Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3227
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 24. Mai 2022, Az. 4c O 19/21
- I. Die Beklagte wird verurteilt,
- 1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an ihrem Geschäftsführer zu vollziehen ist, zu unterlassen,
- Drahtgeflechte, insbesondere Sicherheitsnetze, mit mehreren ineinander geflochtenen Wendeln, von denen wenigstens eine Wendel aus zumindest einem Einzeldraht, einem Drahtbündel, einer Drahtlitze, einem Drahtseil und/oder einem anderen Längselement mit zumindest einem Draht aus einem hochfesten Stahl mit einer Zugfestigkeit von wenigstens 800 N mm-2 gefertigt ist,
- in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
- bei denen der Draht bei einem Hin- und Herbiegeversuch um zumindest einen Biegezylinder mit einem Durchmesser von höchstens 2d jeweils um wenigstens 90 in entgegengesetzte Richtungen zumindest M-mal bruchfrei hin- und herbiegbar ist, wobei M, gegebenenfalls mittels Abrunden, als C·R-0,5·d-0,5 bestimmbar ist und wobei d ein Durchmesser des Drahts in mm, R eine Zugfestigkeit des Drahts in N mm-2 und C ein Faktor von wenigstens 500 N0,5 mm-0,5 ist;
- 2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die zu Ziffer 1. bezeichneten Handlungen seit dem 21.06.2018 begangen hat, und zwar unter Angabe
- a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer;
b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren;
c) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden; wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen; - 3. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die zu Ziffer 1. bezeichneten Handlungen seit dem 21.07.2018 begangen hat, und zwar unter Angabe:
- a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer;
b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger;
c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet;
d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns, - wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
- 4. die unter Ziffer 1. bezeichneten, seit dem 21.06.2018 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich (Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom … )
festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen; - 5. an die Klägerin 16.966,80 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.02.2020 zu zahlen.
- II. Es wird festgestellt,
- 1. dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 21.07.2018 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird;
2. dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin für die zu Ziffer I.1. bezeichneten, in der Zeit vom 04.01.2020 bis zum 02.01.2021 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen. - III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
- IV. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 10 % und die Beklagte zu 90 %.
- V. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar; für die Klägerin hinsichtlich Ziff. I.1. und 4. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 950.000,- Euro, hinsichtlich Ziff. I. 2. und 3. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 200.000,- Euro und für beide Parteien im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
- Tatbestand
- Die Klägerin verfolgt aus Patentrecht gegen die Beklagte Ansprüche auf Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung, Rückruf und Vernichtung sowie Feststellung der Schadensersatz-/Entschädigungsverpflichtung und Erstattung von vorgerichtlichen Abmahnkosten.
- Die Klägerin ist Inhaberin des Europäischen Patents EP 3 574 XXX B1 (Anlage WKS 1, im Folgenden: Klagepatent A) sowie Inhaberin des Deutschen Patents DE 10 2017 101 XXX B9 (Anlage WKS 3, im Folgenden: Klagepatent B; soweit es auf eine Differenzierung des Schutzrechts nicht ankommt auch: Klagepatent).
- Das Klagepatent A ist am 16. Januar 2018 unter Inanspruchnahme einer Priorität des Klagepatents B vom 30. Januar 2017 angemeldet worden. Der Hinweis auf die Anmeldung wurde am 02. August 20218 offengelegt und die Erteilung des Klagepatents A wurde unter dem 02. Dezember 2020 bekannt gemacht. Das Klagepatent B wurde unter dem 30. Januar 2017 angemeldet und die Anmeldung am 21. Juni 2018 offengelegt. Der Hinweis auf die Patenterteilung wurde am selben Tag bekannt gemacht. Beide Klagepatente stehen auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Weder über die seitens der Beklagten hinsichtlich des Klagepatents B zum Bundespatentgericht erhobene Nichtigkeitsklage vom 09. September 2021 (Anlage B PNi) noch über den hinsichtlich des Klagepatents A erhobenen Einspruch vom 26. August 2021 (Anlage B EEP) ist bisher eine Entscheidung ergangen.
- Das Klagepatent A ist, abgesehen von dem Zusatz „mit einer Zugfestigkeit von wenigstens 800 N mm⁻²“ hinsichtlich des Inhalts identisch mit dem Klagepatent B, sodass im Folgenden auf das Klagepatent A und dessen Klagepatentschrift Bezug genommen wird – Anderes wird erforderlichenfalls kenntlich gemacht.
- Das Klagepatent betrifft ein Drahtgeflecht und Verfahren zur Identifikation eines geeigneten Drahts.
- Anspruch 1 des Klagepatents lautet in der in der nun geltend gemachten Fassung:
- „Drahtgeflecht (10a; 10b; 10c), insbesondere Sicherheitsnetz, mit mehreren ineinander geflochtenen Wendeln (12a, 14a; 12b; 12c), von denen wenigstens eine Wendel (12a; 12b; 12c) aus zumindest einem Einzeldraht, einem Drahtbündel, einer Drahtlitze, einem Drahtseil und/oder einem anderen Längselement (16a; 16b; 16c) mit zumindest einem Draht (18a; 18b; 18c) aus einem hochfesten Stahl mit einer Zugfestigkeit von wenigstens 800 N mm⁻² gefertigt ist, dadurch gekennzeichnet, dass der Draht (18a; 18b; 18c) bei einem Hin- und Herbiegeversuch um zumindest einen Biegezylinder (40a) mit einem Durchmesser von höchstens 2d jeweils um wenigstens 90 in entgegengesetzte Richtungen zumindest M-mal bruchfrei hin- und herbiegbar ist, wobei M, gegebenenfalls mittels Abrunden, als C·R-0,5·d-0,5 bestimmbar ist und wobei d ein Durchmesser des Drahts (18a; 18b; 18c) in mm, R eine Zugfestigkeit des Drahts (18a; 18b; 18c) in N mm-2 und C ein Faktor von wenigstens 500 N0,5 mm-0,5 ist.“
- In der erteilten Fassung des Anspruchs 1 war C ein Faktor von wenigstens 400 N0,5 mm-0,5.
- Folgende Figuren 1, 2 und 7 sind der Klagepatentschrift entnommen. Die Figur 1 veranschaulicht einen Teil eines Drahtgeflechts in einer schematischen Frontansicht. Die Figur 2 zeigt einen Teil einer Wendel des Drahtgeflechts in einer perspektivischen Darstellung und die Figur 7 zeigt eine Biegetestvorrichtung zur Durchführung eines Pressversuchs in einer schematischen Darstellung:
- Die Klägerin ist eine in (…) ansässige Herstellerin von Systemen zum Schutz gegen Steinschlag, zur Böschungssicherung, zum Schutz vor Muren, Lawinen und dergleichen. Sie hält auf diesem Gebiet weltweit eine Vielzahl von Schutzrechtsfamilien.
- Das Unternehmen der Beklagten ist ebenfalls auf den Bereich solcher Schutzsysteme tätig und vertreibt diese auch in die Bundesrepublik Deutschland. Dies erfolgt über ein Vertriebsbüro in A sowie über ihren deutschen Internetauftritt unter den Domains: www.(…).com und XXX (vgl. Anlage WKS 11). Zu ihrem Produktportfolio gehört insbesondere ein unter der Bezeichnung „B“ oder „C“ angebotenes Böschungsschutzsystem (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform), dessen technische Eigenschaften der Website der Beklagten zu entnehmen sind. So weist der verwendete Draht einen Durchmesser von X mm und eine Zugfestigkeit von mindestens X auf (vgl. Anlage WKS 9, WKS 11).
- Im Januar 2020 kontaktierte die Klägerin die Beklagte erstmals aufgrund einer möglichen Verletzungshandlung hinsichtlich des Klagepatents B. Auf diese Berechtigungsanfrage reagierte die Beklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 21.01.2020, in dem sie ausschließlich die Rechtsbeständigkeit des Klagepatents B in Abrede stellte. Die Klägerin mahnte die Beklagte daraufhin mit Schreiben vom 07.02.2020 förmlich wegen Verletzung des Klagepatents B ab. Die Klägerin mahnte die Beklagte hinsichtlich des Klagepatents A mit Schreiben vom 23. März 2021 fruchtlos ab (vgl. Anlagenkonvolut WKS 5). Zwischen den Parteien durchgeführte Vergleichsgespräche verliefen ergebnislos.
- Die Klägerin ist der Ansicht, dass die angegriffene Ausführungsform wortsinngemäßen unmittelbaren Gebrauch von der Lehre des Klagepatents machen würde. Es komme nicht darauf an, ob die Beklagte selbst einen Biegeversuch an der angegriffenen Ausführungsform durchgeführt habe. Für den hier in Streit stehenden Erzeugnisanspruch sei es ausreichend, wenn die errechnete Anzahl an bruchfreien Biegeversuchen mit der angegriffenen Ausführungsform durchführbar sei. Hierzu behauptet die Klägerin, anhand der sowohl eigens ermittelten (R = 1.841,2) als auch anhand der von der Beklagten angegebenen (R = 1.770) Zugfestigkeit und dem ermittelten bzw. angegebenen Durchmesser von 3,17 bzw. 3,2 mm festgestellt zu haben, dass die angegriffene Ausführungsform 5-mal bruchfrei hin- und herbiegbar sein müsse. Sofern der Faktor C mit wenigstens 500 N0,0mm-0,5 angesetzt werde, ergebe sich – was seitens der Beklagten nicht in Abrede gestellt wurde – für den Faktor M ein Wert von 6.
Dies habe sich so in einem anschließenden Test aus März 2021, durchgeführt von Herrn D, auch bestätigt. Die Klägerin behauptet, die angegriffene Ausführungsform habe sogar 8 Biegeversuchen Stand gehalten. Der Biegeversuch sei an einem Muster der angegriffenen Ausführungsform, das nach Deutschland geliefert worden sei, vorgenommen worden. Es habe sich um einen überschüssigen Materialrest gehandelt, welcher im Rahmen des Bauprojekts des Staatlichen Bauamts E, nämlich die „F“, in der Zeit zwischen Mai und August 2019 eingesetzt worden sei. Insoweit habe der Mitarbeiter der Klägerin bei der Entnahme des Materials aus einem Abfallcontainer anhand der Materialeigenschaften auch erkennen können, dass es sich nicht um Material der Klägerin gehandelt habe. - Der Rechtsstreit sei schließlich auch nicht auszusetzen, weil sich das jeweilige Klagepatent im Nichtigkeits- bzw. Einspruchsverfahren als rechtsbeständig erweisen werde.
- Nachdem die Klägerin den Klageantrag gerichtet auf Vernichtung (ursprünglich Ziff. I.4) mit Zustimmung der Beklagten zurückgenommen und als Reaktion auf den Verlauf der mündlichen Verhandlung den Antrag zu Ziff. I.1. in der Hauptsache mit C als einem Faktor von wenigstens 500 N0,0mm-0,5 und hilfsweise mit C als einem Faktor von wenigstens 400 N0,0mm-0,5 gestellt hat,
- beantragt sie,
zu erkennen, wie geschehen, wobei die Klägerin Zinsen auf die Abmahnkosten ab dem 21.02.2020 begehrte. - Die Beklagte beantragt,
- die Klage abzuweisen,
- hilfsweise, den Rechtsstreit gemäß § 148 ZPO bis zum erstinstanzlichen Abschluss des mit Schriftsatz vom 26. August 2021 (Anlage B EEP) gegen das EP 3 574 XXX B1 bei dem Europäischen Patentamt eingeleiteten Einspruchsverfahrens und des mit Klageschrift vom 9. September 2021 (Anlage B PNI) bei dem Bundespatentgericht gegen das deutsche Patent DE 10 2017 101 XXX B9 eingeleiteten Nichtigkeitsklageverfahrens auszusetzen.
- Das Landgericht Düsseldorf sei nach Ansicht der Beklagten international und örtlich unzuständig. Es liege keine in der Bundesrepublik Deutschland begangene unerlaubte Handlung vor. Denn die angegriffene Ausführungsform verletze die Lehre des Klagepatents nicht. Die in der Anlage WKS 9 zusammengestellten Bilder würden sämtlich nicht die angegriffene Ausführungsform zeigen. Vielmehr handele es sich um Drahtgeflechte der Beklagten, die deutlich vor dem Anmeldetag des 30. Januar 2017, nämlich in den Jahren 2004, 2011 und 2014, und zudem auch nicht alle, sondern nur zwei von ihnen in der Bundesrepublik Deutschland verwendet worden seien. Hinzukomme, dass die von der Klägerin angeführte Webadresse ausweislich der Toplevel-Domain „XXX“ nicht an den deutschen, sondern den XXX Markt gerichtet sei.
- Darüber hinaus sei die Klage auch wegen Unbestimmtheit der gestellten Anträge unzulässig. Für die Beklagte sei nicht erkennbar, welche Benutzungshandlungen erfasst bzw. im Rahmen des Rückrufanspruchs von ihr verlangt würden. Auch lasse die Antragsfassung etwa hinsichtlich des beschriebenen Biegeversuchs unterschiedliche Bedeutungen zu.
