4b O 137/14 – Schraubimplantate (1)

Düsseldorfer Entscheidungs Nr.: 2526

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 3. Mai 2016, Az. 4b O 137/14

I. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft darüber zu erteilen und unter Vorlage eines einheitlichen, geordneten Verzeichnisses darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie in der Zeit vom 17. Januar 2007 bis 20. September 2014

Schraubimplantate zur Befestigung von Zahnersatz am Kiefer, mit einem zumindest teilweise in den Kiefer eindrehbaren Implantatkörper, in dem ein Werkzeugaufnahmemittel zum Einschrauben des Implantats angeordnet ist und der eine Außenfläche aufweist, die an ihrem unteren Teil mindestens teilweise mit einem Außengewinde zur Bildung eines Gewindeabschnitts versehen ist und an einem oberen Teil einen gewindefreien Kopfabschnitt aufweist, wobei zwischen dem Kopfabschnitt und dem Gewindeabschnitt ein Mittelabschnitt mit einem Gewinde geringerer Tiefe und zylindrischem Kern angeordnet ist,

angeboten, in Verkehr gebracht oder gebraucht oder zu den genannten Zwecken entweder eingeführt oder besessen hat,

bei denen sich das Werkzeugaufnahmemittel zum Einschrauben des Implantats durch den Kopfabschnitt und mindestens über den größten Teil des Mittelabschnitts mit dem Gewinde geringerer Tiefe erstreckt,

und zwar unter Angabe

a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderen Vorbesitzer,

b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,

c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,

d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

wobei die Beklagte die Richtigkeit der Angaben nach lit. a) und b) durch Übermittlung entsprechender Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine nachzuweisen hat, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen,

und wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist.

II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die in Ziffer I. bezeichneten und in der Zeit vom 17. Januar 2008 bis 20. September 2014 begangenen Handlungen entstanden ist und künftig noch entstehen wird.

III. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.450,80 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.12.2014 zu zahlen.

IV. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

V. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

VI. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 75.000,00 EUR.
Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents 0 646 XXX B1 (nachfolgend: Klagepatent) Auskunft und Rechnungslegung, Feststellung der Schadensersatzpflicht und Zahlung außergerichtlich entstandener Anwaltskosten.

Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des Klagepatents, das am 20.09.1994 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 21.09.1993 angemeldet wurde. Der Hinweis auf die Patenterteilung wurde am 17.11.1999 veröffentlicht. Auf eine von dritter Seite erhobene Nichtigkeitsklage wurde das Klagepatent in der erteilten Fassung für nichtig erklärt und im Umfang des ersten Hilfsantrags der hiesigen Klägerin aufrechterhalten. Die geänderte Patentschrift mit der Nummer DE 594 08 XXX wurde am 07.12.2006 veröffentlicht. Die Schutzdauer des Klagepatents ist am 20.09.2014 abgelaufen.

Das Klagepatent betrifft ein Schraubimplantat. Der Klagepatentanspruch 1 lautet in der aufgrund des Nichtigkeitsverfahrens eingeschränkten Fassung:
„Schraubimplantat zur Befestigung von Zahnersatz am Kiefer, mit einem zumindest teilweise in den Kiefer eindrehbaren Implantatkörper, in dem ein Werkzeugaufnahmemittel (86) zum Einschrauben des Implantats angeordnet ist und der eine Außenfläche aufweist, die an ihrem unteren Teil mindestens teilweise mit einem Außengewinde zur Bildung eines Gewindeabschnitts (82) versehen ist und an einem oberen Teil einen gewindefreien Kopfabschnitt (84) aufweist, wobei zwischen dem Kopfabschnitt (84) und dem Gewindeabschnitt (82) ein Mittelabschnitt (83) mit einem Gewinde geringerer Tiefe und zylindrischem Kern angeordnet ist, dadurch gekennzeichnet, dass sich das Werkzeugaufnahmemittel (86) zum Einschrauben des Implantats durch den Kopfabschnitt (84) und mindestens über den größten Teil des Mittelabschnitts (83) mit dem Gewinde geringerer Tiefe erstreckt.“

