Düsseldorfer Entscheidungs Nr.: 2475
Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 17. Dezember 2015, Az. 4c O 67/14
I. Die Beklagten werden verurteilt,
1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, er-satzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle mehrfacher Zuwiderhandlungen bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an ihrem jeweiligen Geschäftsführer (Beklagte zu 1)) bzw. Präsidenten (Beklagte zu 2)) zu vollstrecken ist, zu unterlassen,
Steuereinrichtungen in einem Fahrzeug, die mit einem halbautomatischen Getriebe verbunden und für dessen Betätigung vorgesehen sind, in mehrere Gangwechsel-Funktionsstellungen einstellbar sind und in mindestens einer Gangwechsel-Funktionsstellung für Vorwärtsfahrt betätigbar sind, damit ein Gangwechsel stattfindet,
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
bei denen die Steuereinrichtung auch mit einer zusätzli-chen Retarderbremse verbunden und zu deren Betätigung vorgesehen ist;
2. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die vorstehend zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 09. November 2002 begangen worden sind, und zwar unter Angabe
a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeug-nisse sowie der Namen und Anschriften der Her-steller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen (sowie ggf. Ty-penbezeichnungen) sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,
c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach An-gebotsmengen, -zeiten und -preisen (sowie ggf. der Typenbezeichnungen) sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungs-zeitraum und Verbreitungsgebiet sowie bei Inter-netwerbung der Schaltungszeiträume, der Internet-adressen sowie der Zugriffszahlen,
e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufge-schlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei
die Angaben zu e) nur für die Zeit seit dem 07. Mai 2004 zu machen sind und
wobei die Beklagten hinsichtlich der Angaben zu a) und b) Kopien der Rechnungen vorzulegen haben (sofern nicht vorhanden: Kopien der Lieferscheine, hilfsweise Bestellscheine), in denen geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
3. (nur die Beklagte zu 1)) die in der Bundesrepublik Deutschland im unmittelbaren oder mittelbaren Besitz bzw. Eigentum der Beklagten zu 1) befindlichen Erzeug-nisse gemäß Ziffer I.1. zu vernichten;
4. (nur die Beklagte zu 1)) die vorstehend unter Ziffer I.1. be-zeichneten, seit dem 30. April 2006 im Besitz gewerblicher Abnehmer befindlichen Erzeugnisse zurückzurufen, indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagte oder mit deren Zustimmung Besitz an diesen Erzeugnissen eingeräumt wurde, schriftlich darüber informiert werden, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des deutschen Teils des EP 1 246 XXX B 1 erkannt hat, ihnen ein ernsthaftes Angebot zur Rücknahme dieser Erzeugnisse durch die Beklagte unterbreitet wird und den Dritten für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Erstattung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises bzw. eines sonstigen Äquivalents für die zurückgerufenen Erzeugnisse sowie die Übernahme der Verpackungs- und Transport- bzw. Versendungskosten für die Rückgabe zugesagt wird, und wobei die Beklagte ver-pflichtet ist, die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen.
III. Es wird festgestellt,
1. dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin für die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen, die in der Zeit vom 09. November 2002 bis zum 06. Mai 2004 begangen wurden, eine angemessene Entschädigung zu zahlen,
2. dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 07. Mai 2004 began-genen Handlungen entstanden ist und künftig noch ent-stehen wird.
III. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten.
IV. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung hinsichtlich des Tenors zu Ziffer I.1., 3. und 4. in Höhe von 950.000,- €, hinsichtlich der Tenors zu Ziffer I.2. in Höhe von insgesamt 50.000,- sowie hinsichtlich der Kosten in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Die Sicherheit kann auch durch eine unwiderrufliche, unbedingte, unbefristete und selbstschuldnerische Bürgschaft einer in der Europäischen Union als Zoll- oder Steuerbürgin anerkannten Bank oder Sparkasse erbracht werden.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen der Verletzung des deutschen Teils DE 600 09 XXX T 2 des Europäischen Patents 1 246 XXX B1 (im Folgenden: Klagepatent, Anlage K 1, deutsche Übersetzung Anlage K 1a) in Anspruch.
Die Klägerin ist ausschließliche und allein verfügungsberechtigte Inhaberin des Klagepatents. Die zugrunde liegende Anmeldung des Klagepatents erfolgte am 21. Dezember 2000 und wurde am 09. Oktober 2002 durch das Europäische Patentamt veröffentlicht. Die Veröffentlichung der Erteilung des Klagepatents erfolgte am 07. April 2004. Der deutsche Teil des Klagepatents steht in Kraft. Die Beklagten haben mit Schriftsatz vom 30. Januar 2015 Nichtigkeitsklage vor dem Bundespatentgericht erhoben, über die derzeit noch nicht entschieden ist.
Das Klagepatent betrifft eine Steuereinrichtung in einem Fahrzeug. Der für den vor-liegenden Rechtsstreit allein maßgebliche Patentanspruch 1 lautet in der deutschen Übersetzung:
Steuereinrichtung (6) in einem Fahrzeug, die mit einem halbautomati-schen Getriebe verbunden und für dessen Betätigung vorgesehen ist, in mehrere Gangwechsel-Funktionsstellungen einstellbar ist und in mindestens einer Gangwechsel-Funktionsstellung für Vorwärtsfahrt betätigbar ist, damit ein Gangwechsel stattfindet, dadurch gekennzeichnet, dass die Steuereinrichtung (6) auch mit einer zusätzlichen Retarderbremse verbunden und zu deren Betätigung vorgesehen ist.
Wegen des Wortlauts der lediglich insbesondere geltend gemachten Ansprüche 2 bis 4 sowie 7, 8 und 12 wird auf die Klagepatentschrift verwiesen.
Die nachfolgend wiedergegebene (verkleinerte) Zeichnung veranschaulicht den Gegenstand der Erfindung anhand eines Ausführungsbeispiels.
Figur 3 stellt eine Steuereinrichtung nach der Erfindung dar, die an einer Lenksäule befestigt ist.
Die Beklagte zu 2) stellt her und vertreibt LKWs mit der Bezeichnung „A B“ mit Steu-ereinrichtungen (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform). Die Beklagte zu 1) ist die inländische Vertriebstochter der Beklagten zu 2).