- Die angegriffene Ausführungsform mache keinen unmittelbaren wortsinngemäßen Gebrauch von der Lehre des Klagepatents. Es handele sich bei dem erläuterten Hin- und Herbiegeversuch um ein Testverfahren im Rahmen der Werkstoffprüfung und nicht lediglich um eine Materialbeschaffenheit. Insoweit sei aber zwischen den Parteien unstreitig, dass die Beklagte dieses Testverfahren an der angegriffenen Ausführungsform nicht durchführe.
- Die Beklagte erklärt sich mit Nichtwissen dazu, dass es sich bei dem Verletzungsmuster um ein von ihr hergestelltes Produkt handelt, welches zudem nach dem Prioritätstag hergestellt, angeboten oder in den Verkehr gebracht worden sei, sowie dazu, dass die Klägerin die Tests an dem Verletzungsmuster überhaupt durchgeführt habe.
- Der Rückruf- und Vernichtungsanspruch seien zudem unverhältnismäßig. Drahtgeflechte wie die angegriffene Ausführungsform dienten dem Schutz von Leib und Leben und schützten vor erheblichen Schäden an Häusern und anderen Sachgütern. Ohne die angegriffene Ausführungsform würden schützenswerte Rechtsgüter in ihrer Substanz gefährdet, wenn sie über Wochen und Monate den dort vorherrschenden Naturgefahren ungeschützt ausgesetzt würden.
- Jedenfalls sei der Rechtsstreit auszusetzen. Das Klagepatent A und das Klagepatent B würden sich in dem jeweiligen Rechtsbestandsverfahren als nicht rechtsbeständig erweisen. So sei die Erfindung nicht ausführbar, zudem durch die EP 0 979 XXX B2 (Anlage B PNI, dort Anlage K16; im Folgenden auch: EP´329) sowie die WO 99/XXX (Anlage WKS 7) neuheitsschädlich vorweggenommen und im Übrigen eine Nicht-Erfindung; es werde nur eine mathematische Methode offenbart. Auch beruhe die Lehre des Klagepatents nicht auf erfinderischer Tätigkeit und sei unzulässig erweitert. Ferner sie die erfindungsgemäße Lehre wegen offenkundiger Vorbenutzung nicht neu.
- Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zur Akte gereichten Schriftstücke nebst Anlage Bezug genommen.
- Entscheidungsgründe
- Die Klage ist zulässig und im tenorierten Umfang begründet.
- A.
Die Klage ist zulässig. - I.
Das angerufene Gericht ist international und örtlich zuständig. - 1.
Das Lugano Übereinkommen (LugÜ) begründet die internationale Zuständigkeit des Landgerichts Düsseldorf. - Artikel 3 Abs. 1 LugÜ sieht vor, dass Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines durch dieses Übereinkommen gebundenen Staates haben, vor den Gerichten eines anderen durch dieses Übereinkommen gebundenen Staates gemäß den Vorschriften der Abschnitte 2 bis 7 dieses Titels verklagt werden können.
- Nach Art. 5 Nr. 3 LugÜ kann daher eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines durch das Übereinkommen gebundenen Staates hat, in einem anderen gebundenen Staat verklagt werden, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht.
- Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Klägerin hat ihren Sitz in X und die Beklagte ist in X ansässig. Die Beklagte präsentiert, wie die Klägerin jedenfalls mit dem als Anlage WKS 11 zur Akte gereichten Internetauszug belegt hat, die angegriffene Ausführungsform auf ihrer Website derart, dass deren mögliches Einsatzgebiet nebst technischen Eigenschaften aufgezeigt wird. Dies veranschaulicht dem interessierten Betrachter den Nutzen der angegriffenen Ausführungsform. Er wird verleitet, sich an die Beklagte zu wenden, um ein konkretes Angebot einzuholen. Auf eine unmittelbare Bestellmöglichkeit der angegriffenen Ausführungsform kommt es für ein Anbieten gem. § 9 PatG ebenso wenig an wie auf andere Anforderungen, die an ein Angebot nach § 145 BGB gestellt werden (vgl. Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 14. Aufl., Kap. D, Rn. 47).
- Erfolgsort ist regelmäßig der Ort der Belegenheit des verletzten Rechtsgutes, an dem sich ein unmittelbarer Schaden ereignet. Im Hinblick auf Patentverletzungsstreitigkeiten ist der Erfolgsort identisch mit dem Schutzstaat des verletzten Patents (Kühnen, a.a.O., Kap. D, Rn. 18).
- Danach liegt der Erfolgsort der in dem Internetangebot realisierten unerlaubten Handlung vorliegend in der Bundesrepublik Deutschland, weil das Klagepatent auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft steht und die in Streit stehende Website vom Inland aus abrufbar ist. Unabhängig davon, ob im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung weiterhin ein wirtschaftlich relevanter Inlandsbezug erforderlich ist, besteht ein solcher hier jedenfalls. Seitens der Beklagten ist beabsichtigt, dass deutsche Interessenten die Website aufrufen und deren Inhalt verstehen können. Dies folgt zunächst daraus, dass die Unterwebsite XXX mit „XXX“ eine deutsche Domain beinhaltet und damit auf die gewollte Abrufbarkeit der Website in der Bundesrepublik Deutschland hinweist. Ferner ist der Websiteauftritt in deutscher Sprache gestaltet und wendet sich somit unmittelbar an potentielle Abnehmer im Inland (vgl. Anlage WKS 11). Hinsichtlich des Inhalts der Websitedarstellung steht auch zwischen den Parteien außer Streit, dass es sich um eine angegriffene Ausführungsform handelt, welche einen Durchmesser von 3,2 mm sowie eine Zugfestigkeit von 1770 N/mm² aufweist. Ob sich eine solche inländische Benutzungshandlung daher auch schon aus dem mit der Anlage WKS 9 eingereichten Websiteauszug ergeben hätte, bedarf daher keiner Feststellung mehr.
- Der Einwand der Beklagten, wonach es dann bei der Unzulässigkeit einer Klage zu verbleiben habe, wenn ausgeschlossen sei, dass eine Patentverletzung vorliege, verfängt ebenso wenig. Denn wie zu zeigen sein wird, kommt es auf die Durchführung eines Biegetests für die Verwirklichung der erfindungsgemäßen Lehre nicht an.
-
2.
Da die Internetseite der Beklagten auch in NRW abrufbar ist, ist das Landgericht Düsseldorf aufgrund der Verordnung über die Zuweisung von Gemeinschaftsmarken-, Gemeinschaftsgeschmacksmuster-, Patent-, Sortenschutz-, Gebrauchsmusterstreit¬sachen und Topographieschutzsachen örtlich zuständig. -
II.
Auch im Übrigen ist die Klage zulässig, insbesondere sind die Klageanträge hinreichend bestimmt, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. - Dazu ist in der Rechtsprechung allgemeinhin anerkannt, dass eine Orientierung der Antragsfassung am Wortlaut des Anspruchs erforderlich, aber auch ausreichend ist, um die das Klagepatent verletzende angegriffene Ausführungsform eindeutig bestimmen zu können. Entscheidend ist dabei die Beschreibung der technischen Merkmale der angegriffenen Ausführungsform in einer den Merkmalen des geltend gemachten Patentanspruchs entsprechenden Weise. Unabhängig von der Frage einer wortlautgemäßen oder inhaltsgleichen Benutzung beschreibt der Antrag die konkrete Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform. Soweit die Verletzungsform voll dem Wortlaut des Patentanspruchs entspricht, kann der Wortlaut des Patentanspruchs im Klageantrag wiedergegeben werden (vgl. BeckOK, PatR/Pitz, 23. Ed. 15.1.2022, PatG, § 139, Rn. 70 f.).
- Gegen die Bestimmtheit spricht ebenso wenig, dass die Anspruchsformulierung nach Ansicht der Beklagten hinsichtlich des Biegens zwei Möglichkeiten zulasse, nämlich entweder nach DIN ISO XXX oder nach der erfindungsgemäßen Lehre. Die Beklagte gelangt deshalb zu dem Ergebnis, dass der Wortlaut des Anspruchs zwei Deutungen zuließe, weil sie einen Biegetest nach der DIN ISO XXX hinzuzieht, demgegenüber das Klagepatent einen verbesserten Biegetest bereitstellen wolle. Dies überzeugt nicht. Der in den Klageantrag aufgenommene Anspruch enthält zunächst schon keinen Hinweis auf eine Normierungsvorschrift. Sämtliche Erwägungen der Beklagten hierzu betreffen außerdem die Auslegung des Klagepatents, welche Gegenstand der Begründetheitsprüfung und damit dieser vorbehalten ist. Insoweit kann eine etwaige Unklarheit im Tenor jedenfalls unter Berücksichtigung der Entscheidungsgründe ausgeräumt werden. Diese dürfen regelmäßig herangezogen werden, um den vollstreckbaren Inhalt einer Entscheidung zu konkretisieren.
- Im Hinblick auf die weitere Kritik der Beklagten zum Verständnis der Biegezahl M und wie die Versuche zu zählen seien, gilt Vorstehendes entsprechend.
- Die Kammer vermag ebenso wenig im Rahmen des Rückrufanspruchs Unklarheiten zu erkennen. Die Klägerin hat die im Patentrecht übliche Formulierung gewählt. Insbesondere durch den Rückbezug auf die vom Unterlassungsanspruch erfassten Vorrichtungen wird klar, welche Gegenstände von den weiteren Ansprüchen betroffen sind. Die vorzunehmenden Handlungen nicht näher zu konkretisieren, ist dabei sogar für die Beklagte eher vorteilhaft, weil es ihr überlassen bleibt, die tauglichen Maßnahmen zu ergreifen. Zumal auch nur sie die beste Kenntnis darüber hat, wie der Rückruf am besten bewerkstelligt werden könnte, insbesondere wie ihre Abnehmer zu erreichen sind.
-
B.
Die Klage hat ganz überwiegend Erfolg. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche wie tenoriert zu. - I.
Das Klagepatent betrifft ein Drahtgeflecht sowie ein Verfahren zur Identifikation eines geeigneten Drahts aus hochfestem Stahl für ein Drahtgeflecht (Abs. [0001]). - Wie das Klagepatent in Abs. [0002] erläutert, sind aus dem Stand der Technik Drahtgeflechte aus hochfestem Stahldraht bekannt. Hochfester Stahldraht bricht bei einem Biegen vergleichsweise schnell, was zu einer reduzierten Belastbarkeit des Drahtgeflechts trotz einer hohen Zugfestigkeit des Drahts führen und einen hohen Ausschuss bei einer Fertigung nach sich ziehen kann.
- Das Klagepatent verweist in Abs. [0003] beispielhaft auf die EP 0 144 XXX A, welche einen Stahldraht mit einer speziellen Zusammensetzung lehrt, wodurch die Biegebeständigkeit des Stahldrahts in einem definierten Biegetest erhöht werden soll. Ferner verweist das Klagepatent auf die Druckschrift WO 99/XXX A, in welcher ein Drahtgeflecht mit Drähten aus hochfestem Stahl ohne Bezug auf eine besondere Biegebeständigkeit der Drähte beschrieben ist.
- Hieran kritisiert das Klagepatent als nachteilig, dass der vorbekannte Biegetest nur auf Parameter-Kombinationen basiert, welche keine verwertbaren Aussagen über die Verwendung in Drahtgeflechten zulassen, da die in dem Biegetest erzeugten Krümmungsradien wesentlich größer sind als bei Maschendrahtgeflechten üblich.
- Das Klagepatent stellt sich daher die Aufgabe, ein gattungsgemäßes Drahtgeflecht mit vorteilhaften Eigenschaften hinsichtlich einer Belastbarkeit, insbesondere hinsichtlich einer Vermeidung von Drahtbrüchen bei einer Herstellung des gattungsgemäßen Drahtgeflechts bereitzustellen (vgl. Abs. [0004]).
- Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent in Anspruch 1 eine Vorrichtung mit nachfolgenden Merkmalen vor:
- 1. Drahtgeflecht, insbesondere Sicherheitsnetz, mit mehreren ineinander geflochtenen Wendeln.
2. Wenigstens eine Wendel ist aus zumindest einem Einzeldraht, einem Drahtbündel, einer Drahtlitze, einem Drahtseil und/oder einem anderen Längselement mit zumindest einem Draht aus einem hochfesten Stahl mit einer Zugfestigkeit von wenigstens 800 N mm-2 gefertigt.
3. Der Draht ist bei einem Hin- und Herbiegeversuch um zumindest einen Biegezylinder mit einem Durchmesser von höchstens 2d jeweils um wenigstens 90° in entgegengesetzte Richtungen zumindest M-mal bruchfrei hin- und herbiegbar; dabei ist
M, gegebenenfalls mittels Abrunden, als C·R-0,5·d-0,5 bestimmbar;
d ein Durchmesser des Drahts in mm;
R eine Zugfestigkeit des Drahts in N mm-2;
C ein Faktor von wenigstens 500 N0,5 mm-0,5. - II.
