4a O 52/16 – Holzbearbeitungsanlage mit Wekstückauflage

Düsseldorfer Entscheidungsnummer: 2710

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 16. November 2017, Az. 4a O 52/16

  1. I. Die Beklagten werden verurteilt:
  2. 1. Es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,-, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an ihrem Verwaltungsrat zu vollziehen ist, zu unterlassen,
  3. a) Holzverarbeitungsanlagen mit einer Werkstückauflage für die zu bearbeitenden Werkstücke, mindestens einem zwischen einem vorderen Auflagebereich und einem von dem vorderen Auflagebereich beabstandeten hinteren Auflagebereich und einer Transporteinrichtung zur Verschiebung der auf der Werkstückauflage aufliegenden Werkstücke relativ zum Bearbeitungsaggregat in einer ersten Linearachse, wobei das Bearbeitungsaggregat einen in einer zur ersten Linearachse rechtwinkligen zweiten Linearachse und einer dazu rechtwinkligen dritten Linearachse verfahrbaren Träger enthält, an dem eine als Motorspindel zur Aufnahme mindestens eines rotatorisch angetriebenen Bearbeitungswerkzeugs ausgebildete Bearbeitungseinheit um drei Achsen schwenkbar angeordnet ist,
  4. in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
  5. bei denen der Träger ein quer zur Werkstückauflage zwischen vorderem Auflagenbereich und hinterem Auflagenbereich angeordneter horizontaler Querträger ist und die Bearbeitungseinheit an dem freien Ende eines an dem Träger um eine erste Drehachse und eine zur ersten Drehachse rechtwinklige zweite Drehachse schwenkbaren Arms um eine von der ersten Drehachse beabstandete dritte Drehachse schwenkbar angeordnet ist,
  6. (Anspruch 1 DE 10 2010 007 XXX);
  7. und/ oder
  8. b) Holzverarbeitungsanlagen mit einer Werkstückauflage für die zu bearbeitenden Werkstücke, mindestens einem zwischen einem vorderen Auflagebereich und einem hinteren Auflagebereich der Werkstückauflage angeordneten Bearbeitungsaggregat und einer Transporteinrichtung zur Verschiebung der auf der Werkstückauflage aufliegenden Werkstücke relativ zum Bearbeitungsaggregat in einer ersten Linearachse, wobei das Bearbeitungsaggregat einen in einer zur ersten Linearachse rechtwinkligen zweiten Linearachse und einer dazu rechtwinkligen dritten Linearachse verfahrbaren Träger enthält, an dem eine als Motorspindel zur Aufnahme mindestens eines rotatorisch angetriebenen Bearbeitungswerkzeugs ausgebildete Bearbeitungseinheit um drei Achsen schwenkbar angeordnet ist,
  9. in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
  10. bei denen der Träger als horizontaler Querträger ausgebildet ist und die Bearbeitungseinheit an dem freien Ende eines an dem Träger um eine erste Drehachse und eine zur ersten Drehachse rechtwinklinge zweite Drechachse schwenkbaren Arms um eine von der ersten Drehachse beabstandete dritte Drehachse schwenkbar angeordnet ist,
  11. (Anspruch 1 EP 2 353 XXX).
  12. 2. Dem Kläger darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer I 1 a) bezeichneten Handlungen seit dem 16.05.2013 und die zu Ziffer I 1 b) bezeichneten Handlungen seit dem 11.03.2015 begangen haben, und zwar unter Angabe
  13. a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
  14. b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
  15. c) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
  16. wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen.
  17. 3. Dem Kläger darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer I 1 a) bezeichneten Handlungen seit dem 11.09.2011 und die zu Ziffer I 1 b) bezeichneten Handlungen seit dem 10.09.2011 begangen haben, und zwar unter Angabe
  18. a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,
  19. b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
  20. c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
  21. d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
  22. wobei
  23. – von den Beklagten die Angaben zu d) bezüglich der zu Ziffer I 1 a) bezeichneten Handlungen nur für die Zeit seit dem 16.06.2013 und bezüglich der zu Ziffer I 1 b) bezeichneten Handlungen nur für die Zeit seit dem 11.04.2015 zu machen sind,
  24. – den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt dem Kläger einem von dem Kläger zu bezeichnenden, ihm gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigtem Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, dem Kläger auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist.
  25. 4. Die unter Ziffer I 1 a) bezeichneten, seit dem 16.05.2013 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse sowie die unter Ziffer I 1 b) bezeichneten, seit dem 11.03.2015 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich (Urteil des Landgerichts Düsseldorf, Az.: 4a O 52/16, vom 16.11.2017) festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die (erfolgreich zurückgerufenen) Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen.
  26. 5. An den Kläger einen Betrag in Höhe von 14.179,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, die Beklagte zu 1) seit dem 23.08.2016 und die Beklagte zu 2) seit dem 05.07.2016, zu zahlen.
  27. II. Es wird festgestellt:
  28. 1. Dass die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger für die zu Ziffer I 1 a) bezeichneten, seit dem 11.09.2011 bis zum 15.06.2013 begangenen Handlungen sowie für die zu Ziffer I 1 b) bezeichneten, in der Zeit vom 10.09.2011 bis zum 10.04.2015 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen;
  29. 2. Dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger allen Schaden zu ersetzen, der ihm durch die zu Ziffer I 1 a) bezeichneten, seit dem 16.06.2013 begangenen Handlungen sowie durch die zu Ziffer I 1 b) bezeichneten, seit dem 11.04.2015 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
  30. III. Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.
  31. IV. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 1.000.000,- vorläufig vollstreckbar.
  32. T a t b e s t a n d

  33. Der Kläger macht als im Patentregister eingetragener Inhaber des Deutschen Patents 10 2010 007 XXX (im Folgenden: Klagepatent I) und des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten Europäischen Patents 2 353 XXX (im Folgenden: Klagepatent II) gegen die Beklagten Ansprüche auf Unterlassen, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, Rückruf sowie Aufwendungsersatz und Feststellung einer Entschädigungs- und Schadensersatzersatzpflicht dem Grunde nach geltend.
  34. Die Anmeldung des Klagepatents I vom 10.02.2010 wurde am 11.08.2011 offengelegt, die Veröffentlichung des Hinweises auf die Erteilung des Klagepatents erfolgte am 16.05.2013.
  35. Anspruch 1 des Klagepatents I lautet in der erteilten Fassung wie folgt:
  36. „Holzbearbeitungsanlage mit einer Werkstückauflage (2) für die zu bearbeitenden Werkstücke (1), mindestens einem zwischen einem vorderen Auflagebereich (2a) und einem hinteren Auflagenbereich (2b) der Werkstückauflage (2) angeordneten Bearbeitungsaggregat (6) und einer Transporteinrichtung (7) zur Verschiebung der auf der Werkstückauflage (2) aufliegenden Werkstücke (1) relativ zum Bearbeitungsaggregat (6) in einer ersten Linearachse (X-Achse), dadurch gekennzeichnet, dass das Bearbeitungsaggregat (6) eine in zwei zueinander rechtwinkligen Linearachsen (Y-Achse, Z-Achse) verfahrbare und um drei Drehachsen (A-Achse, B-Achse, C-Achse) schwenkbare Bearbeitungseinheit (15) zur Aufnahme mindestens eines Bearbeitungswerkzeugs (16) enthält.“
  37. Wegen der weiteren Ansprüche in ihrer erteilten Fassung wird auf die Patentschrift des Klagepatents I (Anlage K1) Bezug genommen.