Die Beklagte zu 2) präsentierte den LKW „A B“ im Rahmen der Leistungsschau „C 2014“ in D vom 25. September 2014 bis zum 02. Oktober 2014 auf ihrem Messe-stand und wurde dabei von Mitarbeitern der Beklagten zu 1) unterstützt. Die Beklagte zu 1) wies zudem gemäß der Anlagen WKS 7 und WKS 8 auf die Präsentation des LKWs „A B“ auf der Messe hin.
Nachfolgend wiedergegeben wird die von der Klägerin als Anlage K 6 vorgelegte Photographie der angegriffenen Ausführungsform, welche die Klägerin mit Bezeichnungen versehen hat.
Während der obere Hebel zur Betätigung der optionalen Retarderbremsfunktion und zur manuellen Gangwahl sowie zum Wechsel zwischen dem manuellen und dem automatischen Modus eingesetzt werden kann, steuert der untere Hebel die Fahrprogramme D/DM=Drive (Vorwärtsfahrt), N=Neutral und R/RM=Reverse (Rückwärtsfahrt). Der obere Hebel kann um die Lenksäule herum aus der Retarder-Nullstellung, bei der keine Bremswirkung erzeugt wird, auf vier verschiedene Bremswirkungsgrade eingestellt werden, die – je weiter der Hebel im Uhrzeigersinn bewegt wird – eine gesteigerte Bremswirkung zur Verfügung stellen. Ferner kann der Fahrer durch Zug oder Druck (parallel zur Lenksäule) auf den oberen Hebel manuell die Getriebeübersetzung wählen, wobei jeweils ein Ziehen an dem oberen Hebel das Getriebe einen Gang hoch schaltet („UP:GEAR+“) und ein Drücken des Hebels das Getriebe einen Gang runter schaltet („DN:GEAR-“). Der ausgewählte Gang wird dann vom Getriebesteuerprogramm halbautomatisch (ohne dass der Fahrer eine Kupplung betätigen muss) eingelegt. Darüber hinaus verfügt der obere Hebel über einen Druckknopf am äußeren Ende der Grifffläche, mit welchem der Fahrer zwischen automatischer und manueller Gangwahl wechseln kann („A/M“).
Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagten hätten die angegriffene Ausführungsform auf der Messe in D angeboten. Sie behauptet hierzu, unter den Besuchern der Messe C 2014 habe sich unter anderem Herr E von der in F ansässigen G GmbH befunden, der Photographien von der angegriffenen Ausführungsform gefertigt habe (vgl. Anlage WKS 15).
Überdies mache die angegriffene Ausführungsform von der Lehre des Klagepa-tentanspruchs 1 wortsinngemäßen Gebrauch. Unter den Begriff „Gangwechsel-Funktionsstellungen“ seien der automatische Gangwechsel und der manuelle Gangwechsel zu fassen. Diese können bei der angegriffenen Ausführungsform mit dem oberen Hebel eingestellt werden. Die Steuereinrichtung der angegriffenen Ausführungsform sei auch in mindestens einer Gangwechsel-Funktionsstellung, nämlich der manuellen Funktionsstellung, für Vorwärtsfahrt betätigbar, da durch ein Ziehen an dem oberen Hebel das Getriebe einen Gang hoch („UP:GEAR+“) und durch ein Drücken des Hebels das Getriebe einen Gang runter („DN:GEAR-“) geschaltet werden könne.
Die Klägerin beantragt,
I. die Beklagten zu verurteilen,
1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, er-satzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle mehrfacher Zuwiderhandlungen bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an ihrem jeweiligen Geschäftsführer (Beklagte zu 1) bzw. Präsidenten (Beklagte zu 2) zu vollstrecken ist, zu unterlassen,
Steuereinrichtungen in einem Fahrzeug, die mit einem halbautomatischen Getriebe verbunden und für dessen Betätigung vorgesehen sind, in mehrere Gangwechsel-Funktionsstellungen einstellbar sind und in mindestens einer Gangwechsel-Funktionsstellung für Vorwärtsfahrt betätigbar sind, damit ein Gangwechsel stattfindet,
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
bei denen die Steuereinrichtung auch mit einer zusätzli-chen Retarderbremse verbunden und zu deren Betätigung vorgesehen ist (Anspruch 1);
2. ihr darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die vorstehend zu Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 09.11.2002 begangen worden sind, und zwar unter Angabe
a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeug-nisse sowie der Namen und Anschriften der Her-steller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen (sowie ggf. Ty-penbezeichnungen) sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,
c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach An-gebotsmengen, -zeiten und -preisen (sowie ggf. der Typenbezeichnungen) sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungs-zeitraum und Verbreitungsgebiet sowie bei Inter-netwerbung der Schaltungszeiträume, der Internet-adressen sowie der Zugriffszahlen,
e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufge-schlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei
die Angaben zu e) nur für die Zeit seit dem 07.05.2004 zu machen sind und
wobei die Beklagten hinsichtlich der Angaben zu a) und b) Kopien der Rechnungen vorzulegen haben (sofern nicht vorhanden: Kopien der Lieferscheine, hilfsweise Bestellscheine), in denen geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
II. die Beklagte zu 1. zu verurteilen,
1. die in der Bundesrepublik Deutschland im unmittelbaren oder mittelbaren Besitz bzw. Eigentum der Beklagten be-findlichen Erzeugnisse gemäß Ziffer I. 1. zu vernichten;
2. die vorstehend unter Ziffer I. 1. bezeichneten, seit dem 30.04.2006 im Besitz gewerblicher Abnehmer befindlichen Erzeugnisse zurückzurufen, indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagte oder mit deren Zustimmung Besitz an diesen Erzeugnissen eingeräumt wurde, schriftlich darüber informiert werden, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des deutschen Teils des EP 1 246 XXX B 1 erkannt hat, ihnen ein ernsthaftes Angebot zur Rücknahme dieser Erzeugnisse durch die Beklagte unterbreitet wird und den Dritten für den Fall der Rückga-be der Erzeugnisse eine Erstattung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises bzw. eines sonstigen Äqui-valents für die zurückgerufenen Erzeugnisse sowie die Übernahme der Verpackungs- und Transport- bzw. Ver-sendungskosten für die Rückgabe zugesagt wird, und wobei die Beklagte verpflichtet ist, die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen;
III. festzustellen,
1. dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin für die zu I. 1. bezeichneten Handlungen, die in der Zeit vom 09.11.2002 bis zum 06.05.2004 begangen wurden, eine angemessene Entschädigung zu zahlen,
2. dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu Ziffer I. 1. bezeichneten, seit dem 07.05.2004 began-genen Handlungen entstanden ist und künftig noch ent-stehen wird.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise, den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Erledigung der gegen den deutschen Teil DE 600 09 XXX des europäischen Patentes EP 1 246 XXX B 1 erhobenen Nichtigkeitsklage auszusetzen.
