Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil vom 3. Juni 2015, Az. 2 U 60/10
Vorinstanz: 4a O 20/09
Leitsatz der Redaktion
Es stellt einen festen Auslegungsgrundsatz dar, dass die Patentansprüche und der sie erläuternde Beschreibungstext – eben weil die Ansprüche anhand der Beschreibung zu begreifen und auszulegen sind – eine zusammengehörige Einheit bilden, die der Durchschnittsfachmann demgemäß auch als sinnvolles Ganzes so zu interpretieren sucht, dass sich Widersprüche nicht ergeben. Dies bedingt, dass Begriffe eines Patentanspruchs nicht unbesehen mit ihrem auf dem betreffenden Fachgebiet üblichen Inhalt verstanden, sondern aus der Patentschrift selbst heraus funktionsorientiert ausgelegt werden. Eine Auslegung hat daher immer stattzufinden, d.h. nicht nur, wenn der Anspruchswortlaut sprachliche Unklarheiten aufwirft, die zu beheben sind, sondern in jedem einzelnen Fall der Schutzbereichsbestimmung, um den mit den (auch vermeintlich klaren und unzweideutigen) Worten des Patentanspruchs verbundenen technischen Sinn aufzudecken.
I. Auf die Berufung wird das am 30. März 2010 verkündete Urteil der 4a Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Das Urteil ist für die Beklagten wegen ihrer Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
V. Der Streitwert wird für die Zeit bis zum 17.06.2011 auf 3.087.500,- € und für die Zeit danach auf 1.300.000,- € festgesetzt.
GRÜNDE :
I.
Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des deutschen Patents 195 49 AAA B4, das am 26.07.1995 – unter Inanspruchnahme zweier US-amerikanischer Prioritäten vom 28.07.1994 und 31.05.1995 – angemeldet und dessen Erteilung am 14.04.2005 veröffentlicht worden ist. Das Klagepatent betrifft einen flexiblen ausdehnbaren Stent; Patentanspruch 2 lautet in der aus einem Einspruchsverfahren hervorgegangenen Fassung (Beschluss des BPatG vom 21.02.2008, 21 W (pat) 324/05) wie folgt:
Ballon-expandierbarer und nicht selbst-expandierender Stent, welcher als Röhre ausgebildet ist und in ein Blutgefäß oder in eine andere Öffnung im Körper einführbar ist, in welchem er ausdehnbar ist, und welcher eine Struktur aufweist aus benachbarten verbundenen, geschlossenen Zellen, wobei jede Zelle eine gerade Anzahl von geraden Abschnitten (22) fester Länge aufweist, welche mit ersten und zweiten Schlaufen (14, 16, 18, 20) abwechseln, die eine feste Länge aufweisen und in einer geschlossenen Zelle verbunden sind, wobei jede Schlaufe zumindest zwei Abschnitte mit einem Biegungsbereich dazwischen aufweist und wobei die ersten und zweiten Schlaufen (14, 16, 18, 20) erste und zweite Winkel definieren, deren Winkelhalbierende einen Winkel zueinander bilden.
Mit Urteil vom 16.12.2010 hat das Bundespatentgericht (4 Ni 43/09) das Klagepatent – während des vorliegenden Berufungsverfahrens, das aus diesem Grund vorübergehend ausgesetzt war – teilweise für nichtig erklärt. Auf die Berufung der Klägerin hat der Bundesgerichtshof dem Patentanspruch 2 mit Urteil vom 29.04.2014 (X ZR 12/11) folgende Fassung gegeben:
Ballon-expandierbarer und nicht selbst-expandierender Stent, welcher als Röhre ausgebildet ist und in ein Blutgefäß oder eine andere Öffnung im Körper einführbar ist, in welchem er ausdehnbar ist, mit einer einzigen, zusammenhängenden Struktur aus benachbarten verbundenen, geschlossenen Zellen,
wobei jede Zelle eine gerade Anzahl von geraden Abschnitten (22) fester Länge aufweist, welche mit ersten und zweiten Schlaufen (14, 16, 18, 20) abwechseln, die in gerader Anzahl vorhanden sind und miteinander abwechseln, und die eine feste Länge aufweisen und in einer geschlossenen Zelle verbunden sind, wobei jede Schlaufe zwei Abschnitte mit einem Biegungsbereich dazwischen aufweist,
und wobei die ersten und zweiten Schlaufen (14, 16, 18, 20) durch ihre beiden Abschnitte erste und zweite Winkel definieren, deren Winkelhalbierende einen Winkel zueinander bilden.
Die nachfolgend eingeblendeten Abbildungen (Figuren 1 bis 4 der Klagepatentschrift) zeigen ein bevorzugtes Ausführungsbeispiel der Erfindung.
Bei den Beklagten zu 1), 3) und 4) handelt es sich um deutsche Tochter-Unternehmen der B-Gruppe. Der Beklagte zu 2) war in der Zeit vom 14.06.2007 bis zum 23.03.2010 alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der Beklagten zu 1).
Im Jahr 2006 erwarb der B-Konzern – unter Übernahme sämtlicher zugehöriger Verbindlichkeiten – von der Unternehmensgruppe C deren gesamtes Stent-Geschäft. Seit 2006 befinden sich daher auch diejenigen Stents und Stent-Systeme, die bis dahin von C entwickelt, hergestellt und in der Bundesrepublik Deutschland vertrieben worden sind, im Produktsortiment von B.
