Düsseldorfer Entscheidungsnummer: 2712
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 16. November 2017, Az. 4a O 76/16
- I. Die Beklagte wird verurteilt der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen und in einer geordneten Aufstellung unter Vorlage von entsprechenden Kaufbelegen in Kopie (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheinen) schriftlich darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfangs sie in dem Zeitraum vom 13. Juli 2006 bis zum 17. Juli 2006
- 1. ein Verfahren zur Formung eines Artikels über Einspritzung von Plastikmaterial in eine Form, wobei der fertig geformte Artikel (einen) dünne(n) Wandabschnitt(e) und (einen) dicke(n), zumindest teilweise aufgeschäumte(n) Wandabschnitt(e) aufweist,
- in der Bundesrepublik Deutschland angewendet hat,
- wobei das Verfahren die Schritte umfasst:
- – Bereitstellen eines Formwerkzeuges, das in seinem geschlossenen Zustand zwischen seinem Formhöhlenteil und seinem Kernteil (einen) enge(n) Abschnitt(e) begrenzt, dessen/deren Formteil-Lücke(n) in dem/den dünnen Wandabschnitt(en) im Wesentlichen wiederzugeben ist; und (einen) weite(n) Lückenabschnitt(e), dessen/deren Formteil-Lücke(n) geringer ist als die Stärke des/der weiten Lückenabschnitte(s) des fertig geformten Artikels;
- – Schließen des Formwerkzeuges, um die engen und weiten Lückenabschnitte abzugrenzen;
- – Einspritzen einer ein Grundpolymer und ein Schaum erzeugendes Additiv enthaltenden Plastikmaterial-Mischung in das Formwerkzeug hinein;
- – Zulassen, dass die Plastikmaterial-Mischung in den engen Lückenabschnitten des Formwerkzeuges zumindest im Wesentlichen erstarrt, um die dünnen Wandabschnitte des fertig geformten Artikels zu erzeugen;
- – Zurückziehen eines Teils des Formwerkzeuges von dem anderen Teil, bevor die Plastikmaterial-Mischung in dem/den weiten Lückenabschnitt(en) des Formwerkzeuges zumindest im Wesentlichen erstarrt ist, um es der Mischung zu erlauben, durch Aufschäumen zu expandieren und zumindest etwas des/der dicken Wandabschnitte(s) des fertig geformten Artikels zu bilden; und
- – Auswerfen des Artikels aus dem Formwerkzeug
- (unmittelbare Verletzung von Anspruch 1 des EP 0 839 XXX – in eingeschränkter Fassung –),
- und zwar unter Angabe der Orte und Zeiten dieser Verfahrensanwendung;
- 2. aus Plastikmaterial geformte Artikel, wobei der fertig geformte Artikel (einen) dünne(n) Wandabschnitt(e) und (einen) dicke(n) Wandabschnitt(e) besitzt, der/die dicke(n) Wandabschnitt(e) zumindest zum Teil durch das Aufschäumen expandiert ist/sind, und der Artikel gemäß des in Ziff. 1. genannten Verfahrens geformt wurde,
- in der Bundesrepublik Deutschland hergestellt, angeboten, in Verkehr gebracht und/oder in gebraucht und/oder zu den genannten Zwecken eingeführt und/ oder besessen hat,
- (unmittelbare Verletzung von Anspruch 1 des EP 0 839 XXX – in eingeschränkter Fassung –),
- und zwar unter Angabe
- a) der Herstellungsmengen und -zeiten, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen;
- b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen, einschließlich der Rechnungsnummern und den jeweiligen Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
- c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen und den jeweiligen Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
- d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, im Falle von Internet-Werbung der Domain, den Zugriffszahlen und der Schaltungszeitraum, und bei direkter Werbung, wie Rundbriefen, den Namen und Anschriften der Empfänger,
- e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
- wobei
- – geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
- – es der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der Angebotsempfänger und der nicht-gewerblichen Abnehmer statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden und ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte die durch die Einschaltung des Wirtschaftsprüfers entstehenden Kosten trägt und ihn zugleich ermächtigt, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob bestimmte Angebotsempfänger oder nicht-gewerbliche Abnehmer in der erteilten Rechnungslegung enthalten sind.
- II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die in Ziffer I. bezeichneten, in dem Zeitraum vom 13. Juli 2006 bis 17. Juli 2016 begangenen Handlungen entstanden ist.
- III. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
- IV. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 1.000.000,- vorläufig vollstreckbar. Daneben ist das Urteil auch gesondert vorläufig vollstreckbar hinsichtlich der Auskunft und Rechnungslegung (Ziff. I. des Tenors) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 50.000,- und im Hinblick auf den Kostenpunkt (Ziff. III. des Tenors) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages
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T a t b e s t a n d
- Die Klägerin, die im Patentregister als Inhaberin des Europäischen Patents 0 839 XXX (im Folgenden: Klagepatent) eingetragen ist (vgl. Registerauszug vom 29.06.2016, Anlage K5), macht gegen die Beklagte auf die Verletzung des Klagepatents gestützte Ansprüche auf Auskunftserteilung und Rechnungslegung sowie auf Feststellung einer Schadensersatzpflicht dem Grunde nach geltend. Zwischen den Parteien des Rechtsstreits war bereits ein selbstständiges Beweisverfahren vor dem Landgericht Düsseldorf, Az.: 4a O 95/15, anhängig.
- Das Klagepatent mit der Bezeichnung „Schaumkörper mit dünnen und dicken Teilwandstücken“ wurde unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 18.07.1995 (GB 9514XXX) am 17.07.1996 angemeldet und die Anmeldung am 06.05.1998 veröffentlicht. Die Veröffentlichung des Hinweises auf die Erteilung des Klagepatents, welche auch das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfasst (DE 696 20 XXX.4), erfolgte am 27.03.2002.
- Anspruch 1 und Anspruch 21 des in englischer Verfahrenssprache abgefassten Klagepatents lauten in der erteilten Fassung (Klagepatentschrift Anlage K3) wie folgt:
- „1. A method of forming an article via injection of plastics material into a modul, the finish formed article having thin wall portion(s) (101, 102, 103) and thick wall portion(s), (104, 105, 106) the thick wall portion(s) being at least partially foamed, the method consisting in the steps of:• Providing a mould tool defining in its closed state, between its cavity part (11) and its core part, narrow gap portion(s) (1’, 2’, 3’) whose mould part gap is to be substantially reproduced in the thin wall portion(s) (4’, 5’, 6’) of the article and wide gap portion(s) whose mould part gap is less than the thickness of the thick wall portion(s) of the finish formed article;• closing the mould tool to define the narrow and wide gap portions;• injecting a plastics material mixture comprising a basic polymer and a foam producing additive into the mould tool;• allowing the plastics material mixture to at least substantially solidify in the narrow gap portions of the mould tool to produce the thin wall portions of the finish formed article;• withdrawing at least a portion of one part of the mould tool from the other part before the plastics material mixture has at least substantially solidified in the wide gap portion(s) of the mould tool to allow the mixture to expand by foaming and form at least some of the thick wall portion(s) of the finish formed article; and• ejecting the article form the mould tool.”
- „21. An article formed of plastics material, the finish formed article having thin wall portion(s) and thick wall portion(s), the thick wall portion(s) being at least partially expanded by foaming, the article having been moulded in accordance with the method of any one of claims 1 to 20.”
- In der deutschen Übersetzung nach der T2-Schrift (Anlage K4) lauten die erteilten Ansprüche 1 und 21 wie folgt:
- „1. Ein Verfahren zur Formung eines Artikels über Einspritzung von Plastikmaterial in eine Form, wobei der fertig geformte Artikel (einen) dünne(n) Wandabschnitt(e) (101, 102, 103) und (einen) dicke(n), zumindest teilweise aufgeschäumte(n) Wandabschnitt(e) (104, 105, 106) aufweist, wobei das Verfahren Schritte umfaßt:• Bereitstellen eines Formwerkzeuges, das in seinem geschlossenen Zustand zwischen seinem Formhöhlenteil (11) und seinem Kernteil (einen) enge(n) Abschnitt(e) (1‘, 2‘, 3‘) begrenzt, dessen/deren Formteil-Lücke(n) in dem/den dünnen Wandabschnitt(en) (4‘, 5‘, 6‘) im Wesentlichen wiederzugeben ist; und (einen) weite(n) Lückenabschnitt(e), dessen/deren Formteil-Lücke(n) geringer ist als die Stärke des/der weiten Lückenabschnitte(s) des fertig geformten Artikels;• Schließen des Formwerkzeuges, um die engen und weiten Lückenabschnitte abzugrenzen;• Einspritzen einer ein Grundpolymer und ein Schaum erzeugendes Additiv enthaltenden Plastikmaterial-Mischung in das Formwerkzeug hinein;• Zulassen, daß die Plastikmaterial-Mischung in den engen Lückenabschnitten des Formwerkzeuges zumindest teilweise erstarrt, um die dünnen Wandabschnitte des fertig geformten Artikels zu erzeugen;• Zurückziehen mindestens eines Teils des Formwerkzeuges von dem anderen Teil, bevor die Plastikmaterial-Mischung in dem/den weiten Lückenabschnitt(en) des Formwerkzeuges zumindest im Wesentlichen erstarrt ist, um es der Mischung zu erlauben, durch Aufschäumen zu expandieren und zumindest etwas des/der dicken Wandabschnitte(s) des fertig geformten Artikels zu bilden; und• Auswerfen des Artikels aus dem Formwerkzeug.“
- „21. Ein aus Plastikmaterial geformter Artikel, wobei der fertig geformte Artikel (einen) dünne(n) Wandabschnitt(e) und (einen) dicke(n) Wandabschnitt(e) besitzt, der/die dicke(n) Wandabschnitt(e) zumindest zum Teil durch Aufschäumen expandiert ist/sind, und der Artikel gemäß der Verfahren eines der Ansprüche 1 bis 20 geformt wurde.“
- Wegen der weiteren Ansprüche wird auf die Klagepatentschrift (Anlage K3) sowie die deutsche Übersetzung (T2-Schrift; Anlage K4) verwiesen.
