4b O 128/18 – Öffnungsfähiges Fahrzeugdach

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3078

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 08. Oktober 2020, Az. 4b O 128/18

  1. I. Die Beklagte wird verurteilt,
    1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, die an den gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollstrecken ist, zu unterlassen,
  2. öffnungsfähige Fahrzeugdächer mit wenigstens einem Deckel, welcher im Bereich seiner Vorderkante in einer Führungsschiene in x-Richtung verschiebbar und um eine in y-Richtung liegende Schwenkachse schwenkbar gelagert ist, und welche mittels einer Ausstell- und Verschiebemechanik eine Dachöffnung wahlweise verschließt (Schließstellung) oder durch Ausstellen seiner Hinterkante (Lüftungsstellung) oder durch eine Verschiebung längs der Führungsschiene (Öffnungsstellung) freigibt,
  3. mit einem den Deckel oder ein mit diesem verbundenes Bauteil in der Schließposition oder der Ausstellposition gegenüber der Führungsschiene verriegelnden Riegelelement, das an einem Riegelhebel angeordnet ist, der im Wesentlichen in einer Vertikalebene (x-z-Ebene) schwenkbar am Deckel oder an einem mit dem Deckel verbundenen Bauteil angeordnet ist, wobei das Riegelelement durch die Ausstell- und Verschiebemechanik so steuerbar ist, dass es während der Verschiebebewegung des Deckels längs der Führungsschiene verschiebbar ist und während der Verschwenkbewegung des Deckels gegenüber der Führungsschiene verrastet ist,
  4. wobei das Riegelelement mittels einer am Riegelhebel angeordneten Mitnehmereinrichtung zum Ende einer Verschiebebewegung des Deckels aus einer Öffnungsstellung in Richtung seiner Schließstellung in Eingriff mit einer Rastausnehmung der Führungsschiene gebracht wird,
  5. wobei die Rastausnehmung an ihrer Vorderkante ein an die Bewegung des Riegelelements beim Eintreten in die Rastausnehmung bzw. beim Austreten aus der Rastausnehmung angepasstes Profil hat
  6. und wobei eine einen Deckelträger mit einem Antriebsschlitten koppelnde Kulissenanordnung wenigstens einen an einer Seitenfläche des Deckelträgers abstehenden Kulissensteg und einen am Antriebsschlitten ausgebildeten, den Kulissensteg umgreifenden Greifabschnitt umfasst,
  7. in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen und/oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen;
  8. 2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die unter Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 19. Juli 2006 begangen hat, und zwar unter Vorlage eines chronologisch geordneten Verzeichnisses unter Angabe
  9. a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
    b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
    c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen und bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
  10. wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Einkaufs- oder Verkaufsbelege (Rechnungen) in Kopie oder, falls keine Rechnungen ausgestellt wurden, Lieferpapiere in Kopie vorzulegen sind, und wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
  11. 3. der Klägerin schriftlich darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die vorstehend zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 19. August 2006 begangen hat, und zwar unter Vorlage eines chronologisch geordneten Verzeichnisses unter Angabe
  12. a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen,
    -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie aufgeschlüsselt nach den Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren;
    b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen,
    -zeiten und -preisen unter Einschluss von Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger, wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, Namen und Anschriften ihrer Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Angebotsempfänger in dem Verzeichnis enthalten ist;
    c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, der Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, im Falle von Internetwerbung der jeweiligen Domain, Zugriffszahlen und Schaltungszeiträume;
    d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten, einschließlich Bezugspreisen, und des erzielten Gewinns;
  13. 4. die vorstehend unter Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 19. Juli 2006 in den Verkehr gelangten und im Besitz gewerblicher Abnehmer befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen gewerblichen Abnehmer, die sich im Besitz dieses Erzeugnisses befinden, schriftlich darüber informiert werden, dass das angerufene Gericht auf eine Verletzung des europäischen Patents EP 1 427 XXX B 1 erkannt hat, und sie aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagte zurückzugeben, und den gewerblichen Abnehmern im Fall der Rückgabe der Erzeugnisse die Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der durch die Rückgabe entstehenden Verpackungs- und Transport- bzw. Versandkosten zugesagt wird;
  14. 5. die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder Eigentum befindlichen, unter Ziffer I.1. bezeichneten Erzeugnisse auf ihre Kosten zu vernichten oder an einen von der Klägerin beauftragten Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben.
  15. II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin
  16. 1. allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 19. August 2006 begangenen Handlungen entstanden ist und künftig noch entstehen wird, und
  17. 2. für alle durch Ziffer I.1. bezeichneten und vom 16. Juli 2004 bis zum 18. August 2006 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen.
  18. III. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
  19. V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 500.000 Euro, wobei für die Vollstreckung der einzelnen titulierten Ansprüche folgende Teilsicherheiten festgesetzt werden:
    Ziff. I. 1., 4., 5.: 350.000 Euro
    Ziff. I. 2., I. 3.: 100.000,00 Euro
    Ziff. III.: 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
  20. Tatbestand
  21. Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 1 427 XXX B 1 (nachfolgend: Klagepatent) auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf, Vernichtung sowie Feststellung der Schadensersatzpflicht und der Entschädigungspflicht in Anspruch.
    Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des Klagepatents, das am 31. August 2002 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 19. September 2001 angemeldet wurde. Die Patentanmeldung wurde am 16. Juni 2004, der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents am 19. Juli 2006 veröffentlicht. Das Klagepatent steht in Kraft. Über die von der Beklagten beim Bundespatentgericht erhobene Nichtigkeitsklage betreffend das Klagepatent wurde bislang noch nicht entschieden.
    Das in deutscher Verfahrenssprache erteilte Klagepatent betrifft ein öffnungsfähiges Fahrzeugdach. Die von der Klägerin in Kombination geltend gemachten Patentansprüche 1, 8 und 10 lauten:
    1. Öffnungsfähiges Fahrzeugdach mit wenigstens einem Deckel, welcher im Bereich seiner Vorderkante in einer Führungsschiene in x-Richtung verschiebbar und um eine in y-Richtung liegende Schwenkachse schwenkbar gelagert ist, und welcher mittels einer Ausstell- und Verschiebemechanik eine Dachöffnung wahlweise verschließt (Schließstellung) oder durch Ausstellen seiner Hinterkante (Lüftungsstellung) oder durch eine Verschiebung längs der Führungsschiene (Öffnungsstellung) zumindest teilweise freigibt,
    mit einem den Deckel oder ein mit diesem verbundenes Bauteil in der Schließposition oder der Ausstellposition gegenüber der Führungsschiene verriegelnden Riegelelement, das an einem Riegelhebel angeordnet ist, der im Wesentlichen in einer Vertikalebene (x-z-Ebene) schwenkbar am Deckel oder an einem mit dem Deckel verbundenen Bauteil angeordnet ist,
    wobei das Riegelelement durch die Ausstell- und Verschiebemechanik so steuerbar ist, dass es während der Verschiebebewegung des Deckels längs der Führungsschiene verschiebbar ist und während der Verschwenkbewegung des Deckels gegenüber der Führungsschiene verrastet ist,
    dadurch gekennzeichnet,
    dass das Riegelelement mittels einer am Riegelhebel angeordneten Mitnehmereinrichtung zum Ende der Verschiebebewegung des Deckels aus einer Öffnungsstellung in Richtung seiner Schließstellung in Eingriff mit einer Rastausnehmung der Führungsschiene gebracht wird;
  22. 8. Fahrzeugdach nach einem der Ansprüche 1 bis 7, dadurch gekennzeichnet, dass die Rastausnehmung an ihrer Vorderkante ein an die Bewegung des Riegelelements beim Eintreten des Riegelelements in die Rastausnehmung bzw. beim Austreten aus der Rastausnehmung angepasstes Profil hat;
    10. Fahrzeugdach nach einem der Ansprüche 3 bis 9, dadurch gekennzeichnet, dass die den Deckelträger mit dem Antriebsschlitten koppelnde Kulissenanordnung wenigstens einen an einer Seitenfläche des Deckelträgers abstehenden Kulissensteg und einen am Antriebsschlitten ausgebildeten, den Kulissensteg umgreifenden Greifabschnitt umfasst.
