2 U 6/11 – Integralhelm

Düsseldorfer Entscheidung Nr.:  1811

Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil vom 8. März 2012, Az. I–2 U 6/11

Vorinstanz: 4b O 231/09

I. Die Berufung gegen das am 16. Dezember 2010 verkündete Urteil der 4b. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist für die Beklagte wegen ihrer Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Streitwert wird auf 500.000 € festgesetzt.

G r ü n d e :

I.

Die Klägerin ist seit dem 26. September 2006 eingetragene Inhaberin des deutschen Teils des europäischen Patents 0 797 XXX, dessen Erteilung am 22. September 1999 veröffentlicht worden ist und das einen Integralhelm für Motorradfahrer mit einer Vorrichtung zum Öffnen und Schließen des Kinnbügels betrifft. Das in englischer Verfahrenssprache abgefasste Klagepatent umfasst vier Ansprüche, von denen nachfolgend die Ansprüche 1 und 4 in deutscher Übersetzung wiedergegeben sind:

1. Integralhelm für Motorradfahrer, Motorsportrennfahrer, Sportler und dergleichen, mit einer Haube (2), einem anhebbaren und drehbar zu öffnenden Visier (8), einem anhebbaren Kinnschutz (3), der mit zwei Seitenflanschen (2a) zur Befestigung an den gegenüberliegenden Seiten der genannten Haube (2) versehen ist, und einer Vorrichtung zum Öffnen und Schließen des Kinnschutzes, die von zwei angelenkten Strukturen gebildet wird, welche entsprechend den genannten Seitenflanschen (3a) an den Seiten der Haube angeordnet sind,

d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t ,

dass jede der angelenkten Strukturen einen ersten Stift (5) und einen zweiten Stift (4) integral mit der Haube (2), einen dritten Stift (7) und einen vierten Stift (6) integral mit dem Seitenflansch (3a) des Kinnschutzes und einem mit der Haube (2) einstöckig ausgebildete Trägerplatte (1), die mit einem nach oben gerichteten gebogenen Führungsschlitz (11) versehen ist, aufweist, wobei der erste Stift (5) über einen ersten Ausgleichsstaab (9), der an dem ersten und dem dritten Stift frei drehbar ist, mit dem dritten Stift (7) verbunden ist, der zweite Stift (4) über einen zweiten Ausgleichsstab (10), der an dem zweiten und dem vierten Stift frei drehbar ist, mit dem vierten Stift (6) verbunden ist und der vierte Stift (6) auch in einer gleitend verschiebbaren Weise in den in der Trägerplatte (1) vorgesehenen Führungsschlitz (11) eingesetzt ist, und wobei der Kinnschutz entsprechend einem im wesentlichen elliptischen Bahnverlauf mit einer Dreh- und Vorwärtsbewegung anhebbar und zu öffnen ist, was am Beginn des Anhebens zu einer Vorwärtsbewegung führt, so dass ein Ablösen des Kinnschutzes von der Haube erfolgt, was eine nachfolgende Rückwärtsbewegung ergibt, so dass der Kinnschutz in der Position der vollständigen Öffnung mit der Oberseite der Haube im wesentlichen in Eingriff steht.

2. Integralhelm nach Anspruch 1,

d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t ,

dass der erste Stift (5) und der zweite Stift (6), die an den zwei Seiten der Haube (2) vorgesehen sind, an einer Trägerplatte (1) verankert sind, die ihrerseits an der Haube stabil verankert ist.

Die nachstehenden Abbildungen aus der Klagepatentschrift zeigen Ausführungsbeispiele der Erfindung, wobei Figur 1 eine Seitenansicht des kompletten Integralhelms ist,

während Figur 3 die Öffnungs- und Schließvorrichtung für den Kinnschutz im Detail zeigt

und Figur 4 die Bewegungsabläufe beim Öffnen des Kinnschutzes verdeutlicht, wobei die Position „A“ den geschlossenen und die Position „E“ den vollständig geöffneten Kinnschutz repräsentiert.

