Düsseldorfer Entscheidungsnummer: 2815
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 02. Oktober 2018, Az. 4a O 73/18
- 1.1 Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
- II. Die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens trägt die Verfügungsklägerin.
- III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Verfügungsklägerin kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Verfügungsbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
- Tatbestand
- Die ehemals unter der Bezeichnung „A“ firmierende Verfügungsklägerin ist eingetragene Inhaberin des deutschen Patents DE 102 42 XXX C5 (Verfügungspatent), das am 10.09.2002 angemeldet und dessen Erteilung am 13.04.2006 veröffentlicht wurde. Mit Urteil vom 22.04.2009 hielt das Bundespatentgericht das Verfügungspatent mit einer geänderten Anspruchsfassung aufrecht. Die hiergegen gerichtete Berufung wies der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 07.12.2010 zurück. Die Veröffentlichung des geänderten Patents erfolgte am 30.06.2011.
- Das Verfügungspatent betrifft eine Körperaufnahme für ein fahrbares Rahmengestell. Patentanspruch 1 des (geänderten) Verfügungspatents hat folgenden Wortlaut:
- „Körperaufnahme für ein fahrbares Rahmengestell eines Fahrradanhängers, die mit mindestens einem Befestigungselement im Rahmengestell befestigt werden kann, zum Transport von Babys in einer Liegesitzposition, gekennzeichnet durch eine flexible Matte (21), seitlich an der Matte (21), in insbesondere in Höhe des Gesäßbereichs, angeordnete Wandungen, die einem seitlichen Herausrutschen eines Körpers entgegenwirken, und Gurte als seitliche, in Längsrichtung der Matte (21) verlaufende Spannelemente, die an der Oberkante der Wandungen verlaufen, sowie mindestens einen an der Rückseite der Matte (21) im Gesäßbereich befestigten Gurte (31, 32), wobei die Matte (21) mit den seitlichen Gurten (22, 23) in Längsrichtung der Matte und dem mindestens einen an der Rückseite der Matte (21) befestigten Gurt (31, 32) nach hinten in die Transportform verspannt werden kann.“
- Die nachfolgende Abbildung (Figur 1 der Verfügungspatentschrift) veranschaulicht den Gegenstand des Verfügungspatents anhand eines bevorzugten Ausführungsbeispiels.
- Der Verfügungsbeklagte betrieb auf der in der Zeit vom 08.-10.07.2018 in Friedrichshafen stattfindenden Messe „XXX“, einer – weltweit gesehen – führenden Leitmesse der Fahrradbranche, einen Messestand. Dort präsentierte sie einen Babysitz, der sich in einem Rahmengestell eines Fahrradanhängers anbringen lässt (angegriffene Ausführungsform XXX). Neben dem Anhänger mit Babysitz befand sich ein Aufsteller (Lichtbild Anlage Ast 8), auf dem für einen „Einsitzer (viel Zubehör inklusive)“ eine unverbindliche Preisempfehlung in Höhe von 1.199,– EUR abgegeben wurde.
- Die Verfügungsklägerin hat als Anlagen Ast 7 und 8 bis 13 Lichtbildabbildungen des ausgestellten Babysitzes zur Akte gereicht. Nachfolgend werden zur Veranschaulichung des angegriffenen Gegenstandes Lichtbilder aus den Anlagen Ast 9, 11 und 12 wiedergegeben.
- Wie aus den obigen Lichtbildern ersichtlich ist, befindet sich an den Seiten im Gesäßbereich des Körpers jeweils ein Stoffdreieck, oberhalb dessen eine umlaufende Polsterung verläuft. Auf der vom Körper abgewandten Seite der Polsterung ist längsseitig jeweils ein Gurtband auf die Polsterung so aufgenäht, dass es direkt oberhalb des Stoffdreiecks verläuft. Die Gurte sind jeweils mit einigen Zentimetern Abstand zum Kopf- und Fußende an dem Stoff angebracht (vgl. auch die Abbildung Ast 10).
