Düsseldorfer Entscheidungsnummer: 2696
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 21. September 2017, Az. 4a O 167/15
I. Die Beklagte wird verurteilt:
1. Es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,-, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Fall wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft an dem gesetzlichen Vertreter der Beklagten zu vollziehen ist,
zu unterlassen,
Vorrichtungen zum Aufwickeln eines Faserstrangs auf zumindest einen Formträger, wobei der Formträger beim Aufwickeln des Faserstrangs um seine Längsachse L rotierbar ist, wobei an dem Formträger eine Manipuliervorrichtung vorgesehen ist, welche Manipuliervorrichtung um die Längsachse L des Formträgers drehbar ist, wobei die Manipuliervorrichtung zu Beginn eines Wikkelvorgangs in eine Anwickelposition drehbar ist, in der ein zugeführtes Faserstrangende mit Hilfe einer Manipuliervorrichtung an den Formträger anwickelbar ist und wobei die Manipuliervorrichtung bei Beendigung eines Wickelvorgangs in eine Schneidposition drehbar ist, in der der Faserstrang mit einer Schneideinrichtung durchtrennbar ist,
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
(Anspruch 1 EP 1 977 XXX B1);
2. Der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die zu 1. bezeichneten Handlungen seit dem 10.06.2009 begangen hat, und zwar unter Angabe
a) der Namen und der Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie über die Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
3. Der Klägerin durch ein vollständiges und geordnetes Verzeichnis darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu 1. bezeichneten Handlungen seit dem 08.11.2008 begangen hat, und zwar unter Angabe
a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermenge, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,
b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmenge, -zeiten, -preisen, sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei die Angaben zu lit. d) erst ab dem 10.07.2009 zu machen sind,
wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht gewerblichen Abnehmer sowie der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter nicht gewerblicher Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnung enthalten ist.
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin für die zu Ziff. I. 1., in der Zeit vom 08.11.2008 bis zum 09.07.2009 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen.
III. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu Ziff. I. 1. bezeichneten, seit dem 10.07.2009 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
IV. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 3.399,50 nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.04.2016 zu zahlen.
V. Die Beklagte wird verurteilt, die oben unter Ziff. I. 1. fallenden, von ihr seit dem 10.06.2009 in Verkehr gebrachten und im Besitz gewerblicher Dritter befindlichen Vorrichtungen zum Aufwickeln eines Faserstrangs aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagte oder mit deren Zustimmung Besitz an den Vorrichtungen zum Aufwickeln eines Faserstrangs eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents EP 1 977 XXX B1 erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Vorrichtung zum Aufwickeln eines Faserstrangs an die Beklagte zurückzugeben, und für den Fall der Rückgabe der Vorrichtungen zum Aufwickeln eines Faserstranges eine Rückzahlung des ggf. bereits bezahlten Kaufpreises und die Übernahme der Kosten der Rückgabe zugesagt wird und die erfolgreich zurückgerufenen Vorrichtungen wieder an sich zu nehmen.
VI. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
VII. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 250.000,- vorläufig vollstreckbar. Daneben ist das Urteil hinsichtlich der Auskunft und Rechnungslegung (Ziff. I. 2. und Ziff. I. 3.) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 20.000,-, im Hinblick auf die Unterlassung (Ziff. I. 1.) und den Rückruf (Ziff. V.) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 180.000,- und hinsichtlich des Kostenpunktes (Ziff. VI.) und der Abmahnkosten (Ziff. IV.) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d
Die Klägerin (vormals: A B C GmbH, nach Verschmelzung mit der D E GmbH auf der Grundlage eines Verschmelzungsvertrags vom 23.05.2016 nunmehr F B C; vgl. auch Handelsregisterauszug des Amtsgerichts Marburg vom 16.03.2017, Anlage KAP9) macht als im Patentregister eingetragene Inhaberin (vgl. Auszug des Patentregisters vom 15.12.2015, Anlage PBP2) gestützt auf eine Verletzung des Europäischen Patents 1 977 XXX (im Folgenden: Klagepatent) gegen die Beklagte Ansprüche auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, auf Feststellung einer Schadensersatz- und Entschädigungspflicht dem Grunde nach sowie auf Aufwendungsersatz und Rückruf geltend.
Die Anmeldung des Klagepatents vom 03.04.2007 wurde am 08.10.2008 offengelegt, der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents am 10.06.2009 veröffentlicht. Gegenstand des Klagepatents sind eine Vorrichtung und ein Verfahren zum Aufwickeln eines Faserstranges. Der hier maßgeblich interessierende Anspruch 1 ist wie folgt abgefasst:
„Vorrichtung zum Aufwickeln eines Faserstranges (1) auf zumindest einen Formträger (2), wobei der Formträger (2) beim Aufwickeln des Faserstranges (1) um seine Längsachse rotierbar ist,
wobei an dem Formträger (2) eine Manipuliervorrichtung (3) vorgesehen ist, welche Manipuliervorrichtung (3) um eine Längsachse L des Formträgers (2) drehbar ist,
wobei die Manipuliervorrichtung (3) zu Beginn eines Wikkelvorgangs in eine Anwickelposition drehbar ist, in der ein zugeführtes Faserstrangende (10) mit Hilfe der Manipuliervorrichtung (3) an den Formträger (2) anwickelbar ist
und wobei die Manipuliervorrichtung (3) bei Beendigung eines Wickelvorgangs in eine Schneideposition drehbar ist, in der der Faserstrang (1) mit einer Schneideinrichtung (11) durchtrennbar ist.“
Wegen der weiteren Ansprüche, die Gegenstand der Insbesondere-Anträge sind, wird auf die Klagepatentschrift (Anlage PBP1) Bezug genommen.
Die nachfolgend (verkleinert) wiedergegebene Figur zeigt eine Draufsicht auf eine erfindungsgemäße Vorrichtung zum Aufwickeln eines Faserstranges auf einen Formträger:
Der Formträger 2 (in der Abbildung zweifach vorhanden), auf welchen der Faserstrang 1 aufgewickelt werden soll, ist während des Aufwickelns um seine Längsachse L drehbar. An dem Stirnende des jeweiligen Formträgers ist eine Manipuliervorrichtung 3 vorgesehen, die um die (verlängerte) Längsachse L der Formträger 2 drehbar ist (Abs. [0021] des Klagepatents; Abschnitte ohne Bezeichnung sind im Folgenden solche des Klagepatents). Über eine Verlegeeinrichtung 5 wird der Formstrang 1 dem jeweiligen Formträger 2 zugeführt. Der Verlegeeinrichtung vorgeschaltet ist eine Klemmeinrichtung 6, mittels derer der kontinuierliche Zuführvorgang unterbrochen werden kann (Abs. [0021]).