  38. Im Rahmen einer durch die Beklagte zu 1) am 14.02.2014 erhobenen Nichtigkeitsklage (Klageschriftsatz liegt als Anlage GvW8 vor) erhielt Anspruch 1 des Klagepatents I durch Urteil des Bundespatentgericht vom 12.01.2016 (Anlage GvW16) folgende, in dem hiesigen Verletzungsverfahren geltend gemachte Fassung:
  39. „Holzbearbeitungsanlage mit einer Werkstückauflage (2) für die zu bearbeitenden Werkstücke (1), mindestens einem zwischen einem vorderen Auflagebereich (2a) und einem von dem vorderen Auflagenbereich (2a) beabstandeten hinteren Auflagebereich (2b) der Werkstückauflage (2) angeordneten Bearbeitungsaggregat (6) und einer Transporteinrichtung (7) zur Verschiebung der auf der Werkstückauflage (2) aufliegenden Werkstücke (1) relativ zum Bearbeitungsaggregat (6) in einer ersten Linearachse (X-Achse), wobei das Bearbeitungsaggregat (6) einen in einer zur ersten Linearachse (X-Achse) rechtwinkligen zweiten Linearachse (Y-Achse) und einer dazu rechtwinkligen dritten Linearachse (Z-Achse) verfahrbaren Träger (17) enthält, an dem eine als Motorspindel zur Aufnahme mindestens eines rotatorisch angetriebenen Bearbeitungswerkzeugs (16) ausgebildete Bearbeitungseinheit (15) um drei Drehachsen (A-Achse, B-Achse, C-Achse) schwenkbar angeordnet ist, dadurch gekennzeichnet, dass der Träger (17) ein quer zur Werkstückauflage (2) zwischen vorderem Auflagenbereich (2a) und hinterem Auflagenbereich (2b) angeordneter horizontaler Querträger ist und die Bearbeitungseinheit (15) an dem freien Ende eines an dem Träger (17) um eine erste Drehachse (A-Achse) und eine zur ersten Drehachse (A-Achse) rechtwinklige zweite Drehachse (B-Achse) schwenkbaren Arms (23) um eine von der ersten Drehachse (A-Achse) beabstandete dritte Drehachse (C-Achse) schwenkbar angeordnet ist.“
  40. Die Beklagte zu 1) legte gegen die Entscheidung des BPatG Berufung (BGH, Az.: X ZR 47/16) ein (Anlage GvW17), eine Entscheidung in dem zweitinstanzlichen Nichtigkeitsverfahren steht noch aus. Das Klagepatent I steht in Kraft.
  41. Die Anmeldung des am 31.01.2011 in deutscher Verfahrenssprache abgefassten Klagepatents II, welches die Priorität des Klagepatents I vom 10.02.2010 in Anspruch nimmt, wurde am 10.08.2011 offengelegt. Der Hinweis auf die Patenterteilung wurde am 11.03.2015 veröffentlicht.
  42. Anspruch 1 des Klagepatents II lautet in der erteilten Fassung wie folgt:
  43. „Holzbearbeitungsanlage mit einer Werkstückauflage (2) für die zu bearbeitenden Werkstücke (1), mindestens einem zwischen einem vorderen Auflagebereich (2a) und einem hinteren Auflagebereich (2b) der Werkstückauflage (2) angeordneten Bearbeitungsaggregat (6) und einer Transporteinrichtung (7) zur Verschiebung der auf der Werkstückauflage (2) aufliegenden Werkstücke (1) relativ zum Bearbeitungsaggregat (6) in einer ersten Linearachse (X-Achse), wobei das Bearbeitungsaggregat (6) einen in einer zur ersten Linearachse (X-Achse) rechtwinkligen zweiten Linearachse (Y-Achse) und einer dazu rechtwinkligen dritten Linearachse (Z-Achse) verfahrbaren Träger (17) enthält, an dem eine als Motorspindel zur Aufnahme mindestens eines rotatorisch angetriebenen Bearbeitungswerkzeugs (16) ausgebildete Bearbeitungseinheit (15) um drei Drehachsen (A-Achse, B-Achse, C-Achse) schwenkbar angeordnet ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Bearbeitungseinheit (15) an dem freien Ende eines an dem Träger (17) um eine erste Drehachse (A-Achse) und eine zur ersten Drehachse (A-Achse) rechtwinklige zweite Drehachse (B-Achse) schwenkbaren Arms (23) um eine von der ersten Drehachse (A-Achse) beabstandete dritte Drehachse (C-Achse) schwenkbar angeordnet ist.“
  44. Wegen der weiteren Ansprüche des Klagepatents II in der erteilten Fassung wird auf die Patentschrift des Klagepatents II (Anlage K2) Bezug genommen.
  45. Die Beklagte zu 1) reichte mit Schriftsatz vom 07.05.2015 (Anlage GvW10) Einspruch gegen die Erteilung des Klagepatents II ein, in dem am 14.07.2017 eine erstinstanzliche Entscheidung des EPA erging (Anlage K9). Diese hält das Klagepatent II in dem hier geltend gemachten Umfang aufrecht (angepasste Klagepatentschrift II wird vorgelegt als Anlage K8; die angepassten Ansprüche werden gesondert als Anlage K2a vorgelegt). Danach erhält der hier maßgebliche Anspruch 1 den folgenden Wortlaut:
  46. „Holzbearbeitungsanlage mit einer Werkstückauflage (2) für die zu bearbeitenden Werkstücke (1), mindestens einem zwischen einem vorderen Auflagenbereich (2a) und einem hinteren Auflagenbereich (2b) der Werkstückauflage (2) angeordneten Bearbeitungsaggregat (6) und einer Transporteinrichtung (7) zur Verschiebung der auf der Werkstückauflage (2) aufliegenden Werkstücke (1) relativ zum Bearbeitungsaggregat (6) in einer ersten Linearachse (X-Achse), wobei das Bearbeitungsaggregat (6) einen in einer zur ersten Linearachse (X-Achse) rechtwinkligen zweiten Linearachse (Y-Achse) und einer dazu rechtwinkligen dritten Linearachse (Z-Achse) verfahrbaren Träger (17) enthält, an dem eine als Motorspindel zur Aufnahme mindestens eines rotatorisch angetriebenen Bearbeitungswerkzeugs (16) ausgebildete Bearbeitungseinheit (15) um drei Drehachsen (A-Achse, B-Achse, C-Achse) schwenkbar angeordnet ist, dadurch gekennzeichnet, dass der Träger (17) als horizontaler Querträger ausgebildet ist und dass die Bearbeitungseinheit (15) an dem freien Ende eines an dem Träger (17) um eine erste Drehachse (A-Achse) und eine zur ersten Drehachse (A-Achse) rechtwinklig zweite Drehachse (B-Achse) schwenkbaren Arms (23) um eine von der ersten Drehachse (A-Achse) beabstandete dritte Drehachse (C-Achse) schwenkbar angeordnet ist.“
  47. Ein Teil einer im Sinne der Lehre des Klagepatents I und der Lehre des Klagepatents II erfindungsgemäßen Holzbearbeitungsanlage wird mit nachfolgender Figur 3 (sowohl Klagepatent I als auch Klagepatent II; jeweils verkleinert) wiedergegeben:
  48. Das Werkstück 1 liegt auf einer Werkstückauflage mit einem vorderen Auflagebereich 2a und einem von diesem beabstandeten hinteren Auflagebereich 2b auf. Zwischen diesen Auflagebereichen ist ein Bearbeitungsaggregat 6 (Kennziffer ist in der Figur 3 nicht vergeben) angeordnet. Über die Transporteinrichtung 7 (Kennziffer ist in der Figur 3 nicht vergeben) kann das Werkstück 1 relativ zu dem Bearbeitungsaggregat 6 in Richtung der X-Achse horizontal verschoben werden (Abs. [0016] des Klagepatents I; im Folgenden abgekürzt als „KPI“; Abs. [0011] des Klagepatents II; im Folgenden abgekürzt als „KPII“).
  49. Das Bearbeitungsaggregat 6 umfasst eine Bearbeitungseinheit 15 in Form einer Motorspindel zur Aufnahme eines rotatorisch angetriebenen Bearbeitungswerkzeugs 16 (Abs. [0020] KPI; Abs. [0015] KPII). Zur Bewegung der Bearbeitungseinheit 15 enthält das Bearbeitungsaggregat 6 einen Träger 17, der quer zur Werkstückauflage (2) und zwischen dem vorderen und hinteren Auflagebereich 2a und 2b angeordnet ist (Abs. [0021] KPI; Abs. [0016] KPII). Der Träger 17 ist an einem Gestell 19 angebracht und über Schlitten 18 horizontal entlang der Y-Achse (rechtwinklig zur X-Achse) sowie vertikal entlang der Z-Achse (rechtwinklig zur Y-Achse) verfahrbar (Abs. [0021] KPI; Abs. [0016] KPII).
  50. An dem vorderen Ende des horizontalen Trägers 17 wird über eine U-förmige Halterung 22 ein Arm 23 gehalten. Die U-förmige Halterung 22 ist um eine horizontale Drehachse (A-Achse) um 180º drehbar (Abs. [0022]) KPI; Abs. [0017] KPII). Der auskragende Arm 23 ist um eine zweite Drehachse (B-Achse) um 180º drehbar, diese B-Achse ist rechtwinklig zur ersten Drehachse (A-Achse) (Abs. [0022] KPI; Abs. [0017] KPII). Die Bearbeitungseinheit 15 ist an dem freien Endes des schwenkbaren Arms 23 angeordnet und ist um eine weitere Drehachse (C-Achse) drehbar, die von der ersten Drehachse (A-Achse) beabstandet und zur zweiten Drehachse (B-Achse) rechtwinklig ist (Abs. [0022] KPI; Abs. [0017]).
