4a O 82/18 – Fahrzeugdach mit Deckel

Düsseldorfer Entscheidungsnummer: 3003

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 17. März 2020, Az. 4a O 82/18

  1. I. Die Beklagte wird verurteilt,
  2. 1. es bei Meldung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 250.000,- EUR, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, die an den gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollstrecken ist, zu unterlassen,
  3. a) Fahrzeugdächer mit einem Deckel, der ausgehend von einer Schließstellung, in welcher der Deckel eine Dachöffnung verschließt, zum Öffnen durch Ausstellmittel an seiner Hinterkante in eine Lüftungsstellung anhebbar und anschließend durch Verschiebemittel über mindestens einen Teil seiner Längserstreckung über einen hinteren Dachabschnitt nach hinten in eine Öffnungsstellung verschiebbar ist,
  4. wobei die Ausstellmittel einen Ausstellhebel umfassen, von welchem ein fahrzeugseitiges Hebelende um eine fahrzeugfeste Querachse verschwenkbar angelenkt ist und von welchem ein deckelseitiges Hebelende am Deckel um eine Querachse verschwenkbar und längsverschiebbar geführt ist, wobei die Ausstellmittel ferner einen Aussteilschlitten umfassen, der in seiner fahrzeugfesten, in Längsrichtung (x) sich erstreckenden Führungsschiene verschiebbar geführt ist und eine Schlittenkulisse aufweist, in welche ein zwischen den beiden Hebelenden vorgesehener Kulissenstiftabschnitt des Ausstellhebels eingreift, um bei einer Verschiebung des Ausstellschlittens die Verschwenkung des Ausstellhebels zu bewirken,
  5. dadurch gekennzeichnet, dass in der Lüftungsstellung eine Verbindungslinie, welche die an den beiden Hebelenden vorgesehenen Verschwenkungsachsen miteinander verbindet, im Wesentlichen in einer Hochrichtung (z) verläuft,
    in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen und/oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen;
    (unmittelbare Verletzung des Anspruchs 1 der DE 10 2006 XXX 632)
    b) Fahrzeugdächer mit einem Deckel, der ausgehend von einer Schließstellung, in welcher der Deckel eine Dachöffnung verschließt, zum Öffnen durch Ausstellmittel an seiner Hinterkante in eine Lüftungsstellung anhebbar und anschließend durch Verschiebemittel über mindestens einen Teil seiner Längserstreckung über einen hinteren Dachabschnitt nach hinten in eine Öffnungsstellung verschiebbar ist,
    wobei die Ausstellmittel einen Ausstellhebel umfassen, von welchem ein fahrzeugseitiges Hebelende um eine fahrzeugfeste Querachse verschwenkbar angelenkt ist und von welchem ein deckelseitiges Hebelende am Deckel um eine Querachse verschwenkbar und längsverschiebbar geführt ist,
    wobei die Ausstellmittel ferner einen Ausstellschlitten umfassen, der in seiner fahrzeugfesten, in Längsrichtung (x) sich erstreckenden Führungsschiene verschiebbar geführt ist und eine Schlittenkulisse aufweist, in welche ein zwischen den beiden Hebelenden vorgesehener Kulissenstiftabschnitt des Ausstellhebels eingreift, um bei einer Verschiebung des Ausstellschlittens die Verschwenkung des Ausstellhebels zu bewirken,
    dadurch gekennzeichnet, dass die am fahrzeugseitigen Hebelende vorgesehene Verschwenkungsachse in Hochrichtung (z) betrachtet unterhalb der Führungsschiene angeordnet ist,
  6. in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen und/oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen;
    (unmittelbare Verletzung des nebengeordneten Anspruchs 2 der DE 10 2006 XXX 632)
  7. 2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, welchem Umfang die Beklagte die unter Ziff. I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 27.04.2008 begangen hat, und zwar unter Vorlage eines chronologisch geordneten Verzeichnisses unter Angabe
  8. a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
    b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
    c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen und bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
    wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Einkaufs- oder Verkaufsbelege (Rechnungen) in Kopie oder, falls keine Rechnungen ausgestellt wurden, Lieferpapiere in Kopie vorzulegen sind, und wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
    3. der Klägerin schriftlich darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die vorstehend zu Ziff. I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 27.04.2008 begangen hat, und zwar unter Vorlage eines chronologisch geordneten Verzeichnisses unter Angabe
    a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie aufgeschlüsselt nach den Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
    b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen unter Einschluss von Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
    wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, Namen und Anschriften ihrer Angeboteempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Angebotsempfänger in dem Verzeichnis enthalten ist,
    c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, der Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, im Falle von Internetwerbung der jeweiligen Domain, Zugriffszahlen und Schaltungszeiträume,
    d) der nach einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten, einschließlich Bezugspreisen, und des erzielten Gewinns;
    4. die vorstehend unter Ziff. I.1. bezeichneten, seit dem 27.03.2008 in den Verkehr gelangten und im Besitz gewerblicher Abnehmer befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen gewerblichen Abnehmer, die sich im Besitz dieser Erzeugnisse befinden, schriftlich darüber informiert werden, dass das angerufene Gericht auf eine Verletzung des deutschen Patents DE 10 2006 XXX 632 B3 erkannt hat, und sie aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagte zurückzugeben, und den gewerblichen Abnehmern im Fall der Rückgabe der Erzeugnisse die Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der durch die Rückgabe entstehenden Verpackungs- und Transport- bzw. Versandkosten zugesagt wird;
    5. die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder Eigentum befindlichen, unter Ziffer I.1. bezeichneten Erzeugnisse an einen von der Klägerin beauftragten Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben oder nach ihrer Wahl selbst zu vernichten.
    II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 27.04.2008 begangenen Handlungen entstanden ist und künftig noch entstehen wird.
    III. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
    IV. Das Urteil ist insgesamt gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 500.000,00 EUR vorläufig vollstreckbar.
    Daneben sind die Ansprüche auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung (Ziffern I.1, I.4 und I.5 des Tenors) gemeinsam gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 375.000,00 EUR. Ferner sind die Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung (Ziffern I. 2 und I. 3 des Tenors) gemeinsam gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 100.000,00 EUR. Die Kostenentscheidung (Ziffer III. des Tenors) ist gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
  9. Tatbestand
  10. Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen behaupteter Patentverletzung auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf und Vernichtung, sowie Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, Schadensersatz zu leisten, in Anspruch.
