4a O 77/19 – Oberflächen-Reinigungsvorrichtung

Düsseldorfer Entscheidungsnummer: 3006

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 31. März 2020, Az. 4a O 77/19

  1. I. Die Beklagten werden verurteilt,
  2. 1. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle mehrfacher Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft im Falle der Beklagten zu 1) an den Mitgliedern ihres Vorstandes zu vollziehen ist, zu unterlassen,
  3. Reinigungsvorrichtungen für verschmutzte und/oder kontaminierte Oberflächen, insbesondere für Laufflächen von Schuhen oder von Reifen von Fahrzeugen,
  4. in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen, oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,
  5. wobei die Reinigungsvorrichtung eine Bürstenvorrichtung mit einen Borstenträger und Borsten umfassenden Bürsten zur reinigenden Behandlung der Laufflächen sowie, eine Stützvorrichtung zur Abstützung der Laufflächen in einer Stützebene aufweist, wobei die Stützebene einen Arbeitsraum für die Laufflächen begrenzt und die Borsten sich jeweils mit einem freien Ende zum Arbeitsraum und zur Stützebene hin erstrecken, wobei die Borsten in einer Ruheposition mit der Stützebene einen Neigungswinkel (ß) größer 0° und kleiner 90° einschließen, die Stützebene mit ihren freien Enden durchgreifen, und die Stützebene mit einem Betrag (a) überragen,
  6. dadurch gekennzeichnet, dass die Reinigungsvorrichtung für eine Hauptbewegungsrichtung ausgelegt ist, in der die Fahrzeuge über die Stützebene fahrbar sind bzw. die Laufflächen von Schuhen an der Stützebene abrollbar sind, und dass sich die Borsten in oder senkrecht zur Hauptbewegungsrichtung längserstrecken,
    (EP 2 240 XXX B1, Anspruch 1)
  7. 2. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, geordneten Verzeichnisses in elektronischer Form vollständig darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagten die zu Ziffer l.1. bezeichneten Handlungen seit dem 20.03.2013 begangen haben, und zwar unter Angabe
  8. a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
  9. b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
  10. c) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
  11. wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
  12. 3. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, geordneten Verzeichnisses in elektronischer Form vollständig darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagten die zu Ziffer l.1. bezeichneten Handlungen seit dem 20.04.2013 begangen haben, und zwar unter Angabe
  13. a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Liefermengen, -zeiten und -preisen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,
  14. b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Angebotsmengen, -zeiten und -preisen sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
  15. c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Herstellungs- und Verbreitungsauflage, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
  16. d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
  17. wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht-gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernehmen und ihn ermächtigen, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter nicht-gewerblicher Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist;
  18. 4. die vorstehend zu Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 20.03.2013 im Besitz Dritter befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen gewerblichen Abnehmer, denen durch die Beklagten oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass das Gericht mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents EP 2 240 XXX B1 erkannt hat, aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagten zurückzugeben und ihnen für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe verbindlich zugesagt wird.
  19. II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 20.04.2013 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
  20. III. Der Beklagte zu 2) wird außerdem verurteilt, an die Klägerin € 3.759,50 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 25.09.2019 zu zahlen.
  21. IV. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  22. V. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten.
  23. VI. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 500.000. Daneben sind die Ansprüche auf Unterlassung und Rückruf (Ziff. I.1. und I.4. des Tenors) gemeinsam gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 375.000,00; die Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung (Ziff. I.2. und I.3. des Tenors) sind gemeinsam gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 50.000,00. Die Kostenentscheidung ist gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
  24. Tatbestand
  25. Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen unmittelbarer Patentverletzung auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf patentverletzender Erzeugnisse und deren Entfernung aus den Vertriebswegen sowie auf Feststellung der Schadensersatzpflicht dem Grunde nach in Anspruch. Den Beklagten zu 2) nimmt sie zusätzlich auf Erstattung von Abmahnkosten in Anspruch.
  26. Die Klägerin ist die im Register des Deutschen Patent- und Markenamts (vgl. Anlage rop2) eingetragene Inhaberin des deutschen Teils des Europäischen Patents EP 2 240 XXX B1 (nachfolgend: Klagepatent; vorgelegt in Anlage rop1). Das in deutscher Verfahrenssprache erteilte Klagepatent wurde am 22.01.2009 unter Inanspruchnahme des Prioritätsdatums 25.01.2008 der DE U angemeldet. Das Europäische Patentamt veröffentlichte am 20.03.2013 den Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents.
  27. Das Klagepatent steht in Kraft. Die Beklagte zu 1) reichte am 18.12.2019 eine Nichtigkeitsklage (vgl. Anlage B1 / Anlagenkonvolut B2) gegen das Klagepatent beim Bundespatentgericht ein (Az. 5 Ni 1/20 (EP)).
