Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil vom 10. Januar 2013, Az. 2 U 97/01
I.
Die Berufung der Beklagten gegen das am 22. Mai 2001 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass
1. die Verurteilung zu Ziffern I.2 und II. sich auf Vorrichtungen wie im Tenor zu Ziffer I.1. des landgerichtlichen Urteils beschrieben bezieht, wobei hinter die Worte „… mit einer effektiv vorspringenden Länge, um den Nagel“ die Passage „mit ihrer Spitze an einer Stelle seines Umfangs, an der der Nagel kein Loch aufweist,“ eingefügt wird;
2. die Verurteilung zur Unterlassung in Ziffer I.1. aufgrund des zwischenzeitlichen Erlöschens des Klagepatents infolge Zeitablaufes gegenstandslos ist;
3. die für die ab dem 06. September 1998 zuerkannten Ansprüche auf Rechnungslegung sowie Schadensersatz nur für solche Handlungen bestehen, die in der Zeit bis einschließlich 31.07.2005 begangen wurden.
II.
Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
III.
Das vorliegende Urteil und das landgerichtliche Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zwangsweise beizutreibenden Betrages abzuwenden, falls nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
V.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 500.000 EUR festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Klägerin war eingetragene Inhaberin des deutschen Gebrauchsmusters 295 21 XXX (nachfolgend: „Klagegebrauchsmuster“, Anlage 1) betreffend eine Vorrichtung zur mechanischen Ausrichtung von Knochenschrauben in einem intramedullären Nagel. Das Klagegebrauchsmuster, welches eine Priorität vom 28. Juli 1994 in Anspruch nahm, ist zwischenzeitlich aufgrund Ablaufs seiner zeitlichen HöchstschutzC erloschen. Es war aus der am 12. Juli 1995 angemeldeten internationalen Patentanmeldung PCT/PC 95/00XXY abgezweigt worden. Seine Eintragung erfolgte am 6. August 1998, die Bekanntmachung der Eintragung am 17. September 1998.
Der Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters, das in einem von der Beklagten angestrengten Löschungsverfahren vom Bundespatentgericht mit Beschluss vom 21. Juli 2003 (Anlage ROP 10) teilgelöscht wurde, lautete in der aufrecht erhaltenen und nunmehr allein geltend gemachten Fassung wie folgt (Änderungen sind vom Senat durch Unterstreichen hervorgehoben):
„Bohrvorrichtung zum mechanischen Ausrichten einer Bohrführung mit einem oder mehreren, in Querrichtung verlaufenden Knochenschraubenlöchern in einem intramedullären Nagel, der in einen länglichen gebrochenen Knochen wie zum Beispiel ein Femur oder eine Tibia eingesetzt ist, wobei der intramedulläre Nagel mindestens einen geraden, distal verlaufenden Abschnitt, ein proximales Ende, das zur Anbringung einer Vorrichtung vorgesehen ist, und ein oder mehrere Knochenschraubenlöcher im geraden, distal verlaufenden Abschnitt umfasst, wobei das eine Loch bzw. die mehreren Löcher und die Achse des Nagels eine erste geometrische Symmetrieebene bilden und wobei die Vorrichtung umfasst:
– eine längliche gerade Führungsstange;
– einen starren Griff mit Vorrichtungen zur selektiven Verbindung und
Arretierung am proximalen Ende des Nagels, so dass der Griff quer zum Nagel verläuft, und mit Vorrichtungen zur Führung und Halterung der Führungsstange parallel zum Nagel;
– eine oder mehrere Bohrführungsbohrungen, die allgemein mit einem
oder mehreren Knochenschraubenlöchern fluchten; dadurch gekennzeichnet, dass sie eine Auslegerkonstruktion umfasst, die abnehmbar auf der Führungsstange angeordnet ist und seitlich außerhalb der ersten geometrischen Ebene verläuft, wobei die Auslegerkonstruktion ein Ende mit einer Führungsbohrung in einer zweiten geometrischen Ebene aufweist, zu welcher die Achse des Nagels gehört und die sich senkrecht zur ersten geometrischen Ebene erstreckt, und eine Abstandhalterstange zur Anordnung in der Führungsbohrung der Auslegerkonstruktion mit einer effektiv vorspringenden Länge, um den Nagel mit ihrer Spitze an einer Stelle des Umfangs, an der der Nagel kein Loch aufweist, zu kontaktieren, wenn eine oder mehrere Bohrführungsbohrungen der Führungsstange mit einem oder mehreren Löchern des Nagels einwandfrei fluchten.“
Die nachfolgend (verkleinert) wiedergegebene Figur 13 der Klagegebrauchsmusterschrift zeigt ein Ausführungsbeispiel der erfindungsgemäßen Vorrichtung, das speziell für das Blindlochbohren in einem gebrochenen Femur (Oberschenkelknochen) geeignet ist.
Die Beklagte vertreibt Vorrichtungen, mit denen Bohrführungen zur Anbringung von Knochenbohrungen mit entsprechenden Knochenschraubenlöchern des distalen Endes eines intramedullären Nagels ausgerichtet werden können. Zur Erläuterung der näheren Ausgestaltung dieser Vorrichtung hat die Klägerin als Anlagen 5 bis 6, 8 und 9 Fotos und die Werbeschrift gemäß Anlage 7 zu den Akten gereicht; die Beklagte hat als Anlage B 8 ebenfalls Fotos und als Anlage B 9 ein Musterstück vorgelegt. Nachstehend ist die S. 8 der „Handhabungstechnik“ der angegriffenen Ausführungsform (verkleinert) wiedergegeben („angegriffene Ausführungsform“).
Die angegriffene Ausführungsform besitzt einen aus zwei um 90° abgebogenen Abschnitten bestehenden etwa C – förmigen Griff, an dessen unterem Teil (in Verlängerung des unteren C-Schenkels) der Nagel arretiert wird; der Nagel weist u.a. an seinem distalen Ende zwei Löcher zur Aufnahme von Knochenschrauben auf. Am oberen Teil des Griffes (in Verlängerung des oberen C-Schenkels) ist eine Stange bzw. ein Schwenkarm schwenkbar gelagert, an dessen distalem Ende Bohrungen zur Aufnahme einer Bohrführung angeordnet sind. Eine Auslegerkonstruktion kann quer zur Ebene des Nagels und der Führungsstange an dieser abnehmbar angesetzt werden und nimmt eine in einer weiteren Führungsbohrung ausgerichtete Abstandhalterstange auf, die rechtwinklig auf den Nagel ausgerichtet ist; ihr in Vorschubrichtung vorderes Ende ist hakenförmig abgewinkelt und trifft mit der Außenseite des abgewinkelten Schenkels auf den Nagel. Berührt die mit einer definierten Länge ausgestattete Abstandhalterstange den Nagel, sind die Bohrungen zur Aufnahme der Bohrführung fluchtend mit den Knochenschraubenlöchern ausgerichtet. Die Längsachse des Nagels und die Längsachse der Führungsstange bzw. des Schwenkarms sind nicht exakt parallel zueinander ausgerichtet, sondern verlaufen in einem geringfügigen Winkel zueinander. Damit die Bohrführungsbohrungen exakt mit den Knochenschraubenlöchern fluchten, wird die winkelmäßige Verschiebung dadurch ausgeglichen, dass Bohrführungsbohrungen auf der Breite der Führungsstange derart versetzt zueinander angeordnet sind, dass die Mittelachse des Nagels die Bohrführungsbohrungen exakt in ihrer Mitte schneidet. Die Auslegerkonstruktion ist ebenfalls in der Weise winkelmäßig von der Führungsstange abgesetzt, dass sie die Abstandhalterstange genau rechtwinklig zum Nagel führt.
Die Klägerin hat erstinstanzlich die Ansicht vertreten, die angegriffene Ausführungsform verwirkliche die in Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters angegebenen Merkmale wortsinngemäß, zumindest aber mit äquivalenten Mitteln: Die Führungsstange brauche nach der Lehre des Klagegebrauchsmusters nicht mathematisch exakt parallel auf den Nagel ausgerichtet zu sein, sondern es genüge eine im wesentlichen parallele Ausrichtung. Die in Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters beschriebene Vorrichtung ermögliche auch die Kompensation einer leichten Biegung des Nagels, indem man durch einen Druck auf den Knebelgriff der Abstandhalterstange über eine leichte Verbiegung der gesamten Konstruktion einschließlich der Führungsstange auch die dort befindlichen Bohrführungen leicht verschieben könne.
Die Beklagte hat vor dem Landgericht eingewandt, im Gegensatz zur Lehre des Klageschutzrechtes habe die angegriffene Vorrichtung keine in einem Griff parallel zum Nagel horizontal starr fixiert und fest gehalterte Führungsstange, sondern – in tatsächlicher Hinsicht unstreitig – einen Schwenkarm. Die Lokalisierung der Knochenschraubenlöcher im implantierten Nagel erfolge nicht wie beim Klagegebrauchsmuster „passiv“ mittels eines starren, in einer Ebene angeordneten Vierecks aus Griff, Nagel, Führungsstange und Bohrführungen, sondern mit Hilfe eines Schwenkarms, der „aktiv“ in Richtung auf die durch die Achse des Nagels und die Achsen der darin befindlichen Löcher gebildete Ebene verschwenkt werde, bis der am Ende des Schwenkarms mittels eines Auslegers befestigte Abstandhalter gegen den Nagel stoße, wobei die Länge des Abstandhalters so gewählt sei, dass die Bohrführungen an dem Schwenkarm mit den Knochenschraubenlöchern im Nagel fluchteten, sobald der Abstandhalter gegen den Nagel stoße. Der Griff der angegriffenen Vorrichtung verlaufe auch nicht nur quer zum Nagel, sondern mit dem abgebogenen den Schwenkarm aufnehmenden oberen Abschnitt parallel zum Nagel. Sofern der Schwenkarm parallel zum Nagel verlaufe, fluchteten seine Bohrführungsbohrungen nicht mit den Knochenschraubenlöchern im Nagel; ein Fluchten sei nur möglich, wenn Schwenkarm und Nagel nicht parallel, sondern im Winkel zueinander verliefen.
Mit Urteil vom 22. Mai 2001 hat das Landgericht der Klage entsprochen und die Beklagte entsprechend der erstinstanzlich noch geltend gemachten eingetragenen Fassung des Schutzanspruches 1 verurteilt,
1.
es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 500.000,– DM – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, zu unterlassen,
Bohrvorrichtungen zum mechanischen Ausrichten einer Bohrführung mit einem oder mehreren, in Querrichtung verlaufenden Knochenschraubenlöchern in einem intramedullären Nagel, der in einen länglichen gebrochenen Knochen wie zum Beispiel ein Femur oder eine Tibia eingesetzt ist, wobei der intramedulläre Nagel mindestens einen geraden, distal verlaufenden Abschnitt, ein proximales Ende, das zur Anbringung einer Vorrichtung vorgesehen ist, und ein oder mehrere Knochenschraubenlöcher im geraden, distal verlaufenden Abschnitt umfasst, wobei das eine Loch bzw. die mehreren Löcher und die Achse des Nagels eine erste geometrische Symmetrieebene bilden und wobei die Vorrichtung umfasst: eine längliche gerade Führungsstange, einen starren Griff mit Vorrichtungen zur selektiven Verbindung und Arretierung am proximalen Ende des Nagels, so dass der Griff quer zum Nagel verläuft, Vorrichtungen zur Führung und Halterung der Führungsstange im wesentlichen parallel zum Nagel, mit einer geringfügigen Abweichung, eine oder mehrere Bohrführungsbohrungen, die allgemein mit einem oder mehreren Knochenschraubenlöchern fluchten, wobei die Abweichung zur Parallelität ausgeglichen wird durch eine entsprechende Ausrichtung der Bohrführungsbohrungen relativ zur Längsachse der Führungsstange,
anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
die eine Auslegerkonstruktion umfassen, die abnehmbar auf der Führungsstange angeordnet ist und seitlich außerhalb der ersten geometrischen Ebene verläuft, wobei die Auslegerkonstruktion ein Ende mit einer Führungsbohrung in einer zweiten geometrischen Ebene aufweist, zu welcher die Achse des Nagels gehört und die sich senkrecht zur ersten geometrischen Ebene erstreckt, und eine Abstandhalterstange zur Anordnung in der Führungsbohrung der Auslegerkonstruktion mit einer effektiv vorspringenden Länge, um den Nagel zu kontaktieren, wenn eine oder mehrere Bohrführungsbohrungen der Führungsstange mit einem oder mehreren Löchern des Nagels einwandfrei fluchten;
2.
der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu 1. bezeichneten Handlungen seit dem 6. September 1998 begangen hat, und zwar unter Angabe
a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen
und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen,
-zeiten und –preisen und sowie den Namen und Anschriften der
gewerblichen Abnehmer,
c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen,
-zeiten und –preisen sowie den Namen und Anschriften der An-
gebotsempfänger,
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren
Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
sowie festgestellt,
dass die Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die vorstehend bezeichneten, seit dem 6. September 1998 begangenen Handlungen entstanden sei und noch entstehen werde.
Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, die angegriffene Vorrichtung der Beklagten verwirkliche die in Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters angegebenen Merkmale wortsinngemäß. Sie weise einen starren Griff mit einer Vorrichtung auf, an der der Nagel quer zum Griff befestigt werden könne. Da der Abschnitt, an dem der Nagel befestigt werden könne, quer zum Nagel verlaufe und auch dafür sorge, dass ein Abstand zur ebenfalls an dem Griff zu befestigenden Führungsstange hergestellt werde, sei es unerheblich, dass sich an diesen Abschnitt ein parallel zum Nagel verlaufender weiterer Abschnitt anschließe. Dass bei der angegriffenen Ausführungsform die Führungsstange horizontal schwenkbar gelagert sei, hindere nicht die Annahme, die Schwenklagerung als eine Vorrichtung zur Führung und Halterung der Führungsstange im Sinne des Klagegebrauchsmusters zu betrachten. Zum Erzielen der erfindungsgemäßen Wirkung, nämlich ein Fluchten der Bohrführungsbohrungen mit den Knochenschraubenlöchern sicherzustellen, genüge es, die Führungsstange dann parallel zum Nagel geführt zu halten, sobald die Abstandhalterstange auf den Nagel treffe. Die Lehre des Klagegebrauchsmusters beschränke sich nicht auf eine absolut starre Fixierung; diese Annahme stehe den Ausführungen der Gebrauchsmusterbeschreibung entgegen, mit der erfindungsgemäßen Vorrichtung könne auch eine Kompensation einer eventuellen Biegung des Nagels in der Sagittalebene erreicht werden, was nur möglich sei, wenn die Führungsstange nicht völlig starr, sondern zumindest geringfügig biegsam sei. Ohne diese Kompensationsmöglichkeit würde auch die Aufgabenstellung des Klagegebrauchsmusters verlassen, ein rein mechanisches System zur Verfügung zu stellen, das den Einsatz von Röntgenstrahlen zum Auffinden der in dem implantierten Nagel befindlichen Knochenschraubenlöcher nicht erfordere.
Eine parallele Führung der Führungsstange zum Nagel im Sinne des Klagegebrauchsmusters liege auch dann vor, wenn wie bei der angegriffenen Ausführungsform lediglich dasjenige Teilstück des Nagels parallel zur Führungsstange ausgerichtet sei, welches die distalen Knochenschraubenlöcher aufnehme, auf die die Bohrführungsbohrungen letztlich fluchtend ausgerichtet werden sollten. Parallelität im exakt mathematischen Sinne verlange das Klagegebrauchsmuster nicht; die exakte mathematische Führung der Mittelachsen von Führungsstange und Nagel sei für sich allein auch gar nicht ausreichend, um fluchtend aufeinander ausgerichtete Bohrführungsbohrungen und Knochenschraubenlöcher zu erhalten. Hinzu kommen müsse auch, dass die Bohrungen und Löcher nicht zueinander versetzt im flächigen Material der Führungsstange und des Nagels ausgebildet würden. Der Fachmann erkenne, dass es entscheidend darauf ankomme, dass die Längsmittelachse des Nagels, auf der die Knochenschraubenlöcher angeordnet seien, die Bohrführungsbohrungen in der Führungsstange in deren Mitte schneiden müsse. Dann gelange er aber auch ohne weiteres dazu, zumindest die Fläche bzw. Breite der Führungsstange für eine unterschiedliche Anordnung der Bohrführungslöcher auszunutzen und eine kleine winkelmäßige Abweichung der Längsmittelachse des Nagels zur Längsmittelachse der Führungsstange durch eine Versetzung des Mittelpunkts der Bohrführungslöcher um eben diesen Winkel im Verhältnis zur Längsmittelachse der Führungsstange ausgleichen zu können.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie trägt vor, die Eintragung des Klagegebrauchsmusters habe keine Rechte gemäß § 11 GbMG begründet. Bei der Anmeldung des Klagegebrauchsmusters habe die Klägerin nur die Tatsache mitgeteilt, die Anmeldung sei eine Abzweigung aus der PCT/IB 95/00XXY vom 12.07.1995, ohne ausdrücklich zu erklären, der Tag der früheren Patentanmeldung werde beansprucht. Außerdem sei die Abschrift der früheren Anmeldung nicht vollständig zur Gebrauchsmusterakte überreicht worden, weshalb die Klägerin ihr Recht verwirkt habe, sich auf den Anmeldetag der früheren Patentanmeldung zu berufen. Anmeldetag für das Klagegebrauchsmuster sei derjenige Tag, an dem der Antrag auf Eintragung des Gebrauchsmusters beim Deutschen Patent- und Markenamt in München eingegangen gewesen sei; an diesem Tag sei die bereits erwähnte ältere internationale Patentanmeldung jedoch schon vorveröffentlicht gewesen und stehe dem Klagegebrauchsmuster neuheitsschädlich entgegen.
Zu Unrecht habe das Landgericht eine Verwirklichung der technischen Lehre des Klagegebrauchsmusters angenommen. Die schwenkbare Lagerung der Führungsstange dürfe nicht mit einer Halterung im Sinne des Klagegebrauchsmusters gleichgesetzt werden, weil die Führungsstange keine Referenz sei für die Lage des Nagels im Knochen. Auch verlaufe die Führungsstange – nicht zuletzt weil sie schwenkbar sei – nicht parallel zum Nagel, und die Abstandhalterstange weise an ihrem den Nagel kontaktierenden Ende an Stelle einer Spitze eine Abwinklung auf, die jedenfalls nach der Teillöschung des Klageschutzrechtes nicht mehr von dessen Schutzumfang erfasst werde. Sie diene neben dem Schwenken der Führungsstange dem Suchen des Nagels im Knochen, wenn dieser sich in einer Ebene ober- oder unterhalb der Abstandhalterstange befinde.
Mit Blick auf das Erlöschen des Klagegebrauchsmusters durch Zeitablauf haben die Parteien den Rechtsstreit, soweit die Klage auf eine Verurteilung der Beklagten zur Unterlassung gerichtet gewesen ist, übereinstimmend für erledigt erklärt.
Die Beklagte beantragt im Übrigen,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass sich die Verurteilung zur Rechnungslegung und die Feststellung der Schadensersatzverpflichtung auf im Tenor zu Ziffer I.1. umschriebene Vorrichtungen beziehen, wobei hinter den dortigen Worten „… und eine Abstandhalterstange zur Anordnung in der Führungsbohrung der Auslegerkonstruktion mit einer effektiv vorspringenden Länge, um den Nagel“ folgende Passage eingefügt wird: „mit ihrer Spitze an einer Stelle seines Umfangs, an der der Nagel kein Loch aufweist,“.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und tritt dem Vorbringen der Beklagten entgegen.
B, Orthopädische Klinik und Poliklinik Großhadern der Ludwig-Maximilians-Universität München hat zur Beweisaufnahme ein schriftliches Sachverständigengutachten erstattet, das er schriftlich ergänzt und am 26. März 2009 in der mündlichen Verhandlung weiter erläutert hat. Wegen des Ergebnisses wird auf das schriftliche Gutachten vom 14. November 2005 (Bl. 347 – 374 d.A.), die Ergänzungsgutachten vom 19. Dezember 2006 (Bl. 430 – 437 d.A.) und vom 24. Januar 2008 (Bl. 475 – 482 d.A.), und die Niederschrift über den Verlauf der Sitzung vom 26. März 2009 Bezug genommen.
Auf übereinstimmenden Antrag beider Parteien, welche vorgenanntes Gutachten jeweils als unverwertbar angesehen haben, hat der Senat mit Beschluss vom 25.06.2009 die Einholung eines Gutachtens eines neu zu bestellenden Sachverständigen beschlossen und am 11.01.2010 einen neu gefassten Beweisbeschluss erlassen (Blatt 618 ff. d.A.). Wegen des diesbezüglichen Ergebnisses wird auf das schriftliche Gutachten des C, Chefarzt des Marienhospitals Düsseldorf, Rochusstraße 2, 40479 Düsseldorf (nachfolgend kurz: „Gutachten C“), sowie die Niederschrift über den Verlauf der mündlichen Verhandlung vom 22.11.2012 (Blatt 726 ff. d.A., nachfolgend: „Anhörungsprotokoll“), in welcher er sein Gutachten mündlich erläutert hat, Bezug genommen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten nebst Anlagen verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Zu Recht hat das Landgericht die Beklagte wegen Verletzung des Klagegebrauchsmusters zum Schadensersatz sowie zur Auskunft und Rechnungslegung verurteilt, wobei im Tenor unter Ziffer I.3 klarzustellen war, dass dies nur für solche Benutzungshandlungen gilt, die während der zeitlichen GeltungsC des Klagegebrauchsmusters (§ 23 Abs. 1 GebrMG) erfolgten. Soweit daneben eine Verurteilung zur Unterlassung erfolgt war, war wiederum deklaratorisch klarzustellen, dass diese aufgrund des erst in zweiter Instanz eingetretenen Erlöschens des Klagegebrauchsmusters infolge Zeitablaufes inzwischen gegenstandslos ist.
1.
Das Klagegebrauchsmuster betrifft ein Vorrichtungssystem zur Verbindung mit einem intramedullären Nagel, wobei der betreffende Nagel in einen gebrochenen Langknochen (z.B. die Tibia oder das Femur) so implantiert wird, dass sich der Nagel relativ zum Bruch distal und proximal erstreckt, um die gebrochenen und wieder gerichteten Knochenstücke zu unterstützen oder um während der Heilung auch nur die Ausrichtung zu erhalten.
Intramedulläre Nägel sind entweder massiv oder hohl, in der Regel jedoch mit zwei voneinander abgesetzten parallelen Löchern, die in der Nähe des distalen Endes des Nagels diametral über den Nagel hinweg verlaufen, und zwei voneinander abgesetzten ähnlichen, jedoch nicht unbedingt parallelen Löchern in der Nähe des proximalen Endes des Nagels versehen. Diese Löcher nehmen jeweils eine stabilisierende und den Nagel fixierende Knochenschraube auf, zu deren Einführung der Knochen mit einer mit dem Knochenschraubenloch des Nagels fluchtenden Bohrung versehen wird.
Da die Knochenschraubenlöcher nach der Implantation des Nagels weder sicht- noch tastbar sind – in der Klagegebrauchsmusterschrift werden sie als „Blindlöcher“ bezeichnet -, ist es schwierig, die ordnungsgemäße Ausrichtung zum Bohren zu gewährleisten, um eine durch den Knochen eingesetzte Knochenschraube als Verankerung durch den intramedullären Nagel aufzunehmen.
Als Stand der Technik zur Gewährleistung der Blindbohrausrichtung relativ zu den Knochenschraubenlöchern eines intramedullären Nagels erwähnt das Klagegebrauchsmuster das Arbeiten mit Röntgenstrahlen. Dabei ist das proximale Ende des Nagels für einen durch Keile gegen Verdrehen gesicherten, lösbaren Anschluss an eine Vorrichtungskonstruktion ausgebildet, die zur Positionierung der Bohrführungen beitragen soll, und zwar in der Hoffnung, dass eine ordnungsgemäße Ausrichtung mit jedem Bohrloch erreicht wird. Die Röntgenstrahlen werden eingesetzt, um die Ausrichtung nach der herkömmlichen Technik zu überprüfen. Das Klagegebrauchsmuster bemängelt an dieser Lösung die allgemein bekannten Gefahren einer sich im Laufe der Zeit abbauenden zu hohen Strahlendosis. Zudem sei das Arbeiten mit Röntgenstrahlen zumindest mühsam, wenn eine ausreichende Sicherheit für das Personal gewährleistet werden sein solle. Schließlich sei es mit höheren Kosten für das einwandfreie Einsetzen eines intramedullären Nagels verbunden.
Alsdann hebt das Klagegebrauchsmuster als eine der Schwierigkeiten, die sich bei der Lokalisation eines Schraubenlochs in einem eingesetzten intramedullären Nagel ergeben hervor, dass sich der Nagel während der Implantierung leicht gebogen haben kann, so dass Löcher am distalen Ende des Nagels relativ zum proximalen Ende nicht mehr genau die gleiche Lage haben wie vor der Implantation des Nagels. Demgemäß erforderte im Stand der Technik jede mit dem proximalen Ende verbundene Vorrichtungskonstruktion den Einsatz der vom Klagegebrauchsmuster kritisierten Röntgenstrahlen, um die ordnungsgemäße Ausrichtung sicherzustellen.