  11. Die Klägerin ist die im Register des Deutschen Patent- und Markenamts (vgl. den in Anlage TW 4 vorgelegten Registerauszug) eingetragene Inhaberin des deutschen Patents DE 10 2006 XXX 632 (nachfolgend: Klagepatent). Die Klagepatentschrift wurde als Anlage TW 3 zur Akte gereicht. Das Klagepatent wurde am 27.09.2006 angemeldet. Das Deutsche Patent- und Markenamt veröffentlichte am 27.03.2008 den Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents.
  12. Das Klagepatent steht in Kraft. Die Beklagte hat unter dem 29.01.2019 die hier als Anlage B 4 zur Akte gereichte Nichtigkeitsklage vor dem Bundespatentgericht erhoben. Eine Entscheidung steht noch aus.
  13. Das Klagepatent betrifft ein öffnungsfähiges Fahrzeugdach mit Ausstellmechanik, auch als Spoilerdach bezeichnet. Die nachfolgend eingeblendete Figur zeigt die Ansicht eines solchen Spoilerdachs in Lüftungsstellung.
  14. Die geltend gemachten Ansprüche 1 und 2 des Klagepatents lauten:
  15. Anspruch 1:
    Fahrzeugdach mit einem Deckel (12), der ausgehend von einer Schließstellung (Fig. 1), in welcher der Deckel eine Dachöffnung verschließt, zum Öffnen durch Ausstellmittel an seiner Hinterkante (14) in eine Lüftungsstellung (Fig. 2) anhebbar und anschließend durch Verschiebemittel über mindestens einen Teil seiner Längserstreckung über einen hinteren Dachabschnitt (16) nach hinten in eine Öffnungsstellung (Fig. 3) verschiebbar ist, wobei die Ausstellmittel einen Ausstellhebel (18) umfassen, von welchem ein fahrzeugseitiges Hebelende (18-1) um eine fahrzeugfeste Querachse (20-1) verschwenkbar angelenkt ist und von welchem ein deckelseitiges Hebelende (18-2) am Deckel um eine Querachse (20-2) verschwenkbar und längsverschiebbar geführt ist, wobei die Ausstellmittel ferner einen Ausstellschlitten (24) umfassen, der in einer fahrzeugfesten, in Längsrichtung (x) sich erstreckenden Führungsschiene (26) verschiebbar geführt ist und eine Schlittenkulisse (28) aufweist, in welche ein zwischen den beiden Hebelenden (18-1, 18-2) vorgesehener Kulissenstiftabschnitt (30) des Ausstellhebels (18) eingreift, um bei einer Verschiebung des Ausstellschlittens (24) die Verschwenkung des Ausstellhebels (18) zu bewirken, dadurch gekennzeichnet, dass in der Lüftungsstellung (Fig. 2) eine Verbindungslinie, welche die an den beiden Hebelenden (18-1, 18-2) vorgesehenen Verschwenkungsachsen (20-1, 20-2) miteinander verbindet, im Wesentlichen in einer Hochrichtung (z) verläuft.
  16. Anspruch 2:
    Fahrzeugdach nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1, insbesondere nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die am fahrzeugseitigen Hebelende (18-1) vorgesehene Verschwenkungsachse (20-1) in Hochrichtung (z) betrachtet unterhalb der Führungsschiene (26) angeordnet ist.
  17. Beide Parteien sind Zulieferunternehmen der Automobilindustrie.
  18. Die Beklagte vertreibt ein bewegliches Fahrzeugdach in der Bundesrepublik Deutschland, welches über eine Ausstelltechnik in eine Lüftungsposition gebracht werden kann (sogenanntes Spoilerdach, im Folgenden als angegriffene Ausführungsform bezeichnet) und welches unter anderem in das Fahrzeugmodell A des Unternehmens B verbaut wird.
  19. Die Klägerin ist der Auffassung, die angegriffene Ausführungsform mache von sämtlichen Merkmalen der Klagepatentansprüche 1 und 2 unmittelbar und wortsinngemäß Gebrauch. Insbesondere verfüge die angegriffene Ausführungsform über einen Ausstellhebel, von welchem ein deckelseitiges Hebelende am Deckel um eine Querachse verschwenkbar und längsverschiebbar geführt sei. Das Klagepatent verlange nicht, dass das Hebelende unmittelbar am Deckel geführt sei. Die Zwischenschaltung eines weiteren Bauteils sei unschädlich für die Merkmalsverwirklichung. Ferner verlange der Anspruchswortlaut lediglich, dass das Hebelende selbst und nicht die Querachse längsverschiebbar geführt seien. Darüber hinaus gebe die Verwendung des Begriffs „ein“ in Bezug auf den Ausstellschlitten und die Schlittenkulisse keine zahlenmäßige Beschränkung auf einen einzigen Ausstellschlitten bzw. eine einzige Schlittenkulisse vor. Vielmehr handele es sich hier lediglich um die Verwendung eines unbestimmten Artikels, der auch eine Mehrzahl derartiger Bauteile zulasse.
  20. Das Klagepatent werde sich im Nichtigkeitsverfahren als vollumfänglich rechtsbeständig erweisen.
  21. Die von der Beklagten angeführten Entgegenhaltungen D1 (EP 1 XXX 716, Anlage B 5) sowie D2 (EP 1 XXX 717 A1, Anlage B 6) stimmten in den von Beklagtenseite zur Erschütterung der Neuheit des Klagepatents herangezogenen Figuren mit dem bereits im Klagepatent zitierten Stand der Technik, nämlich der EP 1 535 XXX A2 überein. Es handelte sich mithin um bereits geprüften Stand der Technik. Beiden Entgegenhaltungen fehle es an einer eindeutigen Offenbarung dahingehend, dass in der Lüftungsstellung eine Verbindungslinie, welche die an beiden Hebelenden vorgesehenen Verschwenkungsachsen miteinander verbinde, im Wesentlichen in einer Hochrichtung (z) verlaufe.
  22. Das Gleiche gelte für die Entgegenhaltung D3 (JP 2004 XXX 605 A, Anlage B 7).
  23. Die Entgegenhaltung D5 (US 2004/XXX A1, Anlage B8), die von der Beklagten als neuheitsschädlich gegenüber Anspruch 2 des Klagepatents angesehen wird, weise insbesondere keinen Ausstellschlitten im Sinne des Klagepatents auf.