  23. Hinsichtlich der „insbesondere“ geltend gemachten Unteransprüche 11 und 12 wird auf die Klagepatentschrift verwiesen.
    Die folgenden Zeichnungen stammen aus der Klagepatentschrift und geben Ausführungsbeispiele der Erfindung wieder. Figur 1 zeigt eine schematische perspektivische Draufsicht auf ein Fahrzeugdach; Figur 5 zeigt in einer Seitenansicht eine Ausstell- und Verschiebemechanik in verschiedenen Einstellungsphasen:
  24. Die Beklagte stellt her, bietet an und vertreibt in der Bundesrepublik Deutschland ein „Panorama-Glasdach“ (nachfolgend: „angegriffene Ausführungsform“), mit dem u.a. der Automobilhersteller A das Fahrzeugmodell B ausstattet. Auf den Internetseiten von A wird die angegriffene Ausführungsform wie folgt beworben:
  25. Die Ausstell- und Verschiebemechanik kann den von der Beklagten vorgelegten technischen Zeichnungen der angegriffenen Ausführungsform (Anlagenkonvolut B 4) entnommen werden wie folgt:
  26. Die Klägerin ist der Auffassung, die angegriffene Ausführungsform verwirkliche sämtliche Merkmale des Klagepatentanspruchs 1 wortsinngemäß. Es handele sich bei der angegriffenen Ausführungsform um ein öffnungsfähiges Fahrzeugdach mit wenigstens einem Deckel, der an einem Deckelträger befestigt sei. Dieser Deckelträger wiederum sei an seinem vorderen Ende mit einer Führungsschiene verbunden. Der Deckel sei in der Führungsschiene horizontal zwischen Fahrzeugfront und Fahrzeugheck verschiebbar und um eine in y-Richtung liegende Schwenkachse schwenkbar gelagert. Bei der Mechanik des Fahrzeugdachs handele es sich um eine Ausstell- und Schiebemechanik im Sinne des Klagepatents. Mittels dieser Mechanik könne der Deckel die Dachöffnung wahlweise verschließen oder durch Ausstellen seiner Hinterkante oder durch Verschiebung längs der Führungsschiene freigeben. Der Deckelträger – ein mit dem Deckel verbundenes Bauteil – sei während der Bewegung zwischen der Schließposition und der Ausstellposition gegenüber der Führungsschiene verriegelt. Hierfür sei ein Riegelelement vorgesehen. Dieses Riegelelement sei an einem Riegelhebel angeordnet, der wiederum über einen Haltebock am Deckelträger angeordnet sei. Dieser Riegelhebel sei in einer Vertikalebene schwenkbar. Der Riegelhebel und der Deckelträger seien so miteinander verbunden, dass sie vertikal, nicht aber horizontal unabhängig voneinander bewegt werden könnten; bei einer Verschiebung des Deckelträgers längs der Führungsschiene werde auch der Riegelhebel und damit das Riegelelement längs der Führungsschiene verschoben. Während der Schwenkbewegung des Deckels sei das Riegelelement hingegen gegenüber der Führungsschiene verrastet. Dies geschehe dadurch, dass das Riegelelement in eine Aussparung der Führungsschiene eingreife.
  27. Die Klägerin beantragt,
  28. I. die Beklagte zu verurteilen,
    1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, die an den gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollstrecken ist, zu unterlassen,
  29. öffnungsfähige Fahrzeugdächer mit wenigstens einem Deckel, welcher im Bereich seiner Vorderkante in einer Führungsschiene in x-Richtung verschiebbar und um eine in y-Richtung liegende Schwenkachse schwenkbar gelagert ist, und welche mittels einer Ausstell- und Verschiebemechanik eine Dachöffnung wahlweise verschließt (Schließstellung) oder durch Ausstellen seiner Hinterkante (Lüftungsstellung) oder durch eine Verschiebung längs der Führungsschiene (Öffnungsstellung) freigibt,
  30. mit einem den Deckel oder ein mit diesem verbundenes Bauteil in der Schließposition oder der Ausstellposition gegenüber der Führungsschiene verriegelnden Riegelelement, das an einem Riegelhebel angeordnet ist, der im Wesentlichen in einer Vertikalebene (x-z-Ebene) schwenkbar am Deckel oder an einem mit dem Deckel verbundenen Bauteil angeordnet ist, wobei das Riegelelement durch die Ausstell- und Verschiebemechanik so steuerbar ist, dass es während der Verschiebebewegung des Deckels längs der Führungsschiene verschiebbar ist und während der Verschwenkbewegung des Deckels gegenüber der Führungsschiene verrastet ist,
  31. wobei das Riegelelement mittels einer am Riegelhebel angeordneten Mitnehmereinrichtung zum Ende einer Verschiebebewegung des Deckels aus einer Öffnungsstellung in Richtung seiner Schließstellung in Eingriff mit einer Rastausnehmung der Führungsschiene gebracht wird,
  32. wobei die Rastausnehmung an ihrer Vorderkante ein an die Bewegung des Riegelelements beim Eintreten in die Rastausnehmung bzw. beim Austreten aus der Rastausnehmung angepasstes Profil hat
  33. und wobei eine einen Deckelträger mit einem Antriebsschlitten koppelnde Kulissenanordnung wenigstens einen an einer Seitenfläche des Deckelträgers abstehenden Kulissensteg und einen am Antriebsschlitten ausgebildeten, den Kulissensteg umgreifenden Greifabschnitt umfasst,
  34. in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen und/oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen.