Die nachstehend wiedergegebenen Figuren 1 und 3 stammen aus der Klagepatentschrift und zeigen einen stark vergrößerten Längsschnitt durch ein erfindungsgemäßes Schraubimplantat und eine vergrößerte Einzelheit III aus der Figur 1.
Die Beklagte vertreibt bundesweit unter der Bezeichnung „Revolution Implant“ Schraubimplantate (angegriffene Ausführungsform). Die nachstehende Abbildung gibt eine Schnittzeichnung der angegriffenen Ausführungsform wieder.
Mit rechts- und patentanwaltlichem Schreiben vom 15.09.2014 mahnte die Klägerin die Beklagte wegen des Vertriebs der angegriffenen Ausführungsform ohne Erfolg ab. Wegen der Einzelheiten des Schreibens wird auf die Anlage K 12 Bezug genommen. Die durch die Abmahnung entstandenen Anwaltskosten macht die Klägerin in Höhe von 11.606,80 EUR ausgehend von einem Gegenstandswert von 500.000,00 EUR geltend.

Die Klägerin ist der Auffassung, das Klagepatent sei durch den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform wortsinngemäß verletzt worden. Soweit der Implantatkörper im Mittelabschnitt einen zylindrischen Kern aufweise, beziehe sich dies auf die Außenkontur des Mittelabschnitts, nicht auf den Innenraum des Implantatkörpers. Die angegriffene Ausführungsform weise einen solchen zylindrischen Kern auf. Das Werkzeugaufnahmemittel sei bei der angegriffenen Ausführungsform nicht auf den Innensechskant beschränkt. Er umfasse auch Bereiche, in denen kein Formschluss zwischen Werkzeug und Implantatkörper erfolge, sondern lediglich die Einführung des Werkzeugs in den Implantatkörper erleichtert werde, etwa die konische Aufweitung im Kopfabschnitt der angegriffenen Ausführungsform.
Die Klägerin beantragt,

I. die Beklagte zu verurteilen,
– wie erkannt –

II. festzustellen,
– wie erkannt –

III. die Beklagte zu verurteilen, an sie 11.606,80 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.12.2014 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise Vollstreckungsschutz aus § 712 ZPO.
Die Beklagte ist der Auffassung, der im Klagepatentanspruch genannte zylindrische Kern sei vom herkömmlichen Gewindekern zu unterscheiden und sei als inneres Element zu verstehen. Im Inneren des Implantatkörpers müsse sich ein zylindrischer (Hohl-)Kern befinden. Ein Schraubimplantat wie die angegriffene Ausführungsform, bei dem sich der Kern nach oben hin weite, sei vom Schutzumfang des Klagepatents nicht erfasst. Außerdem weise die angegriffene Ausführungsform kein Werkzeugaufnahmemittel auf. Als solches sei ein Mittel anzusehen, das eine Drehmomentübertragung durch Formschluss mit einem Schraubwerkzeug erlaube. Der Innensechskant der angegriffenen Ausführungsform erstrecke sich jedoch nicht durch den Kopfabschnitt und mindestens über den größten Teil des Mittelabschnitts.

Im Übrigen hält die Beklagte die Abmahnkosten jedenfalls für übersetzt, weil die Abmahnung erst wenige Tage vor Ablauf der Schutzdauer des Klagepatents erfolgte und daher der Gegenstandswert von 500.000,00 EUR zu hoch angesetzt sei. Gleiches gelte für die 1,8 Geschäftsgebühr. Der Vollstreckungsschutzantrag liege darin begründet, dass die zu erteilende Auskunft eine Maßnahme darstelle, die nicht mehr rückgängig gemacht werden könne.
Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist weit überwiegend begründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung, Schadensersatz dem Grunde nach aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. §§ 139 Abs. 2, 140b Abs. 1 und 3 PatG, §§ 242, 259 BGB. Der Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform stellt eine unmittelbare Verletzung des Klagepatents dar. Desweiteren besteht ein Anspruch auf Zahlung von außergerichtlich entstandenen Abmahnkosten in Höhe von 5.450,80 EUR aus §§ 683 S. 1, 677, 670 BGB nebst Zinsen.

I.
Das Klagepatent betrifft ein Schraubimplantat zur Befestigung von Zahnersatz am Kiefer gemäß dem Oberbegriff des Anspruchs 1. Ein entsprechendes Schraubimplantat – so die Klagepatentschrift – sei aus der US-A-5 000 686 bekannt. Zur Befestigung von Zahnersatz am Kiefer würden Schraubimplantate größtenteils in eine vorgefertigte Aufnahmebohrung im Kiefer eingeschraubt. Bekannte Schraubimplantate der vorgenannten Art verfügten insbesondere im Kopfbereich über eine Gestaltung, die beim Einsetzen in die Aufnahmebohrung des Kiefers zu Verquetschungen führe, die ein die Einheilung des Schraubimplantats in dem Kiefer verzögerndes Trauma hervorrufen könnten. Schließlich böten die bekannten Schraubimplantate vielfach nur einen unzureichenden Halt im Kiefer.