  24. Eine mangelnde erfinderische Tätigkeit könne weder aus einer Kombination der D1/D2 mit der D7 (De 35 XX XXX A1, Anlage B 9) noch aus einer Kombination der Entgegenhaltung D3 mit dem allgemeinen Fachwissen hergeleitet werde. Es fehle bereits an einer Veranlassung zur Kombination der beiden Schriften bzw. zur Weiterentwicklung der D3 in klagepatentgemäßer Weise.
  25. Die Klägerin beantragt,
  26. wie erkannt.
  27. Die Beklagte beantragt,
  28. die Klage abzuweisen,
  29. hilfsweise,
  30. den Rechtsstreit bis zum erstinstanzlichen Abschluss des rechtshängigen Nichtigkeitsverfahrens vor dem Bundespatentgericht auszusetzen.
  31. Sie ist der Auffassung, die angegriffene Ausführungsform mache schon nicht von sämtlichen Merkmalen der geltend gemachten Klagepatentansprüche Gebrauch. Das deckelseitige Hebelende der angegriffenen Ausführungsform sei weder am Deckel noch zur Querachse längsverschiebbar geführt. Die Längsverschiebung erfolge, was insoweit unstreitig ist, durch einen in einem Steg geführten Gleitschuh und damit nicht am Deckel im Sinne des Klagepatents. Ferner verlange das Klagepatent, dass die Verschwenkung des Ausstellunghebels durch eine einzige Schlittenkulisse und einen einzigen Kulissenstiftabschnitt erfolge. Dies sei bei der angegriffenen Ausführungsform nicht der Fall.
  32. Ferner sei der Rückrufanspruch unverhältnismäßig, da die angegriffene Ausführungsform ausschließlich für den Einbau in Fahrzeuge gedacht sei und bei unbeschränktem Rückruf die automatisierte Produktion von Fahrzeugen mit Panoramadach gestoppt werden müsste.
    Das Klagepatent werde durch das Bundespatentgericht vollumfänglich vernichtet werden. Es fehle bereits an der Neuheit ausgehend von den Entgegenhaltungen D1, D2 und D3.
  33. Bei den Entgegenhaltungen D1 und D2 handele es sich nicht um geprüften Stand der Technik.
  34. Angesichts dessen, dass der Klagepatentanspruch lediglich verlange, dass in der Lüftungsstellung die Verbindungslinie zwischen den beiden Hebelenden „im Wesentlichen“ in Hochrichtung verlaufe, sei dieses Merkmal in den drei genannten Entgegenhaltungen offenbart.
  35. Die D5 offenbare entgegen der Auffassung der Klägerin einen klagepatentgemäßen Ausstellungsschlitten, der durch eine Funktionseinheit der Teile (48, 52, 42 und 32) gebildet werde. Dass eines dieser Teile, nämlich das „E“ zusätzlich auch am Deckel befestigt ist, führe nicht von der Betrachtung der Funktionseinheit als Ausstellungsschlitten hinweg. Dem Klagepatent sei nicht zu entnehmen, dass der Ausstellungsschlitten nicht auch fest mit dem Deckel verbunden sein könne.
  36. Jedenfalls fehle es an einer erfinderischen Tätigkeit. Der Fachmann, der die grundsätzliche Bewegung des Spoilerdachs gemäß der D7 ermöglichen will, gleichzeitig aber keine unterschiedlichen Geschwindigkeiten unterschiedlicher Antriebskabel erzeugen möchte, käme zwangsläufig zu der Alternativlösung aus der D1 oder der D2.
  37. In Bezug auf die D3 sei es dem Fachmann ein Leichtes, zur Erzielung eines längeren Hebelarms für den Ausstellungshebel das Schwenklager unterhalb der Führungsschiene für den Ausstellungsschlitten zu positionieren. Denn das Schwenklager sei ohnehin unabhängig von der Führungsschiene vorgesehen.
  38. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die wechselseitig zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Hauptverhandlung vom 28.01.2020 (Bl. 158 f. GA).
  39. Entscheidungsgründe
  40. Die zulässige Klage ist begründet. Die angegriffene Ausführungsform ist ein klagepatentgemäßes Erzeugnis nach § 9 S. 2 Nr. 1 PatG (hierzu unter I.). Da die Beklagte entgegen § 9 S. 2 Nr. 1 PatG die angegriffene Ausführungsform im Inland vertreibt, stehen der Klägerin gegen die Beklagte die geltend gemachten Ansprüche aus §§ 139 Abs. 1, Abs. 2, 140a Abs. 3, 140b PatG, §§ 242, 259 BGB zu (hierzu unter II.). Im Rahmen des der Kammer zustehenden Ermessens wird die Verhandlung nicht nach § 148 ZPO in Bezug auf das Nichtigkeitsverfahren ausgesetzt (hierzu unter III.).
  41. I.
    Die angegriffene Ausführungsform ist ein klagepatentgemäßes Erzeugnis nach § 9 S. 2 Nr. 1 PatG. Sämtliche Merkmale der geltend gemachten Klagepatentansprüche werden von ihr unmittelbar und wortsinngemäß verwirklicht.
  42. 1.
    Das Klagepatent betrifft ein öffnungsfähiges Fahrzeugdach mit Ausstellmechanik, auch Spoilerdach genannt.
  43. Ein derartiges Fahrzeugdach umfasst nach der allgemeinen Beschreibung des Klagepatents einen Deckel, der ausgehend von einer Schließstellung, in welcher der Deckel eine Dachöffnung verschließt, zum Öffnen an seiner Hinterkante in eine Lüftungsstellung anhebbar ist. Der Deckel kann sodann über mindestens einen Teil seiner Längserstreckung über einen hinteren Dachabschnitt (fest oder ebenfalls bewegbar) nach hinten in eine Öffnungsstellung verschoben werden. Die zum Ausstellen des Deckels vorgesehenen Ausstellmittel umfassen einen Ausstellhebel und einen den Ausstellhebel betätigenden Ausstellschlitten.