  28. Der geltend gemachte Anspruch 1 des Klagepatents lautet wie folgt:
  29. „Reinigungsvorrichtung (1) für verschmutzte und/oder kontaminierte Oberflächen, insbesondere für Laufflächen von Schuhen oder von Reifen von Fahrzeugen, wobei die Reinigungsvorrichtung (1) eine Bürstenvorrichtung (2) mit einen Borstenträger (4) und Borsten (5) umfassenden Bürsten (3) zur reinigenden Behandlung der Laufflächen (1) sowie, ein Stützvorrichtung (8) zur Abstützung der Laufflächen (L) in einer Stützebene (E) aufweist, wobei die Stützebene (E) einen Arbeitsraum (A) für die Laufflächen (L) begrenzt und die Borsten (5) sich jeweils mit einem freien Ende (9) zum Arbeitsraum (A) und zur Stützebene (E) hin erstrecken, wobei die Borsten (5) in einer Ruheposition mit der Stützebene (E) einen Neigungswinkel (ß) größer 0° und kleiner 90° einschließen, die Stützebene (E) mit ihren freien Enden (9) durchgreifen, und die Stützebene (E) mit einem Betrag (a) überragen,
  30. dadurch gekennzeichnet, dass die Reinigungsvorrichtung (1) für eine Hauptbewegungsrichtung (h) ausgelegt ist, in der die Fahrzeuge über die Stützebene (E) fahrbar sind bzw. die Laufflächen von Schuhen an der Stützebene (E) abrollbar sind, und dass sich die Borsten (5) in oder senkrecht zur Hauptbewegungsrichtung (h) längserstrecken.“
  31. Hinsichtlich der nur in der Form von Insbesondere-Anträgen geltend gemachten Unteransprüche 2, 5, 7 und 10 wird auf die Klagepatentschrift (Anlage rop1) verwiesen.
  32. Zur Veranschaulichung der beanspruchten Lehre wird nachfolgend Fig. 1 des Klagepatents verkleinert eingeblendet:
  33. Die Beklagte zu 1) ist ein polnisches Unternehmen. Der Beklagte zu 2) ist deren Hauptanteilseigner und Prokurist; er ist zudem als Einzelkaufmann unter der Firma „A“ aktiv. Die Beklagten bieten unter den Bezeichnungen „B“ und „C“ Reinigungsvorrichtungen an (nachfolgend: angegriffene Ausführungsformen; ein Katalog zu den angegriffenen Ausführungsform ist in Anlage rop4 vorgelegt worden). Die Beklagte zu 1) bewirbt die angegriffenen Ausführungsformen über ihre deutschsprachige Internetseite www.(…).de (vgl. den in Anlage rop5 vorgelegten Screenshot). Der Beklagte zu 2) lieferte eine angegriffene Ausführungsform an einen Kunden in Nordrhein-Westfalen.
  34. Die beiden Varianten der angegriffenen Ausführungsform unterscheiden sich nur hinsichtlich der Höhe ihrer Bauform. Nachfolgend wird ein Bild einer angegriffenen Ausführungsform (von S. 13 der Klage = Bl. 13 GA) eingeblendet:
  35. Die Klägerin mahnte den Beklagten zu 2) vorprozessual mit rechts- und patentanwaltlichen Schreiben vom 15.04.2019 (vgl. Anlage rop6) aus dem Klagepatent ab. Der Beklagte zu 2) wies die Abmahnung mit Schreiben vom 10.05.2019 (Anlage rop7) zurück.
  36. Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagten verletzten durch das Anbieten und Liefern der angegriffenen Ausführungsformen das Klagepatent unmittelbar. Dieses sei auch rechtsbeständig, so dass das Verfahren nicht auszusetzen sei.
  37. Die Klägerin beantragt:
  38. I. Die Beklagten werden verurteilt,
  39. 1. – wie erkannt, hinsichtlich der Insbesondere-Anträge wird auf die Klageschrift verwiesen –
  40. 2. – wie erkannt –
  41. 3. – wie erkannt –
  42. 4. die vorstehend zu Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 20.03.2013 im Besitz Dritter befindlichen Erzeugnisse
  43. a) – wie in Ziff. I.4. erkannt -, und
  44. b) aus den Vertriebswegen endgültig zu entfernen, indem die Beklagten diese Erzeugnisse wieder an sich nehmen oder nach Wahl der Klägerin die Vernichtung dieser Erzeugnisse beim jeweiligen Besitzer auf Kosten der Beklagten veranlassen;
  45. II. – wie erkannt –
  46. III. – wie erkannt –
  47. Die Beklagten beantragen,
  48. die Klage abzuweisen;
  49. hilfsweise:
    das Verfahren wird bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die am 18. Dezember 2019 unter dem Aktenzeichen 5 Ni 1/20 (EP) beim Bundespatentgericht eingegangene Nichtigkeitsklage der Beklagten zu 1 gegen den deutschen Teil des europäischen Patents EP 2 240 XXX B1 ausgesetzt.
  50. Die Beklagten tragen vor, die angegriffenen Ausführungsformen verletzten das Klagepatent nicht. Das Kennzeichen von Anspruch 1 enthalte keine gegenständlichen Merkmale zur Ausgestaltung der im Oberbegriff des Anspruchs behandelten Reinigungsvorrichtung, sondern nur Nutzungsvarianten. Ein solcher Anspruch könne nicht verletzt werden.
