Düsseldorfer Entscheidungsnummer: 3035
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 03. Juli 2020, Az. 4c O 24/2
- I. Der Antrag der Verfügungsklägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 27. April 2020 wird zurückgewiesen.
- II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Verfügungsklägerin.
- III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
- Tatbestand
- Die Verfügungsklägerin nimmt die Verfügungsbeklagte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents 3 395 XXX B1 (nachfolgend Verfügungspatent, Anlage rop 5, 5a) auf Unterlassung in Anspruch. Das Verfügungspatent stellt wie das Verfügungspatent EP 3 260 XXX B1 aus dem Parallelverfahren 4c O 25/20 eine Teilanmeldung aus dem europäischen Patent 1 663 XXX B2 (nachfolgend Stammpatent, Anlage PM 43) dar, welches aus der WO 2005/034XXX (nachfolgend Stammanmeldung, Anlage PM 46) angemeldet wurde. Die Anmeldung des Verfügungspatentes (Anlage rop 16), welches die Priorität vom 12. September 2003 aus der US 50 22 XX in Anspruch nimmt, erfolgte am 10. September 2004, die Offenlegung der Anmeldung am 27. Dezember 2017. Der Hinweis auf die Erteilung des Verfügungspatents wurde am 17. April 2019 veröffentlicht. Eingetragene Inhaberin des Verfügungspatents ist die Verfügungsklägerin. Das Verfügungspatent steht in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft.
- In einem gegen den Rechtsbestand des Stammpatentes geführten Einspruchsbeschwerdeverfahren (Aktenzeichen T 1063/15) erging am 12. April 2018 eine den Rechtsbestand bestätigende Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer (Anlage rop 13, 13a). Gegen die Erteilung des Klagepatentes erhob unter anderem die Verfügungsbeklagte Einspruch (Anlage rop 12, 12a), über den die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamtes noch nicht entschieden hat.
- Das in englischer Sprache erteilte Verfügungspatent betrifft eine Schnellauflösungsformulierung enthaltend X. Der von der Verfügungsklägerin geltend gemachte Patentanspruch 1 des Verfügungspatents hat in englischer Sprache folgenden Wortlaut:
- „A pharmaceutical composition
a) from 10 % to 40 % by weight of X;
b) from 45 % to 85 % by weight of at least one diluent selected from starch, microcrystalline cellulose, dicalciumphosphate, lactose, sorbitol, mannitol, sucrose, methyl dextrins, and mixtures threrof;
c) from 1 to 10 % of at least one disintegrant selected from crospovidon, sodium starch glycolate, croscarmellose sodium, and mixtures thereof;
wherein the percentage by weight is relative to the total weight of the composition.” - In deutscher Übersetzung hat der Patentanspruch 1 folgenden Wortlaut:
- „Eine pharmazeutische Zusammensetzung umfassend
a) von 10 % bis 40 % nach Gewicht an X
b) von 45 % bis 85 % nach Gewicht mindestens eines Verdünnungsmittels, das ausgewählt ist aus Stärke, mikrokristalliner Cellulose, Dicalciumphosphat, Lactose, Sorbit, Mannit, Saccharose, Methyldextrinen und Mischungen davon;
c) von 1 % bis 10 % mindestens eines Sprengmittels, das ausgewählt ist aus Crospovidon, Natriumstärkeglykolat, Croscarmellose-Natrium und Mischungen davon;
wobei der Prozentsatz nach Gewicht auf das Gesamtgewicht der Zusammensetzung bezogen ist.“ - Die Verfügungsbeklagte ist die deutsche Tochtergesellschaft des indischen Generikakonzerns A und vertreibt die Generika des Konzerns in Deutschland. Ihre niederländische Schwestergesellschaft A B.V. hält eine deutsche Marktzulassung an dem Generikum B mit Wirkstoffkonzentrationen in Höhe von 30, 60 und 90 mg (nachfolgend angegriffene Ausführungsform). Die Verfügungsklägerin ließ der niederländischen Schwestergesellschaft mit Schreiben vom 27. Februar 2020 eine Berechtigungsanfrage zukommen (Anlage rop 1, rop 1a), auf welche diese mit Schreiben vom 12. März 2020 antwortete (Anlage rop 2, 2a), dass Schutzrechte respektiert würden. Auf ein weiteres Schreiben der Verfügungsklägerin an die niederländische Schwestergesellschaft und die Verfügungsbeklagte vom 30. März 2020 (Anlage rop 3, 3a) reagierte die niederländische Schwestergesellschaft mit Schreiben vom 6. April 2020 (Anlage rop 4, rop 4a), in welchem sie geltend machte, dass nicht klar sei, aufgrund welcher Tatsachen die Verfügungsklägerin zu der Annahme gelange, dass ein Eintritt in den deutschen Markt beabsichtigt sei.
- Die Verfügungsbeklagte beantragte die Listung in der Lauer-Taxe für den 1. Mai 2020.
- Die angegriffene Ausführungsform ist auch in Polen zugelassen und die Verfügungsklägerin erwarb das Generikum B 30 mg im Rahmen eines Testkaufs und untersuchte es. Im Hinblick auf die Zusammensetzung der angegriffenen Ausführungsform und der durchgeführten Analyse wird auf die als Anlage rop 10, 10a überreichte eidesstattliche Versicherung von Frau C verwiesen.
- Die Verfügungsbeklagte legte eine privatgutachterliche Stellungnahme von Herrn Prof. D (Anlage PM 44), welche von der Einsprechenden E Ltd. im Einspruchsverfahren eingereicht wurde, und ein Privatgutachten von Herrn F (Anlage PM 48, 48a) vor. Beide Gutachten beschäftigen sich mit der Frage des Rechtsbestandes des Verfügungspatentes.
-
Die Verfügungsklägerin ist der Ansicht, dass sowohl ein Verfügungsanspruch als auch ein Verfügungsgrund vorliegen würden. Ein Verfügungsanspruch liege vor, da die angegriffene Ausführungsform von der Lehre nach dem Verfügungspatent auch Gebrauch mache, wenn sie Lactose-Monohydrat enthalte.