Als Stand der Technik erwähnt das Klagegebrauchsmuster alsdann die US 5 281 XXZ und die Patentanmeldung mit der Seriennr. 08/121 XYX: Danach soll die Abhängigkeit von Röntgenstrahlen bei der Lokalisation der Knochenschrauben dadurch ausgeschaltet werden, dass durch Abtasten des distalen Bereichs eines installierten Nagels mit einer Detektiervorrichtung eine magnetische Erfassung zur Lokalisierung der Mittelachse des Nagels erfolgt. Solche Techniken seien – so die Kritik des Klagegebrauchsmusters – als unpraktisch abgetan worden, weil die notwendige Genauigkeit damit nicht erreichbar sei.
Auf Seite 2 der Klagegebrauchsmusterschrift sind vor diesem technischen Hintergrund drei Zielsetzungen des Klagegebrauchsmusters genannt:
– Es soll ein verbessertes System der Blindlochlokalisierung bei einem eingesetzten intramedullären Nagel geschaffen werden;
– vorgenannte Zielsetzung soll mit einem rein mechanischen System und einer Technik erreicht werden, die keinen Einsatz von Röntgenstrahlen erfordert;
– ferner sollen die vorgenannten Zielsetzungen mit einem System ermöglicht werden, das kürzere Operationszeiten bei Gewährleistung der ordnungsgemäßen Ausrichtung der Knochenbohrungen mit den in einem eingesetzten Nagel insbesondere am oder in der Nähe des distalen Nagelendes ausgebildeten Knochenschraubenlöchern gestattet.
Letztere Teile der Aufgabenstellung sind nach wie vor geblieben, auch wenn das Bundespatentgericht den Schutzanspruch 1 durch eine Ergänzung des Merkmals 9b von einer nachträglich entgegen gehaltenen offenkundig vorbenutzten Vorrichtung abgegrenzt hat. Nachermittelter Stand der Technik verlangt keine Neufassung der Aufgabenstellung (Benkard/Scharen, PatG/GbmG, 10. Aufl., §14 PatG, Rdn. 82 m.w.N.). Als weitere Teilaufgabe ist jedoch hinzugekommen, in gegenüber der vorbenutzten Vorrichtung (E 4 des Löschungsverfahrens) vereinfachter Weise den Nagel durch die Abstandhalterstange nur mehr an seinem Umfang zu kontaktieren, so dass auf die dort innerhalb der Abstandhalterstange geführte weitere Stange verzichtet werden kann (vgl. S. 28 f., übergreifender Absatz des Beschlusses gemäß Anlage ROP 10).
Die zur Lösung dieser Aufgabe im beschränkt aufrecht erhaltenen Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters vorgeschlagene Vorrichtung soll folgende Merkmale kombinieren:
1. Bohrvorrichtung zum mechanischen Ausrichten einer Bohrführung (131,
131‘) mit einem oder mehreren, in Querrichtung verlaufenden Knochen-
schraubenlöchern (160, 160‘) in einem intramedullären Nagel (113), der
in einen länglichen gebrochenen Knochen wie zum Beispiel ein Femur
oder eine Tibia eingesetzt ist.
2. Der intramedulläre Nagel (113) umfasst
a) mindestens einen geraden, distal verlaufenden Abschnitt mit einem oder mehreren Knochenschraubenlöchern (160, 160‘) und
b) ein proximales Ende, das zur Anbringung einer Vorrichtung vorgesehen ist.
3. Das eine bzw. die mehreren Knochenschraubenlöcher (160, 160‘) und
die Achse des Nagels (113) bilden eine erste geometrische Symmetrie-
ebene.
4. Die Bohrvorrichtung umfasst
a) eine längliche gerade Führungsstange (126),
b) einen starren Griff (A‘) und
c) eine oder mehrere Bohrführungsbohrungen (131, 131‘), die allgemein mit einem oder mehreren Knochenschraubenlöchern (160, 160‘) fluchten.
5. Der Griff (A‘) besitzt
a) Vorrichtungen zur selektiven Verbindung und Arretierung am proximalen Ende des Nagels (113), so dass der Griff (A‘) quer zum Nagel verläuft,
b) und Vorrichtungen zur Führung und Halterung der Führungsstange (126) parallel zum Nagel (113).
6. Die Bohrvorrichtung umfasst außerdem eine Auslegerkonstruktion (165).
7. Die Auslegerkonstruktion
a) ist abnehmbar auf der Führungsstange (126) angeordnet,
b) verläuft seitlich außerhalb der ersten geometrischen Ebene und
c) weist ein Ende mit einer Führungsbohrung auf,
– die in einer zweiten geometrischen Ebene liegt,
– zu welcher die Achse des Nagels gehört und die sich senkrecht zur
ersten geometrischen Ebene erstreckt.
8. Die Bohrvorrichtung besitzt schließlich eine Abstandhalterstange (135).
9. Die Abstandhalterstange (135)
a) ist dazu vorgesehen, in der Führungsbohrung der Auslegerkonstruktion (165) angeordnet zu werden, u n d
b) besitzt eine effektiv vorspringende Länge, um den Nagel (113) mit ihrer Spitze an einer Stelle seines Umfangs, an der der Nagel kein Loch aufweist, zu kontaktieren, wenn eine oder mehrere Bohrführungsbohrungen (131,
131‘) der Führungsstange (126) mit einem oder mehreren Knochen-
schraubenlöchern (160, 160‘) des Nagels (113) einwandfrei fluchten.
2.
Die angegriffene Ausführungsform macht – wie in zweiter Instanz nicht mehr streitig ist – von den Merkmalen 1) bis 5a), 6, 7, 8 und 9a) wortsinngemäßen Gebrauch. Darüber hinaus sind jedoch auch die weiteren Merkmale 5b und 9b jeweils wortsinngemäß verwirklicht:
a) Merkmal 5b)
Nach Merkmal 5b) besitzt der Griff Vorrichtungen zur Führung und Halterung parallel zum Nagel.
aa) „zur Führung und Halterung der Führungsstange“
Der Verwirklichung des Merkmals 5b) steht – wie schon das Landgericht zutreffend erkannt hat – nicht entgegen, dass bei der angegriffenen Ausführungsform die Führungsstange schwenkbar am Griff gelagert ist. Bei der angegriffenen Ausführungsform wird die Führungsstange unstreitig um den Drehpunkt der Lagerung solange verschwenkt, bis mit der Abstandhalterstange der Nagel getroffen wird. Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, damit besitze der Griff der angegriffenen Ausführungsform keine Vorrichtungen zur „Führung und Halterung“, weil die Führungsstange mit Blick auf ihre Verschwenkbarkeit keine Referenz für die Lage des Nagels im Knochen sei.
Der Durchschnittsfachmann – ein Fachhochschulingenieur der Fachrichtung Maschinenbau mit Erfahrungen in der Medizintechnik im Zusammenwirken mit einem Unfallchirurgen (vgl. Beschluss des BPatG vom 21. Juli 2003, Anlage rop 10, S. 25, 2. Absatz; vgl. Gutachten C, S. 2 oben) – nimmt entgegen der Ansicht der Beklagten nicht an, dass nur mit einer starren Verbindung zwischen Führungsstange und Griff gewährleistet sei, dass mit Hilfe der Führungsstange und der Abstandhalterstange der nicht sichtbare Nagel im Knochen mit den Knochenschraubenlöchern detektiert werden könne. Dass Anspruch 1 des Klagegebrauchsmusters keine starre Verbindung zwischen Griff und Führungsstange verlangt, ergibt sich aufgrund folgender Überlegungen:
aaa)
Zunächst ist festzuhalten, dass der Anspruch 1 das Wort „starr“ zwar verwendet, dies jedoch allein in Bezug auf den Griff als solchen (Merkmal 4b). Dies legt dem Fachmann bereits einen Umkehrschluss nahe, dass die Führungsstange ihrerseits nicht „starr“ mit den entsprechenden am Griff vorhandenen Vorrichtungen „zur Führung und Halterung“ verbunden sein muss. Zur Führungsstange ist bloß angegeben, dass sie länglich und gerade sein muss (vgl. Merkmal 4a). Jedenfalls Letzteres ist bei der angegriffenen Ausführungsform der Fall, wie auch der Sachverständige bestätigte (vgl. Anhörungsprotokoll, S. 20, S. 46).
Entsprechendes ergibt sich aus einem systematischen Abgleich mit dem Merkmal 5a, wonach der Nagel weiterhin Vorrichtungen zur selektiven Verbindung und Arretierung am proximalen Ende des Nagels besitzt. Mit den auf die Führungsstange bezogenen Worten „zur Führung und Halterung“ ist – gerade in sprachlicher Abgrenzung dazu – ein aliud bzw. minus zu einer „Arretierung“ gemeint: Vom Merkmal 5b sind demgemäß jedwede – das heißt ungeachtet der konkreten Art und Weise der Verbindung mit der Führungsstange – Vorrichtungen gemeint, die eine „Führung und Halterung“ der Führungsstange gewährleisten, solange sie nur den erfindungsgemäßen Erfolg herbeiführen: Die Führung und Halterung muss lediglich so ausgestaltet sein, dass die Führungsstange, wenn die Abstandshalterstange am Nagel anliegt, ihre Lage beibehält, um die einwandfreie Fluchtung der Bohrführungsbohrung mit den Knochenschraubenlöchern festzustellen (bzw. notfalls aktiv herbeizuführen, siehe dazu näher unten), und danach ggf. die Bohrung vornehmen zu können (vgl. auch Merkmal 9b, auf das unten näher eingegangen wird).
bbb)
Auch der maßgebliche technische Sinngehalt, den der Durchschnittsfachmann dem Teilmerkmal „zur Führung und Halterung“ unter Berücksichtigung der Beschreibung und der Zeichnungen des Klagegebrauchsmusters entnimmt, spricht gegen das entsprechende Verständnis der Beklagten:
In dem Wort „zur“ Führung und Halterung kommt zum Ausdruck, dass es sich um eine sog. Zweckangabe handelt. Derartige Zweck-, Wirkungs- oder Funktionsangaben, welche den Fachmann über den möglichen Einsatz- und Gebrauchszweck der patentierten Erfindung belehren, können unter bestimmten Umständen die durch das Patent geschützte Sache näher dahin definieren, dass diese nicht nur die räumlich-körperlichen Merkmale erfüllen muss, die der Patentanspruch explizit formuliert, sondern dass die Sache darüber hinaus so ausgebildet sein muss, dass sie die im Patentanspruch erwähnte Wirkung oder Funktion herbeiführen kann (BGH, GRUR 2009, 837 – Bauschalungsstütze). Ergibt sich im Einzelfall, dass die in den Patentanspruch aufgenommenen Sachmerkmale bereits alle Bedingungen umschreiben, die aus technischer Sicht zur Erzielung der angegebenen Wirkung notwendig sind, ist die Zweckangabe für die Verletzungsprüfung irrelevant (BGHZ 112, 140, 155 f – Befestigungsvorrichtung II). Beschreiben die Sachmerkmale eines Anspruchs die technischen Voraussetzungen für den Wirkungseintritt jedoch unvollkommen, so definiert die Zweckangabe – mittelbar – bestimmte weitere räumlich-körperliche oder funktionale Anforderungen an den geschützten Gegenstand, die sich aus den übrigen Sachmerkmalen des Patentanspruchs noch nicht ergeben, die aber eingehalten werden müssen, damit die geschützte Sache die für sie vorgesehene Wirkung zutage bringen kann (BPatG, Mitt 2007, 18 – Neurodermitis-Behandlungsgerät (LS)). Im letztgenannten Falle ist die Zweckangabe also schutzbereichsrelevant (BGH, GRUR 2006, 923 – Luftabscheider für Milchsammelanlage), indem sie eine Anweisung an den Fachmann enthält, den beanspruchten Gegenstand über die expliziten Sachmerkmale hinaus so auszugestalten, dass die ihm zugedachte Wirkung/Funktion eintreten kann (BGH, GRUR 2008, 896 – Tintenpatrone I).