  51. Hilfsweise sei das Verfahren in Bezug auf das Nichtigkeitsverfahren auszusetzen, da die Lehre der geltend gemachten Ansprüche im Stand der Technik vorweggenommen sei. Zudem leide das Klagepatent an einer fehlenden Offenbarung.
  52. Die Klage ist den Beklagten jeweils am 24.09.2019 zugestellt worden.
  53. Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf die ausgetauschten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 03.03.2020 Bezug genommen.
  54. Entscheidungsgründe
  55. Die zulässige Klage ist weit überwiegend begründet. Die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichen die Lehre des Klagepatents (hierzu unter I.). Aufgrund der patentverletzenden Benutzungshandlungen der Beklagten stehen der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche aus Art. 64 EPÜ i.V.m. §§ 139 Abs. 1, Abs. 2, 140a Abs. 3, 140b Abs. 1 PatG, §§ 242, 259 BGB zu, wobei ein Anspruch auf Entfernung patentverletzender Vorrichtungen nicht zuerkannt werden konnte (hierzu unter II.). Im Rahmen des der Kammer zustehenden Ermessens wird das Verfahren nicht nach § 148 ZPO im Hinblick auf das Nichtigkeitsverfahren ausgesetzt (hierzu unter III.).
  56. I.
    Die angegriffenen Ausführungsformen machen von der Lehre des Klagepatents unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch.
  57. 1.
    Das Klagepatent (nachfolgend entstammen Abs. ohne Quellenangabe dem Klagepatent) betrifft eine Reinigungsvorrichtung für verschmutzte und/oder kontaminierte Oberflächen, insbesondere für Laufflächen von Schuhen oder von Reifen von Fahrzeugen. Derartige Reinigungsvorrichtungen weisen eine Bürstenvorrichtung mit Bürsten (aus Borstenträger und Borsten) zur reinigenden Behandlung der Laufflächen sowie ein Stützvorrichtung zur Abstützung der Laufflächen in einer Stützebene auf. Die Bürsten sind in einem Aufnahmeraum angeordnet, während die Stützebene einen Arbeitsraum für die Laufflächen begrenzt. Die Borsten erstecken sich mit ihren freien Enden vom Aufnahmeraum in den Arbeitsraum hinein (Abs. [0001]).
  58. In seiner einleitenden Beschreibung schildert das Klagepatent, dass derartige (gattungsgemäßen) Reinigungsvorrichtung im Stand der Technik vielfach bekannt sind. Hierbei kann die zu reinigende Oberfläche zum Beispiel über die Borsten gezogen und Schmutz von der Oberfläche abgebürstet werden (Abs. [0002]). In den Abs. [0003] bis [0006] nennt das Klagepatent verschiedene Schriften aus dem Stand der Technik, die Reinigungsvorrichtungen offenbaren, ohne hieran Kritik zu üben.
  59. Ferner beschreibt das Klagepatent, dass eine verbesserte Reinigungswirkung erzielt werden kann, indem die Borsten auf Bürstenleisten angeordnet sind, die über einen Antrieb hin und her bewegt werden können. Eine derartige Anlage ist zwar reinigungseffizient, aber auch aufwendig. Eine solche Ausführungsform sei in der DE XXX U1 beschrieben (Abs. [0007]).
  60. Vor diesem Hintergrund bezeichnet es das Klagepatent in Abs. [0008] als seine Aufgabe, eine Reinigungsvorrichtung der eingangs genannten Art bereitzustellen, die eine verbesserte Reinigungswirkung ermöglicht.
  61. 2.
    Zur Lösung schlägt das Klagepatent eine Reinigungsvorrichtung nach Maßgabe von Anspruch 1 vor, der sich in Form einer Merkmalsgliederung wie folgt darstellen lässt:
  62. 1 Reinigungsvorrichtung (1) für verschmutzte und/oder kontaminierte Oberflächen, insbesondere für Laufflächen von Schuhen oder von Reifen von Fahrzeugen.
  63. 1.1 Die Reinigungsvorrichtung (1) weist eine Bürstenvorrichtung (2) zur reinigenden Behandlung der Laufflächen (1) auf
  64. 1.1.1 mit Bürsten (3), die umfassen:
    1.1.1.1 einen Borstenträger (4) und
    1.1.1.2 Borsten (5).
  65. 1.2 Die Reinigungsvorrichtung (1) weist eine ein Stützvorrichtung (8) zur Abstützung der Laufflächen (L) in einer Stützebene (E) auf.
  66. 1.3 Die Stützebene (E) begrenzt einen Arbeitsraum (A) für die Laufflächen (L).
  67. 1.4 Die Borsten (5) erstrecken sich jeweils mit einem freien Ende (9) zum Arbeitsraum (A) und zur Stützebene (E) hin.
    1.4.1 Die Borsten (5) schließen in einer Ruheposition mit der Stützebene (E) einen Neigungswinkel (ß) größer 0° und kleiner 90° ein.
    1.4.2 Die Borsten (5) durchgreifen die Stützebene (E) mit ihren freien Enden (9).
    1.4.3 Die Borsten (5) überragen die Stützebene (E) mit einem Betrag (a).
  68. 1.5 Die Reinigungsvorrichtung (1) ist für eine Hauptbewegungsrichtung (h) ausgelegt, in der die Fahrzeuge über die Stützebene (E) fahrbar sind bzw. die Laufflächen von Schuhen an der Stützebene (E) abrollbar sind.