Auch ein Verfügungsgrund liege vor. Der Rechtsbestand sei hinreichend gesichert. Die von der Verfügungsbeklagten gegen das Verfügungspatent geltend gemachten Einspruchsgründe der fehlenden erfinderischen Tätigkeit und der unzulässigen Erweiterung seien bereits im Wesentlichen von der Technischen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes im Einspruchsbeschwerdeverfahren T 1063/15 über das Stammpatent des Verfügungspatents behandelt und mit Entscheidung vom 12. April 2018 zurückgewiesen worden.
Die Erfindung nach dem Verfügungspatent beruhe gemäß Art. 56 EPÜ auf erfinderischer Tätigkeit. Die Erfindung sei nicht nahegelegt. Die von der Verfügungsbeklagten vorgelegten Dokumente aus dem Stand der Technik, G (Anlage rop 15, rop 15a, nachfolgend G oder G) und die US 6 211 XXX B1 (Anlage rop 16, 16a, nachfolgend PM 26 oder Wagenen) seien bereits von der Technischen Beschwerdekammer in ihrer Entscheidung betreffend das Stammpatent gewürdigt worden, welche festgestellt habe, dass von diesen Druckschriften ausgehend als Stand der Technik zum Gegenstand der Erfindung nach dem Verfügungspatent nicht ohne erfinderische Tätigkeit gelangt werden könne.
Ferner ergebe sich der Gegenstand der Erfindung unmittelbar und eindeutig aus der ursprünglichen Anmeldung des Verfügungspatentes (Anlage rop 16, deutsche Übersetzung auszugsweise als Anlage rop 16a, 16b) sowie dem Stammpatent. Soweit die Verfügungsbeklagte beanstande, dass die ursprüngliche Anmeldung 1 Gew.% bis 5 Gew.% eines Bindemittels enthalte, das Bindemittel jedoch nicht Gegenstand des Anspruchs 1 des Verfügungspatentes sei, würden die ursprüngliche Anmeldung wie auch das Stammpatent deutlich machen, dass das Bindemittel nicht wesentlich sei. Sowohl aus Abs. 0004 als auch der Ausführungsform 31 der ursprünglichen Anmeldung ergebe sich eine pharmazeutische Zusammensetzung ohne Bindemittel. Ferner entnehme der Fachmann der ursprünglichen Anmeldung unmittelbar und eindeutig, dass das Bindemittel für die Funktion der Erfindung unter Berücksichtigung der technischen Aufgabe, die sie lösen soll, nicht unerlässlich sei. Dem Verfügungspatent liege die Aufgabe zugrunde, die Auflösung von X aus einer Dosierungsform sowie seine Bioverfügbarkeit in vivo zu verbessern. Dagegen würden Bindemittel für den Zusammenhalt in Granulaten und die Festigkeit von Tabletten sorgen und seien daher gerade nicht für eine schnelle Auflösung des Wirkstoffs verantwortlich. Schließlich erkenne der Fachmann, dass das Streichen des Bindemittels keine Angleichung eines oder mehrerer Merkmale bedürfe, da Abs. 0004 und die Ausführungsform 31 sowie die Ausführungsformen 78 und 79 die in Patentanspruch 1 des Verfügungspatentes beanspruchte Erfindung stützen würden. Der Fachmann wisse, dass die als Verdünnungsmittel enthaltenen Bestandteile selbst ausreichende Bindungswirkung enthalten würden, so dass es eines weiteren Bindemittels nicht bedürfe. - Die Verfügungsklägerin beantragt,
- I. der Verfügungsbeklagten im Wege einer einstweiligen Verfügung zu untersagen
- eine pharmazeutische Zusammensetzung umfassend
a) von 10 % bis 40 % nach Gewicht an X;
b) von 45 % bis 85 % nach Gewicht mindestens eines Verdünnungsmittels, das ausgewählt ist aus Stärke, mikrokristalliner Cellulose, Dicalciumphosphat, Lactose, Sorbit, Mannit, Saccharose, Methyldextrinen und Mischungen davon;
c) von 1 % bis 10 % mindestens eines Sprengmittels, das ausgewählt ist aus Crospovidon, Natriumstärkeglykolat, Croscarmellose-Natrium und Mischungen davon; - wobei der Prozentsatz nach Gewicht auf das Gesamtgewicht der Zusammensetzung bezogen ist, nämlich
- B 30 g Filmtabletten (Zulassungs-/Reg. Nr.(AMG76): 97704.00.00; EU-Verfahren: FI/H/0869/001),
- B 60 g Filmtabletten (Zulassungs-/Reg. Nr.(AMG76): 97705.00.00; EU-Verfahren: FI/H/0869/002),
- B 30 g Filmtabletten (Zulassungs-/Reg. Nr.(AMG76): 97706.00.00; EU-Verfahren: FI/H/0869/003),
- in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu besitzen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen.
- II. der Verfügungsbeklagten für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen dieses gerichtliche Verbot als Zwangsvollstreckungsmaßnahme Ordnungsgeld bis zu EUR 250.000,-, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle mehrfacher Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, jeweils zu vollziehen an ihrem Geschäftsführer, anzudrohen.
- Die Verfügungsbeklagte beantragt,
- der Verfügungsklägerin aufzugeben, gemäß § 110 ZPO binnen einer vom Gericht zu bestimmenden Frist eine Prozesskostensicherheit für sämtliche zu erwartende Prozesskosten der Verfügungsbeklagten in einer vom Gericht zu bestimmenden Höhe, jedoch mindestens 65.000,- EUR zu stellen, und für den Fall, dass die Sicherheit nicht binnen dieser Frist geleistet wird, den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung für zurückgenommen zu erklären;
- den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
- Sie meint, es fehle an der Glaubhaftmachung eines Verfügungsgrundes. Bereits das Vorliegen eines Sonderfalles mit Eintritt eines Generikums in den Markt könne nicht festgestellt werden, da die Festsetzung von Festbeträgen und damit ein Preisverfall frühestens 22 Monate nach Eintritt des Generikums in den Markt erfolge. Der Rechtsbestand des Verfügungspatentes sei nicht hinreichend gesichert, da sich das Verfügungspatent im Einspruchsverfahren als nicht rechtsbeständig erweisen werde. Das Verfügungspatent sei unzulässig erweitert und beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
Auch fehle es an der für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderlichen Dringlichkeit. Denn trotz Vorhandenseins von X-Generika auf dem deutschen und europäischen Markt habe die Verfügungsklägerin bisher keine weiteren Wettbewerber gerichtlich in Anspruch genommen. - Die Verfügungsklägerin tritt diesem Vorbringen entgegen.
- Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
- Entscheidungsgründe
- Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig, aber unbegründet.
- I.
Der von der Verfügungsbeklagten gestellte Antrag auf Leistung von Prozesskostensicherheit nach § 110 ZPO ist unbegründet. Die Einrede kann im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht erhoben werden, da die Vorschrift des § 110 ZPO auf solche Verfahren nicht anwendbar ist. - Dies entspricht der inzwischen gefestigten Rechtsprechung des Landgerichts Düsseldorf (Kammer, Urt. v. 8. Mai 2017, 4c O 42/17; InstGE 5, 234 in Abkehr von InstGE 4, 287).
- Das Verfügungsverfahren dient dazu, solche Ansprüche einstweilen zu sichern, mit deren Durchsetzung der Anspruchsteller deswegen nicht auf das Hauptsacheverfahren verwiesen werden kann, weil ein solches Hauptsacheverfahren zu viel Zeit in Anspruch nähme, um die Rechtsdurchsetzung effektiv zu gewährleisten, sei es, weil durch den Zeitablauf die Durchsetzbarkeit der Ansprüche geschmälert oder endgültig verhindert zu werden droht, oder, weil die Ansprüche ohnehin zeitlich begrenzt sind, wie etwa der Unterlassungsanspruch aus einem nur zeitlich begrenzt gültigen technischen Schutzrecht. Deswegen ist das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht etwa ein lediglich besonders eilig zu betreibendes „Klage“verfahren, sondern ein prozessualer Rechtsstreit besonderer Art. Er ist auf eine summarische Entscheidung gerichtet und gehorcht daher nur insoweit den allgemeinen prozessualen Vorschriften, sofern diese nicht mit den in den §§ 916 bis 945 ZPO niedergelegten Besonderheiten des Eilverfahrens in Widerspruch stehen. Es ist deswegen anerkannt, dass bestimmte prozessuale Vorschriften nicht auf das Verfügungsverfahren anwendbar sind.
- Hierzu gehört auch die Vorschrift des § 110 ZPO: Das dort geregelte Institut der Prozesskostensicherheit und die Möglichkeit des Beklagten, eine prozesshindernde Einrede bei mangelnder Prozesskostensicherheit zu erheben, ist mit den dargelegten Grundsätzen des einstweiligen Verfügungsverfahrens unvereinbar, und zwar auch dann, wenn über den Antrag auf einstweilige Verfügung aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil entschieden wird (OLG Köln, Magazindienst 2004, 1255; OLG Frankfurt IPRax 2002, 222; OLG Hamburg GRUR 1999, 91; LG Düsseldorf InstGE 5, 234; Zöller/Herget, a.a.O., § 110 Rdn. 3; a.A. OLG Köln ZIP 1994, 326; LG Düsseldorf InstGE 4, 287). Zwar ist auch der im einstweiligen Verfügungsverfahren in Anspruch genommene Antragsgegner bzw. Verfügungsbeklagte grundsätzlich schutzbedürftig gegenüber etwaigen Schwierigkeiten bei der Vollstreckung eines Kostentitels, die alleine auf dem Umstand beruhen, dass die Gegenpartei nicht innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums ansässig und mit dem Sitzstaat der Gegenpartei eine Gegenseitigkeit der Vollstreckung nicht völkerrechtlich gewährleistet ist. Dieses Schutzbedürfnis, dem § 110 ZPO Rechnung tragen will, muss indes zurücktreten gegenüber dem Bedürfnis des Anspruchstellers, der – ob zu Recht oder zu Unrecht – geltend macht, seine Anspruchsdurchsetzung und -sicherung sei es so dringlich, dass er damit nicht auf ein Hauptsacheverfahren verwiesen werden könne. Könnte dem Antragsteller bzw. Verfügungskläger im einstweiligen Verfügungsverfahren entgegengehalten werden, er müsse zunächst Prozesskostensicherheit leisten, würde das prozessuale Instrument der einstweiligen Verfügung weitgehend entwertet. Der Streit um das Ob und um die Höhe der Prozesskostensicherheit sowie darum, ob eine angeordnete Sicherheit ordnungsgemäß geleistet worden ist, kann so viel Zeit in Anspruch nehmen, dass eine zeitnahe Entscheidung in der Sache nicht mehr gewährleistet wäre. Beispielsweise könnte ein Termin zur mündlichen Verhandlung über einen Verfügungsantrag dadurch entwertet werden, dass der Verfügungsbeklagte – was bei Anwendung des § 110 ZPO zulässig wäre – erst in diesem Termin die Einrede nach § 110 ZPO erhebt. Ebenso wenig ist es einem außerhalb des EWR ansässigen Antragsteller zumutbar, schon bei oder jedenfalls kurz nach Antragstellung und jedenfalls vor Erhebung der Einrede nach § 110 ZPO gleichsam vorbeugend Sicherheit zu leisten, denn er kann die Höhe der zu leistenden Sicherheit nicht im Vornhinein kennen und kann auch nicht allein wegen seines Sitzes außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums gezwungen sein, sich den Zugang zu einem Eilverfahren durch die vorsorgliche Leistung einer Sicherheit für die Prozesskosten „zu erkaufen“.