- Der Verfügungsbeklagte hat auf der Messe noch eine andere Variante eines Babysitzes ausgestellt (angegriffene Ausführungsform XXY), dessen Ausgestaltung der nachfolgend wiedergegebenen Abbildung (Anlage Ast 14) entnommen werden kann, wobei das obere Bild den Sitz von oben und die untere Abbildung den Sitz von unten zeigt.
- Bei der Variante XXY sind an der schlauchartigen Polsterung lediglich Reisverschlüsse eingenäht, die über beide Längsseiten und Stirnseiten verlaufen. Gurte, die zum Verspannen der Matte in Längsrichtung dienen, sind an den Polsterungen selbst angenäht.
- Der Verfügungsbeklagte hat in der mündlichen Verhandlung jeweils ein Muster der angegriffenen Ausführungsformen XXX und XXY zur Gerichtsakte gereicht, auf die Bezug genommen wird.
- Die Verfügungsklägerin ist der Auffassung, dass die angegriffenen Ausführungsformen von der technischen Lehre des Verfügungspatents unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch machen. Mit ihrem Verfügungsantrag nimmt sie den Verfügungsbeklagten deshalb auf Unterlassung in Anspruch.
- Die Verfügungsklägerin macht geltend: Bei der angegriffenen Ausführungsform XXX bildeten die seitlichen, im Gesäßbereich angeordneten Stoffdreiecke die seitlichen Wandungen. Diese würden die erforderliche seitliche Stützfunktion auch ohne die oberhalb angeordneten Polster erfüllen. Auf das Vorhandensein dieser Polster könne es daher für die Verletzungsfrage nicht ankommen. Bei dieser Betrachtung verliefen die Längsgurte auch an der Oberkante der durch die Stoffdreiecke gebildeten Wandungen. Bei der angegriffenen Ausführungsform XXY stelle der Reisverschluss, der in der schlauchartigen, umlaufenden und an der Oberkante wie auch im Fußbereich der Matte verlaufenden Polsterungen untergebracht sei, ein zweiteiliges festes Gurtband dar, das für eine Verspannung der Matte in Längsrichtung sorge. Der den Gurt bildende Reisverschluss müsse auch nicht unmittelbar mit einem Befestigungselement versehen sein.
- Die Verfügungsklägerin beantragt,
- den Verfügungsbeklagten zu verurteilen, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,– EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unterlassen,
- Köperaufnahmen, die in einem Rahmengestell eines Fahrradanhängers angebracht und dort mit mindestens einem Befestigungselement befestigt werden können und die sich zum Transport von Babys in einer Liegesitzposition eignen,
- in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen und/oder zu den genannten Zwecken einzuführen und/oder zu besitzen,
- wenn die Körperaufnahmen aus einer flexiblen Matte bestehen und Wandungen aufweisen, die seitlich an der Matte, insbesondere in Höhe des Gesäßbereichs angeordnet sind und einem seitlichen Herausrutschen eines Körpers entgegenwirken, und die Matte in ihre Transportform durch Gurte verspannt werden kann, von denen die seitlich in Längsrichtung der Matte verlaufenden Gurte als Spannelemente an der Oberkante der Wandungen verlaufen und die Matte in Längsrichtung verspannen können und mindestens ein an ihrer Rückseite im Gesäßbereich befestigter Gurt die Matte nach hinten verspannen kann.
- Der Verfügungsbeklagte beantragt,
- den Verfügungsantrag zurückzuweisen.