  69. 1.6 Die Borsten (5) längserstrecken sich in oder senkrecht zur Hauptbewegungsrichtung (h).
  70. 3.
    Der geltend gemachte Anspruch schützt eine Reinigungsvorrichtung, die – wie im Stand der Technik bekannt – eine Stützvorrichtung aufweist, welche die Laufläche in einer Stützebene abstützt (Merkmal 1.2) und so einen Arbeitsraum begrenzt (Merkmal 1.3). Nach Abs. [0022] kann die Stützvorrichtung beispielsweise ein übliches Gestell mit die Stützebene bildenden Stäben aufweisen. Die Stäbe können beabstandet zueinander angeordnet sein und Zwischenräume begrenzen, in denen die Bürsten positioniert sind.
  71. Weiter umfasst die Reinigungsvorrichtung eine Bürstenvorrichtung mit Bürsten aus Borstenträger und Borsten (Merkmalsgruppe 1.1).
  72. Die Merkmalsgruppe 1.4 betrifft die Borsten. Deren freien Enden sollen sich in den Arbeitsraum hinein erstrecken, wobei sie die Stützebene durchgreifen und diese überragen (Merkmal 1.4, 1.4.2, 1.4.3). Vereinfacht ausgedrückt sollen die Borsten mit ihren freien Enden die zu reinigenden Lauflächen oberhalb der Stützebene erreichen können. Weiterhin sollen die Borsten nach Merkmal 1.4.1 in der Ruheposition mit der Stützebene einen Neigungswinkel zwischen 0 und 90 Grad einschließen. Hierdurch sind die Borsten unter einer äußeren Belastung senkrecht zur Stützebene, wie unter Anlage oder Abrollen der Lauffläche an der Stützebene, um eine Achse parallel zur Stützebene so elastisch biegsam, dass ihre freien Enden relativ zur Stützebene bewegbar sind (Abs. [0012]). Auf diese Weise können die Borsten stirnseitig oder endbereichsseitig mit ihren freien Enden reibend entlang der Lauffläche rutschen. Mit anderen Worten: Beim Überfahren der Stützebene werden die die Stützebene durchragenden freien Enden heruntergebogen und schaben hierbei über die Lauffläche. Eine effektive Reinigung der Lauffläche kann so auch bei einem reinen Absenken, d.h. bei einem Absenken senkrecht zur Stützebene, erzielt werden (Abs. [0013]). Somit wird eine zum Abbürsten notwendige Relativbewegung zwischen den Borstenenden und der zu reinigenden Oberfläche ohne zusätzliche bewegbare Teile, insbesondere ohne motorische Antriebe, erzielt, so dass ein sehr einfacher und robuster Aufbau der Reinigungsvorrichtung möglich ist (Abs. [0014]).
  73. Vom Stand der Technik unterscheidet sich das Klagepatent darin, dass es eine Längserstreckung der Borsten in oder senkrecht zur Hauptbewegungsrichtung vorsieht (Merkmal 1.6, vgl. Abs. [0009]). Diese Hauptbewegungsrichtung h ist nach Merkmal 1.5 die Richtung, in der Fahrzeuge die Stützebene durchfahren können bzw. Laufflächen von Schuhen abgerollt werden können.
  74. 4.
    Die angegriffenen Ausführungsformen machen von Anspruch 1 des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch.
  75. a)
    Die Verwirklichung der allein streitigen Merkmale 1.5 und 1.6,
  76. „1.5 Die Reinigungsvorrichtung (1) ist für eine Hauptbewegungsrichtung (h) ausgelegt, in der die Fahrzeuge über die Stützebene (E) fahrbar sind bzw. die Laufflächen von Schuhen an der Stützebene (E) abrollbar sind.
  77. 1.6 Die Borsten (5) längserstrecken sich in oder senkrecht zur Hauptbewegungsrichtung (h)“,
  78. durch die angegriffene Ausführungsform lässt sich feststellen.
  79. aa)
    Nach diesen Merkmalen muss eine patentgemäße Vorrichtung eine Hauptbewegungsrichtung aufweisen (Merkmal 1.5), in der oder senkrecht zu der sich die Borsten längserstrecken (Merkmal 1.6).
  80. Wie die Hauptbewegungsrichtung festgelegt wird, überlässt das Klagepatent dem Fachkönnen des Fachmanns. Es lässt sich dem Klagepatent auch nicht entnehmen, dass ein Überfahren nur in Hauptbewegungsrichtung möglich sein darf. Es soll sich patentgemäß nur um die Hauptbewegungsrichtung handeln, was impliziert, dass andere („Neben-“) Bewegungsrichtungen möglich sind.
  81. (1)
    Das Klagepatent erfasst zwei alternative Anordnungen der Borsten: Einerseits eine Längserstreckung in Hauptbewegungsrichtung; anderseits eine Längserstreckung senkrecht zur Hauptbewegungsrichtung. Hierzu erläutert das Klagepatent in Abs. [0011], dass die erste Variante (in Hauptbewegungsrichtung) vorteilhaft bei der Reinigung von Laufflächen mit Längsrillen sei, während die Anordnung senkrecht zur Hauptbewegungsrichtung vorteilhaft bei der Reinigung von Laufflächen von Bereifungen mit ausgeprägten Querrillen, wie bei Baustellenwerkzeugen und landwirtschaftlichen Maschinen sei.
