4b O 207/10 – Braunüle

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 1506

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 11. November 2010, Az. 4b O 207/10

I. Der Verfügungsbeklagten wird es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, letztere zu vollziehen an einem der Geschäftsführer, untersagt, in der Bundesrepublik Deutschland

Schutzvorrichtungen für eine Infusionsnadel umfassend einen Nadelhalter am proximalen Ende der Nadel, auf deren Schaft ein Schutzelement für die Nadelspitze in Form eines Federclips verschiebbar ist, das durch eine Eingriffseinrichtung zwischen Nadel und Schutzelement daran gehindert ist, über die Nadelspitze hinaus verschoben zu werden, wobei das Schutzelement von einem Schutzschlauch umgeben ist, der mit radialer Spannung am Schutzelement anliegt

anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den benannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen.

II. Die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens trägt die Verfügungsbeklagte.

T a t b e s t a n d

Die Verfügungsklägerin ist ein weltweit tätiges Medizintechnik-Unternehmen insbesondere im Bereich intravenöser Katheter, IV-Katheter (sog. „Braunülen“). Sie bietet Sicherheits-IV-Katheter unter der Bezeichnung „A“ in Deutschland seit dem Jahr 2004 an. Diese Produkte sind sehr erfolgreich und machen die Verfügungsklägerin zur Marktführerin in dieser Produktgruppe. Bei den sog. IV-Kathetern handelt es sich um eine Vorrichtung mit einer Nadel, die mit einem Kunststoffschlauch (sog. Katheter) überzogen ist. Dieser wird vermittels der Nadel in eine Vene des Patienten eingeführt; sodann wird die Nadel zurückgezogen, so dass der Katheter in der Vene verbleibt. Bei den Sicherheits-IV-Kathetern wird die Nadelspitze nach Entnahme aus dem Katheteransatz unmittelbar von einem Nadelschutz aufgenommen, um eine Verletzung der behandelnden Person zu verhindern.

Die Verfügungsklägerin ist eingetragene Inhaberin des Gebrauchsmusters 203 15 XXX (Anlage Ast 5, nachfolgend: Verfügungsgebrauchsmuster). Die Anmeldung des Verfügungsgebrauchsmusters erfolgte am 15. Oktober 2003, die Eintragung am 12. Februar 2004. Die Bekanntmachung der Eintragung im Patentblatt datiert vom 18. März 2004. Gegen den Rechtsbestand des Verfügungsgebrauchsmusters beantragte ein drittes Unternehmen, ein deutscher Vertriebspartner der Verfügungsbeklagten, beim Deutschen Patent- und Markenamt die Löschung. Mit Beschluss vom 14. Juli 2009 wurde das Verfügungsgebrauchsmuster teilgelöscht. Auf die Beschwerde der Verfügungsklägerin hob das Bundespatentgericht den genannten Beschluss auf und bestätigte am 8. September 2010 die Schutzfähigkeit des Verfügungsgebrauchsmusters in eingeschränktem Umfang. Die schriftlichen Gründe des Beschlusses des Bundespatentgerichtes gingen der Verfügungsklägerin am 8. Oktober 2010 zu.

Das Verfügungsgebrauchsmuster betrifft eine Schutzvorrichtung für eine Injektionsnadel. Der für das zugrundeliegende einstweilige Verfügungsverfahren maßgebliche Schutzanspruch 1 hat in seiner eingeschränkt aufrechterhaltenen Fassung folgenden Wortlaut:

„Schutzvorrichtung für eine Injektions- bzw. Infusionsnadel (2), umfassend einen Nadelhalter (1) am proximalen Ende der Nadel, auf deren Schaft ein Schutzelement (3) für die Nadelspitze in Form eines Federclips verschiebbar ist, das durch eine Eingriffseinrichtung (2a, 3b) zwischen Nadel (2) und Schutzelement (3) daran gehindert ist, über die Nadelspitze hinaus verschoben zu werden, dadurch gekennzeichnet, dass das Schutzelement (3) von einer Schutzfolie oder einem Schutzschlauch (5) umgeben ist, die oder der mit radialer Spannung am Schutzelement (3) anliegt.“

Nachfolgend wiedergegeben ist die Figur 1, welche der Verfügungsgebrauchsmusterschrift entnommen wurde und eine bevorzugte Ausführungsform der Erfindung darstellt. Die Figur 1 zeigt eine Seitenansicht eines Nadelhalters mit aufgesetzter Schutzkappe im Schnitt.