- In der vorliegend geltend gemachten beschränkten Fassung haben die Ansprüche 1 und 21 den folgenden deutschen Wortlaut (im Vergleich zur erteilten Anspruchsfassung gestrichene Stellen sind durchgestrichen und im Fettdruck. Soweit die Klägerin Übersetzungsfehler korrigiert hat, ist der Wortlaut der T2-Schrift durch- bzw. unterstrichen):
- „1. Ein Verfahren zur Formung eines Artikels über Einspritzung von Plastikmaterial in eine Form, wobei der fertig geformte Artikel (einen) dünne(n) Wandabschnitt(e) (101, 102, 103) und (einen) dicke(n), zumindest teilweise aufgeschäumte(n) Wandabschnitt(e) (104, 105, 106) aufweist, wobei das Verfahren Schritte umfaßt:• Bereitstellen eines Formwerkzeuges, das in seinem geschlossenen Zustand zwischen seinem Formhöhlenteil (11) und seinem Kernteil (einen) enge(n) Abschnitt(e) (1‘, 2‘, 3‘) begrenzt, dessen/deren Formteil-Lücke(n) in dem/den dünnen Wandabschnitt(en) (4‘, 5‘, 6‘) im Wesentlichen wiederzugeben ist; und (einen) weite(n) Lückenabschnitt(e), dessen/deren Formteil-Lücke(n) geringer ist als die Stärke des/der weiten Lückenabschnitte(s) des fertig geformten Artikels;• Schließen des Formwerkzeuges, um die engen und weiten Lückenabschnitte abzugrenzen;• Einspritzen einer ein Grundpolymer und ein Schaum erzeugendes Additiv enthaltenden Plastikmaterial-Mischung in das Formwerkzeug hinein;• Zulassen, daß die Plastikmaterial-Mischung in den engen Lückenabschnitten des Formwerkzeuges zumindest teilweise im Wesentlichen erstarrt, um die dünnen Wandabschnitte des fertig geformten Artikels zu erzeugen;• Zurückziehen mindestens eines Abschnittes eines Teils des Formwerkzeuges von dem anderen Teil, bevor die Plastikmaterial-Mischung in dem/den weiten Lückenabschnitt(en) des Formwerkzeuges zumindest im Wesentlichen erstarrt ist, um es der Mischung zu erlauben, durch Aufschäumen zu expandieren und zumindest etwas des/der dicken Wandabschnitte(s) des fertig geformten Artikels zu bilden; und• Auswerfen des Artikels aus dem Formwerkzeug.“
- „21. Ein aus Plastikmaterial geformter Artikel, wobei der fertig geformte Artikel (einen) dünne(n) Wandabschnitt(e) und (einen) dicke(n) Wandabschnitt(e) besitzt, der/die dicke(n) Wandabschnitt(e) zumindest zum Teil durch Aufschäumen expandiert ist/sind, und der Artikel gemäß der Verfahren eines der Ansprüche 1 bis 20 geformt wurde.“
- Eine gemäß des erfindungsgemäßen Verfahrens geformte Tasse wird mit nachfolgender Abbildung 2 (verkleinert) wiedergegeben:
- Die abgebildete Tasse weist dünne Wandabschnitte, nämlich die Basis 101, die untere Seitenwand 102 und die obere Seitenwand 103, auf, in denen kein Aufschäumen des Plastikmaterials erfolgt ist. Die Wandstärke dieser dünnen Wandabschnitte wird durch die Formteillücke bestimmt (Abs. [0037] des Klagepatents; Abschnitte ohne Bezeichnung sind im Folgenden solche des Klagepatents). In den dicken Wandabschnitten, nämlich der Ecke 104, dem Band 105 und dem Rand 106, ist hingegen nach Formöffnung ein Aufschäumen erfolgt, so dass die Wandstärke über jene von der Form bereitgestellte hinaus gesteigert wird (Abs. [0037]).
- Nachfolgende Abbildung 3 (verkleinert) zeigt ein Formwerkzeug, mit welchem das klagepatentgemäße Verfahren durchgeführt werden kann:
- Das dargestellte Formwerkzeug besitzt eine Formhöhle 11 sowie einen Kern 12, die über die Verbindungslinie 13 voneinander trennbar sind (Abs. [0039]). Wenn die Plastikmaterial-Mischung über den Einspritzpunkt 14 eingebracht wird, füllt sich der Formhohlraum 11 (Abs. [0040]). Während das Treibmittel in den dicken Wandabschnitten ein Aufschäumen verursacht, bleibt dies in den dünnen Wandabschnitten, in denen der zum Verdrängen des Materials erforderliche Luftdruck höher ist und eine Abkühlung schneller erfolgt, aus (Abs. [0040]). Nach einiger Zeit erstarrt das Plastikmaterial in den engen Lückenabschnitten der Form 1‘, 2‘ und 3‘ im Wesentlichen. Diese engen Lückenabschnitte entsprechen der Basis 1, der unteren Wand 2 und der oberen Wand 3 der in der Figur 2 gezeigten Tasse (Abs. [0040]). Im Anschluss daran erfolgt eine Öffnung der Form und an die Öffnung 15 wird Luftdruck angelegt, damit ein gewisses Aufschäumen in den weiten Lückenabschnitten 4‘, 5‘ und 6‘, die der Ecke 4, dem Band 5 und Rand 6 der Tasse (Figur 2) entsprechen, erfolgt (Abs. [0040]), und sich das Formteil von der Formhöhle trennt, so dass zusammen mit der Schrumpfung auf den Kern das Zurückziehen des Kerns mit dem Formteil möglich wird (Abs. [0040]).
- Mit Klageschrift vom 12.05.2017 (Anlage B13) erhob die Beklagte vor dem Bundespatentgericht eine Nichtigkeitsklage gegen das Klagepatent. Eine Entscheidung steht noch aus. Das Klagepatent steht nach Ablauf der maximalen Schutzdauer am 17.07.2016 nicht mehr in Kraft.
- Die Beklagte stellt in ihrem Werk in A unter anderem Armaturentafeleinlagen für Fahrzeuge des Typs „B“ (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform) her, welche sie unter anderem über ihre Internetseite mit der Adresse http://www.C.html bewirbt und im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vertreibt. Dabei handelt es sich um eine Anzeige- oder Instrumententafel mit Anzeige- und Bedienvorrichtungen, über die in einem Fahrzeug beispielsweise der Drehzahlmesser oder die Schalter der Klimaanlage untergebracht sind.
- Zur Veranschaulichung der angegriffenen Ausführungsform wird nachfolgend ein rechter Teil der angegriffenen Armaturentafeleinlage für ein Linkslenker-Fahrzeug wiedergegeben (Anlage E-2 des Sachverständigengutachtens aus dem im Rahmen des selbstständigen Beweisverfahrens, Az.: 4a O 95/15, eingeholten Gutachten vom 26.11.2015; hier vorgelegt als Anlage K2):
- Der abgebildete Teil der angegriffenen Ausführungsform weist Wandabschnitte mit einer größeren Wandstärke und solche mit einer geringeren Wandstärke auf. Nachfolgend wird eine dem gerichtlichen Sachverständigengutachten in Auszügen entnommene schematische Darstellung des oben abgebildeten Teils der angegriffenen Ausführungsform wiedergegeben (Anlage A zur Anlage K2; Die farblichen Markierungen hat die Klägerin hinzugefügt.):
- Die angegriffene Ausführungsform wird bei der Beklagten unter anderem mit einem Formwerkzeug mit der Bezeichnung D hergestellt. Anlage E-3 und Anlage E-4 des Sachverständigengutachtens (Anlage K2) zeigen Abbildungen von dem Formwerkzeug, von dem nachfolgend eine schematische Darstellung wiedergegeben wird (Anlage B3 entnommen; die rote Umrandung markiert den Teil, in dem der oben abgebildete Teil der angegriffenen Ausführungsform hergestellt wird.):
- Das für die Herstellung der angegriffenen Ausführungsform verwendete Formwerkzeug besteht aus zwei Teilen, die in ihrem zusammengesetzten Zustand Lückenabschnitte definieren.
- Mit E-Mail der E Ltd. vom 15.04.2013 wurde die Beklagte erstmalig auf die nach Ansicht der Klägerin vorliegende Verletzung des Klagepatents hingewiesen. In der E-Mail (Anlagenkonvolut K1; deutsche Übersetzung: Anlage K1a), auf die wegen ihres weiteren Inhalts Bezug genommen wird, heißt es auszugsweise wie folgt:
- „E recently aquired a new client, F Limited out of the United Kindgom. […] Attached please find a letter from G, Managing Director of F Limited, authorizing E Limited to license on their behalf.”
- Die Klägerin behauptet, sie sei seit Erteilung des Klagepatents dessen Inhaberin.
- Insbesondere sei keine Veräußerung des Klagepatents bzw. eine Abtretung von in ihrer, der Klägerin, Person entstandener Ansprüche aus dem Patent an die E Ltd. erfolgt. Mit der E Ltd. sei lediglich der als Anlage K11 (auszugsweise; deutsche Übersetzung: Anlage K11a) vorgelegte Service-Vertrag geschlossen worden. Ausweislich dessen Ziffer 8.1 sei der E Ltd. darin lediglich eine nicht-exklusive Lizenz an dem Klagepatent eingeräumt worden, um die vereinbarte Serviceleistung erbringen zu können. Eine etwaige Rechteübertragung sei damit nicht einhergegangen.
- Die Klägerin ist – gestützt auf das Ergebnis des in dem selbstständigen Beweisverfahrens vor dem Landgericht Düsseldorf, Az.: 4a O 95/15, eingeholten Sachverständigengutachtens vom 26.11.2015 (Anlage K2) – der Ansicht, das von der Beklagten zur Herstellung der angegriffenen Ausführungsform angewendete Verfahren mache von der Lehre des Klagepatents unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch (insbesondere Klagepatentanspruch 1 und Klagepatentanspruch 21).
- Die in dem selbstständigen Beweisverfahren, Az.: 4a O 95/15, durchgeführten Messungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen würden belegen, dass das geschlossene Formwerkzeug enge Formteil-Lücken enthalte, die durch die dünnen Wandabschnitte des fertig gestellten Formteils im Wesentlichen wiedergegeben werden würden. Denn wie der schematischen Darstellung aus dem Sachverständigengutachten (Anlage K2, Anlage A, nachfolgend verkleinert wiedergegeben):
- zu entnehmen sei, weise der dünne Wandabschnitt „C“ („gelb“) eine Wandstärke von 0,87 mm auf (Anlage K2, Anlage A, obere Tabelle „eng“, 1. Zeile „S“, 10. Spalte). Dies entspreche dem Ausmaß des engen Lückenabschnitts des Formwerkzeugs, was sich daraus ergebe, dass der Durchmesser eines Artikels, welcher ohne Schäumungsmittel hergestellt worden ist, ebenfalls 0,87 mm betrage (Anlage K2, Anlage A, oberer Tabelle „eng“, 2. Zeile „K“, 10. Spalte).
- Das durch das Klagepatent geschützte Verfahren verlange nicht, dass die in den engen Lückenabschnitten befindliche Plastikmaterial-Mischung bei Beginn des Rückziehschrittes vollständig erstarrt sei, es mithin nach dem Zurückziehen zu gar keinem Aufschäumen in den dünnen Wandabschnitten mehr komme. Vielmehr sei unschädlich, wenn das Material in den engen Abschnitten nach dem Rückziehschritt noch unwesentlich durch Aufschäumen expandiere.
- Dass dies bei der angegriffenen Ausführungsform der Fall sei, sei durch die bereits in Bezug genommenen Messungen des Sachverständigen belegt. Die Übereinstimmung der im Hinblick auf den Abschnitt „C“ gemessenen Wandstärke bei einem Herstellungsprozess mit Schäumungsmittel („S“ für Serienproduktion) und ohne Schäumungsmittel („K“ für Kompaktproduktion) (beides 0,87 mm) zeige, dass die Plastikmaterial-Mischung in diesem Bereich bei Zurückziehen der Teile des Formwerkzeugs nicht mehr expandiere. Soweit die Wandabschnitte „A“ (mit 0,95 mm) und „E“ (mit 0,94 mm) Vergrößerungen gegenüber den entsprechenden engen Lückenabschnitten im geschlossenen Formwerkzeug aufweisen (0,89 mm im Bereich A und 0,90 mm im Bereich E), seien diese unwesentlich im Sinne der Lehre des Klagepatents.