- Er rügt die örtliche Zuständigkeit der angerufenen Kammer. Die angegriffenen Ausführungsformen seien auf der außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Kammer stattfindenden Messe XXX nicht für einen weltweiten Vertrieb angeboten worden. Bei den ausgestellten Ausführungsformen habe es sich um Prototypen zukünftiger Produkte gehandelt, deren Serienherstellung nicht festgestanden und für die es keine Preisempfehlung gegeben habe. Ein interessierter Messegast hätte weder den Endpreis, den Lieferzeitpunkt noch die Ausführungsform eines zu erwerbenden Produkts in Erfahrung bringen können. Vor diesem Hintergrund sei mangels Angebot kein Verfügungsanspruch gegeben und kein Verfügungsgrund erkennbar. Der Aufsteller mit der Preisempfehlung habe sich nicht auf die Körperaufnahme bezogen. Der nach dem Wortlaut des Patentanspruchs 1 formulierte Unterlassungsantrag sei nicht hinreichend bestimmt.
- Das Verfügungspatent sei gemäß Art. II § 8 (1) IntPatÜG unwirksam, da die Klägerin auch Inhaberin des europäischen Patents EP 2 075 185 B1 sei, dessen Patentanspruch 1 einen Fahrradanhänger mit einem Rahmengestell mit einer Körperaufnahme zum Transport von Babys zum Gegenstand hat. Das Verfügungspatent könne daher nur noch gegenüber solchen Verletzungsformen geltend gemacht werden, die nicht in den Schutzbereich des europäischen Patents fielen.
- Die angegriffenen Ausführungsformen machten von der technischen Lehre des Verfügungspatents keinen Gebrauch. Bei ihnen könne die Matte nicht in Längsrichtung in ihre Transportform durch Gurte in der Weise verspannt werden, dass seitlich in Längsrichtung angeordnete Gurte als Spannelemente an der Oberkante der Wandungen verliefen. Bei den angegriffenen Ausführungsformen seien die Polster als Teil der Wandung anzusehen. Die Oberseite der Polster bilde die Oberkante der Wandungen. Dort verlaufen keine Gurte. Da die jeweiligen Enden der längsseitigen Gurte mit einem Abstand von einigen Zentimetern zum Kopf- und Fußende der Matte angebracht sind, könne die Matte auch nicht in patentgemäßer Weise komplett verspannt werden. Bei der angegriffenen Ausführungsform XXY stelle der Reisverschluss keinen als Spannelement dienenden Gurt dar.
- Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der beiderseitigen Schriftsätze und der mit ihnen vorgelegten Urkunden und Anlagen Bezug genommen.
- Entscheidungsgründe
- Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet, da sich eine Verletzung des Verfügungspatents durch die angegriffenen Ausführungsformen nicht feststellen lässt.
- I.
- Der Verfügungsantrag ist zulässig.1.
Die örtliche und sachliche Zuständigkeit des Landgerichts Düsseldorf ergibt sich aus § 143 PatG in Verbindung mit der Verordnung über die Zuweisung von Patentstreitsachen, Gebrauchsmusterstreitsachen und Topografieschutzsachen an das Landgericht Düsseldorf vom 30.08.2011 und § 32 ZPO, weil es sich um eine Patentstreitsache handelt und eine Angebotshandlung der angegriffenen Ausführungsformen vorliegt, die bundesweiten Bezug hat. - Die angegriffenen Ausführungsformen sind vom Verfügungsbeklagten auf der Messe XXX im Sinne von § 9 S. 2 Nr. 1 PatG angeboten worden. Der Begriff des Anbietens ist rein wirtschaftlich zu verstehen. Er umfasst jede im Inland begangene Handlung, die nach ihrem objektiven Erklärungswert den Gegenstand der Nachfrage in äußerlich wahrnehmbarer Weise zum Erwerb der Verfügungsgewalt bereitstellt (BGH, GRUR 2006, 927 – Kunststoffbügel). Bei der Messe XXX handelt es sich um keine reine Leistungsschau, sondern um eine Verkaufsmesse. Das Ausstellen auf einer solchen Messe stellt grundsätzlich ein Anbieten im vorgenannten Sinne dar (vgl. OLG Düsseldorf, BeckRS 2014, 1607 – Sterilcontainer; Kühnen, HdB Patentverletzung, 10. Aufl., Kap A Rdn. 250 m.w.N. auch zur Gegenauffassung).