Die Verfügungsbeklagte ist ein in Indien ansässiges Unternehmen und im Bereich der Medizintechnologie tätig. Sie hat sich neben der Herstellung und dem Vertrieb von Produkten darauf spezialisiert, für andere Unternehmen in Indien kostengünstig zu produzieren. So stellt sie insbesondere Sicherheits-IV-Katheter unter der Bezeichnung „B“ her und lässt sie in Deutschland durch ihre Vertriebspartnerunternehmen C, D und E vertreiben. Als Anlage Ast 12 überreichte die Verfügungsklägerin ein Muster der unter anderem angegriffenen Ausführungsform F. Die Ausgestaltung der weiteren angegriffenen Sicherheits-IV-Katheter G bis H entspricht derjenigen Ausgestaltung des IV-Katheters F. Diese unterscheiden sich lediglich hinsichtlich der Größe des Kanülendurchmessers. Entsprechende Exemplare stellte die Verfügungsbeklagte auch auf der Messe I aus. Nachfolgend wiedergegeben ist eine Detailansicht des Schutzelementes der angegriffenen Ausführungsform, welche die Verfügungsklägerin als Abbildungen des Anlagenkonvolutes Ast 11 überreichte.

Mit einem am 4. Oktober 2010 bei Gericht eingegangenem Antrag beantragte die Verfügungsklägerin den Erlass einer einstweiligen Verfügung.

Die Verfügungsklägerin meint, durch den Vertrieb der angegriffenen IV-Katheter mache die Verfügungsbeklagte von dem Gegenstand der Erfindung nach dem Verfügungsgebrauchsmuster wortsinngemäßen, hilfsweise äquivalenten Gebrauch. Die Schutzvorrichtungen der angegriffenen Ausführungsformen seien dafür geeignet für Injektions- bzw. Infusionsnadel verwendet zu werden. Auch würden sie einen Schutzschlauch im Sinne der Erfindung aufweisen. Hierfür sei eine durchgängige Ausgestaltung nicht erforderlich.

Die Verfügungsklägerin beantragt,

zu erkennen, wie geschehen sowie hilfsweise

Schutzvorrichtung für eine Injektions- bzw. Infusionsnadel, umfassend einen Nadelhalter am proximalen Ende der Nadel, auf deren Schaft ein Schutzelement für die Nadelspitze in Form eines Federclips verschiebbar ist, das durch eine Eingriffseinrichtung zwischen Nadel und Schutzelement daran gehindert ist, über die Nadelspitze hinaus verschoben zu werden, dadurch gekennzeichnet, dass das Schutzelement von einer Schutzfolie oder einem zweiteiligen Schutzschlauch umgeben ist, die oder der mit radialer Spannung am Schutzelement anliegt,

anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den benannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen.

sowie weiter hilfsweise

Schutzvorrichtung für eine Injektions- bzw. Infusionsnadel, umfassend einen Nadelhalter am proximalen Ende der Nadel, auf deren Schaft ein Schutzelement für die Nadelspitze in Form eines Federclips verschiebbar ist, das durch eine Eingriffseinrichtung zwischen Nadel und Schutzelement daran gehindert ist, über die Nadelspitze hinaus verschoben zu werden, dadurch gekennzeichnet, dass das Schutzelement von einer Schutzfolie oder einem zweiteiligen Schutzschlauch, der circa 2/5tel des Schutzelementes abdeckt, umgeben ist, die oder der mit radialer Spannung am Schutzelement anliegt,

anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den benannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen.