- Das Klagepatent werde sich auch jedenfalls in der hier geltend gemachten eingeschränkten und im Rahmen der Nichtigkeitsklage verteidigten Anspruchsfassung als rechtsbeständig erweisen.
- Die Klägerin beantragt:
- Die Beklagte zu verurteilen:
- Wie erkannt.
- Die Beklagte beantragt:
- Die Klage abzuweisen;
- Hilfsweise:Den Beklagten zu gestatten, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung (Bank- oder Sparkassenbürgschaft) abzuwenden;
- Weiter hilfsweise:Den Rechtsstreit auszusetzen, bis rechtskräftig über die von ihr, der Beklagten, gegen das Klagepatent erhobene Nichtigkeitsklage entschieden worden ist.
- Die Beklagte behauptet, die vorgerichtliche Korrespondenz zwischen ihr und der E Ltd. in Form der E-Mail vom 15.04.2013 (Anlagenkonvolut K1) lege nahe, dass die Klägerin das Klagepatent im Jahre 2013 (oder zu einem anderen Zeitpunkt) an die E Ltd. veräußert bzw. die sich aus dem Klagepatent ergebenden Ansprüche abgetreten habe. Denn die E Ltd. mache dort Ansprüche im eigenen Namen geltend.
- Die Beklagte ist zudem der Ansicht, sie mache von der klagepatentgemäßen Lehre keinen Gebrauch.
- Durch das von ihr, der Beklagten, eingesetzte Formwerkzeug würden keine dünnen Wandabschnitte erzeugt, die die engen Formlückenteile des Formwerkzeugs wiedergeben. Denn, wie CT-Untersuchungen von Instrumententafeleinlagen, die am 12.02.2013 mit dem Formwerkzeug 629 bzw. am 08.10.2012 mit einem Werkzeug 630 hergestellt worden seien, gezeigt hätten, betrage die Kavität der engen Formlückenteile in den streitgegenständlichen Bereichen (bezugnehmend auf Anlage 2 der Anlage K2: Abschnitte A, C, E, F und H) 1,0 – 1,1 mm und führe zu Wanddicken von über 2,00 mm (= mehr als 100% über der Kavität der engen Formlückenteile) bei dem fertig gestellten Formteil. Die Formwerkzeuge seien nach den CAD-Daten zudem so konzipiert, dass die Endwandstärken in den Bereichen A, C und E 1,6 mm betragen solle.
- Die klagepatentgemäße Lehre verlange, dass die Plastikmaterial-Mischung in den engen Lückenabschnitten bereits so erstarrt sei, dass es zu keinerlei Aufschäumen mehr komme, wenn ein Teil eines Formwerkzeuges von dem anderen zurückgezogen wird. Die dünnen Wandabschnitte des zu erzeugenden Formteils müssten zu diesem Zeitpunkt bereits fertiggestellt sein.
- Dies sei bei dem angegriffenen Herstellungsverfahren nicht der Fall, weil – auf der Grundlage der CAD-Daten des Formwerkzeugs – auch das in den engen Lückenabschnitten befindliche Material bei Füllzeitende noch schaumfähig sei, und der Öffnungshub des Werkzeuges bereits kurz vor Füllzeitende beginne. Mindestens 40 % der Schmelze sei in diesem Zeitpunkt noch flüssig.
- Sofern der gerichtliche Sachverständige in dem selbstständigen Beweisverfahren zur Ermittlung der Kavität der engen Formteil-Lücken dadurch einen Negativabdruck des Formwerkzeugs erstellt hat, dass er im Rahmen des Herstellungsverfahren lediglich ein Grundpolymer ohne einen Aufschäumer zum Einsatz gebracht hat (in dem Sachverständigengutachten als „K-Produktion“ bezeichnet), sei dies fachmännisch falsch und ungeeignet, weil ein solches Vorgehen die Schwindungsprozesse von Kunststoff nicht berücksichtige. Üblich sei vielmehr das Erstellen eines Bleiabdrucks. Zudem könne nicht ausgeschlossen werden, dass in der Materialzuführung zum Werkzeug noch signifikante Gasrückstände vorhanden gewesen seien.
- Bei dem Verfahren zur Herstellung der angegriffenen Ausführungsform werde auch nicht mindestens ein Abschnitt eines Teils des Formwerkzeugs zurückgezogen.
- Die Beklagte erhebt zudem die Einrede der Verjährung.
- Des Weiteren werde sich das Klagepatent auch im Rahmen der anhängigen Nichtigkeitsklage als nicht rechtsbeständig erweisen.
- Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitig zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Urkunden und Anlagen sowie auf das Protokoll der Sitzung vom 10.10.2017 verwiesen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
- Die zulässige Klage ist auch begründet. Da die angegriffene Ausführungsform sowie das zu ihrer Herstellung von der Beklagten angewandte Verfahren die Lehre des Klagepatents verletzen, stehen der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche gem. Art. 64 Abs. 1, 3 EPÜ i. V. m. §§ 139 Abs. 2, 140b Abs. 1, 3 PatG, §§ 242, 259 BGB zu.
- Eine Aussetzung der Verhandlung gem. § 148 ZPO ist nicht geboten.
- I.Die Klägerin weist als Inhaberin des Klagepatents die zur Geltendmachung der Ansprüche erforderliche Sachberechtigung auf.
- Die Eintragung der Klägerin im Patentregister allein ist zwar für die Annahme ihrer Sachberechtigung nicht ausreichend. Denn für die Geltendmachung von Schadensersatz- sowie Auskunfts- und Rechnungslegungsansprüchen kommt es für die Sachberechtigung auf die materielle Rechtslage an (BGH, GRUR 2013, 713, Rn. 54, 57 – Fräsverfahren).
- Vorliegend ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Klägerin seit der Anmeldung des Klagepatents, die unstreitig durch die Klägerin erfolgt ist, als Patentinhaberin im Register eingetragen ist. Für eine Übertragung des Klagepatents vor Klageerhebung an einen Dritten ist nichts ersichtlich.
- Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang auf die E-Mail der E Ltd. vom 15.04.2013 (Anlagenkonvolut K1) Bezug nimmt, und hinter der Formulierung:
- „E recently aquired a new client, F Limited out of the United Kindgom. […] Attached please find a letter from G, Managing Director of F Limited, authorizing E Limited to license on their behalf.”,
- eine Übertragung des Klagepatents vermutet, mag diese Formulierung in der Tat missverständlich im Hinblick auf eine Rechteübertragung sein. Die Klägerin hat hierauf jedoch substantiiert erwidert und unter auszugsweiser Vorlage des mit der E Ltd. geschlossenen Servicevertrags (Anlage K11; deutsche Übersetzung: Anlage K11a) vorgetragen, dass der E Ltd. lediglich ein einfaches Nutzungsrecht im Hinblick auf das Klagepatent eingeräumt worden sei. Die Beklagte tritt auch der Echtheit des vorgelegten Vertrags, bei dem es sich um eine Privaturkunde im Sinne von § 416 ZPO handelt, nicht entgegen. Zudem legt auch der weitere Inhalt der von der Beklagten in Bezug genommenen Email nahe, dass es bei einer Rechteinhaberschaft der Klägerin verblieben ist. Denn die E Ltd. schreibt darin unter Bezugnahme auf das Klagepatent auch (Hervorhebung diesseits):
- „Based upon dissection of the product there appears to be a substantial likelihood that it is manufactured using methods describend in EP 839XXXB1 which is owned by F.”
- II.Das Klagepatent hat ein Verfahren zur Formung eines Artikels über die Einspritzung von Plastikmaterial in eine Form zum Gegenstand (Abs. [0001]).
- Im Bereich der Spritzgußtechnik aus Plastikmaterialien, insbesondere bei Artikeln mit dünnen Wänden, ergibt sich nach dem im Klagepatent dargestellten Stand der Technik das Problem, dass unterschiedliche Schwindungen bei deutlichen Unterschieden im Querschnitt Schönheitsfehler in der fertigen Oberfläche des Artikels verursachen (Abs. [0002]). Das Klagepatent geht einleitend davon aus, dass viele neue Konstruktionen von Spritzguß-Artikeln machbar sind, wenn Schrumpfungs-Schönheitsfehler bei deutlichen Veränderungen im Querschnitt vermieden werden könnten (Abs. [0003]).
- Aus der GB-A-1,589,102 (Anlage K6) sei ein Verfahren zum Spritzgießen von Plastikartikeln aus Plastikmaterial, dem ein Treibmittel hinzugegeben wurde, vorbekannt (Abs. [0004]). Dabei werde das Plastikmaterial in eine Form spritzgegossen, die Formhöhlen aufweise. Diese böten dem Plastikmaterial einen so engen Durchgang, wie er nötig sei, um die Verarbeitungsbedingungen zu verhindern, unter welchen das Treibmittel auf das Plastikmaterial wirken kann (Abs. [0004]). Die im Plastikmaterial vorherrschenden Verarbeitungsbedingungen würden sich hingegen spontan verändern, nachdem das Plastikmaterial zu einem Übergangsabschnitt in der Form hindurchtrete, nach welchem die Hohlräume weiter seien (Abs. [0004]). Hier wirke das Treibmittel auf das Plastikmaterial, wodurch dieses aufschäume, so dass es den gesamten Formenhohlraum ausfülle (Abs. [0004]).
- Ohne dieses Verfahren ausdrücklich zu kritisieren, nimmt es sich das Klagepatent zur Aufgabe, ein verbessertes Spritzgußverfahren bereitzustellen, welches die Herstellung beträchtlicher Änderungen im Querschnitt erleichtert (Abs. [0005]).
- Dies soll klagepatentgemäß durch ein Verfahren gemäß Klagepatentanspruch 1 erfolgen, der – in der hier geltend gemachten beschränkten Fassung – wie folgt gegliedert werden kann (im Vergleich zur erteilten Anspruchsfassung gestrichene Stellen sind durchgestrichen und im Fettdruck. Soweit die Klägerin Übersetzungsfehler korrigiert hat, ist der Wortlaut der T2-Schrift durch- bzw. unterstrichen):
- 1 Verfahren zur Formung eines Artikels über Einspritzung von Plastikmaterial in eine Form, wobei der fertig geformte Artikel (einen) dünne(n) Wandabschnitt(e) (101, 102, 103) und (einen) dicke(n), zumindest teilweise aufgeschäumte(n) Wandabschnitt(e) (104, 105, 106) aufweist, wobei das Verfahren Schritte umfaßt:
- 1.1 Bereitstellen eines Formwerkzeuges, das in seinem geschlossenen Zustand zwischen seinem Formhöhlenteil (11) und seinem Kernteil (einen) enge(n) Abschnitt(e) (1‘, 2‘, 3‘) begrenzt, dessen/deren Formteil-Lücke(n) in dem/den dünnen Wandabschnitt(en) (4‘, 5‘, 6‘) im Wesentlichen wiederzugeben ist; und (einen) weite(n) Lückenabschnitt(e), dessen/deren Formteil-Lücke(n) geringer ist als die Stärke des/der weiten Lückenabschnitte(s) des fertig geformten Artikels;
- 1.2 Schließen des Formwerkzeuges, um die engen und weiten Lückenabschnitte abzugrenzen;
- 1.3 Einspritzen einer ein Grundpolymer und ein Schaum erzeugendes Additiv enthaltenden Plastikmaterial-Mischung in das Formwerkzeug hinein;
- 1.4 Zulassen, daß die Plastikmaterial-Mischung in den engen Lückenabschnitten des Formwerkzeuges zumindest teilweise im Wesentlichen erstarrt, um die dünnen Wandabschnitte des fertig geformten Artikels zu erzeugen;
- 1.5 Zurückziehen mindestens eines Abschnittes eines Teils des Formwerkzeuges von dem anderen Teil, bevor die Plastikmaterial-Mischung in dem/den weiten Lückenabschnitt(en) des Formwerkzeuges zumindest im Wesentlichen erstarrt ist, um es der Mischung zu erlauben, durch Aufschäumen zu expandieren und zumindest etwas des/der dicken Wandabschnitte(s) des fertig geformten Artikels zu bilden; und
- 1.6 Auswerfen des Artikels aus dem Formwerkzeug.
