4b O 288/08 – Windelspender

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 1453

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 27. April 2010, Az. 4b O 288/08

I. Die Beklagten werden verurteilt,

1. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- Euro, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren, zu unterlassen,

Vorrichtung zur Aufbewahrung und Abgabe von Windeln, insbesondere Wegwerfwindeln, die als quaderförmiges Behältnis von einer Bodenplatte, Seitenwänden und einer Rückwand ausgebildet und dessen Vorderseite mit einer entfernbaren Abdeckung versehen ist, welche es erlaubt, die Vorderseite mindestens teilweise freizugeben, und die eine im Bereich der Bodenplatte vorgesehene Entnahmeöffnung aufweist,

herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken zu besitzen,

bei denen die Abdeckung von einer durch Schieben entfernbaren Vorderwand gebildet ist, um die Vorderseite des quaderförmigen Behältnisses beim Entfernen der Vorderwand vollständig freizugeben, so dass das geöffnete Behältnis mit einem Stapel Windeln von vorne befüllbar ist;

2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagten die zu I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 2. Mai 2003 begangenen haben, und zwar unter Angabe,

a) der Herstellungsmengen und –zeiten,

b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und –preisen und Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,

c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der jeweiligen Angebotsempfänger,

d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

wobei

von dem Beklagten zu 2) sämtliche Angaben und von den Beklagten zusammen die Angaben zu e) erst für die Zeit seit dem 18. November 2006 zu machen sind;

3. an die Klägerin 2.294,- Euro nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6. März 2009 zu zahlen.

II. Es wird festgestellt,

1. dass die Beklagte zu 1) verpflichtet ist, der Klägerin eine angemessene Entschädigung für die zu I.1. bezeichneten und in der Zeit vom 3. Mai 2003 bis 17. November 2006 begangenen Handlungen zu zahlen;

2. dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I.1. bezeichneten, seit dem 18. November 2006 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

III. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten.

IV. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von € 30.000,00 vorläufig vollstreckbar. Die Sicherheit kann auch durch die unbedingte Bürgschaft einer im Gebiet der Europäischen Union ansässigen, als Zoll- und Steuerbürgin zugelassenen Bank oder Sparkasse erbracht werden.

T a t b e s t a n d

Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des europäischen Patentes 1 296 XXX (Anlage K 1, nachfolgend Klagepatent), welches am 11. Juni 2001 unter Inanspruchnahme einer schweizerischen Priorität vom 11. Juni 2000 (CH 115XXX) angemeldet wurde. Die Veröffentlichung der Anmeldung erfolgte am 2. April 2003, diejenige der Patenterteilung am 18. Oktober 2006. Das Klagepatent steht im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in Kraft.

Das Klagepatent, dessen Verfahrenssprache deutsch ist, betrifft eine Vorrichtung zur Aufbewahrung und Abgabe von Windeln. Der für den vorliegenden Rechtsstreit maßgebliche Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

„Vorrichtung zur Aufbewahrung und Abgabe von Windeln (20), insbesondere Wegwerfwindeln, die als quaderförmiges Behältnis von einer Bodenplatte (2), Seitenwänden (4, 5) und einer Rückwand (3) ausgebildet und dessen Vorderseite mit einer entfernbaren Abdeckung versehen ist, welche es erlaubt, die Vorderseite mindestens teilweise freizugeben, und die eine im Bereich der Bodenplatte (2) vorgesehene Entnahmeöffnung (18) aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass die Abdeckung von mindestens einer an der Seitenwand (4, 5) seitlich drehbar befestigten Tür (30) oder von einer durch Schieben entfernbaren Vorderwand (7) ausgebildet ist, um die Vorderseite des quaderförmigen Behältnisses beim Aufklappen der Türe (30) oder Entfernen der Vorderwand (7) vollständig freizugeben, so dass das geöffnete Behältnis mit einem Stapel Windeln von vorne befüllbar ist.“

Wegen des Wortlauts des lediglich „insbesondere“ geltend gemachten Patentanspruches 11 wird auf die Klagepatentschrift verwiesen.