Die Beklagte stellt her und vertreibt unter der Bezeichnung „A“ einen Motorrad-Integralhelm mit klappbarem Kinnschutz. Die nachstehend wiedergegebenen Abbildungen (Anlage K 6, GA 39) verdeutlichen die technischen Einzelheiten. Foto 2 der Anlage K 6 zeigt zunächst die angegriffene Ausführungsform von der Seite, jedoch ohne Kinnschutz,

Foto 1 der Anlage K 6 gibt den Kinnschutz mit seinen Seitenflanschen wieder,

Die Abbildung gemäß Bl. 39 d.A. zeigt die Details der Öffnungsmechanik für den Kinnschutz.

An der Helmschale ist auf beiden Seiten jeweils eine Trägerplatte aus Kunststoff befestigt. Die Trägerplatte ihrerseits lagert drehbar zwei Ausgleichsstäbe, wobei der erste Ausgleichsstab mittels eines ersten Stiftes und der zweite Ausgleichsstab mittels eines zweiten Stiftes schwenkbar angelenkt sind. An seinem der Schwenkachse gegenüberliegenden Ende besitzt der erste Ausgleichsstab einen einstückig angespritzten dritten Stift, während in den zweiten Ausgleichsstab ein vierter Stift in Form einer Passschraube eingedreht ist. Der dritte und der vierte Stift dienen dazu, den Seitenflansch des Kinnschutzes schwenkbar an den beiden Ausgleichsstäben festzulegen. Die Trägerplatte besitzt eine den zweiten Ausgleichsstab aufnehmende Einsenkung (Aussparung), deren Oberkante teilkreisförmig gebogen und deren Erstreckung in die Trägerplatte hinein so bemessen ist, dass zwar der zweite Ausgleichsstab, nicht aber der daran eingedrehte vierte Stift in die Aussparung hineinragt.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass der Integralhelm der Beklagten weitgehend wortsinngemäß, im Übrigen mit äquivalenten Mitteln von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch macht. Soweit im Patentanspruch davon die Rede sei, dass der dritte und der vierte Stift integral mit dem Seitenflansch des Kinnschutzes zu sein hätten, sei damit keine einstückige Ausbildung mit, sondern lediglich eine stabile Verankerung an dem Seitenflansch gemeint, was eine drehbare Befestigung nicht ausschließe. Es treffe zu, dass sich der dritte Stift gegenüber dem ersten Ausgleichsstab ebenso wenig verdrehen lasse, wie der vierte Stift gegenüber dem zweiten Ausgleichsstab rotieren könne. Hierauf komme es aber auch überhaupt nicht an. Bei funktionsorientierter Auslegung liege eine freie Drehbarkeit, wie sie für den dritten Stift und den ersten Ausgleichsstab sowie für den vierten Stift und den zweiten Ausgleichsstab gefordert werde, bereits dann vor, wenn die einzelnen Glieder des Viergelenkgetriebes im Verhältnis zueinander um ein Gelenk frei rotieren können. Dies sei bei der angegriffenen Ausführungsform der Fall. In Gestalt der den zweiten Ausgleichsstab aufnehmenden Einsenkung besitze die Trägerplatte auch einen Führungsschlitz mit den patentgemäß vorgesehenen Funktionen. Sie lägen zum einen darin, ein stabiles Gleiten des vierten Stiftes zwischen dem Anfangs- und dem Endpunkt seiner Bewegung beim Öffnen und Schließen des Kinnschutzes zu ermöglichen, wobei der Endpunkt nicht durch die geschlossene Stellung des Kinnschutzes definiert werde, sondern durch den Totpunkt des zweiten Ausgleichsstabes, an dem der vierte Stift seine Bewegungsrichtung nach rückwärts umkehrt (vgl. Figur 4 „C“). Darüber hinaus habe der Führungsschlitz die Aufgabe, ein toleranzbedingt mechanisches Spiel der Kurbel mit dem vierten Stift zu vermeiden und so zu verhindern, dass es bei der Betätigung des Kinnschutzes zu einem Zerkratzen der Helmhaube kommt. Beide Wirkungen würden durch die Einsenkung der Trägerplatte erzielt. Sie verlaufe zwar nicht „nach oben“, sondern nach unten gerichtet gebogen. Die darin liegende Abwandlung vom Anspruchswortlaut sei jedoch gleichwirkend und naheliegend, weil sie für den Fachmann erkennbar schlichte Folge dessen sei, dass bei der angegriffenen Ausführungsform eine kinematische Umkehr in Bezug auf den zweiten und vierten Stift dergestalt vorliege, dass der vierte Stift oberhalb des zweiten Stiftes angeordnet sei und sich bogenförmig um diesen bewege. Infolge der verwirklichten Kinematik ergebe sich beim Öffnen des Kinnschutzes zu Beginn eine schräg aufwärts gerichtete Rotationsbewegung, was den Vorgaben des Klagepatents ohne Weiteres genüge. Zwar werde gefordert, dass der Kinnschutz am Beginn des Anhebens eine Vorwärtsbewegung ausführt. Da insgesamt ein im Wesentlichen elliptischer Bahnverlauf gewollt sei, erkenne der Fachmann jedoch, dass die Vorwärtsbewegung auch mit einer radialen Komponente gepaart sein könne.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht die auf Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung, Vernichtung und Schadenersatzfeststellung gerichtete Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der streitbefangene Motorradhelm der Beklagten das Klagepatent nicht verletzt. Eine wortsinngemäße Benutzung scheide schon deshalb aus, weil der dritte Stift einstückig mit dem ersten Ausgleichsstab ausgebildet und deshalb nicht frei am ersten Ausgleichsstab drehbar sei. Mit der einstückigen Anformung des dritten Stiftes am ersten Ausgleichsstab unternehme die angegriffene Ausführungsform das genaue Gegenteil dessen, was das Klagepatent den Fachmann lehre. Unter solchen Umständen fehle es jedenfalls an einer Gleichwertigkeit des Austauschmittels.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzlich erfolglos gebliebenes Klagebegehren weiter. Sie ist der Auffassung, dass das Landgericht den Patentanspruch rein philologisch und ohne die gebotene Berücksichtigung der dem Durchschnittsfachmann erkennbaren technischen Funktionszusammenhänge ausgelegt habe. Unter Wiederholung und Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vorbringens hält sie daran fest, dass die angegriffene Ausführungsform ganz überwiegend dem technisch verstandenen Wortsinn des Patentanspruchs genügt und, soweit sie sich ausgetauschter Mittel bediene, nicht nur objektiv gleichwirkende, sondern für den Fachmann bei Orientierung an der technischen Lehre des Klagepatents auch ohne Weiteres naheliegende Ersatzmittel aufgreife.