Der deutsche Teil des Klagepatents steht in Kraft.
Die am 02.10.2012 gegründete und am 05.10.2012 in das niederländische Handelsregister (vgl. Auszug Anlage B1) eingetragene Beklagte ist eine Tochtergesellschaft der „G B.V.“, die neben der Beklagten weitere Tochtergesellschaften erfasst.
Auf dem Videoportal „H“ ist seit dem 29.03.2013, unter anderem für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, unter dem Link https://www.H.com/watch?v=wP0KfjXXXXX ein Video mit dem Titel „I – J“ (vorgelegt als Anlage PBP6) veröffentlicht, welches eine Vorrichtung zum Aufwickeln eines Faserstrangs auf einen Formträger (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform) sowie einen mit dieser durchgeführten Aufwickelvorgang zeigt. Zwischen den Parteien ist streitig, wer den Abruf des Videos veranlasst hat.
Des Weiteren stellt die Beklagte auf der Internetplattform „H“ ein Video mit der Bezeichnung „I“: K“ (vorgelegt als Anlage KAP11) zum Abruf bereit, in welchem auch die Videosequenzen des als Anlage PBP6 vorgelegten Videos verarbeitet sind.
Die angegriffene Ausführungsform sieht einen Formträger vor, der sich um seine Längsachse drehen kann, so dass – wie nachfolgend dargestellt – ein Formstrang aufgewickelt werden kann:
Für den Wickelvorgang holt eine Zugvorrichtung das Faserstrangende von einer Verlegeeinrichtung ab und klemmt es ein. Dies zeigt die nachfolgende Abbildung:
wobei die Bezeichnung „Manipuliereinrichtung“ von der Klägerin stammt. Mit ihrer Übernahme in den Tatbestand ist vorliegend noch keine Aussage über die Verletzung des Klagepatents verbunden. Nachdem der Formstrang eingeklemmt ist, bewegen sich die Zug- und Verlegeeinrichtung auf den Formträger zu und positionieren sich parallel zu dessen Kopf. Die Zugvorrichtung dreht sich dann gegen den Uhrzeigersinn um den Formträger und zieht auf diese Art und Weise den eingeklemmten Faserstrang zunächst nach unten und wickelt ihn dann ziehend auf den sich ebenfalls drehenden Formträger auf. Der Faserstrang ist während dieses Vorgangs durch die Verlegeeinrichtung auf Spannung gehalten. Wenn der Faserstrang nach mehreren Drehungen und sich überkreuzenden Wickelungen fest an den Formträger angewickelt ist, kann der Wickelvorgang ohne Zugvorrichtung fortgeführt werden.
Nach Beendigung des Aufwickelvorgangs stoppt die Drehbewegung des Formträgers und der Faserstrang wird mittels einer Schneidvorrichtung durchtrennt.
Wegen des genauen Ablaufs des mit der angegriffenen Ausführungsform durchgeführten Abwicklungsvorgangs wird auf das „H“-Video, welches der Akte als Anlage PBP6 beigefügt ist, sowie auf die bildliche Darstellung einzelner Videosequenzen (Anlage PBP7) verwiesen.
Mit patentanwaltlichem Schreiben vom 25.06.2015 (Anlagenkonvolut PBP8) rügte die Klägerin gegenüber der „I Group“ eine Verletzung des Klagepatents durch die angegriffene Ausführungsform und sprach erfolgslos eine Aufforderung zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung aus.
Die Klägerin behauptet, die Beklagte habe auch das Video der angegriffenen Ausführungsform mit dem Titel „I – J“ bei „H“ zum Abruf bereitgestellt. Jedenfalls sei sie für die Abrufbarkeit des Videos verantwortlich.
Die Klägerin ist weiter der Ansicht, die angegriffene Ausführungsform mache von der Lehre des Klagepatents unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch.
Die angegriffene Ausführungsform verfüge über eine klagepatentgemäße Manipuliereinrichtung, für die ausreichend sei, dass sie eine – statt mehrerer – Bewegungsachsen aufweise. Die Manipuliervorrichtung im Sinne des Klagepatents bedürfe auch im Übrigen keiner besonderen Bestandteile, wie beispielsweise einer Greifrolle oder ähnlicher Elemente.
Auch führe die angegriffene Ausführungsform das Faserstrangende im Sinne der Lehre des Klagepatents zu. Ein solches Zuführen, welches von dem Schutzbereich des Vorrichtungsanspruchs ohnehin nicht erfasst sei, setze auch nicht voraus, dass das Zuführen kontinuierlich und durch Ausübung einer Schubspannung erfolge.
Die Klägerin beantragt:
Wie zuerkannt.
Wegen der weiteren, in Form von Insbesondere-Anträgen gestellten Anträgen wird auf die Klageschrift vom 09.12.2015 (Bl. 3 GA) verwiesen.
Die Beklagte beantragt:
Die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, sie habe das „H“-Video mit dem Titel „I – Automated B Production“ am 29.03.2013 nicht auf die Videoplattform eingestellt, weil sie zu diesem Zeitpunkt ihre operative Tätigkeit noch nicht aufgenommen habe.
Die Beklagte ist weiter der Ansicht, die angegriffene Ausführungsform verletzte das Klagepatent nicht.
Der angegriffenen Ausführungsform fehle es schon an einer Manipuliervorrichtung im Sinne des Klagepatents. Der Fachmann verstehe unter dem Begriff der „Manipuliervorrichtung“ eine Vorrichtung, mittels derer komplexe Bewegungen von Objekten im Raum durchgeführt werden können. Neben einer um eine Achse rotierenden Bewegung, die auch bei der Zugvorrichtung der angegriffenen Ausführungsform – unstreitig – vorliegt, sei deshalb mindestens ein weiteres Merkmal erforderlich, das den Faserstrang an dem Formträger positioniert, damit dieser an den Formträger angewickelt werden kann. Daraus ergebe sich zugleich, dass zwischen der Manipuliervorrichtung und dem Formträger ein direkter Kontakt entstehen müsse. Eine solche zusätzliche Fixierung führt aber die Zugvorrichtung der angegriffenen Ausführungsform – insoweit unstreitig – nicht herbei. Sie tritt auch – weiter unstreitig – in keinen direkten Kontakt mit dem Formträger.