Nachfolgend wiedergegeben sind die Figuren 1 und 4 der Klagepatentschrift, welche bevorzugte Ausführungsformen des erfindungsgemäßen Gegenstandes zeigen.

Die Beklagte zu 1), deren Geschäftsführer der Beklagte zu 2) ist, stellt her und vertreibt Windelspender. Die Klägerin reichte als Anlage K 6 ein entsprechendes Exemplar sowie Photographien (Anlage K 7) zur Gerichtsakte, worauf Bezug genommen wird.

Die Beklagte zu 1) ist Lizenznehmerin an dem Patent DE 101 XXX 17 bzw. EP 1 321 XXX (nachfolgend Lizenzpatente), dessen Inhaber Herr A ist. Das Lizenzpatent I, das DE 101 61 XXX wurde am 14. Dezember 2001 angemeldet, die Veröffentlichung der Patenterteilung erfolgte am 20. Februar 2003, diejenige des geänderten Patentes am 13. Oktober 2005. Das Lizenzpatent II, das EP 1 321 XXX, wurde unter Inanspruchnahme der Priorität des Lizenzpatentes I, am 17. Oktober 2002 angemeldet. Die Veröffentlichung der Anmeldung erfolgte am 25. Juni 2003, diejenige der Patenterteilung am 20. Dezember 2006. Die Lizenzpatente betreffen einen Windelspender. Patentanspruch 1 des Lizenzpatentes I, welcher im Wesentlichen wortgleich mit demjenigen des Lizenzpatentes II ist, hat folgenden Wortlaut:

„a) Windelspender, bestehend aus einem zur Aufnahme liegend gestapelter Windeln bestimmten Behälter (1)
b) mit einer Wand, einem Boden (9) und einer
c) dazwischen befindlichen Entnahmeöffnung,
d) über welche die zuunterst liegende Windel herausziehbar ist,
f) eine sich vom Unterrand (2c) der Vorderwand (2) nach oben erstreckende, etwa schlitzförmige Eingrifföffnung (7) und
g) eine Ausnehmung (8) umfasst, die als Rücksprung des vorderwandseitigen Randes (9a) des Bodens (9) des Behälters ausgebildet ist, dadurch gekennzeichnet, dass
h) die Vorderwand (2) im Bereich der Eingrifföffnung (7) eine Einziehung (2b) hat, wodurch die unteren Windeln in Richtung auf die Rückwand des Behälters leicht gestaucht werden, und
i) die Vorderwand (2) als aufschnappbarer Deckel des Behälters (1) ausgebildet ist.

Das Lizenzpatent I wurde auf den Einspruch der Klägerin, die diesen zurückgenommen hat, nach § 61 Abs. 1 Satz 2 PatG fortgeführt und vom Bundepatentgericht mit Beschluss vom 29. Juni 2004 in der im Einspruchsverfahren eingeschränkten Fassung aufrechterhalten.

Die Beklagten wurden vorgerichtlich durch den Prozessbevollmächtigten der Klägerin abgemahnt. Eine vertragsstrafenbewehrte Unterlassungserklärung wurde nicht abgegeben.

Die Klägerin meint, dass die angegriffene Ausführungsform wortsinngemäßen Gebrauch von der Lehre nach dem Klagepatent mache. Für die Beurteilung der Verletzung komme es nicht darauf an, dass die Beklagten Lizenznehmerin an den Lizenzpatenten seien, da das Klagepatent prioritätsälter sei. Auch sei bei der angegriffenen Ausführungsform die Abdeckung der Vorderseite durch Schieben entfernbar.

Die Klägerin beantragt,

zu erkennen, wie geschehen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Sie stellen eine Verletzung des Klagepatentes in Abrede. Die angegriffene Ausführungsform weise keine Rückwand auf, sondern lediglich einen ca. 2,5 Zentimeter breiten Streifen. Auch sei die angegriffene Windelbox einstückig ausgebildet. Die Abdeckung der Vorderseite sei ferner nicht durch Schieben entfernbar, sondern müsse aus der Zunge gelöst werden. Im Übrigen werde die angegriffene Ausführungsform nach den Lizenzpatenten hergestellt und für das Lizenzpatent I habe das Bundepatentgericht im Einspruchsverfahren festgestellt, dass das Klagepatent bzw. dessen prioritätsbegründende Druckschrift nicht den Gegenstand des Lizenzpatentes vorwegnehme, so dass eine Verletzung auch nicht vorliegen könne.