  82. (2)
    Durch die Längserstreckung der Borsten in oder senkrecht zur Hauptbewegungsrichtung nach Merkmal 1.6 kann verhindert werden, dass sich die Borsten abgeschabten Schmutz einander zuschieben. Hierzu schildert das Klagepatent, dass im Stand der Technik die Borsten in üblicher Weise so zusammenfasst sind, dass sie zu ihren freien Enden hin fächerartig auseinander gehen, um u.a. mit ihren freien Enden eine möglichst große Fläche zu bilden. Bei einer senkrechten Belastung würden sich die Borstenenden jedoch gegenseitig behindern und den abgeschabten Schmutz zuschieben, was sich bei radial nach außen geneigten Borstenbüscheln sogar noch verstärkt (vgl. Abs. [0010]). Durch die anspruchsgemäße Längserstreckung der Borsten wird dies verhindert.
  83. Ferner können sie sich die Borsten aufgrund der Längserstreckung nicht gegenseitig behindern, indem ihre Enden beim Schaben gegeneinanderstoßen. Hierdurch kann nach der Lehre des Klagepatents eine Verbesserung der Reinigungswirkung erzielt werden. Somit können die Borsten dichter gepackt auf dem Borstenträger angeordnet werden, welches die Reinigungswirkung weiter verbessern kann. Zudem können die Borsten in Borstenbüscheln oder -reihen sich gegenseitig besser stützen, so dass eine erhöhte Steifigkeit und damit eine verbesserte Reinigungswirkung erzielt werden kann (Abs. [0010]).
  84. (3)
    Entgegen der Auffassung der Beklagten sind die Merkmale 1.5 und 1.6 nicht gegenstandslos. Sie erhalten die räumlich-körperlichen Vorgaben, eine Hauptbewegungsrichtung zu definieren und die Borsten in einer bestimmten Weise hierzu anzuordnen. Es handelt sich dabei nicht lediglich um Nutzungsvarianten, sondern Eigenschaften der beanspruchten Vorrichtung selbst.
  85. bb)
    Hiernach sind die Merkmale 1.5 und 1.6 in den angegriffenen Ausführungsformen verwirklicht. Die Klägerin hat in der Klageschrift die Merkmalsverwirklichung dargelegt. Wie auf dem Bild der angegriffenen Ausführungsform auf S. 13 der Klageschrift (= Bl. 13 GA) erkennbar ist, sind die angegriffenen Ausführungsformen in einer Hauptbewegungsrichtung überfahrbar, in der die Borsten sich quer zu dieser Richtung längserstrecken.
  86. Dies haben die Beklagten nicht wirksam in Abrede gestellt. Sie tragen nicht vor, inwieweit sich die angegriffenen Ausführungsformen von der Lehre der genannten Merkmale unterscheiden sollen. Ihre Argumentation, es handele sich um „keine gegenständlichen Merkmale“, so dass diese nicht verletzt werden könnten, verfängt nicht. Sofern man den Vortrag dahingehend verstehen soll, dass sich diese Merkmale nicht zur Abgrenzung vom Stand der Technik eignen, ist dies für die Frage der Verletzung unerheblich, sondern wäre allenfalls für den Rechtsbestand im Rahmen der Aussetzungsdiskussion relevant.
  87. Es kann die Verletzung eines Patentanspruchs prinzipiell nicht ausschließen, wenn ein Merkmal nicht „gegenständlich“ sein soll oder eine Nutzungsvariante schützt. Das Klagepatent ist mit den Merkmalen von Anspruch 1 erteilt worden – dieser Anspruch wird benutzt, wenn alle Merkmale erfüllt sind.
  88. b)
    Die Verwirklichung der Merkmale 1 bis 1.4.3 von Anspruch 1 stellen die Beklagten zutreffend nicht in Abrede, so dass hierzu weitere Ausführungen nicht angezeigt sind.
  89. II.
    Die Beklagten verletzen das Klagepatent, indem sie die angegriffenen Ausführungsformen entgegen § 9 S. 2 Nr. 1 PatG im Inland Anbieten und in Verkehr bringen. Aufgrund der festgestellten Patentverletzung ergeben sich die zuerkannten Rechtsfolgen, wobei der Entfernungsantrag abzuweisen war.
  90. 1.
    Der Unterlassungsanspruch beruht auf Art. 64 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 1 PatG, da die Benutzung des Erfindungsgegenstandes im Inland ohne Berechtigung erfolgt.
  91. 2.
    Die Klägerin hat gegen die Beklagten dem Grunde nach einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz, der aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 2 PatG folgt.
  92. Als Fachunternehmen hätten die Beklagten die Patentverletzung bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest erkennen können, § 276 BGB.