Die Parteien streiten vorliegend zu Recht nur über das Verständnis von Merkmal 3. Erläuterungen zu den weiteren Merkmalen sind deshalb entbehrlich. - Das Klagepatent stellt in Anspruch 1 eine Vorrichtung unter Schutz, nämlich ein Drahtgeflecht (Merkmal 1), dessen Ausgestaltung in den Merkmalen 2 und 3 konkretisiert wird. Zunächst wird in Merkmal 2 eine Wendel näher beschrieben, welche zu mehreren ineinander geflochten das Drahtgeflecht bilden sollen. Merkmal 3 stellt sodann Anforderungen an die Materialbeschaffenheit des Drahtes auf, indem er in Abhängigkeit von bestimmten Faktoren zumindest M-mal bruchfrei hin- und herbiegbar sein soll.
- Darunter versteht das Klagepatent eine bestimmte Beschaffenheit des Drahtes, ohne zu verlangen, dass an einem fertiggestellten Drahtgeflecht im Sinne des Anspruchs 1 ein Biegeversuch eigens durchgeführt wird. Entscheidend, aber auch ausreichend ist, dass das für die Bildung des Drahtgeflechts eingesetzte Material, namentlich der Draht, die Durchführung des Tests überstehen und der geforderten Anzahl an Biegungen („M-mal“) unbeschadet standhalten würde bzw. in einer vergangenen Materialprüfung diese Anforderungen bereits einmal standgehalten hat.
- Der Wortlaut beschreibt mit „hin- und herbiegbar“ die Möglichkeit, den Draht zu biegen. „Biegbar“ bedeutet rein-philologisch „sich biegen lassend“ und knüpft an eine Eigenschaft eines Drahtgeflechts an, welches in der Lage sein soll, gebogen werden zu können. Das Erfordernis, einen Biegeversuch tatsächlich zu unternehmen, geht hieraus nicht hervor. Ebenso wenig ist die Formulierung einengend dahin zu verstehen, dass ein Draht sowohl nach links als auch nach rechts um wenigstens 90° gebogen werden muss. Vielmehr beschreibt „hin- und herbiegbar“ als Oberbegriff sämtliche Biegungen des Drahtes; also auch Hin- und „Rückbiegungen“, bei welchen die Biegungen nur um eine Seite des Drahtes erfolgen.
- Die weiterhin benannten Faktoren und Definitionen von M, d, R sowie C stellen dabei auch keinen Hinweis auf die Durchführung eines Biegeversuchs dar. Sie geben dem Fachmann die Anleitung, wie der Faktor M zu ermitteln ist, und besagen, dass ein anhand dieser Kriterien vorgenommener Biegeversuch ein bestimmtes Ergebnis – nämlich das Standhalten des Drahtes –haben muss. Das Verständnis von „M“ als Angabe einer bestimmbaren (An-) Zahl der Biegevorgänge ohne eigene Maßeinheit wird im Anspruch schon durch das Suffix „-mal“ verdeutlicht. Regelmäßig beschreibt dies seinem gewöhnlichen Sprachverständnis nach eine Zahlangabe. Auch dass der Anspruch einen errechneten Wert von M ggf. abrunden will, stützt dieses Verständnis von M als dimensionslose Angabe. Denn für vorzunehmende Biegungen muss eine ganze Zahl feststehen. Darüber hinaus gesteht der Anspruch hinsichtlich des Parameters M nur insoweit eine gewisse Flexibilität zu, als er ihn nicht für alle Drahtgeflechte einheitlich definiert. Dadurch trägt die erfindungsgemäße Lehre den unterschiedlich beschaffenen, einsetzbaren Drähten Rechnung und stellt durch die konkrete Vorgabe der weiteren Berechnungsfaktoren sicher, dass bezogen auf jedes Material ein angepasster Wert M ermittelt werden kann.
- Die Angabe der Parameter ist genauso zu verstehen wie etwa Mengen-/Gewichtsangaben oder bestimmte chemische Zusammensetzungen einer Vorrichtung. Auch bei diesen wird nicht verlangt, dass die ihnen jeweils zugrunde liegenden Messverfahren erst unternommen werden. Es muss nur feststehen, dass die Vorrichtung diesen Vorgaben genügt. Wann diese Feststellung getroffen wurde, ist unerheblich. Von herkömmlichen Mengenangaben unterscheidet sich die erfindungsgemäße Lehre lediglich dadurch, dass das Messverfahren selbst vom Anspruch erläutert wird. Dies dient aber nur Klarstellungszwecken, weil es gegenüber herkömmlichen Messverfahren ein weniger geläufiges sein ist.
- Dieses Verständnis wird durch die Beschreibungsstellen bekräftigt, welchen insbesondere der technische Sinngehalt des hin- und herbiegbar Seins zu entnehmen ist. Hierzu ist nämlich zu berücksichtigen, dass der Fachmann neben dem Wortlaut des Anspruchs als Ausgangspunkt zudem weitere technische Aspekte für die Bestimmung des Schutzumfangs heranzieht, um die vom Anspruch definierte technische Lehre als ein technisch sinnvolles Ganzes zu begreifen (vgl. BGH, GRUR 2015, 875 – Rotorelemente).
- So lassen die Beschreibungsabsätze an keiner Stelle erkennen, dass ein fertiggestelltes Drahtgeflecht einem Biegeversuch unterzogen werden müsste. Die in Abs. [0015] enthaltene Definition eines Drahtes:
- „Unter einem Draht soll in diesem Zusammenhang insbesondere ein länglicher und/oder dünner und/oder zumindest maschinell biegbarer und/oder biegsamer Körper verstanden werden.“
- stellt schon nicht auf die Durchführung eines Testversuchs ab, sondern setzt die Eignung des Drahts hierfür voraus, ohne die Voraussetzungen des Biegens zu konkretisieren. Der Fachmann würde im Übrigen deshalb von einer Untersuchung eines Drahtgeflechts Abstand nehmen, weil dies – wie auch die Beklagte sieht – eine Zerstörung des Geflechts bedeuten würde. Daher sprechen die Beschreibungsstellen auch eigens von „Teststücken“, die für die Identifizierung geeigneten Materials den Biegeversuchen unterzogen werden sollen (vgl. ab Abs. [0010]).
- Die Beschreibung des Klagepatents grenzt die Phasen der Identifizierung, Herstellung und schließlich des Erhalts eines Drahtgeflechts deutlich voneinander ab und immer dort, wo das Klagepatent die Identifikation eines geeigneten biegbaren Drahtes erläutert, wird auch klargestellt, dass dies anhand eines Teststücks erfolgen soll. Erstmals geht dies aus Abs. [0010] hervor:
- „[…] wenn ein Teststück des Drahts bei einem Hin- und Herbiegeversuch um einen Biegezylinder mit einem Durchmesser von höchstens 2d jeweils um wenigstens 90° in entgegengesetzte Richtungen zumindest M-mal bruchfrei hin- und hergebogen werden kann […].“
- Sofern das Klagepatent auch von „Draht“ spricht, der einem Biegeversuch ausgesetzt werden soll, ist dies bloß eine Verallgemeinerung und nicht als Hinweis einer Versuchsdurchführung an einem Drahtgeflecht zu verstehen. Dies stellt Abs. [0104] einleitend klar, der von „der Draht 18a beziehungsweise des Teststück des Drahts“ spricht.
- Die Aussagekraft der für ein Teststück ermittelten Biegefähigkeit kann sodann auf den Draht im Übrigen übertragen werden. Das resultiert daraus, dass das Teststück immer Teil des zu verarbeitenden Materials ist (vgl. Abs. [0103]):
- „Vorzugsweise wird das Teststück von dem Draht abgeschnitten, insbesondere vor einer Herstellung eines Längselements und/oder des Drahtgeflechts.“.
- Ferner bekräftigt die Beschreibung des Klagepatentes das Verständnis des Faktors „M“ als eine dimensionslose Angabe, also als einen Faktor, dem kein Messwert beigemessen werden soll. Er repräsentiert die Anzahl mindestens durchführbarer Biegevorgänge. Dies ergibt sich in ähnlicher Weise sowohl aus Abs. [0009] und [0010], welche die Formulierung des Anspruchs jeweils aufgreifen:
- „[…] wobei der Draht bei einem Hin- und Herbiegeversuch um zumindest einen Biegezylinder mit einem Durchmesser von höchstens 2d jeweils um wenigstens 90° in entgegengesetzte Richtungen zumindest M-mal bruchfrei hin- und herbiegbar ist, wobei M, gegebenenfalls mittels Abrunden, als C·R-0,5·d-0,5 bestimmbar ist und wobei d ein Durchmesser des Drahts in mm, R eine Zugfestigkeit des Drahts in N mm-2 und C ein Faktor von wenigstens 400 N0,5 mm-0,5 ist, vorgeschlagen.“
- Auch Abs. [0104] enthält diese Formulierung und darüber hinaus eine Beispielsberechnung für M, indem die unterschiedlichen Parameter in die Formel eingesetzt werden. Aus diesem Zusammenhang und wiederum aus dem Umstand, dass M abgerundet werden soll, wird für den Fachmann deutlich, dass der Parameter M keine eigene Dimension erhalten soll. Da M die Anzahl der Biegungen repräsentieren soll, muss es sich um eine ganze natürliche Zahl handeln. Während den anderen Parametern Längenangaben oder Stärkeverhältnisse beigemessen wurden, vgl. Abs. [0104]:
„[…] wobei d der Durchmesser des Drahts 18a in mm, R die Zugfestigkeit des Drahts 18a in N mm-2 und C ein Faktor von wenigstens 400 N0,5 mm-0,5 ist,“ - ist dies bei „M“ nicht der Fall. Ebenso wenig besteht bei diesen Parametern das Bedürfnis, ganze Zahlen zu erhalten. Dementsprechend besagt Abs. [0107] auszugsweise (Hervorhebung hinzugefügt):
- „[…] wenn das Teststück 42a des Drahts 18a bei dem Hin- und Herbiegeversuch wenigstens M-mal um den Biegezylinder 40a und insbesondere um den weiteren Biegezylinder 126a um wenigstens 90° in entgegengesetzte Richtungen bruchfrei hin- und hergebogen werden kann.“
- Soweit die vorzitierten Beschreibungsstellen ein „Hin- und Herbiegen“ darstellen, ist auch diesen Passagen kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass damit stets Biegungen des Drahtes um wenigstens 90° in entgegengesetzte Richtungen gemeint sind. Denn diese Formulierung wird auch dann gewählt, wenn Biegeversuche um einen Biegezylinder erläutert werden und dem Fachmann klar ist, dass in diesen Fällen die Biegungen immer über dieselbe Seite des Drahtstückes erfolgen. Damit überlässt es das Klagepatent dem Fachwissen, in welchem Kontext (nämlich beim Einsatz von zwei Biegezylindern, vgl. Abs. [0100]) ein Hin- und Herbiegen im streng wörtlichen Sinn zu verstehen ist und wann damit ein Hin- und Rückbiegen adressiert wird.
- Die weiteren Ansprüche der Klagepatentschrift stützen das Verständnis. Deren Gestaltung entnimmt der Fachmann nämlich Hinweise darauf, wie es zu einem von Anspruch 1 geschützten Drahtgeflecht kommt. So ist in Anspruch 7 ein Verfahren zur Identifikation eines geeigneten Drahtes unter Schutz gestellt und in Anspruch 8 ein Verfahren zur Herstellung eines Drahtgeflechts:
- 7. Verfahren zur Identifikation eines geeigneten Drahts (18a) aus einem hochfesten Stahl mit einer Zugfestigkeit von wenigstens 800 N mm -2 für ein Drahtgeflecht (10a), insbesondere für ein Sicherheitsnetz, insbesondere nach einem der vorhergehenden Ansprüche, mit mehreren ineinander geflochtenen Wendeln (12a, 14a), von denen wenigstens eine Wendel (12a) aus zumindest einem Einzeldraht, einem Drahtbündel, einer Drahtlitze, einem Drahtseil und/oder einem anderen Längselement (16a) mit dem geeigneten Draht (18a) gefertigt werden soll, dadurch gekennzeichnet, dass der Draht (18a) als geeignet identifiziert wird, wenn ein Teststück (42a) des Drahts (18a) bei einem Hin- und Herbiegeversuch um zumindest einen Biegezylinder (40a) mit einem Durchmesser von höchstens 2d jeweils um wenigstens 90 in entgegengesetzte Richtungen zumindest M-mal bruchfrei hin- und hergebogen werden kann, wobei M, gegebenenfalls mittels Abrunden, als C·R-0,5·d-0,5 bestimmbar ist und wobei d ein Durchmesser des Drahts (18a) in mm, R eine Zugfestigkeit des Drahts (18a) in N mm-2 und C ein Faktor von 400 N0,5 mm-0,5 ist.