- Klagepatentanspruch 21 schützt einen aus Plastikmaterial geformten Artikel, der – in der von der Klägerin hier geltend gemachten beschränkten Fassung – wie folgt beschrieben werden kann (im Vergleich zur erteilten Anspruchsfassung gestrichene Stellen sind durchgestrichen und im Fettdruck. Soweit die Klägerin Übersetzungsfehler korrigiert hat, ist der Wortlaut der T2-Schrift durch- bzw. unterstrichen):
- 21 Ein aus Plastikmaterial geformter Artikel, wobei
- 21.1 der fertig geformte Artikel (einen) dünne(n) Wandabschnitt(e) und (einen dicke(n) Wandabschnitt(e) besitzt,
- 21.2 der/die dicke(n) Wandabschnitt(e) zumindest zum Teil durch Aufschäumen expandiert ist/sind, und
- 21.3. der Artikel gemäß eines Verfahrens zur Formung eines über Einspritzung von Plastikmaterial in eine Form, wobei der fertig geformte Artikel (einen) dünne(n) Wandabschnitt(e) (101, 102, 103) und (einen) dicke(n), zumindest teilweise aufgeschäumte(n) Wandabschnitt(e) (104, 105, 106) aufweist, wobei das Verfahren Schritte umfaßt:
- 21.3.1. Bereitstellen eines Formwerkzeuges, das in seinem geschlossenen Zustand zwischen seinem Formhöhlenteil (11) und seinem Kernteil (einen) enge(n) Abschnitt(e) (1‘, 2‘, 3‘) begrenzt, dessen/deren Formteil-Lücke(n) in dem/den dünnen Wandabschnitt(en) (4‘, 5‘, 6‘) im Wesentlichen wiederzugeben ist; und (einen) weite(n) Lückenabschnitt(e), dessen/deren Formteil-Lücke(n) geringer ist als die Stärke des/der weiten Lückenabschnitte(s) des fertig geformten Artikels;
- 21.3.2. Schließen des Formwerkzeuges, um die engen und weiten Lückenabschnitte abzugrenzen;
- 21.3.3 Einspritzen einer ein Grundpolymer und ein Schaum erzeugendes Additiv enthaltenden Plastikmaterial-Mischung in das Formwerkzeug hinein;
- 21.3.4 Zulassen, daß die Plastikmaterial-Mischung in den engen Lückenabschnitten des Formwerkzeuges zumindest teilweise im Wesentlichen erstarrt, um die dünnen Wandabschnitte des fertig geformten Artikels zu erzeugen;
- 21.3.5 Zurückziehen mindestens eines Abschnittes eines Teils des Formwerkzeuges von dem anderen Teil, bevor die Plastikmaterial-Mischung in dem/den weiten Lückenabschnitt(en) des Formwerkzeuges zumindest im Wesentlichen erstarrt ist, um es der Mischung zu erlauben, durch Aufschäumen zu expandieren und zumindest etwas des/der dicken Wandabschnitte(s) des fertig geformten Artikels zu bilden; und
- 21.3.6 Auswerfen des Artikels aus dem Formwerkzeug.
- III.Es liegen Verletzungshandlungen im Sinne von § 9 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 PatG vor.
- Die angegriffene Ausführungsform, die die Beklagte unstreitig anbietet und vertreibt, macht von den Merkmalen des Klagepatentanspruchs 21 unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch. Durch das zur Herstellung der angegriffenen Ausführungsform angewendete Verfahren verletzt die Beklagte zudem Klagepatentanspruch 1. Dies gilt sowohl für die zwischen den Parteien zu Recht unstreitigen Merkmale, im Hinblick auf die weitere Ausführungen unterbleiben, aber auch hinsichtlich der – bezogen auf den Klagepatentanspruch 1 – zwischen den Parteien streitigen Merkmale 1.1/ 1.2, 1.4 und 1.5. Die im Hinblick auf diese Merkmale folgenden Ausführungen gelten entsprechend für die inhaltsgleichen Merkmale 21.3.1/21.3.2, 21.3.4 und 21.3.5 des Klagepatentanspruchs 21, weshalb auf diese nicht gesondert Bezug genommen wird.
- 1.Im Hinblick auf den Streit der Parteien bedürfen die Merkmale 1.1/1.2 und 1.4 einer näheren Auslegung.
- a)Der zwischen den Parteien streitige Teil des Merkmals 1.1,
- „Bereitstellen eines Formwerkzeugs, das in seinem geschlossenen Zustand zwischen seinem Formhöhlenteil und seinem Kernteil (einen) enge(n) Abschnitt(e) begrenzt, dessen/deren Formteil-Lücke(n) in dem/den dünnen Wandabschnitt(en) im wesentlichen wiederzugeben ist; […]“
- dient – orientiert an seinem nach Art. 69 EPÜ maßgeblichen Wortlaut – in erster Line der Beschreibung der Ausgestaltung des Formwerkzeugs, das zur Herstellung des Artikels, der nach Merkmal 1 durch das geschützte Verfahren erzeugt wird, zum Einsatz gelangt. Darüber hinaus enthält der Merkmalsteil jedoch auch eine räumlich-körperliche Vorgabe im Hinblick auf die dünnen Wandabschnitte, die der fertig gestellte Artikel, aufweist (wobei auch das Vorhandensein nur eines dünnen Wandabschnitts ausreichend ist). Denn die Wandstärke eines dünnen Wandabschnitts des fertig- gestellten Artikels bildet danach im Wesentlichen die diesem entsprechende enge Formteil-Lücke ab, die durch die beiden Teile des Formwerkzeugs (Formhöhlenteil und Kernteil) definiert wird.
- Von den dünnen Wandabschnitten grenzen sich, wie das Merkmal 1.1 ebenfalls erhellt, die dicken Wandabschnitte (es reicht auch das Vorhandensein nur eines dicken Wandabschnitts) des fertiggestellten Artikels im Sinne von Merkmal 1 dadurch ab, dass deren Wandstärke im Vergleich zu dem diesen entsprechenden Formteil-Lücken des Formwerkzeugs höher ist. Nach Merkmal 1 unterscheiden sich die dicken von den dünnen Wandabschnitten weiter dadurch, dass die dicken Wandabschnitte jedenfalls teilweise aufgeschäumt sind, wobei das Klagepatent das Verhältnis der Wandstärke eines dünnen Wandabschnitts und derjenigen eines dicken Wandabschnitts offenlässt (Abs. [0038]).
- Aus den Ausführungen ergibt sich, dass die Wiedergabe der engen Formteil-Lücken durch die dünnen Wandabschnitte darin besteht, dass diese die entsprechende enge Formteil-Lücke in Form und Umfang/ Durchmesser abbilden, mithin in einem bestimmten, im Zusammenhang mit dem Merkmal 1.4 noch näher zu diskutierenden Umfang (vgl. dazu unter lit. b)) ein Negativ zu der engen Formteil-Lücke bilden. Denn diese Parameter (Form, Umfang/ Durchmesser) führen gerade eine Abgrenzung zu den dicken Wandabschnitten des fertiggestellten Artikels herbei.
- Die Beklagte greift eine Verwirklichung des Merkmals 1.2 unter demselben Aspekt wie die Verwirklichung des Merkmals 1.1 an, dass nämlich der fertig geformte Artikel keine engen Wandabschnitte aufweist, die die dünnen Formteil-Lücken wiedergeben. Es bedarf deshalb keiner weiteren Ausführungen zur Auslegung des Merkmals 1.2.
- b)Merkmal 1.4.,
- „Zulassen, daß die Plastikmaterial-Mischung in den engen Lückenabschnitten des Formwerkzeuges zumindest teilweise im Wesentlichen erstarrt, um die dünnen Wandabschnitte des fertig geformten Artikels zu erzeugen,“
- beschreibt seinem Wortlaut nach einen Verfahrensschritt, der der Herstellung der dünnen Wandabschnitte des fertig gestellten Artikels im Sinne von Merkmal 1 dient. Dies geschieht dadurch, dass die in dem Verfahrensschritt nach Merkmal 1.3 eingespritzte Mischung aus Grundpolymer und einem Schaum erzeugenden Additiv, die sich in den engen Lückenabschnitten des Formwerkzeugs befindet, im Wesentlichen erstarrt.
- Der Fachmann stellt im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der Merkmale eine Verbindung zwischen der durch Merkmal 1.1 vorgegebenen räumlich-körperlichen Ausgestaltung der dünnen Wandabschnitte und dem in Merkmal 1.4 festgelegten Erstarrungsvorgang her. Denn gerade das Erstarren der Plastikmaterial-Mischung noch in den engen Formteil-Lücken des Formwerkzeugs führt dazu, dass die erstarrte Masse in Form und Ausmaß an den engen Formteil-Lücken orientiert ist. Deshalb vollzieht sich der wesentliche Erstarrungsprozess – wie auch der in Merkmal 1.5 beschriebene, nachgelagerte Verfahrensschritt verdeutlicht – gerade auch bevor diejenigen Elemente des Formwerkzeugs auseinandergezogen werden, die die engen Formteil-Lücken, die ihrerseits gerade den formgebenden Einfluss auf die Plastikmaterial-Mischung nehmen, bilden. Das Erstarren vor der Öffnung des Formwerkzeugs verhindert, dass das Gemisch parallel zu der Erweiterung des Raumes, in welchem es enthalten ist, expandiert.
- aa)Schon der Anspruchswortlaut selbst geht dabei nicht davon aus, dass der gesamte Erstarrungsprozess abgeschlossen sein muss, wenn es zu einer Öffnung von Elementen des Formwerkzeugs kommt, mithin die dünnen Wandabschnitte zu diesem Zeitpunkt vollständig fertiggestellt sein müssen. Denn in Merkmal 1.4 heißt es, die Plastikmaterial-Mischung müsse im Wesentlichen erstarrt sein (englischer Originalwortlaut: „allowing the material mixture to at least substantially solidify in the narrow gap portions of the mould tool […].“; Hervorhebungen diesseits).