  93. Da überdies durch die rechtsverletzenden Handlungen der Beklagten die Entstehung eines Schadens hinreichend wahrscheinlich ist, der durch die Klägerin aber noch nicht beziffert werden kann, weil sie den Umfang der rechtsverletzenden Benutzungshandlungen ohne ihr Verschulden nicht im Einzelnen kennt, ist ein rechtliches Interesse der Klägerin an der Feststellung der Schadensersatzverpflichtung anzuerkennen, § 256 ZPO.
  94. 3.
    Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsformen ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung der geschützten Lehre unmittelbar aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 140b Abs. 1 PatG, der Umfang der Auskunftspflicht aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 140b Abs. 3 PatG.
  95. Die weitergehende Auskunftspflicht folgt aus Art. 64 EPÜ i.V.m. §§ 242, 259 BGB. Damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, ihre Schadensersatzansprüche zu beziffern, steht ihr gegen die Beklagten ein Anspruch auf Auskunft im zuerkannten Umfang zu. Die Klägerin ist auf die Angaben angewiesen, über die sei ohne eigenes Verschulden nicht verfügt; die Beklagten werden durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet.
  96. 4.
    Die Klägerin kann die Beklagten aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 140a Abs. 3 PatG auf Rückruf patentverletzender Erzeugnisse in Anspruch nehmen. Eine Unverhältnismäßigkeit nach § 140a Abs. 4 PatG ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
  97. Soweit die Klägerin zudem die Entfernung patentverletzender Erzeugnisse aus den Vertriebswegen beantragt hat, war der Antrag allerdings abzuweisen. Zwar besteht grundsätzlich ein Anspruch aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 140 Abs. 3 PatG auf Entfernung aus dem Vertriebswegen, allerdings ist der diesbezügliche Antrag in der gestellten Fassung unzulässig.
  98. Nach dem Antrag der Klägerin soll die Beklagte verurteilt werden, nach „Wahl der Klägerin“ die patentverletzenden Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen oder deren Vernichtung beim jeweiligen Besitzer zu veranlassen.
  99. Aufgrund dieser Wahlmöglichkeit ist der Antrag nicht gewährbar. Unabhängig davon, ob man – aus Sicht der Kammer zutreffend – aus Bestimmtheitsgründen verlangt, die geschuldete Maßnahme konkret vorzugeben (Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 12. Aufl. 2020, Kap. D. Rn. 731; BeckOK PatR/Rinken, 15. Ed. 15.1.2020, PatG § 140a Rn. 61) oder die Wiedergabe des Gesetzeswortlaut ausreichen lässt (so Benkard PatG/Grabinski/Zülch, 11. Aufl. 2015, PatG § 140a Rn. 20 m.w.N.), ist es jedenfalls unzulässig, dem Kläger im Urteil die Wahlmöglichkeit zwischen zwei konkreten Entfernungsmaßnahmen zuzuerkennen. Bei einer schuldrechtlichen Wahlschuld mit Wahlrecht des Gläubigers muss dieser sein Wahlrecht spätestens mit Antragstellung im Prozess ausüben (MüKoBGB/Krüger, 8. Aufl. 2019, BGB § 263 Rn. 9). Sein Wahlrecht erlischt also spätestens im Rahmen des Gerichtsverfahrens, in dem die geschuldete Leistung eingeklagt wird (BeckOGK/Krafka, 1.2.2020, BGB § 263 Rn. 23-25). Dies hat auch für den hier vorliegenden gesetzlichen Anspruch auf Entfernung patentverletzender Erzeugnisse zu gelten. Im Übrigen ist in der beantragten Fassung ungewiss, bis zu welchem Zeitpunkt und auf welche Weise die Klägerin ihr Wahlrecht ausüben müsste. Auch könnte die Klägerin nach ihrer Antragsfassung für jedes einzelne Exemplar der angegriffenen Ausführungsformen jeweils die Art der Entfernung auswählen, was die Erfüllung dieses Anspruchs unnötig erschweren würde.
  100. Dem steht nicht entgegen, dass etwa beim Vernichtungsanspruch der Verletzer zwischen zwei Möglichkeiten wählen kann, wie er den Anspruch erfüllen möchte. Bei einer vertraglichen Wahlschuld mit Wahlrecht des Schuldners ist gleichermaßen anerkannt, dass die Wahl erst beim Beginn der Zwangsvollstreckung vorgenommen werden muss (MüKoBGB/Krüger, 8. Aufl. 2019, BGB § 263 Rn. 9).
  101. In der mündlichen Verhandlung vom 03.03.2020 hat die Kammer der Klägerin auch vorgeschlagen, die Wahl auf eine Variante der Entfernung zu beschränken. Die Klägerin hat aber darauf beharrt, den Antrag nicht zu ändern.
  102. Eine der beiden Alternativen als Minus zum Wahlrecht kann nicht zuerkannt werden, da unklar ist, welche Maßnahme vorrangig begehrt wird. Da die Klägerin zwei konkrete Maßnahmen beantragt hat, konnte – unabhängig von den Bedenken hinsichtlich der Bestimmtheit – keine allgemein formulierte Verurteilung zur Entfernung erfolgen.
  103. 5.
    Die Klägerin kann von dem Beklagten zu 2) ferner aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 2 PatG Ersatz der Anwaltskosten für das Abmahnschreiben in Höhe von EUR 3.759,50 verlangen.
