschränkende Merkmale bei der Auslegung für unerheblich anzusehen und wieder zu eliminieren (vgl. BGH, GRUR 1961, 335, 337 – Bettcouch; OLG Düsseldorf, Urteil vom 09.12.2021 – I-2 U 9/21 Rn. 59 f. = GRUR-RS2021, 39586).
  102. (2)
    Nach dem hiernach wie die Beschreibung bei der Auslegung zu berücksichtigenden Urteil des Bundespatentgerichts sind die Omega-förmigen Klemmausnehmungen auch durch bauchige Seitenwände gekennzeichnet.
  103. Das Bundespatentgericht hat das Klagepatent in der Fassung des Hilfsantrags VIII, der das hier zu erörternde Merkmal l) enthält, beschränkt aufrechterhalten. Die übrigen, weitergehenden Anspruchsfassungen seien dagegen von der NKL 2 (DE-A-4 306 14; vgl. Anlagen TRI 3 und KAP 3) neuheitsschädlich vorweggenommen oder von der NKL 2 in Kombination mit der NKL 17 (Auslegeschrift DE 1 129 XXX, Anlage B 3) nahegelegt (S. 17 ff. BPatGU). Die nun geltend gemachte Anspruchsfassung gemäß Hilfsantrag VIII sei dagegen zulässig und patentfähig, da eine nach Merkmal l) ausgebildete Klemmausnehmung im Stand der Technik weder bekannt noch nahegelegt worden sei (S. 26 BPatGU). Zur Veranschaulichung wird nachfolgend Figur 3 der NKL 17 verkleinert eingeblendet, von der das Bundespatentgericht eine Omega-förmige Klemmausnehmung abgegrenzt hat:
  104. Weiterhin grenzt das Bundespatentgericht die vom Klagepatent beanspruchte Omega-förmigen Klemmausnehmung von in der NKL 5 gezeigten, U-förmig ausgebildeten Anschlussleitern mit einem senkrecht zur Fügerichtung abgewinkelten Kontaktende ab (S. 27 Abs. 2 BPatGU).
  105. (3)
    Nach den Ausführungen des Bundespatentgerichts zum Verständnis von Merkmal l) (S. 16 BPatGU), zeichnet sich die Omega-Form dadurch aus, dass sie „bauchig und an der geschlossenen Oberseite rund ausgebildet ist sowie an der offenen Unterseite eine abgerundete Engstelle aufweist, die sich in einer Rundung nach außen wieder öffnet“. Dies gilt gleichermaßen für den vom Bundespatentgericht synonym verwendeten Ausdruck „Omega-förmige“ (Klemmausbildung). Es würde wenig Sinn ergeben, eine Omega-Form zu erörtern, wenn damit etwas anderes als die vom Klagepatent beanspruchte „Omega-förmig“ gemeint ist. Auch sonst gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass das Bundespatentgericht einen Unterschied zwischen einer Omega-Form allgemein und einer Omega-förmigen Klemmausnehmung macht.
  106. Die beanspruchte Omega-Form grenzt das Bundespatentgericht (S. 16 BPatGU) von einer Glockenform ab, bei der im Vergleich zur Omega-Form die Klemmausnehmung an den Seiten steiler verläuft, während sie an der Oberseite ebenfalls abgerundet ist und sich an der offenen Unterseite ohne Engstelle nach außen hin öffnet.
  107. Bei einer ebenfalls nicht Merkmal l) unterfallenden Tulpenform liegt dagegen ein noch steilerer, ggf. gerader und senkrechter Verlauf an den Seiten der Ausnehmung vor; weiterhin zeichne sich die Tulpenform mit einer geringen Abrundung an der Oberseite bis hin zu einem geraden und waagerechten Verlauf aus, wobei an der Unterseite wie bei der Omega-Form eine Engstelle vorhanden ist (S. 16 BPatGU).
  108. Damit gehören die bauchigen Seitenwände der Omega-Form zu den Merkmalen, mit denen sich die beanspruchte Form der Klemmausnehmung von nicht klagepatentgemäßen Klemmausnehmungen abgrenzt.
  109. (4)
    Dem steht nicht die Bezugnahme des Bundespatentgerichts auf die Figuren 2 bis 4 des Klagepatents entgegen. Es besteht im Urteil des Bundespatentgerichts kein Widerspruch zwischen der textlichen Definition der Omega-förmigen Klemmausnehmung und dem Verweis auf die Figuren des Klagepatents.