  44. Ein derartiges Fahrzeugdach ist beispielsweise aus der EP 1 535 XXX A2 bekannt. Die Ausstellmittel des bekannten Fahrzeugdaches umfassen auf beiden Deckelseiten jeweils einen Ausstellhebel, von welchem ein fahrzeugseitiges Hebelende um eine fahrzeugfeste Querachse im oberen Bereich einer Führungsschiene verschwenkbar angelenkt ist und von welchem ein deckelseitiges Hebelende an einem Deckelträger längsverschiebbar geführt ist. Die Ausstellmittel umfassen ferner einen Ausstellschlitten, der in einer fahrzeugfesten, in Längsrichtung sich erstreckenden Führungsschiene verschiebbar geführt ist und eine Schlittenkulisse aufweist, in welche ein zwischen den beiden Hebelenden vorgesehener Kulissenstiftabschnitt des Ausstellhebels eingreift, um bei einer Verschiebung des Ausstellschlittens nach hinten die Verschwenkung des Ausstellhebels zu bewirken.
  45. Nachteilig an der dort offenbarten hinteren Ausstellmechanik sei aber, dass bei den in der Praxis unvermeidlichen Toleranzen und Nachgiebigkeiten der einzelnen Bauteile die Stabilität der Deckellagerung insbesondere in Lüftungsstellung und Öffnungsstellung leidet. Des weiteren führe eine in Hochrichtung wirkende Kraftbelastung des Deckels in seiner Lüftungsstellung oder Öffnungsstellung in nachteiliger Weise zu einem auf den Ausstellhebel wirkenden Drehmoment. Dieses Drehmoment sei einerseits nachteilig im Hinblick auf eine einfach ausgebildete Arretierung des Deckels in Lüftungsstellung bzw. Öffnungsstellung und andererseits nachteilig hinsichtlich einer möglichst reibungsarmen Bewegung des Kulissenstiftabschnitts in der Schlittenkulisse. Im Übrigen muss zur Gewährleistung einer einwandfreien Funktion der bekannten Ausstellmechanik ein hohes Maß an Belastbarkeit des Ausstellhebels und Fertigungsgenauigkeit der Ausstellkomponenten vorgesehen werden.
  46. Als weiteren Stand der Technik nennt das Klagepatent die Druckschrift DE 600 XX XXX T2. Aus ihr sei ein Spoilerdach mit einem Deckel bekannt, welcher an seiner Hinterkante aus einer Schließstellung in eine Lüfterstellung anhebbar ist und anschließend nach hinten in eine Öffnungsstellung verschiebbar ist. Zum Anheben der Hinterkante des Deckels ist ein in Fahrzeuglängsrichtung verschiebbar geführtes Laufteil vorgesehen, welches einen Führungsstift aufweist, der in einen gekrümmt verlaufenden Führungsschlitz eines an seitlichen Deckelbereichen angeordneten Stützteils läuft. Damit ist eine Kulissensteuerung ausgebildet, bei welcher die relative Lage zwischen dem längsverschiebbaren Laufteil und dem deckelfesten Stützteil die Anhebung des Deckels steuert. Eine Verschwenkung des Laufteils ist bei dieser Deckelsteuerung nicht vorgesehen.
  47. Aus der Druckschrift DE 197 13 XXX C5 sei ein Fahrzeugdach mit einem Deckel bekannt, der aus einer Schließstellung in eine Lüfterstellung anhebbar ist und anschließend nach hinten in eine Öffnungsstellung verschiebbar ist. Das Anheben des Deckels in die Lüftungsstellung erfolgt durch eine Verschwenkung eines Ausstellhebels, von welchem ein fahrzeugseitiges Hebelende um eine an einem Gleitschlitten vorgesehene Querachse verschwenkbar angelenkt ist und von welchem ein deckelseitiges Hebelende am Deckel um eine Querachse verschwenkbar und längsverschiebbar geführt ist. Die Verschwenkung des Ausstellhebels wird durch eine Verschiebung des Gleitschlittens in Fahrzeuglängsrichtung gesteuert. Ein zwischen den Hebelenden vorgesehener Führungsbolzen greift hierfür in eine fahrzeugfeste Ausstellkulisse ein. Ausgehend von der Schließstellung des Deckels erfolgt beim Übergang in die Lüftungsstellung eine Verschwenkung des Ausstellhebels um etwa 45 Grad, wobei sich der Ausstellhebel in der Lüftungsstellung schräg nach vorne und oben erstreckt. Bei diesem Stand der Technik ergeben sich nach dem Klagepatent aber die oben bereits mit Bezug auf die EP 1 535 XXX A2 beschriebenen Nachteile.
  48. Hiervon ausgehend stellt sich das Klagpatent die technische Aufgabe, bei einem Fahrzeugdach der eingangs genannten Art eine einfache und zuverlässige Ausstellmechanik bereitzustellen, die die oben beschriebenen Nachteile verringert.
  49. Zur Lösung schlägt das Klagepatent ein Fahrzeugdach nach den Ansprüchen 1 und 2 vor, die sich in die folgenden Merkmale gliedern lassen:
  50. Anspruch 1:
  51. 1. Fahrzeugdach mit einem Deckel (12),
  52. 1.1 der ausgehend von einer Schließstellung (Fig. 1), in welcher der Deckel eine Dachöffnung verschließt,
    1.2 zum Öffnen durch Ausstellmittel an seiner Hinterkante (14) in eine Lüftungsstellung (Fig. 2) anhebbar und
    1.3 anschließend durch Verschiebemittel über mindestens einen Teil seiner Längserstreckung über einen hinteren Dachabschnitt (16) nach hinten in eine Öffnungsstellung (Fig. 3) verschiebbar ist,
  53. wobei
  54. 2. die Ausstellmittel einen Ausstellhebel (18) umfassen,
    2.1 von welchem ein fahrzeugseitiges Hebelende (18-1) um eine fahrzeugfeste Querachse (20-1) verschwenkbar angelenkt ist und
    2.2 von welchem ein deckelseitiges Hebelende (18-2) am Deckel um eine Querachse (20-2) verschwenkbar und längsverschiebbar geführt ist,
  55. wobei
  56. 3. die Ausstellmittel ferner einen Ausstellschlitten (24) umfassen,
    3.1 der in einer fahrzeugfesten, in Längsrichtung (x) sich erstreckenden Führungsschiene (26) verschiebbar geführt ist
    3.2 und eine Schlittenkulisse (28) aufweist, in welche ein zwischen den beiden Hebelenden (18-1, 18-2) vorgesehener Kulissenstiftabschnitt (30) des Ausstellhebels (18) eingreift,
    3.3 um bei einer Verschiebung des Ausstellschlittens (24) die Verschwenkung des Ausstellhebels (18) zu bewirken,
  57. dadurch gekennzeichnet, dass
  58. 4. in der Lüftungsstellung (Fig. 2) eine Verbindungslinie, welche die an den beiden Hebelenden (18-1, 18-2) vorgesehenen Verschwenkungsachsen (20-1, 20-2) miteinander verbindet, im Wesentlichen in einer Hochrichtung (z) verläuft.