  104. Dieser Betrag ergibt sich aus einer 1,5 Geschäftsgebühr auf einen Gegenstandswert von EUR 300.000,00 (= EUR 3.739,50) zuzüglich EUR 20,00 Auslagenpauschale. Die angesetzte Gebührenhöhe von 1,5 erscheint nicht unangemessen. Soweit ein Sachverhalt vorliegt, der aufgrund des Umfangs oder der Schwierigkeit beim Tätigwerden des Rechtsanwalts ein Übersteigen der Regelgebühr von 1,3 zulässt, ist dem Rechtsanwalt ein Ermessen bei der Gebührenfestsetzung in einem Toleranzbereich von 20 % einzuräumen (BGH, GRUR-RR 2012, 491 – Toleranzbereich). Ein Übersteigen der 1,3 Gebühr ist hier zulässig, da es sich um einen Patentverletzungsstreitfall handelt, der auch nicht ausnahmsweise völlig unkompliziert ist. Unter Berücksichtigung des der Klägerin somit zustehenden Ermessenspielraum bei der Festsetzung der Geschäftsgebühr erscheint eine 1,5 Gebühr nicht unangemessen überhöht.
  105. Der Zinsanspruch ab Rechtshängigkeit ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.
  106. III.
    Im Rahmen des der Kammer nach § 148 ZPO zustehenden Ermessens wird das Verfahren nicht in Bezug auf das Nichtigkeitsverfahren bezüglich des Klagepatents ausgesetzt, wobei es nicht darauf ankommt, dass die Nichtigkeitsklage im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung vor der Kammer noch nicht zugestellt war.
  107. 1.
    Nach § 148 ZPO kann das Gericht bei Vorgreiflichkeit eines anderen Verfahrens einen Rechtsstreit aussetzen. Die Erhebung einer Nichtigkeitsklage stellt allerdings ohne weiteres noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen. Die Patenterteilung ist auch für die (Verletzungs-) Gerichte bindend. Wegen der gesetzlichen Regelungen, die für die Ansprüche nach §§ 139 ff. PatG lediglich ein in Kraft stehendes Patent verlangen und für die Beseitigung dieser Rechtsposition nur die in die ausschließliche Zuständigkeit des Patentgerichts fallende Nichtigkeitsklage und den Einspruch vor dem jeweiligen Patentamt zur Verfügung stellen, kann der Angriff gegen das Klagepatent nicht als Einwand im Verletzungsverfahren geführt werden. Jedoch darf dies nicht dazu führen, dass diesem Angriff jede Auswirkung auf das Verletzungsverfahren versagt wird. Die Aussetzung des Verletzungsstreits im Rahmen der nach § 148 ZPO zu treffenden Ermessenentscheidung ist vielmehr grundsätzlich, aber auch nur dann geboten, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass das Klagepatent der erhobenen Nichtigkeitsklage oder dem erhobenen Einspruch nicht standhalten wird (BGH, GRUR 2014, 1237 – Kurznachrichten; OLG Düsseldorf, GRUR-RS 2015, 18679).
  108. 2.
    Eine solche hinreichende Wahrscheinlichkeit der Vernichtung des Klagepatents kann von der Kammer nicht festgestellt werden.
  109. a)
    Es lässt sich nicht feststellen, dass die Lehre von Anspruch 1 im Stand der Technik neuheitsschädlich vorweggenommen oder zumindest nahegelegt war (Nichtigkeitsgrund nach Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i.V.m. Art. 54 bzw. Art. 56 EPÜ). Zur erfinderischen Tätigkeit machen die Beklagten keine ausreichenden Angaben; insbesondere wird zur Veranlassung des Fachmanns nichts dargetan.
  110. aa)
    Die Entgegenhaltung NK1 (das Gebrauchsmuster DE 75 20 XXX U) bietet keine ausreichende Grundlage für eine Aussetzung.
  111. Die NK1 ist im Erteilungsverfahren gewürdigter Stand der Technik; nach Abs. [0003] des Klagepatents offenbart sie eine gattungsgemäße Vorrichtung. Eine bereits im Erteilungsverfahren gewürdigte Schrift kann nur dann eine Aussetzung begründen, wenn die Kammer feststellen kann, dass die Erteilungsentscheidung des Patentsamts offensichtlich falsch war. Dies ist hier nicht der Fall. Anspruch 1 unterscheidet sich jedenfalls durch die Merkmale 1.5 und 1.6 von dem Gegenstand der NK1. Die NK1 offenbart keine Hauptbewegungsrichtung; die Borsten sind jeweils kreisförmig angeordnet.
  112. Dass die Merkmale 1.5 und 1.6 nicht geeignet sind, die Patentfähigkeit zu begründen, ist nicht ersichtlich. Wie oben unter Ziff. I.4.a)aa)(3) dargelegt wurde, sind diese Merkmale nicht gegenstandslos.
  113. bb)
    Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Vernichtung des Klagepatents kann die Kammer auch für den Rechtsbestandsangriff auf Grundlage der NK2 (die JPS XX-XXX) nicht prognostizieren. Die NK2 war im Erteilungsverfahren des Klagepatents bereits bekannt und wird auf dessen Deckblatt zitiert.