Die Beklagten rügen die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Düsseldorf. Ein deliktisches Handeln sei nicht gegeben, da der LKW „A B“ weder für den deutschen noch für den europäischen Markt vorgesehen sei. Unerheblich sei, dass die Beklagte zu 2) den LKW „A B“ im Rahmen der Leistungsschau „C 2014“ in D präsentiert habe, da weder Verkaufsangebote noch Verkaufsprospekte für das betreffende Modell verbreitet oder verteilt worden seien. Zudem sei von den Mitarbeitern vor Ort kommuniziert worden, dass der betreffende LKW nicht in Deutschland erhältlich sei. Ein deliktisches Handeln der Beklagten zu 1) scheide aus, da diese nicht Ausstellerin auf der Messe war. Darüber hinaus hätten, soweit am Verkaufsstand Mitarbeiter der Beklagten zu 1) anwesend waren, diese sich nicht an der Präsentation des B beteiligt, keine Angaben zum Fahrzeug gemacht und kein Werbematerial zu diesem verteilt.
Darüber hinaus sind die Beklagten der Ansicht, unter dem Begriff „Gangwechsel-Funktionsstellungen“ seien die Fahrprogramme R=rückwärts, N=neutral und D=Fahrt (Drive) zu verstehen und beziehen sich insoweit auf die Absätze [0023] und [0025] sowie auf den Unteranspruch 5 des Klagepatents. Unter der „Gangwechsel-Funktionssstellung für Vorwärtsfahrt“ seien die Stellungen „D“ oder „DM“ zu verstehen, die durch den unteren Hebel gesteuert werden. Im Übrigen werde sich das Klagepatent in dem Nichtigkeitsverfahren als nicht rechtsbeständig erweisen.
Die Kammer hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 19. November 2015 durch Vernehmung des Zeugen E. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 19. November 2015 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie auf die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
I.
Das Landgericht Düsseldorf ist sowohl im Hinblick auf die Beklagte zu 1) örtlich als auch im Hinblick auf die Beklagte zu 2) örtlich und international zuständig.
Die örtliche und bezüglich der Beklagten zu 2) auch die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts folgt aus § 32 ZPO. Danach ist für Klagen aus unerlaubten Handlungen das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist. Zur Begründung der Zuständigkeit ist erforderlich, dass der Kläger schlüssig Tatsachen behauptet, aus denen sich das Vorliegen einer im Gerichtsbezirk begangenen unerlaubten Handlung ergibt (Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 30. Auflage, § 32, Rn. 19). Darauf, ob positiv festgestellt werden kann, dass die schlüssig vorgetragenen Handlungen tatsächlich begangen wurden, kommt es im Rahmen der Prüfung der Zuständigkeit nicht an.
Im Patentverletzungsverfahren bedeutet dies, dass die örtliche und gegebenenfalls auch die internationale Zuständigkeit dann gegeben sind, wenn eine Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr einer Handlung im Sinne des § 9 PatG im Bezirk des angerufenen Gerichts besteht. Vorliegend hat die Klägerin solche Tatsachen bezüglich beider Beklagten schlüssig vorgetragen, und zwar im Hinblick auf ein Anbieten im Sinne von § 9 PatG.
Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts folgt aus dem Vortrag der Klägerin im Zusammenhang mit den Geschehnissen auf der C, die im Jahr 2014 in D stattgefunden hat. Der diesbezügliche Vortrag der Klägerin begründet nicht nur ein Anbieten der angegriffenen Ausführungsform (A B) auf der Messe selbst, sondern auch in Nordrhein-Westfalen, mithin im Bezirk des angerufenen Gerichts.
1.
Der Begriff des Anbietens ist rein wirtschaftlich zu verstehen. Er umfasst jede im Inland begangene Handlung, die nach ihrem objektiven Erklärungswert den Gegenstand der Nachfrage in äußerlich wahrnehmbarer Weise zum Erwerb der Verfügungsgewalt bereitstellt (BGH, GRUR 2006, 927 – Kunststoffbügel; OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.02.2014 – I-2 U 42/13; OLG Karlsruhe, GRUR 2014, 59; Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 7. Aufl. 2014, Rn. 195; Schulte/Rinken/Kühnen, Patentgesetz, 9. Aufl. § 9 Rn. 52). Daher ist das Ausstellen von Waren auf einer inländischen Fachmesse ein Anbieten im Sinne dieser Vorschrift, soweit es sich nicht ausnahmsweise um die Teilnahme an einer reinen Leistungsschau handelt (Kühnen, a.a.O. Rn 200; Schulte/Rinken/Kühnen, a.a.O. § 9 Rn. 54). Maßgeblich ist nur, ob mit der fraglichen Handlung tatsächlich eine Nachfrage nach einem schutzrechtsverletzenden Gegenstand geweckt wird, die zu befriedigen mit dem Angebot in Aussicht gestellt wird (OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.02.2014 – I-2 U 42/13). Davon ausgehend werden von einem „Anbieten“ im Sinne von § 9 PatG insbesondere auch vorbereitende Handlungen umfasst, die das Zustandekommen eines späteren Geschäfts über einen unter dem Schutz des Patents stehenden Gegenstand ermöglichen oder befördern sollen, das die Benutzung dieses Gegenstands einschließt. Dies kann derart geschehen, dass Interessenten Gebote auf Überlassung abgeben können (BGH, GRUR 2003, 1031 – Kupplung für optische Geräte). Genau dies geschieht jedoch regelmäßig auf einer Fachmesse: Die Aussteller verfolgen mit ihren Präsentationen den Zweck, Geschäftsbeziehungen mit interessierten Messebesuchern zu knüpfen und ihre Produkte zu verkaufen. Sie präsentieren ihre Produkte in der Erwartung, dass sie von den Messebesuchern nachgefragt werden. Das Ausstellen ist bestimmt und dazu geeignet, Interesse an den Produkten zu wecken und auf diese bezogene Geschäftsabschlüsse zu ermöglichen, was für ein Anbieten gemäß § 9 PatG aus-reicht (vgl. insgesamt OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.03.2014, I-15 U 19/14, Rn. 50 ff.).