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Sie bestreitet eine Verletzung des Verfügungsgebrauchsmusters durch die angegriffenen Ausführungsformen. Die Schutzelemente der angegriffenen IV-Katheter seien nicht geeignet, um für Injektions- bzw. Infusionsnadel verwendet zu werden, so dass sich auch das erfindungsgemäße Problem des Hängenbleibens von Fasern eines Wattebausches am Federclip bei Benutzung nicht stelle. Denn wenn die Nadel aus dem Katheter zurückgezogen werde, befinde sie sich schon in einem so großem Abstand zu einem etwaigen Wattebausch, dass ein Kontakt ausgeschlossen sei. Auch könne das Schutzelement wegen der Ausbeulung auf der Nadel nicht einfach abgezogen und auf eine Infusions- oder Injektionsnadel aufgezogen werden. Auch würden die angegriffenen Ausführungsformen keinen Schutzschlauch aufweisen, da die Gummibänder lediglich 40 % des Federclips überdecken würden. Das Verfügungsgebrauchsmuster sehe eine vollständige Abdeckung des Schutzelementes durch den Schutzschlauch vor. Im Übrigen habe die Verfügungsklägerin durch ihr vorprozessual zögerliches Verhalten deutlich gemacht, dass ihr an einer Entscheidung im einstweiligen Verfügungsverfahren nicht gelegen sei. Bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Rechtsbestand des Verfügungsgebrauchsmusters habe sie Kenntnis von der angegriffenen Ausführungsform gehabt, so dass ihr die Fertigung eines Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung unmittelbar möglich gewesen sei.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Der Antrag der Verfügungsklägerin auf Erlass der begehrten Unterlassungsverfügung ist begründet. Die Verfügungsbeklagte ist der Verfügungsklägerin gegenüber gem. § 24 Abs. 1 GebrMG zum Unterlassen im beantragten Umfang verpflichtet.

I.
Die angegriffene Ausführungsform macht von der technischen Lehre des Verfügungsgebrauchsmusters wortsinngemäß Gebrauch.

1.
Die Erfindung nach dem Verfügungsgebrauchsmuster betrifft eine Schutzvorrichtung für eine Injektions- bzw. Infusionsnadel.

Zum Stand der Technik führt die Verfügungsgebrauchsmusterschrift aus, dass eine Schutzvorrichtung dieser Art aus der DE 201 03 363 (Anlage AG 10) bekannt ist. Bei dieser ist ein Griffteil zwischen dem auf der Nadel verschiebbaren Schutzelement und dem Nadelhalter vorgesehen, mittels dem das Schutzelement von Hand in die Schutzposition verschoben werden kann. Nachfolgend wiedergegeben ist die Figur 1 des genannten Standes der Technik, welche das vorbekannte Schutzelement nebst Griffteil, Nadelhalter und Nadel zeigt.

Als weiteren Stand der Technik nimmt das Verfügungsgebrauchsmuster Bezug auf die US 6 623 458 (Anlage AG 11). Bei dieser wird das Schutzelement durch eine Feder im Nadelhalter in die Schutzstellung an der Nadelspitze verschoben, sobald die im Nadelhalter vorgespannte Feder durch ein Betätigungselement, beispielsweise einen Betätigungsstift am Kolben der Spritze, ausgelöst wird. Nachfolgend wiedergegeben sind die Figuren 1a bis 1c der US 6 623 458.

Bei beiden Ausführungen besteht das Schutzelement aus einem Federclip mit sich kreuzenden Federarmen, deren abgewinkelte freie Enden unter Vorspannung auf dem Umfang des Nadelschutzes anliegen und in der Schutzposition die Nadelspitze übergreifen und abdecken.

An beiden Ausführungen sieht es das Verfügungsgebrauchsmuster als nachteilig an, dass die Ausführungen einen gewissen Fertigungsaufwand durch das von Hand verschiebbare Griffteil einerseits und durch die im Nadelhalter unter Vorspannung eingesetzte Feder andererseits erfordern. Wenn mit einer solchen Infusionsnadel eine Injektion ausgeführt und dann die Nadel aus der Einstichstelle zurückgezogen wird, wird üblicherweise ein Wattebausch benutzt, der vor dem Zurückziehen der Nadel an der Einstichstelle leicht angedrückt wird. Beim Zurückziehen der Nadel und Vorschieben des Federclips zur Nadelspitze kommt der Federclip in den Bereich des Wattebausches, wodurch Fasern des Wattebausches am Federclip hängen bleiben können, was nicht erwünscht ist.