- Anders als die Verfügungsbeklagte meint, ist durch die Bestimmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung über den Verfügungsantrag auch noch nicht eine solche „Entschleunigung“ eingetreten, dass nunmehr das Interesse der Verfügungsbeklagten an einer Sicherheit für die Prozesskosten überwiege. Die Bestimmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung über einen Verfügungsantrag dient – zumal im Patentverletzungsprozess – dazu, bei Erlass der notwendiger Weise summarischen Entscheidung über den Verfügungsantrag eine möglichst hohe Gewähr für eine Entscheidung zu haben, die sich nicht im Nachhinein und namentlich in einem etwaigen anschließenden Hauptsacheverfahren als falsch erweist. Die damit einhergehende Verzögerung trägt deshalb zur Wahrung der wechselseitigen Interessen bei und kann deswegen nicht zur Begründung dafür herangezogen werden, den Verfügungskläger zusätzlich mit der Bürde einer Prozesskostensicherheit wirtschaftlich und zeitlich zu belasten.
-
II.
Die Verfügungsklägerin hat gegen die Verfügungsbeklagte keinen Anspruch auf Unterlassung aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. § 139 Abs. 1 PatG. - 1.
Das Verfügungspatent schützt eine Schnellauflösungsformulierung enthaltend X. - Zum Hintergrund der Erfindung erläutert das Verfügungspatent, dass kalziumrezeptoraktive Verbindungen im Stand der Technik grundsätzlich bekannt sind, beispielsweise als X, welches im US-Patent 6 001 884 beschrieben wird. Solche kalziumrezeptoraktiven Verbindungen können unlöslich oder kaum löslich in Wasser sein, spezielle in ihrem nicht-ionisierten Zustand. Beispielsweise hat, so die Verfügungspatentschrift, X eine Löslichkeit in Wasser von wenigestens als 1 g/ml bei neutralem pH. Die Löslichkeit von X kann bis ungefähr 1,6 mg/ml reichen, wenn der pH von ungefähr 3 bis ungefähr 5 reicht. Jedoch sinkt die Löslichkeit von X auf ungefähr 0,1 mg/ml, wenn der pH unter 1 liegt. Eine solche begrenzte Löslichkeit kann die Anzahl der Formulierungen und der Zufuhroptionen, welche für die Kalziumrezeptoraktiven Verbindungen verfügbar sind, reduzieren. Begrenzte Wasserlöslichkeit kann dann eine niedrige Bioverfügbarkeit der Verbindungen bedingen.
- Das Verfügungspatent schildert ausgehend von diesem Stand der Technik den Bedarf, die Auflösbarkeit der kalziumrezeptoraktiven Verbindung aus einer Dosierform zu maximieren und dies möglichst während der in vivo-Exposition. Es besteht ferner ein Bedürfnis, die Bioverfügbarkeit der kalziumrezeptoraktiven Verbindung während der in vivo-Exposition zu verbessern.
- Das Verfügungspatent schlägt hierfür eine Zusammensetzung mit den nachfolgenden Merkmalen vor:
- 1. Pharmazeutische Zusammensetzung umfassend
- 2. von 10 % bis 40 % nach Gewicht an X;
- 3. von 45 % bis 85 % nach Gewicht mindestens eines Verdünnungsmittels, das ausgewählt ist aus Stärke, mikrokristalliner Cellulose, Dicalciumphosphat, Lactose, Sorbit, Mannit, Saccharose, Methyldextrinen und Mischungen davon;
- 4. von 1 % bis 10 % mindestens eines Sprengmittels, das ausgewählt ist aus Crospovidon, Natriumstärkeglykolat, Croscarmellose-Natrium und Mischungen davon;
- 5. wobei der Prozentsatz nach Gewicht auf das Gesamtgewicht der Zusammensetzung bezogen ist.
- 2.
Die angegriffene Ausführungsform macht von vorstehend genannten Merkmalen Gebrauch. Dies gilt ungeachtet des Umstandes, dass die angegriffene Ausführungsform Lactose-Monohydrat als Verdünnungsmittel enthält. Denn der Fachmann erkennt, was die Verfügungsbeklagte in der mündlichen Verhandlung nicht bestritten hat, dass sowohl Lactose als auch Lactose-Monohydrat als Verdünnungsmittel eingesetzt werden können. Dem Fachmann ist bewusst, dass aufgrund der vom Verfügungspatent beschriebenen Feuchtgranulierung Lactose stets als Lactose-Monohydrat, d.h. mit gebundenem Kristallwasser vorliegt. Entsprechendes folgt auch aus der von der Verfügungsbeklagten vorgelegten Anlage PM 28, welche ausführt, dass Lactose bei niedrigeren Temperaturen, d.h. unter 93°C, Kristallwasser enthält. -
III.
Es besteht allerdings nicht der für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderliche Verfügungsgrund. Der Rechtsbestand des Verfügungspatents ist auch vor dem Hintergrund der zugunsten des Stammpatentes ergangenen Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer nicht als hinreichend gesichert anzusehen. - 1.