Nach dem schlüssigen Klägervortrag haben beide Beklagten die angegriffene Aus-führungsform auf der C 2014 im patentrechtlichen Sinne angeboten. Denn die Be-klagte zu 2) hat als Standmieterin, unterstützt von Mitarbeitern der Beklagten zu 1), auf ihrem Stand auf der Messe C 2014 die angegriffene Ausführungsform ausge-stellt, und zwar ohne in unmittelbarer räumlicher Nähe dazu einen Hinweis vorzusehen, nach dem die angegriffene Ausführungsform nicht für den deutschen Markt angeboten werde. Der Hinweis, dass die angegriffene Ausführungsform außerhalb Europas vertrieben werde, umfasst keine Angaben zu einem möglichen künftigen Vertrieb in Deutschland. Zudem hat die Klägerin schlüssig dargelegt, dass es sich bei dieser Messe nicht um eine reine Leistungsschau handelt, sondern jedenfalls auch um eine Verkaufsmesse. Soweit die Beklagten vortragen, soweit am Verkaufsstand Mitarbeiter der Beklagten zu 1) anwesend waren, hätten diese sich jedenfalls nicht an der Präsentation des B beteiligt, keine Angaben zum Fahrzeug gemacht und kein Werbematerial zu diesem verteilt, ist der Vortrag nicht hinreichend substantiiert. Es bleibt offen, welche Aufgaben die Mitarbeiter der Beklagten zu 1) konkret wahrgenommen haben und wie die Arbeitsteilung ausgestaltet war. Vielmehr kann nicht ausgeschlossen werden, dass nicht doch Mitarbeiter der Beklagten zu 1) Fragen zu der angegriffenen Ausführungsform beantwortet haben. Jedenfalls haben sich die Mitarbeiter der Beklagten zu 1) nicht deutlich von dem Angebot distanziert, so dass der Eindruck erweckt wurde, die Beklagte zu 1) sei auch an einem etwaigen Vertrieb des B beteiligt. Darüber hinaus wies die Beklagte zu 1) gemäß der Anlagen WKS 7 und WKS 8 selbst auf die Prä-sentation des LKWs „A B“ auf der Fachmesse hin.
2.
Der Klägervortrag im Zusammenhang mit dem Ausstellen der angegriffenen Ausführungsform auf der Messe C 2014 begründet auch eine Zuständigkeit des angerufenen Gerichts, das in Patentstreitsachen für Handlungen, die in Nordrhein-Westfalen begangen wurden, zuständig ist. Denn in Fällen des Angebotes befindet sich der Begehungsort der unerlaubten Handlung sowohl am Absende- als auch am Empfangsort (Kühnen, a.a.O. Rn. 885). Im Falle der Einschaltung einer Mit-telsperson kann sich der Empfangsort am Sitz des Geschäftsherrn befinden, auf dessen wirtschaftliche Entscheidung mit dem Angebot eingewirkt werden soll (Kühnen, a.a.O. Rn. 889). Damit im Prozess ein weiterer inländischer Angebotsort angenommen werden kann, bedarf es konkreter Anhaltspunkte, die vom Kläger vorzutragen sind (Kühnen, a.a.O. Rn. 891). Diesen Anforderungen ist vorliegend genüge getan. Denn die Klägerin hat schlüssig dargelegt, dass eine Vielzahl von Personen aus NRW die C 2014 besucht hat. Darunter befand sich der Zeuge E von der in F ansässigen G GmbH, welcher im Rahmen der Beweisaufnahme sowohl seine Anwesenheit auf der C bestätigt hat als auch den Umstand, dass er die als Anlage WKS 15 vorgelegten Photographien der angegriffenen Ausführungsform gefertigt hat. Er bekundete überdies, dass er sich für die angegriffene Ausführungsform interessiert hat.
Dass die Beklagten auf der Messe bezüglich der angegriffenen Ausführungsform kein Prospektmaterial verteilt haben sollen und Interessenten auf Nachfrage haben erklären lassen, die angegriffene Ausführungsform sei nicht für den deutschen Markt bestimmt, ändert nichts daran, dass der Betrachter, der sich bei einem Messerundgang über die Angebote der anwesenden Aussteller interessiert, den Eindruck erhält, die angegriffene Ausführungsform sei, wie die weiteren am Stand der Beklagten zu 2) ausgestellten Fahrzeuge, auch für den deutschen Markt bestimmt. Es fehlte an einem deutlichen Hinweis in unmittelbarer räumlicher Nähe der angegriffenen Ausführungsform – der für jedermann sichtbar war –, nach dem diese nicht für den deutschen Markt angeboten werde. Der Umstand, dass der Zeuge E Photographien von der angegriffenen Ausführungsform gefertigt hat, dokumentiert, dass jedenfalls die Möglichkeit bestand, dieses Fahrzeug auch am Sitz seines Arbeitgebers näher zu diskutieren und Überlegungen hinsichtlich eines geschäftlichen Kontakts anzustellen. Dies genügt nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen den Anforderungen an einen (zweiten) Empfangsort des Angebots der angegriffenen Ausführungsform im Sinne von § 9 PatG.
II.
Die Klage ist begründet.
1.
Das Klagepatent betrifft eine Steuereinrichtung in einem Fahrzeug.
Einleitend führt das Klagepatent aus, dass, damit sich der Fahrer eines Fahrzeuges auf die Straße konzentrieren kann, möglichst viele Steuerungen und Funktionen am oder nahe dem Lenkrad angeordnet sein sollten.
Eine der vom Fahrer häufig benutzten Steuerungen ist der Gangwählhebel. Aus dem Stand der Technik ist ein Gangwählhebel für ein halbautomatisches Getriebe bekannt. Der Hebel kann in Längsrichtung des Fahrzeugs bewegt werden, um mehrere Funktionsstellungen einzustellen. Die Stellungen sind vorgesehen für manuelle Gangwahl (M), automatische Gangwahl (A), neutral (N) und Rückwärtsfahrt (R). In den Stellungen M und A kann der Hebel für Gangwechsel rechtwinklig zur Längsrichtung des Fahrzeuges bewegt werden. Der Hebel ist üblicherweise neben dem Fahrersitz, oberhalb des Motortunnels angeordnet. Dies bedeutet, dass der Fahrer eine Hand vom Lenkrad wegnehmen muss, um den Gangwählhebel zu betätigen.