Im Einzelnen handelt es sich um folgende Stents:
1. „D“ (= angegriffene Ausführungsform I); Markteinführung durch C im Jahr 2001:
2. „E“ (= angegriffene Ausführungsform II); Markteinführung im Jahr 2002; es handelt sich um das Design der angegriffenen Ausführungsform I, lediglich das Zuführsystem ist andersartig neu.
3. „F“ (= angegriffene Ausführungsform III); Markteinführung im Jahr 2003:
4. „G“ (= angegriffene Ausführungsform IV) für besonders kleine Blutgefäße; im Unterschied zum „F“ sind jeweils weniger Schlaufen in Umfangsrichtung zwischen den horizontalen Verbindern vorgesehen:
5. „H“ (= angegriffene Ausführungsform V); Markteinführung im Jahr 2006; es handelt sich um ein Stent-System mit einem medikamentbeschichteten Stent, das auf den angegriffenen Ausführungsformen III und IV aufbaut.
6. „I“ (= angegriffene Ausführungsform VI):
7. „J“ (= angegriffene Ausführungsform VII); es handelt sich um die medikamentenbeschichtete Variante des I.
Nach Auffassung der Klägerin machen die angegriffenen Ausführungsformen von der technischen Lehre des Klagepatents wortsinngemäß, zumindest aber äquivalent Gebrauch. Mit ihrer Klage hat sie die Beklagten deshalb auf Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung, Vernichtung, Schadenersatz und Urteilsveröffentlichung in Anspruch genommen.
Durch Urteil vom 30.03.2010 hat das Landgericht der Klage – abgesehen von dem gegen den Beklagten zu 2) gerichteten Vernichtungsanspruch sowie dem Anspruch auf Urteilsveröffentlichung – stattgegeben und – auf der Grundlage der damals noch geltenden Anspruchsfassung aus dem Einspruchsverfahren – wie folgt erkannt:
I. Die Beklagten werden verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- EUR – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, die bei den Beklagten zu 1), zu 3) und zu 4) an ihren jeweiligen Geschäftsführern vollstreckt wird, zu unterlassen,
einen ballon-expandierbaren und nicht selbst-expandierenden Stent, welcher als Röhre ausgebildet ist und in ein Blutgefäß oder in eine andere Öffnung im Körper einführbar ist, in welchem er ausdehnbar ist, und welcher eine Struktur aufweist aus benachbarten verbundenen, geschlossenen Zellen, wobei jede Zelle aufweist
a) eine gerade Anzahl von geraden Abschnitte fester Länge,
b) welche mit ersten und zweiten Schlaufen abwechseln,
c) die eine feste Länge aufweisen und in einer geschlossenen Zelle verbunden sind,
d) wobei jede Schlaufe zumindest zwei Abschnitte mit einem Biegungsbereich dazwischen aufweist und
e) wobei die ersten und zweiten Schlaufen erste und zweite Winkel definieren, deren Winkelhalbierende einen Winkel zueinander bilden,
im Geltungsbereich des deutschen Patents 195 49 AAA B4 anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen.
II. Die Beklagten werden verurteilt, der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu I. bezeichneten Handlungen seit dem 14.05.2005 begangen haben, und zwar unter Vorlage eines chronologisch geordneten Verzeichnisses sowie unter Beleg gestützter Angabe
a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen (und ggf. Typenbezeichnungen) sowie aufgeschlüsselt nach den Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,
c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen unter Einschluss von Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, der Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten (einschließlich Bezugspreisen) und des erzielten Gewinns,
wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Angebotsempfänger enthalten ist,
wobei die folgenden Belege in Ablichtung vorzulegen sind: Aufträge, Auftragsbestätigungen, Rechnungen oder Liefer- und Zollpapiere.
III. Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I. bezeichneten, seit dem 14.05.2005 begangenen Handlungen entstanden ist und künftig noch entstehen wird.
IV. Die Beklagten zu 1), 3) und 4) werden verurteilt, die in ihrem Besitz und/oder Eigentum befindlichen Stents gemäß Ziffer I. zu vernichten.
V. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
VI. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin zu 5 % und den Beklagten als Gesamtschuldnern zu 95 % auferlegt.
Mit ihrer Berufung verfolgen die Beklagten ihr vor dem Landgericht erfolglos gebliebenes Abweisungsbegehren weiter. Sie halten – wie bereits in erster Instanz – daran fest, dass die angegriffenen Ausführungsformen von der technischen Lehre des Klagepatents in mehrfacher Hinsicht keinen Gebrauch machen. Es fehle bezüglich der angegriffenen Ausführungsformen I und II schon an einer einzigen, zusammenhängenden Struktur aus benachbarten verbundenen, geschlossenen Zellen, weil in den Randbereichen keine 2. Schlaufen vorhanden seien und insoweit auch nicht von einer in den Randbereichen lediglich unvollständig gebliebenen patentgemäßen Struktur gesprochen werden könne. Im Hinblick auf sämtliche angegriffenen Ausführungsformen mangele es an geraden Abschnitten fester Länge, die mit ersten und zweiten Schlaufen abwechseln, ebenso wie an einer festen Länge der Schlaufen, wobei zweite Schlaufen überdies nicht in gerader Anzahl vorhanden seien und die ersten Schlaufen mehr als zwei Abschnitte aufwiesen. Schließlich definierten beide Schlaufengattungen zwischen ihren Abschnitten keine Winkel, so dass es folgerichtig auch daran fehle, dass die Winkelhalbierenden zueinander einen Winkel bilden.