Bei der angegriffenen Ausführungsform würde auch das Faserstrangende nicht im Sinne des Klagepatents „zugeführt“. Denn dies setze aus der Sicht des Fachmannes voraus, dass der Faserstrang während des Wickelvorgangs kontinuierlich aktiv an den Formträger herangeführt werde. Ein bloßes „Mitnehmen“ oder „Ziehen“ des Stranges sei nicht ausreichend. Der klagepatentgemäße Zuführvorgang sei dadurch gekennzeichnet, dass die Spannung auf den Faserstrang nicht von dem Formkörper herrühre, sondern mit Hilfe einer geeigneten Mechanik eine Schubspannung auf den Faserstrang ausgeübt werde.
Selbst wenn man in der von der Zugvorrichtung durchgeführten Bewegung des Faserstrangendes an den Formträger ein Zuführen im Sinne des Klagepatents erblicken würde, würde es an einer Verwirklichung der Lehre des Klagepatents dennoch fehlen, weil eine Mitnahme und ein Einklemmen der Zugvorrichtung und der Verlegeeinrichtung bereits erfolgen, bevor die Anwickelposition erreicht wird.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitig zur Akte gereichten Schriftsätze und die diesen beigefügten Urkunden und Anlagen sowie auf das Protokoll zur Sitzung vom 22.08.2017 verwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die zulässige Klage ist auch begründet.
Da die angegriffene Ausführungsform von der technischen Lehre des Klagepatents unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch macht, stehen der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, Rückruf und Erstattung von Abmahnkosten sowie auf Feststellung einer Entschädigungs- und Schadensersatzpflicht dem Grunde nach aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. §§ 139 Abs. 1 und 2, 140a Abs. 3, 140b Abs. 1, 3 PatG i. V. m. §§ 242, 259 BGB, §§ 683 Satz 1, 677, 670 BGB, Art. II § 1 Abs. 1 Satz 1 IntPatÜG zu.
I.
Im Stand der Technik sind Vorrichtungen und Verfahren zum Aufwickeln eines Faserstrangs auf einen Formträger bekannt, das Klagepatent nimmt beispielhaft auf die WO-2004 035297 (vorgelegt als Anlage PBP3) Bezug (Abs. [0002]).
Die vorbekannten Vorrichtungen und Verfahren sind darauf ausgerichtet, den Faserstrang möglichst zügig auf den Formträger aufzuwickeln (Abs. [0002]). Jedoch beschreibt es das Klagepatents als nachteilig, dass mit einer Steigerung der Geschwindigkeit des Aufwickelvorgangs häufig eine Einschränkung der Funktionssicherheit des Wickelvorgangs einhergeht (Abs. [0002]). Im Ergebnis sind die Vorrichtungen und Verfahren im Stand der Technik daher sowohl im Hinblick auf die Geschwindigkeit des Aufwickelns als auch in Bezug auf die Funktionssicherheit des Aufwickelns unbefriedigend (Abs. [0002]).
Besonders problematisch ist dem Klagepatent zufolge der Aufwickelvorgang eines mit schmelzflüssigem thermoplastischen Kunststoff getränkten Faserstrangs (Abs. [0002]). Neben der unzulänglichen Funktionssicherheit des Aufwickelns erweist sich hierbei auch als nachteilig, dass nach dem Wickel- und dem Schneidevorgang an dem Formträger ein Faserstrangende verbleibt. Dieses erhärtete Faserstrangende muss dann in einem aufwändigen Prozess zunächst aufgeschmolzen und mit einer separaten Anbügelvorrichtung an den Formträger bzw. an den darauf aufgewickelten Faserstrang angebügelt werden (Abs. [0002]). Auch bekannt ist, das erhärtete Faserstrangende abzutrennen und aufwändig zu entfernen (Abs. [0002]).
Weitere Nachteile vorbekannter Vorrichtungen und Verfahren beschreibt das Klagepatent derart, dass die Auffassung besteht, dass der Faserstrang kontinuierlich und ohne jegliche Unterbrechung beim aufeinander folgenden Aufwickeln auf verschiedene Formträger zugeführt werden müsse (Abs. [0002]).
Vor dem Hintergrund des dargestellten Stands der Technik nimmt es sich das Klagepatent zur Aufgabe (technisches Problem), eine verbesserte Vorrichtung der genannten Art bereitzustellen, mit der insbesondere gleichzeitig eine hohe Wickelgeschwindigkeit und eine gute Funktionssicherheit des An- und Aufwickelns erreicht werden können (Abs. [0003]). Die bereitgestellte Vorrichtung und das Verfahren sollen insbesondere auch für das Aufwickeln eines mit schmelzflüssigem thermoplastischen Kunststoff getränkten Faserstrang Anwendung finden können (Abs. [0003]).
Diese Aufgabe wird durch eine Vorrichtung mit den folgenden Merkmalen realisiert:
(1) Vorrichtung zum Aufwickeln eines Faserstrangs (1) auf zumindest einen Formträger (2), umfassend:
(a) Einen Formträger (2),
(aa) der beim Aufwickeln des Faserstranges (1) um seine Längsachse L rotierbar ist;
(b) und eine Manipuliervorrichtung (3),
(aa) die an dem Formträger (2) vorgesehen ist,
(bb) die um die Längsachse L des Formträgers (2) drehbar ist,
(cc) die zu Beginn eines Wickelvorgangs in eine Anwickelposition drehbar ist,
(i) in der ein zugeführtes Faserstrangende (10) mit Hilfe der Manipuliervorrichtung (3) an dem Formträger (2) anwickelbar ist,
(dd) und die bei Beendigung eines Wickelvorgangs in eine Schneidposition drehbar ist;
(i) in der der Faserstrang (1) mit einer Schneideinrichtung (11) durchtrennbar ist.
II.