  110. Zwar bezeichnet das Klagepatent die in Figur 2 gezeigte Klemmausnehmung (die nachfolgend ausschnittsweise eingeblendet wird) als tulpenförmig (Abs. [0011] a.E.), die aber tatsächlich Omega-förmig ist (so auch S. 16 Abs. 4 BPatGU).
  111. Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich hierbei um eine Fehlbezeichnung handelt oder das Klagepatent die Tulpenform abweichend vom fachüblichen Sprachgebrauch als Oberbegriff für Klemmausnehmungen sowohl mit der beanspruchten Omega-Form als auch mit gerade verlaufenden Seiten ansieht (so S. 16 Abs. 5 BPatGU). Ungeachtet dessen beansprucht das Klagepatent nur eine Omega-Form, wie sie etwa in Figur 2, aber auch in den Figuren 3 und 4 zu erkennen ist. Nachfolgend wird Figur 4 ausschnittsweise eingeblendet:
  112. Ein weiteres Verständnis von Omega-förmig lässt sich nicht aus dem Verweis des Bundespatentgerichts auf Figur 3 begründen. Entgegen der Auffassung der Klägerin zeigt auch die nachfolgend eingeblendete Figur 3 des Klagepatents eine bauchige Omega-Form:
  113. Dies ergibt sich bereits daraus, dass nach Abs. [0009] Figur 4 ein Querschnitt der Ausführungsform in Figur 3 ist und aus Figur 4 eine (klassische) Omega-Form hervorgeht. Dem steht nicht entgegen, dass die Klemmausnehmung in Figur 3 steilere (weniger bauchige) Seitenwände aufzuweisen scheint, da dies alleine der Perspektive geschuldet ist. Im Übrigen handelt es sich bei den Figuren nur um Prinzipskizzen, so dass eine weitere Auslegung nicht allein deshalb geboten ist, da die Zeichnungen gewisse Ungenauigkeiten aufweisen.
  114. (5)
    Soweit die Klägerin meint, zwischen der Omega-Form und der Tulpenform bestehe der Unterschied in einer „geringeren Abrundung der Oberseite bis hin zu einem geraden und waagerechten Verlauf“ (S. 16 Abs. 2 BPatGU), rechtfertigt dies keine weitere Auslegung der Omega-Form, so dass auch Klemmausnehmungen ohne bauchige Seitenwände vom Klagepatent erfasst würden. Zwar mögen sich Omega- und Tulpenform in Bezug auf die Oberseite der Klemmausnehmung unterscheiden. Gleichwohl verlangt das Bundespatentgericht (ebenfalls auf S. 16 Abs. 2 BPatGU) für die Omega-Form auch eine bauchige Ausgestaltung. Dass zusätzlich ein weiteres Merkmal – namentlich die Abrundung der Oberseite – eine Abgrenzung zur Tulpenform erlaubt, steht dem nicht entgegen.
  115. (6)
    Ebenso wenig kann der Klägerin darin gefolgt werden, dass „bauchig“ im Bundespatentgerichtsurteil sich auf die Oberseite beziehe und den Gegenstand des Klagepatents nur von der „rechteckig ausgebildeten Klemmöffnung“ (S. 24 BPatGU) der NKL 17 abgrenzt. Das Bundespatentgericht grenzt die Omega-Form von der Ausgestaltung in der NKL 17 nicht nur über die Rundung der Oberseite, sondern auch über den bauchigen Bereich zwischen Ober- und Unterseite ab.
  116. bb)
    Funktionale Erwägungen erlauben vorliegend keine weitere Definition der beanspruchten Omega-Form. Als Funktion der Omega-Form nennt das Klagepatent in Abs. [0005] a.E. einen einfachen Aufbau und ein hohes Maß an Stabilität. Allerdings sind nicht alle Klemmausnehmungen, die eine solche Funktion erfüllen, als klagepatentgemäße Omega-Form anzusehen. Dies ist bereits deswegen ausgeschlossen, weil das Klagepatent einen einfachen Aufbau und ein hohes Maß an Stabilität in Abs. [0005] a.E. gleichermaßen der nicht-beanspruchten Tulpen- und Glockenform zuspricht.
  117. Darüber hinaus erkennt der Fachmann, dass die abgerundete Gestalt der Omega-Form Spannungen neutralisieren soll. Dies gilt aber nicht nur für die abgerundete Oberseite und die gerundete Engstelle an der Unterseite, sondern auch für die bauchigen Seitenwände. Die Klägerin ist dem Vortrag der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 09.08.2022 nicht entgegen getreten, dass die Fortsetzung der Rundung der Oberseite in die Seitenwände hinein zur besseren Verteilung der Kräfte beiträgt und dabei wie ein Gewölbe wirkt. Es ist dagegen nicht ersichtlich, dass dies ebenfalls für tulpen- oder glockenförmigen Klemmausnehmungen zutrifft.