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des OLG Düsseldorf (InstGE 9, 140 – Olanzapin; InstGE 12, 114 – Harnkatheterset; bestätigt in: OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2011, 81 – Gleitsattelscheibenbremse II), dass der Erlass einer einstweiligen Verfügung insbesondere auf Unterlassung nur in Betracht kommt, wenn sowohl die Frage der Patentverletzung als auch der Bestand des Verfügungspatents im Ergebnis so eindeutig zugunsten des Antragstellers zu beantworten sind, dass eine fehlerhafte, in einem etwa nachfolgenden Hauptsacheverfahren zu revidierende Entscheidung nicht ernstlich zu erwarten ist (ebenso: OLG Karlsruhe, InstGE 11, 143 – VA-LVD-Fernseher). - Danach ist in Patentverletzungsstreitigkeiten das Vorliegen eines Verfügungsgrundes besonders sorgfältig zu prüfen. Gerade hier ergeben sich regelmäßig besondere Schwierigkeiten daraus, die Schutzfähigkeit bzw. Rechtsbeständigkeit des Antragsschutzrechtes innerhalb kurzer Zeit und ohne eine dem Verfahren der Hauptsache entsprechende schriftsätzliche Vorbereitung sachgerecht zu beurteilen. Die eingeschränkten Möglichkeiten treffen besonders den Antragsgegner. Während dem Antragsteller, der sich zwar beschleunigt um eine Durchsetzung seiner Rechte bemühen muss, um die zeitliche Dringlichkeit nicht zu beseitigen, auch unter den Voraussetzungen des § 940 ZPO regelmäßig ausreichend Zeit bleibt, den Rechtsbestand des Schutzrechtes vor dem Einreichen eines Verfügungsantrages sorgfältig zu prüfen, sieht sich der Antragsgegner auch im Falle einer vorherigen mündlichen Verhandlung nach der Zustellung des Verfügungsantrags regelmäßig erheblichem Zeitdruck ausgesetzt, um in der verhältnismäßig kurzen Zeit bis zum Verhandlungstermin seine Verteidigung aufzubauen. Ergeht eine Unterlassungsverfügung, greift sie darüber hinaus meist in sehr einschneidender Weise in die gewerbliche Tätigkeit des Antragsgegners ein und führt während ihrer Bestandsdauer zu einer Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs (OLG Düsseldorf, InstGE 9, 140, 145 – Olanzapin; InstGE 12, 114, 118 f. – Harnkatheterset).
- Das alles bedeutet nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf aber nicht, dass eine einstweilige Verfügung wegen Patentverletzung generell nicht oder nur in ganz besonders seltenen Ausnahmefällen in Betracht kommt. Eine einstweilige Unterlassungsverfügung wegen Patentverletzung verlangt allerdings in der Regel, dass die Rechtsbeständigkeit des Antragsschutzrechts hinlänglich gesichert ist (OLG Düsseldorf, InstGE 9, 140, 146 – Olanzapin; InstGE 12, 114, 119 – Harnkatheterset). Zweifel an der grundsätzlich zu respektierenden Schutzfähigkeit des Verfügungspatents können das Vorliegen eines Verfügungsgrundes ausschließen. Das Verletzungsgericht kann sich dabei nicht kurzerhand auf den Erteilungsakt verlassen, sondern hat selbständig zu klären, ob angesichts des Sachvortrages des Antragsgegners ernstzunehmende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Verfügungsschutzrecht gegebenenfalls keinen Bestand haben wird. Seine Vernichtung muss als Folge der Einwendungen des Antragsgegners aus Sicht des Verletzungsgerichts nicht zwingend und sie muss auch nicht überwiegend wahrscheinlich, aber aufgrund einer in sich schlüssigen, vertretbaren und letztlich nicht von der Hand zu weisenden Argumentation des Antragsgegners möglich sein, um einem Verfügungsantrag den Erfolg versagen zu können (OLG Düsseldorf, InstGE 12, 114, 119 – Harnkatheterset).
- Nach der ständigen Rechtsprechung des OLG Düsseldorf kann von dem Erfordernis einer dem Verfügungskläger günstigen kontradiktorischen Rechtsbestandsentscheidung in Sonderfällen abgesehen werden. Dies gilt etwa dann, wenn der Verfügungsbeklagte sich bereits mit eigenen Einwendungen am Erteilungsverfahren beteiligt hat, so dass die Patenterteilung sachlich der Entscheidung in einem zweiseitigen Einspruchsverfahren gleichsteht, wenn ein Rechtsbestandsverfahren deshalb nicht durchgeführt worden ist, weil das Verfügungsschutzrecht allgemein als schutzfähig anerkannt wird (was sich durch das Vorhandensein namhafter Lizenznehmer oder dergleichen widerspiegelt), wenn sich die Einwendungen gegen den Rechtsbestand des Verfügungsschutzrechts schon bei der dem vorläufigen Rechtsschutzverfahren eigenen summarischen Prüfung als haltlos erweisen oder wenn (z. B. mit Rücksicht auf die Marktsituation oder die aus der Schutzrechtsverletzung drohenden Nachteile) außergewöhnliche Umstände gegeben sind, die es für den Verfügungskläger ausnahmsweise unzumutbar machen, den Ausgang des Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahrens abzuwarten (vgl. OLG Düsseldorf, InstGE 12, 114, 121 – Harnkatheterset; OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2013, 236, 239 f. – Flupirtin-Maleat; Urt. v. 10. Dezember 2015, BeckRS 2016, 06208).
- Ein solcher Sachverhalt liegt regelmäßig bei Verletzungshandlungen von Generikaunternehmen vor. Während der von ihnen angerichtete Schaden im Falle einer späteren Aufrechterhaltung des Patents vielfach enorm und (mit Rücksicht auf den durch eine entsprechende Festsetzung von Festbeträgen verursachten Preisverfall) nicht wiedergutzumachen ist, hat eine (wegen späterer Vernichtung des Patents) unberechtigte Verfügung lediglich zur Folge, dass das Generikaunternehmen vorübergehend zu Unrecht vom Markt ferngehalten wird, was durch entsprechende Schadenersatzansprüche gegen den Patentinhaber vollständig ausgeglichen werden kann. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass das Generikaunternehmen für seine Marktpräsenz im Allgemeinen keine eigenen wirtschaftlichen Risiken eingeht (weil das Präparat dank des Patentinhabers medizinisch hinreichend erprobt und am Markt etabliert ist). Es hat deswegen eine Verbotsverfügung zu ergehen, auch wenn für das Verletzungsgericht mangels einer fachkundigen Rechtsbestandsentscheidung keine endgültige und eindeutige Sicherheit über den Rechtsbestand gewonnen werden kann, sofern das Verletzungsgericht (aufgrund der ihm angesichts der betroffenen technischen Materie möglichen eigenen Einschätzung) für sich die Überzeugung (im Sinne hinreichender Glaubhaftmachung) davon gewinnt, dass das Verfügungsschutzrecht rechtsbeständig ist, weil sich die mangelnde Patentfähigkeit seines Erfindungsgegenstandes nicht feststellen lassen wird. Hierfür müssen aus der Sicht des Verletzungsgerichts entweder die besseren Argumente für die Patentfähigkeit sprechen, so dass sich diese positiv bejahen lässt, oder es muss (mit Rücksicht auf die im Rechtsbestandsverfahren geltende Beweislastverteilung) die Frage der Patentfähigkeit mindestens ungeklärt bleiben, so dass das Verletzungsgericht, wenn es anstelle des Patentamtes oder des BPatG in der Sache selbst zu befinden hätte, dessen Rechtsbestand zu bejahen hätte (OLG Düsseldorf, Urt. v. 19. Februar 2016, BeckRS 2016, 6345).