- Dieser Wortlaut suggeriert bei sprachlich-philologischer Betrachtung zunächst, dass der erstarrte Teil der Plastikmaterial-Mischung jedenfalls größer ist, als der Teil, der noch zu einer Expansion fähig ist.
- Der Anspruchswortlaut enthält bei einer Gesamtbetrachtung im Übrigen zwei Kriterien für die Abgrenzung zwischen einem im Sinne der Lehre des Klagepatents im Wesentlichen erstarrten Material und einem solchen, bei dem der Erstarrungsvorgang noch nicht hinreichend abgeschlossen ist.
- Einen ersten Bezugspunkt entnimmt der Fachmann der in Merkmal 1.1 beschriebenen räumlich-körperlichen Ausgestaltung der dünnen Wandabschnitte, die – wie bereits aufgezeigt – die engen Formteil-Lücken wiedergeben. Dabei ist – im Einklang mit dem Merkmal 1.4 – auch nur eine wesentliche Wiedergabe der engen Formteil-Lücken (englischer Originalwortlaut: „whose mould part gap is to be substantially reproduced in the thin wall portion(s) […]“; Hervorhebungen diesseits) erforderlich. Das Erstarren des Materials ist danach jedenfalls dann nicht hinreichend, wenn nach Öffnung der die enge Formteil-Lücke bildenden Formteile noch eine Expansion des Gemisches erfolgt, die dazu führt, dass die engen Formteil-Lücken nicht mehr im Wesentlichen wiedergegeben werden.
- Ein zweites Kriterium für die Frage der Wesentlichkeit des Erstarrungsprozesses entnimmt der Fachmann der räumlich-körperlichen Ausgestaltung der dicken Wandabschnitte (Merkmal 1.1) und dem für diese beschriebenen Herstellungsprozess (Merkmal 1.5). Die Stärke der dicken Wandabschnitte geht über die weiten Lückenabschnitte hinaus, weil diese auch nach dem Zurückziehen von Formwerkzeugelementen noch Aufschäumen, mithin weiter expandieren. Die weiten Formteil-Lücken wirken mithin allenfalls in einem geringen Umfang formgebend auf die dicken Wandabschnitte. Vor diesem Hintergrund ist der Erstarrungsvorgang nach Merkmal 1.4 jedenfalls dann noch nicht hinreichend abgeschlossen, wenn das in den engen Formteil-Lücken befindliche Material nach dem Öffnungsvorgang in einem vergleichbaren Umfang wie das in den weiten Formteil-Lücken vorhandene Material expandiert.
- bb)Weiter ist im Hinblick auf die Frage der Wesentlichkeit des Erstarrungsvorgangs der von dem Klagepatent angestrebte Vorteil zu berücksichtigen, nämlich ein Spritzgußverfahren bereitzustellen, bei welchem der hergestellte Artikel in seinem Querschnitt unterschiedlich ausgestaltet ist (Abs. [0005]), ohne dass es zu optischen Beeinträchtigungen der Oberfläche durch Materialschrumpfungen (Abs. [0002], [0003]), insbesondere in den dicken Wandabschnitten (Abs. [0032]), kommt.
- Die geschützte Lehre knüpft in diesem Zusammenhang maßgeblich daran an, dass das dem Grundpolymer beigegebene Schäumungsmittel im Rahmen des Herstellungsprozesses – entsprechend der gewünschten Änderung im Querschnitt des hergestellten Artikels – an unterschiedlichen Stellen des zu produzierenden Formteils eine Wirkung unterschiedlichen Ausmaßes entfaltet. Das Beifügen des Schäumungsmittels selbst führt grundsätzlich dazu, dass Schrumpfungserscheinungen an den dicken Wandabschnitten vermieden werden:
- „Wir haben entdeckt, daß wir die Tasse mit gleichmäßiger Wandstärke in den dicken Wandabschnitten formen können, indem man eine kleine Menge an Treibmittel in das Plastikmaterial einschließt.“ (Abs. [0033]).
- Jedoch ist ein Aufschäumen des Materials nicht an allen Stellen des fertigzustellenden Artikels gewollt, weshalb die Wirkung des Schäumungsmittels in dem engen Wandbereich klagepatentgemäß gering gehalten wird, indem der Erstarrungsprozess in diesem Bereich im Wesentlichen zu einem Zeitpunkt erfolgt, indem das Formwerkzeug noch einen formgebenden Einfluss ausübt. In den dicken Wandabschnitten hingegen wird der Aufschäumungsprozess auch nach Zurückziehen des Formwerkzeugs noch fortgesetzt:
- „Wir glauben, daß eine Kombination von hohem Druck – erforderlich, um das Material in die engen Lückenabschnitte zu drücken – und der erhöhten Kühlungsrate in den engen Lückenabschnitten die Entstehung einer Aufschäumung in den dünnen Wandabschnitten unterbindet, wohingegen der in den weiten Lückenabschnitten herrschende, niedrigere Druck und das größere Volumen an Plastikmaterial in den weiten Lückenabschnitten, das zum Abkühlen einer längeren erfordert, ein Aufschäumen dieser Abschnitte zuläßt. […].“ (Abs. [0035]).
- Dabei ist insbesondere der zuletzt genannte Aspekt des Aufschäumens des Plastik-Materials auch noch nach der Öffnung des Formwerkzeugs erfindungswesentlich:
- „[…] Jedoch waren wir überrascht, herauszufinden, daß aufgrund des Öffnens der Form vor dem Kühlen der dicken Wandabschnitte bis zum Erstarren ein zusätzliches Aufschäumen erfolgen kann.“ (Abs. [0035]),
- „Unsere Erfindung ist eine Anpassung der Verwendung von Treibmittel einschließlich dem Plastikmaterial, um es zu erlauben, daß sich das Aufschäumen nach einer zumindest teilweisen Öffnung der Form, in welcher die Tasse oder ein anderer Artikel geformt wird, fortsetzt.“ (Abs. [0036]).
- Klagepatentgemäß kann ein zeitliches Auseinanderfallen der Materialerstarrung in den unterschiedlichen Abschnitten zum einen dadurch bewirkt werden, dass die Zeitspanne abgewartet wird, die erforderlich ist, damit das Plastikmaterial-Gemisch in den engen Abschnitten erstarrt. Diese ist naturgemäß kürzer als die Zeitspanne, die das Material in den weiten Formteil-Abschnitten zur Erstarrung benötigt (Abs. [0026], [0035]). Zum anderen ist es jedoch auch möglich, den Erstarrungsprozess in den engen Formteil-Lücken zu beschleunigen bzw. in den weiten Formteil-Lücken zu entschleunigen (Abs. [0013], [0014]).
- Dies berücksichtigend ist die Vermeidung jedweder Expansion des Plastikmaterial-Gemisches in den engen Wandabschnitten auch bei einer gebotenen funktionsorientierte Betrachtung nicht veranlasst. Weder die Beschreibung des Klagepatents – welches das Problem von die Oberfläche optisch beeinflussenden Schrumpfungserscheinungen vorrangig im Bereich der dicken Wandabschnitte verortet (Abs. [0032]) – noch der Vortrag der Parteien lassen erkennen, dass ein Expandieren auch der dünnen Wandabschnitte zu Schrumpfungserscheinungen führt, die das Klagepatent gerade verhindern will.
- Soweit sich aus der Beschreibung des Klagepatents ergibt, dass in den engen Wandabschnitten ein Aufschäumen nicht erfolgt (Abs. [0034], [0035], [0037], [0040]), stehen diese Ausführungen in einem Zusammenhang mit bevorzugten Ausführungsbeispielen, die die geschützte Lehre regelmäßig nicht beschränken (BGH, GRUR 2008, 779 (Rn. 34) – Mehrgangnabe). Das gilt vorliegend in besonderem Maße, weil schon der maßgebliche Anspruchswortlaut („im Wesentlichen“) Toleranzen zulässt.
- 2.Auch die zwischen den Parteien streitigen Merkmale 1.1, 1.4 und 1.5 werden unmittelbar wortsinngemäß verwirklicht.
- a)Eine Verwirklichung der Merkmale 1.1, 1.4 steht fest.
- Dies ergibt sich für die Kammer bei einer freien Würdigung der Feststellungen des in dem selbstständigen Beweisverfahren (Az.: 4a O 95/15) eingholten gerichtlichen Sachverständigengutachtens vom 26.11.2015 (Anlage K2) unter Berücksichtigung des übrigen Inhalts der mündlichen Verhandlung, § 286 Abs. 1 ZPO.
- aa)Beruft sich eine Partei – wie vorliegend die Klägerin – im Prozess auf Tatsachen, über die selbstständig Beweis erhoben worden ist, so steht dies gem. § 493 Abs. 1 ZPO einer im Rahmen des Hauptsacheprozesses durchgeführten Beweisaufnahme gleich. Voraussetzung ist, dass – was vorliegend der Fall ist – die Parteien des selbstständigen Beweisverfahrens und diejenigen des Hauptsacheverfahrens identisch sind. Die Verwertung des Gutachtens ist vorliegend auch nicht nach Maßgabe von § 493 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen, was nach der zitierten Vorschrift der Fall ist, wenn der Gegner, mithin die hiesige Beklagte, in dem selbstständigen Beweisverfahren ohne rechtzeitige Ladung nicht zu einem Termin erschienen ist.
- Aus der Verwertung des Gutachtens des selbstständigen Beweisverfahrens wie ein in dem Hauptsacheverfahren selbst erhobener Beweis folgt, dass für eine Wiederholung oder Fortsetzung der Beweiserhebung über dasselbe Beweisthema vor dem Prozessgericht im Interesse der Verfahrensbeschleunigung die Einschränkungen gem. §§ 360, 398, 411 Abs. 4, 412 ZPO gelten (Herget, in: Zöller, ZPO, Kommentar, 31. Auflage, 2016, § 493, Rn. 2). Eine Wiederholung oder Fortsetzung der Beweisaufnahme kommt daher nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn die selbstständige Beweiserhebung fehlerhaft im Sinne von § 492 ZPO war, insbesondere das Erstgutachten ungenügend ist (Hahn, in: Cepl/ Voß, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, 2015, § 493, Rn. 8).
- Eine solche Fortsetzung der Beweisaufnahme ist vorliegend aus den noch näher auszuführenden Gründen nicht erforderlich.
- bb)Der Sachverständige befasst sich auf den Seiten 11 ff. des schriftlichen Gutachtens (Anlage K2) mit der Frage der Verwirklichung des Merkmals 1.4 der klagepatentgemäßen Lehre durch das von der Beklagten angewendete Verfahren. Seine dahingehenden Feststellungen haben zugleich Aussagekraft für die Verwirklichung des zwischen den Parteien streitigen Merkmals 1.1, sofern es darum geht, dass die dünnen Wandabschnitte die engen Formteil-Lücken im Wesentlichen wiedergeben.
- Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Sachverständige im Rahmen seiner Begutachtung bei der Beklagten auf ein und demselben Formwerkzeug Armaturentafeleinlagen unter zwei unterschiedlichen Produktionsbedingungen hergestellt hat; zum einen – im regulären Produktionsprozess – unter Verwendung eines Grundpolymers und eines einen Schaum erzeugenden Additivs, und zum anderen unter Verwendung nur des Grundpolymers (ohne Hinzufügen des Schaum erzeugenden Additivs). Dieses Vorgehen beschreibt der Sachverständige auf Seite 7 des Sachverständigengutachtens (Anlage K2). Untersuchungsergebnisse, die der Sachverständige im Rahmen des Herstellungsprozesses ohne das Additiv erhalten hat, sind mit einem „K“ für Kompaktverfahren bezeichnet, solche, bei denen das Grundpolymer und das Additiv eingesetzt wurden mit einem „S“ für Serienproduktion (Anlage K2, S. 8, 2. Abs.).
- Dieses Vorgehen berücksichtigend trifft der Sachverständige die Aussage, dass die im Rahmen der K-Produktion gewonnenen Messergebnisse für die Dickenmessung der engen (und der dicken) Wandabschnitte die diesen entsprechenden Lückenabschnitte des geschlossenen Formwerkzeugs im Wesentlichen wiedergeben würden (Anlage K2, S. 12, 3. Abs.), ähnlich eines Negativs. Diese Aussage wird ergänzt durch die Anlage A zu dem Sachverständigengutachten (Anlage K2), auf welches sich die Klägerin in dem hiesigen Hauptsacheverfahren beruft und die nachfolgend erneut eingeblendet wird (Die farblichen Markierungen stammen von der Klägerin.):
- Für den (von der Klägerin „gelb“ markierten) Abschnitt „C“ zeigt die Serienproduktion („S“) eine Wanddicke von 0,87 mm an. Auch die Wanddicke der Kompaktproduktion („K“) zeigt eine Wanddicke von 0,87 mm an. Geht man – wie der Sachverständige – davon aus, dass der Wert der Wanddicke des engen Wandabschnitts im Rahmen der Kompaktproduktion der durch das Formwerkzeug gebildeten Kavität entspricht, so ist davon auszugehen, dass eine Aufschäumung in diesem Bereich – auch bei Einsatz des Schäumungsmittels – nicht erfolgt ist, und der enge Wandabschnitt „C2“ den dünnen Formteil-Einsatz im Wesentlichen wiedergibt.
- Auch lassen die Feststellungen des Gutachters erkennen, dass die Stärke des engen Wandabschnitts „C“ hinter der Stärke des dünnen Wandabschnitts „C1“ zurückbleibt, die der Sachverständige mit 2,26 mm angibt (Anlage K2, Anlage A, unterer Tabelle „weit“, 1. Zeile, 9. Spalte). Daneben lässt auch die in Anlage D-2S zu dem Sachverständigengutachten (Anlage K2) wiedergegebene Ablichtung des untersuchten Bereichs „C/C.1“ erkennen, dass die Aufschäumung, dargestellt durch den weißen Mittelstreifen, in dem engen Wandabschnitt deutlich geringer als in dem dicken Wandabschnitt ist, so dass auch eine Unterscheidung von dünnen und dicken Wandabschnitten im Sinne der Lehre des Klagepatents möglich ist.
- cc)Bei Würdigung des Ergebnisses des Gutachtens ist zwar zu beachten, dass der Sachverständige selbst angibt, eine abschließende Bewertung der Merkmalsverwirklichung nicht vornehmen zu können (Anlage K2, S. 11, letzter Abs. und S. 12, letzter Abs.). Sofern er sich in diesem Zusammenhang darauf bezieht, dass aus seiner Sicht offene Auslegungsfragen bestehen (Anlage K2, Seite 12, letzter Abs.), steht dies jedoch weder einer Verwertung des Begutachtungsergebnisses zwingend entgegen, noch folgt daraus – was auch die Parteien nicht einwenden – die fehlende Sachkunde des Sachverständigen. Denn die Merkmalsauslegung obliegt ohnehin dem Gericht. Sofern sich der Sachverständige einer abschließenden Bewertung auch deshalb enthält, weil ihm für die Beurteilung der Begutachtungsfrage erforderliche Anknüpfungspunkte nicht zur Verfügung stehen – insbesondere weil, das streitige Merkmal ein der Beobachtung, jedenfalls mit den dem Sachverständigen zur Verfügung stehenden technischen Hilfsmitteln, nicht zugängliches Materialverhalten betreffe (Anlage K2, S. 11, letzter. Abs., S. 12, 1. Abs., S. 13, 1. Abs.) –, ist zu beachten, dass der Sachverständige gerade vor diesem Hintergrund auf die bereits dargestellte „Hilfsmethode“ des Erstellens eines Abdrucks nur mit dem Grundpolymer (ohne Schäumungsmittel) zurückgegriffen hat.
- Diese Methode ist auch nicht erkennbar zur Ermittlung der Kavität der engen Formteil-Lücken des von der Beklagten verwendeten und von dem Sachverständigen untersuchten Formwerkzeugs 629 völlig ungeeignet.
- Zwar hat der Sachverständige die Methode – nach seinen Angaben – aufgrund eines Vorschlags der Klägerin zur Anwendung gebracht (vgl. Anlage K2, S. 12, 2. Abs. und S. 14, 2. Abs.). Dass er diese jedoch nicht völlig ungeprüft übernommen hat, findet darin einen Ausdruck, dass er statt des von der Klägerin zur Herstellung des Abdrucks vorgeschlagenen Materials (Wachs oder Ton) das Grundpolymer genutzt hat (Anlage K2, S. 12, 2. Abs.). Auch hat der Sachverständige das von der Beklagten vorgebrachte Problem vor Augen gehabt, dass in der Materialzuführung zu dem Werkzeug bei dem Kompaktverfahren grundsätzlich aufgrund des zuvor durchgeführten Serienverfahrens noch signifikante Gasrückstände vorhanden sein können. Die Verfälschung der ermittelten Ergebnisse hat der Sachverständige dadurch vermieden, dass er zwischen der S- und der K-Produktion weitere Chargen produziert und diese verworfen hat (Anlage K2, S. 7, 3. Abs.).
- Sofern die Beklagten gegen das Sachverständigengutachten vorbringt, dass dieses Schwindungsprozesse, die bei der Verwendung von Kunststoff für einen Abdruck auftreten können, unberücksichtigt lasse, so ist der Beklagten zuzugestehen, dass es sich bei dem Sachverständigen – nach dessen eigenen Angaben (Anlage K2, S. 13, 1. Abs.) – nicht um einen Kunststoff-Fachmann handelt. Jedoch ist weder vorgetragen noch erkennbar, dass derartige Schwindungsprozesse in einem erheblichen Umfang – nach dem Vortrag der Klägerin liegen diese bei dem verwendeten Thermoplast zwischen 1,2 % und 2,0 % – zu einer Verfälschung der Messungen des Sachverständigen führen. Dies ist gerade deshalb nicht zwingend, weil der Klagepatentanspruch selbst gewisse Toleranzen für das Aufschäumen auch der dünnen Wandabschnitte zulässt.
- dd)Auch der Gegenvortrag der Beklagten ist nicht geeignet, der Verurteilung entgegenstehende Zweifel an den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigengutachtens zu begründen.
- Einwendungen gegen das im Rahmen eines selbstständigen Beweisverfahrens eingeholte Sachverständigengutachten sind zwar grundsätzlich – vorbehaltlich einer Zurückweisung des Vortrags als präkludiert – auch im Hauptsacheverfahren noch zu berücksichtigen (BGH, Beschl. IX ZR 155/10, Rn. 3, zitiert nach BeckRS 2011, 14042: OLG München, Beschl. v. 14.03.2007, Az.: 28 W 1155/07, S. 2, unter Ziff. 1). Aus dem Vorbringen der Beklagten ergibt sich jedoch kein prozessual erheblicher Gegenvortrag.
- Der Vortrag der Beklagten, wonach die Kavität der engen Lückenabschnitte A, C, E und F (unter Bezugnahme auf Anlage A zu dem Sachverständigengutachten, Anlage K2) zwischen 1 bis 1,1 mm und die Endwandstärke des fertiggeformten Artikels an diesen Stellen ca. 1,6 mm betrage, führt – seine Richtigkeit unterstellt – zwar aus dem Schutzbereich des Klagepatents heraus. Denn, sofern die Kavität der engen Formteil-Lücke 1 mm und die dünne Wandstärke 1,6 mm beträgt, spricht dies dagegen, dass ein Großteil des Plastikmaterials bei zumindest teilweiser Öffnung des Formwerkzeugs bereits erstarrt war. Gleiches gilt erst Recht, soweit die Beklagte vorträgt, eine CT-Untersuchung der – von den gerichtlichen Sachverständigen so bezeichneten – engen Wandabschnitte A, C, E, F und H habe ergeben, dass die Stärke dieser im Schnitt mehr als 2,0 mm betrage (Bl. 64 f. GA; Anlage B6).
- Sowohl die auf Basis der CAD-Daten vorgetragenen Werte (1,0 – 1,1 mm bzw. 1,6 mm) als auch diejenigen, die die CT-Untersuchung ergeben haben sollen (2,00 mm im Durchschnitt), lassen unklar, in welchem Umfang sie die tatsächlichen Verhältnisse des Produktionsprozesses widerspiegeln. Anlass für Zweifel gibt dabei bereits das prozessuale Vorbringen der Beklagten selbst, insbesondere die erhebliche Abweichung zwischen der bei der CT-Untersuchung mit einem Durchschnittswert von 2,00 mm (Anlage B6) ermittelte dünnen Wandstärke des fertig geformten Artikels und dem für diese auf der Grundlage der CAD-Daten vorgegebenen Wert von 1,6 mm.
- Des Weiteren stehen diesem Vorbringen die von dem Sachverständigen gemessenen Werte für die Stärke der dünnen Wandabschnitte A, C, E, F und H entgegen. Denn diese liegen zwischen 1,17 und 0,87 (vgl. Anlage K2, Anlage A1, obere Tabelle „eng“, obere Zeile „S“). Dass die Untersuchungen des Sachverständigen im Hinblick auf den Vorgang des Messens der Wandstärke (ausführlich offengelegt auf den Seiten 7 – 9 des Gutachtens, Anlage K2) fehlerhaft sind, macht die Beklagte nicht konkret geltend und ist auch nicht erkennbar.
- Soweit die Beklagte vorträgt, sie habe auch Untersuchungen an einer Armaturentafeleinlage durchgeführt, die baugleich mit dem Teil ist, welches der Sachverständige im September 2015 untersucht hat, bleibt bereits unklar, welche Art von Untersuchung zur Ermittlung der Wandstärke durchgeführt worden ist. Der Vortrag unterstreicht zugleich die Zweifelhaftigkeit der von der Beklagten im Übrigen für die Stärke der dünnen Wandabschnitte vorgetragenen Werte. Denn diese Untersuchungen sollen ergeben haben, dass die Stärke der dünnen Wandabschnitte (in den relevanten Messbereichen) zwischen 1,30 mm und 1,55 mm liegt. Diese ermittelten Werte weichen jedoch sowohl von den auf Grundlage der CAD-Daten (1,6 mm) als auch von den auf Basis der CT-Untersuchung ermittelten Werten (Durchschnittswert: 2,00 mm) ab. Dabei ist hervorzuheben, dass die im Zusammenhang mit der „neueren“ Armaturentafeleinlage ermittelten Werte von 1,30 mm – 1,55 mm den Wert von 1,6 mm unterschreiten, während die Beklagte noch im Zusammenhang mit einem Vergleich dieses Werts mit denjenigen der CT-Untersuchung vorgetragen hatte, dass davon auszugehen sei, dass die Plastikmaterial-Mischung noch weiter aufgeschäumt sei, als ursprünglich geplant und vorgesehen.