Die Beklagten beantragen,
das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 30.03.2010 abzuändern und die Klage (insgesamt) abzuweisen,
hilfsweise, ihnen Vollstreckungsschutz zu gewähren,
weiter hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Am 20.10.2010 haben sich die Parteien im Wege eines außergerichtlichen Teilvergleichs darauf verständigt, dass die Klägerin (u.a.) aus dem Klagepatent keine Ansprüche auf Unterlassung und Vernichtung gegen die Beklagten mehr geltend macht. Im Umfang der betreffenden Ansprüche haben die Parteien daraufhin den Rechtsstreit schriftsätzlich am 31.05.2011 (GA III 572) und 17.06.2011 (GA III 598/599) übereinstimmend – und mit wechselseitigen Kostenanträgen – für in der Hauptsache erledigt erklärt. Im Übrigen verfolgt die Klägerin die ihr vom Landgericht zuerkannten Ansprüche auf Auskunftserteilung, Rechnungslegung und Schadenersatzfeststellung nach Maßgabe der vom Bundesgerichtshof aufrechterhaltenen Fassung von Patentanspruch 2 des Klagepatents weiter.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass
1. die Beklagten verurteilt werden, ihr (der Klägerin) darüber Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagten)
einen ballon-expandierbaren und nicht selbst-expandierenden Stent, welcher als Röhre ausgebildet ist und in ein Blutgefäß oder in eine andere Öffnung im Körper einführbar ist, in welchem er ausdehnbar ist, mit einer einzigen, zusammenhängenden Struktur aus benachbarten verbundenen, geschlossenen Zellen,
wobei jede Zelle eine gerade Anzahl von geraden Abschnitten fester Länge aufweist, welche mit ersten und zweiten Schlaufen abwechseln, die in gerader Anzahl vorhanden sind und miteinander abwechseln, und die eine feste Länge aufweisen und in einer geschlossenen Zelle verbunden sind, wobei jede Schlaufe zwei Abschnitte mit einem Biegungsbereich dazwischen aufweist,
und wobei die ersten und zweiten Schlaufen durch ihre beiden Abschnitte erste und zweite Winkel definieren, deren Winkelhalbierende einen Winkel zueinander bilden,
seit dem 14.05.2005 (für den Beklagten zu 2) für den Zeitraum 14.06.2007 bis 23.03.2010) im Geltungsbereich des deutschen Patents 195 49 AAA B4 angeboten, in Verkehr gebracht oder gebraucht oder zu den genannten Zwecken eingeführt oder besessen haben,
und zwar unter Vorlage eines chronologisch geordneten Verzeichnisses sowie unter beleggestützter Angabe
a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen (und ggf. Typenbezeichnungen) sowie aufgeschlüsselt nach den Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,
c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen unter Einschluss von Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, der Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten (einschließlich Bezugspreisen) und des erzielten Gewinns,
– wobei die folgenden Belege in Ablichtung vorzulegen sind: Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine;
– wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Angebotsempfänger enthalten ist;
2. festgestellt wird, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, ihr (der Klägerin) allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu 1. bezeichneten, seit dem 14.05.2005 begangenen Handlungen (für den Beklagten zu 2) für den Zeitraum 14.06.2007 bis 23.03.2010) entstanden ist und künftig noch entstehen wird.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und tritt den Ausführungen der Beklagten unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens entgegen. Sie ist der Ansicht, dass die angegriffenen Ausführungsformen auch von den neuen Merkmalen Gebrauch machen, die durch das Nichtigkeitsberufungsurteil Eingang in Patentanspruch 2 gefunden haben.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die Berufung ist zulässig. Sie hat – aufgrund der im Berufungsrechtszug aus dem parallelen Nichtigkeitsverfahren gewonnenen Erkenntnisse zum Inhalt des Klagepatents – auch in der Sache Erfolg. Die angegriffenen Ausführungsformen stellen keine Verletzung von Patentanspruch 2 des Klagepatents dar, weswegen der Klägerin die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche (soweit sie noch Gegenstand des Berufungsverfahrens sind) nicht zustehen.
1.
Das Klagepatent betrifft einen Stent, der dazu dient, ein Blutgefäß oder eine andere Öffnung im Körper aufzuweiten und das dadurch gewonnene Lumen aufrecht zu erhalten. Zu diesem Zweck wird der Stent im nicht expandierten Zustand an den gewünschten Behandlungsort im Körper verbracht (weshalb der Stent hinreichend flexibel sein muss, um dem „verschlungenen“ Verlauf des Gefäßes folgen zu können) und dort mittels eines aufblasbaren Ballons, auf dem der Stent sitzt, aufgedehnt. Damit das erweiterte Lumen in seinem aufgeweiteten Zustand gehalten wird, muss der Stent die Gefäßwand bzw. Körperöffnung über ihren Umfang hinreichend (nämlich ohne unangemessen große Lücken) abstützen.