Viele Schwerfahrzeuge sind mit einer hydraulischen Zusatzbremse ausgerüstet, die mit dem Getriebe verbunden ist, einem sogenannten Retarder, wie er aus der EP 0 507 745 bekannt ist. Ein Retarder besteht aus zwei in einem Gehäuse angeordneten Flügelrädern, von denen eines befestigt ist und das andere sich mit einer der Geschwindigkeit des Fahrzeugs proportionalen Drehzahl dreht. Durch Hineinpumpen von Hydrauliköl in den engen Spalt zwischen den Flügelrädern entsteht ein Widerstand, der ein Bremsmoment auf die Antriebswellen ausübt. Die Bremswirkung des Retarders wird vom Fahrer mittels eines Hebels gesteuert, der in bestimmten Anwendungen allmählich zum Fahrer hin gezogen werden kann, wodurch die Bremswirkung in dem Maß zunimmt, wie der Hebel sich dem Fahrer nähert. Eine übliche Anordnung dieses Hebels ist auf dem Instrumentenbrett. Diese zwingt den Fahrer, seinen Arm zu heben, um den Hebel zu erreichen, wenn er ihn benutzen möchte. Diese Bewegung kann als unbequem und schwierig empfunden werden und somit dazu beitragen, dass der Retarder nicht im wünschenswerten Ausmaß benutzt wird. Es gibt auch Retarderhebel, die am Lenkrad angeordnet sind. Es wird vom dem Klagepatent als wünschenswert angesehen, auch den Gangwählhebel am Lenkrad anzuordnen. Ein Problem beim Verlagern mehrerer Steuerungen und Hebel auf das Lenkrad, wo beispielsweise Blinker- und Scheibenwischerhebel schon angeordnet sind, besteht darin, dass der Bereich eng bestückt und somit nicht leicht zugänglich ist.
Die EP 0 875 698 B 1 zeigt einen Getriebeschalthebel, der mit zusätzlichen Knöpfen zum Betätigen der Motorbremse ausgebildet ist. Als Möglichkeit wird auch die Betätigung eines Retarders über die Schaltknöpfe erwähnt. Der Hebel wird als herkömmlicher Schalthebel angeordnet, der von der Fahrerhand mit den vorstehend geschilderten Nachteilen umgriffen wird.
Vor diesem Hintergrund formuliert es das Klagepatent als technische Aufgabe (Ab-satz [0005] des Klagepatents), die genannten Nachteile zu beseitigen und eine neue multifunktionale Steuereinrichtung zu schaffen, die sowohl den Gangwählhebel wie den Retarderhebel ersetzt, wodurch sich eine größere Fahrsicherheit und eine bessere Ergonomie für den Fahrer ergeben.
Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent in seinem vorliegend geltend gemachten Anspruch 1 eine Steuereinrichtung mit folgenden Merkmalen vor:
1. Steuereinrichtung in einem Fahrzeug;
2. die Steuereinrichtung ist mit einem halbautomatischen Getriebe ver-bunden und für dessen Betätigung vorgesehen;
3. die Steuereinrichtung ist in mehrere Gangwechsel-Funktionsstellungen einstellbar;
4. die Steuereinrichtung ist in mindestens einer Gangwechsel-Funktionsstellung für Vorwärtsfahrt betätigbar, damit ein Gangwechsel stattfindet;
5. die Steuereinrichtung ist auch mit einer zusätzlichen Retarderbremse verbunden und zu deren Betätigung vorgesehen.
2.
Die angegriffene Ausführungsform macht von der technischen Lehre des An-spruchs 1 des Klagepatents in wortsinngemäßer Weise Gebrauch.
Zwischen den Parteien steht – zu Recht – allein die Verwirklichung der Merkmale 3 und 4 in Streit, so dass sich Ausführungen zu den weiteren Merkmalen erübrigen.
a)
Merkmal 3 sieht vor, dass die Steuereinrichtung in mehrere Gangwechsel-Funktionsstellungen einstellbar ist.
Entgegen der Ansicht der Beklagten versteht das Klagepatent unter dem Begriff der „Gangwechsel-Funktionsstellungen“ den automatischen und manuellen Gangwechsel und nicht – wie die Beklagten meinen – die Fahrprogramme R=rückwärts, N=neutral und D=Fahrt (Drive).
Das Klagepatent selbst definiert den Begriff der Gangwechselfunktionsstellung nicht ausdrücklich. Das Klagepatent verwendet erstmals in Absatz [0002] den Begriff „Funktionsstellungen“. Dort heißt es: „Der Hebel kann in Längsrichtung des Fahrzeugs bewegt werden, um mehrere Funktionsstellungen einzustellen. Die Stellungen sind vorgesehen für manuelle Gangwahl (M), automatische Gangwahl (A), neutral (N) und Rückwärtsfahrt (R). In den Stellungen M und A kann der Hebel für Gangwechsel rechtwinklig zur Längsrichtung des Fahrzeugs bewegt werden.“. Auch nimmt der Absatz [0002] Bezug auf verschiedene Gangwahl-Möglichkeiten. In den Absätzen [0016] bis [0018] wird auf den Stand der Technik Bezug genommen, welcher in Figur 1 der Klagepatentschrift zeichnerisch wiedergegeben ist. Dieser zeigt einen an der Mittelkonsole lenkradfern angeordneten Schalthebel zur Auswahl verschiedener Gangwechsel (vgl. Abs. [0016]). In diesem Zusammenhang wird ausgeführt, dass der Fahrer dann das gewünschte Fahrprogramm auswählt, nämlich manuell (M), automatisch (A), neutral (N) und rückwärts(R). In Abs. [0017] heißt es a.E. dann weiter, dass um heraus- oder herunter zu schalten der Hebel nach links bzw. nach rechts quer zur Längsrichtung des Fahrzeugs bewegt wird. „Ein Gangwechsel ist unabhängig vom eingestellten Fahrprogramm (R, N, A oder M) möglich.“
Dem in Bezug genommenen und beschriebenen Stand der Technik entnimmt der Fachmann, dass der Schalthebel in allen, in Fahrtrichtung hintereinander angeordneten Stellungen (R, N, A und M) eine Gangwechselbetätigung (quer zur Fahrtrichtung) zum Hochschalten oder Herunterschalten (+ oder -) vorsieht. Hieraus erschließt sich dem Fachmann, dass mit dem Begriff „Gangwechsel-Funktionsstellungen“ im Sinne der Erfindung nach dem Klagepatent verschiedene Stellungen gemeint sein können, die verschiedene Funktionen haben und innerhalb dieser jeweiligen Funktionsstellung ein Gangwechsel möglich ist. Dies ist sowohl bei der manuellen als auch bei der automatischen Gangwahl der Fall.