  59. Anspruch 2:
  60. 1. Fahrzeugdach nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1, insbesondere nach Anspruch 1,
  61. dadurch gekennzeichnet, dass
  62. 2. die am fahrzeugseitigen Hebelende (18-1) vorgesehene Verschwenkungsachse (20-1) in Hochrichtung (z) betrachtet unterhalb der Führungsschiene (26) angeordnet ist.
  63. 2.
    Die angegriffene Ausführungsform macht von sämtlichen Merkmalen der geltend gemachten Klagepatentansprüche unmittelbar und wortsinngemäß Gebrauch.
  64. a)
    Die Merkmalsgruppe 1, das Merkmal 2.1 und das Merkmal 4 werden von der angegriffenen Ausführungsform unmittelbar und wortsinngemäß verwirklicht, was die Beklagte zu Recht nicht in Abrede stellt. Insoweit bedarf es keiner weiteren Erörterungen.
  65. b)
    Die angegriffene Ausführungsform umfasst einen Ausstellhebel,
  66. von welchem ein deckelseitiges Hebelende am Deckel um eine Querachse verschwenkbar und längsverschiebbar geführt ist,
  67. im Sinne von Merkmal 2.2.
  68. aa)
    Die in dem betreffenden Merkmal offenbarte Längsverschiebbarkeit bezieht sich auf das deckelseitige Hebelende und nicht auf die Querachse.
  69. (1)
    Nach dem Anspruchswortlaut bezieht sich das Adjektiv „längsverschiebbar“ auf das Subjekt „Hebelende“ und nicht auf das Objekt “Querachse“.
  70. Insoweit kann aus Abschnitt [0039] nichts Abweichendes hergeleitet werden. Zwar heißt es dort in der Beschreibung des Ausführungsbeispiels nach Figur 2:
  71. Die am oberen Hebelende vorgesehene Querachse ist durch einen Drehzapfen gebildet, der in eine am Deckelträger in Längsrichtung (x) verlaufende Deckelkulisse eingreift. Bei der Deckelverschiebung nach hinten [..] bewegt sich der Drehzapfen bzw. die Querachse demnach entlang der Deckelkulisse […].
  72. Als bloße Beschreibung eines Ausführungsbeispiels ist der Inhalt des Abschnitts [0039] aber nicht ohne Weiteres geeignet, zu einer Einschränkung des Schutzumfangs des Klagepatentanspruchs zu führen (vgl. BGH, GRUR 2004, 1023 – Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung). Hier hat die im Ausführungsbeispiel offenbarte Lehre gerade, wie oben dargestellt, keinen Niederschlag im Anspruchswortlaut gefunden.
  73. Diese Auslegung wird gestützt durch die technische Funktion des betreffenden Merkmals. Das Klagepatent grenzt sich vom Stand der Technik dahingehend ab, dass in der Lüftungsstellung der Ausstellhebel im Wesentlichen in einer Hochrichtung (z) verläuft. Diese Hochstellung kann – ohne Veränderung der aus dem Stand der Technik übernommenen Lüftungsstellungsposition des Dachs – nach der Lehre des Klagepatents nur erreicht werden, wenn der Hebel selbst an seinem Ende nicht nur verschwenkt, sondern auch in die Längsrichtung verschoben werden kann. Ob die Querachse sich ebenfalls in Längsrichtung verschiebt, ist für die Stellung des Hebels selbst unerheblich.
  74. (2)
    Aber selbst unter Berücksichtigung der Auslegung der Beklagten, wonach die Querachse selbst längsverschiebbar geführt sein muss, ist der betreffende Merkmalsteil verwirklicht.
  75. Aus der nachfolgenden, der Anlage B 3 entnommenen Serie von Abbildungen, die die Funktionsweise der angegriffenen Ausführungsform veranschaulichen, ist ersichtlich, dass bei Öffnung des Spoilerdachs sowohl das deckelseitige Hebelende als auch die altrosa eingefärbte Querachse auf der Höhe des Deckelstegs in Längsrichtung verschoben werden.
  76. bb)
    Das Hebelende (und auch die Querachse) der angegriffenen Ausführungsform sind ebenfalls am Deckel längsverschiebbar geführt.
  77. (1)
    Für eine längsverschiebbare Führung am Deckel ist es hinreichend, wenn ein enger räumlich-körperlicher Zusammenhang zwischen dem deckelseitigen Hebelende und dem Deckel besteht. Eine unmittelbare Führung des Hebelendes am Deckel ohne die Zwischenschaltung weiterer Bauteile gibt der Anspruchswortlaut hingegen nicht vor. Unter technisch-funktionaler Betrachtungsweise ist eine Konstruktion mit weiteren Bauteilen ebenfalls nicht ausgeschlossen, so lange ein enger räumlich-körperlicher Zusammenhang zwischen Hebelende und Deckel erhalten bleibt, der gewährleistet, dass die Längsverschiebung des Hebelendes im Wesentlichen entlang einer durch den Deckel gebildeten Längsachse vorgenommen wird.
  78. Dieses Verständnis scheint bereits im Ausführungsbeispiel auf, in welchem die Führung nicht am Deckel selbst, sondern am Deckelträger, einem separaten Bauteil, erfolgt. Hierzu heißt es in der Beschreibung in Abschnitt [0029]:
  79. […] und ein deckelseitiges Hebelende am Deckel 12, hier einem an der Unterseite mit dem Deckel 12 angebundenen Deckelträger 22 um eine Querachse verschwenkbar und längsverschiebbar geführt ist.
  80. Diese Beschreibungsstelle zeigt, dass das Klagepatent auch die Führung des Hebelendes an einem vom Deckel separaten Bauteil als eine Führung „am Deckel“ versteht.