Die Klägerin beantragt,

das landgerichtliche Urteil abzuändern und

1. die Beklagte zu verurteilen,

a) es bei Meidung der (näher bezeichneten) gesetzlichen Ordnungsmittel in der Bundesrepublik Deutschland zu unterlassen,
Integralhelme für Motorradfahrer, Motorsportrennfahrer, Sportler und dergleichen mit einer Haube, einem anhebbaren und drehbar zu öffnenden Visier, einem anhebbaren Kinnschutz, der mit zwei Seitenflanschen zur Befestigung an den gegenüberliegenden Seiten der genannten Haube versehen ist, und einer Vorrichtung zum Öffnen und Schließen des Kinnschutzes, die von zwei angelenkten Strukturen gebildet wird, welche entsprechend den genannten Seitenflanschen an den Seiten der Haube angeordnet sind,

anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,

wobei jede der angelenkten Strukturen einen ersten Stift und einen zweiten Stift integral mit der Haube, einen dritten Stift und einen vierten Stift integral mit dem Seitenflansch des Kinnschutzes und eine mit der Haube integral ausgebildete Trägerplatte, die mit einem nach unten gerichtet gebotenen Führungsschlitz versehen ist, aufweist, wobei der erste Stift über einen ersten Ausgleichsstab, der an dem ersten und dem dritten Stift frei drehbar ist, mit dem dritten Stift verbunden ist, der zweite Stift über einen zweiten Ausgleichsstab, der an dem zweiten und dem vierten Stift frei drehbar ist, mit dem vierten Stift verbunden ist und der vierte Stift auch in einer gleitend verschiebbaren Weise in dem in der Trägerplatte vorgesehenen Führungsschlitz eingesetzt ist, und wobei der Kinnschutz entsprechend einem im Wesentlichen elliptischen Bahnverlauf mit einer Dreh- und Vorwärtsbewegung anhebbar und zu öffnen ist, was am Beginn des Anhebens zu einer Vorwärtsbewegung führt, so dass ein Ablösen des Kinnschutzes von der Haube erfolgt, und was eine nachfolgende Rückwärtsbewegung ergibt, so dass der Kinnschutz in der Position der vollständigen Öffnung mit der Oberseite der Haube im Wesentlichen in Eingriff steht,

hilfsweise,

es bei Meidung der (näher bezeichneten) gesetzlichen Ordnungsmittel in der Bundesrepublik Deutschland zu unterlassen,