Die anhand der Beschreibung des Klagegebrauchsmusters vorzunehmende Auslegung zur Ermittlung der Bedeutung der Zweckangabe (BGH, GRUR 2010, 1081 – Bildunterstützung bei Katheternavigation) ergibt im vorliegenden Fall, dass diese zwar durchaus Vorgaben enthält, die nicht schon allein aus den übrigen Sachmerkmalen folgen. Allerdings sind die in der Zweckangabe mittelbar zum Ausdruck kommenden weitergehenden konstruktiven Vorgaben nicht so eng zu verstehen, dass der Anspruch auf starr mit dem Griff verbundene Führungsstangen beschränkt wäre:
(1)
Der Fachmann erkennt, dass mittels der Vorrichtungen zur Führung und Halterung eine Parallelität der Führungsstange zum Nagel erzielt werden soll (Merkmal 5b). Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass eine oder mehrere Bohrführungsbohrungen der Führungsstange mit einem oder mehreren Knochenschraubenlöchern des Nagels einwandfrei fluchten sollen (vgl. Merkmal 9b): Die Führungsstange soll – zumindest auch – zur Lösung der objektiven Teilaufgabe beitragen, die darin besteht, für ein verbessertes System der Blindlochlokalisierung bei einem eingesetzten intramedullären Nagel zu sorgen. Weitere objektive Teilaufgaben des Klagegebrauchsmusters beinhalten es, insoweit ein rein mechanisches System und eine Technik zur Verfügung zu stellen, das/die keinen Einsatz von Röntgenstrahlen erfordert, wobei die notwendigen Operationszeiten bei Gewährleistung der ordnungsgemäßen Ausrichtung der Knochenbohrungen mit den in einem eingesetzten Nagel ausgebildeten Knochenschraubenlöchern verkürzt werden sollen.
Dem Durchschnittsfachmann ist insoweit klar, dass die Vorgaben des Merkmals 5 b es im Rahmen des Ausführungsbeispiels gemäß Figur 13 ermöglichen sollen, die am distalen Ende der Führungsstange vorgesehenen Bohrführungsbohrungen mit den Knochenschraubenlöchern am distalen Ende des Nagels miteinander fluchtend auszurichten. Diese Ausrichtung erfolgt in der in Merkmal 3 genannten ersten geometrischen Symmetrieebene, die von den Knochenschraubenlöchern und der senkrecht zu ihnen verlaufenden Längsachse des Nagels gebildet wird; da die Bohrführungen mit den Knochenschraubenlöchern fluchten und diese praktisch nach dem Bohren durch die Knochenrinde hindurch fortsetzen sollen, müssen auch sie in dieser ersten Symmetrieebene verlaufen; dasselbe gilt im Ausführungsbeispiel gemäß Figur 13 selbstverständlich auch für die Führungsstange, die die Bohrführungsbohrungen enthält. Zur Ausrichtung wird die Führungsstange nach dem Implantieren des Nagels soweit vorgeschoben, dass ihre zum Nagel parallele Länge mit derjenigen des Nagels übereinstimmt, so dass das distale Ende der Führungsstange mit den Bohrführungsbohrungen genau über dem distalen Ende des Nagels mit den Knochenschraubenlöchern liegt und beide miteinander fluchten, sofern sich der Nagel beim Implantieren nicht aus seinem parallelen Verlauf zur Führungsstange verbogen hat. Hierzu dienen die Vorrichtungen zur Führung, indem sie ein definiertes Verschieben der Führungsstange ermöglichen und diese sowohl gegen ein Drehen um ihre Längsachse als auch gegen ein Schwenken um diejenige des Griffes sichert, damit die axiale und radiale Ausrichtung der Bohrführungsbohrungen nicht verloren geht. Es muss eine längsverschiebliche Führung der Führungsstange möglich sein, die es erlaubt, das Zielgerät an unterschiedliche Nagellängen anpassen zu können (vgl. Gutachten Dr. C, S. 5 oben).
Die in Merkmal 5 b genannten Vorrichtungen zur Halterung sollen sicher stellen, dass die Führungsstange diese Ausrichtung nicht verlässt und sich relativ zum Griff nicht mehr bewegt, und zwar weder verschoben noch verschwenkt noch verdreht werden kann.
(2)
Gewichtige Anhaltspunkte gegen die Annahme, dass die Führungsstange starr mit dem Griff verbunden sein müsse, ergeben sich mit Blick auf den im Klagegebrauchsmuster gewürdigten Stand der Technik:
Als Stand der Technik ist im Klagepatent u.a. die US-Patentanmeldung mit der Seriennummer 08/121 XYX (S. 2, 2. vollständiger Absatz des Klagegebrauchsmusters) erwähnt. An der Lehre dieser Anmeldung, welche u.a. ein Gelenk vorsieht, kritisiert das Klagegebrauchsmuster allein, dass dort der installierte Nagel mit einer Detektorvorrichtung magnetisch abgetastet werde, um die exakte Positionierung der Teile zu erreichen. Allein diese Magneterfassung wird im Klagegebrauchsmuster als unpraktisch kritisiert. Mangels entsprechender Kritik im Klagegebrauchsmuster liegt es nahe, dass auch eine Verschwenkbarkeit der Führungsstange anspruchsgemäß ist.
Als nächstliegender Stand der Technik wird im Klagepatent die US-Patentschrift 5 281 XXZ gewürdigt (S. 2, 2. vollständiger Absatz des Klagegebrauchsmusters; vorgelegt als Anlage 2, siehe die auszugsweise deutsche Übersetzung auf Blatt 510 d.A.). In deren Sp. 1, Z. 28 – 55 ist zum Stand der Technik ausgeführt, dass weder vorbekannte Führungsstangen mit Elastizität noch starre Führungsstangen die für wiederholbare Präzisionsbohrungen am distalen Ende des Nagels die notwendige Genauigkeit gewährleistet hätten. In Bezug auf starre Führungsstangen heißt es dort, dass mit diesen keine ausreichende Stabilität habe erreicht werden können. Die US `224, welche wie auch das Klagegebrauchsmuster den Einsatz von Röntgenstrahlen ablehnte, ging deshalb den Weg einer magnetischen Lokalisation des distalen Endes des intramedullären Nagels. Dabei setzt die US `224 eine Elastizität der vorbekannten Führungsstange als deren Wesensmerkmal voraus. Durch Verschwenken der Führungsstange werden dort unter Ausnutzung ihrer Elastizität die Blindlöcher lokalisiert (vgl. Anhörungsprotokoll, S. 9). Im hier interessierenden Zusammenhang ist diesbezüglich von entscheidender Bedeutung, dass das Klagegebrauchsmuster nicht etwa kritisiert, dass die US `224 keine starre Führungsstange vorsehe.
(3)
Für die Auslegung, wonach der Anspruch auch eine schwenkbar am Griff angeordnete Führungsstange erfasst, spricht auch folgender technischer Aspekt: In Fällen, in denen sich der Nagel anlässlich seiner Implantation in den gebrochenen Knochen leicht verbiegt, kann nach dem Verständnis des Klagegebrauchsmusters die gewünschte Ausrichtung gleichwohl dadurch erzielbar sein, dass der Chirurg sich eine der Führungsstange innewohnende Elastizität für ein „Nachführen“ zu eigen machen kann.
Das setzt implizit voraus, dass die technische Lehre des Klagegebrauchsmusters nicht auf eine bloße Vorrichtung zum Überprüfen der richtigen Ausrichtung der Bohrführungen in Bezug auf die verdeckten Knochenschraubenlöcher beschränkt ist, sondern auch eine Vorrichtung zum aktiven Korrigieren einer möglichen falschen Ausrichtung bereitgestellt werden soll bzw. dass eine solche Möglichkeit jedenfalls auch erfindungsgemäß ist.
(3.1)
Zwar hat sich der Sachverständige Dr. C skeptisch dahingehend geäußert, dass bei einer grundsätzlich starren Ausbildung der Führungsstange Knochenschraubenlöcher bei einem Verbiegen des Nagels auch mit einem kompensatorischen Biegen der Führungsstange nicht mehr erreicht werden können (vgl. Gutachten C, S. 5, S. 9 f., S. 11). Ferner hat er im Rahmen seiner mündlichen Anhörung geäußert, dass der Fachmann schon im Prioritätszeitpunkt Bedenken gehabt hätte, einen Nagel, der in einem gebrochenen Knochen verbogen eingesetzt sei, zu verbiegen (vgl. Anhörungsprotokoll, S. 11 – 13). Allerdings hat der Sachverständige andererseits bestätigt, dass die Kompensation von Verbiegungen im Bereich von 1 bis 2 mm praktisch möglich sei (Anhörungsprotokoll, S. 11) und bestätigt, dass aus fachmännischer Sicht das Klagegebrauchsmuster an diversen Beschreibungsstellen davon ausgeht, dass ein Nachführen durch Verbiegen der Führungsstange möglich sei (Anhörungsprotokoll, S. 19, S. 20 oben). Ferner hat er im schriftlichen Gutachten (Gutachten C, S. 2 unten f.) bestätigt, dass eine Korrektur durch Nachführung der Führungsstange nach dem Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters beschriebenen Lehre möglich sei, allerdings „nur in einer Ebene“, und zwar in der zweiten Symmetrieebene (vgl. Anhörungsprotokoll, S. 4). Der Sachverständige hat insbesondere unter Vorhalt von S. 2, Z. 6 ff und S. 2, Z. 27 ff. der Beschreibung des Klagegebrauchsmusters bestätigt, dass das Klagegebrauchsmuster auch eine Lösung für die Situation bereitstellen möchte, wenn sich herausstellt, dass der eingeschlagene Nagel sich verbogen hat (vgl. Anhörungsprotokoll, S. 15 und explizit S. 39, wonach es „nutzlos wäre, wenn die Stange sich nicht verbiegen [ließe]“).
Für das klägerische Verständnis spricht in diesem Zusammenhang, dass ein Verbiegen des Nagels bei dessen Einschlagen in den Knochen in der Praxis relativ häufig auftritt, nämlich nach den praktischen Erfahrungen des Sachverständigen Dr. C in mehr als der Hälfte aller Fälle (vgl. Anhörungsprotokoll, S. 5), wobei das Ausmaß der Verbiegung vom Markraum des zu behandelnden Knochen abhängt und in der Regel 3 bis 4 mm beträgt (vgl. Anhörungsprotokoll, S. 5 und S. 23 f.) Die Sichtweise der Beklagten, in solchen Fällen müsse stattdessen stets mittels der kritisierten Röntgentechnik die genaue Position der Schrauben herbeigeführt werden, läuft der objektiven Teilaufgabe des Klagegebrauchsmusters zuwider. Es besteht vielmehr eine praktische Notwendigkeit, eine geringfügige Verbiegung des Nagels von wenigen Millimetern zu kompensieren, so dass die Bohrführungen dann wieder genau an der ursprünglichen Relativstellung (wie beim „Trockenlauf“) in Bezug auf die Nagellöcher fluchten. Es wäre vor diesem Hintergrund nicht einleuchtend, warum sich das Klagegebrauchsmuster auf die Lehre eines reinen „Diagnoseinstruments“ im Sinne eines Erkennungsmittels, ob die exakte Ausrichtung gegeben ist oder nicht, beschränken sollte, ohne den erkannten Missstand auch beheben zu wollen. Dem steht auch nicht entgegen, dass auch ein Herausziehen des Nagels im Einzelfall denkbar sein mag; denn das ist bisweilen schwer durchführbar (vgl. Anhörungsprotokoll, S. 25 unten f.). In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass die im kennzeichnenden Teil des Klagegebrauchsmusters gelehrte Lösung ein Ersatzmittel für den Einsatz von Röntgenstrahlen sein soll. Dieses Ziel würde ohne die Möglichkeit einer „Nachführung“ praktisch häufig nicht erreicht.
(3.2)
Gegen die Annahme einer horizontalen Unbeweglichkeit der gelehrten Führungsstange spricht auch die Passage auf S. 3, Z. 6 – 9 der Beschreibung des Klagegebrauchsmusters: Wenn sich der Nagel während der Implantation verbogen hat, wäre bei einer horizontal unbeweglichen Führungsstange die Detektion der genauen Lage der Knochenschrauben dann nicht möglich. Wäre also beispielsweise der in der Figur 13 dargestellte Nagel 100 in der zweiten Symmetrieebene als Folge seines Eintreibens in den Knochen etwas nach rechts ausgebogen und deshalb gegenüber seiner ursprünglichen Relativstellung in Bezug auf die übrigen Bauteile etwas verschoben, so könnte bei einer horizontal unbeweglichen Führungsstange die Abstandhalterstange nicht an ihrem Ende mit dem Nagel in Kontakt kommen, was aber für eine Detektion der genauen Lage der Knochenschraubenlöcher erforderlich wäre.