Hiervon ausgehend liegt der Erfindung die Aufgabe (das technische Problem) zugrunde, ein Schraubimplantat zu schaffen, das sich leicht in den Kiefer einsetzen lässt und hierin sowohl rasch als auch fest einheilt.

Zur Lösung schlägt das Klagepatent ein Schraubimplantat mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1 in der eingeschränkten Fassung vor, die nachstehend in gegliederter Form wiedergegeben sind:

1. Schraubimplantat zur Befestigung von Zahnersatz am Kiefer, mit einem zumindest teilweise in den Kiefer eindrehbaren Implantatkörper;
2. in dem Implantatkörper ist ein Werkzeugaufnahmemittel (86) zum Einschrauben des Implantats angeordnet;
3. der Implantatkörper weist eine Außenfläche auf,
a) die an ihrem unteren Teil mindestens teilweise mit einem Außengewinde zur Bildung eines Gewindeabschnitts (82) versehen ist und
b) an einem oberen Teil einen gewindefreien Kopfabschnitt (84) aufweist,
c) wobei zwischen dem Kopfabschnitt (84) und dem Gewindeabschnitt (82) ein Mittelabschnitt (83) mit einem Gewinde geringerer Tiefe und zylindrischem Kern angeordnet ist;
4. das Werkzeugaufnahmemittel (86) zum Einschrauben des Implantats erstreckt sich
a) durch den Kopfabschnitt (84) und
b) mindestens über den größten Teil des Mittelabschnitts (83) mit dem Gewinde geringerer Tiefe.

In der Klagepatentschrift wird ausgeführt, dass eine Ausgestaltung des Mittelabschnitts mit einem Gewinde geringerer Tiefe es ermögliche, dass am Übergang zum gewindelosen Kopfteil das Zahnfleisch infolge der geringeren Gewindetiefe weniger aufgeweitet bzw. vorgespannt werde, wodurch es am Mittelabschnitt des Schraubimplantats dichtend anliege. Dadurch werde verhindert, dass während des Einheilprozesses des Implantats in den Kiefer Bakterien und sonstige Verunreinigungen in einen Spalt zwischen Schraubimplantat und Kiefer bzw. Zahnfleisch eindringen. Daneben werde durch die verringerte Gewindetiefe der Kerndurchmesser am Mittelabschnitt vergrößert, so dass eine größere Wandstärke zur Verfügung stehe. Dies ermögliche eine leichtere Unterbringung eines Werkzeugaufnahmemittels, insbesondere eines Innensechskants, im Inneren des Schraubimplantats.
II.
Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht sämtliche Merkmale des Klagepatentanspruchs 1. Dies ist zwischen den Parteien für die Merkmale 1, 2, 3, 3a) und 3b) zu Recht unstreitig. Die angegriffene Ausführungsform weist aber auch einen Mittelabschnitt mit einem Gewinde geringerer Tiefe und zylindrischem Kern gemäß Merkmal 3c) sowie ein Werkzeugaufnahmemittel im Sinne der Merkmalsgruppe 4 auf.

1.
Mit dem im Merkmal 3c) erwähnten zylindrischen Kern beschreibt der Klagepatentanspruch die Außenkontur des Mittelabschnitts des Implantatkörpers am Flankengrund des Gewindes.

a)
Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Klagepatentanspruchs, wonach der Implantatkörper gemäß der Merkmalsgruppe 3 eine Außenfläche aufweist mit einem Gewindeabschnitt, einem Kopfabschnitt und einem dazwischen angeordneten Mittelabschnitt. Die Außenfläche des Implantatkörpers im Bereich des Mittelabschnitts ist durch das Gewinde geringerer Tiefe und den zylindrischen Kern gekennzeichnet. Das Innere des Implantatkörpers beschreibt der Klagepatentanspruch hingegen als Werkzeugaufnahmemittel. Es ist mit der Systematik des Anspruchs nicht vereinbar, das Werkzeugaufnahmemittel mit dem an anderer Stelle in Bezug auf die äußere Gestaltung des Implantatkörpers erwähnten zylindrischen Kern ganz oder teilweise gleichzusetzen.