  35. hilfsweise,
  36. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, die an den gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollstrecken ist, zu unterlassen,
  37. öffnungsfähige Fahrzeugdächer mit wenigstens einem Deckel, welcher im Bereich seiner Vorderkante in einer Führungsschiene in x-Richtung verschiebbar und um eine in y-Richtung liegende Schwenkachse schwenkbar gelagert ist, und welche mittels einer Ausstell- und Verschiebemechanik eine Dachöffnung wahlweise verschließt (Schließstellung) oder durch Ausstellen seiner Hinterkante (Lüftungsstellung) oder durch eine Verschiebung längs der Führungsschiene (Öffnungsstellung) freigibt,
  38. mit einem den Deckel oder ein mit diesem verbundenes Bauteil in der Schließposition oder der Ausstellposition gegenüber der Führungsschiene verriegelnden Riegelelement, das an einem Riegelhebel angeordnet ist, der im Wesentlichen in einer Vertikalebene (x-z-Ebene) schwenkbar am Deckel oder an einem mit dem Deckel verbundenen Bauteil angeordnet ist, wobei das Riegelelement durch die Ausstell- und Verschiebemechanik so steuerbar ist, dass es während der Verschiebebewegung des Deckels längs der Führungsschiene verschiebbar ist und während der Verschwenkbewegung des Deckels gegenüber der Führungsschiene verrastet ist,
  39. dadurch gekennzeichnet, dass das Riegelelement mittels einer am Riegelhebel angeordneten Mitnehmereinrichtung zum Ende einer Verschiebebewegung des Deckels aus einer Öffnungsstellung in Richtung seiner Schließstellung in Eingriff mit einer Rastausnehmung der Führungsschiene gebracht wird,
  40. in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen und/oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen;
  41. (Anspruch 1 des EP 1 427 XXX)
  42. insbesondere, wenn
  43. die Rastausnehmung an ihrer Vorderkante ein an die Bewegung des Riegelelements beim Eintreten in die Rastausnehmung bzw. beim Austreten aus der Rastausnehmung angepasstes Profil hat;
  44. (Unteranspruch 8 des EP 1 427 XXX)
    und/oder insbesondere, wenn
  45. die den Deckelträger mit dem Antriebsschlitten koppelnde Kulissenanordnung wenigstens einen an einer Seitenfläche des Deckelträgers abstehenden Kulissensteg und einen am Antriebsschlitten ausgebildeten, den Kulissensteg umgreifenden Greifabschnitt umfasst;
  46. (Unteranspruch 10 des EP 1 427 XXX)
    und/oder insbesondere, wenn
  47. der Deckelträger im Wesentlichen ein Querschnittsprofil in Form eines auf dem Kopf stehenden T mit zwei mit der Unterkante des Deckelträgers bündigen seitlichen Kulissenstegen hat, und dass der Greifabschnitt des Antriebsschlittens im Wesentlichen in Form einer zur Querschnittsform des Deckelträgers komplementären T-Nut hat;
  48. (Unteranspruch 11 des EP 1 427 XXX)
    und/oder insbesondere, wenn
  49. der Antriebsschlitten mit einem Zug- und Druckkabel koppelbar ist, wobei am antriebsschlittenseitigen Ende des Zug- oder Druckkabels eine quer zur Kabellängsachse abstehende Nase angeordnet ist, die in eine an einer Seite des Antriebsschlittens ausgebildete Tasche einsteckbar ist;
  50. (Unteranspruch 12 des EP 1 427 XXX);
  51. 2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagte die unter Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 19. Juli 2006 begangen hat, und zwar unter Vorlage eines chronologisch geordneten Verzeichnisses unter Angabe
  52. a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
    b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
    c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen und bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
  53. wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Einkaufs- oder Verkaufsbelege (Rechnungen) in Kopie oder, falls keine Rechnungen ausgestellt wurden, Lieferpapiere in Kopie vorzulegen sind, und wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
  54. 3. der Klägerin schriftlich darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die vorstehend zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 19. August 2006 begangen hat, und zwar unter Vorlage eines chronologisch geordneten Verzeichnisses unter Angabe
  55. a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen,
    -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie aufgeschlüsselt nach den Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren;
    b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen,
    -zeiten und -preisen unter Einschluss von Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger, wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, Namen und Anschriften ihrer Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Angebotsempfänger in dem Verzeichnis enthalten ist;
    c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, der Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, im Falle von Internetwerbung der jeweiligen Domain, Zugriffszahlen und Schaltungszeiträume;
    d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten, einschließlich Bezugspreisen, und des erzielten Gewinns;
  56. 4. die vorstehend unter Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 19. Juli 2006 in den Verkehr gelangten und im Besitz gewerblicher Abnehmer befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen gewerblichen Abnehmer, die sich im Besitz dieses Erzeugnisses befinden, schriftlich darüber informiert werden, dass das angerufene Gericht auf eine Verletzung des europäischen Patents EP 1 427 XXX B 1 erkannt hat, und sie aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagte zurückzugeben, und den gewerblichen Abnehmern im Fall der Rückgabe der Erzeugnisse die Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der durch die Rückgabe entstehenden Verpackungs- und Transport- bzw. Versandkosten zugesagt wird;
  57. 5. die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder Eigentum befindlichen, unter Ziffer I.1. bezeichneten Erzeugnisse auf ihre Kosten zu vernichten oder an einen von der Klägerin beauftragten Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben.
  58. II. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin
  59. 1. allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 19. August 2006 begangenen Handlungen entstanden ist und künftig noch entstehen wird, und
  60. 2. für alle durch Ziffer I.1. bezeichneten und vom 16. Juli 2004 bis zum 18. August 2006 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen.
  61. Die Beklagte beantragt,
  62. die Klage abzuweisen,
  63. hilfsweise, das vorliegende Verletzungsverfahren auf der Grundlage des EP 1 427 XXX B 1 bis zum rechtskräftigen Ausgang des gegen das Klage- bzw. Streitpatent erhobenen Nichtigkeitsverfahrens unter dem X auszusetzen.
  64. Die Beklagte ist der Ansicht, eine Patentverletzung scheide aus. Bei der angegriffenen Ausführungsform sei ein Ausgleichshebel vorhanden. Der Deckelträger, an dem der Deckel befestigt ist, sei an dem Ausgleichshebel schwenkbeweglich gelagert. Der Ausgleichshebel wiederum sei schwenkbeweglich an einem Lagerschlitten gelagert. Dieser Lagerschlitten sei in einer Führungsschiene verschiebbar geführt. Die Vorderkante des Deckelträgers werde somit nicht ausschließlich in Längsrichtung relativ zur Führungsschiene mitbewegt sondern zusätzlich in Vertikalrichtung verlagert. Dabei schwenke der Ausgleichshebel um die Schwenkachse an dem Lagerschlitten aufgrund einer entsprechenden Kontur des in der Führung des Antriebsschlittens geführten Längsprofilabschnittes des Ausgleichshebels. Hierdurch werde der Dachträger zwangsläufig aufgrund seiner Anlenkung in Abstand zur Schwenkachse des Ausgleichshebels nach oben oder unten verlagert und die Schwenkachse sei translatorisch verfahrbar.
  65. Weiterhin sei der Deckel nicht im Bereich seiner Vorderkante selbst in einer Führungsschiene gelagert, sondern an einem Ausgleichshebel schwenkbeweglich. Diese schwenkbewegliche Lagerung befinde sich oberhalb der Führungsschiene. Nur der Ausgleichshebel sei über den Lagerschlitten an der Führungsschiene verschiebbar gelagert.