- Gegen das grundsätzliche Vorliegen eines solchen Sonderfalles – Eintritt eines Generikums auf den Markt – kann die Verfügungsbeklagte nicht mit Erfolg einwenden, dass ein solcher Markteintritt hier einen Sonderfall nicht begründe. Die Verfügungsbeklagte meint insofern, dass sich aus der als Anlage PM 51 vorgelegten Untersuchung des Beratungsunternehmens H GmbH, ergebe, dass beim Eintritt von Generika nur in rund der Hälfte aller Fälle ein Verfahren zur Festpreisbildung beginne und selbst wenn ein entsprechendes Verfahren eingeleitet werde, ein solches erst 22 Monate nach Eintritt eines Generikums in der Bildung befindlich sei. Insofern könne der Gesichtspunkt des Preisverfalls nicht für die Annahme eines Sonderfalles herangezogen werden, da ein solcher frühestens erst nach 22 Monaten eintreten könne.
- Die von der Verfügungsbeklagten angeführte Begründung vermag das Vorliegen eines Sonderfalles bei Eintritt eines Generikums auf den Markt nicht in Frage zu stellen. Ungeachtet dessen, dass die Vorlage einer PowerPoint-Präsentation eines Beratungsunternehmens die gefestigte Rechtsprechung nicht in Frage stellen kann, zeigt die Untersuchung auf Folie 14 auch, dass der Festbetrag zwischen 13 % und 87 % unter dem Preis des Originalpräparates liegt, also gerade den Umstand, dass der Eintritt eines Generikums auf den Markt zu einer Preisreduktion bzw. einem Preisverfall des Originalpräparates führt. Dabei mag ein solcher Festbetrag erst frühestens nach 22 Monaten nach Eintritt eines Generikums auf den Markt festgelegt werden. Ursache für eine Festbetragsbildung ist aber stets der Eintritt eines Generikums auf den Markt, so dass es im wohlfeilen Interesse des Originators liegt, einen solchen Eintritt zu verhindern. Überdies verkennt die Verfügungsbeklagte, dass für den Preisverfall des Originators nicht ausschließlich eine Festbetragsfestsetzung verantwortlich ist, sondern ferner Rabattverträge, die der jeweilige Generikahersteller mit Krankenhäusern schließt und welche einen Preisreduktionsdruck auch für den Originator zur Folge haben, wenn er weiterhin auf dem Markt bestehen will. Ein begründeter Anlass vom Vorliegen eines Sonderfalles abzusehen, ist daher nicht zu erkennen.
- Im Streitfall liegt eine den Rechtsbestand bestätigende Entscheidung nicht vor, so dass die von der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht vorliegen. Zwar besteht eine Situation, welche den Erlass einer einstweiligen Verfügung auch ohne eine den Rechtsbestand bestätigende Entscheidung rechtfertigen könnte. In einer solchen Fallkonstellation müssen jedoch – wie vorstehend ausgeführt – aus der Sicht des Verletzungsgerichts entweder die besseren Argumente für die Patentfähigkeit sprechen, so dass sich diese positiv bejahen lässt, oder es muss (mit Rücksicht auf die im Rechtsbestandsverfahren geltende Beweislastverteilung) die Frage der Patentfähigkeit mindestens ungeklärt bleiben, so dass das Verletzungsgericht, wenn es anstelle des Patentamtes oder des BPatG in der Sache selbst zu befinden hätte, dessen Rechtsbestand zu bejahen hätte.
- Eine entsprechende Feststellung vermag die Kammer nicht zu treffen.
- Denn die Kammer hat durchgreifende Zweifel, dass sich das Verfügungspatent vor dem Hintergrund des Einwands der unzulässigen Erweiterung gegenüber der Anmeldung und dem Stammpatent als rechtsbeständig erweisen wird. Die überzeugenderen Argumente sprechen für einen Verstoß gegen die Erfordernisse der Artt. 123 Abs. 2 bzw. 76 EPÜ. Es kann nicht festgestellt werden, dass das Bindemittel, welches nicht Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Verfügungspatentes ist, in der vom Patentanspruch 1 gewählten Zusammensetzung vom Fachmann als nicht wesentlich erachtet wird.
- In diesem Zusammenhang macht die Verfügungsklägerin geltend, dass das Merkmal „1 Gew.-% bis 5. Gew.-% eines Bindemittels“ in der ursprünglichen Offenbarung als nicht wesentlich beschrieben werde, wie sich Abs. 0004 der ursprünglichen Anmeldung entnehmen lasse, in welchem die erfindungsgemäßen Zusammensetzungen beschrieben und Bindemittel in diesem Zusammenhang nicht erwähnt würden. Ferner offenbare die Ausführungsform 31 der ursprünglichen Offenbarung, welche Anspruch 31 der Stammanmeldung entspreche, ebenfalls erfindungsgemäße pharmazeutische Zusammensetzungen ohne Bindemittel, indem sie sich auf jegliche Kombination der dort genannten Hilfsstoffe beziehe. Der Fachmann entnehme daher der ursprünglichen Anmeldung wie auch der Stammanmeldung unmittelbar und eindeutig, dass das Merkmal „1 Gew.-% bis 5. Gew.-% eines Bindemittels“ als solches für die Funktion der Erfindung unter Berücksichtigung der technischen Aufgabe, die sie lösen soll, nicht unerlässlich ist. Die Aufgabe sei es, die Auflösbarkeit von X aus einer Dosierungsform und seiner Bioverfügbartkeit in vivo zu verbessern, wofür ein Bindemittel keinen Beitrag leiste. Schließlich erkenne der Fachmann, dass das Streichen des Merkmals „1 Gew.-% bis 5. Gew.-% eines Bindemittels“ auch keine Angleichung eines oder mehrerer Merkmale erfordere. Die Abs. 0037 und 0033 sowie die Ausführungsformen 78 und 79 würden die in Patentanspruch 1 beanspruchte Erfindung stützen. Der Fachmann wisse, dass die als Verdünnungsmittel enthaltenen Bestandteile selbst ausreichende Bindungswirkung entfalten würden.