Die angegriffene Ausführungsform verletzt die Lehre des Klagepatents unmittelbar wortsinngemäß. Das gilt sowohl für die zwischen den Parteien zu Recht unstreitigen Merkmale, zu denen weitere Ausführungen unterbleiben, als auch im Hinblick auf die zwischen den Parteien streitigen Merkmale (1) (b) und (1) (b) (cc) (i).
1.
Die angegriffene Ausführungsform ist mit einer klagepatentgemäßen Manipuliervorrichtung ausgestattet.
a)
Die klagepatentgemäße Vorrichtung umfasst eine Manipuliervorrichtung, die – wie Merkmal (1) (b) (cc) (i) vorgibt – dafür vorgesehen ist, einen Beitrag zum Anwickeln des Faserstrangs an den Formträger zu leisten. Dem Anspruchswortlaut (Merkmal (bb)) ist in diesem Zusammenhang weiter zu entnehmen, dass die Manipuliervorrichtung um die Längsachse L drehbar ist und zwei unterschiedliche Positionen, eine Anwickel- und eine Schneidposition (Merkmal (cc) und Merkmal (dd)), einnehmen kann. Der Fachmann stellt deshalb einen Zusammenhang zwischen der Drehbarkeit der Manipuliervorrichtung und ihrer Mitwirkung beim Anwickeln des Faserstranges her, entnimmt dem Anspruchswortlaut jedoch im Übrigen keine weiteren Angaben zu der Art und Weise, in der die Manipuliervorrichtung an dem Anwickeln des Faserstranges beteiligt ist.
Der Anspruchswortlaut gibt darüber hinaus auch nicht vor, dass die Manipuliervorrichtung neben der Drehbewegung um die Längsachse des Formträgers weitere Bewegungen ausführen können muss. Auch eine an der Funktion orientierte Auslegung veranlasst nicht zu einem solch engen Verständnis. Zwar beschreibt Abschnitt [0010], dass die Manipuliervorrichtung mit einer Greifrolle ausgestattet ist, mit der das anzuwickelnde Faserstrangende in der Anwickelposition an den Formträger drückbar ist, um zu verhindern, dass das Faserstrangende von dem Formträger herunterrutscht. Diese Ausgestaltung betrifft jedoch eine besonders bevorzugte Ausführungsform der Erfindung, nämlich insbesondere diejenige, die Eingang in Unteranspruch 6 gefunden hat, und ist als solche nicht geeignet, die Lehre des Klagepatents zu beschränken (BGH, GRUR 2008, 779 (Rn. 34) – Mehrgangnabe). Der Fachmann fordert weitere Bestandteile der Manipuliervorrichtung auch deshalb nicht, weil diese lediglich zu dem Anwickelvorgang beitragen muss. Sofern – wie die Beklagte meint – zur Fixierung des Faserstrangs an dem Formträger weitere Bestandteile zwingend erforderlich sind, ist es deshalb nach der Lehre des Klagepatents unschädlich, wenn diese durch Elemente außerhalb der Manipuliervorrichtung bereitgestellt werden. Der Anwickelvorgang muss nicht ausschließlich durch die Manipuliervorrichtung vollzogen werden.
Der Anspruchswortlaut enthält des Weiteren die Vorgabe, dass die Manipuliervorrichtung an dem Formträger vorgesehen ist (Merkmal (1) (b) (aa)), und beschreibt damit eine räumlich-körperliche Verbindung zwischen Manipuliervorrichtung und Formträger derart, dass diese im Rahmen des Aufwickelvorgangs zusammenwirken können. Dass die Verbindung unmittelbar sein muss, mithin ein direkter Kontakt zwischen Formträger und Manipuliervorrichtung bestehen muss, gibt der Wortlaut („vorgesehen ist“) hingegen nicht vor.
Diese Vorgabe entnimmt der Fachmann auch der Beschreibung des Klagepatents, wie sie sich bei der gebotenen funktionsorientierten Betrachtung darstellt, nicht. Die Manipuliervorrichtung ist – wie bereits dargestellt – an dem klagepatentgemäßen Aufwickelvorgang beteiligt, indem sie mit dem Formträger, der zum Zwecke des Aufwickelns des Faserstrangs um seine Längsachse L rotiert (Merkmal (1) (a) (aa), zusammenwirkt. Dabei steht die Ausgestaltung des genauen Zusammenwirkens im Belieben des Fachmannes. Sie ist – wie bereits ausgeführt – gerade nicht auf die in der Beschreibung beschriebenen Ausführungsformen, wie insbesondere die von der Beklagten in Abschnitt [0014] in Bezug genommene Ausführungsform, bei welcher an der Manipuliervorrichtung eine Greifrolle, Wischelemente oder Anstreifelemente für eine direkte Kontaktaufnahme der Manipuliervorrichtung mit dem Formträger vorgesehen sind, beschränkt.
Das gilt umso mehr als dem Klagepatent zu entnehmen ist, dass die Bewegungsabläufe von Manipuliervorrichtung und Formträger getrennt voneinander zu betrachten sind,
„An den Anwickelvorgang schließt der eigenschtliche Aufwickelvorgang an, bei dem die Manipuliereinrichtung vorzugsweise ohne Drehung in der Parkposition verbleibt.“ (Abs. [0012]),
„Das Anrollen bzw. Andrücken des Faserstrangendes erfolgt dabei vorzugsweise so, dass die Manipuliervorrichtung stillsteht und der Formträger rotiert.“ (Abs. [0014]),
was einer zu engen räumlich-körperlichen Verbindung von Formträger und Manipuliervorrichtung entgegensteht.