  66. Schließlich sei bei der angegriffenen Ausführungsform eine direkte Anlenkung des Riegelhebels am Deckel bzw. Deckelträger nicht gegeben. Der als Riegelhebel dienende Steuerhebel sei lediglich am Lagerschlitten schwenkbeweglich gelagert. An dem Lagerschlitten wiederum sei der Deckelträger lediglich mittelbar über eine Anlenkung an dem Ausgleichshebel gelagert. Bei der angegriffenen Ausführungsform sei daher der Riegelhebel mit dem Lagerschlitten und nicht mit dem Deckel verbunden. Der Lagerschlitten sei auch kein mit dem Deckel verbundenes Bauteil. Das Klagepatent verstehe unter einem solchen Bauteil den Deckelträger.
  67. Im Übrigen werde sich das Klagepatent als nicht rechtsbeständig erweisen.
  68. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
  69. Entscheidungsgründe
  70. Die zulässige Klage ist begründet.
  71. Die Klägerin hat gegen die Beklagte im tenorierten Umfang Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Vernichtung und Rückruf sowie Schadensersatz dem Grunde nach und Entschädigung aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. §§ 139 Abs. 1, 2, 140a Abs. 1 und 3, 140b Abs. 1 und 3 PatG, §§ 242, 259 BGB, Art. 2 § 1 S. 1 IntPatÜG.
  72. I.
    Das Klagepatent betrifft ein öffnungsfähiges Fahrzeugdach. Nach der Beschreibung des Klagepatents umfasst die Ausstell- und Verschiebemechanik für den Deckel im allgemeinen je einen, in längs einer jeden Seitenkante der Dachöffnung angeordneten Führungsschiene verschiebbaren Antriebsschlitten, welcher über eine kulissenartige Anordnung mit einem fest im vorderen Bereich des Deckels angeordneten hebelartigen oder mit diesem integral ausgebildeten Deckelträger gekoppelt ist, der über an seinem vorderen Ende angeordnete Gleitschuhe in der Führungsschiene verschiebbar und verschwenkbar gelagert ist (Abs. [0002]; Textstellen ohne Bezugsangabe stammen aus der Klagepatentschrift).
  73. Im Stand der Technik ist aus der DE 34 44 XXX A 1 ein Fahrzeugdach bekannt, bei welchem ein federnd in Eingriffstellung mit der Führungsschiene vorbelasteter Rasthaken am vorderen Gleitschuh einer Schiebe-Hebedachmechanik vorgesehen ist, der beim Absenken des Deckels vor dem Verschieben unter das feste Fahrzeugdach vom Deckel oder einem mit diesem verbundenen Teil außer Eingriff gebracht wird. Als nachteilig beschreibt das Klagepatent, dass bei einem derartigen Rasthaken eine aufwendige Justierung gegenüber dem Deckel oder dem mit diesem verbundenen Teil erforderlich ist, um eine einwandfreie Funktion zu gewährleisten (Abs. [0003]).
  74. Aus der US-A-5 092 XXX ist ein gattungsgemäßes Fahrzeugdach bekannt, das einen Deckel aufweist, der im Bereich seiner Vorderkante in einer Führungsbahn verschiebbar und schwenkbar geführt ist. Der Deckel ist mittels eines Ausstellhebels, der einerseits über Rollen an der Führungsbahn verschiebbar und verschwenkbar geführt ist und andererseits mittels eines Schwenklagers mit einem unterhalb des Deckels abstehenden Flansch verbunden ist, in seiner Schwenkstellung zwischen einer Öffnungsstellung, einer Schließstellung und einer Lüftungsstellung verstellbar. Wenn der Deckel in seiner Öffnungsstellung angeordnet ist und mittels des an der Führungsbahn verschiebbar gelagerten Schlittens und des vom Schlitten verschiebbaren Ausstellhebels in Richtung seiner Schließstellung bewegt wird, tritt ein Riegelstift, der an der Dachführung ortsfest angebracht ist, in eine Riegelkulisse ein, die an dem Ausstellhebel vorgesehen ist. Der Ausstellhebel behält hierbei seine Schwenkbewegung bzw. untere Stellung unverändert bei. Der Ausstellhebel wird soweit entlang der Führungsbahn verschoben, bis der Riegelstift an das Ende eines Eintrittsabschnitts der Riegelkulisse gelangt und dort an einem gekrümmten Abschnitt der Riegelkulisse anliegt, so dass der feststehende Riegelstift ein weiteres Verschieben des Ausstellhebels verhindert. Damit wird die am Ausstellhebel angeordnete Riegelkulisse zum Ende einer Verschiebebewegung des Deckels aus einer Öffnungsstellung in Richtung seiner Schließstellung in Eingriff mit dem Riegelstift der Dachführung gebracht und somit gegenüber der Führungsbahn in Verschieberichtung blockiert gehalten (Abs. [0004]).
  75. Vor diesem Hintergrund beschreibt es das Klagepatent als seine Aufgabe (technisches Problem), ein öffnungsfähiges Fahrzeugdach zu schaffen, bei dem eine einfache, zuverlässige und verschleißarme Ver- und Entriegelung der Ausstell- und Verschiebemechanik ermöglicht wird (Abs. [0005]). Zur Lösung des Problems schlägt das Klagepatent ein öffnungsfähiges Fahrzeugdach mit den Merkmalen der Ansprüche 1, 8 und 10 vor, die nachstehend in gegliederter Form wiedergegeben sind:
  76. 1. Öffnungsfähiges Fahrzeugdach
    2. mit wenigstens einem Deckel,
    2.1 welcher im Bereich seiner Vorderkante in einer Führungsschiene in x-Richtung verschiebbar und um eine in y-Richtung liegende Schwenkachse schwenkbar gelagert ist,
    2.2 und welcher mittels einer Ausstell- und Verschiebemechanik eine Dachöffnung wahlweise verschließt (Schließstellung) oder durch Ausstellen seiner Hinterkante (Lüftungsstellung) oder durch eine Verschiebung längs der Führungsschiene (Öffnungsstellung) zumindest teilweise freigibt,
    3. mit einem den Deckel oder ein mit diesem verbundenes Bauteil in der Schließposition oder der Ausstellposition gegenüber der Führungsschiene verriegelnden Riegelelement (28),
    3.1 das an einem Riegelhebel angeordnet ist, der im Wesentlichen in einer Vertikalebene (x-z-Ebene) schwenkbar am Deckel oder an einem mit dem Deckel verbundenen Bauteil angeordnet ist,
    3.2 wobei das Riegelelement durch die Ausstell- und Verschiebemechanik so steuerbar ist, dass es während der Verschiebebewegung des Deckels längs der Führungsschiene verschiebbar ist und
    3.3 während der Schwenkbewegung des Deckels gegenüber der Führungsschiene verrastet ist,
    4. wobei das Riegelelement mittels einer am Riegelhebel angeordneten Mitnehmereinrichtung zum Ende einer Verschiebebewegung des Deckels aus einer Öffnungsstellung in Richtung seiner Schließstellung in Eingriff mit einer Rastausnehmung der Führungsschiene gebracht wird;
    5. wobei die Rastausnehmung an ihrer Vorderkante ein an die Bewegung des Riegelelements beim Eintreten des Riegelelements in die Rastausnehmung bzw. beim Austreten aus der Rastausnehmung angepasstes Profil hat;
    6. wobei die den Deckelträger mit dem Antriebsschlitten koppelnde Kulissenanordnung wenigstens einen an einer Seitenfläche des Deckelträgers abstehenden Kulissensteg und einen am Antriebsschlitten ausgebildeten, den Kulissensteg umgreifenden Greifabschnitt umfasst.