  81. Eine Einschränkung dahingehend, dass die Führung an einem fest mit dem Deckel verbauten Bauteil erfolgt, so wie in dem Ausführungsbeispiel gezeigt, hat hingegen keinen Niederschlag im Anspruchswortlaut gefunden, der insoweit offen formuliert ist. Das Ausführungsbeispiel ist hier nicht geeignet, den Schutzumfang entsprechend zu beschränken.
  82. Aus technisch-funktionaler Sicht ist ebenfalls keine unmittelbare Führung am Deckel geboten. Durch einen engen räumlich-körperlichen Zusammenhang zwischen deckelseitigem Hebelende und Deckel kann der erfindungsgemäße Vorteil, nämlich die Stellung des Hebels in Hochrichtung (z), in hinreichender Weise erzielt werden. Die konkrete Ausgestaltung der Führung und ob diese in unmittelbarer oder mittelbarer Form erfolgt, ist für die Erzielung des Vorteils unerheblich und wird vom Klagepatent in das Belieben des Fachmanns gestellt.
  83. (2)
    Die Führung des deckelseitigen Hebelendes erfolgt unter Berücksichtigung der vorgenannten Auslegung am Deckel im Sinne des Klagepatents.
  84. Wie aus der unten eingeblendeten, Seite 10 der Klageerwiderung (Bl. 57 GA) entnommenen Abbildung ersichtlich, ist das deckelseitige Hebelende über ein die Querachse bildendes Drehlager mit einem Gleiter verbunden, der wiederum über einen am Deckel befindlichen Steg längsverschiebbar geführt ist.
  85. Die Führung des Gleiters bewirkt damit unmittelbar die Längsverschiebung des Hebelendes in einem engen räumlich-körperlichen Zusammenhang zum Deckel.
  86. Der Gleiter ist augenscheinlich deshalb zwischen das Hebelende und den Deckel gesetzt, um seitlich wirkende Kräfte besser abzufangen. Durch die u-förmige Führung des Drehgleiters um den Steg herum wird die Konstruktion im Vergleich zu der im Ausführungsbeispiel gezeigten Konstruktion des Klagepatents stabilisiert. Dies führt allerdings nach der vorgenannten Auslegung nicht aus dem Schutzbereich hinaus.
  87. c)
    Die Merkmale 3.2 und 3.3, wonach
  88. die Ausstellmittel einen Ausstellschlitten umfassen, der eine Schlittenkulisse aufweist, in welche ein zwischen den beiden Hebelenden vorgesehener Kulissenstiftabschnitt eingreift, um bei einer Verschiebung des Ausstellschlittens (24) die Verschwenkung des Ausstellhebels (18) zu bewirken,
  89. ist ebenfalls verwirklicht.
  90. aa)
    Die Verwendung der Formulierung „ein“ in Bezug auf die Schlittenkulisse ist nicht geeignet, die Anzahl der Schlittenkulissen auf eine einzige zu beschränken. Der Wortlaut ist insoweit offen formuliert, als dass auch eine Auslegung in Betracht kommt, nach welcher es sich bei dem Wort „ein“ um einen unbestimmten Artikel handelt.
  91. Der Klagepatentbeschreibung lässt sich ebenfalls keine entsprechende Einschränkung entnehmen.
  92. Aus dem von der Beklagten angeführten Abschnitt [0043], in welchem als klagepatentgemäßer Vorteil unter anderem die geringe Anzahl von Bauteilen angeführt wird, lässt sich kein einschränkendes Verständnis entnehmen. Denn durch das Vorsehen mehrerer Schlittenkulissen wird die Anzahl der Bauteile nicht erhöht. Bei der Schlittenkulisse handelt es sich ausweislich der Figuren des Klagepatents lediglich um eine Ausnehmung im Ausstellschlitten und bei dem Kulissenstiftabschnitt um stiftartige Fortsätze des Ausstellhebels. Die Anzahl der Bauteile wird damit durch das mehrfache Vorsehen gerade nicht erhöht.
  93. Aus technisch-funktionaler Sicht spricht ebenfalls nichts gegen das Vorsehen weiterer Schlittenkulissen, so lange jedenfalls eine von ihnen klagepatentgemäß ausgestaltet ist, indem in sie ein zwischen den beiden Hebelenden vorgesehener Kulissenstiftabschnitt eingreift, um bei einer Verschiebung des Ausstellschlittens eine Verschwenkung des Ausstellhebels zu bewirken.
  94. Eine einschränkende Auslegung dahingehend, dass die im Klagepatentanspruch angegebene Wirkung – die Verschwenkung des Ausstellhebels – allein mittels der im Patentanspruch genannten Schlittenkulisse erreicht werden soll, lässt sich dem Anspruchswortlaut ebenfalls nicht entnehmen. Die weitere Konstruktion wird hier in das Belieben des Fachmanns gestellt.
  95. bb)
    Nach der vorgenannten Auslegung verfügt die angegriffene Ausführungsform ausweislich der unten eingeblendeten Abbildungen über mindestens eine klagepatentgemäße Schlittenkulisse.
  96. Es handelt sich hierbei um die rechte der beiden Schlittenkulissen, in welcher der Kulissenstift während des Öffnungsvorgangs bis zur Öffnungsstellung geführt wird. Dass links davon eine weitere Schlittenkulisse vorgesehen ist, ist nach der vorgenannten Auslegung unerheblich. Diese dient nach dem Vortrag der Beklagten zu einer weiteren Stabilisierung, hat aber keine Auswirkungen auf die klagepatentgemäße räumlich-körperliche Ausgestaltung der rechten Schlittenkulisse.
  97. Die rechte Schlittenkulisse bewirkt ebenfalls die Verschwenkung des Ausstellhebels, wenn auch während eines Teils des Verschwenkungswegs gemeinsam mit der zweiten Schlittenkulisse. Dies ist allerdings für die Verwirklichung des betreffenden Merkmals, wie oben dargelegt, unerheblich.
    d)
    Die Verwirklichung von Merkmal 2 des nebengeordneten Anspruchs 2 stellt die Beklagte zu Recht nicht in Abrede, so dass es insoweit keiner weiteren Erörterung bedarf.
  98. II.
    Die Beklagte verletzt das Klagepatent durch Anbieten und Inverkehrbringen der angegriffenen Ausführungsform im Inland.
