2 U 19/13 – Visitenkarten II

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 2139

Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil vom 16. Januar 2014, Az. 2 U 19/13

Vorinstanz: 4b O 60/12

I. Die Berufung gegen das am 26. März 2013 verkündete Urteil der 4b Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.

II. Die Restitutionsbeklagte hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Das Urteil und das Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar. Die Restitutionsbeklagte darf die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Restitutionskläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.000.000,- € festgesetzt.

G r ü n d e

I.

Die Restitutionsbeklagte ist seit dem 21. April 2004 eingetragene Inhaberin des u.a. mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 852 XXX, das auf einer Anmeldung vom 20. Dezember 1996 beruht und ein Verfahren zur Erstellung einer Druckvorlage sowie eine Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens betrifft.

Auf der Webpage „B.de“ boten die Restitutionskläger umfassende Möglichkeiten an, u.a. Visitenkarten zu gestalten und entsprechende Druckaufträge zu vergeben. Weil die Restitutionsbeklagte der Auffassung war, dass die Restitutionskläger hiermit dem Wortsinn nach von dem Verfahrens- sowie dem Vorrichtungsanspruch des Klagepatents Gebrauch machen, nahm sie die Restitutionskläger in dem Verfahren 4b O 279/06 auf Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung, Vernichtung und Schadensersatz in Anspruch.

Mit Urteil vom 31. Juli 2007 gab das Landgericht Düsseldorf der Verletzungsklage – abgesehen von einem geringfügigen Teil des Rechnungslegungsanspruchs – statt. Eine von der Restitutionsklägerin zu 2) am 7. Juni 2007 erhobene Nichtigkeitsklage nahm das Landgericht nicht zum Anlass für eine Verfahrensaussetzung, weil der Rechtsbestandsangriff lediglich drei Wochen vor dem Haupttermin des Verletzungsprozesses anhängig gemacht worden ist, womit der Restitutionsbeklagten keine angemessene Erwiderung auf das Nichtigkeitsvorbringen mehr möglich sei.

Nachdem Vergleichsverhandlungen der Parteien im Anschluss an das landgerichtliche Urteil ergebnislos geblieben waren, ließen die Restitutionskläger das gegen sie ergangene Verletzungsurteil ohne Einlegung eines Rechtsmittels rechtskräftig werden.

Mit Urteil vom 13. November 2008 hat das Bundespatentgericht das Klagepatent mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt (2 Ni 30/07). Die hiergegen gerichtete Berufung hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 22. März 2012 zurückgewiesen.

Der Aufforderung der Restitutionskläger, nach der Vernichtung des Klageschutzrechts auf sämtliche Rechte aus dem landgerichtlichen Urteil vom 31. Juli 2007 zu verzichten sowie sämtliche Kosten des Verletzungsrechtsstreits zu erstatten, kam die Restitutionsbeklagte mit Schreiben vom 10. April 2012 lediglich insofern nach, als sie zusagte, die Vollstreckung aus dem landgerichtlichen Verletzungsurteil nicht weiter zu betreiben, und die entwertete vollstreckbare Ausfertigung des Urteils an die Restitutionskläger übersandte.

Mit ihrer am 18. April 2012 bei Gericht eingegangenen Restitutionsklage betreiben die Restitutionskläger die Wiederaufnahme des Verletzungsverfahrens. Sie halten die erfolgte Verurteilung wegen Patentverletzung für unbegründet, nachdem das Klagepatent am 22. März 2012 rechtskräftig vernichtet worden ist.

Die Restitutionsbeklagte hält das Wiederaufnahmebegehren für unzulässig. Angesichts ihrer vorgerichtlichen Erklärungen vom 10. April 2012 seien die Restitutionskläger durch das Verletzungsurteil nicht mehr beschwert. Soweit es um die Kostentragungspflicht aus dem Verletzungsverfahren gehe, sei deren alleinige Beseitigung nicht Sinn und Zweck der Restitutionsklage. Ihr stehe überdies § 582 ZPO entgegen, weil die Restitutionskläger es schuldhaft versäumt hätten, den Nichtigkeitsangriff gegen das Klagepatent so frühzeitig zu führen, dass es bereits im landgerichtlichen Verfahren zu einer Aussetzungsanordnung habe kommen können. In jedem Fall habe die Restitutionskläger angesichts des laufenden Rechtsbestandsangriffs die Obliegenheit getroffen, das Verletzungsverfahren durch Einlegung eines Rechtsmittels offenzuhalten. Es beruhe deshalb auf ihrem Verschulden, dass der mangelnde Rechtsbestand des Klagepatents nicht im früheren Erkenntnisverfahren des Verletzungsprozesses berücksichtigt worden sei, was seine Behandlung in der Restitutionsklage ausschließe.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht der Restitutionsklage stattgegeben und wie folgt erkannt:

I. Das Urteil der 4b Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 31.07.2007, Az. 4b O 279/06, wird aufgehoben.

II. Die Klage der Restitutionsbeklagten vom 27.07.2006 (Landgericht Düsseldorf, Az. 4b O 279/06) wird abgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits und die Kosten des vorausgegangenen Verletzungsprozesses (Landgericht Düsseldorf, Az. 4b O 279/06) hat die Restitutionsbeklagte zu tragen.

Mit ihrer Berufung hält die Restitutionsbeklagte an ihrer Auffassung fest, dass das Restitutionsbegehren mangels Beschwer und Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig sei und ihm ferner die Vorschrift des § 582 ZPO entgegenstehe.

Die Restitutionsbeklagte beantragt,

1. das landgerichtliche Urteil abzuändern und die Restitutionsklage abzuweisen;

2. hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Die Restitutionskläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das landgerichtliche Urteil, dessen Begründung sie für zutreffend halten.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Im Ergebnis zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen hat das Landgericht die Restitutionsklage für zulässig und begründet erachtet und den Verletzungsprozess von Neuem verhandelt. Hierbei ist es – ebenfalls zutreffend – zu dem Resultat gelangt, dass das Verletzungsurteil, nachdem das ihm zugrunde liegende Klagepatent rechtskräftig für nichtig erklärt worden ist, keinen Bestand mehr haben kann. Das Landgericht hat insofern zu Recht die Verletzungsklage abgewiesen und die Kostentragungspflicht der Restitutionsbeklagten für den Verletzungsprozess (und das Restitutionsverfahren) festgestellt.

1. Dass die Restitutionsklage fristgerecht innerhalb der Monatsfrist des § 586 Abs. 1 ZPO und vor Ablauf der fünfjährigen Ausschlussfrist des § 586 Abs. 2 Satz 2 ZPO erhoben worden ist, hat das Landgericht im Einzelnen dargelegt. Auf diese Ausführungen, die auch von der Berufung nicht gesondert angegriffen werden, nimmt der Senat Bezug.

2. Das Gleiche gilt für die Darlegungen des Landgerichts zur Beschwer der Restitutionskläger und ihrem rechtlich schutzwürdigen Interesse daran, das gegen sie ergangene Verletzungsurteil beseitigen zu lassen. Das Landgericht hat hierzu alles Notwendige ausgeführt; der Senat tritt dem in vollem Umfang bei.

3. Völlig zu Recht hat das Landgericht die Restitutionsklage schließlich auch nicht an § 582 ZPO scheitern lassen.

Die Vorschrift bestimmt, dass die Restitutionsklage nur zulässig ist, „wenn die Partei ohne ihr Verschulden außerstande war, den Restitutionsgrund in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Einspruch oder Berufung oder mittels Anschließung an eine Berufung, geltend zu machen“. Grundlage für das Restitutionsbegehren ist vorliegend § 580 Nr. 6 ZPO. Die Regelung wird nach einhelliger Auffassung für ein rechtskräftig abgeschlossenes Patentverletzungsverfahren analog herangezogen, weil aufgrund der bestehenden Bindung der Verletzungsgerichte an den behördlichen Akt der Patenterteilung und dessen nachträgliche Beseitigung durch Widerruf oder Nichtigerklärung eine unmittelbar vergleichbare Sachlage zu derjenigen gegeben ist, die § 580 Nr. 6 ZPO seinem Wortlaut nach erfasst. „Restitutionsgrund“ im Sinne von § 582 ZPO ist im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 580 Nr. 6 ZPO der Eintritt der Rechtskraft desjenigen abändernden Urteils, auf dem das mit der Restitutionsklage angegriffene Urteil gegründet ist. Im analogen Anwendungsbereich des § 580 Nr. 6 ZPO liegt der „Restitutionsgrund“ für die Wiederaufnahme des abgeschlossenen Verletzungsprozesses dementsprechend in der Rechtskraft derjenigen Widerrufs- oder Nichtigkeitsentscheidung, mit der das Klagepatent, auf das sich das Verletzungsurteil stützt, rückwirkend beseitigt wird. Nicht die Vernichtbarkeit repräsentiert mithin den zur Restitution berechtigenden Grund, sondern erst die rechtskräftige Vernichtung des Klagepatents. Da sie vorliegend mit Erlass des Berufungsurteils des Bundesgerichtshofs vom 22. März 2012 erfolgt ist, das Verletzungsverfahren zu diesem Zeitpunkt jedoch längst (seit dem 10. September 2007) rechtskräftig abgeschlossen war, kann den Restitutionsklägern schon in rein zeitlicher Hinsicht nicht der Vorwurf gemacht werden, es unterlassen zu haben, den „Restitutionsgrund“ (= rechtskräftige Vernichtung des Klagepatents) in den Verletzungsprozess eingeführt zu haben.