  114. Auf Grundlage des Vortrages der Klägerin (auch im Nichtigkeitsverfahren) kann die Offenbarung der Merkmale 1.5 und 1.6 in der NK2 nicht festgestellt werden. Aufgrund der vorgetragenen ringartigen Anordnung der Borsten in der NK2 existiert bei der dort gezeigten Vorrichtung gerade keine Hauptbewegungsrichtung im Sinne der Merkmale 1.5 und 1.6.
  115. cc)
    Die Entgegenhaltung NK3 (die JPS XX-XX) nimmt auch nach dem Vortrag der Beklagten in der Klageerwiderung (dort …) und in der Nichtigkeitsklage (S. 6 f. Anlagenkonvolut B2) Anspruch 1 nicht vorweg. Vielmehr wird die NK3 nur für die Offenbarung der Merkmale der (Unter-) Ansprüche 5, 7 und 10 angeführt.
  116. b)
    Soweit die Beklagten eine „fehlende Offenbarung“ rügen, machen sie damit die mangelnde Ausführbarkeit (Nichtigkeitsgrund nach Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜG) der beanspruchten Lehre geltend. Eine solche ist nicht ersichtlich.
  117. Die Beklagten meinen, der Fachmann wisse nicht, ob er zur Umsetzung der beanspruchten Lehre einen saugfähigen oder saugunfähigen Werkstoff verwenden soll. Dem kann nicht gefolgt werden. Der Anspruch verhält sich nicht zu dem Werkstoff, aus dem die Borsten hergestellt sind. Aus Abs. [0017] entnimmt der Fachmann, dass alle üblichen Borstenwerkstoffe in Betracht kommen; ferner werden verschiedene Stoffe beispielshaft genannt. Abs. [0019] lehrt, dass sowohl saugfähige als auch nicht saugfähige Borsten verwendet werden können. Schon aus diesem Grund weiß der Fachmann, wie er die patentgemäße Lehre ausführen soll. Die These der Beklagten, die in Abs. [0017] genannten Werkstoffe seien saugfähig und besäßen bei der Aufnahme von Flüssigkeit keine zur Reinigung ausreichende Steifigkeit, wird nicht belegt. Auf dieser Grundlage kann die nicht mit fachkundigen Technikern besetzte Kammer eine mangelnde Ausführbarkeit nicht feststellen.
  118. IV.
    Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 100, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Das Unterliegen der Klägerin ist geringfügig, da es nur den Entfernungsanspruch betrifft.
  119. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
  120. V.
    Der Streitwert wird auf EUR 500.000,00 festgesetzt.
  121. 1.
    Der Streitwert wird vom Gericht nach § 51 Abs. 1 GKG im billigen Ermessen festgesetzt und orientiert sich am wirtschaftlichen Interesse des Klägers an der Durchsetzung des Klageschutzrechts zum Zeitpunkt der Klageeinreichung. Hierbei kommt der Streitwertangabe des Klägers eine hohe indizielle Bedeutung zu, insbesondere, wenn sie zu einem Zeitpunkt gemacht wird, zu dem der Ausgang des Rechtsstreits noch nicht bekannt ist (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.04.2010 – I-2 W 10/10; Grabinski/Zülch in: Benkard, PatG, 11. Aufl., 2015, § 139 Rn. 166). Es kommt vorrangig auf die Verhältnisse beim Kläger und dessen Interesse an der Verhinderung von Schutzrechtsverletzungen an und nur indirekt auf die Verhältnisse bei dem Beklagten (Grabinski/Zülch in Benkard, PatG, 11. Aufl. 2015, § 139 Rn. 165).

    2.
    Der auf EUR 500.000,00 festgesetzte Streitwert korrespondiert mit der Streitwertangabe der Klägerin in der Klageschrift.

  122. Aufgrund der Patentverletzung sind erhebliche Umsätze der Klägerin bedroht, welche die Streitwertangabe angemessen erscheinen lassen. In der mündlichen Verhandlung vom 03.03.2020 hat die Klägerin unwidersprochen vorgetragen, dass der Umsatz mit dem patentgeschützten Produkt der Klägerin ca. EUR X bis X Mio. jährlich beträgt, wovon X auf das Inland entfallen. Bei den wirtschaftlichen Interessen der Klägerin ist auch die noch recht lange mögliche Restlaufzeit des Klagepatents bis 202X zu berücksichtigen.
  123. Soweit die Beklagten in der Klageerwiderung vortragen, „die Beklagte“ habe bislang nur einen Umsatz von EUR X mit den angegriffenen Ausführungsformen in Deutschland erzielt, kann hieraus nicht geschlossen werden, dass die Streitwertangabe der Klägerin übersetzt ist. Zum einen kommt es primär auf die Verhältnisse bei der Klägerin an. Zum anderen kann sich der Umsatz der Beklagten innerhalb der Restlaufzeit des Klagepatents noch deutlich steigern, insbesondere da die angegriffene Ausführungsform das patentgeschützte Produkt der Klägerin nach deren Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 03.03.2020 preislich massiv unterbietet.

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