- 8. Verfahren zur Herstellung eines Drahtgeflechts (10a), insbesondere eines Sicherheitsnetzes, insbesondere nach einem der Ansprüche 1 bis 6, mit mehreren ineinander geflochtenen Wendeln (12a, 14a), wobei ein zur Herstellung geeigneter Draht (18a) aus einem hochfesten Stahl mit einer Zugfestigkeit von wenigstens 800 N mm-2 zumindest mittels des Verfahrens nach Anspruch 7 identifiziert wird und wobei wenigstens eine Wendel (12a) aus zumindest einem Einzeldraht, einem Drahtbündel, einer Drahtlitze, einem Drahtseil und/oder einem anderen Längselement (16a) mit dem identifizierten Draht (18a) mittels Biegen gefertigt wird.
- Der Anspruch 7 knüpft ausdrücklich an ein Teststück an, anhand dessen ein Hin- und Herbiegeversuch unternommen werden soll. In dieser Anspruchsformulierung ist für den Fachmann zu ersehen, dass die Beschaffenheit des Drahtgeflechts durch die Geeignetheit des Drahtes bedingt wird, welche ihrerseits mittels des Biegeversuchs eines Teststückes ermittelt wird. Schon daraus ergibt sich ein Abstufungsverhältnis von zunächst einer Identifikation eines geeigneten Materials, hin zur Herstellung eines Drahtgeflechts bis hin zum Vorhandensein eines vollständigen Drahtgeflechts. Indem für ein Teststück ermittelt wurde, dass die anhand der Berechnungsparameter untersuchte Bruchfreiheit eingehalten werden kann, steht zweierlei fest: ein Herstellungsverfahren kann durchlaufen werden, ohne Materialverlust aufgrund von Durchbrechens befürchten zu müssen; das hergestellte Drahtgeflecht erfüllt seinerseits automatisch die Voraussetzungen zur Biegbarkeit, weil diese dem Teststück folgen.
- Die Würdigung dieser beiden Ansprüche in Zusammenhang mit Anspruch 1 führt ebenso wenig dazu, dass die in Anspruch 1 enthaltenen Parameter auf die Durchführung eines Biegetests hinweisen würden. Zunächst ist die Aufnahme der Formel in den Anspruchswortlaut schon keine Besonderheit des Anspruchs 1, da sie gleichermaßen Eingang in die Ansprüche 7 und 8 gefunden hat. Zuzugeben ist der Beklagten, bei der Betrachtung eines Patents als Ganzen gleichen Begrifflichkeiten auch dieselbe Bedeutung beizumessen – sofern das Patent keine gegenteiligen Anhaltspunkte liefert (vgl. BGH, GRUR 2017, 152ff. – Zungenbett). Dem trägt die hier vorgenommene Auslegung Rechnung. Für alle Ansprüche gilt das Verständnis, dass in einen Biegeversuch die beanspruchten Parameter einzustellen sind. Unterschiedlich zu bewerten ist hierbei lediglich, wann nach der erfindungsgemäßen Lehre ein solcher Test durchzuführen ist. Dies ist, wie vorstehend gezeigt, nur vor der Herstellung eines Drahtgeflechts der Fall. An die derart ermittelte Eigenschaft eines Materials wird für das weitere Vorgehen (Herstellen und Erhalt eines Drahtgeflechts) angeknüpft. Der vorgenannte Grundsatz eines einheitlichen Begriffsverständnisses hat hierbei aber keine so weitreichende Bedeutung, dass die Kontexte, in welchen die einheitlichen Begrifflichkeiten benutzt werden, bei der Auslegung unberücksichtigt gelassen werden dürften. Vor allem darf hier nicht übergangen werden, dass die Formel bei der Beschreibung unterschiedlicher Arten von Ansprüchen verwendet wird. Insoweit ergibt sich auch erst aus der Differenzierung zwischen Verfahrens- und Vorrichtungsansprüchen, wann es auf die Durchführung eines Tests tatsächlich ankommt (Verfahrensanspruch) und wann nicht (streitgegenständlicher Vorrichtungsanspruch).
- Die erfindungsgemäße Lehre trägt durch die Gestaltung der Ansprüche sowie der Beschreibungsstellen stringent der Aufgabenstellung Rechnung. Die angestrebten Verbesserungen hinsichtlich der hohen (Zug-) Festigkeit eines Drahtgeflechts werden erreicht, wobei der Draht gute Biegeeigenschaften aufweist und dadurch während der Herstellung eines Geflechts gut verarbeitbar ist. Die Anforderungen an Eigenschaften des Drahtgeflechts werden im Anspruch über die Parameter R für die Zugfestigkeit, die über einem Mindestwert liegen muss, und C umgesetzt. In Abhängigkeit von ihnen wird die einzuhaltende Biegebeständigkeit ermittelt.
- Ein anderes Verständnis des Anspruchs 1 ergibt sich schließlich nicht daraus, dass es im Rahmen des Verletzungsnachweises erforderlich werden kann, einen Biegetest durchzuführen, um die Eigenschaften einer angegriffenen Ausführungsform zu ermitteln. Es ist nämlich zwischen dem Verständnis einer geschützten Lehre und den danach bestehenden Anforderungen an eine Vorrichtung einerseits und den tatsächlichen Anforderungen an einen stichhaltigen Beleg für eine Patentverletzung zu unterscheiden. Diese Unterscheidung gilt für alle Vorrichtungsansprüche, die Material- und Beschaffenheitsangaben enthalten. Der Anspruch gibt damit objektive Kriterien vor, welche – sofern die Ausgestaltung einer angegriffenen Ausführungsform streitig ist – im Tatsächlichen näheren Untersuchungen bedürfen können. Eine Auswirkung auf den Anspruchsgehalt selbst, dass schon dieser die Durchführung von Tests erfordern würde, folgt daraus aber nicht. Vor diesem Hintergrund sind auch nur die in der Duplik zitierten Äußerungen der Klägerin in den Rechtsbestandsverfahren zu verstehen. Mit den angeführten Angaben „Draht mit Zugfestigkeit > 1770N/mm²“ bzw. „Draht aus Seil“ (vgl. Anlage WKS 16, S. 19) möchte sie veranschaulichen, dass auch der im Anspruch genannten Formel zur Biegbarkeit kein weitergehender Gehalt als einer Maßangabe beizumessen ist. Im Übrigen ist selbst die Beklagte nicht der Ansicht, dass der Anspruch hinsichtlich der weiteren dort genannten und bezifferten Parameter Testverfahren verlangen würde, obwohl insoweit unstreitig ist, dass es sich auch um Beschaffenheitsangaben handelt (die auch für die angegriffene Ausführungsform einmal festgestellt werden müssten.
- Technisch-funktionale Erwägungen unterstützen das erläuterte Verständnis zudem. Denn obwohl die von der Erfindung angeführten Vorteile alle die Vorbereitung/Produktion eines Drahtgeflechts betreffen, erkennt der Fachmann, dass diese nur über die Beschaffenheit des Drahtes als solchen bereitgestellt werden können und in dem fertigen Drahtgeflecht fortwirken. Dieser ist es, aus dem das Geflecht gefertigt werden soll, sodass Eigenschaften des Geflechts zwingend durch die Eigenschaften des Drahtes bedingt werden. Es ist technisch nicht erforderlich, den Biegeversuch an einem Drahtgeflecht vorzunehmen. Ausreichend ist vielmehr, wenn objektiv feststeht, dass der verarbeitete Draht diesen Anforderungen genügt. Wann es zu dieser Feststellung gekommen ist, ist in technischer Hinsicht nicht entscheidend. Unter technisch-funktionalen Gesichtspunkten weiß ein Fachmann außerdem, dass ein Draht bei der Verwendung nur eines Biegezylinders stets auf derselben Seite um wenigstens 90° gebogen werden kann. Ein Hin- und Herbiegen kann in diesen Fällen nur in dem Biegen und Wiederaufrichten des Drahtes gesehen werden, was sich im Verständnis des Anspruchswortlauts niederschlagen muss.
-
III.
Ausgehend von vorstehend erläutertem Verständnis macht die angegriffene Ausführungsform Gebrauch von der Lehre des Klagepatents. - Für die angegriffene Ausführungsform ist erforderlich, dass – anhand von Untersuchungen – nachgewiesen wird, dass sie die Korrelation zwischen errechneter Biegezahl und den tatsächlich durchführbaren Biegungen einhält. Ohne derlei Nachweise, könnten auch die unstreitigen, der Website der Beklagten zu entnehmenden Materialeigenschaften keine Verletzung begründen, weil die durchführbaren Biegungen weder bekannt noch unstreitig sind.
- Es ist nach den allgemeinen zivilprozessualen Regeln an der Klägerin als Anspruchsinhaberin darzulegen, dass eine im Inland befindliche angegriffene Ausführungsform die Merkmale des Klagepatents verwirklicht. Die konkreten Anforderungen an substantiierten Klägervortrag hängen dabei von dem Bestreiten der Gegenseite ab. Je konkreter diese tatsächliches Vorbringen in Abrede stellt, desto detaillierter muss die Klägerin ihrerseits reagieren (vgl. (Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, § 138 ZPO, Rn. 8). Vorliegend waren daher hinsichtlich des Erhalts des Testmusters ergänzende Ausführungen der Klägerin erforderlich, weil sich die Beklagte zulässigerweise gem. § 138 Abs. 4 ZPO zu dessen Herkunft mit Nichtwissen erklärt hat.
- Die Klägerin hat daraufhin substantiiert vorgetragen, wie sie innerhalb Deutschlands an das untersuchte Muster der angegriffenen Ausführungsform gelangt ist. Es handelt sich danach um überschüssiges Material, welches im Rahmen von Sicherungsmaßnahmen zwischen Mai und August 2019 in der Nähe von Garmisch-Partenkirchen verwendet wurde. Ein Mitarbeiter der Klägerin konnte dieses Reststück mitnehmen. Hierzu hat die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 25. April 2022 sowie in der mündlichen Verhandlung auf nachvollziehbare Weise ergänzt, dass sie insbesondere aufgrund der räumlichen Lage des Reststückes sicher sein konnte, nicht ihren eigenen, auch in diesem Bauprojekt eingesetzten Draht auszuwählen. So sollte ihr eigenes Material und dasjenige der Beklagten in unterschiedlichen und auseinanderliegenden Teilbereichen des Bauprojekts eingesetzt werden. Zudem war die Identifizierung des Reststücks als Produkt der Beklagten anhand der Ausgestaltung der gebogenen Wendeln, von Haken am Ende des Drahtgeflechts sowie der rechteckigen Maschenformung möglich. Die Beklagte hat diese Merkmale ihres Produktes nicht bestritten, sodass die Kammer davon überzeugt ist, dass es sich um ein Teilstück der angegriffenen Ausführungsform gehandelt hat.
- Anhand dieses Teststücks hat die Klägerin sodann Biegeversuche durchgeführt und ermittelt, dass die angegriffene Ausführungsform der errechneten Zahl an Mindestbiegungen standhält. Dies steht zur Überzeugung der Kammer fest, da die Klägerin auf nachvollziehbare Weise dargelegt und mittels Fotografien dokumentiert hat, anhand welchen Versuchsaufbaus sie die Biegungen unternommen hat.
- Als Versuchsaufbau hat die Klägerin eine Konstruktion gewählt, die einer nach dem Klagepatent entspricht. Sie hat die Biegungen nur um einen (den rechten) Zylinder vorgenommen (vgl. Anlage WKS 13, Dokumentation Test 2). Deutlicher wird dies aus den Lichtbildern der Anlage WKS 15 (Dokumentation Test 1), welche schon einen Versuchsaufbau zeigen, der nur ein Biegen um einen rechts angeordneten Biegezylinder ermöglicht. Der Durchmesser des Biegezylinders betrug 6 mm. Weiterhin hat die Klägerin konkret vorgetragen, wann (am 1. und 17. März 2021) und durch wen (Herr D) die Tests durchgeführt worden sind.
- Ob das entnommene Material bereits im Juli 2019 von einem Mitarbeiter der Klägerin auf seine Biegefähigkeit hin untersucht worden ist, ist für die Entscheidung irrelevant, weil der Klägerin der Verletzungsnachweis jedenfalls durch die März-Versuche gelungen ist. Denn mit dem entsprechenden Vorbringen und vor allem mit den Fotodokumentationen der Biegevorgänge hat die Klägerin hinreichend substantiiert die Biegeeigenschaften der angegriffenen Ausführungsform aufgezeigt. Auf nachvollziehbare Weise sind jeweils vier Lichtbilder einem Biegeversuch zuzuordnen, was die Klägerin anhand der Nummerierung oberhalb der Fotos kenntlich gemacht hat. Danach zeigt die WKS 13 11 Biegungen und die WKS 15 10 Biegungen. Das Bestreiten der Beklagten ist demgegenüber zu pauschal und setzt sich nicht mit den Abbildungen als solchen auseinander, zumal die Beklagte deren Entsprechung mit dem tatsächlich durchgeführten Versuch nicht erheblich in Zweifel zieht. Auch ist nicht zu erkennen, dass der Versuchsaufbau falsch gewesen sein könnte. Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es nämlich nicht auf Vorgaben einer DIN ISO 7801 für die Versuchsanordnung an. Maßgeblich ist, wie nach der Lehre des Klagepatents ein solcher Versuch durchzuführen ist. Demgemäß hat die Klägerin einen der Figur 7 entsprechenden Aufbau der Teststation gewählt und Biegungen um wenigstens einen Biegezylinder vorgenommen. Auch im Übrigen bestehen keine Bedenken am Aussagegehalt der Fotodokumentation.