Schließlich geben auch die von der Beklagten angeführten, in der Beschreibung dargestellten Ausgestaltungen, bei denen der Faserstrang nach dem Durchtrennen durch die Greifrolle der Manipuliervorrichtung an den Formträger angedrückt wird (Abs. [0025], [0029]), keinen Anlass für ein einschränkendes Verständnis. Neben dem Umstand, dass auch insoweit lediglich Ausführungsbeispiele beschrieben werden, gibt schon der Anspruchswortlaut nicht vor, dass die Manipuliervorrichtung bei dem Schneiden des Faserstrangs am Ende des Wickelvorgangs überhaupt mitwirken muss.
b)
Bei der angegriffenen Ausführungsform stellt sich das von der Klägerin als „Manipuliereinrichtung“ bezeichnete Bauteil – die entsprechende Abbildung aus dem Tatbestand wird nachfolgend noch einmal wiedergegeben:
– als Manipuliervorrichtung im Sinne der Lehre des Klagepatents dar. Das beschriebene Bauteil ist in räumlicher Nähe zu dem Formträger angeordnet und steht über eine Welle mit diesem in einer Verbindung. Wie die als Anlage PBP6 vorgelegte Videoaufnahme (dort insbesondere Sequenz 00:12 bis 00:24) weiter zeigt, leistet das Vorrichtungselement auch einen Beitrag zum Anwickeln des Faserstrangs, indem die Zugvorrichtung das Faserstrangende festklemmt, es unterhalb des Formträgers herführt und sodann aus der Anwickelposition heraus den unter Zugspannung stehenden Faserstrang durch eine Drehbewegung gegen den Uhrzeigersinn um die Längsachse des Formträgers überkreuzend wickelt. Wenn der Faden mit einigen Umdrehungen an dem Formträger fixiert ist, und die Manipuliervorrichtung sich unterhalb des Formträgers befindet, wird der Faden von der Zuführvorrichtung entfernt (Anlage PBP6, Sequenz 00:25) und der Wickelvorgang wird ohne Mitwirkung der Manipuliervorrichtung fortgesetzt (Anlage PBP6, ab Sequenz: 00:27).
2.
Die Manipuliervorrichtung ist auch derart ausgestaltet, dass mit ihrer Hilfe ein zugeführtes Faserstrangende im klagepatentgemäßen Sinne an den Formträger anwickelbar ist.
a)
Das zwischen den Parteien streitige Merkmal (1) (b) (cc) (i) beschreibt als Bestandteil der Merkmalsgruppe (b) die Ausgestaltung der Manipuliervorrichtung näher, die – orientiert an dem Anspruchswortlaut – dadurch gekennzeichnet ist, dass sie zu Beginn eines Wickelvorgangs eine Anwickelposition (Merkmal (1) (b) (cc)) und bei Beendigung des Wickelvorgangs eine Schneidposition (Merkmal (1) (b) (dd)) einnehmen kann. In der Anwickelposition muss die Manipuliervorrichtung einen Beitrag zu dem Anwickeln eines ihr zugeführten Faserstrangendes an den Formträger leisten können, Merkmal (1) (b) (cc) (i).
Der Fachmann entnimmt dem Anspruchswortlaut in einer Gesamtbetrachtung mit den übrigen Merkmalen weiter, dass das jeweilige Faserstrangende des Faserstrangs, der nach Merkmal (1) (a) (aa) auf den Formträger aufgewickelt werden soll, so in die räumliche Nähe der Manipuliervorrichtung und des Formträgers verbracht – mithin „zugeführt“ – wird, dass das Anwickeln unter Mitwirkung der Drehbewegung der Manipuliervorrichtung, die sich zu diesem Zweck in der Position befindet, in der sie auf den aufzuwickelnden Faserstrang zugreifen kann („Anwickelposition“), beginnen kann. Dies geht beispielsweise auch aus dem Unteranspruch 4 (bzw. Abschnitt [0009]) hervor:
„Vorrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 3, wobei eine Verlegeeinrichtung (5) vorgesehen ist, mit der der Faserstrang (1) an den Formträger (3) heranführbar bzw. dem Formträger (2) zuführbar ist.“
Durch diese Bezugnahme auf das Wickelverfahren, welches das Klagepatent vor Augen hat, und das durch Anspruch 12 geschützt ist, hat dieses für den hier maßgeblichen Vorrichtungsanspruch 1, und insbesondere im Hinblick auf das hier streitige Merkmal, insoweit eine Bedeutung, als die Manipuliervorrichtung so ausgestaltet sein muss, dass sie den ihr nach dem streitigen Merkmal zugewiesenen Beitrag zum Anwickeln übernehmen kann.
Unter „Anwickeln“ versteht die Lehre des Klagepatents dabei eine erste Fixierung des Faserstrangs an dem Formträger, ohne dass der Faserstrang bereits vollständig auf den Formträger aufgewickelt ist. Dies folgt zum einen aus der Unterteilung des Wickelvorgangs in „Anwickeln“ und „Aufwickeln“, wie sie durch das Klagepatent beispielsweise in Abschnitt [0009],
„Zweckmäßigerweise wird der Faserstrang während des Anwickelns und während des Aufwickelns […]“,
und in Abschnitt [0012],
„Es empfiehlt sich, dass der Formträger sowohl beim Anwickelnvorgang als auch beim Aufwickelvorgang kontinuierlich in die gleiche Richtung rotiert […].“,
vorgenommen wird, sowie daraus, dass sich der Aufwickelvorgang nach der Vorstellung des Klagepatents an den Anwickelvorgang anschließt,
„An den Anwickelvorgang schließt der eigentliche Aufwickelvorgang an, […].“ (Abs. [0012] a. A.)
Dabei kommt es während eines (auf einen Formträger bezogenen) Wickelvorgangs zu keiner Unterbrechung des An- und Aufwickelvorgangs – was eine kontinuierliche Bereitstellung des aufzuwickelnden Faserstrangmaterials in Richtung des Formträgers voraussetzt; und zwar in dem Umfang, in dem, bzw. solange, wie das Material an den Formträger aufgewickelt werden soll. Dies beschreibt das Klagepatent nicht nur im Zusammenhang mit einzelnen Ausführungsbeispielen (Abs. [0009], [0012], [0017], [0021]), sondern dies findet eine Anknüpfung auch im Anspruchswortlaut, der von dem „Beginn eines Wickelvorgangs“ (Merkmal (1) (b) (cc)) und der „Beendigung eines Wickelvorgangs“ spricht. Aber auch die Aufgabe des Klagepatents, wonach eine hohe Wickelgeschwindigkeit bei gleichzeitiger Gewähr eines funktionssicheren Aufwickelvorgangs erzielt werden soll (Abs. [0003], [0018]), verlangt dies. Eine hohe Wickelgeschwindigkeit wird dabei insbesondere auch vor dem Hintergrund angestrebt, dass die geschützte Vorrichtung insbesondere auch für das Aufwickeln von Fasersträngen geeignet sein soll, die mit einem flüssigen Medium überzogen sind (Abs. [0003], [0018]) und die deshalb relativ schnell erhärten (Abs. [0018]). Dass eine hohe Wickelgeschwindigkeit klagepatentgemäß auch dadurch erzielt wird, dass das aufzuwickelnde Material während eines Wickelvorgangs ohne Unterbrechung bereitgestellt wird, lässt sich auch der Beschreibung des Klagepatents entnehmen,
„Der Erfindung liegt die Erkenntnis zugrunde, dass es für eine insgesamt hohe Wickelgeschwindigkeit und für ein funktionssicheres Aufwickeln eines Faserstrangs nicht schädlich ist, wenn der Vorgang beim Wechsel von einem Formträger zu dem anderen Formträger kurz unterbrochen wird bzw. wenn die kontinuierliche Zuführung des Faserstranges durch Festklemmen des Faserstrangs kurz unterbrochen wird.“,
wonach kurze Unterbrechungen bei dem Wechsel von einem zum anderen Formträger unschädlich sind. Im Übrigen, mithin insbesondere während des jeweiligen Wickelvorgangs, ist hingegen aus den bereits dargelegten Gründen ein einheitlicher Vorgang ohne Unterbrechung gewollt. An den Anwickelvorgang schließt sich nach der Vorstellung des Klagepatents schließlich der Schneidvorgang an, zu dessen Ausführung die Manipuliervorrichtung nach Merkmal (1) (b) (dd) eine Schneidposition einnehmen können soll.