- Die Verfügungsbeklagten wenden hiergegen ein, dass eine unzulässige Erweiterung vorliege, da sich aus der allgemeinen Beschreibung und aus allen Beispielen der Anmeldung ableiten lasse, dass Bindemittel ein wesentlicher Bestandteil der pharmazeutischen Zusammensetzung sei. Tatsächlich sei in allen beschriebenen konkreten Zusammensetzungen Bindemittel zwingend vorhanden. Entsprechendes ergebe sich aus Abs. 0057 der Stammanmeldung des Verfügungspatents (Anlage PM 46), welche insgesamt Untersuchungen mit Povidon, einem Bindemittel, zeigen würden. Sowohl die im Stammpatent offengelegten Daten sowie die nachveröffentlichten Daten der Versuchsberichte I und II („experimental reports I und II“) würden sich auf eine Formulierung beziehen, die 2.044 Gew.-%, 2.5 Gew.-% und 3 Gew.-% Bindemittel (Povidon) enthalte. Ferner sei in Anspruch 1 der ursprünglichen Anmeldung, EP 3 395 XXX A1 (Anlage rop 16, auszugsweise deutsche Übersetzung Anlage rop 16a) ein Bindemittel genannt.
- Art. 123 Abs. 2 EPÜ sieht vor, dass die europäische Patentanmeldung und das europäische Patent nicht in der Weise geändert werden dürfen, dass ihr Gegenstand über den Inhalt in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht. Inhalt ist dabei alles, was der Fachmann unmittelbar und eindeutig der Gesamtheit der Anmeldungsunterlagen (Beschreibung, Patentansprüche und Zeichnung) unter Berücksichtigung seines allgemeinen Fachwissens entnimmt. Nicht nur jede Berichtigung, sondern vor allem jede Änderung der die Offenbarung betreffenden Teile einer europäischen Patentanmeldung oder eines europäischen Patents darf nur im Rahmen dessen erfolgen, was der Fachmann der Gesamtheit dieser Unterlagen in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens – objektiv und bezogen auf den Anmeldetag – unmittelbar und eindeutig entnehmen kann. Die Anwendung von Art. 123 Abs. 2 EPÜ setzt einen Vergleich der ursprünglichen Fassung von Beschreibung, Patentansprüchen und Zeichnungen mit der jeweils gültigen vom Anmelder gebilligten oder vorgelegten Fassung voraus (Benkard/Schäfers, EPÜ, 3. Aufl., Art. 123 Rn. 80 ff.). Zum ursprünglichen Inhalt kann auch eine implizite Offenbarung gehören, wenn sie die technische Information nicht ändert. Eine Offenbarung, welche zwei verschiedene Interpretationen zulässt, ist nicht eindeutig. Nicht nur das geänderte Merkmal selbst muss aus den Unterlagen entnehmbar sein, sondern der neue beanspruchte Gegenstand an sich, d.h. die Kombination der beanspruchten Merkmale in struktureller und/oder funktionaler Form. Eine Änderung ist als Einbringen von Sachverhalten, die über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehen, und folglich als unzulässig anzusehen, wenn die Gesamtveränderung des Inhalts der Anmeldung durch Hinzufügen, Änderung oder Weglassung dazu führt, dass der Fachmann Angaben erhält, die aus den zuvor durch die Anmeldung vermittelten Angaben nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen sind. Eine implizite Offenbarung kann dabei nur für solche Gegenstände angenommen werden, die sich klar und eindeutig aus den ausdrücklichen Aussagen der Patentanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung ergeben (BeckOK, PatR/Böhm, EPÜ, Art. 123 Rn. 118). Um festzustellen, ob das Ersetzen oder Streichen eines Merkmals aus einem Anspruch gegen Art. 123 Abs. 2 EPÜ verstößt, wird der sog. Wesentlichkeitstest angewandt. Wenn die Änderung mittels Ersetzen oder Streichen eines Merkmals aus einem Anspruch aufgrund mindestens eines Merkmals aus einem Anspruch aufgrund mindestens eines Kriteriums den nachfolgenden Test nicht besteht, liegt ein Verstoß gegen Art. 123 Abs. 2 EPÜ vor. Zunächst darf das ersetzte oder gestrichene Merkmal in der ursprünglich eingereichten Offenbarung nicht als wesentlich hingestellt sein. Ferner müsse der Fachmann unmittelbar und eindeutig erkennen, dass das Merkmal als solches für die Funktion der Erfindung unter Berücksichtigung der technischen Aufgabe, die sie lösen soll, nicht unerlässlich ist und der Fachmann müsse unmittelbar und eindeutig erkennen, dass das Ersetzen oder Streichen keine Angleichung eines oder mehrerer Merkmale erfordert (Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt, Teil H, Kap. V, Ziff. 3.1).
- Die Kammer vermag nicht festzustellen, dass bereits der erste Punkt der Prüfungsfolge erfüllt ist.
- Nach dem Vorbringen der Verfügungsklägerin ist Patentanspruch 1 aus den Ausführungsbeispielen 79 und 78 der ursprünglichen Anmeldung bzw. Anspruch 79 und 78 der Stammanmeldung abgeleitet. Eine Kombination dieser beiden Ausführungsbeispiele setzt indes das Vorhandensein eines Bindemittels von 1 Gew.-% bis 5 Gew.-% voraus. Insofern besteht keine unmittelbare und eindeutige Offenbarung des geltend gemachten Patentanspruchs 1 des Verfügungspatentes ausgehend von den genannten Ausführungsbeispielen/Ansprüchen.