Die Klägerin tritt diesem Vorbringen entgegen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Die zulässige Klage ist begründet. Die angegriffene Windelbox macht von der Lehre nach dem Klagepatent wortsinngemäßen Gebrauch, so dass der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche im tenorierten Umfang zustehen. Im Einzelnen:

I.
1.
Die Erfindung nach dem Klagepatent betrifft eine Vorrichtung zur Aufbewahrung und Abgabe von Windeln.

Zum Hintergrund des Gegenstandes der Erfindung führt das Klagepatent aus, dass Wegwerfwindeln für Babys oder Kleinkinder allgemein bekannt sind und in größeren Packungen von 30 bis 40 Stück auf dem Markt erhältlich sind. In der Regel werden die Packungen aus einem dünnen Plastikmaterial zum Gebrauch aufgerissen und die einzelnen Wegwerfwindeln daraus entnommen. Da die üblichen Wickeltische wenig Platz bieten, stellt man die Packungen auf den Boden, was beim Wickeln nicht ungefährlich sein kann. Das Baby ist durch Aufnahme einer Windel vom Boden für kurze Zeit unbeaufsichtigt, was leicht zu Unfällen führen kann. Die Windeln könnte man auch in einem Oberschrank versorgen und diese beim Wickeln daraus entnehmen. Da jedoch Windeln schlecht stapelbar sind, ist diese Lösung nicht befriedigend. Denn nicht selten fällt der Stapel um und die Windeln müssen wieder aufgesammelt werden.

Als Stand der Technik führt das Klagepatent die FR-A 2 773 315 an, nach welcher ein Behälter zur Aufbewahrung von Wegwerfwindeln bekannt ist. Dieser weist eine Bodenplatte, darauf befestigte Seitenwände, eine Rückwand und einen kippbaren Vorderteil auf. Der Vorderteil wird mit einem Verriegelungshaken geschlossen. Auf den Innenseiten der Seitenwände sind parallele Gleitbahnen vorgesehen, in welche eine Platte hineingeschoben werden kann, um die Größe des Behälters an die Windelgröße anzupassen. Oben ist ein schwenkbarer Deckel vorgesehen. Das kippbare Vorderteil weist unten eine Entnahmeöffnung für eine einzelne Windel auf. Ferner ist im unteren Bereich des Vorderteils ein kleiner Längsschlitz vorgesehen, um den Füllungsgrad zu erkennen. Als nachteilig an diesem Behälter sieht es das Klagepatent, dass die Bodenplatte wesentlich größer als die Zarge des Behälters ist. Für das Befüllen des Behälters müssen sowohl das Vorderteil als auch der Deckel aufgeklappt werden. Je nachdem wie hoch die Zarge ist, wird das Auffüllen problematisch, weil man die Windeln einzeln tief in den Behälter legen muss. Ein ganzer Stapel kann kaum richtig eingefüllt werden, was besonders bei kleineren Windelgrößen problematisch ist.

Vor diesem Hintergrund des Standes der Technik hat es sich die Erfindung nach dem Klagepatent zur Aufgabe gemacht, eine Vorrichtung für die Aufbewahrung und Abgabe von Windeln zu schaffen, die ein leichtes Auffüllen von Wegwerfwindeln und eine besonders einfache Entnahme einzelner Windeln ermöglicht. Hierzu schlägt das Klagepatent in seinem für den vorliegenden Rechtsstreit maßgeblichen Patentanspruch 1 eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor:

1. Vorrichtung zur Aufbewahrung und Abgabe von Wegwerfwindeln (20);

2. die als quaderförmiges Behältnis ausgebildet ist von

a) einer Bodenplatte (2),

b) Seitenwänden (4, 5)

c) und einer Rückwand (3)

und

d) dessen Vorderseite mit einer entfernbaren Abdeckung versehen ist, welche es erlaubt, die Vorderseite mindestens teilweise freizugeben,

e) und die eine im Bereich der Bodenplatte (2) vorgesehene Entnahmeöffnung (18) aufweist;

3. die Abdeckung ist ausgebildet

a) von einer durch Schieben entfernbaren Vorderwand (7),

b) um die Vorderseite des quaderförmigen Behältnisses beim Entfernen der Vorderwand (7) vollständig freizugeben, so dass

c) das geöffnete Behältnis mit einem Stapel Windeln von vorne befüllbar ist.