- Unerheblich ist im Hinblick auf die Berechnungen der Biegefähigkeit, ob die von der Klägerin hierzu ermittelten Materialwerte zutreffend sind. Denn wie die ursprünglichen Berechnungen ausgehend vom Faktor C mit 400 unstreitig gezeigt haben, konnte auch mit den eigenen Angaben der Beklagten die (gerundete) Biegezahl 5 ermittelt werden, welcher das Muster der angegriffenen Ausführungsform standgehalten hat. Eine Veränderung des Faktors C auf 500, wie mit der Klage nunmehr im Hauptantrag geltend macht, führt insoweit zu einer höheren Biegezahl (M=6), verändert die Rechenergebnisse mit klägerischen und Beklagtenangaben ansonsten aber in demselben Proportionsverhältnis wie in den Ausgangsrechnungen.
- Schließlich steht den auf Basis des Reststücks durchgeführten Biegeversuchen kein Beweisverwertungsverbot entgegen. Sofern ein Beweismittel und die durch dieses Beweismittel mögliche Beweisführung rechtswidrig erlangt worden ist, kann dessen Verwertung ein Verbot entgegenstehen (vgl. MüKoZPO/Prütting, 6. Aufl. 2020, ZPO § 284 Rn. 64). Im Bereich des Zivilprozessordnung kommt ein solches Verwertungsverbot allerdings nur in Ausnahmefällen zum Tragen und nur dort, wo der Schutzzweck der verletzten Norm dies gebietet, also dort wo ein rechtswidriger Eingriff in verfassungsrechtlich geschützte Grundpositionen des Einzelnen vorliegt (insbesondere Eingriffe in die Menschenwürde und das allgemeine Persönlichkeitsrecht). Dies muss insbesondere bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen gelten, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen werden (MüKoZPO/Prütting, a.a.O., Rn. 67). Daher folgt auch allein aus der Rechtswidrigkeit einer außergerichtlichen Beweismittelerlangung prozessual noch kein Verwertungsverbot.
- Vorliegend sind bei der prozessualen Verwertung der auf dem Reststück beruhenden Biegeversuche keine verfassungsrechtlich geschützten Belange der Beklagten betroffen. Soweit der Eigentumsschutz an einem Abfallcontainer dem materiell Berechtigten den Zuweisungsgehalt in sein Recht bewahren will, ist hier nicht zu erkennen, dass die Beklagte in diesen Schutzbereich einbezogen wäre. Sie hat weder behauptet, Eigentümerin des Containers gewesen zu sein, noch vorgetragen, wer überhaupt Eigentum am Container hatte. Insoweit überwiegen hier das Interesse an der Verwertung und der Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege, weil hier kein schwerwiegender, bewusster oder willkürlicher Verfahrensverstoß vorliegt, der planmäßig grundrechtliche geschützte Positionen missachtet hat (vgl. LG München I, GRUR-RS 2018, 1052 – pharmazeutische Lösung).
- IV.
- Aufgrund der vorstehenden Ausführungen resultieren die folgenden Rechtsfolgen:
- 1.
Da die Beklagte das Klagepatent widerrechtlich benutzt hat, ist sie gemäß Art. 64 EPÜ, § 139 Abs. 1 PatG zur Unterlassung der Benutzungshandlungen verpflichtet. - 2.
Die Beklagte trifft auch ein zumindest fahrlässiges Verschulden. Denn die Beklagte als Fachunternehmen hätte bei Anwendung der von ihr im Geschäftsverkehr zu fordernden Sorgfalt die Benutzung des Klagepatents erkennen und vermeiden können, § 276 BGB. Für die Zeit ab Erteilung des Klagepatents schuldet die Beklagte daher Ersatz des Schadens, welcher der Klägerin entstanden ist und noch entstehen wird, Art. 64 EPÜ, § 139 Abs. 2 PatG. - Da die genaue Schadensersatzhöhe derzeit noch nicht feststeht, die Klägerin nämlich keine Kenntnis über den Umfang der Benutzungs- und Verletzungshandlungen durch die Beklagte hat, hat sie ein rechtliches Interesse gemäß § 256 ZPO daran, dass die Schadensersatzpflicht der Beklagten dem Grunde nach festgestellt wird.
- 3.
Um die Klägerin in die Lage zu versetzen, den ihr zustehenden Schadensersatz zu beziffern, ist die Beklagte verpflichtet, im zuerkannten Umfang über ihre Benutzungshandlungen Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen, Art. 64 EPÜ, § 140b PatG, § 259 i.V.m. § 242 BGB. - 4.
Die Beklagte ist nach Art. 64 EPÜ, § 140a Abs. 3 PatG in der zuerkannten Weise auch zum Rückruf der das Klagepatent verletzenden Gegenstände verpflichtet. - Bedenken an der Begründetheit folgen insbesondere nicht aus der Formulierung des Antrags. Es bedurfte keiner Benennung konkreter, von der Beklagten zu unternehmenden Handlungen. Der Rückbezug auf Ziff. I (Unterlassungsanspruch) ist eine herkömmliche und hinreichend eindeutige Eingrenzung der betroffenen Vorrichtungen. In der Sache ist der Anspruch auch nicht zu weit gefasst, weil der Zusatz „im Inland befindlich“ fehlt. Die Kammer darf ohnehin nur mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland Recht sprechen, sodass der Rückrufanspruch keinen weitergehenden Gegenstand haben kann.
- Der Rückrufanspruch ist schließlich nicht unverhältnismäßig, § 140a Abs. 4 S. 1 PatG. Er beinhaltet keine inakzeptable Gefahr für Leib und Leben bzw. Eigentum von Dritten dadurch, dass die angegriffene Ausführungsform nicht mehr am Markt erhältlich wäre. Hierzu hat die Klägerin in der Replik unbeanstandet vorgetragen, dass etwa eigene Produkte der Klägerin in der Lage wären, am Markt fehlende Produkte zu ersetzen.
- 5.
Die Klägerin hat zudem einen Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten Abmahnkosten, welche sich aus Gebühren für den Rechtsanwalt und für den Patentanwalt zusammensetzen. - Die Klägerin begehrt die Erstattung der Abmahnkosten für die unter dem 07.02.2020 ausgesprochene Abmahnung, welche das Klagepatent B betraf.
- Anerkanntermaßen sind für die Erstattung der Abmahnkosten die Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag anzuwenden (vgl. Kühnen, a.a.O., Kap. C, Rn. 39). Der Anspruch besteht, wenn die Abmahnung berechtigt war, also die geltend gemachten Ansprüche im Zeitpunkt der Abmahnung bestanden. Dies schließt ein, dass dem Abmahnenden das geltend gemachte Recht zustand. Diese Voraussetzungen sind erfüllt; der Klägerin standen die geltend gemachten Ansprüche zu. Die Abmahnung war zwar auf das Klagepatent B gestützt, gleichwohl kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf obige Ausführungen zur Verletzung des Klagepatents A Bezug genommen. Denn mit dem dessen Verletzung feststeht, gilt dies zugleich für das Klagepatent B. Dieses weist gegenüber dem Klagepatent A nämlich ein Merkmal weniger auf und ist erst recht verwirklicht.
- Auch an der Höhe des geltend gemachten Anspruchs bestehen keine Bedenken. Der mit 1.000.000,- Euro angesetzte Gegenstandswert ist angemessen und unterliegt keiner Kritik der Beklagten. Die mit dem Faktor 1,8 berechnete Geschäftsgebühr ist ebenso wenig seitens der Beklagten beanstandet worden. Regelmäßig ist die abzurechnende Geschäftsgebühr unter Berücksichtigung aller Umstände nach billigem Ermessen zu bestimmen, wobei dem Anspruchsinhaber ein Toleranzbereich von 20 % zugebilligt wird, ausgehend von der 1,3-fachen Rahmengebühr. Diese Toleranz kommt insbesondere in Patentstreitigkeiten zur Anwendung (vgl. Kühnen, a.a.O., Kap. C, Rn. 58).
- Die Kosten des Patentanwalts sind unter denselben Voraussetzungen erstattungsfähig. In Patentsachen wird die Mitwirkung eines Patentanwalts regelmäßig für notwendig erachtet.
- Der korrespondierende Anspruch auf Verzugszinsen folgt ab dem 22.02.2020 aus §§ 288, 286 BGB. Ab dem 21.02.2020 bestand der Zinsanspruch dagegen noch nicht, weil dies der letzte Tag der den Verzug begründenden Frist war.
-
V.
Der Rechtsstreit war nicht auszusetzen. Die Kammer vermochte nicht festzustellen, dass die im Wege der Nichtigkeitsklage bzw. des Einspruchs vorgebrachten Einwände gegen den Rechtsbestand des Klagepatents hinreichend wahrscheinlich erfolgreich verlaufen würden. Nach Auffassung der Kammern (Mitt. 1988, 91 – Nickel-Chrom-Legierung, BlPMZ 1995, 121 – Hepatitis-C-Virus), die durch das Oberlandesgericht Düsseldorf (GRUR 1979, 188 – Flachdachabläufe; Mitt. 1997, 257, 258 – Steinknacker) und den Bundesgerichtshof (GRUR 1987, 284 – Transportfahrzeug; GRUR 2014, 1237 ff. – Kurznachrichten) bestätigt wurde, stellen ein Einspruch gegen das Klagepatent oder die Erhebung der Nichtigkeitsklage als solche noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen, da dies faktisch darauf hinauslaufen würde, dem Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beizumessen, die dem Gesetz fremd ist (§ 58 Abs. 1 PatG). Die Interessen der Parteien sind vielmehr gegeneinander abzuwägen. - Wenn das Klagepatent mit einer Patentnichtigkeitsklage angegriffen ist, verurteilt das Verletzungsgericht, wenn es eine Verletzung des in Kraft stehenden Patents bejaht, grundsätzlich nur dann wegen Patentverletzung, wenn es eine Nichtigerklärung nicht für (überwiegend) wahrscheinlich hält; andernfalls hat es die Verhandlung des Rechtsstreits nach § 148 ZPO auszusetzen, bis jedenfalls erstinstanzlich über die Nichtigkeitsklage entschieden ist (BGH, GRUR 2014, 1237, 1238 – Kurznachrichten). Denn eine – vorläufig vollstreckbare – Verpflichtung des Beklagten zu Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung sowie Vernichtung patentgemäßer Erzeugnisse ist regelmäßig nicht zu rechtfertigen, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten steht, dass dieser Verurteilung durch die Nichtigerklärung des Klagepatents die Grundlage entzogen werden wird. Der aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) in Verbindung mit den Grundrechten folgende und damit verfassungsrechtlich verbürgte Justizgewährungsanspruch gebietet, dem Verletzungsbeklagten wirkungs-vollen Rechtsschutz zur Verfügung zu stellen, wenn er sich gegen den Angriff aus dem Klagepatent mit einem Gegenangriff gegen den Rechtsbestand dieses Patents zur Wehr setzen will. Dies erfordert nicht nur eine effektive Möglichkeit, diesen An-griff selbst durch eine Klage auf Nichtigerklärung führen zu können auch eine angemessene Berücksichtigung des Umstands, dass in diesem Angriff auch ein – und gegebenenfalls das einzige – Verteidigungsmittel gegen die Inanspruchnahme aus dem Patent liegen kann. Wegen der gesetzlichen Regelung, die für die Ansprüche nach §§ 139 ff. PatG lediglich ein in Kraft stehendes Patent verlangt und für die Beseitigung dieser Rechtsposition nur die in die ausschließliche Zuständigkeit des Patentgerichts fallende Nichtigkeitsklage zur Verfügung stellt, kann der Angriff gegen das Klagepatent anders als in anderen Rechtsordnungen nicht als Einwand im Verletzungsverfahren oder durch Erhebung einer Widerklage auf Nichtigerklärung geführt werden. Dies darf indessen nicht dazu führen, dass diesem Angriff jede Auswirkung auf das Verletzungsverfahren versagt wird. Die Aussetzung des Verletzungsstreits ist vielmehr grundsätzlich, aber auch nur dann geboten, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass das Klagepatent der erhobenen Nichtigkeitsklage nicht standhalten wird (BGH, GRUR 2014, 1237, 1238 – Kurznachrichten).
-
1.