b)
Auch in der Beschreibung des Klagepatents wird der Begriff des Kerns durchweg dafür verwendet, die Außenkontur des Gewindeabschnitts und des Mittelabschnitts am Flankengrund des Gewindes zu beschreiben (Abs. [0014] der Anlage K 1). Der Kerndurchmesser d bzw. dm ist in der Figur 3 wiedergegeben und bezieht sich auf die Außenkontur. Wenn zudem der Kerndurchmesser dm über die gesamte Länge des Mittelabschnitts 83 gleich ist (Abs. [0015] der Anlage K 1), wird damit gerade der zylindrische Kern des Mittelabschnitts beschrieben. Soweit dort desweiteren alternativ von einer Vergrößerung des Kerndurchmessers über die Länge des Mittelabschnitts die Rede ist, bezieht sich dies auf ein nicht erfindungsgemäßes Ausführungsbeispiel. Die gleichen Zusammenhänge ergeben sich im Übrigen aus den Unteransprüchen 2 und 3.

c)
Die Funktion der zylindrischen Tiefe besteht in Abgrenzung zu einer konischen Form darin, dass im Zusammenwirken mit der im Vergleich zum Gewindeabschnitt verringerten Gewindetiefe eine nahezu gleichbleibende, größere Wandstärke im Mittelabschnitt erreicht wird, die es ermöglicht, das Werkzeugaufnahmemittel tiefer im Inneren des Implantatkörpers unterzubringen (Abs. [0004] und [0017] der Anlage K 1).

d)
Soweit sich die Beklagte zur Begründung ihrer Auslegung auf das im Nichtigkeitsverfahren ergangene Urteil des BGH vom 25.04.2006 beruft, führt dies zu keiner anderen Auslegung. Der Sinngehalt des Klagepatentanspruchs erfährt durch die Entscheidungsgründe des Nichtigkeitsurteils des BGH keine Änderung, selbst wenn der BGH unter dem zylindrischen Kern des Implantatkörpers dessen Innenraum verstanden haben sollte.

Wenn einzelne Patentansprüche im Einspruchs-, Beschränkungs- oder Nichtigkeitsverfahren geändert worden sind, ist der neue Wortlaut des betreffenden Patentanspruchs die maßgebliche Grundlage für die Auslegung, und die behördlichen oder gerichtlichen Entscheidungsgründe für die Beschränkung ergänzen oder ersetzen die den betreffenden Anspruch erläuternde Beschreibung (BGH GRUR 2007, 778 – Ziehmaschinenzugeinheit; Benkard/Scharen, PatG 11. Aufl.: § 14 Rn 26 m.w.N.). Aber nur solche Teile der Entscheidungsgründe vermögen die Beschreibung des Patentanspruchs zu beschränken oder zu ersetzen, auf denen der Erfolg der Nichtigkeitsklage beruht. Die die Abweisung einer weitergehenden Nichtigkeitsklage behandelnden Gründe stehen der Beschreibung hingegen nicht gleich. Sie erläutern, warum das Patent Bestand und die Nichtigkeitsklage keinen Erfolg hat. Deshalb besteht grundsätzlich kein Bedürfnis dafür, sie an die Stelle der Beschreibung treten zu lassen (BGH GRUR 2007, 778, 780 – Ziehmaschinenzugeinheit). Im Übrigen erlaubt der Umstand, dass die sich mit der Teilabweisung befassenden Entscheidungsgründe des Nichtigkeitsurteils den Sinngehalt eines die Erfindung allgemein kennzeichnenden Patentanspruchs im Sinne einer Auslegung unter seinen Wortlaut einschränken, keine einschränkende Auslegung dieses Patentanspruchs wie bei sich aus Beschreibung oder Zeichnungen des Patents ergebenden Beschränkungen (BGH GRUR 2007, 778 – Ziehmaschinenzugeinheit). Das Verletzungsgericht hat das Klagepatent insofern selbstständig auszulegen und ist weder rechtlich noch tatsächlich an die Auslegung durch den BGH in einem das Klagepatent betreffenden Patentnichtigkeitsverfahren gebunden (BGH GRUR 2015, 972 – Kreuzgestänge).