Vor dem Hintergrund des geschilderten Standes der Technik formuliert das Verfügungsgebrauchsmuster die Aufgabe, eine Schutzvorrichtung der genannten Art so auszubilden, dass sie einerseits sehr kostengünstig hergestellt werden kann und andererseits die Benutzung nicht durch Fasern eines Wattebausches beeinträchtigt wird. Hierzu schlägt das Verfügungsgebrauchsmuster in seinem eingeschränkt aufrechterhaltenen Schutzanspruch 1 eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor:

1. Schutzvorrichtung für eine Injektions- bzw. Infusionsnadel (2),

2. umfassend einen Nadelhalter (1) am proximalen Ende der Nadel,

3. auf dem Nadelschaft ist ein Schutzelement (3) für die Nadelspitze in Form eines Federclips verschiebbar,

4. das Schutzelement ist durch eine Eingriffseinrichtung (2a, 3b) zwischen Nadel (2) und Schutzelement (3) daran gehindert über die Nadelspitze hinaus verschoben zu werden,

5. wobei das Schutzelement (3) von einer Schutzfolie oder einem Schutzschlauch (5) umgeben ist, die oder der mit radialer Spannung am Schutzelement (3) anliegt.

Wie das Verfügungsgebrauchsmuster in Absatz [0005] hervorhebt, kann dadurch, dass das Schutzelement insbesondere in der Form eines Federclips von einem Schutzschlauch umgeben ist, der unter einer gewissen radialen Spannung das Schutzelement umschließt, das Einhängen von Fasern eines Wattebausches an Ecken und Kanten verhindert werden. Zugleich ist die Anbringung eines solchen Schutzschlauches, insbesondere eines Schrumpfschlauches, in der Herstellung kostengünstig. Weiterhin ergibt sich der Vorteil, dass bei einer Berührung des Schutzelementes bzw. des Federclips von Hand der Schutzschlauch die Handhabung angenehmer gestaltet, weil durch den Schutzschlauch Ecken und Kanten des Federclips abgedeckt sind.

2.
Diese Merkmale weisen die angegriffenen Ausführungsformen, die IV-Katheter F bis G, in vollem Umfang auf.

Für die Merkmale 2. bis 4. ist dies – zu Recht – unstreitig. Im Rahmen der vorgelegten Schutzschrift hat die Verfügungsbeklagte zwar auch das Vorliegen des Merkmals 3 – Federclip – in Abrede gestellt; das Bestreiten des Merkmals wurde jedoch im vorliegenden Verfügungsverfahren richtigerweise nicht mehr aufgegriffen.