Die Lehre des Klagepatents ist ausführbar. - Eine Erfindung ist ausführbar, wenn ein Fachmann anhand der Patentschrift unter Einsatz seines Fachwissens in der Lage ist, die offenbarte technische Lehre praktisch zu verwirklichen (vgl. Schulte/Moufang, PatG, 10. Auflage 2017, § 34, Rn. 349). Es ist die in den Ansprüchen in ihrer allgemeinsten Form umschriebene technische Lehre, welche dem Fachmann in der Patentschrift so deutlich und so detailliert offenbart sein muss, wie er dies benötigt, um mit Hilfe seiner als vorhanden vorausgesetzten Fachkenntnisse diese technische Lehre der Erfindung zumindest auf einem praktisch gangbaren Weg auszuführen und hierdurch den technischen Erfolg der Erfindung zu erzielen (BGH, GRUR 2015, 472 – Stabilisierung der Wasserqualität).
- Die Ausführbarkeit der in einem Patentanspruch umschriebenen technischen Lehre darf nicht mit der Erreichung derjenigen Vorteile gleichgesetzt werden darf, die dieser Lehre in der Beschreibung zugeschrieben werden. Kann ein solcher Vorteil – grundsätzlich oder unter den in der Praxis zu erwartenden Bedingungen – nicht erreicht werden, bedeutet dies jedenfalls nicht notwendigerweise, dass die technische Lehre der Erfindung nicht ausführbar offenbart ist. Dies ist sie vielmehr grundsätzlich bereits dann, wenn der Fachmann mit Hilfe seines Fachwissens in der Lage ist, den in den Sachansprüchen beschriebenen Gegenstand herzustellen und diejenigen Verfahrensschritte auszuführen, die in den Verfahrensansprüchen bezeichnet sind (BGH, GRUR 2015, 472 – Stabilisierung der Wasserqualität). So ist eine ausreichende Offenbarung gegeben, wenn ein Fachmann anhand der Offenbarung das erfindungsgemäße Ziel zuverlässig in praktisch ausreichendem Maße erreichen kann.
- Gegenstand der Ausführbarkeit ist auch, dass der Fachmann die Erfindung mit zumutbarem Aufwand umsetzen kann. Ob dies der Fall ist, orientiert sich an dem technischen Gebiet der Erfindung, den Fähigkeiten des Fachmanns sowie anhand dessen, welche Anschauungen für den Gegenstand der Erfindung als allgemein üblich angesehen werden. Zu beachten ist aber, dass eine Patentschrift nicht als eine Gebrauchsanweisung für den Fachmann zu verstehen ist. Vielmehr handelt es sich um eine fachliche Darstellung, die bei Adressaten eine ausreichende Qualifikation, einen durchschnittlichen Wissensstandard sowie eine angemessene Bereitschaft zum Probieren voraussetzen darf (vgl. Schulte/Moufang, a.a.O., § 34, Rn. 355).
- Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
- Der Fachmann versteht die im Klagepatent B angegebene Formel richtigerweise dahin, dass bei der Wiedergabe der Formel ein Vorzeichenfehler bei dem Faktor C unterlaufen ist; es lautet 400 N0,5mm0,5 statt 400 N0,5mm-0,5. Dieser Vorzeichenfehler würde nicht zur Dimensionslosigkeit von M führen, weshalb der Fachmann die Formel richtigerweise so liest, dass für M ein Wert ohne Maßangabe entsteht.
- Auch im Übrigen ist die Lehre der Klagepatente ausführbar. Der Fachmann erkennt die Verwendung eines Biegezylinders sowie die Biegung um wenigstens 90° als taugliche Grundlage zur Bestimmung des Faktors M. Mit Blick auf den Grad der Biegung weiß er, dass das Überschreiten von 90° bei jeder einzelnen Biegung sogar zu einer höheren Materialbelastung führt und somit ein schnelleres Brechen des Drahtes möglich ist.
- Außerdem können die erforderlichen Biegeversuche um einen Biegezylinder herum vorgenommen werden. Hierzu verweist die Beklagte zunächst auf die ISO 7801, der gegenüber das Klagepatent strenger sein will und behauptet, dass diese Annahme bei nur einem Biegezylinder nicht zutreffen könne. Es ist indes nichts ersichtlich und von der Beklagten auch nicht vorgetragen worden, dass die Abgrenzung der erfinderischen Lehre von der ISO 7801 (ausschließlich) über den Versuchsaufbau erfolgen soll und nicht – was entscheidender sein dürfte – über die in die Berechnung einzustellenden Parameter. Denn gerade hinsichtlich dieser hält das Klagepatent Mindestangaben bereit, die zu einer verbesserten Materialbeschaffenheit und Strapazierfähigkeit beitragen sollen und so noch kein Gegenstand der ISO 7801 waren.
Die Untersuchungen des TÜV Austria im Rahmen der offenkundigen Vorbenutzung zeigen außerdem, dass ein Fachmann offensichtlich anhand des erfindungsgemäßen Versuchsaufbaus Biegetests durchführen kann und weiß, wie bei nur einem vorgesehenen Biegezylinder zu verfahren ist. Dass es dabei zu Problemen gekommen wäre, ist nicht zu erkennen. - Für den Fachmann bleibt weiterhin der Faktor M bestimmbar und damit die gesamte Lehre des Klagepatents ausführbar. Selbst wenn nach dem Wortlaut des Anspruchs sowohl ein Hin- und Rückbiegeversuch als auch ein Hin- und Herbiegeversuch denkbar sind, bleibt für den Fachmann die Biegezahl M hinreichend bestimmbar und die Lehre demnach ausführbar. Denn es erscheint nicht ausgeschlossen, M für unterschiedliche Versuchsaufbauten auch unterschiedlich zu bestimmen; bei einem Biegezylinder ist ein Hin- und Rückbiegen um 90° eine Biegung und bei zwei Biegezylinder ist ein Hin- und Herbiegen um 90° nach links und 90° nach rechts eine Biegung. Dies dürfte auch nicht zu verfälschten Ergebnissen führen, weil es pro Seite bei derselben Anzahl an Biegungen bleibt.
- Auch die Kritik im Hinblick auf die klagepatentgemäß auszugestaltenden Wendeln greift nicht durch und vermag nicht die mangelnde Ausführbarkeit der erfindungsgemäßen Lehre zu begründen. In Merkmal 2 verlangt das Klagepatent von wenigstens einer Wendel das Einhalten bestimmter Materialeigenschaften. Daher könnte der Beklagten zuzugeben sein, dass der Nutzen diesen Materials in Frage stehen könnte, wenn es ansonsten eine Vielzahl an Wendeln ohne diese spezielle Zusammensetzung gibt. Indes gibt der Anspruch 1 des Klagepatents nicht vor, aus wie vielen Wendeln ein Drahtgeflecht bestehen soll. In Merkmal 1 ist nur von „mehreren“ Wendeln die Rede. Dies könnte schon bei etwa drei Wendeln der Fall sein und die eine auf bestimmte Weise ausgestaltete Wendel könnte von Nutzen sein. Der Fachmann versteht weiterhin, dass die vom Klagepatent geschützten Eigenschaften immer auf den Draht bezogen sind. Denn dieser stellt das Grundmaterial dar, aus welchem Drahtbündel, Drahtlitzen oder Drahtseile gebildet werden.
- Der Fachmann kann die klagepatentgemäße Lehre auch nicht nur mit unzumutbarem Aufwand ausführen. Die Argumente der Beklagten, dass es aufgrund der Vielzahl an Stahlsorten und an Herstellern für den Fachmann nicht möglich sei, einen Draht im Sinne des Klagepatentanspruchs 1 aufzufinden, stehen der Ausführbarkeit nicht entgegen. Diese, auch von der Klägerin zugestandene Vielzahl an verfügbaren Drähten begründet nur das Erfordernis, vor der Herstellung eines Drahtgeflechts die konkreten Drahteigenschaften im Testwege zu untersuchen. Dass dies anhand der im Anspruch genannten Merkmale nicht möglich wäre, behaupten die Beklagten nicht. Insoweit dürfte es sich auch nicht um ein Problem bei der Ausführung der erfindungsgemäßen Lehre handeln, sondern allenfalls um ein solches der Nachweisbarkeit einer Verletzung.
- Schließlich steht der Ausführbarkeit nicht entgegen, dass der Durchmesser des Drahtes Ausgangspunkt für den Durchmesser des Biegezylinders sein soll, zugleich in der Klagepatentschrift aber auch Flach- oder Vierkantdrähte beschrieben werden.
- Im Hinblick auf dieses Argument führt die Beklagte schon nicht aus, dass das Klagepatent mit dem beanspruchten Durchmesser zwingend ein geometrisches Verständnis anlegt und nur kreisrunde Formen einbeziehen will, weshalb es bei anders geformten Drähten zu Problemen in der Umsetzung der Lehre kommen könnte.
- Derlei vermag die Kammer im Übrigen auch nicht festzustellen. Im Klagepatentanspruch werden der Draht und dessen Form nicht näher spezifiziert. Indem in Merkmal 3 an den Durchmesser des Drahts angeknüpft wurde, könnte dies ein Hinweis auf eine kreisrunde Form sein. Allerdings fehlen darüber hinaus Anhaltspunkte, den Wortlaut in diesem streng geometrischen Sinne zu verstehen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Gestaltungs-möglichkeiten des Drahtes. Diese wären schutzlos, wenn sie nicht unter Anspruch 1 fallen würden. Insoweit ist es – wie dem Fachmann geläufig sein dürfte – zudem möglich, auch bei anderen geometrischen Formen als Kreisen eine maximale Breite rechnerisch zu ermitteln, welche sodann dem Durchmesser des Biegezylinders zugrunde gelegt werden könnte.
- Bereits oben wurde schon ausgeführt, dass für die Feststellung der Drahteigenschaften auf den Draht als Ausgangsmaterial abzustellen ist und nicht auf Drahtkonstrukte wie Litzen o.ä. Deshalb verbleibt es auch bei solchen Drahtzusammenschlüssen (vgl. Merkmal 2) dabei, dass der Durchmesser des eigentlichen Drahts entscheidend ist.
- 2.
Sowohl das Klagepatent A als auch das Klagepatent B sind gegenüber dem Stand der Technik neu. Weder die WO 99/XXX noch das EP 0 979 XXX B2 (0979326 B1) nehmen die erfindungsgemäße Lehre in neuheitsschädlicher Weise vorweg. - Eine Erfindung ist neu, wenn sie nicht objektiv zum Stand der Technik gehört, von welchem maßgeblich eine Abgrenzung vorzunehmen ist (vgl. Benkard/Melullis, Patentgesetz, 11. Aufl., § 3, Rn. 15). Die Beurteilung, ob der Gegenstand eines Patents durch eine Vorveröffentlichung neuheitsschädlich getroffen ist, erfordert die Ermittlung des Gesamtinhalts der Vorveröffentlichung. Maßgeblich ist, welche technische Information dem Fachmann offenbart wird. Der Offenbarungsbegriff ist dabei kein anderer, als er auch sonst im Patentrecht zugrunde gelegt wird (BGH, GRUR 2004, 407, 411 – Fahrzeugleitsystem). Zu ermitteln ist deshalb nicht, in welcher Form der Fachmann etwa mit Hilfe seines Fachwissens eine gegebene allgemeine Lehre ausführen kann oder wie er diese Lehre gegebenenfalls abwandeln kann, sondern ausschließlich, was der Fachmann der Vorveröffentlichung als den Inhalt der gegebenen (allgemeinen) Lehre entnimmt. Entscheidend hierbei ist, was einer Schrift unmittelbar und eindeutig entnommen werden kann (BGH, GRUR 2009, 382 – Olanzapin).
-
a.
Die WO`894 ist als Entgegenhaltung schon deshalb ungeeignet, weil sie von der Klagepatentschrift zitierter Stand der Technik ist, welcher im Rahmen des Erteilungsverfahrens gewürdigt wurde. Dass dies in unvertretbarer Weise und grob fehlerhaft erfolgt wäre, vermochte die Beklagte nicht aufzuzeigen. - Entgegen der Ansicht der Beklagten ist bei der Neuheitsprüfung aufgrund eines Vergleichs mit dem Stand der Technik nicht ausschließlich auf den Oberbegriff der in Streit stehenden Ansprüche abzustellen. Vielmehr muss der gesamte Anspruch von einer Offenbarung unmittelbar und eindeutig gelehrt werden, da das Schutzrecht in der erteilten Fassung zugrunde zu legen ist. Ausgehend davon vermag die Kammer neuheitsschädliche Vorwegnahme durch die WO`894 festzustellen.