Der BGH hat in dem Urteil vom 25.04.2006 ausgeführt, der Fachmann habe ausgehend von der US-Patentschrift 5 000 686 zwei Möglichkeiten, die Eingriffsmöglichkeit tiefer zu gestalten, nämlich das glatte Kopfteil zu verlängern oder den zylindrischen Kern zu vergrößern (S. 13 der Anlage K 3). Diese Textstelle findet sich nicht in dem den (Teil-)Erfolg der Nichtigkeitsklage begründenden Teil der Entscheidungsgründe, sondern betrifft die Abweisung der weitergehenden Nichtigkeitsklage. Darüber hinaus kann der zitierten Textstelle schon nicht eindeutig entnommen werden, ob der BGH mit dem von ihm verwendeten Begriff des inneren Kerns auch den im Klagepatentanspruch erwähnten inneren Kern meinte. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, ist der technische Wortsinn des Klagepatentanspruchs aufgrund der vorgenannten Gründe dahingehend zu verstehen, dass der zylindrische Kern die Außenkontur des Mittelabschnitts am Flankengrund des Gewindes beschreibt.

e)
Da die angegriffene Ausführungsform unstreitig einen Mittelabschnitt mit zylindrischer Außenkontur am Flankengrund aufweist, verwirklicht sie das Merkmal 3c).

2.
Begrifflich ist unter einem „Werkzeugaufnahmemittel zum Einschrauben des Implantats“ im Sinne des Klagepatents jede räumlich-körperliche Gestaltung zu verstehen, die der Aufnahme eines Werkzeugs dient und einen Formschluss zwischen dem Werkzeug und dem die Aufnahme formenden Körper ermöglicht, so dass mittels des Werkzeugs ein Drehmoment auf den Implantatkörper übertragen werden kann. Gerade die Zweckbestimmung „zum Einschrauben“ spricht dafür, dass das Werkzeugaufnahmemittel zur Aufbringung eines Drehmoments geeignet sein muss. Beispielhaft beschreibt das Klagepatent, dass das Werkzeugaufnahmemittel als Innensechskant ausgebildet sein kann (Abs. [0004], [0017] und Unteranspruch 5).

Allerdings muss nicht der Innenraum des Implantatkörpers über den gesamten Kopfabschnitt und den größten Teil des Mittelabschnitts als Werkzeugaufnahmemittel ausgebildet sein. Soweit sich das Werkzeugaufnahmemittel durch den Kopfabschnitt über den größten Teil des Mittelabschnitts erstrecken soll, kann der Wortlaut des Klagepatentanspruchs auch dahingehend verstanden werden, dass das Werkzeugaufnahmemittel jedenfalls in dieser Tiefe im Inneren des Implantatkörpers angeordnet sein soll. Bei funktionaler Betrachtung ist es jedenfalls nicht erforderlich, die für das Drehmoment erforderlichen Angriffsflächen über die gesamte Länge der Innenbohrung des Implantatkörpers zu erstrecken. Dem Klagepatent geht es vielmehr darum, das Werkzeugaufnahmemittel vom Kopfteil in das Innere des Implantatkörpers zu verlegen. Dafür dient die Ausbildung eines Mittelabschnitts mit einem Gewinde geringerer Tiefe (Abs. [0004] und [0017] der Anlage K 1), weil dadurch – zusammen mit der Zylinderform des Kerns – die Wandstärke auch im unteren Bereich des Mittelabschnitts hinreichend groß ist.

Dieses Verständnis der Merkmalsgruppe 4 wird durch die Beschreibung des Klagepatents bestätigt. Die Klagepatentschrift führt aus, dass der Innensechskant von der oberen Stirnseite des Schraubimplantats ausgeht und sich über den gesamten Kopfabschnitt erstreckt (Abs. [0017] der Anlage 1). Tatsächlich ist aber der obere Teil des Kopfabschnitts zunächst als ein sich nach unten verjüngender Kegelstumpf ausgebildet (Abs. [0008] und Fig. 1 der Anlage K 1). Demnach geht auch das Klagepatent nicht davon aus, dass sich das der Drehmomentübertragung dienende Werkzeugaufnahmemittel – hier in Form eines Innensechskants – tatsächlich über den gesamten Kopfabschnitt und den größten Teil des Mittelabschnitts erstrecken muss. Diese Zusammenhänge werden auch aus den Unteransprüchen 5 bis 7 deutlich. Gemäß Unteranspruch 5 ist das Werkzeugaufnahmemittel als Innensechskant ausgebildet. Rückbezogen allein auf Unteranspruch 5 soll sich der Innensechskant (und damit das Werkzeugaufnahmemittel) gemäß Unteranspruch 6 geringfügig unterhalb der kieferaußenseitigen Stirnseite des Implantatkörpers befinden. Allgemein kann gemäß Unteranspruch 7 zwischen der Stirnseite des Implantatkörpers und dem Innensechskant der Unteransprüche 5 und 6 eine kegelstumpfförmige Aufweitung vorhanden sein. Letztlich genügt es daher, wenn jedenfalls in der unteren Hälfte des Mittelabschnitts ein Werkzeugaufnahmemittel angeordnet ist.