- Soweit die Verfügungsklägerin meint, dass der Fachmann das Streichen des Bindemittels dem Abs. 0004 und dem Ausführungsbeispiel 31 entnehmen könne, ist dies hingegen nicht eindeutig feststellbar. Abs. 0004 und Ausführungsbeispiel 31 lauten insoweit in deutscher Übersetzung:
- „Ein Aspekt der vorliegenden Erfindung stellt eine pharmazeutische Zusammensetzung bereit, umfassend wenigstens eine Kalziumrezeptoraktive Verbindung in Kombination mit wenigstens einem pharmazeutisch akzeptablen Träger. Bestimmte Ausführungsformen der vorliegenden Erfindung sind auf eine pharmazeutische Zusammensetzung mit einem definierten Auflösungsprofil gerichtet.“
- „Die Zusammensetzung gemäß Ausführungsform 1, wobei der wenigstens eine pharmazeutisch akzeptable Hilfsstoff ausgewählt ist aus mikrokristalliner Cellulose, Stärke, Talkum, Povidon, Crospovidon, Magnesiumstearat, kolloidalem Siliziumdioxid und Natriumdodecylsulfat und jegliche Kombination davon.“
- Sowohl Abs. 0004 als auch das Ausführungsbeispiel 31 beschränken sich auf generelle Ausführungen zum Gegenstand der Erfindung, die in keinem Zusammenhang mit der im Patentanspruch 1 des Verfügungspatentes unter Schutz gestellten Kombination von X, Verdünnungsmittel und Sprengmittel stehen. Dabei mögen im Ausführungsbeispiel 31 sowohl Beispiele für Verdünnungsmittel, wie sie im Anspruch 1 des Verfügungspatentes (mikrokristalline Cellulose und Stärke) beansprucht werden, als auch ein beanspruchtes Sprengmittel (Crospovidon) genannt werden. Genannt werden indes auch Bindemittel wie Povidon.
- Es wird zwar im Ausführungsbeispiel 31 auch deutlich gemacht, dass jedenfalls ein pharmazeutischer Hilfsstoff ausgewählt werden kann. Dass der Fachmann aufgrund dieser ursprünglich offenbarten Ausführungsform 31 den Gegenstand von Patentanspruch 1 umfassend den Wirkstoff, ein Verdünnungsmittel und ein Sprengmittel hingegen ohne ein Bindemittel ausgehend von den Ausführungsformen 78 und 79 unmittelbar und eindeutig entnimmt, ist nicht ohne Zweifel. Denn der Fachmann könnte aufgrund der Offenbarung dieser Ausführungsbeispiele und der dort genannten konkreten Zusammensetzung aus Wirkstoff, Verdünnungsmittel, Sprengmittel und Bindemittel auch zu der Ansicht gelangen, dass es gerade aufgrund der offenbarten Zusammensetzung auch auf die Anwesenheit eines Bindemittels ankommt, was ihm durch die ab Abs. 0057 erläuterten Beispiele bestätigt würde, welche insgesamt Povidon als Bindemittel enthalten.
- Ferner bestehen Zweifel, ob der zweite Punkt des genannten Wesentlichkeitstest erfüllt ist. Die Verfügungsklägerin verweist insofern darauf, dass der Fachmann erkenne, dass das Bindemittel für die Funktion der Erfindung unter Berücksichtigung der technischen Aufgabe nicht unerlässlich sei. Die Verfügungsklägerin behauptet, die technische Aufgabe liege darin, die Auflösung von kalziumrezeptoraktiven Verbindungen aus einer Dosierungsform sowie ihre Bioverfügbarkeit in vivo zu verbessern. Hierfür sei das Vorhandensein eines Bindemittels nicht erforderlich, da es die Funktion habe, die Kohäsion zwischen Feststoffteilchen zu erhöhen und die Bestandteile einer festen Darreichungsform zusammenzuhalten, um so beispielsweise für den Zusammenhalt in Granulaten zu sorgen. Zur Begründung, dass die genannte Aufgabe gelöst werde, verweist die Verfügungsklägerin auf die zum Stammpatent ergangene Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer vom 12. April 2018 (Anlage rop 13, 13a), welche im Hinblick auf das Stammpatent unter Ziffer 3.5 festgestellt hat, dass die technische Wirkung – verbesserte Auflösung – durch den Versuchsbericht II vom 21. November 2014 (Anlage rop 20, 20a des Parallelverfahrens 4c O 25/20) gestützt werde. Ob dies indes auch für die Erfindung nach dem Verfügungspatent gilt, ist nicht feststellbar. Denn sämtliche Versuche in dem Versuchsbericht II wurden mit einem Bindemittel durchgeführt, welches auch Gegenstand des Anspruchs 1 des Stammpatentes ist. Gleiches gilt – zwangsläufig – für die im Verfügungspatent in Abs. 0069 gezeigten experimentellen Daten, welche auf Versuchen beruhen, die mit einer Povidon enthaltenden Zusammensetzung durchgeführt wurden. Insoweit vermag die Kammer daher nicht festzustellen, dass der Fachmann erkennt, dass das Bindemittel für die Funktion der Erfindung unerlässlich ist. Denn sämtliche Versuche, die eine verbesserte Auflösung zeigen, wurden gerade mit einem Bindemittel durchgeführt.
- Dass ein Verstoß gegen Art. 123 Abs. 2 EPÜ nicht vorliegt und damit bereits aus diesem Grund der Rechtsbestand des Verfügungspatentes hinreichend gesichert ist, da ein Verstoß entweder positiv nicht feststellbar oder jedenfalls ungeklärt bleibt, vermag die Kammer nicht festzustellen.
- IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. - Streitwert: 1.000.000,00 EUR