- Die WO`894 betrifft ein Drahtgeflecht für einen Steinschlagschutz oder für die Sicherung einer Erdoberflächenschicht, welches aus korrosionsbeständigen Drähten geflochten ist und entweder auf der Erdoberfläche ausgelegt oder in annähernd aufrechter Stellung an einem Hang oder ähnlichem befestigt ist. Erfindungsgemäße Drähte des Drahtgeflechtes sollten aus einem hochfesten Stahl hergestellt sein, wobei dieser Stahldraht gegenüber den bekannten Drahtgeflechten vorteilhaft eine bis zu dreifach erhöhte Zugfestigkeit aufweisen soll, welche im Bereich von 1000 bis 2200 N/mm2 liegt. Hinsichtlich der hochfesten Drähte nimmt die Druckschrift auf S. 5, 2. Abs. Bezug auf die DIN-Norm 2078, wonach die einsetzbaren Drähte eine Nennfestigkeit zwischen 1000 und 2200 N/mm2 aufweisen sollten, beispielsweise eine solche von 1770 N/mm2. Die Drahtdicke beträgt vorteilhaft zwischen einem und fünf Millimetern. Dies hängt von der erforderlichen Zugfestigkeit ab.
- Zwar führt die Beklagte im Zusammenhang der Neuheitsschädlichkeit nicht konkret aus, ob auch hier eine Weiterverweisung auf den Inhalt der DIN 2078 erfolgen soll, um die Offenbarung der klagepatentgemäßen Lehre darzulegen. Allerdings wird diese selbst unter Berücksichtigung der DIN-Norm nicht neuheitsschädlich getroffen. So gibt diese Entgegenhaltung zwar eine Spannbreite von Zugfestigkeiten an (1000 bis 2000 N/mm²), die mit der Mindestangabe von 800 N/mm² im Klagepatentanspruch zusammenfallen können. Inwieweit es aber nach der WO möglich war, bei Einhaltung dieser Zugfestigkeit, einen Draht zu erhalten, der im erfindungsgemäßen Sinne auch hin- und herbiegbar ist, ist nicht ersichtlich und von der Beklagten nicht dargelegt worden. Offenbart wird entsprechendes nicht durch S. 3, 3. und 4. Absatz der Druckschrift, wo von einer erhöhten Biegefestigkeit gesprochen wird. Denn diese ist auf das Drahtgeflecht als solches und Vorteile während seiner Benutzungsdauer bezogen, indes nicht auf den einzelnen Draht. Umso weniger offenbart diese Druckschrift oder die DIN eine konkrete Formel, wie die Biegebeständigkeit zu ermitteln wäre.
- Schließlich erläutert die Beklagte im Hinblick auf die erfindungsgemäße Berechnungsformel nicht, dass ein Fachmann schon im Stand der Technik den Parameter C mit wenigstens 500 N0,5mm-0,5 angegeben hätte. Hierzu ist Abs. [0051] der Klagepatentschrift zwar schon selbst ein anwendungsabhängiger Spielraum nach oben hin zu entnehmen. Offen bleibt aber, wie es zu der Mindestangabe kam. Hinweise, dass es allgemeines Fachwissen war, fehlen jedenfalls.
- b.
Bei der EP´329 handelt es sich zwar nicht um geprüften Stand der Technik. Der Einwand verfängt allerdings deshalb nicht, weil substantiierte Erläuterungen der Beklagten zu deren Offenbarungsgehalt fehlen. - Die EP`329 stellt ein Drahtgeflecht für einen Steinschlagschutz oder für die Sicherung einer Erdoberflächenschicht, welches aus korrosionsbeständigen Drähten geflochten ist und entweder auf der Erdoberfläche ausgelegt oder in annähernd aufrechter Stellung an einem Hang oder ähnlichem befestigt ist, unter Schutz. Sie beruht auf der WO`894 und enthält daher in Abs. [0011] auch die Beschreibung zur Materialbeschaffenheit: „Erfindungsgemäß sind die Drähte 11,12, 13, 14 des Drahtgeflechtes 10 aus einem hochfesten Stahl hergestellt. Für diese hochfesten Stahldrähte 11, 12, 13, 14 werden vorzugsweise solche verwendet, die zu Drahtseilen verseilt werden. Solche Drähte weisen nach der DIN-Norm 2078 eine Nennfestigkeit zwischen 1000 und 2200 N/mm2 auf, 75 beispielsweise eine solche von 1770 N/mm2. Es könnten jedoch auch Federstahldrähte nach der DIN-Norm 17223 benutzt werden. Die Drahtdicke beträgt vorteilhaft zwischen einem und fünf Millimetern. Dies hängt von der erforderlichen Zugfestigkeit ab.“
- Nähere Erläuterungen der Beklagten zu dieser Druckschrift unterbleiben. In der Klageerwiderung (S. 37) geht die Beklagte nur auf eine mögliche Zugfestigkeit eines Drahtes von 1880N/mm² und einen Drahtdurchmesser zwischen 1 und 5 mm ein. Inwieweit in dieser Druckschrift auch eine bestimmte Biegefähigkeit in Abhängigkeit von diesen Parametern offenbart wird, ist nicht zu erkennen, jedenfalls hier schriftsätzlich nicht vorgetragen worden.
- Soweit im Beklagtenvorbringen außerdem anklingt, dass die DIN 2078 separat neuheitsschädlich entgegenstehe, hat die Beklagte das im entsprechenden schriftsätzlichen Kontext nicht geltend gemacht und im Übrigen nicht aufgezeigt, dass die Korrelation der Werte mit der Biegezahl so schon bekannt war. Insoweit dürfte es nicht genügen, dass Biegezahlen von Drähten bekannt waren. Ausdrücklich leitet auch die Beklagte aus diesen Angaben keine konkrete Beziehung zu Parametern wie der Zugfestigkeit her. Fraglich könnte auch sein, ob Biegezahl tatsächlich die Anzahl möglicher Biegungen meint oder den Grad der Biegefestigkeit beschrieben soll. Auch zu dem konkreten Verständnis des Begriffs der Biegezahl fehlen eindeutige Angaben der Beklagten.
- 3.
Den Klagepatenten kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, eine unzulässige Nicht-Erfindung zu sein. - Dieser Einwand ist vorliegend im Rahmen des Verletzungsverfahrens schon unbeachtlich, da es sich um eine im Erteilungs- bzw. Rechtsbestandsverfahren zu erörternde Fragestellung handelt. Das Verletzungsgericht ist aufgrund der zweigeteilten Verfahrensgestaltung zwischen Verletzung einerseits und Bestand des Schutzrechts andererseits an das Schutzrecht in seiner erteilten Fassung gebunden (vgl. Schulte/Moufang, a.a.O., § 1, Rn. 54) und hat dieses bei der Prüfung des Rechtsbestandes unverändert zugrunde zu legen.
- Im Übrigen würde er aber aus nachfolgenden Gründen nicht durchgreifen:
- Gem. Art. 52 Abs. 2 lit. a EPÜ bzw. § 1 Abs. 3 Nr. 1 PatG werden mathematische Methoden nicht als Erfindung angesehen. Dies gilt deshalb, weil es sich grundsätzlich nur um ein abstraktes Konzept handelt, das beschreibt, wie mit Zahlen zu verfahren ist. Durch die Methode wird nicht unmittelbar ein technisches Ergebnis erzielt. Sofern aber die mathematische Methode Gegenstand eines Verfahrens ist, in dem mit technischen Mitteln auf eine physikalische Erscheinung eingewirkt wird und diese verändert wird, ist das Verfahren nicht allein wegen der mathematischen Methode ausgeschlossen. Auch dann, wenn ein technisches Problem gelöst wird, ist es unschädlich, wenn die der Erfindung zugrunde liegende Idee in einer mathematischen Methode liegt (vgl. Schulte/Moufang, a.a.O., § 1, Rn. 78 ff.).
- Das ist vorliegend der Fall. Denn das Klagepatent beschränkt sich nicht auf die Bereitstellung einer Berechnungsformel, sondern leitet aus deren Ergebnis eine maßgebliche Eigenschaft eines beanspruchten Drahtes ab. Es ist das Rechenergebnis in Verbindung mit der tatsächlichen Beschaffenheit, das den Erfindungsgedanken auszeichnet und ihn vom Stand der Technik abgrenzt.
- 4.
Die klagepatentgemäße Lehre beruht überdies auf erfinderischer Tätigkeit. - Die Beklagte kann hier bereits nicht mit dem Einwand gehört werden, die im Klagepatent genannten Nachteile bestünden nicht. Um dies herzuleiten stellt die Beklagte auf diverse aus dem Stand der Technik bekannten Druckschriften bzw. Veröffentlichungen ab und trägt hierzu vor, dass hochfester Stahl sowie darauf gefertigte Drahtgeflechte bereits existiert hätten.
- Dieser Ansatz ist verfehlt, weil maßgeblich für die Frage der Überprüfung der erfinderischen Tätigkeit diejenige objektive Aufgabe ist, die sich aus der Klagepatentschrift ergibt.
- Das einem Patent zugrunde liegende technische Problem (die sogenannte „Aufgabe“) ist nicht aus dem „einschlägigen Stand der Technik“ oder aus einer „den Gegenständen der durch Urteil des BPatG aufrechterhaltenen Patentansprüche am nächsten“ kommenden Veröffentlichung, sondern aus der Patentschrift zu ermitteln (BGH, GRUR 1988, 280, 282 li. Sp. – Befestigungsvorrichtung). Ist das technische Problem in der Patentschrift ausdrücklich genannt, so kommt es darauf an, was der die Patentschrift studierende Durchschnittsfachmann dieser Angabe unter Einbeziehung des in der Patentschrift genannten Standes der Technik und unter Zugrundelegung seines allgemeinen Fachwissens als objektive Erkenntnis über das durch die Erfindung tatsächlich Erreichte entnehmen kann (BGH, GRUR 1991, 811 – Falzmaschine). Ein später aufgefundener Stand der Technik kann nicht herangezogen werden, um das der geschützten Erfindung zugrunde liegende Problem auszuräumen.
- Ebenso wenig ist das eigene Vorbringen der Klägerin im Einspruchs-/Nichtigkeitsverfahren, wonach es sich bei der Formel um eine verkürzte Form einer tabellarischen Aufstellung mit allen möglichen Kombinationen von Drahtdicken und Drahtzugfestigkeiten“ handele, als Zugeständnis mangelnder Erfindungshöhe zu verstehen (vgl. WKS 16, 17, S. 16 bzw. 14). Damit wollte die Klägerin nicht zum Ausdruck bringen, dass über die Breite vieler denkbaren Berechnungskombinationen keine Erfindung vorliege. Vielmehr sollte nur der Nutzen der Formel beschrieben werden, welche es nämlich überflüssig macht, Tabellen vorzusehen. Indes verleibt es unabhängig von der Darstellungsform als Formel oder Tabelle jedenfalls dabei, dass die Beziehung der einzelnen Parameter entscheidend ist und in der Formel bzw. deren Ergebnisse in einer Tabelle zum Ausdruck kämen. Für die Frage der Erfindungshöhe ist demnach maßgeblich, ob es dies Beziehung der Parameter zueinander so schon gab und nicht, in welcher Weise die Ergebnisse veranschaulicht werden.
- Nach der Klageerwiderung soll die DIN ISO 7801 nächstliegender Stand der Technik sein und lediglich den Durchmesser des Biegezylinders von 2d nicht aufweisen. Dieses Dokument betrifft metallische Werkstoffe – Draht – Hin- und Herbiegeversuche. Hierzu sind in der DIN auch Angaben zum Nenndurchmesser des Drahtes sowie zum Radius des Biegezylinders (vgl. S. 6, Tab. 2) enthalten. Unstreitig ist zwischen den Parteien, dass jedenfalls kein Biegezylinder mit dem Durchmesser von höchstens 2d beschrieben wird. Dieser ergebe sich nach Ansicht der Beklagten aber aus dem Durchschnittswissen des Fachmanns. Nachweise für diese Behauptung liefert die Beklagte indes keine.
- Bezüglich der Ermittlung der Biegezahl verweist die Beklagte auf „produktspezifische Standards für Drähte“, welche die relevanten Angaben beinhalten sollen. Konkret legt die Beklagte den Inhalt der Standards aber nicht dar. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit diese DIN auf eine bestimmte Zugfestigkeit des Drahtes abstellt. Hinzukommt, dass sie auch keine Biegezahlen vorgibt, sondern für deren Ermittlung wiederum auf andere Normen weiterverweist. Wie derlei Biegezahlen dann aber bestimmt wurden, ist nicht bekannt (vgl. Bl. 441 GA, Ziff. 6.7).
- Der weitergehende Vortrag in der Duplik könnte so verstanden werden, dass es sich bei der Monografie „Stahldraht – Herstellung und Anwendung“ um weiteren nächstliegenden Stand der Technik handeln soll. Nach Auffassung der Beklagten sollen sich aus der auf Seite 111 in Bild 57 (Anlage B PNi, Anlage K 25; Bl 668 GA) dargestellten Grafiken alle wesentlichen Erkenntnisse für die erfindungsgemäße Formel ergeben:
- Dieser Auffassung vermag die Kammer nicht beizutreten.