- Dass ein Angebot vorliegt, steht im Übrigen auch deshalb außer Zweifel, weil der Verfügungsbeklagte neben dem ausgestellten Einsitzer mit den angegriffenen Ausführungsformen ein Verkaufsplakat mit einer unverbindlichen Preisempfehlung für den Einsitzer inklusive „viel Zubehhör“ (vgl. Anlage Ast 8) aufgestellt hat, der die ausgestellten Gegenstände eindeutig als Verkaufsgegenstände ausweist, ohne dass die streitgegenständlichen Körperaufnahmen hiervon erkennbar ausgeschlossen sind.
- Da es für ein Anbieten auf eine tatsächliche Herstellungs- und Lieferbereitschaft nicht ankommt (vgl. OLG Karlsruhe, GRUR 2014, 59 – MP2-Geräte), kann der Verfügungsbeklagte hiergegen auch nicht mit Erfolg einwenden, dass es sich bei den angegriffenen Ausführungsformen lediglich um Prototypen handle.
- Die Angebotshandlung hat bundesweiten und damit auch für den vorliegenden örtlichen Gerichtsstand erforderlichen Bezug. Denn bei der Messe XXX handelt es sich um eine weltweite Leitmesse, so dass dortige Angebote auch in das ganze Bundesgebiet wirken.
- 2.
Entgegen der Ansicht des Verfügungsbeklagten ist der Verfügungsantrag auch hinreichend bestimmt. Denn bei einer wortsinngemäß geltend gemachten Patentverletzung ist der Anspruchswortlaut grundsätzlich geeignet, den Verletzungsgegenstand hinreichend zu bestimmen (vgl. LG Düsseldorf, Urt. V. 29.03.2012, 4a O 236/10; Kühnen, Hdb. Patentverletzung, a.a.O., Kap D Rdn. 301). Dies bietet Gewähr dafür, dass der Urteilstenor nur diejenigen Details enthält, die für die erfindungsgemäße Lehre von Bedeutung sind. - II.
- Der Verfügungsantrag ist jedoch unbegründet. Der Verfügungsklägerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß § 139 Abs. 1 PatG nicht zu. Die angegriffenen Ausführungsformen machen von der technischen Lehre des Verfügungspatents keinen Gebrauch.
- 1.
Das Verfügungspatent betrifft eine Aufnahme für ein fahrbares Rahmengestell zum Transport von Babys oder Kleinkindern. - Der Patentbeschreibung zufolge ist der Transport von Kleinkindern und Babys in Fahrradanhängern nicht ohne weiteres möglich, da die Sitze der Fahrradanhänger hierfür nicht ausgelegt sind. Mangels geeigneter Lösungen für dieses Problem würden häufig für Autos konzipierte Babyschalen in Fahrradanhänger eingesetzt und darin mit Gurten befestigt. Wesentlicher Nachteil hierbei sei aber, dass Babyschalen sehr klobig und in der Regel breiter als die für ein Kind vorgesehene Sitzfläche seien. Dies sei insbesondere bei zweisitzigen Fahrradanhängern ein Problem, da bei Einsetzen der Babyschale in den Anhänger neben der Schale kaum noch Platz für ein zweites Kind, geschweige denn für eine zweite Babyschale verbleibe. Im Stand der Technik sei zwar bereits eine harte Babyschale aus Polystrol bekannt, die auf die Breite eines Kindersitzes in einem Fahrradanhänger zugeschnitten ist und eine konkav ausgebildete Sitzfläche aufweist. Diese Transportschale sei allerdings sperrig, wodurch ihre Befestigung in einem Fahrradanhänger erschwert werde und eine platzsparende Lagerung nicht möglich sei. Starre Babyschalen könnten sich außerdem nicht an die Lage und Bewegung eines Babys oder Kleinkindes anpassen und seien nicht atmungsaktiv. Die Verfügungspatentschrift schildert weiter am Beispiel verschiedener Druckschriften Fahrradanhänger für Kinder als bekannt, die einen in vertikaler Richtung zusammenklappbaren Rohrrahmen und Sitze aus Textil- bzw. aus flexiblem Material aufweisen. Solche Anhänger seien für den Transport von Babys oder Kleinkindern entweder aufgrund der durch den Rohrrahmen vorgegebenen Form oder aufgrund einer unzureichenden Formfestigkeit der Sitze, die nicht genügend Halt gäben, nicht hinreichend geeignet.