Aber auch Merkmal 1, welches eine Schutzvorrichtung für eine Injektions- bzw. Infusionsnadel betrifft, ist erfüllt. Entgegen der von den Parteien schriftsätzlich geführten Diskussion kommt es nicht darauf an, ob die angegriffenen Sicherheitsverweilkathetervorrichtung objektiv geeignet sind als Injektions- oder Infusionsnadel verwendet zu werden. Denn das Verfügungsgebrauchsmuster stellt lediglich eine Schutzvorrichtung für eine Injektions- bzw. Infusionsnadel unter Schutz. Diese Schutzvorrichtung umfasst nach dem Schutzanspruch einen Nadelhalter am proximalen Ende der Nadel, ein Schutzelement in Form eines Federclips, ein Eingriffselement zwischen Nadel und Schutzelement sowie eine Schutzfolie/Schutzschlauch, nicht hingegen die Nadel als solche. Diese ist vielmehr das Objekt, welches durch die unter Schutz gestellte Vorrichtung geschützt werden soll. Entsprechend muss die Schutzvorrichtung der angegriffenen IV-Katheter F bis G objektiv geeignet sein für eine Injektions- bzw. Infusionsnadel verwendet zu werden. Denn, dies ist zwischen den Parteien unstreitig, bei der Angabe im Merkmal 1 – für Injektions- bzw. Infusionsnadel – handelt es sich um eine Zweckbestimmung. Bezüglich der Bedeutung einer Zweckbestimmung hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 28. Mai 2009 „Bauschalungsstütze“ (GRUR 2009, 837; BGH, Beschluss vom 31. August 2010, X ZB 9/09 – Bildunterstützung bei Katheternavigation) ausgeführt, dass Zweckangaben in einem Sachanspruch als solche dessen Gegenstand regelmäßig nicht beschränken. Die Zweckangabe ist damit aber nicht etwa bedeutungslos. Sie hat vielmehr regelmäßig die Aufgabe, den durch das Patent geschützten Gegenstand dahin zu definieren, dass er nicht nur die im Anspruch ausdrücklich genannten räumlich-körperlichen Merkmale erfüllen, sondern auch so ausgebildet sein muss, dass er für den im Patentanspruch angegebenen Zweck verwendbar ist. Dabei genügt jedoch die objektive Verwendbarkeit. Ist diese gegeben, ist es unerheblich, ob die Vorrichtung normalerweise auf andere Weise bedient wird und die Abnehmer deshalb von der patentverletzenden Lehre regelmäßig keinen Gebrauch machen. Die Patentverletzung entfällt in einem solchen Fall selbst dann nicht, wenn der Hersteller ausdrücklich eine andere Verwendung seiner Vorrichtung empfiehlt, solange die Nutzung der patentgemäßen Lehre möglich bleibt.

Die Schutzvorrichtung muss daher die vom Bundesgerichtshof für Zweckangaben aufgestellten zweckbedingten räumlich-körperlichen Voraussetzungen erfüllen, so dass sie für die Verwendung bei Infusions- bzw. Injektionsnadeln geeignet sein muss. Dies ist vorliegend der Fall. Die Verfügungsbeklagte hat hiergegen keine durchgreifenden Einwände erhoben. Sie hat lediglich vorgetragen, dass eine bereits auf die IV-Katheternadel montierte Schutzvorrichtung nicht ohne weiteres von den IV-Kathetern abgezogen werden könne, da das Eingriffselement (Ausbeulung) an der Nadel dies verhindere. Hierauf kommt es jedoch nicht an. Entscheidend ist die objektive Eignung für die Verwendung des Schutzelementes bei einer Infusions- bzw. Injektionsnadel. Diese hat die Verfügungsbeklagte nicht in Abrede gestellt. Sie hat nicht vorgetragen, dass die angegriffene Schutzvorrichtung als solche nicht auch zum Schutz einer Infusions- bzw. Injektionsnadel verwendet werden kann.

Entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten ist auch das Merkmal 5 verwirklicht. Das Merkmal sieht vor, dass das Schutzelement in Form eines Federclips von einem Schutzschlauch umgeben ist, der mit radialer Spannung am Schutzelement anliegt. Eine vollständige Ummantelung des Schutzelementes in Form eines Federclips sieht das Merkmal nicht zwingend vor. Die Verwendung des Begriffs „umgeben“ im Anspruchswortlaut lässt dies offen. Der Anspruch enthält keine Zusätze dahingehend, dass der Schutzschlauch „mindestens“, „mindestens teilweise“ oder „vollständig“ das Schutzelement umgeben soll. Entscheidend kommt es daher auf die technische Funktion des Schutzschlauches an (vgl. zuletzt BGH, GRUR 2010, 602 – Gelenkanordnung); Grundsätze: Die Ermittlung des technischen Problems ist Teil der Auslegung des Schutzrechtsanspruchs. Das technische Problem ergibt sich aus dem, was die Erfindung tatsächlich leistet (BGH, GRUR 2005, 141, 142 – Anbieten interaktiver Hilfe; GRUR 2003, 693, 695 – Hochdruckreiniger, jew. m.w. Nachw.). Dies ist durch Auslegung des Schutzrechtsanspruchs zu entwickeln. Aus der Funktion der einzelnen Merkmale im Kontext des Schutzrechtsanspruchs ist abzuleiten, welches technische Problem diese Merkmale für sich und in ihrer Gesamtheit tatsächlich lösen. Dabei kann das als Aufgabe der Erfindung Bezeichnete einen Hinweis auf das richtige Verständnis enthalten. Für die Angaben der Beschreibung zur Aufgabe der Erfindung gilt jedoch wie auch sonst für die Beschreibung der Vorrang des Schutzrechtsanspruchs gegenüber dem übrigen Inhalt der Patentschrift. Die Heranziehung von Beschreibung und Zeichnungen darf nicht zu einer sachlichen Einengung des durch den Wortlaut des Schutzrechtsanspruchs festgelegten Gegenstands führen (BGHZ 160, 204, 209 – Bodenseitige Vereinzelungsvorrichtung; BGHZ 172, 88, 97 – Ziehmaschinenzugeinheit).