(3.3)
Entsprechende Anhaltspunkte gegen die Annahme einer zwingend starr auszubildenden Führungsstange ergeben sich auch aus der allgemeinen Beschreibungspassage auf Seite 3, Zeilen 11 bis 21 des Klagegebrauchsmusters:
Die Worte „… dass die Positionierung und Ausrichtung … in einem vorbereitenden Schritt überprüft und bestimmt werden kann und dass über einen auf dieser Vorrichtung befindlichen genauen Abstandhalter oder Stabilisator sichergestellt ist, dass ein Kontakt mit dem Nagel bei einer quer zum Nagel … verlaufenden Ausrichtung hergestellt wird dergestalt, dass der Stabilisatorkontakt nur bei einer ordnungsgemäßen Ausrichtung der Bohrführung mit einem oder mehreren Knochenschraubenlöchern zu erreichen ist“, sind so zu verstehen, dass auch die Abstandhalterstange ein Instrument für die – als zweiter Schritt ggf. erforderliche – aktive Erzielung der gewünschten Ausrichtung der Bohrvorrichtung sein kann. Dieser allgemeine Teil der Beschreibung des Klagegebrauchsmusters belegt insofern, dass gerade der Kontakt der Abstandhalterstange mit dem Nagel und nicht allein die parallele Anordnung der Führungsstange zu diesem die richtige Ausführung der Bohrführungsbohrungen gewährleistet. Daher lässt sich die technische Lehre des Klagegebrauchsmusters nicht darauf beschränken, dass die Führungsstange bereits ohne jede Schwenkbewegungsmöglichkeit allein aufgrund des „Trockenlaufs“ festgelegt sein müsse und die Abstandhalterstange lediglich dazu diene, festzustellen bzw. zu messen, ob die Bohrführungsbohrungen allein schon aufgrund der parallelen Führung der Führungsstange zum Nagel noch exakt auf die Knochenschraubenlöcher ausgerichtet sind oder ob dies aufgrund eines leichten Verbiegens des Nagels nicht mehr der Fall ist.
(3.4)
Auch die Beschreibungspassage auf S. 3, Zeilen 21 ff. („Nachdem auf diese Weise sichergestellt ist, dass vom Abstandshalter die einwandfreie Ausrichtung der Bohrerführung mit den Knochenschraubenlöchern erkannt wird,…“ – Hervorhebung diesseits) gibt keinen Anlass, die Abstandhalterstange allgemein als ein rein passives Kontrollinstrument zu sehen, um zu überprüfen, ob die vor der Implantation vorgenommene Ausrichtung der Bohrvorrichtungskomponenten auch noch nach der Implantation des Nagels als „Schablone“ für die korrekte Ausrichtung herhalten kann.
Zu Unrecht wirft die Beklagte dem Landgericht vor, verkannt zu haben, dass es dem Klagegebrauchsmuster objektiv darum gehe, eine Bohrvorrichtung, die am proximalen Ende eines intramedullären Nagels anzubringen ist und die eine Auslegerkonstruktion zur Halterung und Orientierung einer oder mehrerer Bohrführungen umfasst, wobei die Positionierung und Ausrichtung mit den Knochenschraubenlöchern des Nagels in einem vorbereitenden Schritt überprüft und bestimmt werden kann: Die ordnungsgemäße und einwandfreie Ausrichtung der Bohrführung mit den Knochenschraubenlöchern werde von dem Abstandhalter oder Stabilisator nicht herbeigeführt, sondern lediglich erkannt (vgl. auch Anhörungsprotokoll, S. 18). Eingestellt werde die ordnungsgemäße Ausrichtung dagegen durch die Führung und Halterung der Führungsstange parallel zum Nagel, also durch die Fixierung der Führungsstange, auf der die Auslegerkonstruktion angeordnet ist, um die genaue Positionierung anzuzeigen.
Die betreffende Passage schließt jedoch ein Verständnis, wonach der Abstandhalter zumindest mehr leisten darf, als bloß eine anderweitig begründete korrekte Ausrichtung zu erkennen, nicht aus: Die Vorrichtung kann zugleich auch so gestaltet sein, dass eine evtl. Verbiegung des Nagels kompensiert wird, damit die Bohrführungen wieder exakt auf die Nagellöcher ausgerichtet sind. Ausführungen im Klagegebrauchsmuster, wonach es um eine „Überprüfung“ gehe, ob die richtige Ausrichtung vorliegt oder nicht, stehen der Annahme, dass erforderlichenfalls auch eine Kompensation bzw. „Nachführung“ möglich sein soll, also nicht entgegen. Der Kompensation geht zwangsläufig immer eine „Überprüfung“ voraus, ob der angestrebte Ausrichtungszustand schon erreicht ist oder nicht. Der Begriff „Überprüfen“ schließt es folglich nicht aus, dass auch aktiv korrigiert (kompensiert) wird.
Vor allem ist insoweit zu beachten, dass das Klagegebrauchsmuster auch im Zusammenhang mit dem Stand der Technik (Röntgenstrahlen) den Begriff „überprüfen“ verwendet. Auch dort war es aber usus, eventuelle Ausrichtungsmängel unter Ausnutzung der Elastizität der Führungsstange zu kompensieren. Auf letzteres ist die entsprechende Kritik des Klagegebrauchsmusters – wie erläutert – indes nicht bezogen.
Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang die Figur 13 nebst Erläuterungen rekurriert, ist festzuhalten, dass es sich insoweit um ein bloßes Ausführungsbeispiel handelt, welches die allgemeine technische Lehre des Anspruchs 1 grundsätzlich nicht auf eine ganz bestimmte Lösung zu beschränken vermag (vgl. BGH, GRUR 2008, 779 – Mehrgangnabe). Soweit also dort gelehrt sein mag, dass der Abstandhalter oder Stabilisator lediglich den Nagel erkenne, wobei der Stabilisatorkontakt nur über eine ordnungsgemäße Ausrichtung der Bohrführungen mit den Knochenschraubenlöchern erreicht werde, darf daraus für sich noch keine entsprechende allgemeine Beschränkung abgeleitet werden.
(3.5)
Dass der technischen Lehre des Klagegebrauchsmusters ein „Nachführen“ durchaus immanent ist, lässt sich auch der Beschreibungspassage auf S. 13, Z. 15 ff. des Klagegebrauchsmusters entnehmen, wo es heißt:
„Ein Assistent des Chirurgen drückt nun auf den Knebelgriff 36 der Stabilisatorstange, um so deren unteres Ende oder deren Spitze im Spannkontakt mit dem Nagel 13 zu bringen. Mit diesem Verfahren wird folgendes erreicht:
1. Der Chirurg kann sicher sein, dass der Abstand zwischen dem Nagel und der Führungsstange genau dem Maß entspricht, dass vor dem Einsetzen des Nagels in den medullären Kanal bestimmt wurde, wobei aufgrund dieser Tatsache auch eine Kompensation einer eventuellen Biegung des Nagels in der Sagittalebene möglich ist, so dass durch die Ausrichtung der distalen Bohrführung die gezielte Ausbildung von Knochenschraubenlöchern 19 im Nagel enthalten und gewährleistet bleibt; und
2. die Führungsspanne 26 und Ausleger 30 werden stabilisiert, so dass der Chirurg über eine sichere Plattform zum Bohren von distalen Löchern in den Knochen verfügt.“
Die Kompensation einer (geringfügigen) Biegung des Nagels ist nur möglich, wenn die Führungsstange gerade nicht völlig starr, sondern zumindest geringfügig biegsam ist. Dieser Passage ist dementsprechend zu entnehmen, dass Führungsstange und Abstandhalterstange ggf. kumulativ sicherstellen können, dass die Bohrführungsbohrungen mit den Knochenschraubenlöchern fluchten, und zwar auch noch nach dem Eintreiben des – durch letzteres gegebenenfalls etwas verbogenen – Nagels in den länglichen gebrochenen Knochen (vgl. Anhörungsprotokoll, S. 43). Der Chirurg kann dann den Bohrer in die Bohrführung bis hinunter zum Knochen einführen und durch die mediale Rinde bohren (vgl. Klagegebrauchsmuster, Seite 14, Zeilen 16 – 21). Es ist daher klagegebrauchsmustergemäß notwendig, aber auch ausreichend, dass die Führungsstange in Zusammenwirkung mit der Abstandhalterstange sicherstellt, dass insbesondere auch bei dem eigentlichen Bohrvorgang die Bohrführungsbohrungen ihre mit den Knochenschraubenlöchern fluchtende Position beibehalten (Seite 13, Zeilen 29 – 31 der Beschreibung).
Zu Unrecht wendet die Beklagte gegen das landgerichtliche Urteil, welches seine Auslegung ebenfalls auf diese Passage gestützt hat, ein, es habe übersehen, dass in dem angesprochenen Verfahrensschritt beim Einsatz der beanspruchten Bohrvorrichtungen es nicht um jedwede Kompensation einer eventuellen Biegung des Nagels gehe, sondern lediglich um die Kompensation einer eventuellen Biegung des Nagels in der Sagittalebene, womit die „erste Symmetrieebene“ nach Anlage WKS 2 angesprochen sei: Eine eventuelle Biegung des Nagels in dieser Ebene sei unschädlich, weil es sich um eine Biegung in der Ebene der Bohrführungen handele. Da es außerdem immer nur um eine geringfügige Biegung gehe, könne der Abstandhalter oder Stabilisator den Nagel „abtasten“ und werde beispielsweise bei einer geringfügigen Verbiegung des Nagels in der Sagittalebene in Richtung auf die Führungsstange den Nagel an seiner Unterseite berühren, anstatt ihn exakt an der Seite zu treffen. Auch in einer solchen Situation könne sich der Chirurg aber sicher sein, dass die Bohrführung korrekt mit den Knochenschraubenlöchern ausgerichtet sei, da es sich um eine Biegung des Nagels in der Sagittalebene handele.
In diesem Zusammenhang verkennt die Beklagte Folgendes: Da die Führungsstange an ihrem proximalen Ende befestigt ist, eine seitliche Druckbeaufschlagung infolge der Betätigung der Abstandhalterstange aber an dem distalen Ende der Führungsstange erfolgt, gelangt der Fachmann zu der Annahme, dass auch bei dem Ausführungsbeispiel nach Figur 13 der Klagegebrauchsmusterschrift aufgrund der auftretenden Hebelkräfte zumindest ein geringfügiges „Verschwenken“ zum Ausgleich von Biegungen des Nagels möglich ist. Wenn man nämlich die Ausführungen auf S. 13, Z. 15 ff der Beschreibung auf das Ausführungsbeispiel nach Figur 13 übertragen möchte, kann es ebenfalls nur um Abweichungen in der Ebene der Abstandhalterstange gehen, die dann, wenn der Nagel sich von der Auslegerkonstruktion weiter entfernt hat, durch Druck auf die Abstandhalterstange nachgeführt werden muss. Allerdings besteht hier das Problem, dass anders als im Ausführungsbeispiel gemäß Figuren 1 und 2, wo die Abstandhalter- und Stabilisatorstange die Führungsstange unmittelbar durchsetzt und beim Biegen auch die Auslegerkonstruktion mit den Bohrführungsbohrungen mitnimmt, beim Ausführungsbeispiel gemäß Figur 13 die Stabilisatorstange in der Auslegerkonstruktion gelagert ist und, wenn die Führungsstange hier korrigierend nachgebogen werden soll, beim weiteren Druck auf die Stabilisatorstange zunächst die Auslegerkonstruktion mit der Druckkraft beaufschlagt wird und deshalb, wenn man das Ausführungsbeispiel gemäß Figur 13 unverändert übernimmt, eine korrekte Ausrichtung kaum zu erreichen wäre. Denn es erscheint kaum denkbar, dass es möglich ist, dass die Auslegerkonstruktion die auf die Stabilisatorstange ausgeübte Druckkraft in vollem Umfang an die Führungsstange weitergibt, ohne dabei selbst deformiert zu werden. Es gehört jedoch zum handwerklichen Können des Durchschnittsfachmanns, die in Merkmal 5b genannten Vorrichtungen so auszubilden, dass die Führungsstange gegenüber dem Griff zur Herstellung und ersten Überprüfung der Ausrichtung feststellbar und zur Nachkorrektur vorübergehend schwenkbar ist, bis die Stangenspitze das distale Nagelende erreicht hat.
Soweit die Beklagte weitergehend moniert, der maßgebliche Anspruch 1 des Klagegebrauchsmusters stelle nicht auf den Assistenten des Chirurgen ab, um eine Verbiegung des Nagels zu kompensieren, ist dem zu entgegnen: Der Anspruch beinhaltet diesbezüglich keine ausgrenzenden Vorgaben. Die betreffende Passage erläutert, wie der gelehrte Gegenstand in der Praxis einsetzbar ist, und erlaubt so Rückschlüsse auf die gelehrte Konstruktion.
(3.6)
Auch der Anspruch 16 des Klagegebrauchsmusters, der über Anspruch 15 mittelbar auf den Anspruch 1 rückbezogen ist, belegt – was auch der Sachverständige bestätigte (vgl. Anhörungsprotokoll, S. 16), dass ein „Nachführen“ Bestandteil der technischen Lehre des Anspruchs 1 ist. Denn dort ist von einem Herstellen „des Kontakts mit dem intramedullären Nagel durch axial beaufschlagten Druck“ die Rede.