- Das Verfügungspatent stellt sich vor diesem Hintergrund die Aufgabe (technisches Problem), eine Alternative zu der bekannten Babyschale zur Verfügung zu stellen, mit der ein Transport von Babys in einem Fahrradanhänger ermöglicht wird und bei der die zuvor beschriebenen Nachteile nicht bestehen.
- Zur Lösung dieser Aufgabe sieht Patentanspruch 1 in der im Nichtigkeitsverfahren geänderten Fassung eine Körperaufnahme für ein fahrbares Rahmengestell vor, dessen Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:
- 2. Die Körperaufnahme lässt sich in einem fahrbaren Rahmengestell eines Fahrradanhängers anbringen,
2.1 in dem sie mit mindestens einem Befestigungselement befestigt werden kann.
3. Die Körperaufnahme eignet sich zum Transport von Babys in einer Liegesitzposition.
4. Die Körperaufnahme
4.1 besteht aus einer flexiblen Matte und
4.2 weist Wandungen auf,
4.2.1 die seitlich an der Matte, insbesondere in Höhe des Gesäßbereichs angeordnet sind und
4.2.2 einem seitlichen Herausrutschen eines Körpers entgegenwirken.
5. Die Matte kann in ihrer Transportform durch Gurte verspannt werden, von denen
5.1 die seitlich in Längsrichtung der Matte angeordneten Gurte als Spannelemente an der Oberkante der Wandungen verlaufen und die Matte in Längsrichtung verspannen können und
5.2 mindestens ein an ihrer Rückseite im Gesäßbereich befestigter Gurt die Matte nach hinten verspannen kann. - 2.
Die angegriffenen Ausführungsformen machen von Merkmal 4.1 des Patentanspruchs 1 keinen Gebrauch. - a.
Grundidee der Lehre des Verfügungspatents ist es, in Abkehr von herkömmlichen harten Babyschalen die Körperaufnahme aus einer flexiblen Matte zu bilden (Merkmal 3.1; Abs. 0011). Dies hat Vorteile wie insbesondere eine hohe Flexibilität und kompakte Verstaubarkeit (Abs. 0012). Um ein Baby sicher für den Transport aufzunehmen, muss die flexible Matte so verspannt werden, dass sie in die für den Transport des Körpers benötigte Form gebracht wird (Abs. 0011). Das Verspannen erfolgt durch Gurte (Merkmal 4). - Ein wesentlicher Sicherheitsaspekt, der sich auf die Formgebung auswirkt, ist, dass der Körper nicht seitlich aus der Körperaufnahme herausrutschen darf. Hierzu weist die Körperaufnahme gemäß Merkmal 3.2 Wandungen auf, die seitlich an der Matte angeordnet sind, insbesondere in Höhe des Gesäßbereichs (Merkmal 3.2.1). Diese Wandungen dienen also als seitliche Begrenzung der Matte und müssen demgemäß seitlichen Kräften des Körpers, die insbesondere im Gesäßbereich auftreten können, in hinreichendem Maße widerstehen können.