  77. II.
    Vor dem Hintergrund des Streites der Parteien bedarf es einer Auslegung der Merkmale 2.1 und 3.1 des Klagepatents.
  78. 1.
    Nach Merkmal 2.1 soll der Deckel des öffnungsfähigen Fahrzeugdachs im Bereich seiner Vorderkante in einer Führungsschiene in x-Richtung verschiebbar und um eine in y-Richtung liegende Schwenkachse schwenkbar gelagert sein. Damit sind eine Verschiebbarkeit, eine Verschwenkbarkeit und eine Lagerung des Deckels angesprochen. Soweit das Merkmal dies „in einer Führungsschiene“ verortet, bezieht sich dies jedoch nur auf die Verschiebbarkeit in x-Richtung und auf die Lagerung. Die Schwenkachse muss nicht zwingend in der Führungsschiene liegen. Ebenso wenig muss die Vorderkante des Deckels selbst in der Führungsschiene gelagert sein; die Lagerung kann auch mittels anderer Bauteile erfolgen, solange sie „im Bereich der Vorderkante“ des Deckels erfolgt (dazu unter a)). Im Übrigen ist die Bewegbarkeit der Vorderkante des Deckels nicht auf eine Verschiebbarkeit linear in x-Richtung und eine Verschwenkbarkeit um eine in y-Richtung liegende Schwenkachse begrenzt (dazu unter b)).
  79. a)
    Nach dem Wortlaut von Merkmal 2.1 kann mit der Wendung „in einer Führungsschiene“ genau der Ort der Lagerung gemeint sein mit der Folge, dass dieses, dem Deckel zugehörige Lager sowohl eine Verschiebbarkeit in X-Richtung als auch eine Verschwenkbarkeit um ein in y-Richtung sich erstreckende Achse ermöglichen muss. Die Wendung „in einer Führungsschiene“ kann sich nach dem Wortlaut von Merkmal 2.1 aber auch nur auf die Verschiebbarkeit in x-Richtung beziehen mit der Folge, dass hier eine Lagerung erfolgt, die in y-Richtung liegende Schwenkachse aber davon unabhängig ist.
  80. Im Streitfall ist der zweiten Auslegungsvariante der Vorzug zu geben, wonach der Deckel im Bereich seiner Vorderkante gelagert ist, dies auch in der Führungsschiene, soweit er in x-Richtung verschiebbar sein soll. Die Schwenkachse kann jedoch außerhalb der Führungsschiene liegen.
  81. Funktional betrachtet ist es nicht erforderlich, dass die Lagerung für die Verschiebbarkeit in x-Richtung und für die Verschwenkbarkeit an einem Ort zusammenfallen, denn die Funktion der beiden Bewegungsmöglichkeiten besteht darin, den Deckel aus einer Schließstellung durch Ausstellen seiner Hinterkante in die Lüftungsstellung oder durch eine Verschiebung längs der Führungsschiene in eine Öffnungsstellung oder von einer dieser beiden Stellungen zurück in die Schließstellung zu bringen (vgl. Merkmal 2.2.). Auch wenn diese Stellungen Gegenstand von Merkmal 2.2 sind, ist das Merkmal 2.1 deshalb nicht bedeutungslos. Während Merkmal 2.1 die Lagerung des Deckels im Bereich der Vorderkante betrifft, hat Merkmal 2.2 die Ausstell- und Verschiebemechanik zum Gegenstand und was sie leisten muss.
  82. Es ist auch kein Grund ersichtlich, die Lagerung für die lineare Verschiebbarkeit und für die Verschwenkbarkeit in der Führungsschiene anzuordnen. Bereits aus technischer Sicht geht der Fachmann regelmäßig davon aus, dass es sich um zwei verschiedene Lager – ein Linearlager und ein Drehlager – handelt, wobei die Führungsschiene zwangsläufig das Linearlager bildet. Ob sich das Drehlager in oder außerhalb der Führungsschiene befindet, macht keinen Unterschied.
  83. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Beschreibung des Klagepatents. Soweit in den im Klagepatent beschriebenen Ausführungsbeispielen Gleitschuhe 8 dargestellt sind, mit denen der Deckel in der Führungsschiene in x-Richtung verschiebbar und um die er in der Führungsschiene auch verschwenkbar gelagert ist, rechtfertigt dies keine einschränkende Auslegung des weiter gefassten Klagepatentanspruchs.
  84. Anhaltspunkte für ein entgegenstehendes Verständnis dieses Merkmals ergeben sich auch nicht aus dem in der Klagepatentschrift zitierten Stand der Technik. Zwar beschreibt die US A-5 092 XXX als gattungsbildenden Stand der Technik die Lagerung des Deckels im Bereich seiner Vorderkante mit einem dem Klagepatent ähnlichen Wortlaut. Dies führt jedoch nicht dazu, dass jede konstruktive Einzelheit in den Patentanspruch hineininterpretiert werden darf, die beim gattungsbildenden Stand der Technik verwirklicht ist. Eine darauf beschränkte Auslegung des Patentanspruchs ist nur gerechtfertigt, wenn anzunehmen ist, dass sich das Patent auf die spezielle, in diesem Stand der Technik dargestellte Ausgestaltung festlegen wollte (vgl. Kühnen, Hdb. Patentverletzung, 12. Auflage 2020 Kap. A Rn. 68). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Zum einen betrifft der Erfindungsgedanke die Art und Weise der Verriegelung, nicht aber die Lagerung des Deckels im Bereich seiner Vorderkante. Zum anderen sind abweichende Gestaltungen denkbar, die auch vom Wortlaut des Klagepatentanspruchs erfasst werden. So findet im weiteren Stand der Technik, beispielsweise der DE 34 44 XXX, eine Schwenklagerung des Deckels in der Führungsschiene nicht statt. Es ist nicht ersichtlich, dass die Lehre des Klagepatents hinter diesem Stand der Technik zurückbleiben wollte.