  51. Die Beklagten bieten, unter anderem über die Internetseite der Beklagten zu 2) mit der Adresse www.A.de, Holzbearbeitungsanlagen unter der Bezeichnung „B“ (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform) an. Zur Veranschaulichung werden nachfolgend zwei Detailansichten des Bearbeitungswerkzeugs der angegriffenen Ausführungsform wiedergegeben (Bezeichnung der Achsen sind durch die Klägerin ergänzt und geben keine Wertung im Hinblick auf die Verwirklichung der Lehren der Klagepatente wieder.):
  52. Bei der angegriffenen Ausführungsform ist die Bearbeitungseinheit mittels einer in der horizontalen verschiebbaren Platte an einem tragenden Element befestigt. Wegen der weiteren Ausgestaltung und Funktionsweise der angegriffenen Ausführungsform wird auf die als Anlage K3 zur Akte gereichten Videoaufnahmen sowie screenshots von diesen (Anlage K4 und Anlage K10) Bezug genommen.
  53. Der Kläger ist der Auffassung, die angegriffene Ausführungsform verletze die Lehre der Klagepatente I und II unmittelbar wortsinngemäß.
  54. Die Lehre der Klagepatente I und II lasse insbesondere zu, dass die Bearbeitungseinheit mittelbar an dem Träger angeordnet sei. Dies werde bereits darin deutlich, dass der Anspruchswortlaut ein vermittelndes Bauteil in Form des Arms gerade vorschreibe. Es sei deshalb auch unschädlich, dass die Bearbeitungseinheit bei der angegriffenen Ausführungsform über eine Platte an dem tragenden Element befestigt ist. Die Platte sei zudem als Teil des tragenden Elements zu betrachten.
  55. Vor dem Hintergrund der erstinstanzlichen Entscheidungen in dem Nichtigkeits- und dem Einspruchsverfahren sei auch von einer Vernichtung der Klagepatente nicht auszugehen.
  56. Der Kläger beantragt:
  57. Die Beklagte zu verurteilen:
  58. Wie erkannt.
  59. Wegen der weiteren in Form von „Insbesondere-Anträgen“ gestellten Anträge wird auf den Schriftsatz vom 11.04.2017 (Bl. 72 – 74 GA) Bezug genommen.
  60. Die Beklagten beantragen:
  61. Die Klage abzuweisen;
  62. Hilfsweise:Ihnen nachzulassen, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil gegen Sicherheitsleistung (Bank- oder Sparkassenbürgschaft) abzuwenden;
  63. Weiter hilfsweise:Den Rechtsstreit hinsichtlich der Anträge zu I 1 a) und der weiteren darauf rückbezogenen Anträge bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Nichtigkeitsklage gegen das Patent DE 10 2010 007 XXX auszusetzen sowie hinsichtlich der Anträge I 1 b) und der weiteren darauf rückbezogenen Anträge bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Einspruch gegen das Patent EP 2 353 XXX auszusetzen.
  64. Die Beklagten sind der Ansicht, die angegriffene Ausführungsform mache von den Lehren der Klagepatente keinen Gebrauch.
  65. Die Lehren der Klagepatente würden verlangen, dass die um drei Drehachsen schwenkbare Bearbeitungseinheit unmittelbar an dem Träger angeordnet sei.
  66. Eine solche unmittelbare Verbindung der Bearbeitungseinheit an einem Träger liege bei der angegriffenen Ausführungsform nicht vor, weil die Bearbeitungseinheit dort – insoweit unstreitig – über eine verschiebbare Platte an einem verfahren Element befestigt ist. Die Platte selbst könne auch nicht als Träger im Sinne der Klagepatente begriffen werden, weil der Träger horizontal zur Werkstückauflage angeordnet sein und sich über dessen gesamte Breite erstrecken müsse.
  67. Wenn die Verbindung zwischen Träger und Bearbeitungseinheit durch eine Halterung vermittelt werde, müsse gerade diese Halterung die Bewegung in den A- und B-Achsen ermöglichen.
  68. Des Weiteren werde sich aber auch das Klagepatent I im Rahmen des Nichtigkeitsverfahrens (Berufung) sowie das Klagepatent II im Rahmen des gegen dieses anhängigen Einspruchsverfahrens (Beschwerdeverfahren) als nicht rechtsbeständig erweisen, weil es den jeweils geschützten Lehren an einer erfinderischen Tätigkeit fehle.
  69. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitig zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Urkunden und Anlagen sowie auf das Protokoll zur Sitzung vom 10.10.2017 Bezug genommen.
  70. E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
  71. Die zulässige Klage ist auch begründet.
  72. Die festgestellten Rechtsverletzungen (dazu unter Ziff. III.) rechtfertigen die Verurteilung der Beklagten zum Unterlassen sowie zur Auskunftserteilung und Rechnungslegung, zum Rückruf und zum Aufwendungsersatz sowie die Feststellung einer Entschädigungs- und Schadensersatzpflicht dem Grunde nach, (Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m.) §§ 139 Abs. 1, 2, 140a Abs. 3, 140b Abs. 1, 3 PatG, §§ 242, 259 BGB und § 33 Abs. 1 PatG bzw. Art. II, § 1 Abs. 1 IntPatÜG, (dazu unter Ziff. IV.).
  73. Eine Aussetzung der Verhandlung gem. § 148 ZPO ist nicht geboten (dazu unter Ziff. V.).
  74. I.Beide Klagepatente befassen sich mit einer Holzbearbeitungsanlage
  75. Derartige Anlagen sind den einleitenden Ausführungen des Klagepatents I zufolge im Stand der Technik bekannt.
  76. In diesem Zusammenhang nennt das Klagepatent I zunächst die EP 0 988 924 A2 (Abs. [0002] KPI) – vorgelegt als Anlage GvW1 (im Folgenden auch EP ‘924). Bei der darin offenbarten Bearbeitungsanlage sei zwischen einem vorderen und einem hinteren Auflagenbereich einer als Rollenbahn ausgebildeten Werkstückauflage ein Kreissägeaggregat mit einem in der Höhe verstellbaren und um eine Vertikalachse schwenkbaren Kreissägeblatt angeordnet (Abs. [0002] KPI). Der Transport der Werkstücke erfolge durch eine Transporteinrichtung in einer Linearachse relativ zum Kreissägeaggregat, welches das Werkstück bearbeite (Abs. [0002] KPI). Eine dreidimensionale Ansicht einer nach der zitierten Druckschrift geschützten Holzbearbeitungsanlage wird nachfolgend mit Figur 1 (verkleinert) der EP ‚924 wiedergegeben:
  77. Im Hinblick auf diese Druckschrift kritisiert das Klagepatent, dass zwar eine Vielzahl von Abbundbearbeitungen an Holzbalken vollautomatisch durchgeführt werden könnten, jedoch bestimmte Bearbeitungen nicht ohne weiteres an allen sechs Seiten der Werkstücke ausgeführt werden könnten (Abs. [0002] KPI). Hierzu sei vielmehr zunächst das Drehen des Werkstücks um dessen Längsachse durch eine geeignete Umkanteinrichtung erforderlich (Abs. [0002] KPI).
  78. Weiter nimmt das Klagepatent I auf die DE 198 31 284 A1 (vorgelegt als Anlage GvW2) Bezug, welche eine Abbundanlage zur Bearbeitung balkenförmiger Werkstücke offenbare, bei der die Werkstücke mit einem Bearbeitungsaggregat bearbeitet werden, das einen Führungsträger und einen an dem Führungsträger in einer ersten Verschieberichtung verschiebbar gelagerten Aggregatsträger aufweise (Abs. [0003]). Auf dem Aggregatsträger sei eine um zu deren Spindelachse rechtwinklig angeordnete erste Drehachse drehbare Werkzeugspindel mit einer Mehrzahl von Werkzeugen für die Bearbeitung des Werkstücks angeordnet (Abs. [0003] KPI). Der Führungsträger sei um eine zur ersten Drehachse rechtwinklig angeordnete zweite Drehachse drehbar (Abs. [0003] KPI).
  79. Nachfolgend werden Figur 2 (links) und Figur 3 (rechts) der Druckschrift (verkleinert), die das Bearbeitungsaggregat der offenbarten Anlage zeigen, wiedergegeben:
  80. An dieser Druckschrift übt das Klagepatent I keine ausdrückliche Kritik.
  81. Das Klagepatent II nimmt zur Darstellung des Stands der Technik einleitend neben der EP ‘924 (Anlage GvW1) auf eine weitere, in dem Klagepatent I nicht genannte Druckschriften Bezug, nämlich die WO 2004/080649 A1 (vorgelegt als Anlage GvW3).