- Die Merkmalsgruppe 4 befasst sich mit dem Verspannen der Matte in ihre Transportform. Hierzu werden Gurte verwendet. Sie eignen sich in besonderer Weise, da sie stark auf Zug belastet werden können (vgl. Abs. 0015). Merkmal 4.1 macht Vorgaben zur seitlichen Verspannung in Längsrichtung der Matte. Dazu sind Gurte seitlich in Längsrichtung der Matte angeordnet, die die Matte in Längsrichtung verspannen können. Dabei bleibt Merkmal 4.1 jedoch nicht stehen, sondern es macht weitere konkrete räumlich-körperliche Angaben zur Anordnung der Gurte. Sie müssen als Spannelemente an der Oberkante der Wandungen verlaufen. Technischer Zweck dieser Maßnahme ist es, zur Stabilisierung der Seiten der Körperaufnahme beizutragen (vgl. Abs. 0015; BGH, Urt. V. 07.12.2010, X ZR 97/09, Tz. 12). Wie für den Fachmann offenkundig ist, gewährleistet der Verlauf der Spanngurte an der Oberkante der Wandungen, dass die Wandungen über ihre gesamte Höhe, also unterhalb ihrer Oberkante stabil von den Gurten gehalten und verspannt werden, so dass sie eine hinreichend ausgeprägte und gegen ein seitliches Herausrutschen widerstandsfähige seitliche Sicherung bzw. Barriere bilden.
- Soweit es in der Patentbeschreibung als bevorzugt beschrieben wird, die in Längsrichtung angeordneten Gurte in schlauchartigen Hülsen verlaufen zu lassen (Abs. 0016), wird in der weiteren Beschreibung ausdrücklich klargestellt, dass sie als Bestandteile der seitlichen Wandungen betrachtet werden können (Abs. 0032). Wandungen und Hülsen stellen bei der gebotenen technischen Betrachtung nicht zwingend ein Gegensatzpaar dar. Entsprechendes gilt für Polsterungen. Denn gemäß Abs. 0014 können die Wandungen zur Erhöhung des Komforts der Matte Polsterungen aufweisen. Diese können also ebenfalls als Bestandteil der Wandungen begriffen werden. Damit ist allerdings noch nicht zwingend gesagt, dass Hülsen oder Polsterungen nicht auch unabhängig von der Gestaltung der Wandungen ausgeführt sein können. Entscheidend ist insoweit, ob sie in technisch erheblicher Weise auch die Funktion von Wandungen übernehmen, also neben der sonstigen Wandung dazu beitragen, einem seitlichen Herausrutschen des Körpers entgegenzuwirken. Ist dies der Fall, gehören sie zu den Wandungen. Zu verneinen kann dies sein, wenn die Polsterung bzw. die Hülsen sich in Bezug auf das seitliche Halten des Körpers quasi nur als „Materialüberschuss“ darstellen, der bei der gebotenen technischen Betrachtung für das Halten ohne Belang ist.
- Diese Auslegung trägt dem Grundsatz Rechnung, dass Merkmale und Begriffe eines Patentanspruchs zwar regelmäßig so zu deuten sind, wie dies angesichts der ihnen nach dem offenbarten Erfindungsgedanken zugedachten technischen Funktion angemessen ist (BGH, GRUR 2009, 655 – Trägerplatte), jedoch die gebotene funktionale Betrachtung bei räumlich-körperlich definierten Merkmalen nicht dazu führen darf, dass ihr Inhalt auf die bloße Funktion reduziert und das Merkmal in einem Sinne interpretiert wird, der mit der räumlich-körperlichen Ausgestaltung, wie sie dem Merkmal eigen ist, nicht mehr in Übereinstimmung steht (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. V. 21.03.2013, I-2 U 73/09; Meier-Beck, GRUR 2003, 905, 907). Dem würde es widersprechen, den Verlauf der Oberkante der Wandungen allein in funktionaler Weise dahingehend zu bestimmen, ob sich unterhalb der Längsgurte bereits seitliche Wandungsteile befinden, die als Sicherung gegen ein seitliches Herausrutschen ausreichen können, und oberhalb der Gurte liegende Wandungsabschnitte unberücksichtigt zu lassen, obwohl sie auch zur seitlichen Sicherung beitragen. Räumlich-körperlicher Bezugspunkt für die Bestimmung der Oberkanten sind nicht die Längsgurte, sondern die in der Merkmalsgruppe 3.2 genannten Wandungen. Soweit sie seitlich an der Matte (insbesondere im Gesäßbereich) angeordnet sind und einem seitlichen Herausrutschen des Körpers entgegenwirken, handelt es sich um diejenigen Wandungen, welche zur Ermittlung der Oberkanten heranzuziehen sind. Allein auf die für einen Sicherungseffekt ausreichend hohe Platzierung der Längsgurte an den seitlichen Wandungen abzustellen, würde diese räumlich-körperliche Vorgabe auflösen. Bestätigung findet dies darin, dass an die Annahme eines hinreichenden seitlichen Sicherungseffekts durch eine ausreichend hohe Platzierung der Längsgurte an den seitlichen Wandungen unterschiedlich strenge Anforderungen gestellt werden können. Auch dies widerspricht dem Sinn einer räumlich-körperlichen Vorgabe, die – wie vorliegend – eine bestimmte geometrische Vorgabe zu der Lage von Bauteilen (hier Gurte und Wandungen) macht, um einen erwünschten technischen Effekt zu erreichen.