  85. Schließlich kann auch dem Argument nicht gefolgt werden, wonach Merkmalsgruppe 2 lediglich den Deckel selbst betrifft, Merkmalsgruppe 3 hingegen den Deckel und ein damit verbundenes Bauteil. Die Formulierung des Anspruchs ist in dieser Hinsicht nicht trennscharf. Mit dem Merkmal 2.1 ist lediglich verlangt, dass der Deckel „im Bereich seiner Vorderkante“ in einer Führungsschiene gelagert ist. Dem Wortlaut des Klagepatentanspruchs lässt sich nicht entnehmen, dass die Vorderkante des Deckels selbst in der Führungsschiene lagern muss. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es sich auch um ein anderes Bauteil handelt, das mit dem Deckel verbunden ist und mit dem die Lagerung in der Nähe der Vorderkante des Deckels erfolgt, wie dies etwa in der im Klagepatent als Stand der Technik gewürdigten DE 34 44 XXX über den Befestigungswinkel 18 erfolgt, der am Deckel befestigt ist und das Schwenklager aufnimmt. Zudem ist auch dem Ausführungsbeispiel des Klagepatents zu entnehmen, dass nicht der Deckel selbst, sondern der Deckelträger und damit ein mit dem Deckel verbundenes Bauteil verschiebbar und schwenkbar gelagert ist.
  86. b)
    Das Merkmal 2.1 schließt eine Verlagerung des Deckels des Fahrzeugdachs zumindest (auch) in z-Richtung nicht aus. Dass allein der Riegelhebel eine Bewegung in z-Richtung erfahren darf, lässt sich weder dem Wortlaut noch der Beschreibung des Klagepatents entnehmen.
  87. Der Wortlaut des Merkmals 2.1 verhält sich zur Bewegbarkeit des Deckels lediglich dahingehend, dass der Deckel im Bereich seiner Vorderkante in einer Führungsschiene in x-Richtung verschiebbar und um eine in y-Richtung liegende Schwenkachse schwenkbar gelagert ist. Beschrieben werden hierdurch die Mindestanforderungen an die Lagerung, um die Funktion, wonach das Dach von einer Schließstellung in eine Lüftungs- oder Öffnungsstellung bewegt werden kann, zu erfüllen. Indes ist durch den Wortlaut nicht ausgeschlossen, dass zu der Lagerung und den damit verbundenen Bewegungen weitere Bewegungen hinzutreten. So beschreibt es das Klagepatent in Absatz [0010] und dem Ausführungsbeispiel nach Figur 6 als vorteilhaft, dass ein Riegelhebel am Deckelträger an einem zu dem vorderen Lagerpunkt des Deckelträgers beabstandeten, beispielsweise nach hinten verlagerten Anlenkpunkt angeordnet ist. Die hierdurch mögliche Kombination aus Schwenkbewegung und geringer Verschiebung in x-Richtung führt zu einer Entlastung der Dichtung des Fahrzeugdachs (Abs. [0034] bis [0036]). Merkmal 2.1 sieht somit (auch) eine kombinierte Bewegung des Deckels vor, die dann auch in z-Richtung oder als weitere Schwenkbewegung möglich sein muss.
  88. 2.
    Das gegenüber der Führungsschiene verriegelnde Riegelelement soll nach Merkmal 3.1 an einem Riegelhebel angeordnet sein, der im Wesentlichen in einer Vertikalebene (x-z-Ebene) schwenkbar am Deckel oder an einem mit dem Deckel verbundenen Bauteil angeordnet ist. Der Klagepatentanspruch ist mit diesem Merkmal nicht auf eine schwenkbare Anordnung des Riegelhebels am Deckel selbst oder an einem Bauteil beschränkt, das seinerseits unmittelbar und fest mit dem Deckel verbunden ist. Es genügt eine mittelbare Verbindung über andere Bauteile.
  89. Nach dem Wortlaut des Klagepatentanspruchs kann der Riegelhebel allgemein an einem „mit dem Deckel verbundenen Bauteil“ angeordnet sein. Auch funktional ist es nicht erforderlich, den Riegelhebel unmittelbar und fest mit dem Deckel zu verbinden. Zwar beschreibt das Klagepatent in einer bevorzugten Ausgestaltung der Erfindung die direkte Anordnung an einem, mit dem Deckel fest verbundenen hebelartigen Deckelträger, so dass ein gesonderter Haltebock oder dergleichen für den Riegelhebel nicht erforderlich ist. Indes dient die Anordnung des Riegelhebels am Deckel oder dem damit verbunden Bauteil nach der Lehre des Klagepatents dazu, den Deckel gegenüber der Führungsschiene gegen eine Verschiebung in x-Richtung zu verriegeln. Durch die Möglichkeit einer Verrastung des Riegelelements gegenüber der Führungsschiene kann eine einfache, zuverlässige und zudem verschleißarme Ver- und Entriegelung der Ausstell- und Verschiebemechanik erreicht werden (Abs. [0007]). Die Verschwenkbarkeit des Riegelhebels wiederum dient dazu, das Riegelelement in eine Rastposition hinein und auch wieder herauszubewegen oder auch eine Schwenkbewegung des Deckels nachzuvollziehen, ohne dass sich das Riegelelement aus der Verrastung löst. Dies schließt es nicht aus, dass eine Anlenkung des Riegelhebels auch an einem anderen Bauteil möglich, das seinerseits – ggf. auch nur beweglich – mit dem Deckel oder Deckelträger verbunden ist.
  90. Dadurch besteht auch die Möglichkeit, die erfindungsgemäße Konstruktion translatorisch zu verfahren. Gerade das Zusammenwirken von Riegelhebel und Deckel soll die erfindungsgemäße Verriegelung ermöglichen. Dabei kommt es dem Klagepatent – entgegen der Ansicht der Beklagten – auf eine einfache Konstruktion der Verriegelung an, nicht der Konstruktion der gesamten Ausstell- und Verschiebemechanik. Entsprechend soll die Rastausnehmung der erfindungsgemäßen Verriegelung nach Unteranspruch 8 an ihrer Vorderkante ein an die Bewegung des Riegelelements beim Eintreten oder beim Austreten angepasstes Profil aufweisen. Durch das Einrasten in die parallelogrammförmige Rastausnehmung soll eine reibungslose Verriegelung gewährleistet werden.
  91. III.
    Mit Angebot und Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform macht die Beklagte von der geltend gemachten Kombination der Ansprüche 1, 8 und 10 unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch.
  92. 1.
    Bei der angegriffenen Ausführungsform handelt es sich um ein öffnungsfähiges Fahrzeugdach, das über zwei Deckel (vorderer und hinterer Deckel) verfügt. Der Deckelträger ist an einem Ausgleichshebel schwenkbeweglich gelagert, wobei der Ausgleichshebel wiederum an einem Lagerschlitten schwenkbeweglich gelagert ist. Ein Steuerhebel ist ebenfalls am Lagerschlitten schwenkbeweglich gelagert. Dieser Lagerschlitten ist in einer Führungsschiene verschiebbar geführt. Die nachstehende Abbildung zeigt die einzelnen Bauteile der angegriffenen Ausführungsform, wobei die Beschriftung von der Beklagten stammt.
  93. Mit dieser Mechanik verwirklicht die angegriffene Ausführungsform sämtliche Merkmale der geltend gemachten Klagepatentansprüche. Dies gilt auch für die hier streitigen Merkmale 2.1 und 3.1.