  82. Diese offenbare ein Bearbeitungsaggregat mit einem in zwei zueinander rechtwinkligen Achsen verfahrbaren Träger, an dem eine zur Aufnahme mindestens eines rotatorisch angetriebenen Werkzeugs ausgebildete Bearbeitungseinheit um drei Drehachsen schwenkbar angeordnet sei (Abs. [0002] KPII). Figur 2 (rechts) und Figur 8 (links) der Druckschrift werden nachfolgend zur Veranschaulichung wiedergegeben:
  83. Figur 8 zeigt eine Bearbeitungsbank, bei der ein Werkstück (27) auf zwei Arbeitsplatten (41), die sich jeweils über einen beweglichen Träger (40) entlang einer horizontalen Verschiebeachse (Y) verschieben lassen, aufliegt. Figur 2 gibt eine Detailansicht des Bearbeitungsaggregats 20 mit einem Träger (25) und einem an diesem angeordneten Zwischenkörper (24) wieder.
  84. Das Klagepatent II übt insoweit Kritik an der durch die WO 2004/080649 A1 offenbarten Vorrichtung, als das Werkstück an der auf der Arbeitsplatte aufliegenden Seite nur an einem gegenüber der Arbeitsplatte vorstehenden Bereich bearbeitet werden könne (Abs. [0002] a. E. KPII).
  85. II.Vor dem Hintergrund des dargestellten Technikstandes nehmen es sich das Klagepatent I und das Klagepatent II zur Aufgabe, eine universell einsetzbare Holzbearbeitungsanlage zu schaffen, die auch ohne zusätzliche Umkanteinrichtung eine 6-Seiten Bearbeitung ermöglicht (Abs. [0004] KPI; Abs. [0004] KPII).
  86. Dies geschieht nach Anspruch 1 des Klagepatents I in der Fassung, die es durch das erstinstanzliche Nichtigkeitsverfahren erhalten hat, durch eine Bearbeitungsanlage mit den folgenden Merkmalen:
  87. 1. Holzbearbeitungsanlage mit
  88. 1.1 einer Werkstückauflage (2) für die zu bearbeitenden Werkstücke (1),
  89. 1.2 mindestens einem Bearbeitungsaggregat (6), das zwischen einem vorderen Auflagenbereich (2a) und einem von dem vorderen Auflagenbereich (2a) beabstandeten hinteren Auflagenbereich (2b) der Werkstückauflage (2) angeordnet ist und
  90. 1.3 einer Transporteinrichtung (7),
  91. 1.3.1 die der Verschiebung der auf der Werkstückauflage (2) aufliegenden Werkstücke (1) dient und
  92. 1.3.2 die Werkstücke (1) relativ zum Bearbeitungsaggregat (6) in einer ersten Linearachse (X-Achse) verschiebt.
  93. 2. Das Bearbeitungsaggregat (6) enthält einen Träger (17),
  94. 2.1 der in einer zur ersten Linearachse (X-Achse) rechtwinkligen zweiten Linearachse (Y-Achse) und einer dazu rechtwinkligen dritten Linearachse verfahrbar ist,
  95. 1.2 an dem eine als Motorspindel zur Aufnahme mindestens eines rotatorisch angetriebenen Bearbeitungswerkzeugs (16) ausgebildete Bearbeitungseinheit (15) um drei Drehachsen (A-Achse, B-Achse, C-Achse) schwenkbar angeordnet ist,
  96. 1.3 der ein quer zur Werkstückauflage (2) zwischen vorderem Auflagebereich (2a) und hinterem Auflagebereich (2b) angeordneter horizontaler Querträger ist und
  97. 1.4 dessen Bearbeitungseinheit (15) an dem freien Ende eines an dem Träger (17) um eine erste Drehachse (A-Achse) und eine zur ersten Drehachse (A-Achse) rechtwinklige zweite Drehachse (B-Achse) schwenkbaren Arms (23) um eine von der ersten Drehachse (A-Achse) beabstandete dritte Drehachse (C-Achse) schwenkbar angeordnet ist.
  98. Anspruch 1 des Klagepatents II stellt in der Fassung, die er durch das erstinstanzliche Einspruchsverfahren erhalten hat, eine Holzbearbeitungsanlage zur Verfügung, die die folgenden Merkmale aufweist:
  99. 1. Holzbearbeitungsanlage mit
  100. 1.1 einer Werkstückauflage (2) für die zu bearbeitenden Werkstücke (1),
  101. 1.2 mindestens einem Bearbeitungsaggregat (6), das zwischen einem vorderen Auflagebereich (2a) und einem hinteren Auflagebereich (2b) der Werkstückauflage (2) angeordneten ist, und
  102. 1.3 einer Transporteinrichtung (7),
  103. 1.3.1 die der Verschiebung der auf der Werkstückauflage (2) aufliegenden Werkstücke (1) dient, und
  104. 1.3.2 die Werkstücke (1) relativ zum Bearbeitungsaggregat (6) in einer ersten Linearachse (X-Achse) verschiebt.
  105. 2. Das Bearbeitungsaggregat (6) enthält einen Träger (17),
  106. 2.1 der in einer zur ersten Linearachse (X-Achse) rechtwinkligen zweiten Linearachse (Y-Achse) und einer dazu rechtwinkligen dritten Linearachse (Z-Achse) verfahrbar ist,
  107. 2.2 an dem eine als Motorspindel zur Aufnahme mindestens eines rotatorisch angetriebenen Bearbeitungswerkzeugs (16) ausgebildete Bearbeitungseinheit (15) um drei Drehachsen (A-Achse, B-Achse, C-Achse) schwenkbar angeordnet ist,
  108. 2.3 der als horizontaler Querträger ausgebildet ist, und
  109. 2.4 dessen Bearbeitungseinheit (15) an dem freien Ende eines an dem Träger (17) um eine erste Drehachse (A-Achse) und eine zur ersten Drehachse (A-Achse) rechtwinklige zweite Drehachse (B-Achse) schwenkbaren Arms (23) um eine von der ersten Drehachse (A-Achse) beabstandete dritte Drehachse (C-Achse) schwenkbar angeordnet ist.
  110. III.Es liegen Verletzungshandlungen im Sinne von § 9 Satz 2 Nr. 1 PatG vor.
  111. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Beklagten die angegriffene Ausführungsform im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland anbieten und vertreiben. Die angegriffene Ausführungsform macht auch sowohl von der Lehre des Klagepatents I als auch von der nach dem Klagepatent II geschützten Lehre unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch.
  112. Vor dem Hintergrund, dass die Gliederung des jeweiligen Anspruchs 1 der Klagepatente I und II mit Ausnahme des Merkmals 2.3 (insoweit jedoch nicht entscheidungserheblich) identisch ist, erfolgt die Verletzungsdiskussion für beide Klagepatente zusammen. Auf Unterschiede wird – soweit erforderlich – im Rahmen der Ausführungen hingewiesen.
  113. Dies berücksichtigend verwirklicht die angegriffene Ausführungsform sowohl die zwischen den Parteien zu Recht unstreitigen Merkmale, zu denen weitere Ausführungen unterbleiben, als auch das streitige Merkmal 2.2.
  114. 1.Die Merkmale der Merkmalsgruppe 2, zu denen auch das zwischen den Parteien streitige Merkmal 2.2 gehört, beschreiben das Bearbeitungsaggregat als Teil der geschützten Holzbearbeitungsanlage (vgl. Merkmal 1.2) genauer.
  115. a)Orientiert an dem gem. § 14 PatG bzw. Art. 69 Abs. 1 EPÜ maßgeblichen Anspruchswortlaut enthält das Bearbeitungsaggregat einen Träger, an dem die Bearbeitungseinheit gehalten ist. Der Anspruchswortlaut konkretisiert die Anordnung der Bearbeitungseinheit an dem Träger weiter derart, dass die Bearbeitungseinheit „um drei Drehachsen schwenkbar (A-Achse, B-Achse, C-Achse)“ an dem Träger angeordnet ist.
  116. In sein Verständnis von dem Merkmal 2.2 bezieht der Fachmann, ein Maschinenbauingenieur der Fachrichtung Fertigungstechnik mit mehrjähriger Erfahrung in der Konstruktion von Holzbearbeitungsmaschinen, das Merkmal 2.4 ein. Denn durch dieses Merkmal erfährt die Schwenkbarkeit der Bearbeitungseinheit um drei Drehachsen eine weitergehende Ausgestaltung, die auch bei dem Verständnis des Merkmals 2.2 beachtlich ist. Merkmal 2.4 trifft zum einen eine räumlich-körperliche Vorgabe im Hinblick auf die Bearbeitungseinheit, indem das Merkmal vorsieht, dass sich an dem Träger ein schwenkbarer Arm befindet, an dessen freiem Ende die Bearbeitungseinheit angeordnet ist:
  117. „[einen Träger,] dessen Bearbeitungseinheit an dem freien Ende eines an dem Träger […] schwenkbaren Arms angeordnet ist,“.