Integralhelme für Motorradfahrer, Motorsportrennfahrer, Sportler und dergleichen mit einer Haube, einem anhebbaren und drehbar zu öffnenden Visier, einem anhebbaren Kinnschutz, der mit zwei Seitenflanschen zur Befestigung an den gegenüberliegenden Seiten der genannten Haube versehen ist, und einer Vorrichtung zum Öffnen und Schließen des Kinnschutzes, die von zwei angelenkten Strukturen gebildet wird, welche entsprechend den genannten Seitenflanschen an den Seiten der Haube angeordnet sind,

anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,

wobei jede der angelenkten Strukturen einen ersten Stift und einen zweiten Stift integral mit der Haube, einen dritten Stift und einen vierten Stift stabil verankert mit dem Seitenflansch des Kinnschutzes und eine mit der Haube stabil verankert ausgebildete Trägerplatte, die mit einem nach unten gerichtet gebotenen Führungsschlitz versehen ist, aufweist, wobei der erste Stift über einen ersten Ausgleichsstab, der an dem ersten Stift frei drehbar und auf der Achse des dritten Stiftes drehbar gelagert ist, mit dem dritten Stift verbunden ist, der zweite Stift über einen zweiten Ausgleichsstab, der an dem zweiten Stift frei drehbar und auf der Achse des vierten Stiftes drehbar gelagert ist, mit dem vierten Stift verbunden ist und der vierte Stift auch in einer gleitend verschiebbaren Weise in dem in der Trägerplatte vorgesehenen Führungsschlitz eingesetzt ist, und wobei der Kinnschutz entsprechend einem im Wesentlichen elliptischen Bahnverlauf mit einer Dreh- und Vorwärtsbewegung anhebbar und zu öffnen ist, was am Beginn des Anhebens zu einer Vorwärtsbewegung in vertikaler Richtung führt, so dass ein Ablösen des Kinnschutzes von der Haube erfolgt, und was eine nachfolgende Rückwärtsbewegung ergibt, so dass der Kinnschutz in der Position der vollständigen Öffnung mit der Oberseite der Haube im Wesentlichen in Eingriff steht,

b) der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die zu a) bezeichneten Handlungen seit dem 26.09.2006 begangen hat, und zwar unter Angabe

aa) der Menge er erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderen Vorbesitzer,

bb) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen,
-zeiten und –preisen (und gegebenenfalls Typenbezeichnungen) sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer einschließlich der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,

cc) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen,
-zeiten und –preisen (und gegebenenfalls Typenbezeichnungen) sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

dd) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

ee) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

wobei die Beklagte zum Nachweis der Angaben zu aa) und bb) die entsprechenden Einkaufs- und Verkaufsbelege (Rechnungen oder Lieferscheine) in Kopie vorzulegen hat, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;

c) die in ihrem (der Beklagten) unmittelbar oder mittelbaren Besitz oder Eigentum befindlichen, unter a) bezeichneten Erzeugnisse an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben;