Es soll mit dem Merkmal 3 – wie auch Merkmal 4 – erreicht werden, dass der Hebel zunächst in eine Gangwechsel-Funktionsstellung versetzt wird, in der eine Vorwärtsfahrt erfolgen kann, bevor der Hebel dann zum Gangwechsel selbst betätigt werden kann. Dabei wird im Anspruch 1 des Klagepatentes gerade nicht festgelegt, dass die Gangwechselfunktionsstellung zwingend eines der 3 von z.B. 5 der in Figur 1 gezeigten, möglichen Fahrprogramme betreffen muss. Merkmal 3 spricht insoweit lediglich von mehreren Gangwechsel-Funktionsstellungen. Die Fahrprogramme R, N und D sind erst Gegenstand des abhängigen Anspruchs 5. Dies hat zur Folge, dass Anspruch 1 auch andere Ausführungen umfasst, nämlich solche bei denen die Auswahl zwischen der Gangwechselfunktionsstellung „manuell“ und der Gangwechselfunktionsstellung „automatisch“ erfolgen kann, wobei in mindestens einer eine Vorwärtsfahrt erfolgen kann (Merkmal 4).
Soweit der Absatz [0023] des Klagepatents auf den Begriff Fahrstellung Bezug nimmt, ist dies erkennbar etwas anderes, nämlich die Einstellung, wie gefahren wird, mithin, ob rückwärts, neutral oder vorwärts und steht der obigen Auslegung nicht entgegen. Denn die einzelnen beschriebenen Programme: vorwärts, rückwärts usw. stellen danach die Fahrstellungen dar, nicht indes die Gangwechsel. Soweit es im Absatz [0025] des Klagepatents heißt: „[..] um jedes beliebige der Fahrprogramme (Rückwärts, Neutral und Fahrt) zu wählen. Wenn das Fahrprogramm gewählt ist, wird zwischen manuell und automatisch umgeschaltet, indem auf das Ende des Hebels (14) gedrückt wird. Da das Umschalten zwischen manuell und automatisch der häufigste Fahrprogrammwechsel ist, wird der drehbare Abschnitt (13) verhältnismäßig selten verwendet.“, zeigt dies nur, dass das Umschalten zwischen manuell und automatisch erfolgt, wenn das Fahrprogramm gewählt ist, steht dem vorstehenden Verständnis jedoch nicht entgegen.
Der obigen Auslegung steht – wie ausgeführt – auch nicht entgegen, dass es in dem Patentanspruch 5 heißt: „Steuereinrichtung nach Patentanspruch 4, dadurch gekennzeichnet, dass der Hebel (6) einen Abschnitt (13,18) umfasst, der um die Längsachse des Hebels drehbar ist, um gewünschte Gangwechsel-Funktionsstellungen einzustellen, und dass dieser Abschnitt (13,18) schrittweise in mindestens eine Rückwärtsstellung, eine neutrale Stellung und eine Fahrstellung gedreht werden kann.“. Dem Anspruch 5 kann nicht – wie die Beklagten meinen – entnommen werden, dass mit dem Begriff Gangwechsel-Funktionsstellungen allein die Fahrprogramme R=rückwärts, N=neutral und D=Fahrt (Drive) im Rahmen des Automatikbetriebes gemeint sind. Denn aus den Absätzen [0028] und [0030] des Klagepatent ergibt sich, dass das Klagepatent mit „Fahrstellung“ nicht allein das Fahrprogramm D=Fahrt (Drive) meint, sondern auch Manuell oder Automatisch. Denn in Absatz [0028] heißt es: „Der erste (18) dient zum Einstellen des gewählten Fahrprogramms (Rückwärts, Neutral, Manuell oder Automatisch).“. Auch in Absatz [0030] heißt es: „[…] in vier Stellungen (Rückwärts, Neutral, Manuell und Automa-tisch“. Vielmehr nimmt Anspruch 5 des Klagepatents allein auf die Fahrprogramme R, N und D Bezug, schließt aber nicht auch andere Fahrprogramme aus, so dass dem nicht entgegensteht, dass Anspruch 1 auch andere Fahrprogramme erfasst.
Bei der angegriffenen Ausführungsform können die „Gangwechsel-Funktionsstellungen“ automatischer Gangwechsel und manueller Gangwechsel mit dem oberen Hebel eingestellt werden, so dass das Merkmal 3. verwirklicht ist.
b)
Auch erfüllt die angegriffene Ausführungsform Merkmal 4 in wortsinngemäßer Wei-se.
Merkmal 4) sieht vor, dass die Steuereinrichtung in mindestens einer Gangwechsel-Funktionsstellung für Vorwärtsfahrt betätigbar ist, damit ein Gangwechsel stattfindet.
Demnach ist gemäß der obigen Auslegung erforderlich, dass die Steuereinrichtung zumindest im manuellen oder aber im Automatikbetrieb derart in Vorwärtsfahrt betä-tigt werden kann, dass ein Gangwechsel stattfindet. Soweit die Beklagten dem ent-gegen setzen, unter der „Gangwechsel-Funktionsstellung für Vorwärtsfahrt“ seien die Stellungen „D“ oder „DM“ zu verstehen, die durch den unteren Hebel (Hebel 2) gesteuert werden, greift dies zu kurz, wie die vorstehenden Ausführungen zeigen.
Die Steuereinrichtung der angegriffenen Ausführungsform ist in mindestens einer Gangwechsel-Funktionsstellung, nämlich der manuellen Funktionsstellung, für Vorwärtsfahrt derart betätigbar, das ein Gangwechsel stattfindet, da durch ein Ziehen an dem oberen Hebel das Getriebe einen Gang hoch („UP:GEAR+“) und durch ein Drücken des Hebels das Getriebe einen Gang runter („DN:GEAR-“) geschaltet werden kann.