2.
Die angegriffene Windelbox macht von der Lehre nach dem Klagepatent wortsinngemäßen Gebrauch. Entgegen der Auffassung der Beklagten werden durch die angegriffene Ausführungsform die Merkmale 2. und 2.c) sowie 3.a) verwirklicht.

Die angegriffene Ausführungsform stellt zunächst ein quaderförmiges Behältnis im Sinne des Merkmals 2. dar. Unabhängig von der von den Beklagten aufgeworfenen Behauptung, dass die angegriffene Ausführungsform nach einem Ausführungsbeispiel des gegenüber dem Klagepatent pioritätsjüngeren Lizenzpatentes I gefertigt worden sei, wird das Behältnis jedenfalls durch ein quaderförmiges Gehäuse gebildet. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch wird unter einem Quader ein Körper mit sechs rechteckigen Flächen, deren Winkel alle rechte Winkel sind, acht rechtwinkeligen Ecken und zwölf Kanten, von denen jeweils vier gleiche Längen besitzen und zueinander parallel sind verstanden. Von einem solchen Verständnis des Begriffs quaderförmig geht auch das Klagepatent aus wie die zeichnerischen Darstellungen der Ausführungsbeispiele zeigen, welche auszugsweise im Tatbestand wiedergegeben worden sind. Hiernach handelt es sich, um einen Körper mit Seitenkanten, die die gleiche Länge aufweisen und zueinander parallel sind. Parallel und in gleicher Länge sind auch die Kanten der Ober- und Unterseite, die jedoch im Gegensatz zu einem Quadrat nicht die gleiche Länge aufweisen wie die Seitenkanten. Dabei kommt es jedoch zur Erfüllung der Funktion der Windelbox – Aufnahme von Windeln – nicht auf eine exakte Einhaltung der Geometrie, insbesondere der Parallelität der Kanten sowie Flächen sowie exakte Ausformung der Ecken an. Denn durch die Vornahme solcher gestalterischer Abwandlungen wird die Funktionalität der Windelbox nicht beeinträchtigt. Im Übrigen zeigt auch gerade die Verwendung des Begriffs „quaderförmig“, dass es auf eine exakte Einhaltung der Geometrie eines Quaders nicht ankommt. Dieses Verständnis wird durch den Sinn und Zweck der Vorgabe eines quaderförmigen Behältnisses gestützt. Danach muss der Behälter lediglich eine solche an einem Quader ausgerichtete Form haben, die die Aufbewahrung von Windeln, insbesondere Wegwerfwindeln, gewährleistet. Diese Funktion wird jedoch erfüllt, wenn die Quadergrundform grundsätzlich beibehalten und nur mit Hilfe von gestalterischen Elementen hiervon abgewichen wird.

Entsprechend stellt die angegriffene Ausführungsform auch ein quaderförmiges Behältnis dar. Denn die gestalterischen Abweichungen – abgerundete Ecken sowie eine vorgewölbte Abdeckung – ändern nichts daran, dass als Grundform ein Quader vorliegt. Die Beklagten meinen zwar, dass auf Grund dieser gestalterischen Abweichungen ein Prisma vorliege. Ein Quader ist jedoch ein Sonderfall eines Primas, so dass auch unter Zugrundelegung der Argumentation der Beklagten ein quaderförmiges Behältnis vorliegt.