Nach den Erläuterungen der Klagepatentschrift sind derartige Vorrichtungen aus dem Stand der Technik bekannt. An ihnen werden verschiedene Phänomene bemängelt. Einige Stents stützen die Gefäßwand nicht genügend ab; mit der Verwendung anderer Stents ist sogar die Gefahr einer Beschädigung des Blutgefäßes verbunden. Ein generelles Problem besteht darüber hinaus darin, dass die Stents bei (und infolge) ihrer radialen Aufweitung in der Länge schrumpfen.
Die Klagepatentschrift bezeichnet es vor diesem Hintergrund als Ziel der Erfindung, einen Stent bereitzustellen, der
– flexibel ist und
– während der Ausdehnung minimal in der Längsrichtung schrumpft.
Zur Lösung dieser Problemstellung schlägt Patentanspruch 2 des Klagepatents in der vom Bundesgerichtshof aufrechterhaltenen Anspruchsfassung einen Stent mit der Kombination folgender Merkmale vor:
1. Der Stent ist
a) ballon-expandierbar und nicht selbst-expandierbar,
b) als eine Röhre ausgebildet,
c) in ein Blutgefäß oder eine andere Öffnung im Körper einführbar, in welchem (Blutgefäß, Körperöffnung) der Stent ausdehnbar ist.
2. Der Stent verfügt über eine einzige, zusammenhängende Struktur aus benachbarten verbundenen, geschlossenen Zellen.
3. Jede Zelle weist auf:
a) eine gerade Anzahl von geraden Abschnitten (22) fester Länge sowie
b) erste und zweite Schlaufen (14, 16; 18, 20).
4. Die geraden Abschnitte (22) wechseln mit den ersten und zweiten Schlaufen (14, 16; 18, 20) ab.
5. Die ersten und zweiten Schlaufen (14, 16; 18, 20)
a) sind in gerader Anzahl vorhanden,
b) wechseln miteinander ab.
6. Die Schlaufen (14, 16; 18, 20)
a) weisen eine feste Länge auf,
b) sind in einer geschlossenen Zelle verbunden,
c) jede Schlaufe (14, 16; 18, 20) weist zwei Abschnitte mit einem Biegungsbereich dazwischen auf,
d) die ersten und zweiten Schlaufen definieren durch ihre beiden Abschnitte erste und zweite Winkel;
e) die Winkelhalbierenden der ersten und zweiten Winkel bilden zueinander einen Winkel.
Wesentlich für den Erfindungsgedanken ist die Zusammensetzung des patentgemäßen Stents aus zwei Schlaufenmustern – einem ersten, das sich in eine erste Richtung erstreckt, und einem zweiten, das sich in eine davon verschiedene zweite Richtung erstreckt. Da jedes Muster Schlaufen aufweist, besitzt der Stent im nicht expandierten Zustand einerseits Flexibilität beim Transport durch das „verschlungene“ Blutgefäß, und andererseits wird gewährleistet, dass die sich infolge einer radialen Aufdehnung des Stents einstellende Längenverkürzung durch das Aufweiten der Schlaufen des anderen Musters kompensiert werden kann. Dem Fachmann ist dabei einsichtig, dass die besagten Wirkungen vor allem den zweiten Schlaufen zu verdanken sind, die den Stent – Erstens – im komprimierten Zustand beim Vorschub durch das Gefäß flexibel machen und die – Zweitens – dafür sorgen, dass der Stent bei seinem radialen Expandieren am Behandlungsort dank einer Aufweitung eben dieser Schlaufen nicht in der Länge schrumpft.
Für das Verständnis der Einzelmerkmale ist aufgrund der Patentauslegung, die der Bundesgerichtshof im Nichtigkeitsberufungsverfahren vorgenommen hat und der sich der erkennende Senat anschließt, von Folgendem auszugehen: Merkmal (2), welches für den Stent eine einzige, zusammenhängende Struktur aus benachbarten verbundenen, geschlossenen Zellen verlangt, besagt für den Fachmann, dass der Stent ausschließlich aus Zellen bestehen soll, die den Vorgaben der Merkmale (3) bis (6) genügen (BGH-Urteil Rz. 12, 35). Lediglich aufgrund der Anordnung an den beiden Enden des Stents unvollständig gebliebene Strukturen haben außer Betracht zu bleiben (BGH-Urteil Rz. 12). Die den Stent bildenden Zellen werden zum Einen aus Schlaufen und zum Anderen aus geraden Abschnitten gebildet (Merkmal 3), wobei als gerade Abschnitte solche Strukturelemente anzusehen sind, die sich keiner Schlaufe zuordnen lassen (BGH-Urteil Rz. 13). Die – somit vorrangig festzustellende – Schlaufe zeichnet sich – abschließend – durch zwei Abschnitte und einen dazwischen liegenden Biegungsbereich aus, um den herum sich die beiden Abschnitte biegen, nämlich aufeinander zu und voneinander weg bewegen lassen (BGH-Urteil Rz. 13, 27). Über die besagte Funktionalität hinaus (sic.: Bewegung um einen Biegungsbereich) enthält Patentanspruch 2 keine beschränkenden Festlegungen zu Form, Größe und Ausbildung der Schlaufenabschnitte. Sie können deshalb z.B. einen variierenden Querschnitt haben und sie müssen nicht insgesamt gerade ausgestaltet sein, sondern können ebenso gut einen die Richtung wechselnden Verlauf nehmen. Soweit Patentanspruch 2 für die geraden Abschnitte und für die Schlaufen eine feste Länge fordert [Merkmale (3a), (6a)], bedeutet dies, dass sich beide Bestandteile – die geraden Abschnitte und die Schlaufen – im Zuge der radialen Expansion des Stents nicht verändern dürfen (BGH-Urteil Rz. 13). Damit ist, da die Expansion (Aufdehnung) des Stents durch