  99. Aufgrund der festgestellten Patentverletzung ergeben sich die zuerkannten Rechtsfolgen:
  100. 1.
    Der Unterlassungsanspruch beruht auf § 139 Abs. 1 PatG, da die Benutzung des Erfindungsgegenstandes im Inland ohne Berechtigung erfolgt. Die Verwirklichung einer Benutzungshandlung verursacht grundsätzlich Wiederholungsgefahr für alle in § 9 PatG, hier § 9 S. 2 Nr.1, geschützten Handlungen (Voß/Kühnen in Schulte, PatG, 9. Aufl. 2014, § 139 Rn. 50).
  101. 2.
    Die Klägerin hat gegen die Beklagte dem Grunde nach einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz, der aus § 139 Abs. 2 PatG folgt. Als Fachunternehmen hätte die Beklagte die Patentverletzung bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest erkennen können, § 276 BGB.
  102. Da überdies durch die rechtsverletzenden Handlungen der Beklagten die Entstehung eines Schadens hinreichend wahrscheinlich ist, der durch die Klägerin aber noch nicht beziffert werden kann, weil sie den Umfang der rechtsverletzenden Benutzungshandlungen ohne ihr Verschulden nicht im Einzelnen kennt, ist ein rechtliches Interesse der Klägerin an der Feststellung der Schadensersatzverpflichtung anzuerkennen, § 256 ZPO.
  103. 3.
    Damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, ihren Schadensersatzanspruch zu beziffern, steht ihr gegen die Beklagte ein Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung im zuerkannten Umfang zu. Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsformen ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstands unmittelbar aus § 140b Abs. 1 PatG, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 140b Abs. 3 PatG. Die weitergehende Rechnungslegungspflicht folgt aus §§ 242, 259 BGB. Die Klägerin ist auf die Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt; die Beklagte wird durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet.
  104. 4.
    Die Klägerin kann die Beklagte aus § 140a Abs. 3 PatG auf Rückruf patentverletzender Erzeugnisse in Anspruch nehmen.
  105. Eine Unverhältnismäßigkeit nach § 140a Abs. 4 PatG des gesamten Rückrufanspruchs ist nicht dargetan. Dass es für den Abnehmer patentverletzender Gegenstände unter Umständen empfindliche wirtschaftliche Folgen hat, auf ein patentverletzendes Produkt zu verzichten und dass die Ersatzbeschaffung zeit- und kostenintensiv sein kann, ist dem Rückruf immanent. Es erscheint der Kammer jedoch nicht zwingend, dass es bei den Fahrzeugherstellern zu einem Produktionsstopp kommt, insbesondere, weil die Beklagte nicht als Monopolistin im Bereich der Fahrzeugdächer tätig ist und eine Ersatzbeschaffung jedenfalls möglich erscheint. Insoweit hat die Beklagte auf Hinweis der Kammer in der mündlichen Hauptverhandlung nicht weiter substantiiert vorgetragen.
  106. 5.
    Der beantragte Vernichtungsanspruch nach § 140a Abs. 1 PatG greift ebenfalls durch.
  107. III.
    Das Verfahren wird nicht nach § 148 ZPO in Bezug auf das Nichtigkeitsverfahren ausgesetzt.
  108. 1.
    Nach § 148 ZPO kann das Gericht bei der Vorgreiflichkeit eines anderen Verfahrens einen Rechtsstreit aussetzen. Die Vorgreiflichkeit ist aufgrund der angenommenen Verletzung des Schutzrechtes hinsichtlich des anhängigen Nichtigkeitsverfahrens gegeben. Die Erhebung einer Nichtigkeitsklage stellt ohne Weiteres noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen. Die Patenterteilung ist auch für die (Verletzungs-) Gerichte bindend. Wegen der gesetzlichen Regelung, die für die Ansprüche nach §§ 139 ff. PatG lediglich ein in Kraft stehendes Patent verlangt und für die Beseitigung dieser Rechtsposition nur die in die ausschließliche Zuständigkeit des Patentgerichts fallende Nichtigkeitsklage zur Verfügung stellt, kann der Angriff gegen das Klagepatent nicht als Einwand im Verletzungsverfahren geführt werden. Jedoch darf dies nicht dazu führen, dass diesem Angriff jede Auswirkung auf das Verletzungsverfahren versagt wird. Die Aussetzung des Verletzungsstreits im Rahmen der nach § 148 ZPO zu treffenden Ermessenentscheidung ist vielmehr grundsätzlich, aber auch nur dann geboten, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass das Klagepatent der erhobenen Nichtigkeitsklage nicht standhalten wird (BGH, GRUR 2014, 1237, 1238 – Kurznachrichten; OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.06.2015 – Az. I-2 U 64/14, S. 29 f.).
  109. 2.
    Der Offenbarungsgehalt der Entgegenhaltungen D1 und D2 ist nicht geeignet, die technisch nicht fachkundig besetzte Kammer in hinreichender Weise davon zu überzeugen, dass das Bundespatentgericht das Klagepatent ausgehend hiervon wegen mangelnder Neuheit vernichten wird. Es fehlt an einer eindeutigen Offenbarung des Merkmals 4, wonach
  110. in der Lüftungsstelle eine Verbindungslinie, welche die an beiden Hebelenden vorgesehenen Verschwenkungsachsen miteinander verbindet, im Wesentlichen in einer Hochrichtung (z) verläuft.
  111. a)
    Zwar handelt es sich bei diesen Entgegenhaltungen nicht um formal in der Klagepatentschrift zitierten Stand der Technik, allerdings entsprechen die von der Beklagten beim Neuheitsangriff für ihre Argumentation verwendeten Figuren der Entgegenhaltungen denjenigen der im Klagepatent als Stand der Technik zitierten, vom selben Erfinder stammenden Druckschrift EP 1 535 XXX A2, wie aus der nachfolgend eingeblendeten Gegenüberstellung ersichtlich:
    b)
    In Bezug auf die EP XXX kritisiert das Klagepatent in Abschnitt [0004] unter anderem, dass eine in Hochrichtung wirkende Kraftbelastung des Deckels in seiner Lüftungsstellung oder Öffnungsstellung in nachteiliger Weise zu einem auf den Ausstellhebel wirkenden Drehmoment führt und beschreibt im weiteren die hieraus resultierenden Nachteile. Es bezieht sich mithin gerade auch auf die aus der Figur 8 ersichtliche Schrägstellung des Ausstellhebels und sucht sich hiervon abzugrenzen.