- Schließlich setzt sich die Beklagte auch insoweit in Widerspruch zu ihrem Vorbringen in dem hiesigen Prozess, als sie mit vorgerichtlichem Schreiben an die Klägerin vom 25.06.2013 (Anlagenkonvolut K1, dort S. 2, 3. Abs.) mitteilte, dass die Wandstärke der dünnen Abschnitte die Kavität der engen Formteil-Lücken um bis zu 20 % übersteige.
- b)Eine Verwirklichung des Merkmals 1.5 ist ebenfalls gegeben.
- In auslegungstechnischer Hinsicht besteht zwischen den Parteien kein Streit über das Verständnis des Merkmals 1.5. Die Beklagte wendet sich lediglich dagegen, dass der Klägerin die Geltendmachung einer (nicht erteilten) eingeschränkten Fassung möglich ist. Dies ist jedoch unproblematisch, soweit die Klägerin – wie vorliegend (vgl. Widerspruchsschriftsatz der hiesigen Klägerin vom 28.07.2017, Anlage K13, S. 2) – diese Fassung zumindest hilfsweise im Rahmen des Nichtigkeitsverfahrens geltend macht (BGH, GRUR 2010, 904, Rn. 47 f. – Maschinensatz).
- Mit der Geltendmachung der beschränkten Fassung schließt die Klägerin solche Ausgestaltungen aus dem Schutzbereich des Klagepatents aus, bei denen nicht mindestens ein gesamter Teil des Formwerkzeugs, insbesondere das Formhöhlenteil oder das Kernteil, zurückgezogen wird (Abs. [0006], insbesondere S. 2, Z. 26 der T2-Schrift, Anlage K4), sondern lediglich ein Abschnitt eines dieser Teile – wie in Abschnitt [0008] beschrieben.
- Bei den Formteilen, insbesondere Formhöhlenteil und Kernteil, handelt es sich – wie die Merkmale 1.1 und 1.2 vorgeben – um die Bauteile, die die engen und die weiten Formteil-Lücken definieren, und in die die Plastik-Materialmischung eingebracht wird (Merkmal 1.3). Diese müssen dabei für sich nicht als eine einheitliche Baueinheit ausgestaltet sein, sie müssen jedoch – nach der beschränkten Anspruchsfassung – als eine Einheit zurückziehbar sein.
- Der Sachverständige hat festgestellt, dass zumindest ein Teil des Formwerkzeugs bei dem von der Beklagten durchgeführten Verfahren von dem anderen Teil des Formwerkzeugs zurückgezogen wird (Anlage K2, S. 13, Abs. 2). Der Sachverständige stellt gerade nicht fest, dass lediglich ein Abschnitt eines Teils des Formwerkzeugs – was nach der Einschränkung durch die Klägerin nicht mehr ausreichend wäre – zurückgezogen wird. Gegen diese Feststellung wendet sich die Beklagte auch nicht.
- IV.Aufgrund der festgestellten Rechtsverletzung stehen der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche zu.
- 1.Der Klägerin hat gem. Art. 64 Abs. 1, 3 EPÜ i. V. m. § 139 Abs. 2 PatG ein Anspruch auf Schadensersatz dem Grunde nach.
- a)Als Fachunternehmen hätte es der Beklagten oblegen, zu prüfen, ob die angegriffene Ausführungsform sowie das zu ihrer Herstellung angewendete Verfahren das Schutzrecht eines Dritten verletzen. Bei einer entsprechenden Überprüfung wäre dies für sie auch ohne weiteres zu erkennen gewesen. Indem sie eine entsprechende Prüfung unterließ, hat die Beklagte die im Verkehr erforderliche Sorgfalt missachtet, § 276 Abs. 2 BGB.
- Soweit die Beklagte gegen ihr Verschulden vorbringt, bei der von dem Sachverständigen untersuchten Armarturentafeleinlage handele es sich um einen „Ausreißer“, bestehen für einen solchen keine Anhaltspunkte. Zudem greifen auch insoweit die bereits im Zusammenhang mit den Einwendungen gegen das Sachverständigengutachten dargelegten Zweifel durch (vgl. III., 2., a), dd)).
- Die Klägerin hat an der begehrten Feststellung auch das erforderliche rechtliche Interesse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO. Die Entstehung eines Schadens auf Seiten der Klägerin ist hinreichend wahrscheinlich. Eine Bezifferung dieses Schadens ist ihr nicht möglich, weil sie ohne Verschulden über die Informationen, die sie mit der hiesigen Klage begehrt, in Unkenntnis ist.
- b)Die Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs ist auch nicht deshalb gehindert, weil die Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben hat, § 141 Satz 1 PatG i. V. m. 214 BGB.
- Gem. § 195 BGB beträgt die allgemeine Verjährungsfrist drei Jahre. Sie beginnt gem. § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder hätte erlangen müssen. Gem. § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB verjähren Schadensersatzansprüche ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in zehn Jahren von ihrer Entstehung an.
- Die Beklagte hat keine Tatsachen vorgetragen, die einen Verjährungstatbestand nach dieser Maßgabe begründen.
- Insbesondere fehlen jegliche Anhaltspunkte dafür, ab wann die Klägerin Kenntnis von den Verletzungshandlungen der Beklagten erhielt. Auch unterstellt, dass bereits im Jahre 2013, aus dem der Schriftverkehr der Parteien datiert, eine Kenntnis von den den Schadensersatzanspruch begründenden Tatsachen auf Seiten der Klägerin bestand, könnte eine Verjährung von Ansprüchen frühestens mit Ablauf des 31.12.2016 eingetreten sein. Zu diesem Zeitpunkt war jedoch bereits die hiesige Klage rechtshängig (Zustellung der Klage bei der Beklagten erfolgte am 15.07.2016 (Bl. 49 GA)), was gem. §§ 209, 204 Abs. Nr. 1 BGB den weiteren Ablauf der Verjährungsfrist hemmt. Es bestehen aber auch bereits Zweifel daran, dass bereits im Jahre 2013 bei der Klägerin Kenntnis von den den Anspruch begründenden Tatsachen vorlag, weil das Sachverständigengutachten, bei der Klägerin am 13.11.2016 zugestellt (Bl. 189b der Verfahrensakte 4a O 95/15), weitere für die Beurteilung des Verletzungssachverhalts erforderlichen Tatsachen enthielt. Dass der Klägerin diese vorher bereits bekannt waren, ist nicht ersichtlich.
- Auch ein Ablauf der absoluten Verjährungsfrist gem. § 199 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB im Hinblick auf den frühesten Zeitpunkt, an den die Klägerin eine Schadensersatzpflicht knüpft (13.07.2006), ist nicht erkennbar. Eine Verjährung könnte (unterstellt zu diesem Zeitpunkt wäre auch direkt bereits ein Schaden eingetreten) frühestens ab dem 14.07.2016 erfolgt sein, zu diesem Zeitpunkt war der Ablauf der Verjährungsfrist jedoch aufgrund der am 13.07.2016 bei Gericht eingegangenen und der am 15.07.2016 zugestellten Klage gem. §§ 209, 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB i. V. m. § 167 ZPO bereits gehemmt.
- 2.Die Ansprüche auf die Auskunftserteilung und Rechnungslegung stehen der Klägerin gem. Art. 64 Abs. 1, 3 EPÜ i. V. m. § 140b Abs. 1, 3 PatG, §§ 242, 259 BGB zu.
- Im Hinblick auf die nach Maßgabe von § 140b Abs. 1, 3 PatG zu erteilenden Auskünfte ist nicht ersichtlich, dass der Klägerin eine Auskunftserteilung unzumutbar im Sinne von § 140b Abs. 4 PatG ist.
- Auf die übrigen nach §§ 242, 259 BGB zu erteilenden Angaben ist die Klägerin zur Bezifferung des ihr nach Maßgabe der Ausführungen unter Ziff. 1. zustehenden Schadensersatzanspruchs angewiesen. Die Klägerin ist über diese Angabe auch ohne eigenes Verschulden in Unkenntnis, da Gegenstand der Auskünfte betriebsinterne Belange der Beklagten sind. Die Beklagte wird durch die von ihr verlangte Auskunftserteilung auch nicht erkennbar unzumutbar belastet.
- Soweit die Klägerin im Zusammenhang mit der Verletzung des Verfahrensanspruchs auch Angaben zu Orten und Zeiten der Verfahrensanwendung begehrt, sind auch diese Angaben von dem Rechnungslegungsanspruch nach §§ 242, 259 BGB erfasst (Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 9. Auflage, 2017, Kap. D., Fn. 855). Der Anspruch erstreckt sich für den Fall von Internetwerbung außerdem auf Angaben über die Domain, die Zugriffszahlen und die Schaltungszeiträume (Kühnen, ebd., Rn. D.532). Sofern in der Direktwerbung als solches ein rechnungslegungspflichtiges Angebot liegt, sind zudem Angaben zu Name und Anschrift der Angebotsempfänger zu machen (a.a.O.).
- Im Hinblick auf die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung gelten die Ausführungen zum Schadensersatzanspruch (unter Ziff. 1.) mit der Maßgabe entsprechend, dass die absolute Verjährungsfrist der Auskunfts- und Rechnungslegungsansprüche gem. § 199 Abs. 4 BGB zehn Jahre beträgt.
- V.Für eine Aussetzung der Verhandlung gem. § 148 ZPO besteht kein hinreichender Anlass.
- 1.Nach § 148 ZPO kann das Gericht bei der Vorgreiflichkeit eines anderen Verfahrens einen Rechtsstreit aussetzen. Die Vorgreiflichkeit ist aufgrund der festgestellten, unstreitigen Verletzung des Klagepatents hinsichtlich des anhängigen Nichtigkeitsverfahrens gegeben. Die Erhebung einer Nichtigkeitsklage stellt jedoch ohne weiteres noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen. Die Patenterteilung ist auch für die (Verletzungs-) Gerichte bindend. Wegen der gesetzlichen Regelung, die für die Ansprüche nach §§ 139 ff. PatG lediglich ein in Kraft stehendes Patent verlangt und für die Beseitigung dieser Rechtsposition nur die in die ausschließliche Zuständigkeit des Patentgerichts fallende Nichtigkeitsklage bzw. den Einspruch vor dem jeweiligen Patentamt zur Verfügung stellt, kann der Angriff gegen das Klagepatent nicht als Einwand im Verletzungsverfahren geführt werden. Jedoch darf dies nicht dazu führen, dass diesem Angriff jede Auswirkung auf das Verletzungsverfahren versagt wird. Die Aussetzung des Verletzungsstreits im Rahmen der nach § 148 ZPO zu treffenden Ermessenentscheidung ist vielmehr grundsätzlich, aber auch nur dann geboten, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass das Klagepatent der erhobenen Nichtigkeitsklage oder dem erhobenen Einspruch nicht standhalten wird (BGH, GRUR 2014, 1237, 1238 – Kurznachrichten; OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.06.2015 – Az. 2 U 64/14, S. 29 f.).