Aufbiegen der (zu diesem Zweck mit einem Biegebereich versehenen) Schlaufen erfolgen soll (BGH-Urteil Rz. 13), gemeint, dass aus Anlass der Expansion des Stents weder die geraden Abschnitte noch die Schlaufen materialbedingt in ihrer Länge variieren (d.h. sich nicht dehnen), sondern dass sich lediglich die beiden Schlaufenabschnitte um den sie verbindenden Biegungsbereich herum aufspreizen. Dass die ersten und zweiten Schlaufen durch ihre beiden Abschnitte Winkel definieren, deren Winkelhalbierende zueinander einen Winkel bilden [Merkmale (6d), (6e)], hat den Zweck, dass sich die ersten und zweiten Schlaufen bei einer Expansion des Stents in verschiedene Richtungen bewegen (BGH-Urteil Rz. 13). Dadurch wird gewährleistet, dass die sich bei einer radialen Aufdehnung des Stens einstellende Längenverkürzung durch die sich in eine andere Richtung öffnenden Schlaufen der anderen Gattung wenigstens teilweise ausgeglichen werden kann. Angesichts der besagten Wirkzusammenhänge kommt es für die geforderten Winkelverhältnisse maßgeblich auf den expandierten Zustand des Stents an, was nicht zuletzt auch am Ausführungsbeispiel des Klagepatents deutlich wird. Bei ihm sind die Schenkel der Schlaufen in nicht expandiertem Zustand (Figuren 1 und 2) parallel zueinander angeordnet, so dass keine Winkel definiert werden, deren Winkelhalbierende zueinander einen Winkel bilden können, während dies nach erfolgter Expansion und der damit einhergehenden Bewegung der ersten und zweiten Schlaufen in verschiedene Richtungen (Figur 4) sehr wohl der Fall ist (BGH-Urteil Rz. 13, 34). Die bei Aufdehnung des Stents geforderte Winkelbildung zwischen den Schlaufenschenkeln ist insoweit ein sicheres Anzeichen (Indikator) dafür, dass sich die Schlaufenabschnitte (z.B. aus ihrer ursprünglich parallelen Lage) um den Biegungsbereich verschwenkt haben, was wiederum bedeutet, dass sich die Schlaufen (aufdehnungsbedingt) geöffnet haben. Patentanspruch 2 verlangt darüber hinaus nicht, dass der durch die Schlaufenabschnitte definierte Winkel aller Schlaufen des Stents gleich und somit auch der durch die Winkelhalbierenden gebildete Winkel überall identisch ist.
Im Verhandlungstermin vom 28. Mai 2015 hat die Klägerin geltend gemacht, in seinem Anspruch 2 begnüge sich das Klagepatent damit, dass die zweiten Schlaufen aufgrund ihrer Ausrichtung lediglich das theoretische Potenzial zum Öffnen in eine zweite Richtung hätten, dass eine Schlaufenöffnung anläßlich der radialen Ausdehnung des Stents jedoch nicht tatsächlich stattfinden müsse. Anders als beim Gegenstand des Patentanspruchs 1 diene die Ausrichtung der zweiten Schlaufen hier lediglich der Flexibilität beim Vorschub des Stents durch das Blutgefäß und der komplementären Anpassung an den (sich mit jedem Pulsschlag verändernden) Krümmungsverlauf des Gefäßes am Behandlungsort des Stents. Wie der Fachmann bei einem Stent nach Anspruch 2 der Längsschrumpfung entgegenwirke, sei seinem Belieben überlassen.
Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
Sinn und Zweck eines jeden Patentanspruchs ist es, dem Durchschnittsfachmann eine technische Lehre an die Hand zu geben, bei deren Nacharbeitung sich der beabsichtigte Erfindungserfolg einstellt. Wie spezifiziert der Patentanspruch den Fachmann über das belehrt, was zu tun ist, um zum erfindungsgemäßen Erfolg zu gelangen, kann von Fall zu Fall verschieden sein. Es ist rechtlich ohne weiteres zulässig, den Patentanspruch als eine detailgenaue Handlungsnorm abzufassen. Allein die Tatsache, dass ein Anspruchsmerkmal bei einem bestimmten Verständnis für den Fachmann bloß eine technische Selbstverständlichkeit zum Ausdruck bringen würde, schließt deshalb dieses Verständnis nicht aus (BGH, GRUR 2004, 1023 – Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung; BGH, GRUR 2010, 602, 605 – Gelenkanordnung). Andererseits ist es nicht unbedingt notwendig, dass der Patentanspruch eine bis ins allerletzte detaillierte Handlungsanweisung gibt, d.h. eine Anleitung zum technischen Handeln formuliert, die auch Selbstverständlichkeiten aufgreift und erwähnt. Solche können und dürfen vielmehr als präsentes Wissen des Fachmanns in dem Sinne vorausgesetzt werden, dass sie von ihm auch ohne besondere Erwähnung im Patentanspruch eigenständig gesehen und – gleichsam zwischen den Zeilen des Patentanspruchs – ergänzt werden. Für technische Anweisungen, die grundsätzlicher Natur sind, weil ohne sie eine funktionsfähige Vorrichtung erst gar nicht erhalten wird, gilt dies jedoch nicht in gleicher Weise. Merkmale in einem Patentanspruch, die keine aus dem selbstverständlichen Wissen des Durchschnittsfachmanns zu schließenden Lücken hinterlassen, sind deswegen so zu interpretieren, dass sich aus der Gesamtheit der Anspruchsmerkmale ein für die Zwecke der Erfindung tauglicher und vor allem funktionsfähiger Gegenstand ergibt (Senat, InstGE 13, 129 – Synchronmotor; Urteil vom 20.06.2013 – I-2 U 78/12).