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr (der Klägerin) allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die in Ziff. 1. a) bezeichneten, seit dem 26.09.2006 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bestreitet – wie bereits in erster Instanz –, das Klagepatent zu benutzen. Wenn das Klagepatent vorsehe, dass der dritte und der vierte Stift einstückig („integral“) mit dem Seitenflansch des Kinnschutzes auszubilden seien, so verlange dies jedenfalls eine unverdrehbare Anbindung der Stifte an den Seitenflansch. Sie fehle bei der angegriffenen Ausführungsform, bei der sich der Seitenflansch sowohl gegenüber dem dritten als auch gegenüber dem vierten Stift verschwenken lasse. Einen Führungsschlitz, in dem sich der vierte Stift gleitend verschieben lasse, sei ebenfalls nicht vorhanden. Damit der Führungsschlitz dem klappbaren Kinnschutz ein verbessertes Maß an Stabilität verleihen könne, wie dies vom Klagepatent beabsichtigt sei, müsse es sich um eine Art Kulissenführung handeln, bei der der vierte Stift während seiner gesamten Bewegung entlang des Führungsschlitzes mit dessen Innenkanten im reibenden Kontakt bleibe. Derartiges sei bei der angegriffenen Ausführungsform nicht der Fall. Konstruktionsbedingt halte der zweite Ausgleichsstab von der oberen teilkreisförmigen Kante der Aussparung einen Abstand von 0,62 mm. Auch nach längerem Gebrauch finde deswegen keine irgendwie führende Berührung zwischen dem zweiten Ausgleichsstab und der oberen Begrenzung der Einsenkung statt. Zu Recht habe das Landgericht festgestellt, dass es auch an der freien Drehbarkeit des ersten Ausgleichsstabs am dritten Stift fehle. Infolge der vom Klagepatent abweichenden Kinematik ergebe sich ein grundsätzlich anderer Bahnverlauf beim Öffnen des Kinnschutzes. Am Beginn des Anhebens komme es nicht zu einer reinen Vorwärtsbewegung, die den Kinnschutz von der Helmhaube löse, sondern zu einer schräg aufwärts gerichteten Rotationsbewegung.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Zu Recht hat das Landgericht eine Übereinstimmung der angegriffenen Ausführungsform mit der im Klagepatent unter Schutz gestellten technischen Lehre verneint und deswegen angenommen, dass der Klägerin gegen die Beklagte keine Ansprüche auf Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung, Vernichtung und Schadenersatz zustehen.

1.
Das Klagepatent betrifft einen Integralhelm mit klappbarem Kinnschutz.

Wie die Patentschrift einleitend erläutert, sind derartige Helme aus dem Stand der Technik (EP-A 0 258 XXY) bekannt. Bei ihnen greift der Kinnschutz mit beiderseitigen Flanschen in den Seitenbereich der Helmhaube, wo Stifte einstückig angeformt sind, um die sich der Kinnschutz beim Anheben und Absenken dreht. Die beschriebene Anordnung hat – wie die Klagepatentschrift erläutert – verschiedene Nachteile. Der wichtigste liegt darin, dass der Kinnschutz infolge seiner Drehung um einen festen Stift auf jeder Seite der Helmhaube in seiner vollständig hochgeklappten Position einen beträchtlichen Abstand von der Haube einhält, was nicht nur aerodynamisch ungünstig, sondern auch ästhetisch unbefriedigend ist. Einen weiteren Nachteil sieht die Klagepatentschrift in dem Umstand, dass die bekannten Integralhelme spezielle Vorrichtungen benötigen, um ein stabiles Halten des Kinnschutzes in der offenen Position sicherzustellen. Die notwendige Arretierung kann dem Benutzer eine Folge von Handhabungsmaßnahmen abverlangen, die seine Aufmerksamkeit vom eigentlichen Fahrbetrieb und der gegebenen Verkehrssituation ablenken.

Die Klagepatentschrift bezeichnet es demgemäß als Aufgabe der Erfindung, einen Integralhelm mit klappbarem Kinnschutz vorzuschlagen, der die beschriebenen Nachteile (hohe vertikale Erstreckung bei geöffnetem Kinnschutz, gesondert zu betätigende Arretiervorrichtung für den Kinnschutz) vermeidet. Die Öffnungsvorrichtung soll darüber hinaus in hohem Maße zuverlässig sein und gewährleisten, dass der Kinnschutz sowohl beim Öffnen als auch beim Schließen ein Höchstmaß an Stabilität in Bezug auf die gewünschte Position besitzt, ohne dass das Risiko besteht, dass sich der Kinnschutz willkürlich aus der vom Benutzer gewählten Position verschiebt.

Zur Lösung dieser Problemstellung sieht Patentanspruch 1 die Kombination folgender Merkmale vor:

(1) Integralhelm mit

(a) einer Haube (2),

(b) einem anhebbaren und drehbar zu öffnenden Visier (8),

(c) einem anhebbaren Kinnschutz (3) sowie

(d) einer Vorrichtung zum Öffnen und Schließen des Kinnschutzes (3).