(3.7)
Auch folgende Überlegungen der Beklagten verfangen nicht: Die beim Bohren ausgeübte Funktion des Abstandhalters als Stabilisator könne dieser ebenfalls nur aufgrund seiner Anordnung auf einer parallel zum Nagel geführten und gehaltenen Führungsstange erfüllen. Wäre die Führungsstange horizontal beweglich, wie dies die Klägerin aus der Klagegebrauchsmusterschrift zu lesen glaubt, würde die Stabilisierung am Nagel erfolgen, d.h. der Nagel würde vom Stabilisator belastet und verbogen und damit genau der Effekt eintreten, den es zu vermeiden gelte (vgl. auch Gutachten, S. 6, 1. Absatz, wo in Bezug auf den gebrochenen Knochen beschrieben ist, dass auch dieser belastet werde, weshalb ein Druck auch entgegengesetzt zur Abstandhalterstange ausgeübt werden müsse). Der Annahme des Landgerichts stehe ferner entgegen, dass gemäß dem Klagegebrauchsmuster die Abstandhalterstange für eine genaue Positionierung als Stabilisatorstange zur Herstellung eines Stabilisatorkontaktes ausgebildet sei (vgl. S. 3, Zeilen 13 bis 24 des Klagegebrauchsmusters). Als Stabilisator könne die Abstandhalterstange aber nur wirken, wenn sie an einer feststehenden Führungsstange angeklemmt ist. Würde die Führungsstange nicht feststehen, würde die Abstandhalterstange den Stabilisatorkontakt nur durch Abstützung am Nagel erreichen. Das wäre ein Ergebnis, welches die Operation sicherlich nicht fördern würde.
In Bezug auf den ersten Kritikpunkt verkennt die Beklagte: Die Stabilisatorstange soll die Führungsstange (und dadurch die in der Führungsstange angeordneten Bohrführungen) im Verhältnis zum Nagel stabilisieren und nicht die Führungsstange die Abstandhalterstange. Im Klagegebrauchsmuster wird auf diesen Sachverhalt ausdrücklich wie folgt hingewiesen:
„… 2. Führungsstange 26 und Ausleger 30 werden stabilisiert, so dass der Chirurg über eine sichere Plattform zum Bohren von distalen Löchern in den Knochen verfügt.“ (Klagegebrauchsmusterschrift, Seite 13, Zeilen 15 bis 31).
Ist hingegen die Führungsstange horizontal beweglich, kann die Abstandhalterstange vom Assistenten des Chirurgen in der zweiten Symmetrieebene verschoben werden, bis sie den Nagel kontaktiert und dabei gleichzeitig vermittels der Auslegerkonstruktion und der Führungsstange die Führung um die entsprechende Distanz nach rechts verschieben, wie auch der Sachverständige bestätigte (vgl. Anhörungsprotokoll, S. 19 und S. 27 f.). Letzteres ist notwendig, damit die Bohrführung mit den Knochenbohrlöchern fluchten, also die ursprüngliche Relativstellung des Nagels und der Löcher zu den übrigen Bauteilen wiederhergestellt ist.
(3.8)
Wie der Sachverständige auf Vorhalt von S. 22, Z. 9 bis 14 des Klagegebrauchsmusters bestätigte, ergibt die Verwendung unterschiedlicher Abstandshalter auch bei einer nicht starren Führungsstange Sinn, so dass sich aus diesem Umstand – entgegen der früheren Annahme auf S. 4 des schriftlichen Gutachtens – kein taugliches Argument gegen eine biegsame Führungsstange herleiten lässt (vgl. Anhörungsprotokoll, S. 43 bis 45).
(ccc)
Auch aus dem systematischen Zusammenhang des Merkmals 5b mit dem Merkmal 9b („… wenn … einwandfrei fluchten.“) lässt sich kein taugliches Argument für die enge Auslegung der Beklagten herleiten. Der Lehrinhalt des Merkmals 9b besagt in dem diesbezüglich interessierenden Kontext: Die Abstandhalterstange besitzt eine effektiv vorspringende Länge, um den Nagel zu kontaktieren, wenn eine oder mehrere Bohrführungsbohrungen der Führungsstange mit einem oder mehreren Knochenbohrlöchern des Nagels einwandfrei fluchten. „Einwandfreies Fluchten“ meint exakte radiale und auch axiale Ausrichtung der Zieleinrichtung auf die Bohrungen des Nagels.
Das Teilmerkmal „wenn die Bohrführungsbohrungen … einwandfrei fluchten“ erschöpft sich nicht etwa darin, eine Voraussetzung, die bloße Konsequenz von Vorgaben in anderen Merkmalen ist, zu beschreiben. Vielmehr schließt auch das Merkmal 9b einen solchen Gegenstand ein, bei dem sich das einwandfreie Fluchten erst aufgrund einer geringen Schwenkbewegung der Führungsstange ergibt (vgl. Anhörungsprotokoll, S. 45 unten). Durch den Konditionalsatz wird auch die Situation erfasst, dass die exakte Ausrichtung der Teile dadurch erfolgt, dass z.B. der Assistent des Chirurgen auf den Griff der Abstandshalterstange den erforderlichen Druck ausübt, um eine evtl. gegebene Verbiegung des Nagels zu kompensieren.
Auch hinsichtlich des Merkmals 9b ist der nächstliegende Stand der Technik der US 5 281 XXZ (Anlage 2) zu beachten: Diese geht von der im Klagegebrauchsmuster angesprochenen Methode der Blindlochlokalisation mit Hilfe von Röntgenstrahlen aus. Diese längst bekannte Vorrichtung weist bereits die Grundform der Bohrvorrichtung gemäß dem Klagegebrauchsmuster, insbesondere eine Führungsstange auf. Es wird deutlich darauf hingewiesen, dass diese aus dem Stand der Technik bekannte Führungsstange eine gewisse Elastizität, also Biegsamkeit, aufweist. Der Chirurg kann sich die Elastizität zunutze machen, indem nicht mehr miteinander fluchtende Knochenlöcher und Bohrungen in der Führungsstange wieder in Fluchtung gebracht werden können (vgl. Figuren 6a, 6b und 6c nebst Beschreibung in Anlage 2). Im Klagegebrauchsmuster wird statt einer Lokalisation mit Hilfe der Messung eines Feldes rein mechanisch unter Zuhilfenahme einer Auslegerkonstruktion mit Abstandhalterstange lokalisiert. Änderungen an der Konstruktion der Führungsstange in Abgrenzung zum nächstliegenden Stand der Technik werden dagegen vom Klagegebrauchsmuster nicht thematisiert, so dass eine gewisse Flexibilität der Führungsstange also vom Klagegebrauchsmuster akzeptiert bzw. sogar vorausgesetzt wird: Durch eine Verbiegung der Führungsstange kann eine laterale Abweichung von Bohrungen in der Führungsstange und Knochenbohrung kompensiert werden. Ohne Zuhilfenahme der Auslegerkonstruktion mit der Abstandhalterstange zur Ausrichtung der Führungsstange wäre mithin die vom Klagegebrauchsmuster erstrebte Lokalisation der Blindlöcher abgesehen von Ausnahmefällen praktisch vielfach unmöglich.
Zwar ist der Beklagten darin zu folgen, dass der Anspruch eine Führung und Halterung der Führungsstange parallel zum Nagel vorgibt sowie die Anordnung der weiteren Vorrichtungen in einer ersten geometrischen Symmetrieebene (Merkmal 3) und einer hierzu senkrechten zweiten geometrischen Ebene (Merkmal 7) vorschreibt. Gleichwohl lässt sich daraus mit Blick auf das Merkmal 9b nicht schlussfolgern, bei der gelehrten Vorrichtung handele es sich um ein starres System für eine „Punktlandung“ in dem Sinne, dass der Verlauf des Nagels im Knochen durch die beanspruchte Vorrichtung außerhalb des Knochens mechanisch abgebildet werde und ausschließlich damit die Blindlochlokalisierung erfolgen dürfe. Insbesondere überzeugt nicht der Hinweis der Beklagten auf Merkmal 1, wonach es um eine Bohrvorrichtung zum mechanischen Ausrichten einer Bohrführung gehe. Daraus ergibt sich nämlich nicht, welche Maßnahmen im Einzelnen für das Ausrichten gelehrt werden, und auch nicht, bis zu welchem Zeitpunkt die Ausrichtung abschließend erfolgt sein muss. Vielmehr schließt das „mechanische Ausrichten“ auch ein aktives Handeln in Bezug auf den Abstandhalter ein, und zwar auch noch nach erfolgter Implantation des Nagels.
Der Fachmann erkennt, dass es in Bezug auf die Führung und Halterung der Führungsstange parallel zum Nagel letztlich entscheidend auf den Zeitpunkt des Bohrens – wenn also die Abstandhalterstange den Nagel kontaktiert – ankommt. Eine – wie auch immer geartete – „Voreinstellung“, d.h. wenn noch kein Kontakt von Abstandhalterstange und Nagel besteht, allein mittels Führungsstange wäre demgegenüber ersichtlich sinnlos. Denn auf eine solche „Voreinstellung“ könnte sich der Chirurg ohnehin nicht verlassen, wie der Sachverständige im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zur Äquivalenz bestätigt (Gutachten C, S. 9).
bb) („parallel“)
Das Merkmal 5b wird durch die angegriffene Ausführungsform auch insoweit dem Wortsinn erfüllt, als dort eine „Parallelität“ der Führungsstange zum Nagel verlangt wird.
Dem steht nicht der folgende unstreitige tatsächliche Aspekt der angegriffenen Ausführungsform entgegen: Wie insbesondere dem Blatt 2 der Anlage 8 der Klägerin zu entnehmen ist, verläuft die Führungsstange – unstreitig – in einem Winkel zum Nagel. Zutreffend hat das Landgericht gleichwohl Parallelität bejaht und dies wie folgt begründet: Dass die Längsachse des Nagels und die Längsachse der Führungsstangen nicht exakt parallel zueinander ausgerichtet sind, sondern in einem minimalen Winkel von ca. 1° zueinander verlaufen, stehe der wortsinngemäßen Verwirklichung nicht entgegen. Diese minimale winkelmäßige Verschiebung werde, um ein exaktes Fluchten der Bohrführungsbohrung mit den Knochenschraubenlöchern zu erreichen, dadurch ausgeglichen, dass Bohrführungsbohrungen auf der Breite der Führungsstange entsprechend geringfügig versetzt zueinander angeordnet seien, dass die Mittelachse des Nagels die Bohrführungsbohrungen exakt in ihrer Mitte schneidet. Die Auslegerkonstruktion sei ebenfalls in der Weise winkelmäßig von der Führungsstange abgesetzt, dass der Abstand der Halterstange genau rechtwinklig zum Nagel verlaufe.
Gegen diese Sichtweise wendet die Beklagte erfolglos Folgendes ein: Um die fehlende Parallelität durch den Versatz der Bohrführung wirklich auszugleichen, müsste der Versatz der Bohrführungslöcher genau umgekehrt sein: In Bild 2 der Anlage 8 müsste das rechts (distal) liegende Bohrführungsloch weiter zum oberen Rand der Bohrführung und das links (proximal) liegende Bohrführungsloch weiter unten zum Rand der Bohrführung angeordnet sein. Nur dann würden die beiden Mittelpunkte der Bohrführungslöcher auf einer Geraden liegen, die zu der gestrichelt eingezeichneten Achse des Nagels einen Winkel aufweisen würde. Tatsächlich seien die Bohrführungslöcher aber nicht in dieser Weise angeordnet.
aaa)
Zunächst ist festzuhalten, dass dem Landgericht darin zu folgen ist, dass das Erfordernis der Parallelität von Führungsstange und Nagel jedenfalls in der Weise zu „relativieren“ ist, dass für eine parallele Führung anspruchsgemäß nicht etwa erforderlich ist, dass Führungsstange und Nagel über ihre gesamte Länge parallel verlaufen. Das Merkmal 2a sieht vor, dass der Nagel mindestens einen geraden, distal verlaufenden Abschnitt mit Knochenschraubenlöchern aufweist. Mit dieser Formulierung ist die Möglichkeit angesprochen, dass der Nagel auch einen gekrümmten Teil aufweist. Eine solche Ausführungsform ist etwa in dem bevorzugten Ausführungsbeispiel nach Figuren 11 und 12 gezeigt (vgl. Klagegebrauchsmusterschrift Seite 18, Zeilen 26 bis 30). Dabei bezieht sich das Ausführungsbeispiel gemäß Figuren 11 und 12 auf die Ausführungsform gemäß Figur 3, die sich wiederum auf die Ausführungsform gemäß Figur 2 bezieht, die im Bereich des proximalen Ende des Nagels einen Knick aufweist (Anlage K 1 Seite 6, Zeilen 9 bis 15). Demnach reicht es aus, wenn die Führungsstange parallel nur zum geraden Teil des Nagels verläuft. Wie der Fachmann erkennt, ist das nicht etwa nur eine Besonderheit des dortigen Ausführungsbeispiels. Vielmehr reicht es stets aus, wenn lediglich das Teilstück des Nagels parallel zur Führungsstange ausgerichtet ist, welches die distalen Knochenschraubenlöcher aufnimmt. Denn nur auf die distalen Knochenschraubenlöcher müssen die Bohrführungsbohrungen fluchtend ausgerichtet werden.