  118. Im Übrigen wäre es auch unzulässig, aufgrund von funktionellen Erwägungen eine Omega-förmige Klemmausnehmung auch ohne bauchige Seitenwände zu bejahen. Eine funktionale Betrachtung darf nicht dazu führen, dass ein räumlich-körperliches Merkmal auf seine bloße Funktion reduziert wird, so dass die Auslegung mit den räumlich-körperlichen Vorgaben des Merkmals nicht mehr in Einklang zu bringen ist (BGH, Urteil vom 14.06.2016 – X ZR 29/15 – Rn. 29 f. – Pemetrexed; Meier-Beck, GRUR 2003, 905, 906). Dies wäre hier aber der Fall, wenn man eine Klemmausnehmung trotz gerade bzw. paralleler Seitenwände als Omega-förmig im Sinne des Klagepatents ansehen würde. Eine solche Form wäre mit dem Wortsinn von Omega-förmig nicht mehr in Einklang zu bringen und würde die vom Bundespatentgericht vorgenommene Abgrenzung der Lehre des Klagepatents vom Stand der Technik zunichtemachen.
  119. cc)
    Die hiesige Auslegung entspricht auch dem allgemeinen sprachlichen Verständnis einer Omega-Form, da hiernach ein Omega (Ω) runde, bauchige Seitenwände aufweist. Der allgemeine Sprachgebrauch hat zwar für die Ermittlung des maßgeblichen technischen Sinngehalts (vgl. BGH, GRUR 1999, 902, 912 – Spannschraube) des Anspruchs keine abschließende Bedeutung; auf ihn darf bei der Patentauslegung nichts desto trotz zurückgegriffen werden, weil in der Regel Begriffe mit ihrem (auf dem betroffenen Fachgebiet) üblichen Inhalt verwendet werden, soweit die maßgebliche Berücksichtigung der objektiven Aufgabe und Lösung des Klagepatents unweigerlich zu dem Begriffsverständnis des allgemeinen Sprachgebrauchs führt (OLG Düsseldorf, Urteil vom 26.10.2017 – I-15 U 95/16). Dies ist hier der Fall, wie sich aus dem vorstehenden Erwägungen ergibt. Es sind auch keine Anzeichen dafür ersichtlich, dass Omega-förmig vom Klagepatent abweichend vom allgemeinen Sprachgebrauch verstanden wird.
  120. dd)
    Die im Nichtigkeitsverfahren vertretenen Auffassungen der Parteien sind für die Auslegung des Klagepatents nicht relevant, da es sich hierbei weder um zulässiges Auslegungsmaterial (vgl. § 14 PatG), noch um fachmännische Äußerungen handelt.
  121. 5.
    Auf Grundlage des dargestellten fachmännischen Verständnisses weist die angegriffene Ausführungsform keine Omega-förmig ausgebildete Klemmausnehmung im Sinne von Merkmal l) auf. Es fehlt an bauchigen Seitenwänden. Diese sind vielmehr nahezu parallel, wie das nachfolgend eingeblendete Foto der Klemmauslegung der angegriffenen Ausführungsform und die von den Beklagten (S. 11 des Schriftsatzes vom 04.07.2022, Bl. 221 GA) gefertigte Zeichnung der Innenkontur, deren Richtigkeit nicht bestritten ist, zeigen:
  122. II.
    Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 91a Abs. 1 S. 1, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO. Die Klägerin hat auch die Kosten des übereinstimmend für erledigt erklärten Antrags zu Ziffer I. auf Unterlassung gegen die Beklagten zu 1) zu tragen. Im Rahmen der nach § 91a ZPO zu erfolgenden Entscheidung über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen war insoweit ausschlaggebend, dass die Klägerin mangels Patentverletzung auch vor Erlöschen des Klagepatents hinsichtlich des Unterlassungsantrags unterlegen wäre. Dabei ist im Rahmen der (summarischen) Verletzungsprüfung bei der Entscheidung nach § 91a ZPO die Anspruchsfassung zugrunde zu legen, die von der Klägerin nunmehr verfolgt wird. Auf die im Zeitpunkt der Erledigungserklärung verfolgte Anspruchsfassung kann insofern nicht abgestellt werden, da diese vom Bundespatentgericht als nicht rechtsbeständig erachtet wurde und von der Klägerin auch nicht mehr geltend gemacht wird.
  123. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1, 2 ZPO.
  124. III. Der Streitwert wird auf bis zu EUR 2.000.000,00 festgesetzt.

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