Es handelt sich entgegen der Ansicht der Beklagten auch um ein Behältnis mit einer Rückwand (Merkmal 2.c)). Zwar besteht die Rückseite der Windelbox nur aus einem 2,5 cm breiten Streifen. Hierbei handelt es sich jedoch nur um einen gestalterischen Aspekt, der die Funktionalität des Behältnisses nicht beeinträchtigt. Denn durch die Beschreibung des quaderförmigen Behältnisses bestehend u.a. aus einer Rückwand werden nur die einzelnen Grundflächen des Behältnisses beschrieben ohne eine Einschränkung bezüglich der konkreten Ausgestaltung der Rückwand. Insbesondere findet sich weder in den Patentansprüchen noch in der Beschreibung oder Zeichnung ein Hinweis, dass die Rückwand des quaderförmigen Behältnisses „vollflächig“ geschlossen sein müsste, so dass ein Durchbrechen der Rückwand vom Klagepatent nicht ausgeschlossen wird. Auch die Funktion des Behältnisses ist hierdurch nicht beeinträchtigt, da durch den lediglich 2,5 cm breiten Kunststoffstreifen der Rückseite die Aufnahme und Lagerung der Windeln gewährleistet wird. Die Beklagten selbst stellen die Funktion der Windelbox zur Aufnahme und Lagerung der Wegwerfwindeln auf die Verpackung der Windelbox heraus. Die entsprechende Funktionalität der angegriffenen Windelbox wurde auch in ihrem Vortrag nicht in Abrede gestellt. Hinzukommt, dass die Windelbox an der Wand befestigt werden kann/soll, so dass die Zimmerwand in Ergänzung als Rückwand dient und die Windeln nicht herausfallen können.

Für die Frage der Verletzung des Klagepatents ohne Relevanz ist auch der Umstand, dass die angegriffene Windelbox einteilig ist. Die Auflistung der einzelnen Korpusbestandteile in der Merkmalsgruppe 2 dient – wie ausgeführt – lediglich der Auflistung der einzelnen Flächen des quaderförmigen Gebildes, sagt jedoch nicht darüber aus, ob diese Flächen durch ein Teil oder mehrere Teile gebildet werden. Gerade in Absatz [0014] wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Windelspender einstückig im Spritzgussverfahren aus einem geeigneten Kunststoffmaterial hergestellt werden kann.

Entgegen der Auffassung der Beklagten wird durch die angegriffene Ausführungsform auch das Merkmal 3.a) verwirklicht, wonach die Abdeckung von einer durch Schieben entfernbaren Vorderseite gebildet wird. Diese durch Schieben entfernbare Abdeckung dient, wie in den Merkmalen 2.b) und c) weiter beschrieben wird, dem vollständigen Freigeben der Vorderseite des Behältnisses beim Entfernen der Vorderwand, so dass das geöffnete Behältnis mit einem Stapel Windeln von vorne befüllbar ist. Durch die verschieblich entfernbare Vorderwand, welche als Abdeckung dient, soll daher der Innenraum des Behältnisses vollständig zur Befüllung zur Verfügung stehen.

Auf welche Art und Weise und in welchem Umfang der Verschiebevorgang erfolgen soll wird nicht zwingend vorgegeben. Insbesondere macht der Patentanspruch keine Angaben dahingehend, dass das Verschieben nur durch eine in einer Nut geführte Vorderwand erfolgen kann, wie dies in den zeichnerischen Darstellungen bevorzugter Ausführungsformen in den Figuren 1 sowie 4 bis 7 gezeigt ist. Dort wird jeweils eine Vorderwand gezeigt, die in in den Seitenwänden angebrachten Nuten geführt wird und welche durch Verschieben den Innenraum des Behältnisses freigibt. Entsprechend heißt es in der Beschreibung der Figur 1 in Spalte 3 Zeilen 44 ff., dass diese Vorderwand 7 nun in zwei Längsnuten 25 in den Seitenwänden 4 und 5 verschiebbar ist. Weiter heißt es, dass die beiden Längsnuten 25 nur bis zur Oberseite des Spaltes 18 reichen. Damit wird erreicht, dass sich die Vorderwand einfach wegschieben lässt, so dass die gesamte Vorderseite des Windelspenders freigegeben wird, und dieser mit einem Stapel Windeln einfach befüllt werden kann. Entsprechend werden diese Längsnuten/Führungen im Unteranspruch 2 beschrieben.