  118. Zum anderen setzt das Merkmal 2.4 die bereits in Merkmal 2.2 in Bezug genommenen drei Drehachsen in ein Verhältnis zueinander und in ein Verhältnis zu der räumlich-körperlichen Ausgestaltung der Bearbeitungseinheit. So ist einerseits der an dem Träger befindliche Arm um eine erste Drehachse (A-Achse) und um eine zu dieser Achse rechtwinklige zweite Drehachse (B-Achse) schwenkbar,
  119. „[…] eines an dem Träger um eine erste Drehachse (A-Achse) und eine zur ersten Drehachse (A-Achse) rechtwinklige zweite Drechachse (B-Achse) schwenkbaren Arms […]“,
  120. und andererseits ist die an dem freien Ende des schwenkbaren Arms befindliche Bearbeitungseinheit um eine dritte Drehachse (C-Achse) schwenkbar, die von der ersten Drehachse (A-Achse) beabstandet ist,
  121. „[einen Träger,] dessen Bearbeitungseinheit […] um eine von der ersten Drehachse (A-Achse) beabstandete dritte Drehachse (C-Achse) schwenkbar angeordnet ist,“.
  122. Durch diese räumlich-körperliche Anordnung der Vorrichtungsbestandteile und die konkret beschriebene Umsetzung der drei Drehachsen wird – in Ergänzung zu den in Merkmal 1.3.2 („X-Achse“) und in Merkmal 2.1 offenbarten möglichen Bewegungsrichtungen („Y-Achse“ und „Z-Achse“) – der erfindungswesentlich angestrebte Vorteil der Schaffung einer Bearbeitungsmöglichkeit des Werkstücks nach allen sechs Richtungen abgesichert (Abs. [0006] und Abs. [0024] KPI; Abs. [0006] und Abs. [0018] KPII).
  123. b)Über den dargestellten Wortlaut hinaus enthält der Anspruch keine ausdrücklichen Vorgaben, wie die Bearbeitungseinheit und der Träger räumlich-körperlich ausgestaltet sind. Technisch-funktional stellt sich der „Arm“ als Teil der Bearbeitungseinheit dar. Denn durch diesen wird klagepatentgemäß gerade die Schwenkbarkeit um zwei der drei Achsen (nämlich der A-Achse und der B-Achse), die die Bearbeitungseinheit ausweislich des Merkmals 2.2 aufweist (nämlich A-Achse, B-Achse und C-Achse), umgesetzt. Auch lässt sich dem Anspruchswortlaut nicht entnehmen, auf welche Art und Weise der Arm an dem Träger befestigt ist. Diese ist – vorausgesetzt dessen Schwenkbarkeit um zwei zueinander rechtwinklige Achsen (A-Achse, B-Achse) ist gewährleistet – vielmehr in das Belieben des Fachmannes gestellt.
  124. Soweit die Beklagten den Wortlaut „[Träger,] an dem [….] angeordnet ist“ dahingehend verstehen, dass eine unmittelbare – mithin eine nicht durch ein weiteres Bauteil vermittelte Verbindung – zwischen Träger und Arm bestehen müsse, ist ein solches Verständnis schon sprachlich-philologisch nicht zwingend. Damit wird zwar – wie unter lit. a) auch ausgeführt – eine Zuordnung der Bearbeitungseinheit (in Form des Arms) zu dem Träger getroffen. Dabei erkennt der Fachmann jedoch, dass es sich bei Träger und Arm grundsätzlich um zwei getrennte Bauteile handelt, zwischen denen eine Verbindung erst hergestellt werden muss, ohne dass er für die Herstellung der Verbindung aus dem Wortlaut Angaben enthält.
  125. Auch bei der gebotenen funktionsorientierten Betrachtung ist eine unmittelbare Verbindung zwischen Träger und Arm aus der Sicht des Fachmannes nicht erforderlich, um die klagepatentgemäß gewollten Rotationsmöglichkeiten der Bearbeitungseinheit herbeizuführen. Soweit die Beklagten dies in ihrem prozessualen Vorbringen anklingen lassen, steht dieser pauschale Vortrag in keinem Zusammenhang mit einer technischen Begründung.
  126. Eine Einschränkung des Schutzbereichs der geschützten Lehren auf nur unmittelbare Verbindungen zwischen Träger und Arm veranlasst auch das Ausführungsbeispiel, das unter anderem jeweils durch die Figuren 3 der Klagepatente illustriert wird, nicht. Dort wird die Verbindung zwischen Träger 17 und Arm 23 durch eine U-förmige Halterung 22 hergestellt, die um eine horizontale erste Drehachse (A-Achse) um 180º drehbar angeordnet ist (Abs. [0022] KPI; Abs. [0017] KPII), und dadurch die erste Drehachse ausbildet, um die der Arm schwenkbar ist. Hierbei mag zwar die Halterung 22 bereits als Teil des Arms 23 betrachtet werden – weil schon die Halterung um eine erste Drehachse drehbar ist –, so dass zwischen Träger und Arm kein weiteres Bauteil zwischengeschaltet ist. Ausführungsbeispiele beschränken die Lehren eines Klagepatents regelmäßig – so auch vorliegend – jedoch nicht (BGH, GRUR 2008, 779 (Rn. 34) – Mehrgangnabe).
  127. 2.Bei Zugrundelegen des unter Ziff. 1 dargestellten Verständnisses befindet sich die Bearbeitungseinheit der angegriffenen Ausführungsform im Sinne der Lehre der Klagepatente an dem Träger (Merkmal 2.2).
  128. Zur Verdeutlichung der Merkmalsverwirklichung wird nachfolgend nochmals eine Detailansicht (Anlage K6, S. 2, rechte Abbildung) des Bearbeitungsaggregats der angegriffenen Ausführungsform wiedergegeben:
  129. Der Träger der angegriffenen Ausführungsform wird durch den im rechten Bildteil erkennbaren „weißen“ Kasten gebildet. Durch das als Anlage K3 vorgelegte Video sowie screenshots aus diesem (Anlage K10) ist auch dargelegt, dass dieses Vorrichtungselement quer zur Werkstückauflage zwischen dem vorderen Auflagebereich und dem hinteren Auflagebereich angeordnet (Merkmal 2.3 KPI), mithin als horizontaler Querträger (Merkmal 2.3 KPI und KPII) ausgestaltet, und entlang zweier Bewegungsachsen im Sinne des Merkmals 2.1 verfahrbar ist. Soweit die Beklagten lediglich pauschal und nur im Zusammenhang mit der an dem Träger befindlichen Platte behaupten, dass es dem Träger „gleichzeitig insoweit an einer Verfahrbarkeit fehle“, ergibt sich daraus kein im prozessrechtlichen Sinne beachtlicher Gegenvortrag.
  130. An der an dem Träger befindlichen Platte ist wiederum die Bearbeitungseinheit angeordnet, die in drei Drehachsen schwenkbar ist. Diese Verbindung zwischen Träger und Bearbeitungseinheit ist im klagepatentgemäßen Sinne ausreichend. Das gilt auch dann, wenn man die Platte als ein von dem Träger und der Bearbeitungseinheit zu trennendes Bauteil betrachtet, weil nämlich die Lehre des Klagepatents keine unmittelbare Verbindung des Arms der Bearbeitungseinheit an den Träger verlangt. Auch ist die im Anspruchswortlaut verankerte räumlich-körperliche Zuordnung der Bearbeitungseinheit zu dem Träger durch die Platte nicht aufgehoben. Denn bei der Platte handelt es sich gerade um das Bauteil, welches die klagepatentgemäß gewollte Verbindung zwischen Träger und Bearbeitungseinheit herstellt. Schließlich hindert auch die Tatsache, dass die Platte ihrerseits eine – über die Verfahrbarkeit des Trägers hinausgehende – horizontale Beweglichkeit des Bearbeitungsaggregats herbeiführt, die Annahme einer Merkmalsverwirklichung nicht. Denn solange die Merkmale des Anspruchs verwirklicht sind, ist es ohne Belang, wenn mit dem angegriffenen Gegenstand zusätzliche Vorteile verbunden sind (Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 9. Auflage, 2017, Rn. A.184).