Eine andere Auslegung, wonach das Werkzeugaufnahmemittel unmittelbar an der Stirnseite des Kopfabschnitts beginnt und sich bis in den unteren Teil des Mittelabschnitts erstreckt, stände im Widerspruch zu den Unteransprüchen 5 bis 7 und hätte zudem zur Folge, dass die Ausführungsbeispiele des Klagepatents nicht erfindungsgemäß sind. Davon kann grundsätzlich nicht ausgegangen werden (BGH GRUR 2015, 972 – Kreuzgestänge).

Die angegriffene Ausführungsform weist unstreitig einen Innensechskant auf. Dieser erstreckt sich über die gesamte Länge des Mittelabschnitts. Dass der Innensechskant im oberen Bereich des Mittelabschnitts noch nicht vollständig ausgebildet ist, sondern lediglich seine Ecken, während der Innenraum des Implantatkörpers im Bereich der sechs Seiten des Innensechskants weiterhin konisch zuläuft, ist unbeachtlich. Der Klagepatentanspruch gibt die räumlich-körperliche Form des Werkzeugaufnahmemittels nicht vor. Es genügt jede Möglichkeit eines Formschlusses, so dass ein Drehmoment auf das Schraubimplantat aufgebracht werden kann. Dies ist bei der angegriffenen Ausführungsform auch im oberen Bereich des Mittelabschnitts der Fall und die Merkmalsgruppe 4 verwirklicht.

III.
Da die Beklagte zur Benutzung der patentgemäßen Lehre nicht berechtigt ist, ergeben sich die nachstehenden Rechtsfolgen.

1.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte dem Grunde nach einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 139 Abs. 2 PatG.

Da die Klägerin den ihr entstandenen Schaden nicht konkret beziffern kann und ohne eine rechtskräftige Feststellung der Schadensersatzpflicht die Verjährung von Schadensersatzansprüchen droht, besteht das für die Zulässigkeit des Feststellungsantrags gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse.

Die Beklagte ist zum Schadensersatz verpflichtet, weil sie die Patentverletzung schuldhaft beging. Als Fachunternehmen hätte sie die Patentverletzung bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest erkennen können, § 276 BGB. Es ist auch nicht unwahrscheinlich, dass der Klägerin durch die Patentverletzung ein Schaden entstanden ist.

2.
Der Klägerin steht gegen die Beklagten auch ein Anspruch auf Rechnungslegung und Auskunft aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 140b Abs. 1 PatG, §§ 242, 259 BGB zu. Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstands unmittelbar aus § 140b Abs. 1 PatG, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 140b Abs. 3 PatG. Die weitergehende Auskunftspflicht und die Verpflichtung zur Rechnungslegung folgen aus §§ 242, 259 BGB, damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch zu beziffern. Die Klägerin ist auf die tenorierten Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt, und die Beklagten werden durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet.

IV.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte schließlich einen Anspruch auf Erstattung der ihr entstandenen Abmahnkosten in Höhe 5.450,80 EUR aus §§ 683 S. 1, 677, 670 BGB nebst Zinsen aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB.