Sowohl die Figuren als auch die Beschreibung gehen daher von einer Verschiebung der Vorderwand in Längsnuten/Führungen aus. Diese Form der Verschiebung hat jedoch in den Anspruch keinen Eingang gefunden. Es ist auch nicht zu erkennen, dass ein Fachmann den Anspruch auf den in den Ausführungsbeispielen beschriebenen und gezeigten Verschiebevorgang reduzieren würde. Denn durch den Verschiebevorgang soll lediglich erreicht werden, dass der Innenraum des Behältnisses freigegeben wird, um eine äußerst einfache Befüllung zu ermöglichen. Hierdurch grenzt sich das Klagepatent von dem in der einleitenden Beschreibung des Klagepatentes geschilderten Stand der Technik ab, die EP-A 2773315 (Anlage K 3), bei welcher der Deckel und die Vorderwand umgeklappt werden mussten. Je nach Höhe der Zarge wird das Befüllen vom Klagepatent problematisch beschrieben. Dies wird durch die Erfindung nach dem Klagepatent vermieden, indem die Vorderwand komplett entfernt wird, so dass der Innenraum des Behältnisses vollständig zur Verfügung steht und die Befüllung ohne im Weg stehende Wände und Abdeckung vorgenommen werden kann.
Entsprechend reicht mithin auch eine einfache Verschiebung der Vorderwand, wenn dadurch erreicht wird, dass die Vorderwand, welche als Abdeckung dient, vollständig entfernt werden kann. Auf eine durchgehende Führung der Vorderwand in Längsnuten der Seitenwände kommt es daher nicht an.

Dem genannten Verständnis des Merkmals 3.a) steht auch nicht der Beschluss des Bundpatentgerichtes vom 29. Juni 2004 (Anlage B 4) in dem das Lizenzpatent I betreffenden Einspruchsverfahren entgegen. Ungeachtet dessen, dass die Beklagten die vom Gericht in Betracht gezogenen Druckschriften, insbesondere die Druckschriften mit den Ziffern 4, 5 und 5a nicht vorgelegt hat, hat das Gericht keine Ausführungen zu der Frage gemacht, welche Form von Verschiebung durch das Klagepatent offenbart wird. Das Bundespatentgericht hat als Stand der Technik die im Klagepatent genannte prioritätsbegründende Druckschrift CH 1155/00 berücksichtigt sowie die hierzu relevante PCT-Anmeldung PCT/CH01/00362. Auf Seite 7 des Beschlusses wurde ausgeführt, dass die Druckschrift 5a keine Einziehung zum Zwecke der Stauchung der Windeln aufweist, mithin nicht neuheitsschädlich ist. Im Rahmen der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit wurde ausgeführt, dass die Druckschrift 5 der Erfindung nach dem Lizenzpatent I nicht entgegen steht, da sie einen aufschnappbaren Deckel nicht zeigt und keine dahingehenden Anregungen vermittelt, weil auch hier das Prinzip der Windelstauchung zur besseren Entnahme nicht erkennbar ist.

Ungeachtet dessen, dass es sich hierbei lediglich um eine sachverständige Äußerung handelt, an welche das Verletzungsgericht nicht gebunden ist, wird nicht gesagt, dass es sich nicht um eine Abdeckung handelt, die verschieblich ist. Das Bundespatentgericht nahm die Beurteilung ausgehend vom Gegenstand des Lizenzpatentes I vor und nicht anhand der Lehre des Klagepatentes, so dass eine Verschiebbarkeit nicht Gegenstand der Prüfung sein musste.

Das entgegenstehende Verständnis der Beklagten ist in den in den Zeichnungen der Klagepatentschrift gezeigten Ausführungsbeispielen begründet, welche eine andere Ausgestaltung zeigen als die angegriffene Ausführungsform. Die Beklagten verkennen hierbei jedoch, dass maßgebend für die Auslegung der Patentanspruch ist, Beschreibung und Zeichnung dienen der Erläuterung. Jedenfalls kann ein weiter gefasster Anspruch nicht auf die Ausführungsbeispiele reduziert werden (BGH, GRUR 2007, 778 – Ziehmaschinenzugeinheit; BGHZ 160, 204, 210 – Bodenseitige Vereinzelungsvorrichtung).