  94. 2.
    Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht das Merkmal 2.1
  95. Der jeweilige Deckel der angegriffenen Ausführungsform ist über den Ausgleichshebel mit dem Lagerschlitten verbunden, der in der Führungsschiene verschiebbar geführt ist. Der Lagerschlitten befindet sich in der Nähe der Vorderkante des Deckels. Infolgedessen ist der Deckel der angegriffenen Ausführungsform im Bereich seiner Vorderkante in der Führungsschiene in x-Richtung verschiebbar gelagert. Dass zwischen Deckel und Lagerschlitten der Ausgleichshebel angeordnet ist, der zudem zu einer gewissen Beabstandung von der Deckelvorderkante und der Lagerung in der Führungsschiene führt, ist nach der hier maßgeblichen Auslegung unbeachtlich.
  96. Weiterhin ist der Deckel der angegriffenen Ausführungsform durch die Schwenklagerung des Deckelträgers am Ausgleichshebel um eine in y-Richtung liegende Achse schwenkbar gelagert. Dass die Schwenkachse außerhalb der Führungsschiene liegt, ist unbeachtlich. Ferner ist es nach der hier maßgeblichen Auslegung unbeachtlich, dass der Ausgleichshebel seinerseits schwenkbar gelagert ist und sich die Verschwenkung des Ausgleichshebels am Lagerschlitten mit der Verschwenkung des Deckelträgers am Ausgleichshebel oder mit der Verschiebung in x-Richtung überlagern kann und dadurch eine geringfüge Anhebung des Deckels in z-Richtung erfolgt. Merkmal 2.1 schließt andere lineare Bewegungen oder Schwenkbewegungen nicht gänzlich aus.
  97. 3.
    Auch das Merkmal 3.1 wird verwirklicht. Als Riegelhebel fungiert der Steuerhebel, an dem das Riegelelement angeordnet ist. Der Steuerhebel ist wiederum am Lagerschlitten schwenkbeweglich gelagert ist. Dieser Lagerschlitten ist ein mit dem Deckel verbundenes Bauteil im Sinne des Klagepatents (Merkmal 3.1), weil er über den angelenkten Ausgleichshebel, der am Deckel befestigt ist, mit dem Deckel verbunden ist. Nach der oben dargestellten Auslegung kann ein solches Bauteil der Deckelträger oder aber jedes weitere, dazwischengesetzte Bauteil sein, über das bzw. über die der Riegelhebel mit dem Deckel verbunden angeordnet ist. Diese Anordnung ist bei der angegriffenen Ausführungsform über die Verbindung des Steuerhebels mit dem Lagerschlitten und dem am Deckelträger befestigten Ausgleichshebel gegeben. Der Steuerhebel ist zudem bei der angegriffenen Ausführungsform in x-z-Ebene schwenkbar (Merkmal 3.1).
  98. IV.
    Da die Beklagte die Erfindung gemäß § 9 S. 2 Nr. 1 PatG unberechtigt benutzt, ohne dazu berechtigt zu sein, ergeben sich die nachstehenden Rechtsfolgen.
  99. 1.
    Die Beklagte ist der Klägerin zur Unterlassung verpflichtet, Art. 64 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 1 PatG, da sie zur Benutzung der patentgemäßen Lehre nicht berechtigt ist.
  100. 2.
    Die Klägerin hat gegen die Beklagte dem Grunde nach einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 139 Abs. 1 und 2 PatG.
  101. a)
    Das für die Zulässigkeit des Feststellungsantrags gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass die Klägerin derzeit nicht in der Lage ist, den konkreten Schaden zu beziffern und ohne eine rechtskräftige Feststellung der Schadensersatzpflicht die Verjährung von Schadensersatzansprüchen droht.
  102. b)
    Die Beklagte ist zum Schadensersatz verpflichtet, weil sie die Patentverletzung schuldhaft beging. Als Fachunternehmen hätte sie die Patentverletzung bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest erkennen können, § 276 BGB. Es ist auch nicht unwahrscheinlich, dass der Klägerin durch die Patentverletzung ein Schaden entstanden ist, zumal bereits patentverletzende Erzeugnisse in den Verkehr gebracht wurden.
  103. 3.
    Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung für den Zeitraum vom 16. Juli 2004 bis zum 18. August 2006 gemäß Art. 2 § 1 S. 1 IntPatÜG.
  104. 4.
    Der Klägerin steht gegen die Beklagte auch ein Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 140b Abs. 1 PatG, §§ 242, 259 BGB zu.
    Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstands unmittelbar aus § 140b Abs. 1 PatG, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 140b Abs. 3 PatG.
  105. Die weitergehende Auskunftspflicht und die Verpflichtung zur Rechnungslegung folgen aus §§ 242, 259 BGB, damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch zu beziffern. Die Klägerin ist auf die tenorierten Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt, und die Beklagte wird durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet.
  106. 5.
    Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückruf und Vernichtung der patentverletzenden Erzeugnisse aus den Vertriebswegen gemäß Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. § 140a Abs. 1 und 3 PatG. Anhaltspunkte dafür, dass dieser Anspruch vorliegend unverhältnismäßig ist, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
  107. V.
    Der Rechtsstreit ist nicht bis zur erstinstanzlichen Entscheidung des Bundespatentgerichts über den Rechtsbestand des Klagepatents auszusetzen.
  108. Eine Aussetzung wegen eines gegen das Klagepatent anhängigen Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahrens kommt nur dann in Betracht, wenn ein Widerruf oder eine Vernichtung des Klageschutzrechtes nicht nur möglich, sondern mit (hinreichender) Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. BGH GRUR 2014, 1237, 1238 – Zugriffsrechte). Macht der Patentinhaber aufgrund von Zweifeln am Rechtsbestand das Klagepatent nur noch eingeschränkt geltend, gilt hingegen Folgendes: Werden durch die Beschränkung sämtliche oder praktisch sämtliche Merkmale des Kennzeichens in den Oberbegriff aufgenommen, wird die Erfindungshöhe also auf eine insgesamt neue Grundlage gestellt, so ist der ursprüngliche Erteilungsakt obsolet. Der Sache nach handelt es sich um ein ungeprüftes Schutzrecht, was es rechtfertigt, die Verhandlung wie im Falle eines Gebrauchsmusters auszusetzen, wenn bereits Zweifel an der Patentfähigkeit bestehen. Wird das Kennzeichen hingegen lediglich durch weitere Merkmale angereichert, so dass der Erteilungsakt jedenfalls tendenziell seine Aussagekraft erhält, bleibt es im Grundsatz zwar bei den allgemeinen Aussetzungsgrundsätzen, die allerdings angemessen in dem Maß zu lockern sind, in dem sich der behördliche Erteilungsakt als nicht verlässlich erwiesen hat. Solange sich die Erfindungshöhe des beschränkten Anspruchs vertretbar begründen lässt und insgesamt mehr für als gegen den Rechtsbestand der beschränkten Anspruchsfassung spricht, ist von einer Aussetzung abzusehen (Kühnen, Hdb. Patentverletzung, 12. Auflage 2020, Kap. E, Rn 799 f.). Nach diesen Grundsätzen kommt eine Aussetzung der Verhandlung nicht in Betracht.