Soweit die Beklagte aus dem Passus „zugeführtes Faserstrangende“ in dem Merkmal (1) (b) (cc) (i) ein einschränkendes Verständnis im Hinblick auf die Art und Weise des Zuführens des Faserstrangs an den Formträger ableitet, enthält das Klagepatent hierfür keine Anhaltspunkte. Schon bei einem rein sprachlich-philologischen Verständnis, bei welchem die Auslegung des Klagepatents ohnehin nicht verbleiben darf, ist nicht ersichtlich, wie sich eine Beschränkung auf ein bestimmtes Bereitstellungsverfahren des Faserstrangendes ergibt. Insbesondere kann daraus keine bestimmte Art und Weise der Spannungserzeugung („Ausüben einer Schubspannung auf den Faserstrang mit Hilfe einer geeigneten Mechanik, so dass der Faserstrang in Richtung auf den Formkörper geschoben wird“) entnommen werden.
Auch eine an der Funktion orientierte Betrachtung rechtfertigt dieses Verständnis nicht. Der Lehre des Klagepatents kommt es darauf an, dass der Faserstrang der Manipuliervorrichtung stetig über den Zeitraum des Wickelvorgangs bereitgestellt wird, so dass diese auf den Strang zugreifen und diesen anwickeln kann. Dies verlangt weder, dass das Faserstrangende unter Einsatz einer separaten Vorrichtung innerhalb eines Wickelvorgangs stets erst eine räumliche Distanz in Richtung Formträger überwinden muss, noch setzt dies voraus, dass eine Schubspannung auf den Faserstrang ausgeübt wird. Zwar greift der Verfahrensanspruch 12 in Form der Verlegeeinrichtung (5) eine konkrete Vorrichtung auf, die die Zufuhr des Faserstrangs bewirkt,
„In der Fig.1 ist weiterhin erkennbar, dass der Faserstrang 1 einem Formträger 2 mittels einer Verlegeeinrichtung 5 zuführbar ist.“ (Abs. [0021]).
Der hier maßgebliche interessierende Vorrichtungsanspruch enthält jedoch zum einen diese Beschränkung auf die Verlegeeinrichtung als Zuführvorrichtung nicht. Diese ist vielmehr erst Gegenstand des Unteranspruchs 4.
Zum anderen ist aber auch die Verlegeeinrichtung lediglich dadurch gekennzeichnet, dass der Faserstrang einmalig in die Nähe des Formträgers verbracht wird, indem eine räumliche Distanz überwunden wird, und im Anschluss daran der bereits in Richtung des Formträgers verbrachte Faserstrang in der Nähe des Formträgers verbleibt. Eine bestimmte Form der Spannungsausübung kann auch dem Einsatz der Verlegeeinrichtung nicht entnommen werden. Denn das Klagepatent beschreibt die Art und Weise, mit welcher die Verlegeeinrichtung den Faserstrang bereitstellt nicht genauer. Sofern die Beklagte – wie das als Anlage B4 vorgelegte Video (dort insbesondere Sequenz 01:08 – 01:14) zeigt – davon ausgeht, dass der Faserstrang durch eine motorangetriebene Vorrichtung „geschoben“ wird, legt die Beklagte schon nicht dar, dass der Fachmann diesen Vorgang typischerweise mit einer Verlegevorrichtung verbindet, und zeigt aber auch im Übrigen keine Anknüpfungspunkte im Klagepatent auf, aus denen sich ein solches Verständnis ergibt. Auch sofern, orientiert an dem in den Figuren 1 – 12 dargestellten Ausführungsbeispiel, der Faserstrang dadurch auf den Formträger verbracht wird, dass der Faserstrang auf einer Greifrolle 9 der Manipuliervorrichtung anliegt (vgl. Figuren 3 und 4 sowie Abs. [0025]), legt die Beklagte nicht dar, inwiefern dadurch auf den Faserstrang eine Schubspannung ausgeübt wird, die den Faserstrang auf den Formträger schiebt. Des Weiteren steht dieser Vorgang auch in keinem zwingenden Zusammenhang mit der Verlegeeinrichtung 5, sondern mit der Greifrolle 9, die – auch soweit der Verfahrensanspruch betroffen ist – lediglich Gegenstand eines konkreten Ausführungsbeispiels ist, in dem Anspruchswortlaut jedoch keine Erwähnung findet.
b)
Die Manipuliervorrichtung der angegriffenen Ausführungsform ist dazu geeignet, den ihr zur Verfügung gestellten Faserstrang durch eine mehrmalige Umdrehung um die Längsachse des Formträgers anzuwickeln, wie dies bereits unter Ziff. 1., lit. b) beschrieben worden ist. Dabei wird über eine Zugvorrichtung Fasermaterial von einer Materialquelle abgezogen und dieses unter Spannung auf den Formträger angewickelt. Zuführ- und Manipuliervorrichtung fallen bei der angegriffenen Ausführungsform mithin zusammen. Durch das Ziehen des Faserstranges wird der jeweils als nächstes anzuwickelnde Faserteil („Faserstrangende“) an den Formträger herangeführt, so dass ein stetiger Zuführvorgang feststellbar ist. Es ist deshalb auch unschädlich, dass – wie die Beklagte einwendet – die Zugvorrichtung das Faserstrangende bereits mitgenommen und eingeklemmt hat, bevor die Manipuliervorrichtung eine Anwickelposition einnimmt. Denn der Faserstrang wird jedenfalls auch bei Einnahme der Anwickelposition weiter zugeführt.