1.
Der Berechnung der Abmahnkosten ist ein Gegenstandswert von 100.000,00 EUR zugrunde zu legen. Mit dem Abmahnschreiben vom 15.09.2015 machte die Klägerin fünf Tage vor Ablauf der Schutzdauer des Klagepatents ihren Anspruch auf Unterlassung geltend. Trotz des überaus kurz bevorstehenden Ablaufs der Schutzdauer und der entsprechend eng bemessenen Frist zur Erwiderung auf die Abmahnung kann dieser ihre Erforderlichkeit nicht abgesprochen werden. Dagegen wendet sich auch die Beklagte nicht. Allerdings hält die Beklagte einen Gegenstandswert von 500.000,00 EUR für die Abmahnung zu Recht für zu hoch angesetzt. Denn dieser Wert ausschließlich für den Unterlassungsanspruch berücksichtigt in keiner Weise die Restlaufzeit von nur fünf Tagen im Zeitpunkt der Abmahnung. Der Gegenstandswert ist stattdessen mit 100.000,00 EUR zu bemessen.

Vorliegend hat die Klägerin den Streitwert für die Anträge auf Auskunft und Schadensersatz mit 100.000,00 EUR angegeben. Dieser Streitwertangabe der Klägerin kommt für die Festsetzung in diesem Rechtsstreit überragendes Gewicht bei (vgl. Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 8. Aufl.: Kap. J Rn 119). Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Angabe ersichtlich zu niedrig oder offensichtlich überhöht ist, so dass es geboten ist, die Klägerin an ihrer eigenen Streitwertangabe festzuhalten. Dieser Wert ist auch für den Gegenstandswert der Abmahnung in Ansatz zu bringen. Denn in Fällen, in denen das Patent während eines Rechtsstreits aufgrund des Ablaufs der gesetzlichen Schutzdauer wirkungslos wird, hat dies regelmäßig keinen Einfluss auf den Streitwert. Der bisherige Unterlassungsanspruch schlägt mit dem Auslaufen des Patents in einen Schadensersatzanspruch um (OLG Düsseldorf InstGE 11, 175 – Sitzheizung). Im Streitfall kann nichts anderes gelten, auch wenn die Schutzdauer bereits vor Klageerhebung ablief. Denn das wirtschaftliche Interesse der Klägerin an einer Unterlassungsverpflichtung unmittelbar vor Ablauf der Schutzdauer unterscheidet sich allenfalls marginal von dem Interesse an der Auskunft und der Feststellung der Schadensersatzpflicht für den Zeitraum der Wirksamkeit des Klagepatents.

2.
Eine 1,8 Geschäftsgebühr jeweils für die Tätigkeit eines Patentanwalts und einer Rechtsanwältin hält die Kammer für angemessen. Gemäß Ziffer 2300 VV zum RVG kann eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Davon ist in Patentstreitsachen, wie sie vorliegend gegeben ist, typischerweise auszugehen, so dass eine Gebühr von 1,5 regelmäßig als angemessen angesehen werden kann. Das gilt auch im Streitfall, zumal vorliegend mehrere Merkmale des Klagepatentanspruchs seitens der Beklagten bestritten sind. Die Festsetzung der Anwaltsgebühr auf eine 1,8 Geschäftsgebühr ist hinzunehmen, weil diese einen Toleranzbereich von 20 % des jedenfalls angemessenen Satzes nicht überschreitet (vgl. Kühnen: Hb. d. Patentverletzung Kap. C Rn 48). Nach alledem ergibt sich zuzüglich einer Auslagenpauschale von 20,00 EUR ein Betrag von 2.725,40 EUR jeweils für den Patentanwalt und die Rechtsanwältin, zusammen 5.450,80 EUR.

V.
Der nicht nachgelassene Schriftsatz vom 10.03.2016 enthält keinen weiteren Tatsachenvortrag. Ebenso wenig zeigt er neue rechtliche Gesichtspunkte auf, mit denen sich die Entscheidungsgründe nicht bereits auseinandersetzen. Für die weiteren von der Beklagten zitierten Textstellen aus dem Urteil des BGH im Nichtigkeitsverfahren gelten die vorangehenden Erwägungen in gleicher Weise. Die Ausführungen der Beklagten zum Werkzeugaufnahmemittel sind im Hinblick auf die hier vertretene Auslegung unbeachtlich.

VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 ZPO. Dem von der Beklagten hilfsweise geltend gemachten Vollstreckungsschutzantrag war nicht stattzugeben, da sie die Voraussetzungen des § 712 Abs. 1 ZPO weder dargelegt, noch gemäß § 714 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht hat. Die von der Beklagten geschilderten Nachteile gehen nicht über die typischerweise mit einer Verurteilung zur Auskunftserteilung verbundenen Nachteile hinaus und vermögen den Vollstreckungsschutzantrag nicht zu begründen.
Streitwert: 100.000,00 EUR