  109. 1.
    Der Gegenstand des geänderten Klagepatentanspruchs 1 beruht nicht auf einer unzulässigen Erweiterung.
  110. Zur Feststellung einer unzulässigen Erweiterung ist der Gegenstand des erteilten Patents mit dem Inhalt der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen zu vergleichen. Der Gegenstand des Patents wird durch die technische Lehre des jeweiligen Patentanspruchs bestimmt, wobei Beschreibung und Zeichnungen lediglich zur Auslegung heranzuziehen sind. Demgegenüber ist der Inhalt der ursprünglichen Anmeldung dem Gesamtinhalt der Anmeldungsunterlagen zu entnehmen, ohne ihn auf die angemeldeten Ansprüche zu beschränken. Demnach gehört zum Inhalt der ursprünglichen Anmeldung das, was der Fachmann als zur angemeldeten Erfindung gehörig entnehmen kann (vgl. zu Vorstehendem Benkard/Rogge, PatG 11. Auflage, § 21 PatG, Rn 30 m.w.N.).
  111. Die Beklagte meint, der nunmehr geänderte Klagepatentanspruch 1 sei durch die Aufnahme des Unteranspruchs 10 unzulässig erweitert, denn dieser sei lediglich auf Unteranspruch 3 und nicht auf Anspruch 1 des Klagepatents rückbezogen. Dieser Einwand greift indes nicht durch.
  112. Dienen mehrere in der Beschreibung eines Ausführungsbeispiels genannte Merkmale der näheren Ausgestaltung der unter Schutz gestellten Erfindung, die je für sich, aber auch zusammen den durch die Erfindung erreichten Erfolg fördern, hat es der Patentinhaber in der Hand, ob er sein Patent durch die Aufnahme einzelner oder sämtlicher dieser Merkmale beschränkt (BGH GRUR 2002, 49 – Drehmomentübertragungseinrichtung). Im Streitfall offenbart die Patentanmeldung im Absatz [0018] die im Unteranspruch 10 beschriebene Kulissenanordnung unabhängig von dem im Unteranspruch 3 beschriebenen Riegelhebel. Da die Kulissenanordnung in keinem funktionalen Zusammenhang mit dem von ihr unabhängigen Riegelhebel steht, hindert nicht nur der ausschließliche Rückbezug von Unteranspruch 10 auf den Unteranspruch 3 nicht die Aufnahme von Merkmal 6 in den Klagepatentanspruch, sondern sie ergibt sich auch unmittelbar aus dem Absatz [0018] der Patentanmeldung.
  113. 2.
    Die Lehre der geltend gemachten Anspruchskombination ist weder durch die EP 1216XXX A 2 (D 1) noch durch die DE XXX7XXX C 1 (D 2), JP 0292XXX A (D 3) oder JP 0316XXX Y (D 4) neuheitsschädlich vorweggenommen. Ebenso wenig ist sie im Stand der Technik nahegelegt.
  114. a)
    Es kann dahinstehen, ob die D1 die Merkmale 4 und 5 offenbart. Denn jedenfalls fehlt es an der Offenbarung von Merkmal 6. Da es sich bei der D1 unstreitig um nachveröffentlichten Stand der Technik handelt, der nur bei der Neuheitsprüfung berücksichtigt werden darf, ist insofern auch die erfinderische Tätigkeit zu bejahen.
  115. b)
    Die D 2 (DE XXX7XXX C 1) betrifft eine Vorrichtung für ein Schiebehebedach zum Blockieren eines an vorderen und hinteren Gleitelementen in Führungsschienen geführten Deckels gegen eine Längsverschiebung während einer Schwenkbewegung beim Ausstellen oder Absenken desselben. Offenbart wird ein Riegelelement sowie Gleitelemente eines am hinteren Gleitelement befestigten Steuerstücks. Nicht offenbart wird indes zumindest ein Riegelhebel nach Merkmal 3.1, da der entsprechende Hebel nicht in der x-z-Ebene verschwenkbar ist. Ebenso wenig wird eine Kulissenanordnung gemäß Merkmal 6 offenbart. Für ein Naheliegen der erfindungsgemäßen Lehre ist nichts dargetan, zumal nicht ersichtlich ist, welchen Anlass der Fachmann haben sollte, die gesamte Konstruktion um 90° zu drehen, damit der in der x-y-Ebene liegende Hebel nunmehr in der x-z-Ebene verschwenkbar ist.
  116. c)
    Die D 3 (JP 0292XXX A) betrifft eine Hebe- und Senkvorrichtung für die Abdeckung eines Sonnendachs. Diese ist gekennzeichnet durch eine vordere Stirnseite, vorgesehen in der Öffnung des Sonnendachs, eine vordere bewegliche Gleitplatte, die sich entlang einer Führungsschiene lateral bewegen kann und schwenkbar gelagert ist. An der hinteren Stirnseite der Abdeckung ist ein Ende eines Hebe- und Senkarms schwenkbar gelagert. Weiter vorgesehen ist an der anderen Stirnseite ein in seitlicher Richtung hervorstehendes erstes Eingriffselement sowie auf der entgegengesetzten Seite ein zweites Eingriffselement:
  117. Nicht offenbart wird indes die Mitnehmereinrichtung. Denn der Stift am Ende des Hebearms greift frei verschiebbar in eine Führungsnut ein, wobei der Stift selbst im Kulissenschlitz geführt und zugleich verriegelt wird. Zudem fehlt es an der Offenbarung von Merkmal 6.
  118. d)
    Die D 4 (JP 0316XXX Y) betrifft eine Stützvorrichtung für die Abdeckung eines Sonnendachs. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass sie einen vorderen und hinteren Stützmechanismus umfasst. Weiterhin wird eine lateral bewegbare bewegliche Gleitplatte offenbart, die eine Führungsnut aufweist, die mit einem am Stützmechanismus angeordneten Führungsstift in Eingriff steht. Offenbart werden zudem ein Eingriffs- und ein Verriegelungselement sowie ein Nockenelement, das bei vollständig geschlossener Abdeckung das sich in liegender Position befindliche Verriegelungselement in die aufrechte Position bringt, in der es mit dem Eingriffselement in Eingriff steht.
  119. Nicht offenbart wird das Merkmal 4. Dass die aus den Zeichnungen ersichtliche Kulissennut (33) eine Mitnehmereinrichtung gemäß Merkmal 4 des Klagepatents sein kann, lässt sich weder dem Wortlaut der D 4 noch der Beschreibung oder den Zeichnungen entnehmen. Die D4 erläutert nicht, welche Wirkungen die Kulissennut in Umkehrrichtung im Einzelnen hat. Ebenso wenig ist eine profilierte Rastausnehmung im Sinne von Merkmal 5 erkennbar.
  120. VI.
    Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
  121. VII.
    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 und 2 ZPO.
  122. Streitwert: 500.000 Euro

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