  131. Unbeschadet dessen kann aber auch die Platte als Teil des Trägers betrachtet werden. Denn der Anspruchswortlaut gibt nicht vor, dass dieser einstückig ausgestaltet sein muss. Technisch-funktional ist der Träger dadurch gekennzeichnet, dass er die Bearbeitungseinheit hält, wozu die Platte hier beiträgt. Auch der Einwand der Beklagten, dass dann das Merkmal 2.3 nicht verwirklicht werde, weil die Platte sich – anders als das Merkmal dies fordere – nicht über die gesamte Breite der Werkstückauflage erstrecke, steht der vorgenommenen Betrachtung nicht entgegen. Denn nicht die Platte allein stellt sich danach als klagepatentgemäßer Träger dar, sondern die Einheit aus Platte und dem (bereits in Bezug genommenen) Vorrichtungselement, welches – wie aufgezeigt – in klagepatentgemäßer Art und Weise als horizontaler Querträger angeordnet ist (Merkmal 2.3). Die Befestigung an der Platte ist auch nicht unabhängig von dem Träger. Denn der Träger hält seinerseits die Platte.
  132. IV.Aufgrund der festgestellten Rechtsverletzungen stehen dem Kläger die geltend gemachten Ansprüche zu.
  133. 1.Die mit den Anträgen I. 1. a) und I. 1. b) geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassen bestehen gem. § 139 Abs. 1 PatG und – soweit das Klagepatent II betroffen ist – gem. Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. § 139 Abs. 1 PatG.
  134. 2.Der Kläger hat gem. (Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m.) § 140b Abs. 1, 3 PatG Anspruch auf die mit dem Klageantrag Ziff. I. 2. begehrten Auskünfte. Es ist weder vorgetragen noch erkennbar, dass die begehrte Auskunftserteilung für die Beklagten unzumutbar ist.
  135. Die Ansprüche auf Rechnungslegung (Antrag Ziff. I. 3.) folgen aus (Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m.) §§ 242, 259 BGB, damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, die ihr – nach Maßgabe der unter Ziff. 4. und 5 folgenden Ausführungen – dem Grunde nach zustehenden Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche zu beziffern. Der Kläger ist auf die tenorierten Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt. Die Beklagten werden durch die von ihr verlangte Auskunft auch nicht erkennbar unzumutbar belastet.
  136. 3.Soweit der Kläger mit dem Antrag Ziff. I. 4. den Rückruf der angegriffenen Ausführungsform begehrt, sind die Beklagten dazu gem. (Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m.) § 140a Abs. 3 PatG verpflichtet. Tatsachen, aufgrund derer die Rückrufverpflichtung unverhältnismäßig erscheint (§ 140a Abs. 4 PatG), sind weder vorgetragen noch erkennbar.
  137. 4.Gem. (Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m.) § 139 Abs. 2 PatG sind die Beklagten des Weiteren auch zum Schadensersatz dem Grunde nach (Klageantrag Ziff. II. 2.) verpflichtet.
  138. Als Fachunternehmen hätte es den Beklagten oblegen, zu prüfen, ob die angegriffene Ausführungsform Schutzrechte Dritter verletzt. Bei einer entsprechenden Überprüfung wäre dies für sie auch ohne weiteres zu erkennen gewesen. Indem sie eine entsprechende Prüfung unterließen, haben die Beklagten die im Verkehr erforderliche Sorgfalt missachtet, § 276 Abs. 2 BGB.
  139. Der Kläger hat an der begehrten Feststellung auch das erforderliche rechtliche Interesse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO. Die Entstehung eines Schadens auf Seiten des Klägers ist hinreichend wahrscheinlich. Eine Bezifferung dieses Schadens ist ihm bisher nicht möglich, weil er ohne Verschulden über die Informationen, die er mit dem Klageantrag Ziff. I. 3. begehrt, in Unkenntnis ist.
  140. 5.Dem Kläger stehen des Weiteren Entschädigungsansprüche (Klageantrag Ziff. II. 1.) gem. § 33 Abs. 1 PatG (Klagepatent I) und gem. Art. II § 1 Abs. 1 Satz 1 IntPatÜG (Klagepatent II) zu.
  141. Die genannten Vorschriften gewähren dem Patentinhaber für die Benutzung des Gegenstandes einer offengelegten europäischen bzw. deutschen Patentanmeldung einen Entschädigungsanspruch, wenn der Benutzer wusste oder wissen musste, dass die von ihm benutzte Erfindung Gegenstand einer offengelegten Anmeldung ist. Dabei ist dem Benutzer jedoch – wie beim Schadensersatzanspruch auch – grundsätzlich – so auch vorliegend – ein Prüfungszeitraum von einem Monat seit der Offenlegung der Anmeldung, die hier – für das Klagepatent I – am 11.08.2011 bzw. – für das Klagepatent II – am 10.08.2011 erfolgte, zuzugestehen.
  142. 6.Der Aufwendungsersatzanspruch (Klageantrag Ziff. IV.) steht dem Kläger gem. (Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m.) §§ 683 Satz 1, 677, 670 BGB zu. Der in diesem Zusammenhang geltend gemachte Zinsanspruch besteht gem. §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
  143. V.Vor dem Hintergrund, dass sowohl das Klagepatent I als auch das Klagepatent II erstinstanzlich jeweils in der hier geltend gemachten Fassung bestätigt worden sind, besteht kein die Aussetzung nach § 148 ZPO rechtfertigender Anlass. Dies gilt umso mehr als sich die Beklagten vorliegend allein darauf stützen, dass es den geschützten Lehren jeweils an einem erfinderischen Schritt fehle, was zu beurteilen eine fachmännische Bewertung beinhaltet, über die sich das Verletzungsgericht nicht ohne weiteres durch eine eigene Wertung hinwegzusetzen vermag.
  144. 1.Nach § 148 ZPO kann das Gericht bei der Vorgreiflichkeit eines anderen Verfahrens einen Rechtsstreit aussetzen. Die Vorgreiflichkeit ist aufgrund der festgestellten, unstreitigen Verletzung des Klagepatents hinsichtlich des anhängigen Nichtigkeitsverfahrens gegeben. Die Erhebung einer Nichtigkeitsklage stellt jedoch ohne weiteres noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen. Die Patenterteilung ist auch für die (Verletzungs-) Gerichte bindend. Wegen der gesetzlichen Regelung, die für die Ansprüche nach §§ 139 ff. PatG lediglich ein in Kraft stehendes Patent verlangt und für die Beseitigung dieser Rechtsposition nur die in die ausschließliche Zuständigkeit des Patentgerichts fallende Nichtigkeitsklage bzw. den Einspruch vor dem jeweiligen Patentamt zur Verfügung stellt, kann der Angriff gegen das Klagepatent nicht als Einwand im Verletzungsverfahren geführt werden. Jedoch darf dies nicht dazu führen, dass diesem Angriff jede Auswirkung auf das Verletzungsverfahren versagt wird. Die Aussetzung des Verletzungsstreits im Rahmen der nach § 148 ZPO zu treffenden Ermessenentscheidung ist vielmehr grundsätzlich, aber auch nur dann geboten, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass das Klagepatent der erhobenen Nichtigkeitsklage oder dem erhobenen Einspruch nicht standhalten wird (BGH, GRUR 2014, 1237, 1238 – Kurznachrichten; OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.06.2015 – Az. 2 U 64/14, S. 29 f.).
  145. Dies berücksichtigend spricht es regelmäßig gegen eine Aussetzung, wenn der dem Klageschutzrecht entgegengehaltene Stand der Technik demjenigen entspricht, der bereits im Erteilungsverfahren oder in einem erfolglos durchgeführten Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren Berücksichtigung gefunden hat, oder von dem Erfindungsgegenstand noch weiter abliegt als der schon geprüfte (Kühnen, ebd., Rn. E.612). Gleiches gilt, wenn das Patent erstinstanzlich aufrechterhalten worden ist. In einem solchen Fall ist eine Aussetzung ausnahmsweise nur dann geboten, wenn entweder die Rechtsbestandsentscheidung auch für das Verletzungsgericht auf nachweisbar unrichtigen Annahmen oder einer nicht mehr vertretbaren Argumentation beruht (Kühnen, ebd., Rn. E.613), oder wenn im Rahmen des zweitinstanzlichen Rechtsbestandsverfahrens – ohne dass der Vorwurf der Nachlässigkeit angebracht ist – weiterer Stand der Technik vorgelegt wird, und dieser – weil er der Erfindung näher kommt als der bisher gewürdigte Technikstand – mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit eine Vernichtung des Klagepatents erwarten lässt (a.a.O.).
  146. 2.Orientiert an dem unter Ziff. 1. dargelegten Maßstab kann nicht mit der für eine Aussetzung erforderlichen Wahrscheinlichkeit von einer Vernichtung der Klagepatente ausgegangen werden. Das Vorbringen der Beklagten lässt es insbesondere nicht hinreichend wahrscheinlich erscheinen, dass diese unter dem Gesichtspunkt der mangelnden Erfindungshöhe vernichtet werden, § 81 Abs. 1 Satz 1, § 22 Abs. 1, § 21 Abs. Nr. 1, § 4 PatG bzw. Art. 101 Abs. 1 Satz 1, Art. 100 lit. a), Art. 56 EPÜ.