- Zugegeben werden kann der Beklagten hierbei noch, dass es bestimmte genormte Nennfestigkeiten von Drähten bereits gab, an denen sich auch die klagepatentgemäße Lehre orientiert (vgl. Bl. 156 GA). Inwieweit indes die weiteren konkreten Berechnungsparameter aus diesen Graphen folgen, erschließt sich nicht; umso weniger, wenn hierbei das Wissen des Fachmanns im Prioritätszeitpunkt angelegt wird.
- Aus dieser Darstellung ergibt sich nicht, dass der Durchmesser des Biegezylinders in einem bestimmten Verhältnis zum Durchmesser des Drahtes steht (Merkmal 3: höchstens 2d). Welche Berechnungsformel den jeweiligen Kurvenpunkten zugrunde liegt, ist nicht ersichtlich. Allein das Verhältnis von Biegezahl und Durchmesser zu kennen bzw. in Zusammenhang zu stellen, dürfte noch nicht zur Erfindung führen. Dass ein Biegezylinder in Abhängigkeit von dem Drahtdurchmesser gewählt worden wäre, ist ebenso wenig zu erkennen. Die Erläuterungen in dem Buch geben keine Hinweise auf die eingesetzten Biegezylinder. Allenfalls könnten die Werte R=5 bzw. R=7,5 auf einen Radius des Zylinder hindeuten. Näher erläutert hat die Beklagte dies aber jedenfalls nicht. Zudem ist nicht ersichtlich, welchen Berechnungen welcher Wert zugrunde lag. Angesichts dessen ist nicht auszuschließen, dass der Durchmesser mehr als doppelt so groß wie der Durchmesser des gebogenen Drahtes war.
- Insbesondere gibt es keine Erklärung dafür, dass die Angabe des Faktors C mit 500 N0,5mm-0,5 nahegelegen hätte. Selbst wenn auch insoweit zugunsten der Beklagten unterstellt würde, dass der Fachmann das Erfordernis, Korrekturfaktoren einzusetzen kennt, finden sich keine Hinweise, an welchen objektiven Kriterien sich die Bestimmung eines solchen Faktors orientiert und weshalb sich der Fachmann in naheliegender Weise für 500 entschieden hätte.
- Das gesamte Vorbringen der Beklagten, vor allem die Ausführungen ab Seite 56 der Duplik, betrachtet die erfindungsgemäße Lehre zudem rückschauend. Dabei ist eine solche rückwärtsschauende Betrachtungsweise des Standes der Technik aus Sicht der Erfindung unzulässig (vgl. Schulte/Moufang, a.a.O., § 4, Rn. 22), weil immer auf den maßgeblichen Anmelde-/Prioritätstag abzustellen ist. Mithilfe eines Sachverständigen will die Beklagte die Methode der mathematischen Rückführung heranziehen, um den mangelnden Erfindungsgehalt des Klagepatents aufzuzeigen. Ausgangspunkt mag dabei die vorgenannten Grafik 57 gewesen sein nebst der daraus ableitbaren Kurvenpunkte. Welche Formel aber konkret anhand des Programms Excel ausgeworfen wurde und wie welcher Wert von C Berücksichtigung gefunden hat, ist auch hier nicht feststellbar. Umso weniger ist zu erkennen, dass sich für jeden Fachmann ein Faktor C von wenigstens 500 aufdrängen würde. Hierzu stellt auch die Beklagte auf die Klagepatentschrift ab, welche aber eben keinen tauglichen Anknüpfungspunkt für ein Naheliegen der Lehre bilden kann.
- Es verbleibt daher bei dem Grundsatz, dass eine erfinderische Tätigkeit vorliegt, weil zumindest ein vernünftiges Argument verbleibt, dass sich die Lehre nicht aufgedrängt hat. Dafür könnte insbesondere die in die Grafik 57 eingefügte Kurve, berechnet anhand der erfindungsgemäßen Formel, sprechen. Denn diese weist einen deutlich anderen Verlauf auf als die im Stand der Technik errechneten Kurven zum Biegeverhalten der Drähte. Die Richtigkeit der Berechnung unterstellt, dürfte die Kurve zwar insgesamt eine niedrigere Biegefähigkeit darstellen, zugleich aber auch, dass bei zunehmendem Durchmesser die Anzahl möglicher bruchfreier Biegungen nur allmählich abnimmt.
- 5.
Die Lehre des Klagepatents A ist gegenüber seiner Anmeldung nicht unzulässig erweitert. - Eine unzulässige Erweiterung ist gegeben bei einer Änderung des Gegenstandes der Patentanmeldung, so dass dieser über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht. Eine Änderung der Ansprüche ist nur dann eine unzulässige Erweiterung, wenn dadurch nicht nur der Schutzbereich entsprechend der ursprünglichen Offenbarung, sondern auch der Gegenstand der Anmeldung erweitert wird. Dies ist der Fall, wenn mit der Anspruchsänderung erstmals ein Gegenstand offenbart wird, der nicht Inhalt der ursprünglichen Anmeldung war (Schulte/Moufang, a.a.O., § 38, PatG, Rn. 14ff.).
- Eine identische Offenbarung liegt vor, wenn die mit der Nachanmeldung beanspruchte Merkmalskombination in der Voranmeldung in ihrer Gesamtheit als zu der angemeldeten Erfindung gehörend offenbart ist. Der Gegenstand der beanspruchten Erfindung muss im Prioritätsdokument identisch offenbart sein; es muss sich um dieselbe Erfindung handeln. Dabei ist die Offenbarung des Gegenstands der ersten Anmeldung nicht auf die dort formulierten Ansprüche beschränkt, vielmehr ist dieser aus der Gesamtheit der Anmeldeunterlagen zu ermitteln.
- Für die Beurteilung der identischen Offenbarung gelten die Prinzipien der Neuheitsprüfung. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH (BGH, GRUR 2014, 542 – Kommunikationskanal, Rn. 20 ff., mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen) ist danach erforderlich, dass der Fachmann die im Anspruch bezeichnete technische Lehre den Ursprungsunterlagen „unmittelbar und eindeutig“ als mögliche Ausführungsform der Erfindung entnehmen kann. Zu ermitteln ist mithin, was der Fachmann der Vorveröffentlichung als den Inhalt der gegebenen allgemeinen Lehre entnimmt. Maßgeblich ist dabei das Verständnis des Fachmanns zum Zeitpunkt der Einreichung der prioritätsbeanspruchenden Patentanmeldung. Das Erfordernis einer unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung muss dabei in einer Weise angewendet werden, die berücksichtigt, dass die Ermittlung dessen, was dem Fachmann als Erfindung und was als Ausführungsbeispiel der Erfindung offenbart wird, wertenden Charakter hat, und eine unangemessene Beschränkung des Anmelders bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts der Voranmeldung vermeidet.
- Wie schon im Zusammenhang mit der Ausführbarkeit der erfindungsgemäßen Lehre ausgeführt, kann ein Fachmann erkennen, dass die in der Offenbarungsschrift (WO 2018/XXX A1; Anlage B EEP, Anlage 3) enthaltene Berechnungsformel versehentlich unrichtig war und bei dem Parameter C ein Minuszeichen vergessen wurde (400 N0,5mm0,5 statt 400 N0,5mm-0,5). Bei ihrer weiteren Beispielrechnung in der Duplik erklärt die Beklagte jedenfalls nicht schlüssig, weshalb ein verständiger Leser den Fehler auch in einem anderen Parameter suchen würde. Dies dürfte nicht zuletzt deshalb fernliegend sein, weil die übrigen Faktoren schon über einen Exponenten mit Minuszeichen verfügen und nur C abweichend war. Hinzukommt, dass nur die Korrektur von C zu einem weiterhin sinnvollen Verständnis der offenbarten Lehre führt und dies der maßgebliche Anhaltspunkt für den Fachmann ist. Hierzu zeigen die Beispielsrechnungen der Beklagten, dass anderweitige Veränderungen an der Formel zu einem nicht brauchbaren Ergebnis führen und nicht der Ermittlung möglicher Biegeversuche dienen.
- Das weitere Argument, dass der Faktor M nicht zwingend dimensionslos sein müsse, sondern etwa auch eine Millimeterangabe sein könne, überzeugt nicht. In der Duplik bemüht die Beklagte hierzu eine Erklärung, dass M in Millimeter die Reichweite einer Auslenkung des Drahtes im Biegeversuch beschreiben könne. Zunächst erkennt die Beklagte selbst, dass dieses Verständnis mit den übrigen Vorgaben des Anspruchs nur schwerlich in Einklang zu bringen wäre. Ferner fehlt jegliches Vorbringen nebst Nachweisen dazu, dass es sich um eine fachmännische Interpretationsmöglichkeit handelt.
- Etwas anderes folgt auch nicht aus der Angabe der Zugfestigkeit mit „Nmm²“ statt „N/mm²“. Dem Fachmann ist aus seinem Fachwissen bekannt, wie die Einheit der Zugfestigkeit lautet. Diese ist aus dem Stand der Technik hinlänglich bekannt. Er weiß, dass bei der Angabe der Zugfestigkeit die Einheiten Newton und mm als Quotient zueinander stehen. Die vorzunehmende Ergänzung um den Schrägstrich ist daher selbstverständlich, zumal die Angaben N und mm² bereits vorhanden sind.
- 6.
Es liegt schließlich keine offenkundige Vorbenutzung der erfindungsgemäßen Lehre vor, welche die Lehre des Klagepatents neuheitsschädlich vorwegnehmen könnte. - Für eine offenkundige Vorbenutzung genügt jeder Gebrauch der technischen Lehre, der sie der Öffentlichkeit objektiv zugänglich macht. Benutzung ist danach jede Verwendung einer technischen Lehre, die sie der Öffentlichkeit zugänglich macht. Durch eine Benutzung wird eine Lehre öffentlich zugänglich, wenn die nicht nur theoretische Möglichkeit besteht, dass über sie beliebige Dritte zuverlässige, ausreichende Kenntnis vom Gegenstand der Vorbenutzung erhalten können. Eine Benutzung kann dabei in dem Anbieten eines Erzeugnisses bestehen, dieses in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen. Entscheidend ist, dass es sich um eine neuheitsschädliche Form der Benutzung handelt (Benkard/Melullis, a.a.O., § 3, Rn. 122 ff.).
- Die Beklagte hat ein von der Klägerin stammendes Drahtgeflecht aus dem Jahr 2016, welches für ein Bauvorhaben in Rheinland-Pfalz über die Baufirma (Fa. Gudelj) ausgeliefert und dort installiert wurde, näheren Untersuchungen unterzogen. Stücke dieses Schutznetzes durfte die Beklagte nach behördlicher Genehmigung aus Februar 2022 entnehmen, um sie sodann von der XXX (…)-GmbH in XXX untersuchen zu lassen. Als mindestens zu erreichende Biegezahl ist der TÜV von M=5 ausgegangen. Die in Tabelle 3 zusammengefassten Ergebnisse von Hin- und Rückbiegeversuchen lauten wie nachfolgend eingeblendet (vgl.: Anlage B PNI 3, dort Anlage K 38):
- Für den Wert M=5 könnte diese Untersuchung eine Vorbenutzung belegen. Indes führt die in dem Klageantrag geänderte Angabe des Faktors C dazu, dass die relevante zu erreichende Biegezahl bei M=6 liegt. Den Nachweis, dass der aufgefundene Draht, auch einer solchen Anzahl an Biegungen standhalten würde, vermögen die Untersuchungsergebnisse jedoch nicht in hinreichender Weise zu erbringen. Es ist nur in Test 2 ein Ergebnis vorhanden, bei welchem erfolgreich 6 Biegungen vorgenommen werden konnten. Angesichts der Gesamtzahl an durchgeführten Messungen von 16 ist ein Versuch mit 6 Biegungen als Ausreißer zu werten, der zufällig erzielt werden konnte. Eine verlässliche Aussage, dass im Stand der Technik immerzu 6 Biegungen hätten vorgenommen werden können, ist dem nicht zu entnehmen.
- Schon vor diesem Hintergrund bedarf es keiner Aufklärung, ob es für den Nachweis der offenkundigen Vorbenutzung ausreichte, die objektive Beschaffenheit des vorbekannten Drahtgeflechts mithilfe der erfindungsgemäßen Formel zu ermitteln oder ob die Berechnungsformel und damit einhergehend die Zusammensetzung dieser Parameter selbst Gegenstand der offenkundigen Vorbenutzung hätte sein und vom Fachmann erkannt werden müssen.
-
C.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 269 Abs. 3, 709 ZPO. - Soweit der Schriftsatz der Beklagten vom 3. Mai 2022 über tatsächliches Vorbringen zur angegriffenen Ausführungsform hinausgehenden tatsächlichen Vortrag enthält, war dieser für eine Entscheidung nicht weiter zu berücksichtigen, § 296a ZPO.
- Der Klägerin musste kein Schriftsatznachlass zur Frage der offenkundigen Vorbenutzung gegeben werden, da dem vorbenutzten Draht bereits aufgrund der geänderten Anspruchsfassung die erfindungsgemäßen Eigenschaften fehlen.
- Streitwert: 1.200.000,- Euro