  112. Die durch die Stellung des Ausstellhebels im Wesentlichen in Hochrichtung bewirkten Vorteile der klagepatentgemäßen Lehre gegenüber dem Stand der Technik beschreibt das Klagepatent in Abschnitt [XXX0], wo es zum Aspekt der klagepatentgemäßen Hochrichtung heißt:
  113. Die Klagepatentschrift stellt damit einen Zusammenhang zwischen der in der EP XXX offenbarten Schrägstellung und ihren Nachteilen und dem technischen Vorteil her, der durch die klagepatentgemäße Ausgestaltung der Hebelstellung erreicht werden soll.
  114. Durch diese ausdrückliche Abgrenzung erkennt der Fachmann, dass es sich bei der in der EP XXX offenbarten Schrägstellung um eine solche handelt, die das Klagepatent als nicht tolerabel ansieht und die damit keine Ausrichtung „im Wesentlichen in Hochrichtung (z)“ im Sinne des Klagepatentanspruchs 1 darstellt.
  115. Den in der EP XXX offenbarten Winkel als offenkundig unter die Lehre des Klagepatents fallend zu bewerten, würde sich damit unmittelbar gegen den Erteilungsakt richten.
  116. Eine Feststellung dahingehend, dass der Offenbarungsgehalt der EP XXX eindeutig in den Schutzbereich fällt und damit ein offensichtlicher Fehler im Erteilungsverfahren vorliegt, kann von der technisch nicht fachkundig besetzten Kammer nicht mit hinreichender Sicherheit getroffen werden.
  117. Die Winkelmessungen der Parteien führen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Allein dieser Umstand lässt bereits eine Eindeutigkeit vermissen. Darüber hinaus sind Zeichnungen in einer Patentanmeldung in der Regel schematisch und dazu bestimmt, den prinzipiellen Aufbau einer Einrichtung zu erläutern, nicht jedoch, um Maßangeben oder Relationen zu vermitteln (BGH, GRUR 2012, 1242 – Steckverbindung). Abmessungen, die sich nur durch Nachmessen aus einer Schemazeichnung ergeben, gehören nicht zum Offenbarungsgehalt eines Dokuments (Nägerl in Haedicke/Timmann, Handbuch des Patentrechts, 2. Auflage 2020, § 4, Rn 174).
  118. c)
    Diese Ausführungen sind auf die Entgegenhaltungen D1 und D2 auf Grund der Figurenidentität zu übertragen.
  119. 3.
    In Bezug auf die D3 gilt das zu den vorherigen Entgegenhaltungen Gesagte im gleichen Maße. Wie aus der nachfolgend eingeblendeten Figur 7 der betreffenden Entgegenhaltung ersichtlich, zeigt der Ausstellhebel einen ähnlichen Winkel wie bei der D1 und der D2. Merkmal 4 ist mithin nicht eindeutig offenbart,
    4.
    Eine eindeutige Offenbarung der klagepatentgemäßen Lehre in der Entgegenhaltung D5 kann die technisch nicht fachkundig besetzte Kammer ebenfalls nicht feststellen.
  120. Die D5 zeigt ein Sonnendach. Die Parteien beziehen sich insbesondere auf die nachfolgend eingeblendeten Figuren 3 und 4.
    Zweifelhaft ist hier vor allem die eindeutige Offenbarung der Merkmalsgruppe 3.
  121. Die Beklagte möchte in der Kombination der Bauteile X, X, X und XX einen klagepatentgemäßen Ausstellschlitten sehen, der in der mit der Ziffer X gekennzeichneten fahrzeugfesten Führungsschiene verschiebbar geführt sein soll. Ferner soll in dem mit der Ordnungsziffer X bezeichneten stegförmigen Rand der Ausstellschlitten eine Schlittenkulisse zu sehen sein, die in den Schlitz X des Ausstellhebels X eingreift. Dabei trifft dieser Abschnitt auf einen Quersteg X, der funktional dem Kulissenstiftabschnitt des Klagepatents entsprechen soll.
  122. Nach der Lehre des Klagepatents soll aber der Kulissenstiftabschnitt in die Schlittenkulisse eingreifen und nicht umgekehrt. Hier greift der von der Beklagten als Schlittenkulisse bezeichnete stegförmige Rand aber in den Schlitz ein. Wie sodann der Quersteg X in die Schlittenkulisse X eingreifen soll, lässt die Beklagte offen. Dieser soll nach ihrem eigenen Vortrag lediglich „funktional“ den Kulissenstiftabschnitt bilden. Es ginge dem Klagepatent hier allein um eine „Zwangsführung“, die von den in der D5 offenbarten Bauteilen übernommen werde. Dies entspricht aber nicht dem Wortsinn des Anspruchswortlauts des Klagepatents, der die Formulierung „eingreifen“ verwendet und konkret beschreibt, welches Bauteil in welches andere Bauteil eingreifen soll.
  123. Entsprechend fehlt es jedenfalls an einer Eindeutigkeit der Offenbarung beider hier geltend gemachter Ansprüche des Klagepatents.
  124. 5.
    Die Kammer kann nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen, dass das Klagepatent wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit ausgehend von einer Kombination der Entgegenhaltungen D7 und D1 vernichtet wird.
  125. Es erscheint zweifelhaft, ob der Fachmann ohne weiteren erfinderischen Schritt die aufwendige Ausstellmechanik der D7 durch die stark abweichende Mechanik der D1 ersetzt hätte und ob dies überhaupt ohne weitere Konstruktionsänderungen möglich ist. In Kenntnis der patentgemäßen Lehre mag es nahe liegen, gerade die Ausstellmechanik der D1 zu verwenden. Dies stellt allerdings eine unzulässige rückschauende Betrachtungsweise dar.
  126. 6.
    Gleiches gilt für die Kombination der D3 mit dem allgemeinen Fachwissen. Eine konkrete Veranlassung des Fachmanns zur Abänderung der Konstruktion in klagepatentgemäßer Weise ist nicht ersichtlich.
    IV.
    Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO. Auf Antrag der Klägerin waren Teilsicherheiten im tenorierten Umfang festzusetzen.

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