  147. Eine Erfindung gilt im Sinne von § 4 PatG bzw. Art. 56 EPÜ als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Es ist deshalb zu fragen, ob ein über durchschnittliche Kenntnisse und Fähigkeiten verfügender Fachmann, wie er auf dem technischen Gebiet der Erfindung in einschlägig tätigen Unternehmen am Prioritätstag typischerweise mit Entwicklungsaufgaben betraut wurde und dem unterstellt wird, dass ihm der gesamte am Prioritätstag öffentlich zugängliche Stand der Technik bei seiner Entwicklungsarbeit zur Verfügung stand, in der Lage gewesen wäre, den Gegenstand der Erfindung aufzufinden, ohne eine das durchschnittliche Wissen und Können einschließlich etwaiger Routineversuche übersteigende Leistung erbringen zu müssen (OLG Braunschweig, GRUR-RR 2012, 97, 98). Welche Mühe es macht, den Stand der Technik aufzufinden oder heranzuziehen, ist unbeachtlich (OLG Braunschweig, GRUR-RR 2012, 97, 98).Um das Begehen eines von den bisher beschrittenen Wegen abweichenden Lösungsweg nicht nur als möglich, sondern dem Fachmann nahegelegt anzusehen, bedarf es – abgesehen von denjenigen Fällen, in denen für den Fachmann auf der Hand liegt, was zu tun ist – in der Regel zusätzlicher, über die Erkennbarkeit des technischen Problems hinausreichender Anstöße, Anregungen, Hinweise oder sonstiger Anlässe dafür, die Lösung des technischen Problems auf dem Weg der Erfindung zu suchen (BGH, GRUR 2009, 746, 748 – Betrieb einer Sicherheitseinrichtung; BGH, GRUR 2012, 378, 379 – Installiereinrichtung II).
  148. Dass die Lehre des Klagepatents I bzw. diejenige des Klagepatents II in dem dargestellten Sinn – trotz der gegenteiligen erstinstanzlichen Rechtsbestandsentscheidungen – im maßgeblichen Zeitpunkt naheliegend waren, vermag die Kammer nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit festzustellen. Auch insoweit gelten die Ausführungen für beide Klagepatente gemeinsam, und wird auf Unterschiede – soweit erforderlich – gesondert hingewiesen.
  149. a)Die Beklagten bringen vorliegend keinen Technikstand vor, der nicht bereits Gegenstand des erstinstanzlichen Einspruchs- bzw. Nichtigkeitsverfahrens war.
  150. Die Beklagten stimmen mit dem Bundespatentgericht (Anlage GvW16, S. 11, unter Ziff. 6.) darin überein, dass Ausgangspunkt der Betrachtung im Hinblick auf den erfinderischen Schritt der durch die EP ‘924 (Anlage GvW1; Ni2 im Nichtigkeitsverfahren; D2‘ im Einspruchsverfahren) offenbarte Technikstand ist, aus dem die Merkmale der Merkmalsgruppe 1 vorbekannt sind. Jedoch habe, so die Beklagten, das Bundespatentgericht verkannt, dass sich ein Bearbeitungsaggregat im Sinne der Merkmalsgruppe 2 in naheliegender Art und Weise aus einer Kombination mit dem weiteren, vorgelegten Technikstand ergebe. Soweit sich die Beklagten damit inhaltlich gegen die erstinstanzlichen Rechtsbestandsentscheidungen richten, lässt die vorgetragene Kritik die Entscheidungen nicht unvertretbar erscheinen.
  151. b)Zu den von der Beklagten vorgebrachten und den von dem BPatG bewerteten Kombinationsmöglichkeiten auf Grundlage der GvW1 sei zunächst vorweggenommen, dass diese sich in zwei Gruppen einteilen lassen.
  152. Bei einer ersten Gruppe von Entgegenhaltungen zur Kombination mit der GvW1 (GvW14, GvW11.2/GvW11.3) ist – nach Auffassung des BPatG – problematisch, dass die Anordnung des Trägers des Bearbeitungsaggregats als horizontaler Querträger im Sinne des Merkmal 2.3 nicht offenbart wird (dazu unter lit. aa)). Im Hinblick auf eine zweite Gruppe von Entgegenhaltungen (GvW12.2/GvW12.3, GvW13.2) erscheint es dem BPatG problematisch, dass damit jeweils eine Vielzahl von Auswahlmöglichkeiten für Bewegungsmuster von Robotern offenbart wird, ohne dass der Fachmann einen Anhaltspunkt gerade für die Übernahme des Bewegungsmusters des klagepatentgemäßen Bearbeitungsaggregats erhält (dazu unter lit. bb)).
  153. aa)Das Bundespatentgericht hat eine Kombination der GvW1 mit der chinesischen Druckschrift 101 559 597 A (GvW14; Ni14 im Nichtigkeitsverfahren; D22 im Einspruchsverfahren) nicht für naheliegend erachtet, weil mit der in der GvW14 enthaltenen Figur 1 ein Portalroboter offenbart werde, bei dem der Träger, an dem die Bearbeitungseinheit anzuordnen wäre (Merkmal 2.3), kein horizontaler, sondern ein vertikaler Träger sei (Anlage GvW16, S. 12, 1. Abs.). Auch habe der Fachmann keinen Anlass, anstelle des jeweiligen vertikalen Trägers einen horizontalen Träger vorzusehen. Denn es sei gerade das Grundprinzip eines Portalroboters, dass der die jeweiligen Bearbeitungseinheit tragende Träger von einem brückenartigen Portal vertikal nach unten in den Arbeitsbereich des Roboters hineinreiche (a.a.O.).
  154. Soweit die Beklagten sich in diesem Zusammenhang darauf stützen, dass das BPatG verkannt habe, dass nach Abschnitt [0007] des Klagepatents I auch eine vertikale Ausgestaltung des Querträgers denkbar sei, begegnet dieser Einwand bereits deshalb Bedenken, weil eine solche Ausgestaltung nach dem Wortlaut der aufrechterhaltenen Anspruchsfassung (Merkmal 2.3) nicht mehr von dem Schutzbereich erfasst ist.
  155. Die Beklagten meinen weiter, das BPatG sei fehlerhaft davon ausgegangen, dass die mit der GvW14 offenbarten Träger, an denen die Bearbeitungseinheit angebracht werden soll, vertikal – nicht horizontal – sei. Aus welcher konkreten Passage der Entgegenhaltung, die hier lediglich in chinesischer Sprache und im Übrigen in einer englischen Übersetzung der Zusammenfassung durch C (Anlage GvW15) vorgelegt wird, sich dies ergibt, führen die Beklagten nicht aus. Die Beklagten interpretieren lediglich den Offenbarungsgehalt der Figur 1 in Abweichung zu dem Bundespatentgericht, und setzen ihre Würdigung damit an die Stelle derjenigen des Bundespatentgerichts – was eine Aussetzungsentscheidung nicht zu rechtfertigen vermag. Dies gilt vorliegend umso mehr, als die Beklagten bei der Annahme, der mit Figur 1 (Gvw14) illustrierte Träger 11 sei horizontal, zur Beurteilung der Positionierung des Trägers (in Anlehnung an die Klagepatente) auf Bezugspunkte zurückgreifen, die sich der Zeichnung selbst nicht entnehmen lassen:
  156. „Das Bundespatentgericht hat übersehen, dass wenn man das Dokument GvW14 und die einzig darin abgebildete Figur so ausrichtet, dass die Referenznummern korrekt lesbar sind, sich eindeutig ergibt, dass der Träger 11 (entspricht dem Träger 17 des Klagepatents) horizontal ausgerichtet ist (horizontal zur Y-Achse, unter Beachtung der Positionierung der drei kartesischen Achsen wie im Klagepatent) und die Führungsschienen 1 und 4 vertikal sind (vertikal zur Z-Achse, unter Beachtung der Positionierung der drei kartesischen Achsen wie im Klagepatent).“ (Schriftsatz v. 27.10.2016, S. 26, Ziff. (3), Bl. 58; Hervorhebungen diesseits).
  157. Dieses Vorgehen legt eine in unzulässigerweise rückschauende Betrachtung nahe.
  158. Dabei verkennt die Kammer auch nicht, dass die Einspruchsabteilung in der das Klagepatent II betreffenden erstinstanzlichen Entscheidung eine Betrachtung für möglich hält, bei der es sich bei dem „lifting arm“ 11 aus Figur 1 (GvW14) um einen Querträger handeln könnte:
  159. „Obwohl D22 [GvW14 im hiesigen Verfahren] ein Portal mit einer Grundstruktur mit einem Träger, der, bei Drehen des Portals um 90º als Querträger angesehen werden könnte (Abbildung 1, lifting arm 11) […]“ (Anlage K9, S. 7, 1. Abs.).