Dies vorausgeschickt, verbietet sich die Annahme, Patentanspruch 2 begnüge sich mit einem bloßen „Placebo“-Bauteil, nämlich zweiten Schlaufen, die sich bloß theoretisch öffnen könnten, dies tatsächlich jedoch nicht tun und deshalb auch die ihnen zugedachte technische Wirkung nicht hervorbringen. Dementsprechend hat auch der Bundesgerichtshof (Urteilsumdruck Rz. 13) mit Blick auf die in den Merkmalen 6d) und 6e) vorausgesetzte Winkelbildung durch die Schlaufen und die Orientierung der Winkelhalbierenden zueinander für maßgeblich gehalten, „dass sich die ersten und zweiten Schlaufen bei Expansion des Stents in verschiedene Richtungen bewegen.“ Ohne eine Öffnung der zweiten Schlaufen bliebe für den Fachmann auch gänzlich unklar, auf welche Weise bei dem patentgemäßen Stent eine Längsschrumpfung bei dessen radialer Aufdehnung vermieden werden soll. Ohne eine Bewegung der zweiten Schlaufen bliebe für den Fachmann völlig offen, worin denn das Lösungsmittel für diese (neben der Flexibilität) zweite Teilaufgabe der Erfindung liegen sollte. Ein dahingehendes Verständnis der Anspruchsmerkmale, bei der eine technische erfolgreich ausführbare Lehre nicht vorhanden wäre, hat zu unterbleiben.
2.
Die angegriffenen Ausführungsformen machen von der technischen Lehre des Klagepatents keinen wortsinngemäßen Gebrauch. Jedenfalls das Merkmal (6d) wird nicht verwirklicht, weil die beiden Abschnitte der zweiten (in Längsrichtung des Stents verlaufenden) Schlaufen im expandierten Zustand des Stents parallel zueinander ausgerichtet sind und deshalb zwischen sich keinen Winkel definieren.
a)
Soweit das Landgericht im angefochtenen Urteil (Umdruck Seite 28) der Auffassung der Klägerin folgend davon ausgegangen ist, dass ein die Bestimmung einer Winkelhalbierenden ermöglichender Winkel zwischen den Abschnitten einer Schlaufe auch dann gebildet wird, wenn die Abschnitte parallel zueinander verlaufen, kann dem nach Abschluss des Nichtigkeitsverfahrens gegen das Klagepatent nicht zugestimmt werden. Sachverständig beraten hat der Bundesgerichtshof (Urteilsumdruck Rz. 13) im Hinblick auf die Figuren 1 bis 3 der Klagepatentschrift, die den patentgemäßen Stent in nicht expandiertem Zustand mit parallel zueinander ausgerichteten Schlaufenabschnitten zeigen, festgestellt, dass – eben wegen der parallelen Orientierung – die Schlaufenabschnitte keinen Winkel definieren. An dieser Betrachtung, die eine zentrale Begründungserwägung bei der Behandlung des Nichtigkeitsvorbringens der Beklagten zu 1) und 4) gebildet hat und die darüber hinaus auch bereits vom technisch fachkundig besetzten Bundespatentgericht in seiner erstinstanzlichen Nichtigkeitsentscheidung vom 16.12.2010 (Urteilsumdruck Seite 12) vertreten worden ist, ist für die Beurteilung der Verletzungsfrage festzuhalten.
Soweit die Klägerin darauf verweist, dass die Schlaufenabschnitte in der Praxis aufgrund unvermeidlicher Fertigungstoleranzen niemals exakt parallel zueinander verlaufen, gibt ihr Sachvortrag bereits keinerlei konkreten Anhaltspunkt dazu, welche zahlenmäßigen Abweichungen aus der angestrebten Parallellage insoweit in Rechnung zu stellen sind. Mangels anderweitigen Vorbringens kann es sich deshalb um „Fehlausrichtungen“ handeln, die für einen Fachmann lediglich mit messtechnischem Aufwand festzustellen sind. Derartige Abweichungen haben für die patentrechtliche Beurteilung außer Betracht zu bleiben, und zwar aus zweierlei Gründen.