Sofern die Beklagte einer Merkmalsverwirklichung mit dem Einwand entgegentritt, dass ein kontinuierliches Zuführen des Faserstrangs nicht erfolge, sondern dieser nur „mitgenommen“ bzw. „gezogen“ werde, ist die Art und Weise des Zuführens für die Verwirklichung der klagepatentgemäßen Lehre ohne Bedeutung, solange – wie bei der angegriffenen Ausführungsform – innerhalb eines Wickelvorgangs das bereitgestellte Fasermaterial unter Einsatz der Manipuliervorrichtung an den Formträger angebracht wird.
III.
Es liegen auch Verletzungshandlungen der Beklagten im Sinne von § 9 Satz 2 PatG vor.
Insbesondere bietet die Beklagte die angegriffene Ausführungsform im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland an.
Ein Angebot im Sinne des § 9 Satz 2 PatG setzt kein Vertragsangebot im Sinne des § 145 BGB voraus. Umfasst sind vielmehr alle Handlungen, die nach ihrem objektiven Erklärungsgehalt einen schutzrechtsverletzenden Gegenstand der Nachfrage zur Verfügung stellen, oder das Zustandekommen eines Geschäfts über einen unter dem Schutz des Patents stehenden Gegenstand ermöglichen oder befördern sollen (Scharen, in: Benkard, PatG, Kommentar, 11. Auflage, 2015, § 9, Rn. 41).
Das ist vorliegend jedenfalls im Hinblick auf das bei der Internetplattform „H“ unter der Bezeichnung I: K“ (Anlage KAP11) eingestellte Video, welches die Sequenzen des als Anlage PBP6 vorgelegten Videos mit der Bezeichnung „I – J“ (Anlage PBP6) enthält, der Fall, weshalb es nicht darauf ankommt, ob die Beklagte darüber hinaus auch für den Abruf dieses als Anlage PBP6 vorgelegten Videos verantwortlich zeichnet.
Durch den screenshot von der Internetplattform „H“ (Schriftsatz der Klägerin v. 21.03.2017, S. 5; Bl. 72 GA) ist substantiiert dargelegt und in der Folge zwischen den Parteien auch unstreitig, dass die Beklagte auf der Internetplattform das Video mit der Bezeichnung „I: K (Anlage KAP11) zum Abruf, unter anderem auch in der Bundesrepublik Deutschland, bereithält.
Hieraus ergibt sich auch eine inländische Benutzungshandlung der Beklagten.
Eine solche setzt voraus, dass das Angebot einen wirtschaftlich relevanten Inlandsbezug hat, mithin insbesondere auch im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland abgerufen werden soll (Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 9. Auflage, 2017, Rn. D.18.). Davon ist auszugehen, jedenfalls der Konzern, dem die Beklagte angehört, liefert – wie im Hinblick auf die Veräußerung der angegriffenen Ausführungsform an die L M GmbH im Jahre 2010 dargelegt ist – grundsätzlich auch in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Die Bezeichnung des Videos ist, trotz der niederländischen Herkunft der Beklagten, mit einem englischen Titel bezeichnet, was für die zumindest europaweite Ausrichtung auch der Beklagten spricht. Weiter ist die Telefonnummer der Beklagten im Zusammenhang mit dem Video mit der Ländervorwahl +31 angegeben, was als weiteres Indiz für eine Kontaktaufnahme auch durch ausländische Interessenten spricht. Weiter ist zu berücksichtigen, dass auch die Internetseite der Beklagten (vgl. screenshot Anlage KAP10) sowie Werbebroschüren (Anlage KAP12) in englischer Sprache gehalten sind, und die Beklagte vom 19. – 21. September 2016 auf der Messe „B Europe 2016“ in N auftrat (vgl. Auszug aus dem Ausstellerverzeichnis, Anlage KAP13).
IV.
Die festgestellte Verletzung des Klagepatents rechtfertigt die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche.
1.
Der Unterlassungsanspruch (Klageantrag Ziff. I. 1.) folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. § 139 Abs. 1 PatG.
Eine festgestellte Benutzungsform rechtfertigt die Verurteilung wegen aller weiteren Handlungsalternativen wie dem Inverkehrbringen, Besitzen oder Einführen, auch wenn für sie kein konkreter Nachweis erbracht worden ist, soweit die betreffenden Benutzungsformen auch nach der Ausrichtung des Unternehmens als möglich in Betracht kommen (vgl, Kühnen, Rn. 1195; OLG Karlsruhe, Urt. v. 14.01.2009, Az.: 6 U 54/06). So ist es auch vorliegend. Zur Begründung wird auf die Ausführungen unter Ziff. III. verwiesen, diese geltend hier entsprechend.
2.
Der mit dem Klageantrag Ziff. I. 2. geltend gemachte Auskunftsanspruch steht der Klägerin gem. Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. § 140b Abs. 1, 3 PatG zu. Eine Unverhältnismäßigkeit der Auskunftserteilung im Sinne von § 140b Abs. 4 PatG ist von der insoweit darlegungsbelasteten Beklagten nicht vorgetragen, und auch im Übrigen nicht erkennbar.
Der mit dem Klageantrag Ziff. I. 3. geltend gemachte Rechnungslegungsanspruch besteht gem. Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. §§ 242, 259 BGB. Die Klägerin bedarf der Angaben, die sie mit dem Antrag begehrt und über die sie ohne eigenes Verschulden in Unkenntnis ist, um den ihr nach den unter Ziff. 3 und Ziff. 4. folgenden Ausführungen zustehenden Entschädigungs- und Schadensersatzanspruch geltend zu machen. Insbesondere soweit die Klägerin die Angaben zu lit. a) – d) bereits ab dem 08.11.2008 begehrt, ist dies vor dem Hintergrund, dass ihr ab diesem Zeitpunkt ein Entschädigungsanspruch zusteht, gerechtfertigt. Es ist schließlich auch nicht ersichtlich, dass die Beklagte durch die Rechnungslegung unzumutbar beeinträchtigt ist.