Der Fachmann, ein mit Injektions-/Infusionseinrichtungen befasster, berufserfahrener Konstrukteur mit Fachhochschulausbildung, der medizinische Belange betreffend im Erfahrungsaustausch mit Ärzten steht, wie das Bundespatentgericht in seinem Beschluss vom 8. September 2010 (Seite 9 oben) zutreffend festgestellt hat, erkennt, dass Merkmal 5, als einziges kennzeichnendes Merkmal, einen Schutzschlauch fordert. Der Wortbestandteil „Schutz“ gibt dabei den technischen Sinn des Bauteiles wieder: der Schlauch soll schützen und zwar das Schutzelement in Form eines Federclips. Wie die Kritik am Stand der Technik (Absatz [0003]) erkennen lässt, sieht es das Verfügungsgebrauchsmuster als unerwünscht an, dass das „Handling“ der vorbekannten Schutzvorrichtungen umständlich ist sowie, dass Fasern eines Wattebausches am Federclip hängen bleiben können. Infolge dessen beschreibt die Verfügungsgebrauchsmusterschrift es auch als eine Aufgabe der Erfindung, eine Schutzvorrichtung der eingangs genannten Art (Nadelschutz) so auszubilden, dass die Benutzung nicht durch Fasern eines Wattebausches beeinträchtigt wird (Absatz [0004]). Die Lösung dieser Aufgabe durch die technische Lehre des Verfügungsgebrauchsmusters liegt darin, den Federclip mit einem Schutzschlauch zu umgeben, so dass die Ecken und Kanten abgedeckt werden, wodurch ein Einhängen von Fasern eines Wattebausches verhindert wird (vgl. Absatz [0005]). Durch den Schutzschlauch werden die Ecken und Kanten der Federclips sozusagen der Umgebung entzogen. Diese technische Funktion des Merkmals wird durch die Beschreibung des einzigen Ausführungsbeispiels bestätigt (Absatz [0015]).

Die weitere Aufgabe der Erfindung ist es, die aus dem Stand der Technik bekannte Schutzvorrichtung so auszubilden, dass sie sehr kostengünstig ausgebildet werden kann. Die im Stand der Technik bekannten Schutzvorrichtungen waren aufwendig gestaltet. Bei der aus der DE 201 03 363 bekannten Schutzvorrichtung, deren Figur 1 wiedergegeben wurde, war zwischen dem auf der Nadel verschiebbaren Schutzelement und dem Nadelhalter ein Griffteil vorgesehen, mit welchem das Schutzelement von Hand verschoben werden konnte. Ein solches Griffteil in Verbindung mit den weiteren Elementen ist in der Herstellung nicht kostengünstig. Die aus der US 6 623 458 bekannte Schutzvorrichtung, deren Figuren 1a bis 1c wiedergegeben wurden, wiesen hingegen ein Federelement auf, welches das Schutzelement an die Nadelspitze verschiebt, sobald die Feder durch beispielsweise einen Betätigungsstift am Kolben ausgelöst wird. Auch diese Ausgestaltung mittels eines Federelements kann nicht als kostengünstig angesehen werden. Die Lösung dieser Aufgabe durch die technische Lehre des Verfügungsgebrauchsmusters wird auch durch den Schutzschlauch gelöst. Dieser ist in der Herstellung extrem preisgünstig (vgl. Absatz [0005]). Auch wird, als weiterer erfindungsgemäßer Vorteil, die Handhabung des Schutzelementes in Form des Federclips bei Benutzung angenehmer gestaltet, weil dadurch die Ecken und Kanten abgedeckt werden.