(2) Der Kinnschutz (3) ist mit zwei Seitenflanschen (3a) zur Befestigung an den gegenüberliegenden Seiten der Haube (2) versehen.

(3) Die Vorrichtung zum Öffnen und Schließen des Kinnschutzes (3)

(a) wird von zwei angelenkten Strukturen an den Seiten der Haube (2) gebildet,

(b) die entsprechend den Seitenflanschen (3a) zur Befestigung des Kinnschutzes (3) angeordnet sind.

(4) Jede der angelenkten Strukturen weist auf:

(a) einen ersten Stift (5) und einen zweiten Stift (4), die integral mit der Haube ausgebildet sind,

(b) einen dritten Stift (7) und einen vierten Stift (6), die integral mit dem Seitenflansch des Kinnschutzes ausgebildet sind, sowie

(c) eine Trägerplatte (1), die

• integral mit der Haube (2) ausgebildet und
• mit einem nach oben gerichteten, gebogenen Führungsschlitz (11) versehen ist.

(5) Der erste Stift (5) ist über einen ersten Ausgleichsstab (9) mit dem dritten Stift (7) verbunden.

(6) Der zweite Stift (4) ist über einen zweiten Ausgleichsstab (10) mit dem vierten Stift (6) verbunden.

(7) Der erste Ausgleichsstab (9) ist an dem ersten Stift (5) und an dem dritten Stift (7) frei drehbar.

(8) Der zweite Ausgleichsstab (10) ist an dem zweiten Stift (4) und an dem vierten Stift (6) frei drehbar.

(9) Der vierte Stift (6) ist in einer gleitend verschiebbaren Weise in den Führungsschlitz (11) der Trägerplatte (1) eingesetzt.

(10) Der Kinnschutz (3) ist entsprechend einem im Wesentlichen elliptischen Bahnverlauf mit einer Dreh- und Vorwärtsbewegung anhebbar und zu öffnen,

(a) was am Beginn des Anhebens zu einer Vorwärtsbewegung führt, so dass ein Ablösen des Kinnschutzes (3) von der Haube (2) erfolgt,

(b) und was eine nachfolgende Rückwärtsbewegung ergibt, so dass der Kinnschutz (3) in der Position der vollständigen Öffnung mit der Oberseite der Haube (2) im Wesentlichen im Eingriff steht.

Im Gegensatz zum Stand der Technik, bei dem der Kinnschutz um einen einzigen festen Stift an jeder Helmseite verschwenkt wurde, was zu einer rein rotatorischen Bewegung des Kinnschutzes mit dem in der Klagepatentschrift beschriebenen Nachteil eines großen vertikalen Abstandes des geöffneten Kinnschutzes von der Helmhaube führt, bedient sich das Klagepatent einer besonderen Öffnungskinematik in Form eines Viergelenkgetriebes auf jeder Seite der Helmhaube. Zu diesem Zweck sind zwei Drehstifte (5, 4) fest am Helm angeordnet, während zwei andere Drehstifte (7, 6) am Seitenflansch des Kinnschutzes angreifen. Die helmseitigen und die flanschseitigen Drehstifte sind durch zwei Ausgleichsstäbe (9, 10) miteinander verbunden. Indem die Ausgleichsstäbe (9, 10) um die helmseitigen Drehstifte (5, 4) verschwenken, verlagern auch die beiden flanschseitigen Stifte (7, 6) ihre Position, wobei sie den Kinnschutz mitnehmen, der an den flanschseitigen Stiften (7, 6) angelenkt ist. Insbesondere die Positionierung der helmseitigen Stifte zueinander bewirkt dabei einen elliptischen Bewegungsverlauf des Kinnschutzes beim Öffnen dergestalt, dass sich der Kinnschutz beim ersten Anheben nach vorwärts von der Helmhaube löst und dass sich gegen Ende der Öffnungsbewegung eine Situation einstellt, bei der der Totpunkt der Gelenkanordnung überschritten wird (Figur 4 „C“) mit der Folge, dass sich der Kinnschutz anschließend in einer Rückwärtsbewegung auf die Oberseite der Helmhaube legt und infolgedessen einen minimalen vertikalen Abstand zur Haube einnimmt (Figur 4 „D“ und „E“).