- Dass die Matte zwingend über ihre absolut gesamte Länge von den Gurten verspannt können werden muss, ist der technischen Lehre des Verfügungspatents nicht zu entnehmen. Eine entsprechende räumlich-körperliche Vorgabe enthält Patentanspruch 1 nicht. Technisch-funktional kommt es nur darauf an, dass die Verspannung über eine Länge stattfindet, die ein Verspannen in die Transportform erlaubt, also zu der sicheren und stabilen Bildung der Körperaufnahme mit den stützenden seitlichen Wandungen führt.
- b.
Von der so verstandenen technischen Lehre des Verfügungspatents machen die angegriffenen Ausführungsformen keinen Gebrauch. - Bei der angegriffenen Ausführungsform XXX sind die in Längsrichtung verlaufenden Gurte auf der Unterseite einer Polsterung aufgenäht, die sich mit dem entsprechenden Gurtabschnitt – wie insbesondere aus den Abbildungen gemäß den Anlagen Ast 11 und 12 ersichtlich ist – oberhalb der Kante eines Stoffdreiecks erstreckt.
- Betrachtet man die Polsterung – wie es nach der technischen Lehre des Verfügungspatents grundsätzlich möglich ist – als Teil der seitlichen Wandung, die sie dann gemeinsam mit dem Stoffdreieck bildet, lässt sich eine Verwirklichung von Merkmal 4.1 nicht feststellen. Denn die Gurte verlaufen bei dieser Sichtweise deutlich unterhalb der Oberkante der das Wandungsende bildenden Polsterung. Entsprechendes gilt für die angegriffene Ausführungsform XXY, soweit die Verfügungsklägerin den dort in der Polsterung vorhandenen Reisverschluss als zweiteiliges Gurtband betrachtet.
- Von einer Verwirklichung von Merkmal 4.1 durch die angegriffene Ausführungsform XXX könnte nur dann ausgegangen werden, wenn man die Polsterung, auf der die Gurte aufgenäht sind, nicht als zu den seitlichen Wandungen zugehörig betrachtet und als solche nur das Stoffdreieck ansieht. Nur dann ließe sich im Wortsinn des Patentanspruchs 1 davon sprechen, dass die Gurte an der Oberkante der Wandungen (Oberseite des Stoffdreiecks) verlaufen und die Matte in Längsrichtung spannen. Voraussetzung hierfür wäre, dass allein schon das Stoffdreieck genügt, um in ausreichendem Maße einem seitlichen Herausrutschen des Körpers entgegenzuwirken (vgl. Merkmal 3.2.2), und die Polsterung im Grundsatz nichts Zusätzliches zum seitlichen Halten des Körpers beitragen kann. Derartiges vermag die Kammer nach Inaugenscheinnahme des vorgelegten Musters der angegriffenen Ausführungsform XXX nicht festzustellen. Die Polsterung weist eine Höhe und Eigensteifigkeit auf, die dazu führt, dass der Körper in beachtlicher Weise (zusätzlich) seitlich eingefasst und ein nicht nur völlig unbeachtlicher (zusätzlicher) seitlicher Widerstand gegen ein seitliches Herausrutschen des Körpers geschaffen wird. Gemäß der obigen Auslegung ist die Polsterung somit als Teil der Wandungen anzusehen mit der Konsequenz, dass die Längsgurte nicht an der Oberkante dieser Wandungen verlaufen.