  160. Aber auch dies lässt die Auffassung des BPatG nicht unvertretbar erscheinen. Denn zum einen geht – in Übereinstimmung mit dem BPatG – auch aus der Begründung des EPA hervor, dass mit Figur 1 der GvW14 (D22 im Einspruchsverfahren) ein Portalroboter offenbart wird. Vor dem Hintergrund, dass es sich – so das BPatG – um ein Grundprinzip eines Portalroboters handelt, dass der die jeweiligen Bearbeitungseinheit tragende Träger von einem brückenartigen Portal vertikal nach unten in den Arbeitsbereich des Roboters hineinreiche, stellt sich dann schon die Frage, inwiefern der Fachmann Anlass zu einem „Drehen des Portals um 90º“ Grad haben sollte – was nach der Begründung des EPA Voraussetzung für die Qualifizierung des „lifting arms“ 11 als Querträger ist. Des Weiteren kommt aber auch das EPA selbst bei einem Verständnis, wonach ein Querträger offenbart wird, zu der Würdigung, dass eine Kombination der GvW14 (D22 im Einspruchsverfahren) mit der GvW1 ( D2‘ im Einspruchsverfahren) aus der Sicht des Fachmannes nicht nahelag (Anlage K9, S. 7, 2. Abs.).
  161. Eine Kombination der GvW1 mit „Weck, M.: Werkzeugmaschinen Fertigungssysteme“ (GvW11.2./GvW11.3; Ni11.2/Ni11.3 im Nichtigkeitsverfahren; D3/D4 im Einspruchsverfahren) schließt das BPatG aus denselben Gründen wie eine Kombination mit der GvW14 aus, wobei es sich bei seiner Würdigung insbesondere auf Bild 6-7 (GvW11.2) und Bild 5-1 (GvW11.3) bezieht (Anlage GvW16, S. 12, 1. Abs.). Hieran üben die Beklagten keine Kritik, die eine Prüfung der Nachvollziehbarkeit der Argumentation des BPatG zulässt. Schließlich spricht für die Vertretbarkeit der Entscheidung des BPatG, dass auch das EPA in der erstinstanzlichen Einspruchsentscheidung zu dem Ergebnis gelangt, dass dem Fachmann ein Hinweis für die Auswahl einzelner Möglichkeiten aus der GvW11.2 bzw. GvW11.3 (D3 und D4 im Einspruchsverfahren) nicht gegeben werde (Anlage K9, S. 8, 1. Abs.).
  162. bb)Der Senat des BPatG hat eine Kombination der GvW1 mit „E, D.: F“ (GvW12.2/ GvW12.3 (Ni12.2/ Ni12.3 im Nichtigkeitsverfahren; D5 im Einspruchsverfahren) oder mit G, O.D.I.; H, Y.: I“ (GvW13.2; Ni13.2 im Nichtigkeitsverfahren; D22 im Einspruchsverfahren) nicht als naheliegend angesehen.
  163. Ausgangspunkt der Überlegung des BPatG im Zusammenhang mit der Kombination der genannten Druckschriften ist, dass sich der kinematische Aufbau eines Industrieroboters regelmäßig aus folgendem zusammensetzt (vgl. BPatG, Anlage GvW16, S. 12, 3. Abs. f.):- Grundstruktur in Form eines Arms mit mehreren Hauptsachsen genannten translatorischen und/ oder rotatorischen Freiheitsgraden, das heißt Verschiebe- und Verdrehmöglichkeiten,- einem Handgelenk mit mehreren Nebenachsen genannt, meist rotatorischen Freiheitsgraden, das heißt Verdrehmöglichkeiten, und- einem daran befestigten Handhabungs- oder Bearbeitungswerkzeug.
  164. Der Fachmann werde, so das BPatG, durch die GvW13.2 schon von der Übernahme einer kartesischen Grundstruktur abgehalten, weil diese auf der Grundlage der Entgegenhaltung vor allem für Bearbeitungsaufgaben verwendet werde, bei denen Roboterbewegungen über große Flächen erforderlich seien (Anlage GvW13.2., Pkt. 28.2.2.1), was auf Holzbearbeitungsanlagen nicht zutreffe (Anlage GvW16, S. 14, 4. Abs.). Auch zeigten vorbekannte Bearbeitungsaggregate, dass sich der Fachmann nicht allein an kartesischen Grundstrukturen orientiere (Anlage GvW16, S. 15, 1. Abs.).
  165. Die Beklagten benennen zwar ihrerseits konkrete Textstellen, die eine Kombination mit der GvW1 ihrer Meinung nach naheliegend erscheinen lässt. Die Textstellen aber relativieren die von dem Bundespatentgericht zitierte Passage, deren Aussagegehalt den Fachmann auf der Grundlage der fachkundigen Würdigung des BPatG von einer Übernahme der Lehre abhält, jedoch nicht. Ihr Aussagegehalt bleibt vielmehr bestehen. Im Übrigen ersetzen die Beklagten im Zusammenhang mit der GvW13.2 die Wertung des BPatG lediglich durch ihre eigene. Gleiches gilt, soweit das BPatG zu der Auffassung gelangt, dass der Fachmann aber auch innerhalb der kartesischen Grundstruktur nicht auf das konkrete, von der Klägerin angeführte Handgelenk in naheliegender Art und Weise zurückgreife (Anlage GvW16, S. 15, 2. Abs. – S. 16, 2. Abs.). Soweit die Beklagten schließlich bemängeln, dass das BPatG sich allein auf eine Bewertung der Tabelle (FIGURE 28.7) beschränkt habe, steht dagegen bereits die Tatsache, dass das BPatG zur Begründung auch auf in der Entgegenhaltung enthaltene Passagen verweist, insbesondere auf die Ausführungen unter Punkt 28.2.2.1 der GvW13.2 (Anlage GvW16, S. 14, 4. Abs.).
  166. Eine den dargestellten Ausführungen entsprechende Argumentation ergibt sich nach Auffassung des BPatG im Zusammenhang mit der Offenbarung der GvW12.2/ GvW12.3 (Ni12.2/ Ni12.3 im Nichtigkeitsverfahren), die eine noch größere Anzahl von Beispielen für mögliche Grundstrukturen offenbare, ohne konkrete Vorschläge zur Kombination von Grundstruktur und Handgelenk zu geben (Anlage GvW16, S. 17, letzt. Abs. – S. 18, 1. Abs.). Die Beklagten legen auch insoweit lediglich ihre eigene Auffassung darüber dar, dass die GvW12.2/ GvW12.3 einen hinreichenden Anlass zu einer Kombination mit der GvW1 hin zur klagepatentgemäßen Lösung enthalte. Vor dem Hintergrund der Vielzahl möglicher kinematischer Ketten – das BPatG beziffert diese für Strukturen mit insgesamt 5, 6 oder 7 Freiheitsgraden mit 7.7776, 46.656 bzw. 279.936 (Anlage GvW16, S. 15, 2. Abs.) – erscheint der Kammer zudem nicht unvertretbar, dass der Fachmann nicht ohne weiteres zu dem klagepatentgemäßen Bewegungsmuster der Bearbeitungseinheit gelangt.
  167. Die Argumentation des BPatG im Hinblick auf die Entgegenhaltungen GvW13.2 und GvW12.2/GvW12.3 wird schließlich auch durch die Entscheidung des Einspruchsverfahrens gestärkt, wonach auch das EPA davon ausging, dass eine besondere Kombination von Grundstruktur und Handgelenk auf der Grundlage des jeweiligen Offenbarungsgehalts der Entgegenhaltungen (GvW12.2/ GvW12.3 = D5 im Einspruchsverfahren und GvW13.2 = D21 im Einspruchsverfahren) für den Fachmann nicht nahelag (Anlage K9, S. 9. 2. und 3. Abs und S. 10, 3. Abs.).
  168. VI.Den Beklagten muss nicht gestattet werden, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung abzuwenden. Diese haben nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht, dass ihnen durch die Vollstreckung eines stattgebenden Urteils ein nicht zu ersetzenden Nachteil im Sinne von § 712 Abs. 1 ZPO entstehen würde.
  169. VII.Die Kostenentscheidung ergeht gem. §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 100 Abs. 1 ZPO.
  170. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in § 709 Satz 1 ZPO.
  171. VIII.Der Streitwert wird gem. § 51 Abs. 1 GKG auf EUR 1.000.000,- festgesetzt.

Schreibe einen Kommentar