3.
Ein Entschädigungsanspruch (Klageantrag Ziff. II.) steht der Klägerin gem. Art. II § 1 Abs. 1 Satz 1 IntPatÜG zu.
Diese Vorschrift gewährt dem Anmelder einer veröffentlichten europäischen Patentanmeldung einen Entschädigungsanspruch gegenüber demjenigen, der den Gegenstand der Anmeldung benutzt hat, obwohl er wusste oder wissen musste, dass die von ihm benutze Erfindung, Gegenstand einer europäischen Patentanmeldung war. Vor dem Hintergrund, dass die Verfahrenssprache des Klagepatents deutsch ist, greift auch die Vorschrift des Art. II § 1 Abs. 2 IntPatÜG nicht, die den Entschädigungsanspruch auf den Zeitpunkt, ab dem eine europäische Patentanmeldung in deutscher Sprache veröffentlicht ist, verschiebt.
4.
Der Schadensersatzanspruch (Klageantrag Ziff. III.) steht der Klägerin in dem geltend gemachten Umfang gem. Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V m. § 139 Abs. 2 PatG zu.
Als Fachunternehmen hätte es der Beklagten oblegen, zu prüfen, ob die angebotenen und gelieferten Produkte patentverletzend sind. Bei einer entsprechenden Überprüfung wäre dies für sie auch ohne weiteres zu erkennen gewesen. Indem sie eine entsprechende Prüfung unterließ, hat die Beklagte die im Verkehr erforderliche Sorgfalt missachtet, § 276 Abs. 2 BGB.
Die Klägerin hat an der begehrten Feststellung auch das erforderliche rechtliche Interesse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO. Die Entstehung eines Schadens auf Seiten der Klägerin ist hinreichend wahrscheinlich. Eine Bezifferung dieses Schadens ist ihr nicht möglich, weil sie ohne Verschulden über die Informationen, die sie mit dem Klageantrag Ziff. I. 3. begehrt, in Unkenntnis ist.
5.
Der Rückrufanspruch (Klageantrag Ziff. VI.) besteht gem. Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. § 140a Abs. 3 PatG. Tatsachen, aufgrund derer sich ein Rückruf der angegriffenen Ausführungsform im Sinne von § 140a Abs. 4 PatG als unverhältnismäßig erweist, sind weder vorgetragen noch erkennbar.
6.
Ein Anspruch auf Abmahnkosten (Klageantrag Ziff. IV.) steht der Klägerin gem. Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. §§ 683 Satz 1, 677, 670 BGB zu.
a)
Die Einschaltung eines Patentanwalts, für welchen die Klägerin vorliegend die Erstattung von entstandenen Kosten begehrt, war in Anbetracht des streitgegenständlichen Sachverhalts erforderlich (vgl. zur grundsätzlichen Erforderlichkeit in patentrechtliche Fällen, Kühnen, ebd., Rn. C.42).
Es kann auch dahinstehen, ob – wie für die Vorschrift des § 93 ZPO vertreten (Kühnen, ebd., Rn. C.9) – die richtige Bezeichnung des Abgemahnten auch eine für die Kostenerstattung der vorgerichtlichen Abmahnung erforderliche Voraussetzung ist. Vorliegend ist zwar die Beklagte in dem Abmahnschreiben vom 25.06.2015 lediglich zusammenfassend als „I Group“ bezeichnet worden. Diese Bezeichnung kann auch eine der anderen Konzerngesellschaften erfassen („I O B.V.“, „I P B.V.“, „I Q Bs B.V.“). Jedoch hat die Beklagte auf die Abmahnung reagiert – wie das Schreiben vom 29.05.2015 (Anlagenkonvolut PBP8) zeigt. In diesem Fall ist die unrichtige (bzw. verallgemeinernde) Bezeichnung des Abgemahnten unschädlich (Kühnen, ebd., Rn. C.9).
b)
Der Aufwendungserstattungsanspruch besteht auch in der geltendgemachten Höhe.
Die Gebühren des Patentanwalts gegen die eigene Partei, die die Beklagte zu erstatten hat, bemessen sich nach dem RVG (Kaess, in: Busse, Patentgesetz, 8. Auflage, 2013, § 143, Rn. 132). Danach sind die den Anwälten für die im Rahmen des Abmahnverfahrens übernommenen Tätigkeiten zustehenden Gebühren nach dem Gegenstandswert der Angelegenheit zu bestimmen, der gem. § 23 Abs. 1 Satz 3 RVG, § 12 Abs. 1 GKG dem nach § 51 Abs.1 GKG zu bemessenden Streitwert eines gerichtlichen Hauptsachverfahrens entspricht, und der vorliegend angemessen mit EUR 250.000,- angesetzt worden ist.
Davon ausgehend bemessen sich die Kosten der patentanwaltlichen Tätigkeit nach den gesetzlichen Gebührenvorschriften, insbesondere nach §§ 13, 14 RVG i. V. m. Teil 3, Abschnitt 3, Nr. 2300 VV RVG. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang in Abweichung von der 1,3 Regelgebühr eine 1,5 Gebühr ansetzt, erscheint dies im Hinblick auf den im Zusammenhang mit patentrechtlichen Sachverhalten anfallenden Aufwand nicht schlechthin unangemessen. Die Beklagte wendet sich hiergegen auch nicht.
Eine Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen kann nach Teil 7 Nr. 7002 VV RVG in Ansatz gebracht werden.
Ausgehend von einem Gegenstandswert von 250.000,00 € und einer 1,5 Geschäftsgebühr ergibt sich dann folgende Berechnung:
1,5 x 2.253,00 € = 3.379,00 €
TK-Pauschale = 20,00 €
gesamt = 3.399,50 €
7.
Der im Hinblick auf die Abmahnkosten bestehende Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
V.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt, soweit die Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung (Tenor Ziff. V.) und des Aufwendungsersatzanspruchs (Tenor Ziff. IV.) betroffen sind, aus § 709 Satz 1, 2 und im Übrigen aus § 709 Satz 1 ZPO.
VI.
Der Streitwert wird gem. § 51 Abs. 1 GKG auf EUR 250.000,- festgesetzt.