Obgleich sich bereits aufgrund der Anordnung der Drehstifte am Helm und am Seitenflansch einerseits sowie aufgrund der konkreten Dimensionierung der Ausgleichsstäbe andererseits eine bestimmte durch die Konstruktion der Gelenkanordnung vorgegebene Kinematik bei der Betätigung des Kinnschutzes einstellt, ist für den Bewegungsverlauf erfindungsgemäß nicht nur das Viergelenkgetriebe verantwortlich. Patentanspruch 1 sieht vielmehr in der fest an der Helmhaube verankerten Trägerplatte einen Führungsschlitz vor, in dem der vierte Stift der Getriebeanordnung gleitend verschiebbar eingesetzt ist. Bereits die Wortwahl „Führungsschlitz“ macht dem Fachmann deutlich, dass der Schlitz den vierten Stift nicht nur irgendwie umgeben, sondern dass er ihn „führen“ soll. Diese Führung hat nicht nur – gleichsam punktuell – in Bezug auf eine Anfangs- und Endposition des vierten Stiftes zu erfolgen, d.h. bei vollständig geschlossenem Kinnschutz (Figur 4 „A“) und im oberen Totpunkt des zweiten Ausgleichsstabes (Figur 4 „C“). Mit Blick auf die geschlossene Stellung des Kinnschutzes ist schon der technische Sinn eines Endanschlages für den vierten Stift nicht zu erkennen, weil der Kinnschutz in der besagten Position selbst an der Helmschale anschlägt, womit jede Abstützung des vierten Stiftes in einem Führungsschlitz obsolet wird. Und in Bezug auf den Totpunkt des Getriebes hat die Beklagte im Verhandlungstermin vom 23. Februar 2012 ausdrücklich und ohne dass die Klägerin dem entgegen getreten wäre, vorgetragen, dass der Führungsschlitz aus konstruktiven Gründen im Totpunkt nicht enden und damit auch keinen Anschlag bilden darf, weil ansonsten die Gefahr eines Verhakens bestehe. Dass der Führungsschlitz dem Schutz der Rückholfeder (12) für den zweiten Ausgleichsstab dienen soll, wie die Klägerin erstmals im Verhandlungstermin vom 23. Februar 2012 geltend gemacht hat, hat allein deshalb auszuscheiden, weil die angeblich vor Beschädigung in Schutz zu nehmende Feder (12) nicht einmal im Hauptanspruch des Klagepatents vorgesehen ist. Abgesehen von allen bisherigen Überlegungen stellt der Anspruchswortlaut selbst klar, welchen Dienst der Führungsschlitz zu leisten hat, indem Merkmal (9) anordnet, dass der vierte Stift „im Führungsschlitz gleitend verschiebbar“ sein soll. Als Bezugspunkt für die Führungsarbeit ist damit nicht nur ein bloßer Ausschnitt aus dem Bewegungsverlauf des vierten Stiftes, sondern die gesamte Verschiebung angesprochen, die der vierte Stift während der Öffnungsbewegung des Kinnschutzes innerhalb der Getriebeanordnung vollzieht. Grundsätzlich jede Position, die der vierte Stift im Zuge seiner Bewegung einnimmt, muss daher im Sinne einer gleitenden Verschiebbarkeit durch den Führungsschlitz unterstützt werden. Exakt in diesem Sinne verhält sich auch der den Patentanspruch erläuternde Beschreibungstext, wenn es auf S. 7 in den Zeilen 4 bis 8 (Anlage K 3) heißt:

„Daneben ist der … vierte Stift (6) während des Anhebens des Kinnschutzes (…) entlang einer Führung (11), die nach oben gekrümmt verläuft und sich in der Trägerplatte (1) befindet, versetzbar.“

Wie die Beklagte zutreffend geltend macht, stellt sich eine im Führungsschlitz „gleitende“ Verschiebung des vierten Stiftes nur ein, wenn der Drehstift auf seinem Weg entlang des Führungsschlitzes mit dessen Rand in (gleitendem) Kontakt steht. Nur bei einem solchen Kontakt kann der Schlitz auch „führend“ auf die Bewegungsbahn einwirken, die der vierte Stift beim Öffnen und Schließen des Kinnschutzes nimmt.