Hinsichtlich der Frage der axialen Erstreckung bzw. Länge des Schutzschlauches erkennt der Fachmann, dass die technische Funktion, Schutz vor dem Einhängen von Fasern, vollständig erreicht wird, wenn das Schutzelement vollständig bedeckt wird. Damit werden die Aufgaben des Verfügungsgebrauchsmusters in Gänze erfüllt. Eine solche Ausgestaltung zeigt auch das figürlich dargestellte einzige Ausführungsbeispiel, welche einen Schutzschlauch zeigt, der das gesamte Element umgibt und sogar sich über dieses hinaus erstreckt. Der Fachmann kann der Verfügungsgebrauchsmusterschrift allerdings ebenso entnehmen, dass auch eine Ausführungsform erfindungsgemäß ist, bei welcher sich der Schutzschlauch am distalen Ende wenigstens teilweise über die abgewinkelten Enden der Federarme erstreckt (vgl. Absatz [0014]). Auch sieht der Unteranspruch 3 vor, dass der Schutzschlauch zumindest den distalen Bereich des Schutzelementes abdecken soll, was für den Hauptanspruch 1 bedeutet, dass dieser gar nicht abgedeckt sein muss. Jedenfalls eine lediglich distale Abdeckung des Schutzelementes durch den Schutzschlauch wird vom Fachmann entsprechend als erfindungsgemäß angesehen. Das Verfügungsgebrauchsmuster sieht zudem vor, dass der Schutzschlauch kürzer ausgestaltet werde kann, so dass vor allem der proximale oder auch der distale Bereich des Federclips abgedeckt wird (vgl. Absatz [0016]), d.h. es kann auch nur ein Ende des Schutzelementes abgedeckt sein, ohne eine Präferenz für einen bestimmten Teil. Es kann hiernach also entweder das proximale oder das distale Ende nicht abgedeckt sein.

Der Fachmann sieht, dass auch durch eine solche nur teilweise Abdeckung die Aufgaben zumindest teilweise erfüllt werden. Durch eine eingeschränkte Abdeckung wird das Ziel einer kostengünstigen Herstellung erreicht. Es wird jedoch auch die Aufgabe der mangelnden Beeinträchtigung der Benutzung durch Anhaften von Fasern an dem Wattebausch erreicht. Natürlich wird hierdurch nicht jedwedes Anheften von Fasern verhindert. Eine vollständige Verhinderung hat sich die Erfindung nach dem Verfügungsgebrauchsmuster jedoch nicht zur Aufgabe gemacht; lediglich Beeinträchtigungen sollen behindert werden. Dies ist dann der Fall, wenn jedenfalls die prominenten Ecken und Kanten des Federclips von dem Schutzschlauch umgeben werden. Eine kostengünstige Herstellung einer Schutzvorrichtung wird hierdurch gleichfalls erreicht. Dabei genügt natürlich nicht jede kleinste Abdeckung des Schutzelementes durch den Schutzschlauch, denn hierdurch würde das technische Problem der Verhinderung von Beeinträchtigungen durch Fasern eines Wattebausches in keiner Weise gelöst. Ein Schutzschlauch beinhaltet bereits dem Wortlaut nach eine gewisse radiale Erstreckung, die über die radiale Erstreckung eines einfachen O-Rings hinausgeht. Entsprechend hat auch das Bundepatentgericht in seinem Beschluss vom 8. September 2010 (Anlage Ast 14 a) in Bezug auf die US 6 203 XXX auf Seite 10 (E8) sachkundig festgestellt, dass es sich bei dem mit der Bezugsziffer 8 bezeichneten Ring nicht um einen Schutzschlauch im Sinne der Erfindung handelt, da ein solcher Ring die Schutzwirkung für den Schutzschlauch nicht entfalten kann. Entsprechendes stellte das Gericht auch für den von der Verfügungsbeklagten in der als Anlage AG 4 überreichten Zeichnung gezeichneten Ring fest. Auch bei diesem handele es sich nicht um einen Schutzschlauch, da er die entsprechende Funktion nicht erfüllen könne.