- Bei diesem Aussetzungsmaßstab verbleibt es auch vorliegend.
- Die Klägerin macht zwar zur Begründung ihres auf Auskunftserteilung, Rechnungslegung und Feststellung einer Schadensersatzpflicht gerichteten Klagebegehrens eine Anspruchsfassung geltend, die nicht von dem Erteilungsakt gedeckt ist (vgl. hierzu differenzierend Kühnen, ebd., Rn. E.623 f.). Jedoch hat die Beklagte eine Nichtigkeitsklage erst am 12. Mai 2017, mithin rund zehn Monate nach Klagezustellung, erhoben (hierzu vgl. Kühnen, ebd., Rn. E.610). Diese Tatsachen rechtfertigen in einer Gesamtabwägung die Beibehaltung des im Verletzungsrechtsstreit üblichen Aussetzungsmaßstabs.
- 2.Orientiert an dem unter Ziff. 1. dargelegten Maßstab ist eine Vernichtung des Klagepatents nicht mit der für eine Aussetzung erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu erwarten.
- Insbesondere vermag die Kammer eine Vernichtung des Klagepatents wegen fehlender Neuheit gem. Art. 138 Abs. 1 lit. a), Artt. 52, 54 EPÜ nicht anzunehmen.
- Eine Entgegenhaltung ist dann neuheitsschädlich, wenn sich die gesamte als Erfindung beanspruchte Lehre des Klagepatents aus dieser Schrift, deren Gesamtinhalt zu ermitteln ist, für den Fachmann am Prioritätstag in einer Weise ergibt, dass ihm die dort vorgestellte technische Lösung unmittelbar und eindeutig sämtliche Merkmale der Erfindung offenbart (BGH, GRUR 2009, Rn. 25 – Olanzapin). Dabei beschränkt sich die technische Lehre bei Patentschriften nicht auf den Inhalt der Ansprüche, sondern schließt die gesamte technische Information ein, die ein Durchschnittsfachmann Ansprüchen, Beschreibung und Abbildung entnehmen kann (a. a. O.).
- Danach erweisen sich die von der Beklagten vorgelegten Entgegenhaltungen nicht als neuheitsschädlich.
- Zu den Entgegenhaltungen im Einzelnen:
- a)Im Hinblick auf die DE 27 58 924 (K6 im Nichtigkeitsverfahren; vgl. auch Anlagenkonvolut B14, dort Anlage K6) vermag die Kammer insbesondere eine Vorwegnahme des Merkmals 1.5 in seiner beschränkten Fassung nicht anzunehmen.
- Figur 2 der Entgegenhaltung,
- offenbart einen gespritzten Kunststoffgegenstand mit einem Gelenk (18), das die aufgeschäumten Abschnitte (10) und (12) miteinander verbindet. Die Figuren 3 – 5,
- zeigen ein Formwerkzeug, das durch den beweglichen unteren Formabschnitt (32) und den oberen stationären Formabschnitt (30) gebildet wird, und mit welchem der gespritzte Kunststoffgegenstand hergestellt wird. Das in der Öffnung (44) des Formabschnitts (32) befindliche „gelenkformende Teil (46)“ bildet zusammen mit dem flachen Rippenabschnitt (38) des Formabschnittes (30) den Teil, in welchem der Gelenkabschnitt (18) ausgebildet wird.
- Bei dem offenbarten Formwerkzeug wird jedoch nicht das gesamte Teil des Formwerkzeugs – wie von der beschränkten Fassung vorgesehen – zurückgezogen. Denn den Figuren 3 – 5 lässt sich nur entnehmen, dass Teile des unteren Formabschnitts 32, nämlich die beiden äußeren Teile, zurückgezogen werden. Der mittlere Abschnitt mit dem gelenkformenden Teil (46) vollzieht hingegen keine erkennbare Bewegung, sondern verharrt in der in Figur 3 gezeigten Ausgangsposition.
- b)Im Hinblick auf die US 3, 767, 742 (Anlage K7 im Nichtigkeitsverfahren; deutsche Übersetzung: Anlage B14a-K7) hat die Kammer Zweifel an einer Vorwegnahme des Merkmals 1.1 und des Merkmals 1.5 (in seiner beschränkten Fassung).
- Die Figuren 1 und 2 der Entgegenhaltung,
- zeigen einen Artikel, der mit dem durch die Entgegenhaltung geschützten Verfahren zum Einspritzen eines Kunststoffmaterials hergestellt worden ist. Dieser weist einen dickeren linken und rechten Abschnitt jeweils mit einem geschäumten Kern (8) auf. Zwischen diesen beiden dickeren Abschnitten befindet sich ein dünner Abschnitt in Form des ungeschäumten Scharnierelements (7). Der in den Figuren mit der Kennziffer 5 wiedergegebene Schieber ist beweglich.
- Die Figuren 3 und 4 der Druckschrift,
- lassen erkennen, dass die Formteile (10) und (11), in denen die dickeren Wandabschnitte ausgebildet werden, bewegt werden können, während das Formteil (12) starr bleibe.
- Auf der Grundlage dieses Offenbarungsgehalts erscheint eine eindeutige und unmittelbare Voroffenbarung des Merkmals 1.1 zweifelhaft. Auch die Beklagte bringt vor, dass der enge Wandabschnitt des in den Figuren 1 und 2 wiedergegebenen Artikels (dort das ungeschäumte Scharnierelemente (7)) hergestellt wird, indem der bewegliche Schieber (5) abgesenkt wird. Die Figuren 3 und 4 aber zeigen ein Formwerkzeug, bei welchem der Schieber (12) starr ist und die Formteile (10) und (11) radial bewegt werden können. Vor welchem Hintergrund der Fachmann davon ausgeht, dass – wie die Beklagte vorträgt – mit dem Formwerkzeug gemäß der Figuren 3 und 4 ein identischer Artikel – wie in den Figuren 1 und 2 gezeigt – hergestellt wird, erläutert die Beklagte nicht. Darüber hinaus ist aber auch fraglich, inwiefern der Fachmann bei einem bloßen Vergleich der Figuren darauf schließt, dass der dünne Wandabschnitt im klagepatentgemäßen Sinne im Wesentlichen die enge Formteil-Lücke wiedergibt.
- Eine Vorwegnahme des Merkmals 1.5 in seiner eingeschränkten Fassung vermag die Kammer nicht anzunehmen, weil – bezugnehmend auf die Figuren 3 und 4 – lediglich Teile des beweglichen Formteils (11) zurückgezogen werden, der Schieber (12) hingegen starr bleibt.
- c)Die Beklagte macht weiter geltend, die klagepatentgemäße Lehre sei auch bereits durch die GB 1227012 (Anlage K8 im Nichtigkeitsverfahren; deutsche Übersetzung: Anlage B14a-K8) neuheitsschädlich vorweggenommen. Insoweit kann die Kammer jedoch eine eindeutige und unmittelbare Offenbarung des Merkmals 1.2 nicht feststellen.
- Die Druckschrift offenbart mit Figur 1,
- einen kunststoffgespritzten Gegenstand mit einer Reihe von Rippen (7) und einer Sohle als einen aufgeschäumten Wandabschnitt.
- Die Figuren 3 und 4 (nachfolgend verkleinert wiedergegeben) zeigen das zur Herstellung der Schuhsohle verwendete Formwerkzeug:
- In der geschlossenen Stellung des Formwerkzeugs (Figur 3) wird die Paste durch die Löcher (18) und (19) in den durch den Formmantel (13) und die verlagerbare Platte (8) mit der Matrix (10) gebildeten Raum (16) eingebracht und füllt diesen vollständig. Der Raum (16) weist eine im Wesentlichen regelmäßige Höhe auf mit Ausnahme der durch die Rippen (10a) der Matrix (10) definierten Räume (17). Nach kurzer Zeit werden die Krone (12) und der Formmantel (13) bewegt, sie sind dann in der durch Figur 4 gezeigten Position.
- Merkmal 1.2 der durch das Klagepatent geschützten Lehre sieht vor, dass das die engen und weiten Lückenabschnitte durch das Schließen des Formwerkzeugs definiert (englischer Originalwortlaut: „define“) werden, mithin nach außen und voneinander abgrenzbare enge und weite Räume entstehen, in die die Plastikmaterialmischung eingebracht werden kann (Merkmal 1.3). Mit der Ausbildung der engen und weiten Räume verbindet das Klagepatent eine Erstarrung des Gemischs zu unterschiedlichen Zeitpunkten, insbesondere eine schnellere Erstarrung in den engen Formteil-Lücken (Abs. [0026], Abs. [0035], Abs. [0040]).
- Derart voneinander abgrenzbare enge und weite Bereiche vermag die Kammer in dem Raum (16) und den durch die Rippen (10a) der Matrix (10) definierten Räumen (17) nicht zu erblicken. Die Räume (17) sind nach oben hin geöffnet und gehen in den Raum (16) über – die Entgegenhaltung spricht insoweit auch von einem Raum 16, der lediglich eine unterschiedliche Höhe aufweist (Anlage B14a-K8, S. 4, Z. 37 – S. 5, Z. 2). Auch dass eine geringere Expansion des Gemischs gerade innerhalb der „zackenförmigen“ Räume (17) erfolgt bis diese in den Raum (16) übergehen, ist aus Sicht der Kammer jedenfalls nicht eindeutig und unmittelbar offenbart. In der Entgegenhaltung heißt es dazu lediglich, dass die mit „der Matrix 10, der Krone 12 und dem Formmantel 13 in Berührung stehende Paste schneller abkühlt (Anlage B14a-K8, S. 5, Z. 12 – 14). Dies aber trifft sowohl auf Teile des Raums 16 als auch auf Teile der Räume (17) zu.
- VI.Der Beklagten muss nicht gestattet werden, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung abzuwenden. Diese hat nicht hinreichend dargelegt, dass ihr durch die Vollstreckung eines stattgebenden Urteils ein nicht zu ersetzenden Nachteil im Sinne von § 712 Abs. 1 ZPO entstehen würde.
- VII.Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
- Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gem. § 709 Satz 1 ZPO und – im Hinblick auf die vorläufige Vollstreckbarkeit des Kostentenors – nach § 709 Satz 1, 2 ZPO.
- VIII.Der Beklagten war eine Frist zur Stellungnahme auf den Schriftsatz der Klägerin vom 02.10.2017 gem. § 283 Satz 1 ZPO nicht mehr zu gewähren. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vom 10.10.2017 zu dem Inhalt des Schriftsatzes der Klägerin Stellung genommen, sie konnte sich mithin zu dem Vorbringen – soweit entscheidungserheblich – erklären.
- IX.Der Streitwert wird gem. § 51 Abs. 1 GKG auf EUR 1.500.000,- festgesetzt.