Das dargelegte Verständnis hat auch seinen technischen Sinn. Dass der Führungsschlitz so dimensioniert sein muss, dass er die durch die Konstruktion des Viergelenkgetriebes vorgegebenen Bewegungsabläufe nicht behindert, versteht sich von selbst. Denn jede Unstimmigkeit zwischen Getriebeanordnung und Führungsschlitz würde die Schwenkbewegung des zweiten Ausgleichsstabes negativ beeinträchtigen und schlimmstenfalls zu einem Verhaken desselben führen, was die Öffnungs- und Schließbewegung des Kinnschutzes insgesamt lahmlegen würde. Andererseits kann sich innerhalb des Viergelenkgetriebes fertigungsbedingt ein axiales Spiel einstellen. Die Klägerin selbst macht insofern schriftsätzlich geltend, dass dadurch, dass der vierte Stift der Gelenkanordnung durch den Führungsschlitz in seiner axialen Bewegung – wie sie in der nachstehenden Abbildung (GA 88) durch den Doppelpfeil angedeutet ist –

behindert wird, sichergestellt ist, dass sich die Öffnungs- und Schließbewegung des Kinnschutzes mit einem hohen Maß an Stabilität vollzieht, so dass es beim Hochklappen des Kinnschutzes infolge eines nicht ordnungsgemäßen Bewegungsverlaufs innerhalb der Gelenkanordnung nicht zu einer Beschädigung der Helmhaube kommt. Dass dem Klagepatent die Bedienungssicherheit des Integralhelmes ein Anliegen ist, zeigt mit aller Deutlichkeit die Aufgabenformulierung (S. 3 Zeilen 7-13, Anlage K 3), in der ausdrücklich herausgestellt ist, dass die vorgeschlagene Öffnungsvorrichtung für den Kinnschutz in hohem Maße verlässlich sein und sicherstellen soll, dass sowohl beim Öffnen als auch beim Schließen die höchste Stabilität des Kinnschutzes in der gewünschten Position gegeben ist.

2.
Die angegriffene Ausführungsform besitzt in der Trägerplatte keinen Schlitz, mit dem der vierte Stift der Gelenkanordnung gleitend verschiebbar geführt wird.

Als Führungseinrichtung der Trägerplatte kommt vorliegend nur die im oberen Verlauf teilkreisförmige Einsenkung in Betracht, die den zweiten Ausgleichsstab aufnimmt. Zu ihr hat die Beklagte bereits in erster Instanz vorgetragen, dass der Ausgleichsstab 0,62 mm vom Rand der Einsenkung beabstandet ist, weswegen es – auch nach längerem Gebrauch des Integralhelms – zu keinem Zeitpunkt während der Gelenkbewegung zu irgendeinem Kontakt zwischen dem zweiten Ausgleichsstab und dem Rand der Aussparung kommt. Die Klägerin ist dem nicht in der gebotenen substantiierten Form entgegen getreten. Obwohl ihr der streitbefangene Helm im Original vorliegt, was entsprechende tatsächliche Feststellungen erlaubt hätte, hat sie weder abweichende Maße behauptet noch sonst nachvollziehbar dargetan, dass und weshalb der zweite Ausgleichsstab bei der gegebenen Konstruktion in einen gleitend führenden Kontakt mit dem Rand der Einsenkung gelangen soll. Sie hat darüber hinaus auch nicht behauptet, dass der geltend gemachte Abstand von 0,62 mm etwa derart gering bemessen sei, dass die vom Klagepatent geforderte Verlässlichkeit bei der Bedienung der Öffnungsvorrichtung nicht infrage gestellt wird. Unter diesen Umständen ist – mangels anderweitigen Sachvortrags der Klägerin – davon auszugehen, dass die Einsenkung der Trägerplatte den zweiten Ausgleichsstab nicht führt, womit die angegriffene Ausführungsform von einem Teil der technischen Lehre des Klagepatents ersatzlos keinen Gebrauch macht.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Anordnung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 108 ZPO.

Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht. Es handelt sich um eine reine Einzelfallentscheidung, die keine entscheidungserheblichen Fragen aufwirft, die grundsätzlicher Natur sind oder deren Beantwortung durch den Bundesgerichtshof zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich wäre.