Einen solchen einfachen Gummiring weisen die angegriffenen Schutzvorrichtungen der IV-Katheter F bis H hingegen nicht auf. Bei der Schutzvorrichtung der angegriffenen Ausführungsform ist der Schutzschlauch zweiteilig ausgestaltet, was für die Frage einer wortsinngemäßen Verletzung ohne Relevanz ist, da der Schutzanspruch nicht auf das Vorliegen eines Schutzschlauches im Sinne eines Zahlwortes begrenzt wird. Der Begriff „ein“ Schutzschlauch ist vielmehr als unbestimmter Artikel zu verstehen, so dass auch ein mehrteiliger Schutzschlauch vorliegen kann. Denn die Beschreibung der Erfindung sowie die technische Funktion des Schutzschlauches gebieten es nicht, wie der Fachmann ohne Weiteres erkennt, den Schutzschlauch einteilig auszugestalten. Bei der angegriffenen Schutzvorrichtung wird im proximalen Bereich der Übergang des Federclips auf den Nadelhalter durch einen Schutzschlauch umgeben, so dass die Ecken und Kanten dieses Bereiches gegenüber dem restlichen Federclip hervorgehobenen Bereich abgedeckt sind. Eine weitere Abdeckung befindet an dem Federclip kurz vor dem Übergang zum distalen Bereich der gebogenen Spitze des Federclips, welche die Nadelspitze bei Gebrauch umgeben soll. Auch hier werden, wie der Abbildung 2 der Anlage Ast 11, welche im Tatbestand wiedergegeben wurde, zu entnehmen ist, Ecken und Kanten durch den Schutzschlauch bedeckt. Zwar kann durch diese Ausgestaltung des Schutzschlauches kein vollständiger Schutz vor dem Anhaften von Fasern eines Wattebausches erzielt werden. Da jedoch hervorstehende Bereiche des Federclips mit Ecken und Kanten abgedeckt werden, wird eine maßgebliche Beeinträchtigung verhindert, was neben der Aufgabe einer kostengünstigen Herstellung, welche durch den zweiteiligen Schutzschlauch ohne weiteres erzielt wird, der Aufgabe des Verfügungsgebrauchsmusters entspricht.

II.
1.
Der Rechtsbestand des Verfügungsgebrauchsmusters erscheint hinreichend gesichert. Das Bundepatentgericht hat mit Beschluss vom 8. September 2010 über die Einwendungen des deutschen Vertriebsunternehmens der Verfügungsbeklagten gegen den Rechtsbestand des Verfügungsgebrauchsmusters entschieden. Neue Einwendungen hat die Verfügungsbeklagte nicht erhoben.

2.
Schließlich fehlt es auch nicht an der erforderlichen Dringlichkeit. Die Verfügungsklägerin hat in der mündlichen Verhandlung schlüssig vorgetragen, dass vor der Fertigung des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügungen nach der mündlichen Verhandlung vom 8. September 2010 vor dem Bundespatentgericht zunächst diskutiert wurde, ob der Erlass einer einstweiligen Verfügung überhaupt beantragt werden soll. Auch musste geklärt werden, welche konkrete angegriffene Ausführungsform auf dem deutschen Markt vertrieben wird, da die Verfügungsbeklagte unterschiedliche Ausführungsformen in unterschiedlichen Ländern vertreibt. Des Weiteren wurde überlegt, ob vor Beantragung einer einstweiligen Verfügung die Entscheidungsgründe des Bundespatentgerichtes abgewartet werden sollen. Hierbei handelt es sich um sachgerechte Überlegungen, die sowohl eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen als auch ein zögerliches Verhalten der Verfügungsklägerin nicht erkennen lassen, so dass der Zeitraum vom 8. September 2010 (mündlichen Verhandlung am Bundespatentgericht) bis zum 4. Oktober 2010 (Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung) nicht als ungebührlich lang angesehen werden kann.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Der Streitwert wird auf 500.000,- € festgesetzt.