- Für die angegriffene Ausführungsform XXY gilt entsprechendes. Betrachtet man mit der Verfügungsklägerin den Reisverschluss als zweiteiligen Gurt kommt noch hinzu, dass dieser von der Oberkante des seitlichen Stoffdreiecks deutlich beabstandet ist. Eine Verbindung besteht nur über den Stoff der Polsterung. Betrachtet man diesen aber nicht als Teil der Wandungen, lässt sich auch der Reisverschluss nicht in funktional sinnvoller Weise dem Stoffdreieck und deren Oberkante zuordnen. Ordnet man den Stoff der Polsterung den Wandungen zu, befindet sich der Reisverschluss nicht an der Oberkante.
- Schließlich kann der Verfügungsklägerin aber auch schon in grundsätzlicher Hinsicht nicht darin gefolgt werden, den Reisverschluss im Sinne von Merkmal 4 und 4.1 als (zweiteiligen) Gurt zu definieren. Selbst wenn man bei technisch-funktionaler Betrachtung für das Vorliegen eines Gurtes nur verlangen sollte, dass dieser entlang der Längsrichtung der Matte Zugkräfte übertragen kann, muss patentgemäß hinzukommen, dass der Gurt die Matte in Längsrichtung verspannen kann. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Reisverschluss als entsprechendes Spannelement dient. Die zum Spannen dienenden Gurtbänder greifen – wie eine Inaugenscheinnahme des vorgelegten Musters belegt – nicht am Reisverschluss, sondern am Stoff der Polsterung an. Das bedeutet, dass allenfalls die gesamte Polsterung samt Reisverschluss als Spannelement dienen kann. Die Polsterung stellt in Entsprechung zu den obigen Ausführungen zur angegriffenen Ausführungsform XXX einen Teil der Wandungen dar und kann damit nicht zugleich Längsgurt sein. Unabhängig davon kann die Polsterung nicht als Gurt im Sinne von Merkmal 4.1 angesehen werden, weil der Stoff der Polsterung die hierfür erforderlichen Eigenschaften nicht aufweist. Wie Abschnitt 0015 der Patentbeschreibung zu entnehmen ist, werden nach der technischen Lehre des Verfügungspatents Gurte deshalb eingesetzt, weil sie stark auf Zug belastet werden können und sich deshalb besonders gut für die Stabilisierung der Körperaufnahme eignen. Auf den Stoff der Polsterung trifft dies – wie eine Inaugenscheinnahme der angegriffenen Ausführungsform XXY belegt – ersichtlich nicht zu. Eine stärkere Zugbeanspruchung birgt erkennbar die Gefahr, dass die im Kopf- und Fußbereich am Stoff angenähten Befestigungsgurte aus dem Stoff herausgerissen werden, weil der Stoff größere Zugbeanspruchungen nicht übertragen kann.
- Das Vorhandensein eines Gurtes, der den räumlich-körperlichen Vorgaben des Merkmals 4.1 entspricht, lässt sich nach alledem nicht feststellen. Vielmehr unternimmt die Verfügungsklägerin eine unzulässige zergliedernde Betrachtung der Einzelbestandteile der angegriffenen Ausführungsform XXY, die der technischen Funktion und dem Zusammenspiel der Einzelelemente nicht gerecht wird.
- III.
- Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
- Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO.
- Der Streitwert wird auf 300.000,– EUR festgesetzt.