III.
Aus der festgestellten Schutzrechtsverletzung ergeben sich die zuerkannten Kla-geansprüche wie folgt:
Die Beklagten sind der Klägerin im tenorierten Umfang zur Unterlassung ihrer Angebots- und Vertriebshandlungen verpflichtet (Art. 64 EPÜ, §§ 139 Abs. 1, 9 PatG).
Mit Rücksicht auf die bereits vorgefallenen Angebots- und Vertriebshandlungen haften die Beklagten der Klägerin gemäß Art. 64 EPÜ, § 139 Abs. 2 PatG auf Schadenersatz, da sie schuldhaft gehandelt haben. Als Fachunternehmen hätten die Beklagten dies bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt erkennen können (§ 276 BGB). Die genaue Schadenshöhe steht derzeit noch nicht fest. Die Klägerin hat deshalb ein rechtliches Interesse daran, dass die Schadenersatzhaftung der Beklagten zunächst dem Grunde nach festgestellt wird (§ 256 ZPO). Für die Zeit nach Offenlegung schulden die Beklagten für die unmittelbare Patentverletzung Entschädigung nach Art. II § 1 IntPatÜG.
Die Beklagte zu 1) ist gemäß Art. 64 EPÜ, § 140a Abs. 1 und 3 PatG zum Rückruf und Vernichtung der im Tenor näher beschriebenen Erzeugnisse verpflichtet. Ein Anspruch auf Rückruf der patentverletzenden Erzeugnisse besteht – wie von der Klägerin beantragt – hinsichtlich ab dem 30. April 2006 vertriebener Erzeugnisse.
IV.
Es besteht keine Veranlassung zur Aussetzung des Rechtsstreits bis zur (rechtskräftigen) Entscheidung über die von den Beklagten erhobene Nichtigkeitsklage.
Nach Auffassung der Kammern (Mitt. 1988, 91 – Nickel-Chrom-Legierung, BlPMZ 1995, 121 – Hepatitis-C-Virus), die durch das Oberlandesgericht Düsseldorf (GRUR 1979, 188 – Flachdachabläufe; Mitt. 1997, 257, 258 – Steinknacker) und den Bun-desgerichtshof (GRUR 1987, 284 – Transportfahrzeug; GRUR 2014, 1237 ff. – Kurz-nachrichten) bestätigt wurde, stellen ein Einspruch gegen das Klagepatent oder die Erhebung der Nichtigkeitsklage als solche noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen, da dies faktisch darauf hinauslaufen würde, dem Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beizumessen, die dem Gesetz fremd ist (§ 58 Abs. 1 PatG). Die Interessen der Par-teien sind vielmehr gegeneinander abzuwägen.
Die Entscheidung des für die Entscheidung über den Verletzungsvorwurf zuständi-gen Gerichts über eine (hilfsweise) beantragte Aussetzung des Verletzungsverfah-rens bis zu einer Entscheidung im Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren ist des-halb eine Prognoseentscheidung. Das zur Einspruchs- oder Nichtigkeitsentschei-dung berufene Organ, das im Gegensatz zum Verletzungsgericht technisch fach-kundig besetzt ist, ist nicht an eine Einschätzung des Verletzungsgerichts zum Rechtsbestand des Klagepatents gebunden. Indes muss, soll dem vor dem oder parallel zum Verletzungsprozess erhobenen Einspruch bzw. der entsprechenden Nichtigkeitsklage nicht regelmäßig eine hemmende Wirkung zukommen, das Verletzungsgericht die gegen den Rechtsbestand des Klagepatents vorgebrachten Entgegenhaltungen darauf prüfen, ob sie – allein aus der Perspektive des Verletzungsgerichts – einen Widerruf bzw. eine Vernichtung des Klagepatents hinreichend wahrscheinlich erscheinen lassen. Ist dies nicht der Fall, so verdient das Interesse des Patentinhabers an einer alsbaldigen Durchsetzung seiner – zeitlich ohnehin begrenzten – Rechte aus dem Patent den Vorrang vor dem Interesse der Gegenpartei, nicht aus einem Patent verurteilt zu werden, das sich möglicherweise später als nicht rechtsbeständig erweist. Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für einen Widerruf oder eine Vernichtung des Klagepatentes wiederum kann regelmäßig dann nicht angenommen werden, wenn der ihm am nächsten kommende Stand der Technik bereits im Erteilungsverfahren berücksichtigt worden ist oder wenn neuer Stand der Technik lediglich belegen soll, dass das Klagepatent nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, sich jedoch auch für eine Bejahung der Erfindungshöhe, die von der wertenden Beurteilung der hierfür zuständigen Instanzen abhängt, zumindest noch vernünftige Argumente finden lassen.
In Anwendung dieser Grundsätze ist eine Aussetzung des Rechtsstreits, wie von den Beklagten beantragt, nicht geboten. Es erscheint nicht hinreichend wahrscheinlich, dass der Rechtsbestand des Klagepatentes vor dem Hintergrund der erhobenen Einwendungen verneint wird.
1.
Im Hinblick auf die DE 44 46 XXX A1 (Anlage CC 13.1, nachfolgend D1) D1 besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass dieser der Neuheit der Lehre nach dem Klagepatent entgegen steht. Die D1 bezieht sich auf ein vollautomatisches Getriebe. Sie betrifft ein Verfahren und eine Anordnung zur Beeinflussung von Schaltpunkten in Abhängigkeit von eingeschalteten Motorbremsprogrammen, wobei dieses Verfahren bei einem vollautomatischen Getriebe zum Einsatz kommt, das selbsttätig Schaltvorgänge zu den festgelegten Schaltpunkten ausführt (s. Seite 2, Zeilen 28-33 der D1). Auf Seite 2, Zeile 68 bis Seite 3, Zeile 3 wird ausgeführt: „Das im Ausführungsbeispiel vorgesehene Schaltsystem umfasst ein manuell betätigtes Kupplungsservogerät für Start und Stopp, hat jedoch kein automatisches Kupplungsservogerät, aber die Erfindung kann auch bei Systemen mit automatischer Kupplung zur Anwendung kommen.“. Dem Argument der Beklagten, dass dem Fachmann dabei klar sei, dass durch die Formulierung „Systeme mit automatischer Kupplung“ ein halbautomatisches Getriebe beschrieben ist, ist die Klägerin nicht entgegengetreten.