Vor diesem Hintergrund ist folgender Einwand der Beklagten ersichtlich unerheblich: Das Landgericht habe verkannt, dass das entsprechende Zitat aus der Klagegebrauchsmusterschrift sich auf die Figuren 11 und 12 beziehe, wohingegen in der Passage auf Seite 20 der Klagegebrauchsmusterschrift mit Bezug auf die in erster Linie erörterte Ausführungsform 13 und auch im Anspruch angegeben sei, dass die Führungsstangenkonstruktion parallel zum Nagel sei, um eine entsprechende Ausrichtung mit den Knochenschraubenlöchern des Nagels zu gewährleisten. Die Auslegung des Landgerichts ist aufgrund der Argumente im vorstehenden Absatz zutreffend. Vielmehr ist es die Beklagte selbst, die den Anspruch unzulässig unter Hinweis auf ein Ausführungsbeispiel einengt.
bbb)
Der Anspruch 1 verlangt keine Parallelität in einem „exakt mathematischen Sinne“.
(1)
Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass der Wortlaut diesbezüglich keine Einschränkung wie z.B. „in etwa“ oder dergleichen enthält.
Der Anspruch 1 des Klagegebrauchsmusters enthält mehrere geometrische Vorgaben, die zueinander in einer Wechselbeziehung stehen: Er spricht zwei geometrische Ebenen an, die sich senkrecht zueinander erstrecken (Merkmal 7c). In Merkmal 3 ist angegeben, dass die Knochenschraubenlöcher und die Achse des Nagels eine erste geometrische Symmetrieebene bilden. Sodann verlangt Merkmal 4c, dass die Bohrführungsbohrungen mit den Knochenschraubenlöchern fluchten. Außerdem ist in Merkmal 7 bezüglich der Auslegerkonstruktion angegeben, dass diese abnehmbar auf der Führungsstange angeordnet ist, seitlich außerhalb der ersten geometrischen Ebene verläuft und außerdem gemäß Merkmal 7c ein Ende mit einer Führungsbohrung aufweist, die an einer zweiten geometrischen Ebene liegt, in Bezug auf die weiter in Merkmal 7c angegeben ist, dass zu ihr die Achse des Nagels gehört und sie sich senkrecht zur ersten geometrischen Ebene erstreckt. In diesem Kontext ist es zu sehen, wenn in Merkmal 5b gelehrt wird, dass der starre Griff, der quer zum Nagel verläuft, Vorrichtungen zur Führung und Halterung der Führungsstange parallel zum Nagel aufweist. Der im Anspruch des Klagegebrauchsmusters angesprochene Bezug der beiden geometrischen Ebenen zueinander wird über die Führungsstange gewährleistet. Diese verläuft ihrerseits zum einen parallel zum Nagel und liegt damit mit der Achse des Nagels in der ersten geometrischen Symmetrieebene. Andererseits ist auf der Führungsstange die Auslegerkonstruktion angeordnet, deren Führungsbohrung in der zweiten geometrischen Ebene liegt. Zu beiden geometrischen Ebenen gehört die Achse des Nagels, die damit die Schnittlinie der beiden geometrischen Ebenen bildet, die sich senkrecht zueinander erstrecken.
Alldem entnimmt der Fachmann keine Anweisung, die Führungsstange exakt parallel zur Achse des Nagels und damit in der in Merkmal 3 angesprochenen ersten geometrischen Symmetrieebene anzuordnen: Mit Blick auf die ausschlaggebende technische Funktion des Erfordernisses der Parallelität steht dieser eine geringfügige winkelmäßige Abweichung von 1˚ jedenfalls dann nicht entgegen, wenn die parallele „Schnittfläche“ des Nagels mit der Fläche der Führungsstange korrespondierend dazu derart groß ist, dass ein geringfügiges Versetzen der Bohrführung zur Achse des Nagels hin zum Ausgleich bzw. zur Kompensation ausreicht. Bei einer solchen Konstruktion fällt die Abweichung der Parallelen der Mittelachsen bei technischer Betrachtung erkennbar nicht ins Gewicht.
Diesbezüglich erkennt der Fachmann nämlich: Selbst eine mathematisch exakte parallele Führung der Mittelachsen von Führungsstange und Nagel wäre allein noch nicht ausreichend, um fluchtend aufeinander ausgerichtete Bohrführungsbohrungen und Knochenschraubenlöcher zu erhalten. Hinzukommen muss vielmehr auch, dass die Bohrungen und Löcher nicht zueinander versetzt im flächigen Material der Führungsstange und des Nagels ausgebildet werden (vgl. Anhörungsprotokoll, S. 21).
Die vorstehenden Überlegungen sind auch nicht etwa aufgrund einer räumlich-körperlichen Vorgabe im Anspruch ausgeschlossen, so dass die betreffende funktionsorientierte Auslegung nicht etwa die Grenze zur Äquivalenz überschreitet (vgl. Meier-Beck, GRUR 2003, 905, 907).
(2)
Nicht überzeugend sind demgegenüber hingegen die Hinweise der Beklagten auf nachfolgend zitierte Passagen der Beschreibung des Klagegebrauchsmusters. Aus den angeführten Zitatstellen aus der Beschreibung des Klagegebrauchsmusters (Unterstreichungen durch Senat) ergibt sich lediglich in Übereinstimmung mit der Formulierung des Merkmals 5b, dass die Führungsstange parallel zum Nagel geführt werden muss.
– Seite 18, Zeilen 20 ff. des Klagegebrauchsmusters, wo es heißt:
„Der springende Punkt ist hierbei der, dass bei Arretierung des proximalen Nagelendes in seinem gespannten Anschluss an den Griff 23 die hier mit der Bezugsziffer 26 bezeichnete Führungsstange parallel zum geraden Teil 15 des intramedullären Nagels verläuft. Die Achsen des geraden Abschnitts 15 des Nagels und der zur Vorrichtung gehörigen Führungsstange 26 sowie der Knochenschraubenlöcher 60, 60 befinden sich jeweils in der in Figur 11 mit dem Bezugsbuchstaben S bezeichneten Sagittalebene.“
– mittlerer Absatz auf Seite 20 der Klagegebrauchsmusterschrift:
„Die Ausführungsform gemäß den Figuren 13 bis 15 ist in vielen Punkten der gemäß den Figuren 11 und 12 ähnlich, wobei jedoch die Ausführungsform gemäß den Figuren 13 bis 15 speziell für das Blindlochbohren an einem gebrochenen Femur geeignet ist, wobei der intramedulläre Nagel 113 gerade ist und am distalen Ende in Querrichtung verlaufende Knochenschraubenlöcher aufweist, die auf parallelen Achsen senkrecht zur mittleren Achse des Nagels 113 verlaufen und somit die erste geometrische Symmetrieebene bilden. Der Griff A- ist einstellbar am proximalen Ende des Nagels 11 arretiert und verkeilt; der Griff A- verläuft senkrecht zum Nagel 113 innerhalb der ersten Symmetrieebene und ebenfalls senkrecht zu einer länglichen Führungsstange Konstruktion 126 mit Vorrichtung 127, um die Konstruktion 126 selektiv in der angegebenen Symmetrieebene und parallel zum Nagel 113 und (ii) mit einem distal abgesetzten Vorsprung der Vorrichtung 126 zur Positionierung ihrer zwei Bohrführungen 131/131- zu klemmen und eine potentielle (oder sogar tatsächliche) Ausrichtung mit den Knochenschraubenlöchern 160, 160- des Nagels 113 zu gewährleisten.“
c) Merkmal 9b („Spitze“)
Nach einem Teilmerkmal des Merkmals 9b besitzt die Abstandhalterstange eine effektiv vorspringende Länge, um den Nagel mit ihrer Spitze an einer Stelle seines Umfangs, an der der Nagel kein Loch aufweist, zu kontaktieren. Der neue auf die „Spitze“ bezogene Anspruchsbestandteil ist erst durch die beschränkte Aufrechterhaltung des Anspruchs 1 mit Beschluss des BPatG gemäß Anlage ROP 10 zum Anspruchsinhalt geworden.
Mit „Spitze“ i.S.d. Schutzanspruchs ist nicht zwingend ein konisch zulaufendes Ende zu verstehen, sondern ganz allgemein das untere Ende bzw. die Unterseite der Abstandhalterstange gemeint (vgl. Anhörungsprotokoll, S. 29, S. 34). Schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch kann man unter Spitze jedenfalls auch ganz allgemein das Ende oder den vordersten Teil von etwas lang erstrecktem oder länglichem verstehen (vgl. Auszug gemäß Anlage WKS 5).
In der Beschreibung wird die Spitze der Stange mehrfach in einem Zug mit den Begriffen „unteres Ende“ und „Unterseite“ erwähnt (vgl. S. 10, Zeilen 7-9 u. S. 13, Zeilen 15 – 17). An verschiedenen Stellen des Klagegebrauchsmusters findet die Stangenspitze nicht einmal Erwähnung, wenn es um die Kontaktierung des Nagels geht, sondern nur das untere Ende der Stange bzw. die Stangenunterseite. „Spitze“ ist demnach ein Synonym für das zur Kontaktierung des Nagelumfangs vorgesehene Stangenende. Eine bestimmte räumlich-körperliche Ausgestaltung dieses Endes wird mit dem Begriff „Spitze“ nicht vorgegeben, insbesondere nicht eine spitz zulaufende Gestalt. Soweit die Beklagte geltend macht, in sämtlichen Zeichnungen sei eine Spitze mit einem solchen Durchmesser gezeigt, verkennt sie wiederum, dass es sich insoweit um bloße Ausführungsbeispiele handelt, die keine entsprechende Verallgemeinerung rechtfertigen.
Vielmehr erkennt der Fachmann, dass wesentlich für die Erfindung gemäß dem abgeänderten Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters die Kontaktierung des Nagels durch die Abstandhalterstange am Umfang des Nagels ist, nämlich an einer Stelle, an der der Nagel kein Loch aufweist. Dies ermöglicht einen vereinfachten Aufbau der Bohrhilfe, weil in Abgrenzung zum Stand der Technik auf eine innerhalb der Abstandhalterstange geführte weitere Stange verzichtet wird und dementsprechend kein Loch im Nagel angebracht werden muss. Auf die vereinfachte Bauart weist das BPatG in seinen Erwägungen zur Erfindungshöhe des beschränkten Gegenstandes des Klagegebrauchsmusters ausdrücklich hin (vgl. S. 28, letzter Abs. und S. 29, 1. Abs. gem. Anlage ROP 10). Insofern trifft die Annahme der Beklagten, wonach das Teilmerkmal „an einer Stelle, wo der Knochen kein Loch aufweist“ überflüssig wäre, wenn man Spitze nicht so verstünde, dass der Durchmesser der Spitze so dimensioniert sei, dass die Spitze in ein Nagelloch für das Einführen einer Knochenschraube eindringen könne, nicht zu. Der Sinn dieses Passus ist vielmehr darin zu sehen, dass dort der Verzicht auf eine weitere geführte Stange, die durch das Nagelloch geführt werden müsste, zum Ausdruck kommt.
Um der Forderung nach Kontaktierung des Nagels an dessen Umfang nachzukommen, kann der Fachmann also auf vielerlei Formen des unteren Endes der Abstandhalterstange zurückgreifen. Eine sich verjüngende Gestalt ist bloß eine Möglichkeit. Denn die Kontaktierung kann man auch mit beliebigen anderen Formen erzielt werden, unter anderem auch mit einer Hakenform. Unabhängig von der konkreten Gestalt des unteren Endes der Abstandhalterstange erreicht er in jedem Fall das Ziel, die Bauart der Bohrhilfe zu vereinfachen, solange er nur den Nagel mit der Abstandhalterstange am Umfang des Nagels kontaktiert.
Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, die hakenförmige Ausgestaltung des Zielbügels mache ein großes Loch im Knochen erforderlich. Die Beklagte geht fehl in ihrer Annahme, es sei objektive Aufgabe der Erfindung, für die Blindlochlokalisierung bei eingesetztem intramedullärem Nagel das Loch im Knochen für das Einführen der Abstandshalterstange zu minimieren. An keiner Stelle befasst sich das Bundespatentgericht mit der Größe des Knochenlochs. Auch das Klagegebrauchsmuster gibt diesbezüglich nichts vor. Das BPatG stellt vielmehr darauf ab, dass die Abstandhalterstange den Nagel an einer Stelle kontaktiert, an der der Nagel kein Loch hat, so dass ein solches Loch nicht mehr erforderlich ist und deshalb auf eine innerhalb der Abstandhalterstange geführte weitere Stange verzichtet werden kann. Zudem wird der Vorgang der Blindlochlokalisierung einfacher. Ein einteiliger Stabilisator ist einfacher und billiger herzustellen als ein zweiteiliger. Die bloße Außenkontaktierung des Nagels zur Blindlochlokalisierung verkürzt zudem die Operationszeiten. Denn ganz offensichtlich ist es einfacher, den Nagel nur an seinem Umfang zu treffen, anstatt wie bei der Kretteck-Vorrichtung (vgl. Anlagen ROP 11 u. 13) zunächst eine Innenstange des Stabilisators mit einem daran befindlichen Endhaken mühsam in ein naturgemäß sehr schmales Nagelloch einfädeln zu müssen.
Der Beschluss des Bundespatentgerichts stellt in den maßgeblichen Entscheidungsgründen allein darauf ab, dass im Gegensatz zum Stand der Technik kein Loch mehr im Nagel erforderlich ist für die Kontaktierung desselben mit der Abstandhalterstange. Das Bundespatentgericht hat demnach nicht den Verzicht auf ein großes Loch im Knochen als wesentlichen Unterschied zwischen dem abgeänderten Klagegebrauchsmuster und dem Stand der Technik angesehen. Gerade weil bei dem Gegenstand gemäß abgeändertem Schutzanspruch 1 die Abstandhalterstange den Nagel am Umfang kontaktiert, kann auf die komplizierte Konstruktion der Vorbenutzung E 4 verzichtet werden, bei der die Abstandhalterstange durch ein Loch im Nagel hindurchgeführt wird (siehe S. 28 f., übergreifender Absatz des Beschlusses gemäß Anlage ROP 10; (vgl. Anlage WKS 6 zur Funktionsweise der vorbenutzten Vorrichtung nach Kretteck, Bl. 524 f. GA).
Soweit im Tatbestand des Beschlusses (vgl. S. 11 der Anlage ROP 10) die Ansicht der Klägerin (dortige Antragsgegnerin) wiedergegeben ist, aufgrund der Spitze sei ein kleineres Loch im Knochen im Vergleich zur Vorrichtung nach E 4 des Löschungsverfahrens möglich, ist dies unerheblich, weil das BPatG sich dies in den Entscheidungsgründen gerade nicht zu eigen machte, sondern darauf abstellte, dass eine einteilige Abstandhalterstange möglich werde.
Weiter heißt es auf S. 29, 3. Abs. des Beschlusses des BPatG, dass „eine Abstandshalterstange vorgesehen wird, die ihrerseits in der Führungsbohrung einer Auslegerkonstruktion angeordnet ist und den Nagel nur mit ihrer Spitze an einer Stelle kontaktiert, an der der Nagel kein Loch aufweist.“ Das Wort „nur“ ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass das BPatG das Merkmal „Spitze“ offensichtlich als örtliche Angabe versteht, durch die ein bestimmter Bereich der Stange von anderen Stangenbereichen abgegrenzt werden soll. Die Kontaktierung des Nagels soll einzig und allein in diesem bestimmten Stangenbereich erfolgen, in den übrigen Stangenbereichen dagegen nicht.
Soweit die Beklagte darauf hinweist, dass von der Formulierung „unteres Ende oder Spitze“ auf S. 13, Z. 16 des Klagegebrauchsmusters im eingeschränkten Anspruch nur die Spitze übrig sei, ist auch das unerheblich. Zum Einen kann die Passage so verstanden werden, dass es sich dann um ein unteres Ende handelt, wenn die Druckbeaufschlagung nicht von der Seite, sondern von oben erfolgt, so dass von einer „Spitze“ dann gesprochen würde, wenn der Druck von der Seite beaufschlagt wird und demgemäß keine Vorgaben auf das Design des Endes gemacht werden Zum Anderen ist zu bedenken, dass die Ausführungen im Beschluss des BPatG an die Stelle der Beschreibung treten und aus sich heraus auszulegen sind.
Ein scharf-spitzes Ende würde der Fachmann nur dann für erforderlich halten, wenn die Stange sich mit diesem Ende selbsttätig in den Knochen hineinbohren sollte. Dies ist beim Klagegebrauchsmuster aber gerade nicht beabsichtigt. Dort soll die Abstandhalterstange sich nicht in den Nagel hineinbohren, auch nicht in ein Loch desselben eintreten, sondern eben nur an dessen Umfang anliegen. Keinesfalls wird mit der Abstandshalterung eine Hautinzision angestrebt, auch nicht mit der Spitze der Stange. Die Hautinzision erfolgt schon vorher mittels eines Skalpells, bevor überhaupt das Loch im Knochen gebohrt wird (S. 12, 3. Abs. der Klagegebrauchsmusterschrift). Die Abstandshalterstange wird also schon in eine vorhandene Inzision eingeführt und ist nicht selbst an der Inzision beteiligt.
Gegen die Annahme einer spitz zulaufenden Ausgestaltung spricht überdies, dass bei einer derartigen Ausgestaltung die Gefahr eines Abrutschens der Abstandhalterstange an einer zylindrischen Oberfläche des Nagels bestünde. Insbesondere bei Druckausübung auf die Abstandhalterstange wäre ein solches Abrutschen kaum zu vermeiden.
Die angegriffene Ausführungsform verzichtet ebenfalls auf ein Loch im Nagel und kontaktiert den Nagel mit der Spitze einer Abstandhalterstange, nämlich dem unteren Ende dieser Stange. Dass dieses untere Ende eine hakenartige Umbiegung aufweist (vgl. Anlage 5 und 5.3 zur Klageschrift: stumpfes Ende eines Hakens), führt nicht aus der Verletzung heraus. Unerheblich ist entsprechend der obigen Auslegung ferner, dass der Zielbügel so ausgestaltet ist, dass er auch mit der kürzesten Abknicklänge größer ist als der Durchmesser des Nagels, wobei Zielbügellängen existierten, die nahezu doppelt so groß seien (vgl. zur Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform auch Anlage ROP 16).
III.
Das Klagegebrauchsmuster ist auch schutzfähig. Insbesondere steht dem die Patentanmeldung, aus der es abgezweigt worden ist, nicht neuheitsschädlich entgegen.
1.
Mit der unstreitig gegenüber dem Deutschen Patentamt abgegebenen Erklärung, die Anmeldung des Klagegebrauchsmusters sei eine Abzweigung aus der PCT/IB 95/000XYY vom 12. Juli 1995, hat die Klägerin die nach § 5 Abs. 1 S. 1 GbMG abgegeben. Sie war nicht verpflichtet, den im Gesetz genannten Sprachgebrauch wörtlich zu übernehmen, sie wolle den für die Patentanmeldung maßgebenden Anmeldetag in Anspruch nehmen. Ihr darauf gerichteter Wille ist aus dem Gebrauch des Ausdruckes „Abzweigung“ eindeutig zu erkennen und vom Deutschen Patentamt auch so verstanden worden; das zeigt nicht zuletzt die im Löschungsverfahren ergangene Entscheidung.
2.
Die Klägerin hat auch nicht nach § 5 Abs. 2 S. 2 GbMG das Recht verwirkt, den Anmeldetag der früheren PCT-Anmeldung für das Klageschutzrecht in Anspruch zu nehmen. Die Vorschrift des § 5 Abs. 2 S. 1 GbMG, nach Abgabe der Abzweigungserklärung das Aktenzeichen und den Anmeldetag der älteren Anmeldung anzugeben und eine Abschrift dieser Patentanmeldung einzureichen, entspricht § 41 Abs. 1 S. 3 PatG, so dass auch die zu dieser Bestimmung ergangene Rechtsprechung gilt. Nach diesen Grundsätzen ist eine vollständige Abschrift der früheren Anmeldung einzureichen, um die Prüfung zu ermöglichen, ob die Priorität zu Recht in Anspruch genommen wurde; diese Abschrift muss zwar mit der früheren Anmeldung vollständig übereinstimmen, wo sich jedoch frühere Anmeldung und Nachanmeldung völlig decken, kann ein Doppel der Anmeldeunterlagen als Abschrift angesehen werden, sofern der Anmelder innerhalb der 16-Monats-Frist auf die Übereinstimmung hinweist. Zur Vollständigkeit der Abschrift gehört auch die Zeichnung (vgl. Busse/Keukenschrijver, PatG, 5. Aufl., § 41 PatG Rdn. 37-40 m.w.N.; BGH GRUR 1979, 626, 627 – elektrostatisches Ladungsbild). Diesen Anforderungen genügt die mit Schriftsatz vom 27. März 1998 zu den Gebrauchsmusterakten gereichte Ablichtung der ursprünglichen Unterlagen zu der genannten PCT-Anmeldung (Bl. 76 und 77 ff. der Gebrauchsmusterakten) schon deshalb nicht, weil das letzte Zeichnungsblatt mit den Figuren 14 und 15 fehlt. Die als Anlage zum Schriftsatz vom 12. März 1998 (Bl. 39 ff. der Gebrauchsmusterakte) ist dagegen vollständig und sie stimmt auch mit den ursprünglichen Unterlagen textlich überein; aus der Eingabe vom 27. März 1998 (Bl. 76 der Gebrauchsmusterakte) geht hervor, dass die am 12. März übersandten Unterlagen lediglich von der WIPO beanstandete Formmängel beseitigten, ohne textliche Änderungen vorzunehmen. Die beiden Unterlagen stimmen zwar im Schriftbild nicht überein, dass ist aber auch nicht erforderlich. Im Übrigen hat auch die Gebrauchsmusterabteilung im damaligen Löschungsverfahren die Wirksamkeit der Abzweigung entsprechend ihrer Prüfungskompetenz geprüft (vgl. dazu Busse/Keukenschrijver, a.a.O., § 5 GbMG Rdn. 21); das zeigen ihre Ausführungen auf Seite 4 ihres Beschlusses vom 6. November 2001 (Anl. WKS 3). Da auch die Beklagte nicht geltend macht, bei der zunächst eingereichten Abschrift seien gegenüber den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen der PCT-Anmeldung textliche Änderungen vorgenommen worden, kann davon ausgegangen werden, dass beide eingereichten Abschriften textlich übereinstimmen. Auf Seite 4 des Beschlusses der Gebrauchsmusterabteilung wird am Ende des Absatzes 1 auch zutreffend darauf hingewiesen, dass die Verwirkung nur eintritt, wenn der Anmelder eine Fristsetzung des Patentamtes zur Vorlage korrekter Unterlagen unbeachtet lässt, im Streitfall aber eine solche Frist nicht in Gang gesetzt worden ist, weil die Anmelderin nicht zur Vorlage einer Abschrift der Voranmeldung aufgefordert worden ist. Hätte dem Deutschen Patentamt die zunächst eingereichte Abschrift nicht ausgereicht, hätte es nach Eingang der unvollständigen zweiten Abschrift insoweit eine entsprechende Aufforderung nach § 5 Abs. 2 S. 1 GbMG aussprechen müssen.
3.
Weitere Einwendungen gegen die Schutzfähigkeit des Anspruchs 1 des Klagegebrauchsmusters in der vorliegend geltend gemachten Fassung hat die Beklagte weder vorgebracht noch sind solche sonst wie ersichtlich.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91a, 97 Abs. 1 ZPO. Soweit die Parteien den Rechtsstreit in Bezug auf den Unterlassungsantrag übereinstimmend für erledigt erklärt haben, hat die Beklagte die Kosten zu tragen, da sie nach dem bisherigen Sach- und Streitstand ohne den Zeitablauf des Klagegebrauchsmusters aus den unter III. genannten Gründen auch insoweit unterlegen wäre, und keine sonstigen Gesichtspunkte ersichtlich sind, die aus Gründen der Billigkeit eine andere Kostenverteilung rechtfertigen könnten (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. Auflage, § 91a Rn 24 m.w.N.).
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Beklagten vom 27.11.2012, welcher lediglich Rechtsansichten wiedergibt, veranlasste nicht zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§§ 296a, 156 ZPO).
V.
Anlass zur Zulassung der Revision (§ 543 ZPO) besteht nicht. Die vorliegende Rechtssache wirft als reine Einzelfallentscheidung weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung noch solche auf, die zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder zur Fortbildung des Rechts eine Entscheidung
des Bundesgerichtshofes als Revisionsgericht erfordern.