Zwar ist richtig, dass der Schutzbereich eines Patents durch die Patentansprüche bestimmt wird (§ 14 PatG) und diese vorliegend keine näheren Vorgaben dazu enthalten, wie groß der durch die Schlaufenabschnitte gebildete Winkel sein muss bzw. wie klein der Winkel im Extremfall sein kann. Auch bedingt der vom Gesetzestext verordnete Vorrang des Anspruchs vor der lediglich anspruchserläuternden Beschreibung nach der Rechtsprechung des BGH, dass ein weit gefasster Patentanspruch nicht unter Berufung auf den Beschreibungstext unter seinen Wortlaut einschränkend interpretiert werden darf (BGH, GRUR 2004, 1023 – Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung; BGH, GRUR 2007, 778 – Ziehmaschinenzugeinheit). Sind die im Anspruch aufgeführten Merkmale bei einer Ausführungsform in ihrer räumlich-körperlichen Ausgestaltung vorhanden, kommt es für die Bejahung einer Patentverletzung nicht mehr darauf an, ob die die Anspruchsmerkmale verwirklichenden Funktionsteile die mit der geschützten Erfindung bezweckten Vorteile tatsächlich erreichen oder nicht (BGH, GRUR 2006, 131, 134 – Seitenspiegel; BGH, GRUR 1991, 436, 439 – Befestigungsvorrichtung II). Auf der anderen Seite stellt es aber auch einen festen Auslegungsgrundsatz dar, dass die Ansprüche und der sie erläuternde Beschreibungstext – eben weil die Ansprüche anhand der Beschreibung zu begreifen und auszulegen sind – eine zusammengehörige Einheit bilden, die der Durchschnittsfachmann demgemäß auch als sinnvolles Ganzes so zu interpretieren sucht, dass sich Widersprüche nicht ergeben (BGH, GRUR 2008, 887 – Momentanpol II; BGH, GRUR 2009, 653 – Straßenbaumaschine). Dies bedingt, dass Begriffe eines Patentanspruchs nicht unbesehen mit ihrem auf dem betreffenden Fachgebiet üblichen Inhalt verstanden, sondern aus der Patentschrift selbst heraus funktionsorientiert ausgelegt werden (BGH, GRUR 1999, 909 – Spannschraube; BGH, GRUR 2005, 754 – werkstoffeinstückig). Dass ein weit gefasster Patentanspruch nicht unter Rückgriff auf die Beschreibung unter seinen Wortlaut interpretiert werden darf, bedeutet deswegen nicht, dass der Anspruchswortlaut als solcher einen bestimmten Schutzbereich hätte, der sich ohne Rücksicht auf die Beschreibung – quasi aus sich heraus – ermitteln ließe und der deshalb auch gegenüber den Erläuterungen des Beschreibungstextes eine feste, nicht überschreitbare Grenze setzt. Eine Auslegung hat immer stattzufinden, d.h. nicht nur, wenn der Anspruchswortlaut sprachliche Unklarheiten aufwirft, die zu beheben sind, sondern in jedem einzelnen Fall der Schutzbereichsbestimmung, um den mit den (auch vermeintlich klaren und unzweideutigen) Worten des Patentanspruchs verbundenen technischen Sinn aufzudecken. Vorliegend kann deshalb nicht bei der rein philologischen Feststellung stehen geblieben werden, dass sich Patentanspruch 2 des Klagepatents zur Größe des Winkels zwischen den Schlaufenabschnitten nicht verhält, sondern muss die Frage beantwortet werden, wie der diesbezüglich offen formulierte Anspruchswortlaut von einem technischen Durchschnittsfachmann verstanden wird, dem gegenwärtig ist, dass mit dem fraglichen Merkmal des Patentanspruchs 2 ein bestimmtes technisches Problem gelöst werden soll (Senat, Urteil vom 09.10.2014 – I-2 U 80/13), nämlich die Erzielung eines Längenausgleichs bei radialem Aufdehnen des Stents. Auch ohne dahingehende Festlegung im Anspruchswortlaut wird der Fachmann, der dies berücksichtigt, nicht jede beliebig geringe Fehlausrichtung gegenüber der theoretischen Parallellage schon als erfindungsgemäße Anordnung ansehen, sondern nur eine solche Lage der Schlaufenabschnitte zueinander, die – bezogen auf die praktischen Zwecke der Erfindung – qualitativ irgendwie andere Verhältnisse schafft als eine Schlaufe mit exakt parallelen Abschnitten.