Es fehlt indes an einer Offenbarung einer einzigen integrierten, vom Fahrer mecha-nisch bedienbaren Steuereinrichtung, die das Klagepatent voraussetzt. Vielmehr zeigt die Fig. 1 der Anlage D1 eine Steuervorrichtung für das Getriebe (Steuervor-richtung 25) sowie eine Steuervorrichtung für den Retarder (Steuervorrichtung 61). Diese sind getrennt voneinander angeordnet. Zwar sind beide Steuervorrichtungen mit dem Mikroprozessor 12 signaltechnisch gekoppelt, jedoch handelt es sich bei der Vorrichtung 12 nicht um eine Steuereinrichtung im Sinne des Klagepatentes, die sowohl unmittelbar in mehrere Gangwechsel-Funktionsstellungen einstellbar (Merkmal 4) als auch in mindestens einer Gangwechsel-Funktionsstellung für Vorwärtsfahrt unmittelbar betätigbar ist (Merkmal 5).
2.
Auch die EP 0 875 698 A1 (Anlage CC 13.2, nachfolgend D2, welche in deutscher Übersetzung als DE 698 06 680 T2 (Anlage CC 13.2a, nachfolgend: D2a)) vorgelegt wurde, begründet auch keinen Anlass zur Aussetzung.
Die D2 offenbart einen Getriebeschalthebel, der mit zusätzlichen Knöpfen zum Betätigen einer Motorbremse ausgebildet ist. Als Möglichkeit wird auch die Betätigung eines Retarders über die Schaltknöpfe erwähnt. Zur Art des Getriebes wird in der D2 ausgeführt, dass der Gangschalt-/Gangwählhebel üblicherweise in manuellen oder halbautomatischen Getrieben Verwendung findet, dieser jedoch auch bei automatischen Getrieben Verwendung findet (Anlage CC 13.2a, Seite 10, Zeile 13 ff.).
Nicht offenbart werden indes die Merkmale, welche die Gangwechsel-Funktionsstellungen betreffen (Merkmal 3 und 4). Soweit die Beklagten meinen, dass der Fachmann diese mitlese und dies unter Verweis auf die Anlage CC 14 erfolgt, welche u.a. ein halbautomatisches Getriebe im Pkw-Bereich, H, beschreibt, ist nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund das zugunsten der Beklagten unterstellte Wissen eines Fachmannes aus dem Pkw-Bereich auf die vorliegende Offenbarung der D2 übertragen werden kann.
3.
Letztlich rechtfertigt auch die Offenbarung der DE 693 12 462 T2 (Anlage CC 13.4, nachfolgend D4) keine Aussetzung des Rechtsstreits.
Die D4 offenbart einen Getriebesteuerhebel 100, der als Steuereinrichtung mit einem (nicht veranschaulichten) Fahrzeuggetriebe „betriebsmäßig“ verbunden ist (D4, S. 5 Abs. 2) und dazu verwendet werden kann, bei Fahrzeugen, die ein manuelles, ein automatisches oder ein teilautomatisches Getriebe aufweisen, Gänge auszuwählen (D4, S. 6 Abs. 4). Der Getriebesteuerhebel trägt ferner einen Schalter 18 zur Steuerung eines Motorbremssystems (D4, S. 8 Abs. 3).
Nicht unmittelbar und eindeutig offenbart ist jedoch die in dem Merkmal 5 des An-spruchs 1 des Klagepatents beschriebene Retarderbremse. In der D4 wird zwar auf S. 2, Abs. 4 beschrieben: „Bei einem anderen Beispiel eines Motorbremssystems wird das Motoröl in eine Turbine geleitet, die als eine hydraulische Bremse gegen das Schwungrad des Motors wirkt, wonach das Öl an eine Stelle zur Kühlung abge-leitet wird.“. Weiter heißt es auf S. 3 Abs. 2 der D4: „Der hier verwendete Begriff „Mo-torbremssystem“ beinhaltet jedes durch Schalter manuell betätigbare System, das dazu dient, das Fahrzeug zu bremsen, unabhängig davon, ob es an dem Motor oder an einer anderen Stelle des Antriebsstrangs des Fahrzeugs angeordnet ist, mit von den Fahrzeugradbremsen getrennter Funktion zur Unterstützung der Radbremsen bspw. beim Bremsen bei Bergabfahrt […]“. Im Vergleich hierzu führt das Klagepatent in Absatz [0003] des Klagepatents aus: „Ein Retarder besteht aus zwei in einem Ge-häuse angeordneten Flügelrädern, von denen eines befestigt ist und das andere sich mit einer der Geschwindigkeit des Fahrzeugs proportionalen Drehzahl dreht. Durch Hineinpumpen von Hydrauliköl in den engen Spalt zwischen den Flügelrädern entsteht ein Widerstand, der ein Bremsmoment auf die Antriebswellen ausübt.“.
Dass es sich bei dem in D4 offenbarten Motorbremssystem um eine Retarderbremse im Sinne des Klagepatentes handelt, ist nicht zu erkennen. Die Klägerin hat dies schriftsätzlich in Abrede gestellt. Weitere Darlegungen der Beklagten anhand welcher sich ergeben könnte, dass es sich bei dem in der D4 offenbarten Motorbremssystem um eine Retarderbremse handelt, erfolgten weder im hiesigen Rechtsstreit noch in den das Nichtigkeitsverfahren betreffenden Schriftsätzen. Insoweit vermag die Kammer nicht zu beurteilen, aus welchem Grund die in der D4 offenbarte Motorbremse eine Retarderbremse im Sinne des Klagepatentes offenbart.
4.
Soweit die Beklagten sich weiterhin auf eine fehlende erfinderische Tätigkeit berufen und insoweit eine Kombination der Dokumente D2 mit D4, der WO 97/13651 A1 (D5), DE 198 22 860 A1 (D6) und WO 96/32299 A1 (D7) heranziehen, ist nicht zu erkennen, welche Veranlassung einer Fachmann gehabt haben soll, die entsprechenden Dokumente miteinander zu kombinieren.
V.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
Der Streitwert wird auf 1.000.000,- Eur festgesetzt.