Dieses Verständnis des Klagepatentes zugrundelegend macht die angegriffene Windelbox von dem Merkmal 3.a) Gebrauch. Denn die Vorderwand, welche als Abdeckung dient, kann durch Schieben entfernt werden. Die Vorderwand ist an der Oberseite mittels einer Zunge in einen Schlitz eingehängt. Die Aufhebung der Aufhängung und vollständige Entfernung der Vorderwand zur Freigabe des Innenraums ist nur möglich, wenn die Vorderwand über die Länge der Zunge verschoben wird, so dass die Aufhängung gelöst wird. Das von den Beklagten beschriebene Aushängen beinhaltet entsprechend ein Verschieben der Vorderwand über die Länge der Zunge. Dass die an den Seiten der Vorderwand befindlichen Zungen zuvor aus den in den Seitenwänden befindlichen Öffnungen durch gleichzeitiges Drücken entfernt werden müssen, ist für die Frage der Verletzung unerheblich, da das Klagepatent weitere Sicherungs- bzw. Befestigungsmaßnahmen nicht ausschließt. Denn auch in Figur 4 werden Zungen gezeigt, welche in Löcher eingeführt werden, die zum Abnehmen der Wände erst gelöst werden müssen (vgl. Beschreibung Spalte 4 Zeilen 52 ff.).

3. Dass die Beklagten mit Herrn A einen – behaupteten – Lizenzvertrag geschlossen haben und die angegriffene Ausführungsform entsprechend des Gegenstandes des/der Lizenzpatente gefertigt sein soll, ist bei der Frage einer wortsinngemäßen Verletzung ohne Relevanz. Denn selbst wenn ein Gegenstand in den Schutzbereich eines lizenzierten Patents fällt, ist damit nicht ausgeschlossen, dass gleichzeitig die Merkmale eines älteren Schutzrechtes verwirklicht werden.

II.
Da die Beklagten das Klagepatent widerrechtlich benutzt haben, sind sie der Klägerin gemäß § 139 Abs. 1 PatG i.V.m. Art. 64 Abs. 3 EPÜ zur Unterlassung der Benutzungshandlungen verpflichtet.

Die Beklagten trifft ein zumindest fahrlässiges Verschulden. Bei Anwendung der von ihnen im Geschäftsverkehr zu fordernden Sorgfalt hätten sie die Benutzung des Klagepatents erkennen und vermeiden können. Für die Zeit nach Patenterteilung schulden die Beklagten daher Ersatz des Schaden, welcher der Klägerin entstanden ist und noch entstehen wird, § 139 Abs. 2 PatG. Der Anspruch auf Entschädigung ist nach Art. II § 1 IntPatÜG begründet.

Da die genaue Schadensersatzhöhe derzeit noch nicht feststeht, die Klägerin nämlich keine Kenntnis über den Umfang der Benutzungs- und Verletzungshandlungen durch die Beklagte haben, hat sie ein rechtliches Interesse gemäß § 256 ZPO daran, dass die Schadensersatzpflicht der Beklagten dem Grunde nach festgestellt wird. Um die Klägerin in die Lage zu versetzen, die ihr zustehenden Ansprüche auf Entschädigung und Schadensersatz zu beziffern, sind die Beklagte verpflichtet, im zuerkannten Umfange über ihre Benutzungshandlungen Rechnung zu legen. Im Rahmen der gemäß § 140 b PatG bestehenden Auskunftspflicht hat die Beklagte außerdem die betreffenden Belege zu überlassen (vgl. OLG Düsseldorf, InstGE 5, 249 – Faltenbalg).

Der im Tenor zu I.3. ausgeurteilte Zahlungsanspruch findet seine Grundlagen in §§ 139 Abs. 2, 143 Abs. 3 PatG. Der Zinsanspruch ist nach §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB begründet.

III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 709, 108 ZPO.

Der Streitwert beträgt 30.000,00 EUR.