Des Weiteren ist zu beachten, dass die Schlaufenabschnitte zwischen sich aufgrund einer bestimmten Ursachenkette, nämlich infolge der radialen Expansion des Stents und der damit verbundenen Bewegung der ersten und zweiten Schlaufen in unterschiedliche Richtungen, einen halbierungsfähigen Winkel definieren sollen (BGH-Urteil Rz. 13). Denn die patentgemäß geforderte Winkelbildung zwischen den Schlaufenabschnitten verfolgt den Zweck, dass sich die ersten und zweiten Schlaufen bei einer Expansion des Stents in verschiedene Richtungen bewegen (öffnen), so dass die mit einer radialen Aufdehnung verbundene Längsschrumpfung des Stents durch das gleichzeitige Öffnen der zweiten (sich in eine andere Richtung bewegenden) Schlaufen kompensiert werden kann (BGH-Urteil Rz. 13). Die Entstehung und das Vorhandensein eines Winkels im expandierten Zustand des Stents repräsentiert insoweit das Auseinanderspreizen der ursprünglich parallelen Schlaufenabschnitte in eine aufgeweitete Stellung zur Längenkompensation. Die Größe der sich bildenden Winkelhalbierenden ist insoweit ein Maß für die eintretende Öffnung der Schlaufe, welche wiederum den Umfang des sich einstellenden Kompensationseffektes bestimmt. Damit sich dieser Effekt in einem merklichen Maße einstellt, bedarf es nicht nur einer bloß theoretisch feststellbaren (messbaren), sondern einer praktisch wirkungsvollen (spürbaren) Öffnung der zweiten Schlaufen (= Neigung der Schlaufenabschnitte aus ihrer Ausgangslage unter Bildung eines halbierungsfähigen Winkels zwischen den Abschnitten) während der radialen Aufdehnung des Stents. Das gilt ganz besonders vor dem Hintergrund der vergleichsweise ambitionierten Zielsetzung des Klagepatents, die dahin geht, einen flexiblen Stent bereitzustellen, der während der Ausdehnung minimal in der Längsrichtung schrumpft. Fertigungstoleranzen, die von vornherein zu einer ungewollten Minimalabweichung von der theoretischen Parallellage führen, haben keinen Bezug zu dem dargelegten technischen Aspekt und können daher nicht für eine Winkelbildung zwischen auch im expandierten Zustand des Stents parallel angeordneten Schlaufenabschnitten herangezogen werden.
b)
Die nachfolgenden Abbildungen (GA I 219-221) zeigen die streitbefangenen Stents zunächst in nicht-expandiertem
und anschließend in expandiertem Zustand.
Die Darstellungen belegen den Vortrag der Beklagten, dass sich die in Längsrichtung des Stents orientierten Schlaufen infolge der radialen Aufdehnung des Stents nicht verändern (aufweiten), sondern vielmehr ihre ursprüngliche Form behalten. Die von der Klägerin im Verhandlungstermin vom 28. Mai 2015 überreichten Abbildungen, die lediglich für den ungedehnten Zustand Winkelangaben ausweisen, nicht jedoch für den radial expandierten Zustand, erlauben keine gegenteiligen Feststellungen. Die für die angegriffenen Ausführungsformen zugrunde zu legende Konfiguration ist dadurch gekennzeichnet, dass sich ausgehend von dem jeweiligen Biegungsbereich zwei Schlaufenabschnitte auswärts erstrecken, wobei die beiden Abschnitte im Sinne eines – wie dargelegt – praktischen Verständnisses – parallel zueinander verlaufen und infolgedessen keinen Winkel zwischen sich definieren.
Es mag – wie die Klägerin (GA III 595-596) behauptet – sein, dass besondere Verhältnisse herrschen, wenn der Stent in einer Gefäßkrümmung expandiert wird. Die Besonderheit mag insoweit auch darin liegen, dass sich zweite Schlaufen, die auf der Außenseite der Krümmung gelegen sind, in gewissem Umfang aufweiten. Ursache dieser Aufweitung ist jedoch – wie die Beklagten zu Recht bemerken (GA III 609/610) – ausschließlich die durch den Gefäßverlauf bedingte Krümmung des Stents gegenüber seiner Längsachse, aber nicht die radiale Aufdehnung des Stents. Genau darin liegt jedoch die technische Lehre des Klagepatents, welche – wie dargelegt – dahin geht, den Stent so zu konstruieren, dass sich die zweiten Schlaufen, wenn der Stent radial aufgedehnt wird, (unter Bildung eines Winkels zwischen den Schlaufenschenkeln) öffnen. Das geschieht bei den angegriffenen Ausführungsformen gerade nicht.
3.
Für die Annahme einer äquivalenten Patentverletzung ist kein Raum. Der Schutzbereichseingriff unter Äquivalenzgesichtspunkten setzt (u.a.) voraus, dass das abgewandelte Mittel für den Durchschnittsfachmann in naheliegender Weise aufzufinden war, wenn er sich an der ihm durch den Patentanspruch gegebenen technischen Lehre orientiert hat. Den rechtlichen Maßstab bildet der (ausgelegte) Patentanspruch, nicht der (ggf. überschießende) Inhalt der Patentbeschreibung. Im Streitfall ist insofern entscheidend, dass die Abschnitte der zweiten Schlaufen bei den angegriffenen Ausführungsformen – wie dargelegt – im expandierten Zustand gerade keine Winkelhalbierenden bilden, weswegen sie sich von einem zentralen Gedanken der Erfindung abwenden. Von einer gleichwertigen Ersatzlösung kann unter solchen Umständen keine Rede sein.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO. Soweit die Parteien (hinsichtlich des Unterlassungs- und Vernichtungsanspruchs) den Rechtsstreit übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt haben, sind die Kosten der Klägerin aufzuerlegen, weil die Klage aus den dargelegten Gründen auch insoweit von Beginn an unbegründet gewesen ist.
Die Anordnung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Es besteht keine Veranlassung, die Revision zuzulassen, weil die hierfür in § 543 ZPO aufgestellten Voraussetzungen ersichtlich nicht vorliegen. Als reine Einzelfallentscheidung hat die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO noch erfordern die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder die Fortbildung des Rechts eine revisionsgerichtliche Entscheidung im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Das gilt umso mehr, als der Senat seiner Entscheidung diejenige Auslegung des Klagepatents zugrundegelegt hat, die der Bundesgerichtshof im parallelen Nichtigkeitsberufungsverfahren vorgegeben hat.