Irgendeine Rechtspflicht, den Verletzungsrechtsstreit im Hinblick auf den laufenden Angriff gegen das Klagepatent durch Einlegung von Rechtsmitteln offenzuhalten, bestand für die Restitutionskläger nicht. § 582 ZPO umreißt die Grenzen derjenigen Obliegenheiten, die den Restitutionskläger treffen, abschließend. Sie gehen dahin, sich nach Kräften darum zu bemühen, den „Restitutionsgrund“ in das Erkenntnisverfahren einzuführen. Es ist deswegen konsequent, einer Partei die auf eine ihr günstige Urkunde gestützte Restitutionsklage zu versagen, wenn die betreffende Urkunde bereits während des Erkenntnisverfahrens existiert hat und der Restitutionskläger imstande gewesen ist, ihrer habhaft zu werden (BGH, NJW-RR 2013, 833). Entsteht der Restitutionsgrund nach einer die Instanz beendenden Gerichtsentscheidung, aber noch innerhalb der anschließenden Rechtsmittelfrist, so muss das Rechtsmittel eingelegt werden, um den Restitutionsgrund in das noch laufende Erkenntnisverfahren einzuführen. Wenn § 582 ZPO demgemäß dazu anhält, einen gegebenen Restitutionsgrund zum Gegenstand des (zu diesem Zeitpunkt noch laufenden) gerichtlichen Erkenntnisverfahrens zu machen, so folgt daraus im Umkehrschluss, dass es darüber hinaus nicht Sache des Restitutionsklägers ist, auf die Prozesslage des Erkenntnisverfahrens „prophetisch“ in der Weise einzuwirken, dass, falls sich später ein Restitutionsgrund einstellen sollte, dieser noch in das Erkenntnisverfahren eingebracht werden kann. Ebenso wenig besteht eine Rechtspflicht, den Rechtsbestandsangriff zeitlich in einer bestimmten Weise zu gestalten, nämlich so zu führen, dass sein Ergebnis in das Erkenntnisverfahren eingebracht und dort berücksichtigt werden kann. Im Streitfall hätte den Restitutionsklägern eine frühzeitigere Nichtigkeitsklage ohnehin nichts genützt, weil das Verletzungsurteil innerhalb eines Jahres nach Klageeinreichung verkündet worden ist, während das Nichtigkeitsverfahren nach einer Verfahrensdauer von 17 Monaten mit einer überdies nur erstinstanzlichen Vernichtungsentscheidung beendet wurde. Selbst eine unmittelbar nach Klagezustellung erhobene Nichtigkeitsklage hätte deswegen nicht die Möglichkeit eröffnet, den Restitutionsgrund in das Verletzungsverfahren einzuführen.

4. Die Restitutionsklage ist begründet. Nachdem das Klagepatent rechtskräftig vernichtet worden ist, stehen der Restitutionsbeklagten die mit dem Urteil vom 31. Juli 2007 zuerkannten Ansprüche wegen Patentverletzung nicht zu. Der Senat schließt sich insoweit den zutreffenden Darlegungen im angefochtenen Urteil an.

5. Der Senatsvorsitzende ist wegen seiner Mitwirkung am landgerichtlichen Verletzungsurteil vom 31. Juli 2007 nicht daran gehindert, über das Restitutionsverlangen mit zu entscheiden. § 41 Nr. 6 ZPO ist auf die Fälle der Wiederaufnahmeklage nicht anwendbar (Zöller, ZPO, 30. Aufl., § 41 Rn. 14 m.w.N.).

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 711, 108 ZPO.

Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht. Die im Streitfall zu entscheidenden Rechtsfragen können auf der Grundlage bereits vorhandener höchstrichterlicher Judikatur beurteilt werden.